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Free AccessEditorial

Kurzzeitige Behandlung von Patient_innen mit Anorexia nervosa mit rekombinant hergestelltem Human-Leptin (Metreleptin): Rasch einsetzende positive Effekte auf Stimmung, Kognition und Verhalten

Short-Term Treatment of Patients with Anorexia Nervosa with Human Recombinant Leptin (Metreleptin): Rapid Positive Effects on Mood, Cognition and Behaviour

Published Online:https://doi.org/10.1024/1422-4917/a000775

Bei der Anorexia nervosa (AN) handelt es sich um eine Essstörung, bei der primäre und sekundäre Symptome untrennbar verwoben sind (Hebebrand & Bulik, 2011; Hebebrand, Casper, Treasure & Schweiger, 2004). Unter primären Symptomen sind solche zu verstehen, die zur Entwicklung der Essstörung beitragen. Sekundäre Symptome entstehen durch die Folgen der Starvation. Unter primären Symptomen wären beispielsweise der Wunsch nach Gewichtsabnahme ebenso wie Zwanghaftigkeit zu nennen, die eine deutliche Gewichtsabnahme überhaupt erst ermöglichen. Aber auch prädisponierende Temperament- und Persönlichkeitsfaktoren würden hierzu zählen. Rigidität, übermäßige gedankliche Beschäftigung mit Essen, Depression, sozialer Rückzug, Mangel an Spontanität und Kreativität, Libidoverlust und Konzentrationsprobleme sind wesentliche psychische Merkmale von starvierten Personen (Hebebrand et al., 2019; Keys, Brožek, Henschel, Mickelsen & Taylor, 1950). Sowohl die somatischen als auch die psychischen Folgen des Hungerns sind am ausführlichsten in dem Minnesota Starvation Experiment untersucht worden, welches unter der Leitung von Ancel Keys 1950 in Form zweier Buchbände veröffentlicht wurde (Keys et al., 1950). Insbesondere die molekulargenetische Forschung zeigt, dass die genetische Prädisposition zur Anorexia nervosa überlappt mit denen zu internalisierenden psychischen Störungen, Untergewicht, und metabolischen Phänotypen wie Glucose- und Lipidstoffwechsel (Hinney et al., 2017; Watson et al., 2019). Der Begriff einer metabo-psychiatrischen Störung (Watson et al., 2019) soll diese Zusammenhänge verdeutlichen.

1994 klonierte die Arbeitsgruppe um Friedman das Leptin-Gen (Zhang et al., 1994); die Entdeckung des Hormons Leptin ermöglichte einen fundierten Einblick in die Regulation des Körpergewichts. Das primär in Fettzellen synthetisierte Hormon wird in die Blutbahn ausgeschüttet und gelangt an Leptinrezeptoren im Organismus, einschließlich des Gehirns. Der Serumleptinspiegel korreliert mit der Fettmasse; übergewichtige Personen haben höhere Spiegel als untergewichtige. Die Bindung an Rezeptoren im Hypothalamus führt über nachgeschaltete Neurone zu einer Einschränkung der Nahrungsaufnahme und einer Erhöhung des Energieverbrauchs (Friedman, 2019). Anfängliche Hoffnungen, dass Leptin zur Behandlung einer Adipositas eingesetzt werden könnte, erfüllten sich nicht (Hebebrand et al., 2019; Friedman, 2019). Menschen mit Adipositas haben aufgrund einer hohen Fettmasse hohe Serumleptinspiegel. Es kommt zu einer Leptinresistenz (Friedman, 2019), sodass die exogene Gabe von Leptin nicht seine anorexigene Wirkung entfalten kann. Nach Friedman (2019) deuten Serumleptinspiegel von < 5 ng/ml bei Männern bzw. < 15 ng/ml bei Frauen auf eine Ansprechbarkeit des leptinergen Systems hin; bei höheren Werten steigt die Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer Leptinresistenz.

