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Weiterbildung in Hausarztmedizin: Praxisassistenz und Curriculaweiterbildung (Rotationsstellen) in der Schweiz

Published Online:https://doi.org/10.1024/1661-8157/a003194

2014 hat die Stiftung WHM FMF (Stiftung zur Förderung der Weiterbildung in Hausarztmedizin) erstmals eine Übersicht über das Angebot der kantonalen Programme, die die Weiterbildung in Hausarztmedizin fördern, zusammengestellt und publiziert. Die vorliegende Zusammenstellung gibt eine Übersicht über die aktuelle Situation (2018) in der Schweiz. Die minimalen Sollstellen der jeweiligen kantonalen Praxisassistenzstellen wurden den Zahlen der Wohnbevölkerung von 2015 angepasst.

Die kantonalen Praxisassistenzprogramme

Die Praxisassistenz bildet das Rückgrat der hausärztlichen Weiterbildung. Sie vermittelt jungen Kolleginnen und Kollegen hausärztliches Wissen und Können und führt optimal in eine spätere hausärztliche Tätigkeit ein. Die Praxisassistenz wurde durch die Implementierung in das Weiterbildungsprogramm der Allgemeinen Inneren Medizin mit 2 × 6 Monaten als ambulante Allgemeine Innere Medizin in die Basisweiterbildung deutlich aufgewertet.

Die meisten Kantone haben seit 2006 eigene Praxisassistenzprogramme entwickelt und gefördert. Dies in der Annahme, dass eine attraktive hausärztliche Weiterbildung die Berufswahl zum Hausarzt und zur Hausärztin fördern und den Mangel an Grundversorger/innen lindern soll.

Angebot

2018 bieten 25 Kantone eine Praxisassistenz an.

Der Kanton Tessin entwickelt aktuell ebenfalls ein Praxisassistenzprogramm.

Von den Kantonen wird das Angebot an Praxisassistenzstellen überwiegend als ausgeglichen dargestellt. Der Kanton Bern wird 2019 zusätzlich 14 neue Stellen (6 Monate à 100 %) in der Praxisassistenz anbieten. Im Vergleich zu 2014 haben zehn Kantone ihr Angebot der Praxisassistenz erhöht (BE, BL, BS, FR, JU, LU, SG, TG, VD, ZG), der Kanton AI bietet ebenfalls neu eine Praxisassistenz an. Zwei Kantone (NE, AG) haben ihre Praxisassistenzstellen reduziert. Bis 2020 werden alle Kantone mit Ausnahme des Kantons Genf das minimale Soll an Praxisassistenzstellen bezüglich der mittleren Wohnbevölkerung (Stand 2015) erreicht haben. Genf bietet vier Praxisassistenzen bei einem minimalen Sollbestand von 10–11 Weiterbildungsstellen an.

Finanzierung

Die Finanzierung der kantonalen Praxisassistenzen ist unterschiedlich. Vier Kantone haben den Lohnbeitrag der Lehrpraxis um 10–15 % erhöht (BL, FR, LU, BE); der Kanton Bern verlangt neu von der Lehrarztpraxis einen Lohnbeitrag von Fr. 4500.– (bisher Fr. 2000.–), wobei ab 2019 ein spezieller Fonds in Härtefällen einen zusätzlichen Teil der Lohnkosten übernimmt (Fr. 1200.–). Der Kanton Zürich hat die Beiträge der Lehrärzte an die Lohnkosten gesenkt. 17 Kantone entlöhnen die Assistenzärzte gemäss der absolvierten Weiterbildungszeit, zwei Kantone kennen einen Fixlohn (GR, SZ). Vier Kantone begrenzen den Assistenzarztlohn auf der Höhe des 3. (SH), 4. (BL), 6. (NE) bzw. 9. Weiterbildungsjahres (VD). Luzern kennt zwei verschiedene Lohnsysteme innerhalb seines Praxisassistenzprogramms.

Tabelle 1 Praxisassistenz-Programme: Übersicht

Bedingungen Assistenzärzte

Lediglich drei Kantone (BE, GL, GR) verlangen keine vorgängige Weiterbildungsperiode für die Praxisassistenz. BS setzt ein Jahr Weiterbildung voraus; alle anderen fordern zwei bis drei Jahre absolvierte Weiterbildung. Der Kanton Wallis verlangt nach wie vor eine Niederlassungspflicht, jedoch neu für zwei Jahre statt deren drei.

