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Open AccessOriginalarbeit

Der „Digital Taste“ als Voraus­setzung für den erfolgreichen Einsatz digitaler Medien in der Grundbildung

Published Online:https://doi.org/10.1024/2235-0977/a000384

Abstract

Zusammenfassung:Hintergrund: Durch die Digitalisierung in unserer Gesellschaft gewinnen digitale Medien und deren Einsatz vermehrt an Relevanz. In Konsequenz droht den 6,2 Millionen gering Literalisierten in Deutschland, die ebenso tendenziell geringere digitale Fähigkeiten aufweisen, verstärkt die Gefahr des Teilhabeausschlusses. An Bedeutung gewinnen Konzepte, die gering literalisierte Erwachsene dazu bewegen, an digital gestützten Kursen zu partizipieren. Als theoretische Grundlage bietet sich hierfür das soziologische Konstrukt des „Digital Taste“ nach Stephen Reder an, das im vorliegenden Artikel über die Habitustheorie sowie motivationsbezogene Aspekte beschreibbar und in Anknüpfung an empirische Befunde für die Praxis nutzbar gemacht werden soll. Methoden: Anhand einer Online-Befragung und Online-Interviews mit Kursteilnehmenden und Kursleitenden, durchgeführt im Rahmen des Projektes GediG, wird folgende Fragestellung sekundäranalytisch bearbeitet: Wie lässt sich der Digital Taste aus multiplen theoretischen Perspektiven und empirischen Beobachtungen für die pädagogische Praxis in der Grundbildung erschließen? Ergebnisse und Diskussion: Die Ergebnisdarstellung erfolgt anhand einer schematischen Verknüpfung der theoretischen Bezüge. Die Ergebnisse zeigen, dass der „Digital Taste“ der Kursteilnehmenden bereits vielfältig angelegt ist und dass es für Erwachsenengrundbildungskurse unerlässlich ist, diesen zu berücksichtigen, um digitale Inklusion zu ermöglichen.

The "Digital Taste" as a Requirement for the Successful Use of Digital Media in Adult Basic Education

Abstract:Background: Digitalization in our society is making digital media and their use increasingly relevant. As a consequence, the 6.2 million low-literate adults in Germany, who also tend to have lower digital skills, are increasingly at risk of exclusion. Approaches that encourage low-literate adults to participate in digitally supported courses are growing in importance. The sociological construct of the “Digital Taste” according to Stephen Reder provides a theoretical basis for these developments. In the present article, this construct is described using the Habitus theory as well as motivation-related aspects and it is applied to practice by linking it to empirical findings. Methods: Based on an online survey and online interviews with course participants and course instructors, conducted within the framework of the GediG project, the following question was addressed in a secondary analytical way: How can the Digital Taste be made useful for pedagogical practice in adult basic education from different theoretical perspectives and empirical observations? Results and discussion: The results are presented by means of a schematic interconnection of the theoretical references. The empirical findings show that the Digital Taste of course participants is already widely present and that it is essential for adult basic education courses to take this into account in order to enable digital inclusion.

Einleitung

Hintergrund: Lernangebote für gering literalisierte Erwachsene und die Schlüsselrolle des „Digital Taste“

Digitale Medien bestimmen mittlerweile in hohem Maße unser alltägliches Leben. Es wird erwartet, dass bspw. Apps und Tools genutzt werden, um bestimmte Informationen zu erhalten oder persönliche Angelegenheiten zu regeln. Besonders schnell schreitet die Digitalisierung aus Perspektive aller Befragten des Digitalreports 2021 unter anderem in den Bereichen Autotechnik, Produktion und Industrie sowie in der Kommunikation voran; die Schlusslichter bilden der Schulunterricht und die Pflege (European Center for Digital Competitiveness, 2021, S.9). Inwieweit Menschen der Ansicht sind, persönlich von der Digitalisierung zu profitieren, ist abhängig vom Bildungsstatus: 74% der hoch Gebildeten glauben, dass sie insgesamt von der Digitalisierung profitieren, wohingegen dies nur auf 32% der formal niedrig Gebildeten zutrifft (Initiative D21, 2021, S.33). Die Digitalisierung stellte sich für über 60% der Befragten des Digitalreports 2021 mit niedrigem sozioökonomischem Status in den Monaten der Pandemie im Jahr 2021 zur Aufrechterhaltung von Arbeitsabläufen und Sicherstellung der persönlichen und beruflichen Kommunikation als „sehr wichtig“ oder „wichtig“ dar (European Center for Digital Competitiveness, 2021, S.14).

Für die 6,2 Millionen Erwachsenen in Deutschland mit geringer Literalität bedeutet diese Entwicklung eine zusätzliche Herausforderung. Studien legen nahe, dass geringe Literalität und geringe digitale Kompetenzen miteinander verknüpft sind (Buddeberg & Grotlüschen, 2020; vgl. auch Wolf & Koppel, 2017). In Konsequenz droht dieser Personengruppe verstärkt die Gefahr des gesellschaftlichen Teilhabeausschlusses (Buddeberg & Grotlüschen, 2020; Koppel & Langer, 2020a).