Rasch kristallisierte sich heraus, dass eine wesentliche Funktion des Leptins darin besteht, die Adaptation des Organismus an eine Starvation zu ermöglichen (Ahima, Saper, Flier & Elmquist, 2000). Durch den mit Hunger und Gewichts- bzw. Fettmassenverlust einhergehenden Abfall des Leptinspiegels im Blut werden bestimmte Schwellenwerte unterschritten, die in verschiedenen Organ- systemen Anpassungsvorgänge einleiten. Basierend auf Untersuchungen an Patientinnen mit AN und gesunden untergewichtigen Personen kann für Frauen der Bereich von 2 bis 4 ng/ml als kritisch angesehen werden (Föcker et al., 2011; Hebebrand et al., 1997; Köpp et al., 1997). Unter 2 ng/ml fanden sich ausschließlich AN-Patientinnen, über 4 ng/ml ausschließlich gesunde, nicht essgestörte Untergewichtige. Im Gehirn stellen die Hypothalamus-Hypophysen-Endorganachsen (Schilddrüse, Gonaden, Nebennierenrinde) ein wesentliches funktionelles System dar, über das die Anpassung an einen Hungerzustand erfolgt. Klinisch ist die Amenorrhö als Ausdruck der „Abschaltung“ der Hypothalamus-Hypophysen-Gonaden-Achse hervorzuheben. Bei untergewichtigen Studentinnen mit Leptinspiegeln um 2 ng/ml fand sich in der Vorgeschichte gehäuft eine Amenorrhö (Köpp et al., 1997), sodass dieser entsprechende Schwellenwert für die „Abschaltung“ der Reproduktionsachse relevant ist. Dementsprechend kann die Reproduktionsachse bei Frauen mit einer hypothalamischen Amenorrhö durch Behandlung mit rekombinant hergestelltem Leptin normalisiert werden (Welt et al., 2004). Klinische Daten weisen auch bei jungen untergewichtigen Männern auf eine wichtige Rolle von Leptin bei der Regulation der Hypothalamus-Hypophysen-Gonaden-Achse und der Fruchtbarkeit hin (Wabitsch et al., 2001). Zu beachten ist aber, dass Leptinrezeptoren nicht nur im Hypothalamus, sondern in zahlreichen Gehirnarealen zu finden sind. Leptin kommen neurotrophe Funktionen zu; so wird unter anderem die Neuroplastizität beeinflusst (Ge, Fan, Yang, Cui & Li, 2018). Dementsprechend mehren sich die Hinweise auf Effekte des Leptins auf Stimmung (Licinio, Negrao & Wong, 2014), Kognition und körperliche Aktivität. Mutmaßlich sind derartige Effekte am stärksten ausgeprägt bei Personen mit erniedrigten (z. B. Patientinnen mit AN) oder im unteren Normalbereich liegenden Leptinspiegeln.

Am Beispiel der Hyperaktivität soll die Schwierigkeit aufgezeigt werden, die Trennung zwischen primären und sekundären Symptomen der AN eindeutig zu beschreiben. Auch lässt sich bei diesem, für Patientinnen mit AN häufigen Verhalten, der mutmaßliche Zusammenhang zum Leptinspiegel aufzeigen. 95 % aller Patientinnen geben retrospektiv eine motorische und/oder mentale Unruhe im Rahmen der Gewichtsabnahme bei Erreichen des niedrigsten Gewichts an (Casper, Voderholzer, Naab & Schlegl, 2020). Insbesondere solche Patientinnen, die sich prämorbid bereits viel bewegt haben (z. B. Sportlerinnen), weisen ein erhöhtes Risiko auf, eine Hyperaktivität zu entwickeln (Davies, von Döbeln, Fohlin, Freyschuss & Thorén, 1978). In der Minnesota-Studie hingegen wurde festgehalten, dass sich die teilnehmenden Männer im Rahmen der Starvation deutlich weniger bewegten. Allerdings beschrieben 41 % eine innere Unruhe (nach Casper et al., 2020). Eine eigene Untersuchung an schlanken Kindern in ländlichen Regionen Tansanias zeigte, dass der Leptinspiegel invers korreliert mit körperlicher Bewegung. Alle 223 untersuchten Kinder hatten ein, im Vergleich zu europäischen Kindern, sehr hohes Bewegungsniveau (Ludwig et al., in Vorbereitung, eingereicht).

Auch Tiermodelle stützen die Annahme, dass die Hyperaktivität zum Teil als Folge der Starvation angesehen werden könnte, die einen niedrigen Leptinspiegel zur Folge hat. Ratten, deren Nahrungszufuhr reduziert wird, steigern ihre Laufradaktivität um 300 bis 400 %; die Verabreichung von Leptin kann sowohl die Entstehung dieser Hyperaktivität verhindern als auch zur Behandlung derselben dienen (Exner et al., 2000). Bei Patientinnen mit AN zeigte sich ebenfalls ein Zusammenhang zwischen Leptinspiegel und Hyperaktivität, der durch ein umgekehrtes U beschrieben werden kann. Bei extrem niedrigen Leptinspiegeln und schwer reduziertem Allgemeinzustand fand sich keine Hyperaktivität, bei etwas höheren Spiegeln war die Hyperaktivität ausgeprägt, um bei noch höheren wieder abzufallen (Holtkamp et al., 2006). Es ist unklar, inwieweit die Hyperaktivität (mit)getriggert wird durch Ängste, Zwänge bzw. innere Unruhe (Holtkamp et al., 2006). Charakteristisch für Patientinnen ist das gleichzeitige Bestehen von Müdigkeit, bis hin zu Erschöpfung, und Hyperaktivität (Casper et al., 2020).