Tabelle 2 Praxisassistenz-Programme: Finanzierung

Bedingungen Lehrpraxis

Freiburg und Genf bevorzugen Gruppenpraxen und medizinische Zentren als Lehrpraxen. Zürich macht eine mögliche Zuteilung einer Praxisassistenz von der Zusammenarbeit der Lehrpraxis in Lehre und Forschung mit dem IHAMZ abhängig. Der Kanton Thurgau setzt eine Mitgliedschaft des Lehrarztes in einer definierten Organisation und die Teilnahme am allgemeinen Notfalldienst voraus.

Tabelle 3 Praxisassistenz-Programme: Bedingungen Assistenzärzte

Koordinationsstelle

Die Koordination der Praxisassistenzprogramme wird in der Regel von Hausarztinstituten, Spitälern, Hausärztevereinen oder speziellen Kommissionen wahrgenommen. In den Kantonen BL, BS und SZ ist das Kantonsarztamt für die Koordination zuständig. Acht Kantone haben die Aufgaben der Koordinationsstellen in einem Pflichtenheft festgelegt.

Tabelle 4 Praxisassistenz-Programme: Bedingungen Lehrpraktiker

Administration und Evaluation

Die meisten Kantone administrieren ihre Praxisassistenz jeweils über ihre kantonalen Spitäler, gelegentlich in Zusammenarbeit mit der Koordinationsstelle (KS) oder den Hausarztinstituten (23 Kantone). Im Kanton BL sind die Lehrpraktiker selbst für die Administration verantwortlich; im Kanton Bern erledigt die Stiftung WHM die Administration.

Die Evaluation der Programme wird sehr unterschiedlich wahrgenommen: 19 Kantone evaluieren ihr Praxisassistenzprogramm, wobei die Stiftung WHM die Evaluation für fünf Kantone (AG, BE, SH, SG, ZG) erledigt. Das Institut für Medizinische Lehre (IML) in Bern macht jeweils eine 2-Jahres-Auswertung der von der Stiftung WHM evaluierten eigenen und kantonalen Praxisassistenzen. Die anderen 14 Kantone evaluieren selbst (eigene Befragung, Evaluation über das Hausarztinstitut, mittels einer Kommission oder via Koordinationsstelle). Fünf Kantone kennen keine Evaluation.

Tabelle 5 Praxisassistenz-Programme: Koordinationsstellen (operativ)

Curriculumweiterbildung (Rotationsstellen in den «kleinen Fächern»)

Assistenzärzte & Kliniken

Die curriculare Weiterbildung in den kleinen Fächern hat zum Ziel, die hausärztliche Breitenkompetenz durch ein spezifisches Weiterbildungsangebot zu erhalten, auszubauen und zu stärken. Die angehenden Hausärztinnen und Hausärzte sollen sich jene Kompetenzen und Fähigkeiten aus den gewählten Fachgebieten aneignen, die sie in ihrer hausärztlichen Tätigkeit kompetent und eigenverantwortlich einsetzen können.

Zwölf Kantone bieten in irgendeiner Form eine Weiterbildung in den «kleinen Fächern» an. Zehn Kantone weisen ein strukturiertes Angebot auf, zwei Kantone (GL, UR) sind eine Kooperation mit einem andern Kanton eingegangen. Im Kanton Freiburg wird aktuell eine Curriculumweiterbildung entwickelt.

Drei Kantone stellen einzelne Rotationsstellen je nach Bedarf zur Verfügung (BE, GE, VS), wobei der Kanton Bern einen bedeutenden Ausbau seines Angebots an Rotationsstellen für 2020 in Aussicht stellt. Acht Kantone lassen eine Auswahl der Fachgebiete zu, in zwei Kantonen sind die Fachgebiete vorgegeben (ZG, ZH).

Drei Kantone knüpfen an eine Curriculumweiterbildung definierte Bedingungen (Niederlassungspflicht im Kanton) und fordern gegebenenfalls eine Rückerstattung (SG, VS, ZH). Der Kanton Luzern verlangt eine Absichtserklärung für die Niederlassung im Kanton. Die Evaluation der Curriculum-Programme wird sehr unterschiedlich gehandhabt und einheitliche Evaluationskriterien fehlen. Vielfach wird an den jeweiligen Rotationsstellen die Evaluation mittels FMH-Fragebogen durchgeführt.

