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Open AccessOriginalarbeit

Gefahr einer Mangelernährung älterer Patient_innen im Akutspital

Implikationen für die Pflegepraxis

Published Online:https://doi.org/10.1024/1012-5302/a000844

Abstract

Zusammenfassung. Hintergrund: Die Gefahr einer Mangelernährung ist bei hohem Alter und akuter Erkrankung erhöht und deren Erfassung sowie bedarfsgerechte Unterstützung gehören zum Verantwortungsbereich der Pflege. Fragestellung / Ziel: Mit der folgenden Forschungsfrage sollen Ernährungszustand sowie mögliche Zusammenhänge zu Pflegediagnosen und weiteren Patient_innen-Merkmalen von Personen (80-jährig und älter) analysiert werden: Welche Muster im Sinne von Zusammenhängen lassen sich in Bezug auf Kalorien- und Proteinbedarfsdeckungsgrade und weiteren Patient_innen-Merkmalen erkennen? Methoden: Explorative Querschnittsstudie mit Clusteranalyse auf Grundlage von Essprotokollen und Pflegedokumentationen. In die Gelegenheitsstichprobe eingeschlossen wurden Patient_innen der Behandlungsbereiche Chirurgie, inneren Medizin und universitäre Akutgeriatrie. Ergebnisse: Aus Daten von 135 Patient_innen wurden vier Gruppen gebildet (Proteinbedarfsdeckungsgrad): Gut-Ernährte (116 %), Genügend-Ernährte (77 %), Ungenügend-Ernährte (59 %) und Schlecht-Ernährte (40 %). Ein signifikanter Zusammenhang von Kalorien-und Proteinbedarfsdeckungsgrad und Behandlungsbereich konnte gezeigt werden. Schlussfolgerungen: Protein- und Kalorienbedarfsdeckungsgrade hängen mit dem Behandlungsbereich und folglich mit dessen Teamkultur und Behandlungskonzept zusammen. Aufgrund der Eigenschaften der Gut-Ernährten kann auf eine positive Wirkung der interprofessionellen Zusammenarbeit und der systematischen Erfassung der Gefahr einer Mangelernährung, wie es im Bereich Akutgeriatrie umgesetzt wird, geschlossen werden.

Risk of malnutrition in elderly patients in acute hospitals – implications for nursing practice

Abstract. Background: The risk of malnutrition is increased in advanced age and acute illness, and its assessment and needs-based support are part of the responsibility of nursing. Research question / objective: The following research question aims to analyse the nutritional status and possible correlations with nursing diagnoses and other patient characteristics from persons who are 80 years old and older: Which patterns in the sense of clusters can be identified concerning calorie and protein requirements and other patient characteristics? Methods: Explorative cross-sectional study with cluster analysis based on food intake protocols and nursing documentation. Patients from surgery, internal medicine and university acute geriatric care wards were included in this non-probability sample. Results: Four groups were formed out of the data from 135 patients (protein requirement coverage): Well-nourished (116 %), sufficiently-nourished (77 %), insufficiently-nourished (59 %) and poorly-nourished (40 %). A significant correlation between calorie and protein requirement coverage and treatment area has been shown. Conclusions: The degree of coverage of protein- and energy requirement is related to the treatment area and consequently to its team culture and treatment concept. Based on the characteristics of the well-nourished, a positive effect of interprofessional cooperation and systematic recording of the risk of malnutrition, as implemented in the treatment area of acute geriatric care, might be concluded.

Was ist zu dieser Thematik schon bekannt?

Die Gefahr einer Mangelernährung ist bei hohem Alter und akuter Erkrankung erhöht.

Was ist neu?

Die explorative Querschnittsstudie von 135 Fällen zeigte vier Gruppen der Nährstoffzufuhr: Gut-Ernährte, Genügend-Ernährte, Ungenügend-Ernährte und Schlecht-Ernährte.

Welche Konsequenzen haben die Ergebnisse für die Pflegepraxis?

Die Studie zeigt Zusammenhänge von Ernährungszustands-Gruppen zu einem Krankenhausbereich mit interprofessionellem Behandlungskonzept.

