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Open AccessForum – Diskussionsbeitrag

Kann eine mobile Anwendung helfen abzuwaschen?

Teilhabe von Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung durch Digitalisierung – Vorstellung eines technischen Assistenzsystems

Published Online:https://doi.org/10.1024/1016-264X/a000256

Abstract

Zusammenfassung. Vorgestellt wird die mobile Anwendung RehaGoal App für Menschen mit erworbenen und angeborenen Hirnschädigungen, die Schwierigkeiten bei komplexen Planungsaufgaben haben. Für die Entwicklung der RehaGoal App wurde sich am Vorgehen des Goal Management Trainings orientiert, bei dem die Zerlegung eines übergeordneten Ziels in Teilziele und überschaubare Schritte zu deren Erreichung im Vordergrund steht. Bisher wurde dieses Vorgehen papiergestützt eingesetzt, was die Übertragung in den Alltag erschwert. Daher wurde die RehaGoal App, die auf verschiedenen digitalen Endgeräten wie Smartphones, Smartwatches etc. genutzt werden kann, entwickelt. Bei unserer Zielgruppe liegen häufig zusätzliche Einschränkungen vor, daher verfügt die RehaGoal App über eine barrierearme Gestaltung, eine Sprachausgabe, visuelle Darstellungsmöglichkeiten, eine nutzerabhängige Darstellung, eine einfache Menüführung und ein Autorensystem.

Can a mobile application help with washing the dishes? Enabling the participation of people with cognitive impairment through digitization – Presentation of a technical assistance system

Abstract. The mobile application RehaGoal is intended for people with acquired and congenital brain damage having difficulties with complex planning tasks. The RehaGoal App is developed based on the well-known rehabilitation technique Goal Management Training. The central idea is to break down individual goals into subgoals and manageable steps. However, up to now this approach was solely used in paper-based trainings, which complicates the transfer to individual workflows in everyday life. To this end, we developed the RehaGoal App, which can be used on a variety of smart devices such as smartphones, smartwatches, etc. Because our target group often suffers from additional impairments, the RehaGoal App is easily accessible, offers the possibility of voice output, different visual display options, a simple menu navigation, and an authoring system for workflows.

Hintergrund

Digitale Technologien haben fast jeden Aspekt unserer heutigen Welt durchdrungen. In den letzten zehn Jahren haben nationale und transnationale Organisationen Strategien und Aktionspläne entwickelt, um Bürgern und Unternehmen beim gelingenden Einsatz digitaler Technologien zu unterstützen. Digitale Technologien spielen eine Schlüsselrolle bei der Förderung von Inklusion respektive der Verhinderung von Ungleichheit (Fuchs & Bock, 2018), somit sind sie für die Sicherung fairer und prosperierender Gesellschaften ein zentraler Punkt.

Reiche oder Hochqualifizierte haben typischerweise bisher am meisten von digitalen Innovationen profitiert. Digitale Technologien verstärken, wenn auch unabsichtlich, die bestehende sozioökonomische Ungleichheit. Die in den 90er Jahren viel diskutierte „digitale Kluft“ zwischen denjenigen, die Zugang zu digitalen Medien haben, und denen ohne einen solchen Zugang, hat sich inzwischen weitgehend geschlossen. Sehr große Teile der Bevölkerung haben mittlerweile Zugang zu den neuen Medien, dies gilt auch für Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen. Doch nicht alle Personenkreise nutzen sie gleichermaßen gewinnbringend. In der Zwischenzeit ist eine neue Kluft entstanden: die digitale „Partizipationslücke“ (Jenkins, Purushotma, Weigel, Clinton & Robison, 2009).

Unterstützt durch die Möglichkeit zur schnellen Verarbeitung großer Datenmengen und der zunehmenden Verbreitung von technischen Hilfen im täglichen Leben, wird der Einsatz von assistiven Technologien bei Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung immer einfacher. Vor dem Hintergrund der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) und dem Behindertengleichstellungsgesetz, liegt eine konsequente Nutzung des technologischen Fortschritts auf der Hand, um einen gleichberechtigten und umfassenden Zugang zu Informations- und Kommunikationstechnologien für Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung zu gewähren (Bosse, Schluchter & Zorn, 2018).

