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Free AccessOriginalarbeit

Wie Pflegeexpert_innen in Deutschschweizer Pflegeheimen ihre Rollenentwicklung gestalten

Eine qualitative Sekundärdatenanalyse

Published Online:https://doi.org/10.1024/1012-5302/a000889

Abstract

Zusammenfassung.Hintergrund: Die Entwicklung und Aufrechterhaltung der Pflegequalität wird in Schweizer Pflegeheimen oft von Pflegeexpert_innen übernommen. Dabei handelt es sich um diplomierte Pflegefachpersonen mit heterogenem Bildungshintergrund und langjähriger Berufserfahrung. Wie diese ihre Rollenentwicklung in den Pflegeheimen gestalten, ist nicht bekannt. Fragestellung/Ziel: Ziel der Studie ist es darzulegen, wie Pflegeexpert_innen in Pflegeheimen ihre berufliche Rollenentwicklung gestalten. Methode: Wir führten eine qualitative, konstruktivistische Sekundärdatenanalyse von 14 semistrukturierten Interviews mit Pflegeexpert_innen aus Deutschschweizer Pflegeheimen durch. Die Daten wurden induktiv mit einer reflexiven thematischen Analyse ausgewertet. Ergebnisse: Aus den Berichten der 14 Pflegeexpert_innen konnten wir das konstituierende Thema „Vision als Motivation“ und drei Phasen der Rollenentwicklung ableiten. Die Vision, eine gute Pflegequalität für die Bewohner_innen sicherzustellen, motiviert Pflegeexpert_innen zum Rollenaufbau und zur Weiterentwicklung in drei Phasen: 1) „Rolle sukzessive gestalten“; 2) „Rolle kontinuierlich weiterentwickeln“; 3) „Rolle neu ausrichten“. Schlussfolgerungen: Pflegeexpert_innen passen ihre Rolle kontinuierlich an den sich verändernden Kontext an, um an der Pflegequalität arbeiten zu können. Zum Gelingen benötigen sie eine gemeinsame Vision mit ihren Vorgesetzten für die Pflegequalität.

How nurse experts in Swiss nursing homes shape their role development: A qualitative secondary analysis

Abstract.Background: In Swiss nursing homes, often registered nurses in expanded roles are responsible for developing and maintaining quality of care. These are qualified nurses with a heterogeneous educational background and extensive professional experience. However, little is known of how they develop their roles in nursing homes. Aim: The aim of this study is to show how nurses in expanded roles in nursing homes create the development of their professional roles. Method: Using a constructivist approach, we conducted a qualitative secondary data analysis of 14 semi-structured interviews with nurses in expanded roles from nursing homes in German-speaking Switzerland. The data were analyzed inductively using reflexive thematic analysis. Results: We found the constituent theme „vision as motivation“ and a three-phase cycle of role development in the reports of the fourteen nurses in expanded roles. The vision of high-quality care of residents motivates nurses in expanded roles to shape and further develop their role in three phases: 1) Shaping their roles successively; 2) Developing their roles continuously; and 3) Realign their roles. Conclusions: Nursing professionals continuously adapt their roles to the shifting context to improve the quality of nursing care. To succeed, they and their supervisors need a shared vision for quality of care.

Was ist zu dieser Thematik schon bekannt?

Die professionelle Rollenentwicklung erstreckt sich von der Ausbildungszeit bis zur Anpassung der Rolle in der Praxis.

Welchen Erkenntniszugewinn leistet die Studie?

Die Vision einer guten Pflegequalität für die Bewohnenden motiviert Pflegeexpert_innen ihre Rolle (weiter) zu entwickeln.