Einleitung und Problemstellung

Diese Studie hat ältere hospitalisierte Personen (80-jährig und älter) im Fokus, da diese infolge hohem Kalorien- und Proteinbedarf eine erhöhte Gefahr für Mangelernährung aufweisen (Volkert et al., 2019). Die Gefahr einer Mangelernährung bei älteren Menschen in Akutspitälern scheint weder systematisch noch umfassend erkannt zu werden, wodurch die notwendigen Interventionen meist unterbleiben. Mangelernährung erhöht die Risiken für Wundinfektionen, akute Verwirrtheit und Stürze und erhöht die Mortalitätsrate (Barker, Gout & Crowe, 2011). Liegt eine Mangelernährung vor, führt sie folglich zu verlängerten Krankenhausaufenthalten und erhöhten Gesundheitskosten (Barker et al., 2011). Im vorliegenden Forschungsprojekt wird eine leichte Kalorien- und Proteinmangelernährung definiert als

Der NRS besteht aus Body Mass Index (BMI, berechnet durch Körpergewicht / Körpergröße2 = kg / m2), Alter und Gewichtsverlust in den vorangegangenen drei Monaten sowie Krankheitsschwere. Die Werte des NRS werden wie folgt interpretiert: 0 – 2 = tiefes Risiko für Mangelernährung, 3 = Risiko, 4 – 5 = hohes Risiko für Mangelernährung, wahrscheinlich bereits mangelernährt (Kondrup et al., 2003).

Zu den Ursachen für Mangelernährung zählen Appetitlosigkeit, altersbedingt verringertes Geschmacksempfinden, enorale Veränderungen und Polypharmazie (Bauer, Halfens & Lohrmann, 2017). Zudem weisen ältere Menschen vermehrt Kognitionsveränderungen auf, welche Appetit und Nahrungszufuhr vermindern können. Physische Belastungen, beispielsweise durch Schmerzen in den oberen Extremitäten, können die Nahrungsaufnahme zusätzlich limitieren (Barker et al., 2011). Wissenschaftlichen Berichten zu Folge könnten auch die Kultur eines Behandlungsteams und die Haltung von Pflegefachpersonen einen Einfluss auf den Ernährungszustand der Patient_innen während deren Krankenhausaufenthalt haben (Zanini, Bagnasco, Aleo, Timmins & Sasso, 2017).

Womit die Ernährung der älteren Patient_innen im Akutspital zusammenhängt, ist bislang nur in einzelnen Populationen erforscht (Müller et al., 2017). Es fehlt an aktuellen Studien, welche den Ernährungszustand von älteren Patient_innen in verschiedenen Behandlungsbereichen eines Akutspitals beschreiben und Zusammenhänge mit Vorhandensein und Anzahl von Pflegediagnosen, Anzahl medizinischer Diagnosen und sozialen Faktoren wie Wohnsituation und Alter herstellen. Eine Erhebung solcher Zusammenhänge scheint essenziell, um Risikofaktoren identifizieren zu können, was in einem späteren Projektschritt der Entwicklung von Interventionen dienen soll.

Ziel und Forschungsfrage

Das Ziel dieser Studie ist, erweiterte Erkenntnisse zum Ernährungszustand älterer hospitalisierter Patient_innen zu gewinnen. Zudem sollen Zusammenhänge zu Pflegediagnosen und Anzahl medizinischer Diagnosen ausgewertet werden. Wenn Zusammenhänge und damit mögliche Patient_innen- oder behandlungsbezogene Risikofaktoren benannt sind, kann das interprofessionelle Behandlungsteam frühzeitig wirksame Interventionen ableiten und umsetzen. Die folgende Forschungsfrage soll beantwortet werden: Welche Muster im Sinne von Zusammenhängen lassen sich in Bezug auf Kalorien- und Proteinbedarfsdeckungsgrade und weitere Patient_innen-Merkmale erkennen?

Methode

Design

Das Forschungsvorhaben folgt einem explorativen quantitativen Querschnittsdesign gemäß dem Paradigma der quantitativen Sozialforschung (Mayer, 2019). Ein induktives Vorgehen erlaubt es, von den Daten ausgehend ein komplexes Phänomen von verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten und damit zusammenhängende Faktoren zu erkennen (Polit & Beck, 2020). Explorative Studien erkunden ein bislang nur ungenügend erforschtes Themenfeld und beantworten offene Fragen. Mit solchen entdeckenden statistischen Methoden kann nach Mustern im Sinne von Zusammenhängen in einem Datensatz mit vielen Variablen und Fällen gesucht werden (Döring & Bortz, 2016). Das Vorgehen wird als Querschnittstudie bezeichnet, da während eines Krankenhausaufenthaltes (1 Messzeitpunkt = 5 Tage mit je Frühstück, Mittag- und Abendessen; entspricht 15 Mahlzeiten pro Patient_in) jeweils Mittelwerte der Kalorienbedarfsdeckungsgrade und ein Mittelwert des Proteinbedarfsdeckungsgrades berechnet und für die weiteren Analysen genutzt wurden.