Der Zugang allein reicht nicht aus, um allen Menschen die Teilhabe an der Gesellschaft zu ermöglichen und die Informationsgesellschaft aktiv mitzugestalten und nicht nur passiv zu konsumieren. Das digitale Beteiligungsgefälle stellt daher eine erhebliche Herausforderung für die Ideale einer sozial inklusiven Gesellschaft dar. Dies trifft insbesondere auf vulnerable Personengruppen zu, wie Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung. Bei diesem Personenkreis reicht es nicht aus, die digitale Infrastruktur und die mobilen Endgeräte bereitzustellen. Hier gilt es erstens zu analysieren, wie der digitale Fortschritt genutzt werden kann, um diesem Personenkreis assistive Technologien zur Erhöhung von Selbstständigkeit und Selbstbestimmung zur Verfügung zu stellen. In einem zweiten Schritt gilt es, zu erproben, wie ein gelingender Einsatz dieser assistiven Technologien aussehen sollte, um die gewünschten Erfolge hinsichtlich Teilhabe und Selbstbestimmung zu erzielen. Ein Themenbereich der hier von besonderen Interesse ist, ist der Einsatz von assistiven Technologien bei der beruflichen Teilhabe (Behrendt, 2018).

Für Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung bieten sich aussichtsreiche Möglichkeiten für die Nutzung innovativer Technologien in Diagnostik und Therapie (Müller & Schiering, 2019). Neben dem Einsatz von Notebooks und Tablets bieten sich Smart Devices wie Smartphones, Smartwatches und Smartglasses zur Unterstützung in der Therapie oder auch als Kompensationsmittel an (Culley & Evans, 2010; Fish, Manly, Emslie, Evans & Wilson, 2008; Gracey et al., 2017; Jamieson, Cullen, McGee-Lennon, Brewster & Evans, 2017). Im folgenden Beitrag ist der Fokus auf den Einsatz mobiler Endgeräte in der medizinischen und beruflichen Rehabilitation von Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung gerichtet. Dieser Personenkreis hat häufig Defizite im Gedächtnis, in der Aufmerksamkeit oder den Exekutivfunktionen (EF).

Der Begriff Exekutivfunktionen bezieht sich auf höhergeordnete mentale Kapazitäten, die von kognitiven Basisfunktionen wie Gedächtnis, Wahrnehmung oder sprachlichen Fähigkeiten und v. a. dem Arbeitsgedächtnis in hohem Maße abhängig sind, aber umgekehrt diese wiederum auch bedingen. EF sind ein Regenschirmbegriff, der die Funktionen verschiedenartiger kognitiver, emotionaler, affektiver und motivationaler Funktionen beschreibt. Sie sind Regulations- und Kontrollmechanismen, die zielorientiertes und situationsangepasstes Verhalten ermöglichen. Weiterhin koordinieren sie die Zwischenschritte unserer Handlungsplanung und zeigen uns Alternativen bei Komplikationen auf. Eine exekutive Komponente, die für die Selbständigkeit im Alltag unerlässlich ist, ist das planerische Denken oder die Handlungsplanung. EF spielen dementsprechend für die selbstständige Lebensführung des Menschen eine zentrale Rolle.

Das Goal Management Training

Die von uns entwickelte mobile Anwendung fokussiert sich auf die Störungen der EF, die eine zentrale Rolle bei der erfolgreichen Bewältigung des Alltags und für die berufliche Teilhabe spielen (Müller, 2013, 2016). Zur Therapie der exekutiven Dysfunktion existieren verschiedene, sehr unterschiedliche Therapieansätze. Ein evidenzbasiertes Therapieverfahren zur Behandlung von Störungen des planerischen Denkens und der Handlungsplanung ist das Goal Management Training (GMT) (Krasny-Pacini, Chevignard & Evans, 2014).