Einleitung

Pflegeheime sind gefordert, hochwertige geriatrische Pflege für multimorbide Bewohnende zu gewährleisten (World Health Organization, 2015). Um die geriatrische Expertise sicherzustellen, übernehmen in Schweizer Pflegeheimen diplomierte Pflegefachpersonen mit unterschiedlicher Berufserfahrung die Rolle von Pflegeexpert_innen. Sie verfügen über eine Vielfalt von Ausbildungsabschlüssen, von der Diplomausbildung bis zum Masterabschluss als Advanced Practice Nurses (APNs), sowie Fort- und Weiterbildungen im geriatrischen Bereich (Zúñiga et al., 2021). Dabei absolvierten in der Schweiz bis 2015 erst 328 APNs das Masterstudium (Maier et al., 2017) und nur etwa 5% arbeiten im Pflegeheim (Schwendimann & Koch, 2013). Auf Basis ihrer Bildungs- und Berufserfahrung erweitern die Pflegeexpert_innen ihre Autonomie und Kompetenzen, so dass sie komplexe Pflegesituationen bewältigen und andere Pflegende dazu befähigen können (Spoelstra & Robbins, 2010). Bisher ist kaum bekannt, wie Pflegeexpert_innen mit solchen unterschiedlichen Werdegängen ihre Rollenentwicklung gestalten.

In der Literatur finden sich primär Angaben zur Rollenentwicklung von APNs. Brykczynski and Mackavey (2019) beschreiben, wie sich die professionelle Rollenentwicklung von APNs über drei Phasen erstreckt: 1) Ausbildungszeit zur Vorbereitung auf Tätigkeiten in der Rolle, 2) Rollenimplementierung nach der Ausbildung und 3) laufende Anpassung der Rolle in der Praxis. Dabei sind der Übergang von der Ausbildung in die Praxis und die anschliessenden Entwicklungsstadien von Anfänger_innen zu Expert_innen herausfordernde Momente in der Rollenentwicklung (Brykczynski & Mackavey, 2019). Der Fokus in internationalen Studien zur Rollenentwicklung in Pflegeheimen lag auf der zweiten Phase des Übergangs von der Ausbildung in die Praxis. So untersuchte eine Studie aus Norwegen die Strategien neu ausgebildeter geriatrischer APNs bei der Rollenimplementierung (Henni et al., 2018), wo diese ihre Rolle wiederholt erklärten, im Pflegealltag ihr Wissen anwendeten und in der interprofessionellen Zusammenarbeit flexibel agierten. Förderlich für die Rollenimplementierung waren dabei z.B. der Austausch mit anderen APNs, während fehlende Rahmenbedingungen und gesetzliche Grundlagen die Entwicklung erschwerten (Henni et al., 2018). Auch in Australien und Kanada behinderten fehlende Kenntnisse über die Nurse Practitioner (NP)-Rolle und ihre Inhalte deren Einführung nach Ausbildungsabschluss (Ervin et al., 2019; Sangster-Gormley et al., 2011). Es wurde bisher jedoch kaum untersucht, wie Pflegeexpert_innen mit heterogenen Ausbildungshintergründen ihre Rollenentwicklung in der Praxis gestalten.

Ziel und Fragestellung

Die vorliegende Studie geht der Frage nach, wie Pflegeexpert_innen mit heterogenen Ausbildungshintergründen in Deutschschweizer Pflegeheimen ihre berufliche Rollenentwicklung gestalten. Damit soll die Rollenentwicklung in der Praxis gezielt unterstützt werden können.

Methode

Design

Diese Sekundärdatenanalyse basiert auf der Primärstudie INTERCARE (Zúñiga et al., 2019) und den dort durchgeführten Interviews mit Pflegeexpert_innen aus Pflegeheimen, die mit pflegegeleiteten Modellen arbeiteten (Basinska et al., 2021a). Ziel der Primärstudie war zu explorieren, wie Pflegeexpert_innen die Entwicklung solcher Modelle und die interprofessionelle Zusammenarbeit erlebten. Während der Primäranalyse zeigte sich die Rollenentwicklung als prominentes und relevantes Thema für die Befragten, was zu dieser ergänzenden Sekundärdatenanalyse führte (Heaton, 2008).

Primär- wie Sekundäranalyse orientieren sich an der konstruktivistischen Methodologie (Watzlawick, 2010) der reflexiven thematischen Analyse (Braun & Clarke, 2019). Damit wird untersucht, wie Pflegeexpert_innen bei der Rollenentwicklung in Interaktion mit dem Umfeld ihr individuelles und subjektives Erleben deuten und so ihre eigene Realität bezüglich Gestaltung der Rollenentwicklung konstruieren (Watzlawick, 2010).