Bundesweit werden bedarfsorientiert Lernangebote für gering literarisierte Erwachsene in der Alphabetisierung und Grundbildung (A&G) realisiert. Die Corona-Pandemie, in der vermehrt auf digitale Medien zur kontaktlosen Kommunikation in Lehr-Lernsettings zurückgegriffen wird, verstärkt allerdings die Belastung dieser Zielgruppe. An Bedeutung gewannen geeignete Konzepte, um Personen mit geringer Literalität zu motivieren, Lernprozesse in Kursen digital fortzuführen. Durch die pandemischen Bedingungen wird die Bandbreite an Herausforderungen in Bezug auf das digital gestützte Lernen in der A&G noch deutlicher (Koppel & Langer, 2020b; Hrubesch, 2021). Häufig fehlen gering Literalisierten die notwendigen Erfahrungen im Umgang mit digitalen Medien (Buddeberg & Grotlüschen, 2020, S.205ff.). Dies scheint jedoch vorrangig auf Technologien zuzutreffen, die in den Bereichen Arbeit und Bildung bisher bevorzugt verwendet werden. Während gering Literalisierte zwar deutlich seltener als die Gesamtbevölkerung Computer verwenden und E-Mails verfassen, lassen sich nur geringe Unterschiede bei der Häufigkeit der Verwendung von Smartphones und Tablets sowie beim Versenden von Kurznachrichten feststellen; regelmäßiger als die gesamte Bevölkerung versenden diese Sprachnachrichten, tätigen Videoanrufe und nutzen soziale Netzwerke (Grotlüschen, Buddeberg, Dutz, Heilmann & Stammer, 2019, S.31). Entsprechend zeigen empirische Befunde, dass sich der Einsatz von Social Media in Kursen positiv auf die Einstellung der Teilnehmenden auswirkt (Adelore & Ojedeji, 2017). Obwohl die vorliegende Datenlage deutlich macht, dass gering Literalisierte aufgrund der tendenziell geringeren Fähigkeiten im Umgang mit digitalen Medien stärker als die Gesamtbevölkerung vom Risiko des Teilhabeausschlusses betroffen sind, kann nicht davon ausgegangen werden, dass diese digitale Medien nicht nutzen möchten. Vielmehr ist von Bedeutung, inwiefern digitale Medien lebensweltorientiert eingesetzt werden. Entsprechend gewinnen Ideen an Relevanz, welche die digitalen Vorlieben von Lernenden adäquat berücksichtigen, um damit eine „digitale Inklusion“ im Rahmen von Grundbildungsangeboten zu ermöglichen. Digitale Inklusion meint einerseits den Zugang zu und die Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnik (IKT) und andererseits den Zugang zum Internet sowie relevanten Inhalten und Dienstleistungen, kombiniert mit digitalen Fähigkeiten, die notwendig für die Nutzung von IKT sind (Institute of Museum and Library Services et al., 2012, S.1). Wie diese Beschreibung aufzeigt, bedarf digitale Inklusion mehr als nur Voraussetzungen zu schaffen. Stephen Reder (2015) begreift mit seinem „Digital Inclusion Pathway“, welcher auf Basis der PIAAC-Daten und einer Sonderauswertung der Kompetenzdimension „technologiebasiertes Problemlösen“ entwickelt wurde, den Begriff der digitalen Inklusion als Kontinuum mit der Betonung einer prozessualen Komponente. Der Prozess der digitalen Inklusion wird entsprechend als Weg mit Zwischenstufen und Barrieren verstanden. Der Digital Inclusion Pathway (Reder, 2015, 6ff.) beinhaltet als Voraussetzung für digitale Inklusion als erste Stufe den Zugang zu Computern, die „Access Stage“. Die Hürde, um diese Stufe zu erreichen, liegt im Fehlen von Computern und vermutlich damit verbundenen Breitbandanschlüssen. Deutlich wird durch die oben dargestellte Datenlage, dass der von Reder gewählte Sammelbegriff „Computer“ heute nicht mehr zeitgemäß ist und eine entsprechende Erweiterung braucht. Daher wird innerhalb der Beschreibung der Access Stage auf die Benennung konkreter Technologien verzichtet. Wohl aber wird die Bezeichnung „digital“ weiterhin verwendet, da mit dieser Bezeichnung spezifische Charakteristika einhergehen, die den Kern der Auseinandersetzung mit den Bedingungen einer digitalen Inklusion auszeichnen. Als Alternative wird hier der Begriff der „digitalen Informations- und Kommunikationstechnik“ vorgeschlagen und unter der Access Stage entsprechend ein Zugang dazu verstanden. Synonym dazu wird im Rahmen nachfolgender Ausführungen ebenso die Bezeichnung „digitale Medien“ verwendet. Auf der zweiten Stufe wird das Interesse und die Lust digitale Medien zu nutzen sowie das Vertrauen in die Technik und die eigenen Fähigkeiten im Umgang damit ausgebildet – der so genannte „Digital Taste“. Diese Attribute sind für ein Vorankommen auf dem weiteren Weg essenziell. Der Digital Taste wird in diesem Zusammenhang als ein soziologisches Konzept definiert, das für persönliche Auswahlmuster steht, bezugnehmend auf die Art und Weise, wie und warum jemand digitalen Medien einsetzt.

Auf der „Readiness Stage“ werden grundlegende Fähigkeiten im Umgang mit digitalen Medien entwickelt, die zu weiterem Handeln befähigen. Sollten keine grundlegenden digitalen Fähigkeiten angelegt werden, kann die letzte Stufe, die der „Digital Literacy“ (Begriffsverständnis: vgl. Wolf & Koppel, 2021), nicht erreicht werden. Digital Literacy auf einer umfassenden Befähigungsebene kann als ein andauernder Entwicklungsprozess beschrieben werden, der auch die Beherrschung neuer digitaler Technologien und Applikationen einbezieht.

Da die Überwindung der Barriere des Digital Taste den Startpunkt für die mögliche Ausbildung basaler digitaler Fähigkeiten markiert, kann diesem in Bezug auf das erfolgreiche Lernen mit digitalen Medien in der Grundbildung eine Schlüsselrolle zugesprochen werden. Wie oben bereits dargestellt, zeichnet sich die Relevanz dieser Stufe auch in den wenigen empirischen Anhaltspunkten ab, die zur (lernorientierten) Nutzung digitaler Medien durch gering Literalisierte bisher vorhanden sind. Im Rahmen einer ersten Verknüpfung dieser Erkenntnisse an den Digital Taste als eine Stufe des Digital Inclusion Pathway lässt sich die Schlussfolgerung ziehen, dass neben dem technischen Zugang die digitalen Auswahl- und Nutzungsmuster der Kursteilnehmenden deutlich stärker in den Fokus didaktischer Überlegungen rücken sollten. Mit den Begriffen „Kursteilnehmende“ und „Lernende“ sind nachfolgend durchgehend gering literalisierte Erwachsene in A&G-Kursen gemeint.

Auch wenn der Digital Taste ein schwer greifbares Konzept abbildet, deuten aktuelle Studien und Überlegungen darauf hin, dass dieser über die Habitustheorie nach Bourdieu (1987) (vgl. z.B. Bolten-Bühler, 2021) sowie motivationsbezogene Aspekte (Bandura, 1977; Brunstein, 2018; vgl. auch Koppel & Burkard, 2020) beobachtbar und beschreibbar sowie in Konsequenz für die Grundbildung nutzbar gemacht werden kann.

Anknüpfungspunkte des Digital Taste aus theoretischer Perspektive

Im Folgenden werden die benannten Perspektiven aus Soziologie und Psychologie in Kürze vorgestellt, um jeweilige Anknüpfungspunkte an den Digital Taste zu begründen und abschließend deren theoretische Wirkzusammenhänge mit einer schematischen Verknüpfung zu konkretisieren.

Soziologische Perspektive

Dem Verständnis des Digital Taste nahe liegt der „medienbezogene Geschmack“ als ein Teil der Habitustheorie, die der Soziologe Pierre Bourdieu 1987 formte und die im Folgenden skizziert wird. Der „Habitus“ wird durch eine wechselseitige Auseinandersetzung zwischen Umwelt und Habitusinhaber_in erworben und ist als eine Art allgemeine Grundhaltung einer Person gegenüber der Welt zu verstehen. Der Einfluss durch die Familie und deren soziale Stellung sind hierbei von grundlegender Bedeutung, die wiederum durch die Verteilung verschiedener Kapitalformen – des ökonomischen, kulturellen und sozialen Kapitals – bedingt wird. Vor diesem Hintergrund manifestiert sich der Geschmack als Beurteilungsraster (Klassifikationsprinzip) im erworbenen Habitus durch den Sozialisationsprozess derselben (Bourdieu, 1987). In der Konsequenz aus dem Gesamtkonstrukt wird auch der „mediale Habitus“ als Teil des Gesamthabitus im Rahmen der Mediensozialisation erworben als

„ein System von dauerhaften medienbezogenen Dispositionen, die als Erzeugungs- und Ordnungsgrundlagen für mediale Praktiken und auf Medien und den Medienumgang bezogene Vorstellungen und Zuschreibungen fungieren […]. Der mediale Habitus bezeichnet damit auch eine charakteristische Konfiguration inkorporierter, strukturierter u. zugleich strukturierender Klassifikationsschemata, die für ihre Träger in der Regel nicht reflexiv werden“

(Kommer & Biermann, 2012, S.90).