Das GMT basiert auf der Theorie des Goal Neglects (Duncan, 1986), also einer Zielvernachlässigung. Zielgruppe sind Personen, die bei komplexen Planungsaufgaben den roten Faden verlieren, stark ablenkbar sind und zu chaotischem Verhalten neigen. Bei dem GMT wird ein übergeordnetes Ziel so kleinschrittig wie nötig, in Teilziele zerlegt (Levine et al., 2000b, 2007). Es soll ein übergeordnetes Ziel formuliert, dies in Teilzeile zerlegt und diese enkodiert und aufrechterhalten, werden. Abschließend sollten Ziel und erreichte Situation verglichen werden (Abb. 1). Bei Gesunden laufen diese Prozesse in der Regel automatisch und schnell ab. Die Technik des Zielmanagements beinhaltet folgende Schritte:

Abbildung 1 Darstellung des Ablaufs eines Goal Management Prozess (angelehnt an Levine et al., 2000a).
  • Bewusstheit über die relevanten Ziele erlangen
  • Hauptziel festlegen
  • Hauptziel in Teilziele zerlegen
  • Hauptziel und Unterziele in konkrete Handlungen umsetzen
  • Vergleich von erreichtem Ergebnis und Ziel

In einem Kontrollgruppen-Design (Levine et al., 2007) wurden signifikante Effekte trotz einer relativ kurzen Interventionsdauer erzielt. Neuere Studien belegen die Evidenzbasierung des GMT (Bertens, Fasotti, Boelen & Kessels, 2013; Bertens, Kessels, Fiorenzato, Boelen & Fasotti, 2015; Emmanouel, Kontrafouri, Nikolaos, Kessels & Fasotti, 2018; Krasny-Pacini et al., 2014). Dieses Verfahren wurde bisher papiergestützt eingesetzt, was die Übertragung in den Alltag erschwert. Deshalb wurde von uns in Zusammenarbeit mit unseren Kooperationspartnern das GMT mittels einer mobilen Anwendung digitalisiert. Dazu wurde eine mobile Anwendung, die RehaGoal App, die auf Smartphones, Smartwatches etc. genutzt werden kann, entwickelt.

Handlungsabläufe als Workflows in einer mobilen Anwendung

Für eine sinnvolle und erfolgversprechende Nutzung der von uns entwickelten mobilen Anwendung RehaGoal App ist wie folgt vorzugehen: Zunächst identifizieren Betreuer1 oder Therapeut gemeinsam mit dem zukünftigen Nutzer relevante komplexe Planungen, bei denen es immer wieder zu Handlungsabbrüchen, Verlust des roten Fadens und chaotischem Verhalten kommt. Dann wird dieser Handlungsablauf mit seinem übergeordneten Ziel gemäß des Goal Management Training so kleinschrittig wie nötig, in Teilziele zerlegt (Abb. 1) (Ertas, Gabel, Schiering & Müller, 2017). Anschließend werden die Handlungsschritte gemäß des Errorless Learning Ansatzes (Kern et al., 2009) fehlerfrei anhand von Workflows der RehaGoal App umgesetzt. Das Erstellen von Workflows ist einfach und intuitiv und kann von jeder pädagogischen Fachkraft innerhalb kürzester Zeit erlernt werden. Bei ausreichenden Kompetenzen können Arbeitsabläufe auch von den Nutzern selbst erstellt werden. Zum Erstellen der Workflows können einzelne Handlungsanweisungen und Elemente zum Steuern von Handlungen, wie Wiederholungen oder Erinnerungen wie Puzzleteile ineinandergefügt werden (Abb. 3).

Abbildung 3 Die zugrundeliegende Semantik des Workflows „Spülküche“ im Autorensystem der Therapeutenansicht mit Wiederholungsfunktion und eingebundenen Fotos.