Untersuchungsort und -gruppe

Für diese Analyse wurden Interviews mit allen 14 Pflegeexpert_innen aus 9 Pflegeheimen in der deutschsprachigen Schweiz genutzt, die für die Primärstudie identifiziert wurden (siehe Tab. 1). Die Erstautorin fragte alle Pflegeexpert_innen per E-Mail an und alle stimmten schriftlich einer Teilnahme zu, die auch eine Sekundäranalyse umfasste. Nach Zustimmung wurde ein individueller Interviewtermin in den jeweiligen Pflegeheimen, in denen die Pflegeexpert_innen arbeiteten, vereinbart. Die Einschlusskriterien sind in der Tabelle 1 zu finden.

Tabelle 1 Ein- und Ausschlusskriterien der Untersuchungsgruppe

Weiterführende Informationen zum Kontext der Heime und der Befragten sind im Bericht zur Primärstudie ausführlich beschrieben (Basinska et al., 2021a).

Datenerhebung

Zwischen Juni 2017 und April 2018 führte die Letztautorin 14 semistrukturierte Einzelinterviews mit den Pflegeexpert_innen aus den 9 Pflegeheimen durch. Vor und nach der Studie hatten die Interviewerin sowie die anderen Autorinnen keinen persönlichen Kontakt mit den Studienteilnehmenden, mit Ausnahme der Erstautorin, die im Rahmen von weiteren Studien oder beruflich mit den Pflegeexpert_innen in Verbindung steht. Der Interviewleitfaden wurde im Vorfeld mit einer qualitativen Forscherin mit Berufserfahrung als Pflegeexpertin getestet, danach erfolgten keine Anpassungen. Dieser umfasste Fragen zu Rollenerleben, Tätigkeiten und interprofessioneller Zusammenarbeit (siehe Elektronisches Supplement ESM1). Die Interviews dauerten zwischen 55 und 110 Minuten (Mittelwert 87 Min.), wurden digital aufgezeichnet, in Standarddeutsch transkribiert und pseudonymisiert. Die Ethikkommission Nordwest- und Zentralschweiz erklärte die Studie als unbedenklich (EKNZ Req-2017-00410).

Datenanalyse

Alle 14 Interviews wurden induktiv mittels reflexiver thematischer Analyse ausgewertet. Die sechs Phasen der iterativen Analyse sind in Tabelle 2 beschrieben (Braun & Clarke, 2019). Die Hauptarbeit dieser Analyse wurde von einer Masterstudentin umgesetzt, die selber als Pflegeexpertin in einem nicht an der Studie teilnehmenden Pflegeheim arbeitete. Sie wurde von drei in qualitativer Forschung und reflexiver thematischer Analyse erfahrenen Forscherinnen begleitet (zwei mit einem PhD in Nursing Science und mit Hintergrund als Pflegefachpersonen mit Praxiserfahrung, eine Ethnologin), und unterstützt durch eine Peer Gruppe von Masterstudierenden.

Tabelle 2 Sechs Phasen der reflexiven thematischen Analyse (Braun & Clarke, 2019) und Rollen der Autorinnen

Ergebnisse

Die beruflichen Werdegänge sowie die demographischen Hintergründe der 14 Teilnehmenden waren vielfältig. Nach ihrer praktischen Pflegeausbildung haben die Befragten unterschiedliche Weiterbildungen in Fachgebieten wie gerontologische Pflege, Palliative Care oder Demenz absolviert, die ihren Praxisfokus geprägt haben. Von den Befragten hatten 7 einen Master of Advanced Studies, 2 ein Certificate of Advanced Studies, 1 einen Bachelor und 4 einen Master of Science in Nursing (siehe ESM2). Zur Zeit der Datenerhebung waren die Befragten im Alter von 29 bis 58 Jahren und verfügten im Durchschnitt über 5,7 Jahre Berufserfahrung als Pflegeexpert_innen (Spannbreite: 0,7–17 Jahre). Aus den Berichten der Pflegeexpert_innen konnten wir das konstituierende Thema „Vision als Motivation“ und drei Phasen der Rollenentwicklung als Unterthemen ableiten: 1) Rolle sukzessiv gestalten, 2) Rolle kontinuierlich weiterentwickeln, 3) Rolle neu ausrichten.