Setting und Kontext

Die Datenerhebung fand von September 2018 bis Juni 2019 in einem 200-Betten Akutspital in Zürich (CH) statt. Aufgenommen wurden Patient_innen der allgemeinen Chirurgie (Chirurgie), inneren Medizin (Medizin) und der universitären Klinik für Akutgeriatrie (Akutgeriatrie). Damit wurde ein breites Spektrum an ernährungsbezogenen Daten von Patient_innen mit unterschiedlichsten medizinischen Diagnosen wie auch von verschiedenen Pflege- und Behandlungsteams erfasst. Die Mahlzeiten wurden in der spitaleigenen Küche zubereitet, auf den jeweiligen Pflegestationen erwärmt und durch die Pflegefachpersonen serviert. Es gehörte zu deren Routinetätigkeiten, die Essenstableaus wieder abzuräumen und die Nahrungszufuhr zu dokumentieren.

Stichprobe

Die Analyse der Essprotokolle von 110 Patient_innen pro Behandlungsbereich wurde als ausreichend große Stichprobe festgelegt, da aufgrund der Theorie der zentralen Tendenz bei einer Stichprobe in dieser Größe eine Normalverteilung sehr wahrscheinlich ist (Schwarz & Bruderer Enzler, 2018). Übertragbarkeit und Repräsentativität der Daten auf ein vergleichbares Setting und ähnliche hochaltrige Patient_innen könnten mit einer solchen Stichprobengröße möglich werden (Stöcklin, 2010). Um eine Verzerrung der Ergebnisse durch ungleiche Stichproben auszuschließen, wurden gleich viele Patient_innen aus allen drei Behandlungsbereichen eingeschlossen.

Eingeschlossen wurden Daten von allen allgemein versicherten, hospitalisierten 80-jährigen oder älteren Patient_innen im vordefinierten Erhebungszeitraum, wenn Essprotokolle von mindestens fünf Tagen vollständig waren, damit je Patient_in verlässliche Durchschnittswerte der Nahrungszufuhr berechnet werden konnten. Dabei wurden je eine Pflegestation der Behandlungsbereiche Chirurgie, Medizin und Akutgeriatrie eingeschlossen. Ausgeschlossen wurden Patient_innen, die Ernährung parenteral oder via Ernährungssonde erhielten und solche, die sich gemäß ärztlichem Bericht in einer terminalen Krankheitssituation befanden.

Datensammlung

Der Ernährungszustand ist in dieser Studie als Kalorien- und Proteinbedarfsdeckungsgrad definiert, wobei grundsätzlich eine 100-prozentige Bedarfsdeckung angestrebt wird (Rosenberger, Rechsteiner, Dietsche & Breidert, 2019).

Ein interprofessionelles Forschungsteam, bestehend aus einer Advanced Practice Nurse, Ernährungsberaterinnen BSc und Ärzt_innen der Traumatologie, Geriatrie und Medizin, begleiteten diese Studie mit ihrer Expertise zu Mangelernährung und Akutspitalbehandlung.

Für die Erhebung des Ernährungszustandes wurden das Pflegefachpersonal und die Ernährungsberatung mit einem gemeinsam definierten Prozessablauf instruiert. Eine verantwortliche Pflegefachperson kennzeichnete Studienpatient_innen auf der Plantafel gemäß Ein- und Ausschlusskriterien, was durch die operative Projektleitung zweimal wöchentlich überprüft wurde. Die Pflegefachpersonen führten Essprotokolle, indem sie beim Abräumen der Gedecke unmittelbar nach der Mahlzeiteneinnahme bei allen Studienpatient_innen auf den Esskarten protokollierten, welche Menübestandteile (Suppe, Beilage / Stärke, Fleisch / Eiweiß, Gemüse, Dessert) zu einem Viertel, zur Hälfte, zu drei Vierteln, ganz oder gar nicht gegessen wurden. Diese Dokumentation der Zufuhr sowie die Einschätzung der Gefahr der Mangelernährung wird bei der Einführung allen neuen Mitarbeitenden erklärt. Die Ernährungsberatung ermittelte deren Kalorien- und Proteinzufuhr, -bedarf und -deckungsgrade. Die Kalorien- und Proteinzufuhr wurde anhand des vordefinierten Nährstoffgehalts der Menüs zusammen mit den Essprotokollen berechnet. Für die Berechnung von Kalorien- und Proteinbedarfsdeckungsgraden (Zufuhr im Verhältnis zum Bedarf) wurden folgende Formeln angewendet: Proteinbedarfsdeckungsgrad in Prozent: 1 Gramm Protein pro Kilogramm Körpergewicht (KG), 1 g / kg KG (Volkert et al., 2019); Kalorienbedarfsdeckungsgrad: 30 Kilokalorien pro Kilogramm Körpergewicht, 30 kcal / kg KG (Volkert et al., 2019) und Kalorienbedarfsdeckungsgrad mit Harris-Benedict-Formel (HB) (Harris & Benedict, 1919). Da es möglich ist, mehr zu essen als der Körper aufgrund von Berechnungen mit Ernährungsformeln benötigt, können die Grade der Kalorienbedarfs- und Proteinbedarfsdeckung auch mehr als 100 Prozent betragen.