Therapeuten oder Betreuer können gemeinsam mit den Nutzern Handlungsabläufe, sogenannte Workflows, zusammenstellen. Diese werden in einer Bibliothek (Abb. 2) gespeichert und können in einer Ablaufplanung für einen Tag zusammengestellt werden. In der Ablaufplanung startet bei Beendigung eines Workflows automatisch der nächste, so dass mehrere Handlungsabläufe hintereinander ausgeführt werden können. Damit besteht die Möglichkeit, dass die RehaGoal App durch längere Abschnitte des Tages führt. Die Bausteine, mit denen die Workflows erstellt werden können, und ihre Funktion sind in Tabelle 1 dargestellt. Neben linearen Handlungsabläufen gibt es die Möglichkeit Teilhandlungen zu wiederholen, die sogenannte „Wiederholungsfunktion“, oder in Abhängigkeit von bestimmten Bedingungen auszuführen, sogenannte „Wenn-dann-sonst-Funktionen“. Darüber hinaus ist es manchmal notwendig einzelne Schritte mehrfach zu erledigen. Zum Beispiel muss so lange Geschirr in die Spülmaschine geräumt werden, bis keines mehr auf der Ablage steht (Abb. 3). Bei manchen Handlungen kann der Nutzer selbst entscheiden, in welcher Reihenfolge bestimmte Handlungsschritte durchgeführt werden. Dazu kann das Element „Mehrere Handlungsschritte in beliebiger Reihenfolge“ genutzt werden. Daneben existieren eine „Wartefunktion“ und eine „Erinnerungsfunktion“(Tab. 1).

Tabelle 1 Erläuterung der Spezialfunktionen der Workflows der RehaGoal Applikation

Mit einzelnen Bausteinen werden die Workflows für die Nutzer der mobilen Anwendung zusammengestellt. Die mobile Anwendung hat zwei Ansichten, eine für den Therapeuten oder Betreuer, in welcher die Erstellung und Modifikation von Workflows innerhalb eines Autorensystems möglich ist (Abb. 3), und eine für den Nutzer die mit der Übersicht der Workflows beginnt und in deren weiteren Verlauf die Workflows ausgeführt werden können. Der Nutzer sieht nur die übersichtliche Nutzeransicht mit den fertigen Workflows (Abb. 2 und 4).

Abbildung 2 Workflowübersicht. Von hier aus können Workflows gestartet, bearbeitet oder mit der Duplizieren Funktion unproblematisch individuell angepasst werden.
Abbildung 4 Darstellung der Teilschritte eines Workflows unter Nutzung von Fotos als zusätzliche Hilfestellung.

Weiterhin bietet die mobile Anwendung in der Patientenansicht die Möglichkeiten den Aufgabenverlauf darzustellen, d. h. neben der aktuell zu erledigenden Aufgabe ist die zuletzt erledigte und die als nächstes zu erledigende Aufgabe sichtbar. Zudem gibt es die Möglichkeit Bilder, Fotos oder Piktogramme einzufügen (Abb. 4). Für Menschen mit nicht vorhandener oder nur unzureichender Schriftsprachkompetenz bietet die mobile Anwendung eine Sprachausgabe. Diese Workflows sind auf mobilen Endgeräten wie Smartphones oder Smartwatches mittels der vorliegenden Applikation ausführbar.

Ziel der RehaGoal App ist es, die Selbständigkeit in Beruf und Alltag zu erhöhen. Dazu kann die RehaGoal App je nach Schweregrad der Beeinträchtigung als Kompensationsmittel genutzt werden oder als Methode des Verhaltensmanagements. Wenn der Nutzer die Handlungsschritte auch dauerhaft nur korrekt mit der RehaGoal App durchführen kann, dann wird die App als Kompensationsmittel eingesetzt. Wird die mobile Applikation jedoch im Sinne einer Intervention des Verhaltensmanagements genutzt, dann findet eine Anpassung der Workflows an die sich verändernde Kompetenz des Nutzers statt. So können die Workflows zunächst sehr kleinschrittig angelegt sein, in einem oder mehreren nächsten Schritten werden die Teilziele dann immer grobkörniger bis zu dem Punkt, an dem das technische Assistenzsystem nicht mehr benötigt wird. In diesem Fall kommt es zu einem sukzessiven Fading Out. Bei einem Einsatz als therapeutische Intervention im Sinne des Verhaltensmanagements ist jedoch eine begleitende Schulung hinsichtlich der Theorie des Goal Management Training notwendig (Levine et al, 2000a; 2000b).

In enger Verzahnung mit unseren Praxispartnern und Nutzern wurde die RehaGoal Applikation entwickelt, mit dem Ziel Grundrechten und Freiheiten (gemäß EU-Grundrechtecharta) von Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung gerecht zu werden. Durch die Nutzung von Smart Devices bestehen generell Datenschutz-Risiken für Nutzer. Deshalb fordert die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) Services datenschutzgerecht zu gestalten. Mittels eines Privacy by Design-Ansatzes werden die Datenschutz-Anforderungen der Menschen in diesem sensiblen Umfeld vertrauensbildend in den gesamten Entwicklungsprozess integriert (Gabel, Schiering, Müller & Ertas, 2018). Dazu gehört insbesondere das Prinzip der Datenminimierung und Transparenz für Nutzer.