Vision als Motivation

Alle Pflegeexpert_innen erzählten, wie die Vision, mit ihrer Rolle zu einer guten Pflegequalität beitragen zu können, sie in der Rollengestaltung motivierte. Diese Vision zieht sich als roter Faden durch die Erzählungen. Dabei teilten die Pflegeexpert_innen sowohl die Vision zur Bedeutung ihrer Rolle für die Pflegequalität wie auch die Vision, welche Pflegequalität sie erreichen möchten. Ziel ist, eine personenzentrierte Pflege zu ermöglichen. Sie erzählten, wie sie dafür das Verständnis der Pflege- und Betreuungspersonen für die Herausforderungen der komplexen Pflege der Bewohnenden fördern, wie sie fachlich korrekte Pflegeinterventionen durchführen und evidenzbasierte Entscheidungen fällen. Dabei sahen sie sich als Vorbilder, die mit ihrem Expertenwissen die Pflegenden fördern und ihre Arbeit stärken konnten. Ein Pflegeexperte erzählte, wie er Pflegende an ein „Out-of-the-box-Denken […] zur kreativen Lösungsfindung“ (Pflegeheim A, Pflegeexperte 12) heranführte. Ein anderer sah sich als „Impulsgeber und Unterstützer bezüglich individueller kreativer Pflegekonzepte für den Bewohner“(PH B, P 14).

Damit die Vision motivierend wirkt, muss sie mit den Vorgesetzten geteilt werden. Eine Pflegeexpertin beschrieb dies folgendermassen: „Wir [Pflegeexpertin und Vorgesetzte] teilen dieselbe Philosophie. Es ist uns wichtig, dass wir dem Bewohner […] eine gute Institution anbieten können, eine gute Situation darlegen können, dass es ihnen gut geht hier“ (PH C, P 2). Das Wohlbefinden der Bewohnenden und die personenzentrierte Pflege waren grundlegende Pfeiler der Pflegequalität, die das gemeinsame Handeln von Pflegeexpert_innen und Führung prägten.

Rolle sukzessiv gestalten

Alle Pflegeexpert_innen erzählten, dass sie sich am Anfang intensiv mit der Klärung ihrer Rolle auseinandersetzten, indem sie mit den Vorgesetzen Strategien für die Einführung, Rahmenbedingungen und die zu bearbeitenden Themen festlegten. Dieser Austausch war vor allem für die Befragten wichtig, die keine andere Pflegeexpert_innen im Pflegeheim hatten, und als Pionier_innen keine Personen in vergleichbaren Rollen kannten. Eine Pflegeexpertin gab an: „Der Rollenwechsel ist am Anfang sehr schwierig gewesen, weil ich mich ja an niemandem orientieren konnte“ (PH D, P 1). Alle waren sich einig, dass der Umgang mit der neuen Rolle von Unsicherheit geprägt ist und der Austausch mit anderen Pflegeexpert_innen für die Rollengestaltung zentral ist.

Die Pflegeexpert_innen erzählten, wie sie in der ersten Phase für ihre Rolle Tätigkeiten aufnahmen, die von einem Zusammenspiel ihres Bildungshintergrunds, ihren Kompetenzen und Erfahrungen sowie dem Bedarf des Pflegeheims geprägt waren. Einige der Befragten führten ihre Tätigkeiten schrittweise ein, so dass Rollenimplementierung und Verantwortungsübernahme Hand in Hand gingen und sich mit der Zeit ein klareres Bild der Rolle formte. Das Gelingen der Rollenentwicklung setzte Vertrauen und Akzeptanz zwischen den Pflegeexpert_innen, ihren Vorgesetzten und den Mitarbeitenden voraus. So achteten die Pflegeexpert_innen bei der Rollentwicklung darauf, Vertrauen zu allen Beteiligten aufzubauen, indem sie z.B. bei der Umsetzung neuer Tätigkeiten auf die Einhaltung von Grenzen achteten, transparent kommunizierten, eine partnerschaftliche Haltung pflegten und flexibel auf Bedürfnisse der Beteiligten eingingen. Durch die Aufnahme von neuen Tätigkeiten konnten die Pflegeexpert_innen ihre Rolle sukzessiv gestalten.