Rekombinantes humanes Leptin (Metreleptin; Myalepta®) ist 2014 von der Food and Drug Agency und 2018 von der European Medical Agency für die Behandlung der sehr seltenen Lipodystrophie zugelassen worden. Für Lipodystrophie hat der Gemeinsame Bundesausschuss (https://www.g-ba.de/bewertungsverfahren/nutzenbewertung/391/) die Übernahme der dauerhaften Metreleptinbehandlungskosten durch die Krankenkassen geprüft und befürwortet. Metreleptin ist gegenwärtig eines der teuersten Medikamente der Welt; die dauerhafte Behandlung der Lipodystrophie kostet mehr als 500 000 Euro pro Jahr. Bei Menschen mit einer Lipodystrophie (es gibt angeborene und erworbene Formen) besteht ein Mangel an subkutanem Fettgewebe oder eine Fehlverteilung desselben sowie daraus resultierende Stoffwechselveränderungen einschließlich eines niedrigen Leptinspiegels. Durch die Metreleptinbehandlung gelingt es, die metabolische Situation der Betroffenen deutlich zu verbessern, unter anderem kommt es zu einem Rückgang des Typ 2 Diabetes mellitus. Personen mit dieser Störung weisen gehäuft Angststörungen und Depression auf (Calabrò et al., 2020).

Basierend auf der Hypothese, dass die exogene Gabe von Leptin sekundäre Symptome bei Patientinnen mit AN lindern könnte, wurden erstmalig drei Patientinnen mit dieser Essstörung off-label und in Übereinstimmung mit der letzten Version der Deklaration von Helsinki behandelt (Milos et al., 2020). Bei einem weiteren männlichen Patienten konnten die erzielten Ergebnisse eindrucksvoll bestätigt und ausgebaut werden (Antel et al., in Vorbereitung). Die Patient_innen erhielten subkutan für 7 bis 24 Tage Metreleptin. Es zeigten sich sehr deutliche Veränderungen: Innerhalb von 2 bis 5 Tagen hatte sich die Stimmung erheblich gebessert im Selbst- wie auch Expertenurteil. Die Verbesserung im Selbst-Rating stellt eine Besonderheit dar, da sie in Depressionsstudien bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen deutlich geringer ausfällt als im Expertenurteil (Meister et al, 2020). Die mit Metreleptin behandelten Patient_innen mit AN berichteten zudem über Verbesserungen ihrer Konzentrations- und Merkfähigkeit; innere Anspannung, Rigidität, Zwanghaftigkeit und Bewegungsdrang waren rückläufig. Auffällig war auch die Verbesserung der sozialen Kontaktaufnahme. Bei dem männlichen Patienten kam ein sexuelles Interesse wieder auf; parallel hierzu ließ sich ein Anstieg des Testosteronspiegels vom subphysiologischen in den normalen Bereich aufzeigen (Antel et al., in Vorbereitung). Ein Teil der psychischen (siehe sekundäre Symptome) und körperlichen Symptome einer AN beruhen demnach offenbar auf den zentralen Auswirkungen des Hormonmangelzustands (Milos et al., 2020).

Die mentalen Veränderungen wiesen überraschend große Effektstärken auf. Interessanterweise gaben alle Patient_innen einen Rückgang der Angst vor Gewichtszunahme an. Die Angst, zu dick zu sein, fiel hingegen nicht bei allen Patient_innen ab. Subjektiv empfanden die Patient_innen ein Abrücken von ihrer Essstörung („Urlaub von der Anorexie“), sie fühlten sich nicht mehr so sehr von ihr beherrscht und konnten beispielsweise mit Angehörigen seit Längerem erstmalig über Themen sprechen, die nicht mit der Essstörung zusammenhingen. Insofern ist die oben aufgezeigte Einteilung in primäre und sekundäre Symptome der AN ein Stück weit zu hinterfragen.