Anforderungen an die mobile Anwendung und das genutzte Endgerät

Die technischen Möglichkeiten, mit der RehaGoal App Handlungsabläufe zu erstellen und durchzuführen, die in einem interaktiven und partizipativen Entwicklungsprozess erarbeitet wurden, sind in Tabelle 2 aufgelistet.

Tabelle 2 Die technischen Möglichkeiten der RehaGoal Applikation

Die minimalen Hardwareanforderungen für Smartphones und Tablets, auf denen die RehaGoal App eingesetzt werden soll, sind ein Arbeitsspeicher von 2 GB, als CPU mindestens eine Quadcore CPU, 16 GB interner Speicher und ein Display von 1920 x 1080 Full-HD. Die mobile Anwendung ist lediglich für Android verfügbar. Hinsichtlich der Software wird die neuste Android-Version empfohlen, mindestens jedoch Android 4.4.

Die RehaGoal App kann in Kombination mit einer Android Wear Smartwatch genutzt werden. In dem Fall wird ein Smartphone mit mindestens Android 6.0 und eine Smartwatch mit mindestens Android Wear 2.0 benötigt. Dazu wird die Smartwatch über Bluetooth mit dem Smartphone gekoppelt, kann dann verfügbare Workflows auflisten und ermöglicht es Workflows auszuführen.

Bei unserer Zielgruppe liegen häufig Schwierigkeiten im Schriftsprachverständnis vor, so dass eine zusätzliche akustische und visuelle Präsentation (Abb. 4) notwendig ist. Das verwendete Endgerät sollte dem Anwendungszusammenhang angemessen sein. Bei einer komplexeren Bürotätigkeit kann das ein Tablet oder ein PC sein. Viele Nutzer bevorzugen aber handlichere und unauffälligere Geräte, wie Smartphones oder Smartwatches (Abb. 5). In manchen Situationen, wie z. B. in der Großküche oder beim Einräumen von Waren im Discounter kann selbst ein Smartphone störend sein, so dass die Nutzung einer Smartwatch sinnvoll erscheint. Der Nutzer kann damit auf das in seiner aktuellen Situation passende Endgerät zurückgreifen (Tab. 2). Wird als Endgerät ein Smartphone genutzt, so muss zunächst ein sicherer Platz möglichst am Körper des Nutzers gefunden werden. Als Alternative bietet sich der Einsatz der Smartwatch an, die ohnehin direkt am Körper getragen wird.

Abbildung 5 Nutzung der mobilen Anwendung mit der Smartwatch als Endgerät beim Arbeiten in der Spülküche. Foto: Sebastian Schollmeyer.

Bei der Einführung der mobilen Anwendung ist zu beachten, dass die Benennung der Workflows unter Einbeziehung des Nutzers erfolgen sollte. Dabei sollten möglichst prägnante Namen gewählt werden, so dass dem Nutzer eine eindeutige Zuordnung problemlos gelingen kann.

Die Standardfunktionen des Smartphones, bspw. die des Weckers, können den Teilnehmern unterstützend zu Seite stehen. So kann die Weckerfunktion an anstehende Pausen oder genau terminierte Aufgaben zusätzlich zur Erinnerungsfunktion der RehaGoal App erinnern.

Zielgruppe

Unser Ziel ist es einem vulnerablen Personenkreis, der davon besonders profitieren kann, die gesellschaftliche und berufliche Teilhabe durch technische Innovationen zu ermöglichen. Zielgruppe sind Menschen mit einer erworbenen oder angeborenen Hirnschädigung, die Defizite im planerischen Denken haben. Zu den typischen Krankheitsbildern gehören Menschen mit Zustand nach Schlaganfall, mit Zustand nach Schädelhirntrauma, Menschen mit hypoxischen Hirnschädigungen oder Menschen mit Downsyndrom oder Autismus-Spektrum-Störungen (Memisevic & Sinanovic, 2014; Müller, 2013; Sarimski, 2016).