Zudem wurden durch eine Forschungsassistentin folgende weiteren Patient_innen-Merkmale pseudonymisiert in eine Tabelle übertragen: Behandlungsbereich, Geschlecht, Alter, Wohnsituation vor Hospitalisation, Liegedauer in Tagen, NRS, BMI, Anzahl Pflegediagnosen, Vorhandensein einer Pflegediagnose zu Ernährung, Anzahl medizinische Diagnosen, medizinische Hauptdiagnose (ICD-10 Code).

Datenauswertung

Mit einer Clusteranalyse wurden Muster in den Zusammenhängen von mehreren unabhängigen Variablen zu mehreren abhängigen Variablen ausgewertet (Döring & Bortz, 2016). Damit sollen Erkenntnisse über das komplexe Phänomen „Gefahr einer Mangelernährung“ gewonnen werden. Die drei Hauptschritte des Clusteranalyse-Verfahrens sind anbei beschrieben.

Im ersten Schritt der Datenanalyse wurden Häufigkeitsverteilungen und Mittelwerte bestimmt. Schiefe beziehungsweise Kurtosis weisen auf Normalverteilung hin, sofern die Werte zwischen 0 und 3 beziehungsweise 0 und 2 sind (Hager, 2019). Zum vereinfachten, übersichtlichen Vergleich wurden unabhängige Variablen dichotomisiert oder in drei Kategorien aufgeteilt, je nach theoriegeleiteter Sinnhaftigkeit. So wurde beispielsweise die Variable BMI in die zwei Kategorien „BMI < 24 kg / m2“ oder „BMI ≥ 24 kg / m2“ unterteilt, da der Norm-BMI bei älteren Patient_innen 24 bis 31 kg / m2 beträgt (Rosenberger et al., 2019).

Im zweiten Schritt wurden Gruppen gebildet mit Fällen, welche einen ähnlichen Protein- und Kalorienbedarfsdeckungsgrad aufwiesen. Dazu wurde die hierarchische Clusteranalyse mit Ward-Verfahren gewählt, was der gängigsten Methode für intervallskalierte Daten entspricht (Schwarz & Bruderer Enzler, 2018; Stein & Vollnhals, 2011). Die Absicht für geeignete Gruppen war, dass die Patient_innen innerhalb einer Gruppe bezüglich der beiden Variablen zu Kalorienbedarfsdeckungsgraden und dem Proteinbedarfsdeckungsgrad sehr ähnlich sein sollten. Zugleich unterscheiden sich die verschiedenen Gruppen hinsichtlich dieser Deckungsgrade bedeutsam.

Die Unähnlichkeitsberechnung erfolgte mit standardisierten Daten (0 – 1) und anschließender Bestimmung der euklidischen Distanz mit SPSS 26 (IBM, 2020). Damit sollen typische Patient_innen-Gruppen aufgefunden werden. Die Gruppengrößen sollten zudem ähnlich und mit zwei bis sechs Gruppen übersichtlich sein. Im dritten Schritt wurden Eigenschaften je Gruppe exploriert und beschrieben. Zur genaueren Überprüfung von möglichen Zusammenhängen aufgrund der Clusteranalyse wurde zusätzlich eine Regressionsanalyse durchgeführt.

Zusammenhänge zwischen Clustereigenschaften und Patient_innen-Merkmalen wurden im Forschungsteam ermittelt und in der Diskussion mit einer Statistikerin zur Minimierung des Verzerrungsrisikos überprüft. Die Qualität der Berichterstattung wurde gemäß STROBE für quantitative Beobachtungsstudien sichergestellt (von Elm et al., 2008).

Ethische Aspekte

Diese Studie wurde mit Routinedaten als Teil eines Qualitätssicherungsprojektes durchgeführt und daher als ethisch unbedenklich erklärt (Req-2016 – 00670). Die Projektdurchführung hält sich an die Deklaration von Helsinki (Hill, Subchaturas & Kloiber, 2013), die internationalen Good Clinical Practice Guidelines (ICH, 2016) sowie das lokal geltende Schweizer Gesetz (Bundesgesetz über die Forschung am Menschen (Humanforschungsgesetz)) und die kantonalen ethischen Grundsätze (Kantonale Ethikkommission Zürich, 2017). Die Einwilligung der Institution liegt in Form des Projektauftrages vor. Gesundheitsbezogene Personendaten wurden vor Beginn der Analyse pseudonymisiert, sodass keine Rückschlüsse auf einzelne Personen möglich sind (kofam, 2017). Alle physischen Patientendaten wurden in einem Schrank eingeschlossen und digitale Daten verschlüsselt aufbewahrt.