Unerwartete, als negativ einzustufende Ereignisse der Metreleptingabe wurden nicht beobachtet; aufgrund der sehr raschen und ausgeprägten Stimmungsverbesserung entstand jedoch passager der Eindruck der Entstehung einer euphorischen Stimmung. Eine Patientin schildert in einem Video in englischer Sprache, wie sie diese Stimmungsverbesserung (ebenso wie die Behandlung insgesamt) erlebte (Milos et al., 2020). Auch beschrieb diese Patientin die deutliche Reduktion der pathologischen Einengung ihrer Gedanken. Die Patient_innen konnten deutlich besser und länger schlafen. Zwei Patient_innen beschrieben eine Steigerung ihres Appetits, was insbesondere von einer Patientin mit einer prämorbid bestehenden Adipositas zu einer im Verlauf ambivalenteren Einstellung gegenüber der Medikation führte.

Erwartungseffekte können bei Fallserien keinesfalls ausgeschlossen werden; es sind aber eine Anzahl von Gründen zu nennen, weshalb diese wahrscheinlich nicht als Ursache für die signifikante Besserung zu werten sind (Milos et al., 2020). Insbesondere ist darauf hinzuweisen, dass sich bei bisherigen Pharmastudien zur AN Placeboeffekte sehr in Grenzen hielten. Dies kontrastiert beispielsweise mit den durchaus vorhandenen Placeboeffekten bei Pharmastudien zur Depression (Meister et al., 2020).

Im Zusammenhang mit der Thematik „Erwartungshaltung“ kann man sich auch fragen, ob die Patient_innen (sowie Eltern bei Minderjährigen) den therapeutischen Ansatz (Hebebrand, Antel & Herpertz-Dahlmann, 2020) verstehen und positiv aufnehmen. Hier konnte einer der Autoren (JH) in den Aufklärungsgesprächen feststellen, dass beim Aufzeigen des starvationsbedingten Hormonmangels, einschließlich der entsprechenden Folgen auf die Psyche, diese rationale Begründung zur Substitution mit Metreleptin leicht verstanden wurde.

Eine Aussage zur Gewichtsentwicklung unter bzw. nach einer Metreleptinbehandlung ist derzeit nicht möglich. Die bislang behandelten Patient_innen waren jeweils schwer erkrankt; die Schwere der Essstörung stellte schließlich für uns als behandelnde Ärztin und behandelnder Arzt (GM, JH) eine Indikation für die Off-label-Behandlung dar. Klinisch hatten wir im Nachhinein den Eindruck, dass solche Patient_innen besonders profitieren könnten, die motiviert sind, ihre Essstörung zu überwinden. Möglicherweise würden insbesondere leichter erkrankte Patient_innen mit ausgeprägter Depression und Bewegungsdrang, aber auch mit Krankheitseinsicht/Heilungswunsch profitieren; auch könnte eine rasch einsetzende Behandlung möglicherweise das ungünstige „Hineinschrauben“ in die Anorexie verhindern. Möglicherweise bedingt eine Starvation bei prädisponierten Menschen ein „suchtartiges“ Festhalten an dem entsprechenden metabolisch-psychischen Zustand (Hebebrand et al., 2019). Die Metreleptinbehandlung könnte als starker Motivator wirken bzw. das „organische/hormonelle“ Substrat der „Magersucht“ minimieren.

Retrospektiv gibt eine erwachsene Patientin, die mittlerweile wieder im Arbeitsleben Fuß gefasst hat, die damalige Behandlung als wesentlich für ihre Gesundung an, da sie verstanden habe, wie gut es ihr mit einem „normalisierten“ Gewicht (BMI 19 kg/m2) gehen würde. Bei dem männlichen Patienten gelang es unter der Metreleptinbehandlung, eine wahnhaft anmutende Körperschemastörung aufzudecken, die vorher nicht so offensichtlich war. Als Kind sei er aufgrund seines Bauchumfangs gehänselt worden – die Hänseleien schien er wortwörtlich zu erinnern. Das Gefühl, einen zu dicken Bauch zu haben, imponierte bei Metreleptin bedingter starker Reduktion der sonstigen psychischen Auffälligkeiten als einer wahnhaft körperdysmorphophoben Störung ähnliche Symptomatik. Die entsprechende Wahrnehmung des Patienten ließ sich nicht beeinflussen: Andere Personen würden letztlich nicht die Wahrheit aussprechen, wenn sie ihm rückmeldeten, dass sein Bauchumfang deutlich geringer sei als bei anderen Jungen. Dieses Gefühl hinderte ihn letztlich stärker zu zunehmen. Es ist nicht auszuschließen, dass die starke psychische Besserung im Einzelfall dazu führen könnte, dass sich eine Patientin oder ein Patient ein „Leben mit Metreleptin“, aber ohne Gewichtszunahme wünscht. Selbstverständlich muss deshalb stets darauf hingewiesen werden, dass eine kurz- bis mittelfristige Behandlung mit Metreleptin lediglich als Brücke für den Zeitraum bis zum Erreichen eines normalen Gewichts – dem Endpunkt einer AN-Behandlung – zu verstehen ist. Zeiträume von bis zu maximal 4 Wochen erscheinen aus heutiger Sicht völlig ausreichend, um eine Patientin oder einen Patienten erkennen zu lassen, wie sich eine Gewichtsnormalisierung auf ihre/seine Psyche auswirken würde.