Rolle kontinuierlich weiterentwickeln

Die Befragten schilderten, dass Lernerfahrungen im klinischen Alltag sowie ständige Auseinandersetzungen mit den Pflege- und Betreuungspersonen und den Vorgesetzten zur kontinuierlichen Optimierung ihrer Tätigkeiten und Weiterentwicklung ihrer Rolle führten. Ein Beispiel sind Fallbesprechungen, bei denen Mitarbeitende wiederholt daraus resultierende Abmachungen im Pflegealltag nur teilweise umsetzten. Die Pflegeexpert_innen gestalteten die Fallbesprechungen partizipativer. So erklärte eine Pflegeexpertin: „Ich habe jetzt auch angefangen, bei den Fallbesprechungen am Schluss noch zu sagen: ’Was nehmt ihr mit?’ […], weil einfach viel mehr hängen bleibt, wenn man aktiv dabei ist.“ (PH E, P 7) Andere Befragte benannten Bespiele von internen Schulungen, bei denen der vermittelte Inhalt oft nicht in die Praxis transferiert wurde. Die Pflegeexpert_innen begleiteten die Pflege- und Betreuungspersonen vermehrt mit Coaching in der Praxis, um die Umsetzung des Gelernten nachhaltig zu verankern. Eine Pflegeexpertin für Palliative Care erläuterte: „Was man in Schulungen/Fortbildungen lernt, kann man eigentlich nur umsetzen, wenn man [die Mitarbeitenden] in der Praxis begleitet […]. Aber wenn man nicht ständig dahinter ist, dann geht es wieder verloren“ (PH F, P 13).

Aus diesen Erfahrungen und Beobachtungen konnten die Pflegeexpert_innen lernen, um Tätigkeiten zu optimieren. So beschrieben sie zum Beispiel, wie sie bemerkten, dass von ihnen erstellte Handlungsabläufe nicht umgesetzt wurden. Sie suchten das Gespräch mit den Mitarbeitenden, um die Abläufe auf Praxistauglichkeit zu prüfen und notwendige Anpassungen vorzunehmen. Eine Pflegeexpertin gab an: „Ich bin fast zwei Jahre eigentlich Einzelkämpfer gewesen […] und habe dort relativ schnell gemerkt: Ich brauche alle, die helfen. Also muss ich das ganze QM [Qualitätsmanagement] so ausrichten, dass sich alle beteiligen können“ (PH C, P 2). Durch die Optimierung der Tätigkeiten haben die Pflegeexpert_innen kontinuierlich ihre Expertise weiterentwickelt und wurden zu Coaches, die die Pflege- und Betreuungspersonen förderten und befähigten.

Rolle neu ausrichten

Auf Basis des Förderns und Befähigens der Mitarbeitenden, z.B. zu spezifischen Pflegethemen, konnten die Pflegeexpert_innen ihre Tätigkeiten beenden und den befähigten Mitarbeitenden übertragen. Mit den frei gewordenen Ressourcen konnten sich die Pflegeexpert_innen anderen Tätigkeiten zuwenden und ihre Rolle neu nach dem veränderten Bedarf ausrichten.

Die neuen Tätigkeiten konnten entweder auf bisherigen aufbauen oder neue Themenfelder öffnen. Eine Pflegeexpertin schulte die Pflegefachpersonen im Hinblick auf familienzentrierte Pflege, damit diese Angehörigengespräche in Situationen mit stabilen Bewohnenden übernehmen konnten. Nach gelungener Umsetzung übernahm die Pflegeexpertin darauf aufbauend nicht mehr alle Angehörigengespräche, sondern nur noch solche in palliativen oder anderweitig komplexen Situationen. Für andere eröffneten sich neue Themenfelder mit dem Abschluss von Projekten. So meinte eine Pflegeexpertin: „Medikamentenvisiten, das ist noch ein nächstes Projekt […] zu Polypharmazie […], das man unbedingt angehen möchte“ (PH G, P 1).