Ergebnisse

Beschreibung der Stichprobe

In der Halbzeit der geplanten Datensammlung waren je Bereich 18 – 38 der geforderten 110 Patientenfälle eingeschlossen. Die beiden Supervisorinnen und Auftraggeber entschieden zusammen mit dem Forschungsteam, die Zielgröße von 110 Fällen auf je 45 Fälle pro Behandlungsbereich zu reduzieren, damit der Forschungszeitplan eingehalten werden konnte. Zudem blieb die Priorität, von jedem Bereich gleich viele Patient_innen einzubeziehen, um eine Verzerrung aufgrund der Ungleichverteilung der Anzahl Fälle je Bereich zu vermeiden. Es wurden somit die jeweils ersten 45 Patient_innen je Behandlungsbereich eingeschlossen (N = 135), was der Berechnung von 2025 Essprotokollen (fünf Tage à drei Mahlzeiten von 45 Patient_innen) entspricht. Wie in den Tabellen 1 und 2 aufgeführt, wurden 87 (64 %) Frauen und 48 (36 %) Männer mit einem Durchschnittsalter von 86 Jahren eingeschlossen. Von 213 älteren Patient_innen wurden 35 ausgeschlossen, da sie weniger als fünf Tage hospitalisiert waren, 27 infolge unvollständiger Essprotokolle, neun wegen terminalem Krankheitszustand und sieben, da sie parenteral ernährt wurden.

Tabelle 1 Beschreibung der Stichprobe mit Ein- und Ausschlussgründen
Tabelle 2 Protein- und Kalorienbedarfsdeckungsgrad je Behandlungsbereich

Bei den eingeschlossenen Patient_innen waren keine bis sieben Pflegediagnosen erfasst. Die drei häufigsten medizinischen Diagnosen betrafen das Atmungssystem, Muskel-Skelett-System und Urogenitalsystem.

Häufigkeitsverteilung und Mittelwerte

Tabelle 3 zeigt die Ergebnisse der beschreibenden statistischen Datenauswertung der beiden Variablen zu Kalorienbedarfsdeckungsgraden und dem Proteinbedarfsdeckungsgrad mit Mittelwerten von 69 – 78 %, welche gemäß Kolmogorov-Smirnov und Shapiro-Wilk Test nicht normalverteilt sind (siehe Elektronisches Supplement ESM1: Tabelle S1). Der durchschnittliche BMI der eingeschlossenen Patient_innen beträgt 25 kg / m2 mit einer Spanne von 15 bis 42 kg / m2. Die Histogramme sind in den Abbildungen 1 – 4 des ESM1 gezeigt. Ein NRS ≥ 3 war bei 70 % der Gesamtstichprobe dokumentiert, was auf eine Gefahr für Mangelernährung hinweist (ESM1, Tabelle S2).

Tabelle 3 Verteilungsform der metrischen Variablen

Die Werte der Kalorienbedarfsdeckungsgrade berechnet mit HB und 30 kcal / kg KG und der Proteinbedarfsdeckungsgrad 1 g / kg KG korrelieren signifikant mit Korrelationskoeffizienten von > 0,8 (p < 0,001), wie in Tabelle 4 dargestellt.

Tabelle 4 Korrelationen mit Spearman-Rho zwischen den Kalorien- und Proteinbedarfsdeckungsgraden, Anzahl medizinischer Diagnosen, Pflegediagnosen, Body Mass Index (BMI), Liegedauer und Alter und Behandlungsbereich

Gruppenbildung durch Clusteranalyse

Aufgrund der Ähnlichkeiten und Anzahl der Patient_innen wurden anhand des Dendrogramms (siehe ESM2) vier Cluster (Gruppen) gebildet. Diese wurden als Gut-Ernährte (n = 35), Genügend-Ernährte (n = 34), Ungenügend-Ernährte (n = 39) und Schlecht-Ernährte (n = 27) benannt, wobei sie einen durchschnittlichen Proteinbedarfsdeckungsgrad von rund 116 %, 77 %, 59 % und 40 % aufwiesen. Ernährungszustand mit Bedarfsdeckungsgrad sowie demografische Angaben und die Anzahl Pflegediagnosen und medizinischen Diagnosen sind in Tabelle 5 dargestellt.

Tabelle 5 Gruppen (Cluster) von ähnlichen Patient_innenfällen in Bezug auf Kalorien- und Proteinbedarfsdeckungsgrad

Wird die Tabelle 5 zusammengefasst, so kann hervorgehoben werden, dass von der Gruppe „Gut-Ernährte“ der größte Teil (76 %) in der Akutgeriatrie behandelt war, während der Anteil dieses Behandlungsbereiches in der Gruppe der „Schlecht-Ernährten“ nur 11 % ausmachte. Ein Drittel dieser Gruppe waren 90-jährig und älter, der Frauenanteil betrug 77 %. Während 33 % der „Schlecht-Ernährten“ im Pflegezentrum lebten, waren es bei den „Gut-Ernährten“ 14 %. Ein BMI < 24 kg / m2 wurde bei 79 % der „Gut-Ernährten“ gemessen. Bei 85 % dieser Patient_innen wurde ein NRS ≥ 3 und bei 16 von 35 Fällen wurde eine explizite Pflegediagnose im Zusammenhang mit Ernährung (Mangelernährung, Übelkeit, dysfunktionale gastrointestinale Motilität) festgehalten. Drei oder mehr Pflegediagnosen waren bei 60 % der „Gut-Ernährten“ dokumentiert.