Tabelle 6 Praxisassistenz-Programme: Administration und Evaluation

Diskussion

Praxisassistenz

Die kantonalen Programme stellen 2018 insgesamt etwa 240 Praxisassistenzstellen zu sechs Monate à 100 % zur Verfügung. 2019 dürften sie 250–260 betragen und so in den meisten Kantonen der Nachfrage entsprechen. Eine Ausnahme macht der Kanton Genf, bei dem vier Stellen gegenüber berechneten 10–11 Sollstellen angeboten werden. Der Kanton Tessin bemüht sich seit längerer Zeit, ein kantonales Angebot für die Praxisassistenz zu entwickeln.

Tabelle 7 Rotationsstellen (Curricula): Übersicht

Eine bessere Abstimmung und Flexibilität zwischen den verschiedenen kantonalen Angeboten würde die Nutzung der Programme optimieren. Die Praxisassistenz ist als hausärztliche Weiterbildung anerkannt, implementiert und hat ihre Pionierphase endgültig hinter sich gelassen. Die Praxisassistenz ist aber nicht nur für angehende Hausärztinnen und Hausärzte die essenzielle Weiterbildung in Hausarztmedizin, sondern stellt ebenso für alle angehenden «Hospitalisten» einen idealen Weiterbildungsgang in ambulanter Allgemeiner Innerer Medizin dar. Sie lernen die Spezifika der Hausarztmedizin, deren Auftrag, Inhalt und Umfang kennen und verstehen. Gerade in ländlichen Gebieten und Randregionen bietet die Praxisassistenz jungen Kolleginnen und Kollegen eine gute Möglichkeit, sich mit den Besonderheiten einer ländlich geprägten Hausarztmedizin vertraut zu machen und kann dazu führen, die spätere hausärztliche Tätigkeit in diesen Gebieten aufzunehmen. Daher sind Überlegungen, die grössere Gemeinschaftspraxen und medizinische Zentren als Weiterbildungsstätten für die Praxisassistenz bevorzugen wollen, mit grosser Vorsicht und mit der nötigen Zurückhaltung anzustellen. Die genannten Versorgungseinheiten befinden sich meistens in urbanen Zentren und Regionen. Eine Umsetzung solcher Überlegungen hätte zur Folge, dass gerade Randregionen, die schon heute unter einem erheblichen Hausärztemangel leiden, mit einer solchen Massnahme noch zusätzlich schlechtergestellt würden.

Tabelle 8 Rotationsstellen (Curricula): Bedingungen

Curriculumweiterbildung

Die ärztliche Breitenkompetenz ist ein wesentliches Merkmal der Hausarztmedizin. Das Weiterbildungsprogramm AIM stärkt einerseits die Praxisassistenz, andererseits aber auch die Allgemeine Innere Medizin, die vertieft weitergebildet wird. Dies kann dazu führen, dass eine fast ausschliessliche Weiterbildung in Allgemeiner Innerer Medizin auf Kosten einer robusten Breitenkompetenz absolviert wird. Dieses Ungleichgewicht kann unter anderem darauf zurückzuführen sein, dass das Angebot an qualifizierten Weiterbildungsstätten in den «kleinen Fächern» ungenügend ist. Es ist entscheidend, dass die curricularen Weiterbildungsstellen zeitlich umschrieben, ausreichend und in einer auf die spätere hausärztliche Tätigkeit ausgerichtete Struktur zur Verfügung stehen. Neben dem quantitativ ungenügenden Angebot sind die Lernziele und Lerninhalte häufig nur mangelhaft definiert, und das Angebot an Rotationsstellen ist oft von Zufälligkeiten abhängig. Es ist zu hoffen, dass die in Aussicht gestellten neuen Curriculastellen, insbesondere diejenigen des Berner Curriculums, diese Mängel beheben.

Tabelle 9 Rotationsstellen (Curricula): Koordinationsstelle, Administration, Evaluation

Die Entwicklung und Implementierung sowie die Organisation einer curricularen Weiterbildung ist aufwendig. Es macht daher Sinn, wenn sich Kantone und Regionen zusammenfinden, um gemeinsam eine qualitativ wie quantitativ hochwertige curriculare Weiterbildung anzubieten. Ein solches hausärztliches Weiterbildungsangebot steigert die Attraktivität einer hausärztlichen Tätigkeit in diesen Regionen und kann mithelfen, den Hausärztemangel zu lindern.

Bibliografie

Dr.med. Christian Häuptle, Zentrumsleiter Zentrum für Hausarztmedizin, Klinik für Allgemeine Innere Medizin/Hausarztmedizin, Kantonsspital St. Gallern, Rorschacherstrasse 95, 9007 St. Gallen,