Dem „Geschmack“, welcher sich durch eine Abgrenzung nach außen und Selbstversicherung nach innen auszeichnet, kommt als Teil des medialen Habitus eine besondere Bedeutung zu. Bourdieu greift bei seinen Untersuchungen des Geschmacks auf damalig aktuelle Medien wie beispielsweise das Fernsehen oder Radio zurück und definiert diesen als „Grundlage alles dessen, was man hat – Personen und Sachen –, wie dessen, was man für die anderen ist, dessen, womit man sich selbst einordnet und von den anderen eingeordnet wird“ (Bourdieu, 1987, S.104). Das mediale Nutzungsverhalten steht damit in starker Abhängigkeit zum Geschmack (Bourdieu, 1998; vgl. auch Bolten-Bühler, 2021). Da dieser dem Einfluss der zur Verfügung stehenden Kapitalarten und damit verbunden der sozialen Stellung unterliegt, wird außerdem davon ausgegangen, dass sich auch heute noch im Rahmen der Mediennutzung eine Art des bourdieu'schen Klassenhabitus zeigt (Kommer, 2010, S.92). Mit Verweis auf die hier relevante Zielgruppe ist dieser Aspekt ein sehr bedeutsamer; empirische Befunde bestätigen den starken Zusammenhang zwischen technologiebasierten (Rammstedt, 2013) und schriftsprachlichen Kompetenzen (Grotlüschen & Riekmann, 2012) und dem individuellen Bildungsabschluss sowie dem Bildungsabschluss der Eltern. Die Mehrheit der gering Literalisierten in Deutschland gehört weniger privilegierten Milieus an (Grotlüschen & Riekmann, 2012). Angehörige der unterprivilegierten Milieus kompensieren ihre Lebensumstände häufig mit einer Form der Realitätsflucht – hierfür bieten sich (digitale) Medien an (Bauer & Vester, 2015). Ebenso ist der Zugang zu Schriftsprache in milieuspezifische Muster eingebettet, die einer sozialen Logik folgen (Pape, 2018). Der (medienbezogene) Geschmack des Subjekts, den der (mediale) Habitus hervorbringt, ist in Konsequenz nicht zufällig, sondern unterliegt einer gewissen Handschrift, die immer auch Rückschlüsse auf das soziale Milieu zulässt (Vester, Oetzen, Geiling, Hermann & Müller, 2001).

Werden zu vermittelnde Kompetenzen der A&G als soziale Praktiken verstanden, die mit der Milieuzugehörigkeit und dem Habitus der Lernenden verknüpft sind, eröffnet sich im Rahmen der Realisierung von Teilhabefähigkeit in Bildungsinstitutionen eine Passungsproblematik, der es mit einem hohen Maß an milieuspezifischer Anschlussfähigkeit durch Lebensweltorientierung entgegenzuwirken gilt (vgl. z.B. Bremer, 2022).

Der Digital Taste wird vor diesem Hintergrund weiterführend als eine Unterform des medienbezogenen Geschmacks betrachtet, die ausschließlich auf digitale Medien Bezug nimmt und gleichzeitig in einem erweiterten soziologischen Rahmen verstanden wird. Während der medienbezogene Geschmack die Konstitution des Nutzungsverhaltens gegenüber Medien im Allgemeinen bedingt und in den Kontext eines sozialen Wirksystems eingeordnet werden kann, formt der Digital Taste die Grundlage für die Verfasstheit des Nutzungsverhaltens gegenüber digitalen Medien im Speziellen als eine wichtige Stufe auf dem Weg zur digitalen Inklusion.

Psychologische Perspektive

Auch, wenn die Perspektive aus Habitus- und Milieutheorie bereits hilfreiche Anhaltspunkte für die Praxis der Subjekte und deren Einbettung in soziale Strukturen liefern, ist die Hinzunahme einer psychologischen Perspektive hilfreich, um mit dem Digital Taste zusammenhängende motivationale und sozialkognitive Voraussetzungen von Kursteilnehmenden der A&G vertieft zu erörtern.

So sind persönliche Motive und Ziele als Anknüpfungspunkte an das Potenzial des Digital Taste, Interesse und Lust zur Nutzung digitaler Medien zu entwickeln, einzubeziehen. Im Rahmen motivationspsychologischer Überlegungen wird davon ausgegangen, dass die Beweggründe für eine Handlungstendenz durch individuell verschiedene Präferenzmuster und Neigungen einer Person bewusst und unbewusst sind. Als Ausgangspunkt der Motivation werden explizite und implizite Motive angenommen. Explizite Motive werden durch sprachlich repräsentierte oder repräsentierbare Äußerungen von Personen erschlossen und als Motivationsbasis verstanden, wenn individuelle Erfahrungen und Überzeugungen Einfluss auf darauffolgende Beurteilungen und Beschlüsse nehmen. Spontane und zeitlich konstante Verhaltensweisen werden demgegenüber durch früh verinnerlichte implizite Motive erklärt, die sich durch eine emotionale Neigung gegenüber speziellen Anreizen auszeichnen. Aufgrund der Annahme, dass implizite Motive bereits früh angelegt bzw. erlernt werden, sind diese nicht sprachlich repräsentiert und somit nicht zu verbalisieren. Während explizite Motive somit eher rationalen Ursprungs sind und von außen wirken, gelten implizite Motive als innere, emotionale Beweggründe für eine Handlung. Unter dem allgemeinen Begriff des Motivs wird dementsprechend eine Neigung verstanden, bestimmte Formen von Zielzuständen, Gegenständen oder Themen als negativ bzw. positiv zu beurteilen und gewisse Handlungsmöglichkeiten und Erlebnischancen bevorzugt wahrzunehmen (Brunstein, 2018, S.271–277).

Um die Entstehung des Digital Taste und die individuelle Motivation zur Nutzung digitaler Medien als Folgeerscheinung dessen zu begreifen, sollten folglich explizite Motive – die rationalen Ursprungs und verbalisierbar sind – sowie zugehörige Zielzustände und Beurteilungsmuster berücksichtigt werden. Als Indikatoren für das Vorhandensein impliziter Motive – die nicht direkt messbar bzw. verbalisierbar sind – sollten Zielformulierungen herangezogen werden, die als innere Anreize fungieren und z.B. Interesse, Freude oder Lust am Umgang mit digitalen Medien und damit zusammenhängende Themen, Handlungsmöglichkeiten und Erlebnischancen bedingen.

Einen weiteren psychologischen Anknüpfungspunkt stellt neben Motiven und Zielen die Selbstwirksamkeitserwartung dar. Diese zeigt sich anschlussfähig an das von Reder (2015) beschriebene Potenzial des Digital Taste, Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten im Umgang mit digitalen Medien zu gewinnen. So begegnen manche Menschen, unabhängig ihrer intellektuellen Voraussetzungen, herausfordernden Aufgaben mit Freude. Sie lassen sich auch durch mögliche Hürden nicht von ihrem Ziel abbringen, während andere diese Situationen eher vermeiden oder wenig Ausdauer beweisen – dies trifft auch auf den Umgang mit digitalen Medien zu.

Albert Bandura (1977) erklärt diese unterschiedlichen Herangehensweisen im Rahmen seiner sozialkognitiven Lerntheorie durch die Selbstwirksamkeitserwartung. Durch die Annahme, dass das Verhalten sowie die Verhaltensänderungen einer Person maßgeblich durch subjektive Überzeugungen, wie die Ergebnis- und die Selbstwirksamkeitserwartung einer Person, bedingt werden, wird die Selbstwirksamkeitserwartung eines Individuums als die Einschätzung der persönlichen Handlungsmöglichkeiten in Bezug auf die Bewältigung von neuen oder schwierigen Anforderungssituationen beschrieben.