Auf der Akutgeriatrie wird ein interprofessionelles Behandlungskonzept gelebt. Unter anderem gehört dazu ein wöchentlicher interdisziplinärer Rapport, bei dem das Pflegefachpersonal sowie jeder therapeutische Dienst das Behandlungsziel definiert und evaluiert. Alle Patient_innen haben in diesem Bereich Ernährungstherapie (Stadtspital Waid und Triemli, 2020). Im Vergleich dazu waren 89 % aller Fälle der „Schlecht-Ernährten“ auf Chirurgie und Medizin, wo scheinbar die Ernährungstherapie bei diesen älteren Patient_innen einen geringeren Stellenwert hat. Dieser Umstand deutet darauf hin, dass die Teamkultur und das Bewusstsein für die Wichtigkeit der Patientenernährung eines Behandlungsbereich den Ernährungszustand mitbeeinflussen.

Zusammenhänge zwischen Ernährungszustand im Sinne des Kalorien- und Proteinbedarfsdeckungsgrades und der Anzahl Pflegediagnosen oder dem Vorhandensein einer ernährungsbezogenen Pflegediagnose wurden nicht statistisch bestätigt (Tabelle 6). Zur genaueren Beschreibung der vier Gruppen wurden Unterschiede zwischen den Gruppen mit Chi-Quadrat nach Pearson bestimmt, da die Variablen intervallskaliert oder ordinalskaliert waren. Die vier Gruppen unterscheiden sich signifikant bezüglich der Kalorien- und Proteinbedarfsdeckungsgrade und der Anteile je Gruppe aus den verschiedenen Behandlungsbereichen. Der Anteil an Patient_innen aus der Akutgeriatrie war signifikant höher in der Gruppe der „Gut-Ernährten“ als in den anderen Gruppen. Zudem war der Anteil an Patient_innen mit BMI < 24 kg / m2 der „Gut-Ernährten“ signifikant größer als in den anderen drei Gruppen, während die anderen drei Gruppen einen signifikant höheren Anteil Patient_innen mit BMI ≥ 24 kg / m2 aufwiesen.

Tabelle 6 Signifikanztests mit Pearson Chi-Quadrat der vier Cluster, Vergleiche der Spaltenanteileb

Anhand eines generalisierten Regressionsmodells mit Gamma-Verteilung (da nicht-normalverteilte Daten) mit jeder Variable des Kalorien- und Proteinbedarfsdeckungsgrades wurde ebenfalls aufgezeigt, dass der Bedarfsdeckungsgrad signifikant mit dem Behandlungsbereich zusammenhängt. Bei den eingeschlossenen 45 Fällen pro Bereich konnten keine statistisch signifikanten Zusammenhänge zu Anzahl medizinischer und Anzahl pflegerischer Diagnosen gezeigt werden (siehe ESM1: Tabellen S3 – S17).

Diskussion

Erstmalig wurde im deutschsprachigen Akutspital-Kontext ein Zusammenhang von Nahrungszufuhr zu Pflegediagnosen wie zur Anzahl medizinischer Diagnosen und weiteren Merkmalen von älteren Patient_innen untersucht. Signifikante Zusammenhänge zeigten sich von Ernährungszustands-Gruppe zu Behandlungsbereich und zu BMI-Kategorie. Aufgrund des jeweiligen Anteils Fälle je Bereich in den verschiedenen Gruppen könnte vermutet werden, dass die Gefahr für Mangelernährung nicht in allen Behandlungsbereichen berücksichtigt wurde. Diese Annahme basiert auf der Tatsache, dass 50 % aller Fälle der „Gut Ernährten“ einen NRS > 3 aufwiesen. Es kann vermutet werden, dass bei diesen Patient_innen die Gefahr für Mangelernährung erkannt wurde, was zu individueller Ernährungstherapie, gezielten Pflegeinterventionen und dadurch einem hohen Bedarfsdeckungsgrad führte. Die Wirksamkeit der Ernährungstherapie während des Krankenhausaufenthaltes ist mehrfach beschrieben (Gomes et al., 2019).