Die Pflegeexpert_innen konnten Tätigkeiten dann beenden, wenn die autonome Übernahme durch Pflege- oder Betreuungspersonen gewährleistet war. Eine Befragte erzählte, wie die Nutzung einer Checkliste für die Mitarbeitenden selbstverständlich wurde: „Und das sind natürlich keine Fragen mehr, die Eintrittscheckliste, das ist so klar für die jungen Frauen, dass man so Hilfsmittel hat, dass man sagen kann: ’Schau, soviel habe ich gemacht, mach du weiter’“ (PH H, P 10). Mit der Übernahme der Verantwortung durch Mitarbeitende hatten die Pflegeexpert_innen neue Kapazitäten, um Tätigkeiten zu übernehmen, die sich wiederum an der Vision guter Pflegequalität ausrichteten.

Diskussion

Pflegeexpert_innen orientieren ihre Tätigkeiten kontinuierlich an einer Vision guter Pflegequalität, die sie im dreiphasigen Prozess der Gestaltung ihrer Rolle motiviert. In der ersten Phase „Rolle sukzessive gestalten“ nehmen die Pflegeexpert_innen neue Tätigkeiten auf, die sie in der nächsten Phase „Rolle kontinuierlich entwickeln“ optimieren. In der dritten Phase „Rolle neu ausrichten“ beenden sie die Tätigkeiten und übergeben sie an das Pflegepersonal, damit sie neue Tätigkeiten aufnehmen können.

Unsere Studie zeigt, dass die Vision einer guten Pflegequalität ein wichtiger Motivator der Pflegeexpert_innen für die Rollenentwicklung war. Dabei war eine mit Vorgesetzten geteilte Vision bezüglich der zu erreichenden Pflegequalität die Voraussetzung für die erfolgreiche Umsetzung der Rolle. So berichtet auch eine niederländische Studie, dass der Mangel an einer klaren Vision über die Rolle, Aufgaben und Verantwortungen von NPs ihre Implementierung in der Praxis behinderten (Lovink et al., 2019). Unsere Studie zeigt ergänzend, dass Vorgesetzte und APNs nicht nur eine gemeinsame Sicht zu Rolle und Aufgaben brauchen, sondern auch gemeinsame Werte und Haltungen bezüglich der zu leistenden Pflege zentral sind für eine gelingende Umsetzung der Rolle.

Die Pflegeexpert_innen in unserer Studie hatten unterschiedliche Ausrichtungen ihrer Rolle. Sie definierten ihren Kompetenzbereich zusammen mit ihrem Umfeld und passten ihn laufend dem vorhandenen Bedarf an – sie gestalteten ihre Rolle sukzessive. Eine Anpassung der Rolle an die lokalen Gegebenheiten und die Unterstützung durch die Vorgesetzten ist ein zentraler Punkt im PEPPA Framework („Participatory, Evidence-Based, Patient-Focused Process for Development, Implementation and Evaluation of Advanced Practice Nursing Role“) (Bryant-Lukosius & Dicenso, 2004). In einer Schweizer Expertenbefragung zu Pflegefachpersonen in erweiterten Rollen in Pflegeheimen wurde von den Befragten ebenfalls betont, dass die Rolle jeweils vom lokalen Bedarf, der Konstellation der anwesenden Personen (inkl. Führung, Pflegeexpert_innen, Ärzt_innen) und der strategischen Ausrichtung des Pflegeheims geprägt wird (Basinska et al., 2021b). Rollentwicklung ist damit ein lokal gestalteter Prozess, der Zeit und Reflexion braucht.

Ein Kernthema der kontinuierlichen Entwicklung der Rolle war die Frage, wie Pflegeexpert_innen mit fortschreitender Expertise in der Coachingrolle den Mitarbeitenden weniger Lösungen vorgeben, sondern zu Lösungen hinführen können. Dieses Wachsen in den eigenen Fähigkeiten wird auch von Benner beschrieben, wo sich Expert_innen statt auf Regeln immer mehr auf eigene Erfahrungen beziehen (Benner, 2001). Mitarbeitende zu coachen und zu befähigen, wie von den Interviewten beschrieben, ist auch ein zentraler Aufgabenbereich in Hamric’s Modell für Advance Practice Nursing (Hamric et al., 2014) und wurde in der oben erwähnten Expertenbefragung als zentrale Aufgabe von Pflegeexpert_innen beschrieben (Basinska et al., 2021b). Mit dem Coaching werden Mitarbeitende befähigt, in zukünftigen Bewohnersituationen selber Zusammenhänge zu erkennen und kompetent zu reagieren. Dieses Empowerment unterstützt eine sicherere, ganzheitlichere und qualitativ bessere Pflege (Basinska et al., 2021b; McDonnell et al., 2013).