Durch die Selbstwirksamkeitserwartung werden unterschiedliche Prozesse gesteuert, welche die Kognition, Motivation, Emotion und Handlungsmuster betreffen (Bandura, 1977). Beeinflusst werden kann diese unter anderem durch Leistungserfolge, Gefühlsregungen, stellvertretende Erfahrungen und verbale Ermutigung (Bandura, 1977; Schwarzer & Jerusalem, 2002).

Die Potenziale des soziologischen Konzepts des Digital Taste können folglich an psychologische Betrachtungsweisen angeschlossen und unter Berücksichtigung ihrer Wirkzusammenhänge zwischen Individuum und Gesellschaft beschreibbar und beobachtbar gemacht werden. Wie diese theoretischen Entstehungs- und Wirkfaktoren des Digital Taste in einem Gesamtzusammenhang vereinbar sind, zeigt die Abbildung 1: Dargestellt ist eine schematische Verknüpfung des medienbezogenen Geschmacks als Digital Taste im Kontext der Habitustheorie mit den beschriebenen theoretischen Ansätzen der Motivations- und Lernpsychologie. Um die Teilhabe an einer mediatisierten Gesellschaft zu ermöglichen, ist, wie im Rahmen der Ausführungen zum Digital Inclusion Pathway dargestellt, der Zugang zu digitalen Medien essenziell. Digitale Medien werden von der Gesellschaft genutzt und gestaltet und unterliegen dadurch stetigen Veränderungsprozessen. Diese Umweltbedingungen werden verbunden mit der Subjektorientierung, in welcher der medienbezogene Geschmack als Digital Taste eine Schlüsselrolle einnimmt. Dieser ist hier symbolisch als Zunge in Stellvertretung für den Geschmackssinn dargestellt. Die Perspektiven der Soziologie mit der bourdieu'schen Habitustheorie und ihren Grundpfeilern des ökonomischen, kulturellen sowie des sozialen Kapitals sind zwischen Subjekt und Umwelt verortet. Sie bedingen gemeinsam mit der sozialen Stellung die durch das Individuum wahrgenommenen und zur Verfügung stehenden Möglichkeiten mit digitalen Medien umzugehen; so beispielsweise das soziale Kapital durch Zugänge zu digitalen Medien über Beziehungsnetze, das kulturelle Kapital durch Bildung sowie das ökonomischen Kapital im Sinne finanzieller Möglichkeiten (Bourdieu, 1987). All diese Faktoren bedingen individuelle Sozialisationsprozesse und prägen damit das individuelle Erleben und Verhalten. So können aus psychologischer Perspektive daran anknüpfend Motive und Ziele sowie die wahrgenommene Selbstwirksamkeit als Indikatoren für einen vorhandenen Digital Taste angesehen werden, dessen Folgen nach Reder (2015) Interesse, Lust und Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten im Umgang mit digitalen Medien sind. Der Digital Taste des Individuums führt zu dessen medialen Habitus, welcher als Voraussetzung für die Teilhabe an einer mediatisierten Gesellschaft angesehen werden kann. Auf Basis der hier angestellten Überlegungen ist davon auszugehen, dass der Digital Taste als schwer greifbares Konzept über Bezüge zu Aspekten der Habitus- (Bourdieu, 1987) und Motivationstheorie (Bandura, 1977; Brunstein, 2018) näher konkretisiert werden kann. Um den Digital Taste für didaktische Überlegungen für eine digital gestützte Grundbildung nutzbar zu machen, werden empirische Befunde herangezogen, die vor dem Hintergrund der folgenden Fragestellung erzielt wurden:

Abbildung 1 Schematische Verknüpfung des medienbezogenen Geschmacks als Digital Taste aus soziologischer und psychologischer Perspektive.

Wie lässt sich der Digital Taste aus multiplen theoretischen Perspektiven und empirischen Beobachtungen für die pädagogische Praxis in der Grundbildung erschließen? Im Folgenden werden die Methoden zur Bearbeitung dieser Fragestellungen erläutert, um anschließend die empirischen Befunde darzustellen.

Methoden

Im Projekt GediG (gefördert durch das BMBF) werden die Gelingensbedingungen für den Einsatz digitaler Medien in der Grundbildung erforscht. Für die Bearbeitung der oben genannten Fragestellungen wurden quantitative und qualitative Daten aus Perspektive Kursleitender und Kursteilnehmender der A&G sekundäranalytisch im Sinne eines Mixed-Method-Vorgehens herangezogen. Die Erhebungsinstrumente zu verschiedenen Zielgruppen sind aufgrund des Gesamtdesigns des GediG-Projektes inhaltlich aufeinander abgestimmt, um eine adäquate Verknüpfung quantitativer und qualitativer Daten zu gewährleisten. Die ergänzende Perspektive der Kursleitenden auf die Kursteilnehmenden wurde entsprechend in die Sekundäranalyse aufgenommen, um einen Zugewinn auf Erkenntnisebene durch den Vergleich beider Sichtweisen zu erlauben.

In die Analyse einbezogen wurden eine bundesweite Online-Fragebogenerhebung mit Kursleitenden (n = 34), mit Kursteilnehmenden (n = 72) sowie bundesweite Interviews mit Kursleitenden (n = 11) und Gruppendiskussionen bzw. Einzelinterviews mit Kursteilnehmenden aus Hamburg, Hessen und Sachsen (n = 8).

Der Fragebogen für Kursteilnehmende beinhaltete Video-, Bild- und Vorleseunterstützung für ein besseres Verständnis. Von den befragten Kursteilnehmenden sind 58% weiblich, 42% männlich, divers wurde nicht angegeben. Knapp über 6% waren zum Erhebungszeitpunkt zwischen 18 und 25, circa 18% zwischen 26 und 35 Jahre alt. Der höchste Anteil verortete sich im mittleren Alter, davon circa 23% zwischen 36 und 45, ungefähr 29% zwischen 46 und 55 sowie 20% zwischen 56 und 64. Lediglich 3% gaben an, 65 Jahre oder älter zu sein.

Die Fragebogenerhebungen wie auch die Interviews fanden im Jahr 2021 statt, die Daten entsprechen einem Zwischenstand zum 01.10. Beide Online-Fragebögen wurden einer Reliabilitätsprüfung sowie einem kommunikativen Feedback unterzogen. Die quantitativen Daten wurden über SPSS deskriptiv ausgewertet. Die Interviews wurden aufgrund der Corona-Kontaktbeschränkungen online via Videokonferenzsystem zwischen Juni und Oktober 2021 durchgeführt. Die Interviewpartner_innen verschiedener Institutionen sind innerhalb Deutschlands tendenziell gleichmäßig verteilt. Die elf Interviews auf der Ebene der Kursleitenden wurden mit drei männlichen und acht weiblichen Interviewpartner_innen mittels leitfadengestützter Expert_inneninterviews geführt (Kuckartz, 2018).