In der Gruppe „Ungenügend Ernährte“ waren 95 % der Patient_innen von den Behandlungsbereichen Medizin und Chirurgie. Diese Ergebnisse lassen vermuten, dass das Bewusstsein eines Behandlungsteams die Kalorien- und Proteinbedarfsdeckungsgrade der älteren Patient_innen im Akutspital beeinflussen. Die Auswirkungen einer ernährungsfokussierten Teamkultur sowie die Haltung der Pflegefachpersonen wurden sowohl in einer Querschnittsstudie (Vanderwee et al., 2011), wie auch in einem fundierten Editorial (Zanini et al., 2017) erklärt. Tappenden et al. (2013) haben zudem die Bildung einer Teamkultur, welche die Ernährung als Therapiebestandteil berücksichtigt, als wichtige Intervention, um Mangelernährung vorzubeugen, beschrieben. Der Einfluss der Teamkultur und das Bewusstsein für die Wichtigkeit der Patientenernährung wurden auch im subakuten Klinikbereich beobachtet (Ottrey, Porter, Huggins & Palermo, 2018). Die Kalorien- und Proteinbedarfsdeckungsgrade von älteren Patient_innen anderer Bereiche wie Medizin und Chirurgie könnte durch ein interprofessionelles Behandlungskonzept mit systematischer Einschätzung der Gefahr einer Mangelernährung verbessert werden (Beck, Geser & Grob, 2012).

Mögliche Gründe für das Fehlen eines statistischen Zusammenhanges zwischen der Anzahl Pflegediagnosen und der Gruppenzugehörigkeit könnten die relativ wenigen Patient_innen je Gruppe sowie die geringe Menge an Pflegediagnosen je Patient_in sein. Aus Diskussionen der Datenanalyse innerhalb des Forschungsteams geht jedoch hervor, dass teilweise Syndrom-Pflegediagnosen erstellt wurden, was auch bei komplexen Patientensituationen zu einer geringen Anzahl Pflegediagnosen führte.

Bei der Ergebnisdiskussion tauchte die Frage auf, weshalb die Gruppe der „Gut-Ernährten“ einen signifikant höheren Anteil an Patient_innen mit BMI < 24 kg / m2 aufweist als die anderen Gruppen. Es gibt einerseits die mathematische Begründung, da derselbe Parameter (kg KG) für die Bestimmung des BMI wie auch der Protein- und Kalorienbedarfsberechnung und entsprechend für die Berechnung des Bedarfsdeckungsgrades genutzt wird. Gemäß diesen Formeln haben Patient_innen mit tieferem BMI (meist mit tieferem Gewicht verknüpft) auch einen tieferen Kalorienbedarf. Zudem wurde im deutschsprachig-europäischen Kontext der mit Harris-Benedict-Formel errechnete Kalorien-Bedarf von älteren akut erkrankten Patient_innen nur von 1,5 % der Stichprobe gedeckt (Rosenberger et al., 2019).

Andererseits ist auch vorstellbar, dass ein tiefer BMI für das Behandlungsteam eine offensichtliche Gefahr einer Mangelernährung darstellt. Diese Annahme ist gestützt auf die Tatsache, dass bei rund 60 % der Patient_innen mit BMI < 24 kg / m2 ein NRS von 4 – 5 und eine ernährungsspezifische Pflegediagnose mit ernährungsfördernden Interventionen dokumentiert war. Umgekehrt formuliert, ergriffen vermutlich Pflegefachpersonen mehrheitlich Maßnahmen, um die Patientenernährung zu optimieren in jenen Fällen, wo die Gefahr einer Mangelernährung bei Eintritt mit NRS und Pflegediagnose korrekt erkannt wurde. Dies hatte anscheinend einen genügenden bis guten Ernährungsbedarfsdeckungsgrad während des Krankenhausaufenthaltes zur Folge.

Eingeschlossene Patient_innen mit BMI < 24 kg / m2 und NRS 4 – 5 zeigten auf, dass auch Patient_innen mit einer Gefahr für Mangelernährung während des Krankenhausaufenthaltes einen guten Bedarfsdeckungsgrad erreichen können. Dies bestärkt die Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit des interprofessionellen Ernährungsmanagements ab Spitaleintritt.

Stärken und Limitationen

Eine Stärke dieser Studie besteht im Einschluss von Daten älterer hospitalisierter Patient_innen inklusive jener mit veränderter Kognition wie Demenz oder Delir aus verschiedenen Behandlungsbereichen. Zwei Drittel der Stichprobe waren Frauen, was der demografischen Verteilung in dieser Alterskategorie entspricht (Bundesamt für Statistik, 2020b).

Als mögliche Limitation ist zu nennen, dass die Datenqualität von Essprotokollen, NRS-2002 und weiteren ernährungsbezogenen Daten eventuellen Ungenauigkeiten unterliegen könnte, zumal nicht-randomisierte Routinedaten erhoben wurden.