Ohne Zweifel sind doppelt verblindete randomisiert kontrollierte Studien dringend erforderlich, um die beobachteten Effekte zu verifizieren und auszubauen. Es gilt insbesondere zu prüfen, inwieweit die verbesserte psychische Situation der Patient_innen auch das Erreichen des Zielgewichts erleichtert. Hierzu bedarf es einer engen und gezielten psychotherapeutischen Unterstützung. Bis es zu einer Zulassung einer potenziellen Indikationserweiterung von Metreleptin und in der Folge einer eventuellen Kostenübernahme durch die Krankenkassen für Metreleptin als Medikament für die begleitende Behandlung der AN kommt, ist es noch ein längerer Weg. Es gilt auch unbedingt weitere „Safety-Daten“ zu erheben. Derzeit unterliegt Metreleptin noch einer zusätzlichen Überwachung durch die Zulassungsbehörden, da es zu Nebenwirkungen bei Langzeit-Behandlungen kam, wobei allerdings ein kausaler Zusammenhang nicht unbedingt klar ist. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte fordert daher eine zusätzliche Information der behandelnden Ärztin bzw. des behandelnden Arztes, die über den üblichen „Beipackzettel“ hinausgeht. (https://www.bfarm.de/SharedDocs/Down​loads/DE/Arzneimittel/Pharmakovigilanz/Risikoinforma​tionen/EducationMaterial/Anlagen/metreleptin-myalep​ta-aerzte1.pdf?__blob=publicationFile​&v=3).

An bekannten Nebenwirkungen sind zu nennen: anaphylaktische Reaktionen unmittelbar nach der Anwendung (Häufigkeit nicht bekannt); akute Pankreatitis im Zusammenhang mit dem Absetzen von Myalepta®; Hypoglykämie bei gleichzeitiger Anwendung von Insulin und anderen Antidiabetika; sehr wenige Fälle von T-Zell-Lymphomen in klinischen Studien unter Anwendung von Metreleptin (ein kausaler Zusammenhang ist nicht bekannt); Fehlgeburten, Totgeburten und Frühgeburten bei Frauen, die während der Schwangerschaft gegenüber Metreleptin exponiert waren (https://www.bfarm.de/SharedDocs/Downloads/DE/Arzneimittel/Pharmakovigilanz/Risiko​informationen/EducationMaterial/Anlagen/metrelept​in-myalepta-aerzte1.pdf?__blob=publicationFile&v=3). Bei der Bewertung dieser Nebenwirkung ist Vorsicht geboten, da diese Beobachtungen alle bei Patient_innen mit Lipodystrophie, einer schwerwiegenden Stoffwechselerkrankung, erhoben wurden.

Darüber hinaus ist bei einem Kind mit Lipodystrophie und komorbid bestehender entzündlicher Darmerkrankung beschrieben, dass sich Letztere unter der Metreleptinbehandlung stark verschlechterte (Ziegler et al., 2019). Nach mehrwöchiger Behandlungsdauer kann es zu Gewichtsabnahmen kommen (Hebebrand et al., 2019) Bei Menschen mit einer Leptindefizienz kann es im Rahmen der Metreleptinbehandlung zu einer Antikörperbildung gegen Metreleptin kommen, die durch ein passageres Aussetzen der Medikation überwunden werden kann (Hebebrand et al., 2019).

Beruhigend ist, dass bei der Behandlung der Lipodystrophie und im Rahmen klinischer Studien in den ersten Behandlungswochen keine klinisch relevanten Nebenwirkungen berichtet wurden.

Über die Behandlung der Anorexie hinaus sind die Fallberichte möglicherweise auch für andere Essstörungen (Bulimia nervosa, Vermeindend restriktive Nahrungsaufnahmestörung) relevant.

Literatur

Prof. Johannes Hebebrand, Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters, Forschungsabteilung Molekulargenetik, LVR-Klinikum Essen, Virchowstr. 174, 45147 Essen, Deutschland, E-Mail