Die Fallauswahl der Interviews mit den Kursteilnehmenden generierte sich aus den Interviews mit den Kursleitenden, welchen aufgrund der erschwerten Zugänglichkeit zur Zielgruppe eine Gatekeeper-Funktion zukam (Döring & Bortz, 2016). Im Rahmen zweier Gruppendiskussionen, an denen zwischen zwei und drei Kursteilnehmende teilnahmen und dreier Einzelinterviews wurden entsprechend acht Kursteilnehmende, vier männliche und vier weibliche, online interviewt. Im Folgenden soll auf Ebene der qualitativen Untersuchung mit Kursteilnehmenden der Begriff „Interviews“ verwendet werden, obwohl es sich in zwei Fällen um „Gruppendiskussionen“ handelt. Dies erleichtert zum einen die Lesbarkeit, ist jedoch auch darin begründet, dass alle Diskussionsbeiträge einzelnen Personen zugeordnet werden können und damit individuelle Äußerungen darstellen, wie sie auch in einem Einzelinterview getätigt werden würden. Alle Erhebungen wurden leitfadengestützt unter Einbezug spezieller, für die Zielgruppe geeigneter und über eine Pilotierung auf ihre Eignung hin untersuchter Impulsmaterialien durchgeführt (Kruse, 2015; Lamnek, 2005). Die Audioaufzeichnungen aller Interviews wurden nach vorab festgelegten Richtlinien transkribiert und anonymisiert. Die qualitativen Daten wurden über die qualitative Inhaltsanalyse nach Kuckartz (2018) computergestützt analysiert.

Ergebnisse

Folgende Auswertungskategorien wurden in Anknüpfung an die zuvor dargestellten theoretischen Ausführungen deduktiv gebildet: 1. Zugang zu digitalen Medien, 2. Motive und Ziele, 3. Selbstwirksamkeit. Zu 1. Werden im Folgenden entsprechend Daten zum Zugang zu digitalen IKT sowie daran geknüpfte Gelegenheiten, damit in Berührung zu kommen, zu 2. sprachlich repräsentierte Neigungen und zugehörige Zielzustände, Gegenstände, Themen, Handlungsmöglichkeiten und wahrgenommene Erlebnischancen sowie zu 3. individuelle Einschätzungen der persönlichen Handlungsmöglichkeiten in Bezug auf die Bewältigung von neuen oder schwierigen Anforderungssituationen mit digitalen Medien und zugehörige Wirkfaktoren (Leistungserfolge, Gefühlsregungen, stellvertretende Erfahrungen und verbale Ermutigung) vorgestellt. Hierbei wird zu jeder Untersuchungskategorie zunächst die Perspektive der Kursteilnehmenden auf Basis dazu passender empirischer Ergebnisse dargelegt. Daran jeweils anschließend werden diese Ergebnisse durch Ergänzung aus Sichtweise der Kursleitenden auf Basis empirischer Daten angereichert.

Zugang zu digitalen Medien

Perspektive der Kursteilnehmenden (TN) auf Basis einer aufeinander folgenden Darstellung quantitativer und qualitativer Ergebnisse

Im Rahmen der Online-Befragung gaben knapp über 80% der TN an, privat Zugang zum Internet über WLAN zu haben, 95% zu einem Smartphone, 67% zu einem PC oder Laptop, 33% zu einem Tablet. Auch gaben einige der befragten TN an, Zugang zu Geräten zu haben, die als Spaß- und Unterhaltungsmedien dienen: 22% haben Zugang zu einer tragbaren und 36% zu einer stationären Spielekonsole, 8% zu einer VR-Brille. Privat zusätzlich ausgestattet sind 6% mit Headsets, 33% mit Webcams.

Smartphones werden von den befragten TN zu 85% zur Kommunikation und zum Austausch, von 33% beim Einkaufen, von 25% für Spiele und Unterhaltung und 22% für Bankgeschäfte genutzt. 76% nutzen es zum Lernen und Informieren. Das Lernen gestalten die befragten TN neben dem Smartphone zu 53% mit einem PC und 25% geben an, ein Tablet zu nutzen. Hätten TN die freie Wahl, würden 60% gerne mithilfe eines PCs, 58% mit einem Smartphone und 19% mit einem Tablet lernen wollen.

Im Bereich der Text- und Informationsverarbeitung werden sowohl lizenzierte (36%) als auch lizenzfreie (19%) Textverarbeitungsprogramme genutzt. Lediglich 6% geben an, Mindmaps und Schlagwortsysteme zu verwenden. Dienste zum Austauschen und Zusammenarbeiten werden von den befragten TN zu einem Großteil genutzt. So nutzen 89% Dienste zum Versenden von Kurznachrichten, 81% Dienste zum Videotelefonieren, 60% Dienste zum Teilen von Nachrichten, Fotos und Videoclips sowie 57% Dienste zum Versenden von E-Mails. Ebenso verwenden TN im privaten Rahmen digitale Helfer; 79% nutzen Erklärvideos, 78% fotografieren wichtige Informationen und Inhalte, jeweils beinahe die Hälfte nutzt die Sprachausgabe zum Vorlesen von Texten aus digitalen Quellen bzw. speichert wichtige Informationen über eine Sprachaufnahme. 72% der befragten TN nutzen privat Emojis und 28% nutzen QR-Codes zum Aufrufen von Internetseiten.

Einen noch detaillierteren Einblick in die digitale Mediennutzung von TN der Grundbildung geben die qualitativen Daten. Neben der Nutzung der oben erwähnten Geräte nutzen manche TN auch digitale Sprachassistenten, wie z.B. Alexa. Gerade Jüngere nutzen Social Media und digitale Tools, wie z.B die Diktierfunktion oder Google Maps, wohingegen ältere Lernende häufig Probleme mit der Nutzung digitaler Endgeräte haben. Smartphones dienen häufig der Unterhaltung und Kommunikation, aber auch zum Lernen in Bus und Bahn werden sie gerne eingesetzt.

Der Computer wird gerne zuhause verwendet. Beliebt ist er wegen seiner größeren Tastatur und wegen des größeren Bildschirms. Insbesondere für Schreibübungen, die häufig über Textverarbeitungsprogramme und die Rechtschreibkorrektur erfolgen, werden diese Eigenschaften sehr geschätzt. Der Laptop wird gerne zum Mitschreiben in Lehr-Lernkontexten verwendet, er gibt u.a. wegen der Rechtschreibkorrektur Sicherheit beim Schreiben.

Veraltete Geräte und der fehlende Wille zum kreativen Einsatz digitaler Medien in Kursen schüren entsprechend Unzufriedenheit, so berichtete ein Kursteilnehmer: „Da wurden dann irgendwelche YouTube-Videos irgendwann dann halt angeguckt. Es lief alles ein bisschen deppig. Es liegt nicht nur am Angebot, sondern der Wille […]“ (TN 2). Deutlich wird hier, dass das Gelingen des Einsatzes digitaler Medien nicht monokausal begründet werden kann.

Ergänzende Perspektive der Kursleitenden (KL) auf Basis einer aufeinander folgenden Darstellung quantitativer und qualitativer Ergebnisse

Die Angaben zum Medieneinsatz durch die KL im Unterricht stehen tendenziell in Kontrast zur privaten Mediennutzung der TN. Zum Beispiel sind Computer und Laptops typische Einsatzgeräte in Kursen; 46% der KL geben an, diese sehr häufig (täglich oder im Abstand weniger bis mehrerer Tage) einzusetzen, wohingegen das Smartphone eher seltener (im Abstand weniger bis mehrerer Monate) eingesetzt wird; konkretisierend, dass 26% das Smartphone nie, 25% selten (im Abstand weniger bis mehrerer Jahre) bzw. eher selten nutzen. Tablets werden von 71% der KL nie im Rahmen von Kursen eingesetzt.