Des Weiteren konnten aufgrund der begrenzten zeitlichen Ressourcen und kürzerer Liegedauer anstelle der geplanten je 110 Patient_innen insgesamt 45 Fälle pro Behandlungsbereich eingeschlossen werden. Dadurch lag die Anzahl Patient_innen je Gruppe bei 27 bis 39 Fällen. Die Bestimmung von statistisch signifikanten Unterschieden ist folglich limitiert, eine Verallgemeinerbarkeit der Ergebnisse verunmöglicht. Hingegen kann die Heterogenität der Stichprobe (Fallauswahl von drei Behandlungsbereichen mit unterschiedlichsten medizinischen Diagnosen) als Chance für eine Setting- und altersbezogene Repräsentativität gesehen werden.

Patient_innen mit Liegedauer < 5 Tagen wurden ausgeschlossen, was als weitere Limitation angesehen werden könnte. Da jedoch bei Patient_innen mit längeren Krankenhausaufenthalten das Risiko für Mangelernährung besonders hoch ist (Woodward et al., 2020) lohnt es sich, diese Patient_innen und Zusammenhänge mit deren Ernährungssituation zu analysieren.

Implikationen für die Pflegepraxis

Die Kalorien- und Proteinbedarfsdeckungsgrade von älteren Patient_innen könnten auch in den Behandlungsbereichen Medizin und Chirurgie durch ein ernährungsförderndes interprofessionelles Behandlungskonzept mit systematischer Einschätzung der Gefahr einer Mangelernährung verbessert werden. Pflegefachpersonen sollten im interprofessionellen Team dahingehend geschult werden, dass ein hoher BMI die Gefahr einer Mangelernährung erhöht und dass Ernährungszustand sowie Nahrungszufuhr täglich überprüft werden müssen. Interprofessionelle, interdisziplinäre Praxisentwicklungs- und Qualitätssicherungsprojekte müssen dieses Vorgehen und die Haltung, dass Ernährung ein relevanter Teil der Pflege und Therapie ist, in allen Behandlungsbereichen berücksichtigen.

Weitere Forschung zum Phänomen „Gefahr einer Mangelernährung“ in mehreren Akutspitälern wird benötigt, um ein ernährungsförderndes interprofessionelles Behandlungskonzept zu entwickeln und zu implementieren.

Schlussfolgerungen

Protein- und Kalorienbedarfsdeckungsgrade hängen mit dem Behandlungsbereich und folglich mit dessen Teamkultur und Behandlungskonzept zusammen. Aufgrund der Eigenschaften der Gruppe „Gut-Ernährter“ wird klar, dass interprofessionelle, interdisziplinäre Behandlungsteams mit strukturierten Rapporten, dem systematischen Miteinbezug der Ernährungstherapeut_innen und einer für alle sichtbaren Dokumentation der Gefahr von Mangelernährung älterer Patient_innen entgegenwirken können.

Elektronische Supplemente (ESM)

Die elektronischen Supplemente sind mit der Online-Version dieses Artikels verfügbar unter https://doi.org/10.1024/1012-5302/a000844.

Vielen Dank an A. Heilbronner und P. Witschi, Leiter der Pflegeabteilung, für den unterstützenden Arbeitsvertrag für diese Studie. An Prof. Dr. M. Müller Staub und Univ.-Prof. Dr. H. Mayer geht ein grosses Dankeschön für die Betreuung und das Feedback während des Forschungs- und Schreibprozesses. Den Mitgliedern des Soundingboards gebührt grosse Anerkennung für die regelmässig stattfindenden Diskussionen des Forschungsplanes und der Ergebnisse sowie für die Begutachtung dieses Manuskripts. Die Mitglieder des Soundingboards sind: A. Bernhard, M. Breidert, MD PD; M. Dietrich, MD PD; S. Frei, K. Hopbach, M. Nardi, MD; und M. Rechsteiner, BScN. Zudem möchte ich mich ebenfalls erkenntlich zeigen bei I. Hager, welche mich bei der quantitativen Datenanalyse auf unkomplizierte Weise beraten hat. Vielen Dank an die Pflegeteams und die Ernährungsberatung für die Datenerhebung: Teamleitungen sind Annette Augst, Nadine Klein, Sonja Perlick, Monica Rechsteiner.

Was war die größte Herausforderung bei Ihrer Studie?

Bei hoher Arbeitslast das Pflegefachpersonal zur Essprotokollführung zu motivieren.

Was wünschen Sie sich bezüglich der Thematik für die Zukunft?

Durch genaue Einschätzung die Ernährung älterer Patient_innen im Krankenhaus zu verbessern.

Was empfehlen Sie zum Weiterlesen / Vertiefen?

Malone, Capezuti & Palmer (2014). Acute Care for Elders. A Model for Interdisciplinary Care (1 ed.). Siehe Literatur.

Literatur