Unsere Erfahrungen

In den Einrichtungen der Eingliederungshilfe sind wir ebenso wie bei den ambulanten Therapieangeboten für neurologische Patienten auf großes Interesse gestoßen. Besonders groß war das Interesse in allen Einrichtungen, die die berufliche Wiedereingliederung dieser Personen begleiten. Dies gilt in besonderem Maße für Bildungsträger und Beschäftigungsbetriebe in unterschiedlichen Feldern der beruflichen Integration und Rehabilitation, die es sich zum Ziel gesetzt haben, Menschen mit Behinderungen die Teilhabe am Arbeitsleben zu ermöglichen.

Zentral für den gelingenden Einsatz der RehaGoal App ist es, dass im Rahmen der flankierenden GMT-Schulung ein Bewusstsein für den Nutzen des Einsatzes der mobilen Anwendung geschaffen wird. Ebenso wichtig ist es, dass Aufgaben der Arbeitsabläufe identifiziert werden, die für den Betreffenden bedeutsam sind. Als günstig hat es sich erwiesen, die mobile Anwendung bei neu zu erlernenden Arbeitsabläufen einzusetzen, nicht zur Umstrukturierung von bereits erlernten Arbeitsabläufen. Nur hier lässt sich die Methode des Errorless Learning adäquat (Baddeley & Wilson, 1994; Kessels, Boekhorst & Postma, 2005) umsetzen. Wenn auch eine ganz individuelle Erstellung von Arbeitsabläufen möglich ist, so lassen sich durch den Aufwand für die Erstellung der Workflows am besten sich wiederholende Routinetätigkeiten abbilden. Grenzen der Unterstützungsmöglichkeit durch die mobile Anwendung ergeben sich bei sich spontan ändernden Umständen, wie Telefonanrufen oder wenn Nutzer auf fragende Kunden reagieren müssen. Solche individuellen Reaktionen im Kontext können nicht durch Workflows abgebildet werden.

Die meisten der potenziellen Nutzer fanden es attraktiv mit Smartphone und / oder Smartwatch zu arbeiten. Einige wenige mögliche Nutzer lehnten die RehaGoal App samt Endgeräten mit der Befürchtung der Stigmatisierung ab. Die Therapeuten und Betreuer konnten sich schnell in die Erstellung von Workflows einarbeiten. Zuerst haben sie dabei weitgehend vorhandene Workflows dupliziert und angepasst und konnten dadurch schnell ihre Kompetenzen ausbauen. In Teams können einmal erstellte Workflows von mehreren genutzt werden.

Aktuell wird die RehaGoal App in mehreren Studien von der Zielgruppe getestet. Im Anschluss an die Studien ist es geplant, die App in eine Plattform für Therapeuten einzubinden.

Fazit

Die mobile Anwendung RehaGoal App stieß bei den Menschen mit angeborenen und erworbenen Hirnschädigungen sowie deren Therapeuten und Betreuern auf reges Interesse. Besonders ausgeprägt war das Interesse am Einsatz im beruflichen Kontext. Zentral bei der Einführung ist die genaue Analyse, welche Aufgaben dabei als sinnhaft erlebt werden und wie diese in der mobilen Anwendung passgenau umgesetzt werden können. Für einen gelingenden und regelmäßigen Einsatz ist zu Beginn eine kompetente Begleitung notwendig, die im Verlauf sukzessive ausgeschlichen werden kann. Wichtig ist es ebenfalls den Betreuungspersonen eine kompetente Einführung in die Erstellung von Workflows und die Handhabung der Endgeräte zu geben, damit sie eigenständig Anpassungen vornehmen können.

Literatur

1 Im Sinne einer einheitlichen und lesbaren Sprachregelung wird auf die parallele Verwendung von maskulinen und femininen Genusbezeichnungen vom Nominia verzichtet. Selbstverständlich sind Frauen und Männer immer gleichberechtigt gemeint.

Prof. Dr. rer. nat. habil. Sandra Verena Müller, Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften, Fakultät für Soziale Arbeit, Salzdahlumer Straße 46–48, 38302 Wolfenbüttel, Deutschland, E-Mail