In Bezug auf den Einsatz verschiedener Lernprogramme für die Grundbildung gaben 55% der KL an, diese sehr häufig bis eher häufig (im Abstand weniger bis mehrerer Wochen) zu nutzen, zum anderen werden diese von 21% nie eingesetzt. Bezüglich Instant-Messaging-Diensten gaben über 40% an, diese häufig bzw. eher häufig im Unterricht einzusetzen. Digitale Helfer werden im Kursbereich selten bzw. nie durch die KL eingesetzt. So geben 34% der befragten KL an, nie Erklärvideos in den Kurs einzubinden, 43% setzen nie Screenshots ein, 63% verwenden nie eine Vorlesefunktion, 71% nie eine Spracheingabe. 43% verwenden nie Emojis oder Smileys zum Verfassen von Kursinhalten, 63% der befragten KL gaben an, nie QR-Codes im Kurs einzusetzen.

Demgegenüber werden Textverarbeitungsprogramme von 46% der KL täglich oder im Abstand weniger Tage im Kurskontext eingesetzt. Gleichzeitig ist auf Basis der Analyse qualitativer Daten aus Sicht KL zu ergänzen, dass Werkzeuge wie die Vorlesefunktion durch TN als sehr positiv wahrgenommen werden. Insbesondere jüngere Lernende stehen dem Einsatz digitaler Medien in Lehr-Lernsituationen tendenziell aufgeschlossen gegenüber.

Motive und Ziele

Perspektive der TN auf Basis qualitativer Ergebnisse

Grundsätzlich stellen TN fest, dass sie Spaß am Umgang mit digitalen Medien haben und ihnen insbesondere der Umgang mit dem Computer Freude bereitet. Sie haben unterschiedliche Ziele, wenn sie Kurse der A&G besuchen; beispielsweise, dass sie die Arbeitslosigkeit beenden oder eine Ausbildung beginnen möchten und das Bedürfnis nach mehr Autonomie verspüren. Andere wünschen sich, endlich schöne Texte schreiben zu können oder die eigenen Fähigkeiten im Umgang mit dem Tablet zu verbessern. Ein unzufriedener Kursteilnehmer beschreibt allerdings eine Kurszuweisung und Aufgabenstellungen über ein digitales Lernprogramm im Kurs wie folgt:

„Es ging darum, dass auch die Finanzierung gesichert war. Das Alphalevel wurde festgestellt, meist schlechter wie man ist, um einfach für drei Jahre Ruhe zu haben. Für mich persönlich selber ist das ein schlechter Eindruck gewesen […]. Eine Steuerung [der Aufgabenauswahl, Anmerkung der Autor_innen], in welche Richtung ich will, war überhaupt nicht möglich. Also, ich habe überhaupt nicht feststellen können, dass sich das Programm ändert, dass es komplexer wird mit den Übungsaufgaben“

(TN 2).

Häufig werden Leistungsmotive und zugehörige Lernziele Im Kurs nicht adäquat berücksichtigt, dies sorgt für Frustration.

Ergänzende Perspektive der KL auf Basis qualitativer Ergebnisse

KL heben bezüglich der Berücksichtigung individueller Motive die Relevanz des Interesses beim Umgang mit digitalen Medien hervor, der Wille zum Lernen darf nicht auf äußerem Zwang basieren. So können beispielsweise persönliche Anliegen Berücksichtigung finden, indem die Installation einer neuen App thematisiert wird. Ebenso konnte durch kreative Projektarbeiten wie einer Filmproduktion im Rahmen des Projekts „aus der Reihe ‚Kultur macht stark‘ (KL 10) mit einfachen Tools zur Videobearbeitung, wie berichtet wurde, das Interesse der TN erfolgreich geweckt werden, denn „das sind so Sachen, wo wir aus dem Machen heraus erst mal Lernen lassen und erst mal Erfahrungen zulassen und die nicht sofort eindämmen. Und es gibt doch nichts Besseres dann gerade in der digitalen Welt“ (KL 10).

Weiterführend können aus Perspektive der KL motivpassende Anreize geschaffen werden, indem Aufgaben der realen Lebenswelt entspringen und diese bedarfsweise auch in digitaler Form bearbeitbar sind; ein genanntes Beispiel hierfür ist der Umgang mit Geld.

Selbstwirksamkeit

Perspektive der TN auf Basis einer aufeinander folgenden Darstellung quantitativer und qualitativer Ergebnisse

Die quantitativen Daten der TN zeigen ein differenziertes, aber auch gegensätzliches Bild in Bezug auf das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten im Umgang mit verschiedenen digitalen Medien. Die eigene Fähigkeit im Umgang mit einem Tablet oder einem Smartphone wird von 31% der befragten TN als sehr gut und weiteren 25% als eher gut eingeschätzt. Demgegenüber werden die Fähigkeiten im Umgang mit PC und/oder Laptop lediglich von 16% als sehr gut und 24% als eher gut eingestuft. Im Bereich der Einschätzung der eigenen Fähigkeiten im Umgang mit Diensten zum Austauschen und Zusammenarbeiten schätzen 72% der befragten TN ihre Fähigkeiten im Umgang mit Diensten für Kurznachrichten (SMS/Instant Messaging) als sehr gut und eher gut ein. Auch ihre Fähigkeiten im Bereich der Videotelefonie, über bspw. ZOOM oder WhatsApp, bewerten 66% als sehr gut und eher gut. Deutlich geringer werden die Fähigkeiten im Umgang mit Textverarbeitungsprogrammen eingestuft. Hier schätzen 36% ihre Fähigkeiten überhaupt nicht gut und eher nicht gut ein.

Auf Ebene der qualitativen Daten zeigt sich, dass die eigene Selbstwirksamkeit zur Nutzung digitaler Medien von den TN tendenziell hoch eingestuft wird. Sie trauen sich nach eigenen Angaben zu, neue und herausfordernde Aufgaben erfolgreich zu meistern. Um Lernerfolge zu erzielen, sollten nach Aussagen der TN die zu erreichenden Lern- und Aufgabenziele nicht zu groß sein und den individuellen Fähigkeiten entsprechen. Um beispielsweise Erfolge beim Lesen zu vereinfachen, wurde der Lesestift als mögliches Tool vorgeschlagen; „also, wenn ich da irgendwo die Chance habe, den würde ich testen wollen, der das vorliest, weil das wäre für mich selber, wäre das gut (TN 3). Schon die Kinder „können in der Schule über Kopfhörer den Stift benutzen, können damit arbeiten, müssen nicht dauernd fragen, haben keine Hemmschwelle […]. Also das wäre irgendwie mein Traum“ (TN 3). Darüber hinaus werden digitale Belohnungssysteme wie z.B. Münzsammlungen, um Spiele freizuschalten, als Verstärker für Erfolgserlebnisse angesehen.

Ergänzende Perspektive der KL auf Basis einer aufeinander folgenden Darstellung quantitativer und qualitativer Ergebnisse

KL schätzen das Vertrauen der TN der Grundbildung in deren Fähigkeiten, mit digitalen Medien umzugehen, als eher gering ein, lediglich 5% sind anderer Auffassung. Daran anknüpfend zeigt die Art des digitalen Medieneinsatzes durch die KL nur mäßiges Entgegenkommen in jenen Nutzungsbereichen, in denen TN ihre Fähigkeiten tendenziell sehr gut bis gut bewerten (s.o.).