Mit der Übernahme von Verantwortung durch befähigte Mitarbeitende wird es den Pflegeexpert_innen möglich, ihre Rolle neu auszurichten und auf neue Aspekte der Pflegequalität zu fokussieren. Eine wichtige Voraussetzung ist, dass Pflegeexpert_innen und Pflegeteams respektvoll zusammenarbeiten (Nieminen et al., 2011) und alle Beteiligten Verantwortung für ihr Handeln übernehmen (Kilpatrick et al., 2011). Damit können die Pflegeexpert_innen in einen iterativen Prozess eintreten vom Übernehmen, Bearbeiten und Abgeben von Tätigkeiten zur kontinuierlichen Verbesserung der Pflegequalität.

Limitationen

Die Interviews wurden im Rahmen einer sekundär formulierten Fragestellung durch eine Masterstudierende ausgewertet, welche nicht in die Datenerhebung involviert war. Sie verfügte jedoch über das erforderliche Kontextwissen, da sie selber als Pflegeexpertin im Pflegeheim tätig war. Die Sekundäranalyse liefert erste Erkenntnisse zur Rollenentwicklung in der Praxis. Vertiefende Fragen können darauf aufbauend in weiteren Forschungsprojekten adressiert werden, wie z.B. Unterschiede in der konkreten Entwicklung und Ausgestaltung je nach Ausbildungshintergrund.

Schlussfolgerung und Ausblick

Die Rolle der Pflegeexpert_innen wird in den Pflegeheimen unter Berücksichtigung des organisationalen Bedarfs und der Kompetenzen der Pflegeexpert_innen entwickelt. Die Bildung einer gemeinsamen Vision von Pflegeexpert_innen und Führung für die zu erreichende Pflegequalität ist das Fundament einer gelingenden Umsetzung. Die Studie zeigt die Wichtigkeit, als Führungsinstanz Zeit und Reflexion in die Rollenentwicklung zu investieren, damit sie einen Beitrag zur gewünschten Pflegequalität leistet. Dabei ist Coaching ein zentraler Aspekt, der nur mit dem aktiven Aufsuchen der Abteilungen und Mitgestalten von komplexen Situationen gelebt werden kann. Studien zur Implementierung der Rolle sollten mit der gemeinsamen Visionsentwicklung starten, Strukturen für den Austausch zwischen den Pflegeexpert_innen und der Führung definieren und das aktive Aufsuchen der Abteilungen zu einem Kernelement machen.

Elektronische Supplemente (ESM)

Die elektronischen Supplemente sind mit der Online-Version dieses Artikels verfügbar unter https://doi.org/10.1024/1012-5302/a000889.

  • ESM1. Semistrukturierter Interviewleitfaden.
  • ESM2. Sozialdemografische Daten der Pflegeexpert_innen.

Wir danken allen Studienteilnehmenden für ihre Zeit und Unterstützung. Zudem bedanken wir uns bei Prof. Dr. Dunja Nicca für ihre Fachexpertise und Begleitung als Dozierende sowie bei den Kommiliton_innen für ihre Beiträge im Masterseminar.

Was war die größte Herausforderung bei Ihrer Studie?

Die gehaltvollen Sekundärdaten zu resümieren, ohne bei den Interviewten Rückfragen stellen zu können.

Dass sich die Rolle der Pflegeexpert_innen schweizweit in Pflegeheimen etabliert und anerkannt wird.

Was empfehlen Sie zum Weiterlesen / Vertiefen?

Tracy, M. F. & O’Grady, E. T. (Eds.). (2019). Hamric and Hanson’s Advanced Practice Nursing: An Integrative Approach (6th ed.). Elsevier. Insbesondere Kapitel 4 zur Rollenentwicklung.

Literatur

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