Auf Ebene der qualitativen Untersuchung wird bezüglich der möglichen Stärkung der Selbstwirksamkeit von TN deutlich der Einfluss von Leistungserfolgen durch KL hervorgehoben. Hierfür werden niedrigschwellige Angebote zum digitalen Lernen als Möglichkeit genannt. Denn manche TN haben so wenig Zutrauen in die eigenen Fähigkeiten, dass sie den Kurs meiden, wenn sie sehen, dass mit digitalen Medien gearbeitet wird, so dass beispielsweise „ein Mann hier war, den haben die Rechner abgeschreckt, da konnten wir machen, was wir wollten […] und dann war der auf und davon und kam nie wieder“ (KL 3). Als selbstwirksam erfahren sich TN den Aussagen der KL zufolge, wenn Ziele erreichbar sind und Erfolge spürbar gemacht werden. Erfolgserlebnisse sind wichtig, um positive Gefühlsregungen zu erzeugen und ebenso das eigene Zutrauen zu stärken, denn „jedes Erfolgserlebnis macht einen ja irgendwie glücklich und dann ist man stolz und das sind ja Sachen, die sich irgendwie positiv einbrennen ins Gedächtnis und motivieren, weiter zu lernen“ (KL 4). Von KL außerdem hervorgehoben werden Apps zum Lernen, die für Erfolge sorgen und gegenüber der Schreibarbeit auf Papier als angenehme Abwechslung wahrgenommen werden. Zudem wird betont, dass Formen der Belohnung und des Wettbewerbs zum Weiterlernen auf Lernplattformen anspornen, denn „da können sie dann eben ihr Wissen nochmal abklopfen und nochmal testen. Wenn da natürlich dann nachher ein schönes Ergebnis dabei rumkommt, klar motiviert das dann auch“ (KL 6).

Hinsichtlich der Einbindung stellvertretender Erfahrungen als weiterer Wirkfaktor auf die Selbstwirksamkeit erzählt ein Kursleitender von seiner positiven Erfahrung mit Anleiter_innen in Grundbildungsprojekten, die ehemals selbst aus der Reihe der Nicht-Lesenden stammen. Damit verbunden können Berichte aus der Arbeitswelt genutzt werden, um (sich gegenseitig) zu bestärken. Außerdem kann die Beobachtung anderer TN helfen, Zutrauen in die eigenen Fähigkeiten zu gewinnen, da „oftmals Teilnehmer nicht alleine arbeiten wollen. Also, sie wollen zum Beispiel lieber in Gruppen [arbeiten], weil sie sich eben wirklich allein oftmals das nicht zutrauen“ (KL 7).

Des Weiteren haben einige TN anfangs im Umgang mit digitalen Medien Ängste, die entsprechend der Aussagen der KL durch den Wirkfaktor der verbalen Ermutigung aufgelöst werden können. Ein gewisses Maß an Zutrauen sollte vorhanden sein, damit der digitale Medieneinsatz gelingen kann: „Wenn man da positiv rangeht und auch vermittelt, dass es okay ist, wenn sie das noch nicht können. Und dass sie sich nicht schämen müssen“ (KL 4). KL geben außerdem positives Feedback und betonen, „eher die positiven Dinge mal herauszuheben“ (KL 4). Zusammenfassend scheint auf Ebene der TN eine ausreichende Selbstwirksamkeitserwartung im Umgang mit spezifischen Endgeräten gegeben zu sein, sodass davon auszugehen ist, dass bei einem Einsatz dieser Medien mögliche Misserfolgsbefürchtungen und deren negative Auswirkungen auf den Lernerfolg eine untergeordnete Rolle spielen. Kontrastierend hierzu zeigt sich auf Ebene der KL eine verstärkte Defizitorientierung, sie schätzen die Selbstwirksamkeit von Teilnehmenden sehr gering ein.

Diskussion

Um die Forschungsfrage „Wie lässt sich der Digital Taste aus multiplen theoretischen Perspektiven und empirischen Beobachtungen für die pädagogische Praxis in der Grundbildung erschließen?“ zu beantworten, werden im Folgenden die empirischen Ergebnisse der GediG-Studie zu den Auswertungskategorien in Anknüpfung an den vorgestellten Forschungsstand in den Gesamtkontext des entwickelten Theoriemodells eingebettet, um daraus konkrete Schlussfolgerungen für die Praxis abzuleiten.

Bezüglich des Zugangs zu digitalen Medien, als Basis des Digital Taste, bestätigen die Befunde der GediG-Studie die Ergebnisse der LEO-Studie 2018 (Grotlüschen & Buddeberg, 2020) in vielen Teilen und zeigen, dass die Mehrheit der Kursteilnehmenden der A&G einen Zugang zu WLAN und zu einem Smartphone hat und deren digitale Medienausstattung insgesamt in einem breiten Spektrum vorhanden ist. Von einer deutlichen Mehrheit werden Social Media und Videoportale und von einem großen Anteil digitale (Alltags-)Helfer genutzt. Wenn die private Mediennutzung der Kursteilnehmenden und die Art des digitalen Medieneinsatzes in Kursen miteinander verglichen werden, zeigt sich allerdings eine deutliche Diskrepanz beider Realitäten. So sind Computer typische Einsatzgeräte im Kurs, wohingegen den Lernenden geläufige digitale IKT eher selten verwendet wird. Die Art des Zugangs zu digitalen Medien, welche aufgrund der unterprivilegierten Milieuzugehörigkeit (Grotlüschen & Riekmann, 2012) stark durch das tendenziell geringere ökonomische Kapital geprägt ist, bleibt damit innerhalb der Kurse größtenteils unberücksichtigt. Obwohl die Milieuzugehörigkeit der Kursteilnehmenden Aufschluss über die Art der Konstitution des sozialen Kapitals und damit eine Kompensation unterprivilegierter Lebensumstände durch eine digitale Realitätsflucht nahelegt (vgl. z.B. Bauer & Vester, 2015), werden zielgruppenspezifische Präferenzmuster – wie die verstärkte Nutzung von Social Media und digitalen Spielen – in der Praxis kaum nutzbar gemacht. Persönliche Bildungserfahrungen als kulturelles Kapital zeigen sich zwar im Rahmen empirischer Befunde als positive Wirkkomponente auf den Digital Taste in der A&G, wenn sich digitale Medien bereits in der Vergangenheit als probates Hilfsmittel zur Bewältigung von Lese- und Schreibaufgaben zeigten, doch auch in diesem Zusammenhang bestätigen die quantitativen Daten eine seltene Anwendung von Lese- und Schreibtools in Kursen und attestieren damit erneut die Passungsproblematik des Habitus- und der Milieuzugehörigkeit gering Literalisierter und der Vermittlung „legitimer“ Praktiken in A&G-Kursen (vgl. z.B. Bremer, 2022). Gleichzeitig zeigen die vorgestellten empirischen Daten, dass die gängigen Einsatzszenarien digitaler Medien in Kursen im Widerspruch zu weiteren empirischen Erkenntnissen stehen, die eine positive Wirkung des Einsatzes von Smartphones und darüber zugänglichen Apps auf das Lernen in der Grundbildung versprechen (Adelore & Ojedeji, 2017; Williams, 2020).

Motive und Ziele der Kursteilnehmenden konnten anhand der qualitativen Daten erschlossen werden. Hierbei bestätigt sich der Zusammenhang soziologischer und psychologischer Perspektiven zur Erschließung des Digital Taste: Die motivationalen Orientierungen hinsichtlich der Art und Weise, wie digitale Medien von Kursteilnehmenden genutzt werden, sind maßgeblich an die Art der Lebensführung gebunden; beispielsweise zeigten sich extrinsische Motive und Ziele tendenziell in Anknüpfung an die Arbeitssuche und die Erleichterung des Alltags, während innere Anreize – als Indikator für implizite Motive – bei Lernanwendungen mit Spielcharakter hervorgehoben wurden. Nach Angaben Kursleitender können individuelle Motive und Ziele insbesondere durch die Gestaltung von Lernangeboten mit Produktorientierung z.B. über Kreativprojekte mit Einsatz einfacher Tools unterstützt werden. Bleibt die Lebenswelt der Lernenden unberücksichtigt und werden beispielsweise innerhalb von Lernplattformen keine motivpassenden Anreize (z.B. gewünschte Lernziele) in Aussicht gestellt, so kann sich der Digital Taste nicht (weiter)entwickeln. Auch zum Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten im Sinne der Selbstwirksamkeit im Umgang mit digitalen Medien – als ein weiteres Merkmal des Digital Taste – können die Daten der GediG-Studie Anhaltspunkte aufzeigen: Eine positive Ausprägung zeigt sich in Bezug auf die am meisten durch Kursteilnehmende zugänglichen und genutzten digitalen Medien, deutlich geringer wird das Vertrauen in das eigene Können im Umgang mit digitaler IKT eingeschätzt, zu welcher die Kursteilnehmenden tendenziell weniger privaten Zugang haben. Werden die ausgewerteten Modellkomponenten als Gesamtbild betrachtet, wird die Relevanz des Digital Taste für die Praxis besonders deutlich.

Relevanz für die Praxis

Zwar wird aus Perspektive der Kursleitenden und Kursteilnehmenden innerhalb der Interviews betont, dass die Selbstwirksamkeit positiv unterstützt werden kann, indem Leistungserfolge beispielsweise durch hilfreiche Tools und verschiedene Belohnungssysteme generiert und dadurch von positiven Gefühlsregungen begleitet werden, doch um dies zu ermöglichen, darf die Diskrepanz zwischen individuellen Lernvoraussetzungen und dem Leistungsanspruch nicht zu groß sein. Werden digitale Geräte und Anwendungen in Kursen eingesetzt, die über keinerlei Anknüpfungspunkte an die Lebenswelt der Lernenden verfügen und zu denen diese keinen privaten Zugang haben, erhöht dies die Wahrscheinlichkeit auf Misserfolgserfahrungen. Erst eine Beseitigung dieser Widersprüchlichkeit macht in Konsequenz auch übrige potenziellen Faktoren der Selbstwirksamkeit wirkungsvoll. So werden aus Perspektive der Kursleitenden stellvertretende Erfahrungen als positiv hervorgehoben, die durch ehemals Nicht-Lesende oder Vorbilder im Kurs repräsentiert werden. Verbale Ermutigungen sollen darüber hinaus auch bei kleinen Erfolgen im Umgang mit digitalen Medien zu einer Steigerung der Selbstwirksamkeit beitragen. Vor dem Hintergrund der Wechselwirkung der analysierten Modellkomponenten können damit folgende Schlussfolgerungen für Kursleitende und Lerntherapeut_innen im Bereich der A&G gezogen werden: Der Zugang zu digitalen Medien durch gering Literalisierte sollte bei der Konzeption von Lernangeboten ebenso berücksichtigt werden, wie deren individuellen Motive und Ziele. Diese Aspekte stehen in Abhängigkeit zur Konstitution des medialen Habitus sowie dem sozialen Milieu der Kursteilnehmenden und schaffen gleichzeitig die Voraussetzung für Erfolgserfahrungen zur Förderung der Selbstwirksamkeit sowie der Entwicklung von Interesse und Lust, mit digitalen Medien umzugehen als kennzeichnende Merkmale des Digital Taste. Hierbei ist für Praktiker_innen wesentlich, die Fähigkeiten der Kursteilnehmenden sowie deren Zutrauen in das eigene Können nicht pauschal als gering zu bewerten, sondern diese Einschätzung vor dem Hintergrund lebensweltspezifischer (digitaler) Anwendungskontexte zu treffen. Für die institutionelle Ebene ergibt sich daraus der Bedarf, dass Lehrende und Lerntherapeut_innen flexibel auf die lebensweltspezifischen Hintergründe der Lernenden eingehen können, Zugang zu entsprechenden Medien bekommen und die Berechtigung einer flexiblen Nutzung haben. Gleichzeitig kann daraus die Herausforderung resultieren, datenschutzkonform zu agieren. Hier böte sich die Möglichkeit, dass sich Lehrende und Lernende gemeinsam mit diesen Herausforderungen auseinandersetzen und diese als Lernanlässe nutzen. Hier zeigt sich ein weiteres Forschungsdesiderat hinsichtlich der Erschließung des Digital Taste der Lehrenden und dessen Relevanz für die Professionalisierung. Denn sowohl für Lehrende als auch Lehrende gilt, dass nur unter Berücksichtigung der auf das Individuum wirkenden Sozialisationsbedingungen der Digital Taste gelingend (weiter-)entwickelt werden kann, in einer digitalen Inklusion mündet und damit das Ziel einer digitalen Grundbildung erreicht.

Limitationen

Zu berücksichtigen gilt, dass die quantitativen Daten einem Zwischenstand der GediG-Studie entsprechen und aufgrund der geringen Stichprobengröße nicht repräsentativ für die Grundgesamtheit gering Literalisierter sind. Ebenso verschaffen die qualitativen Ergebnisse lediglich einen subjektiven Einblick in wenige Kurse. Die vorgestellten Erkenntnisse sind als erste Anhaltspunkte zu werten und können weiterführend Forscher_innen und Praktiker_innen für den Digital Taste als mögliche Gelingensbedingung sensibilisieren. Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, dass der Einsatz digitaler Medien, initiiert durch Kursleitende, vorwiegend aus Lernendenperspektive beleuchtet wird. Nicht abgebildet werden beispielsweise mögliche Gründe für die Ablehnung bestimmter Geräte und Anwendungen in Institutionen sowie damit verbundene datenschutzrechtliche Hürden. Diese Aspekte werden umfassend im Gesamtvorhaben des GediG-Projektes untersucht.

Ausblick und Fazit

An die gewonnenen Erkenntnisse und die Bourdieu'schen Überlegungen anschließend ist davon auszugehen, dass die – durch Wirkmechanismen der Sozialisation entstandenen – Lebenswirklichkeiten von Lehrenden und Lernenden der Grundbildung hinsichtlich der digitalen Mediennutzung in hohem Maße unterschiedlich sind. Dem entgegenwirkend gilt es, pädagogische Ansätze zu erarbeiten, die den Einfluss der Milieuzugehörigkeit sowie die Entwicklungsbedingungen für einen Digital Taste stärker in den Blick nehmen. Beispielsweise könnte dies auf Basis einer weiterführenden Untersuchung zur Eingebundenheit digitaler Praktiken in eine milieuspezifische Alltagslogik (vgl. Pape, 2018) sowie die Einbindung partizipativer Konzepte geschehen. Sozioökonomische Unterschiede könnten abgemildert werden, indem auf Spendenbasis wieder instandgesetzte Geräte beschafft werden, welche den Lernenden nicht nur im Rahmen der Kursdauer, sondern auch weiterhin für den privaten Gebrauch zur Verfügung stehen.

An ihre Grenzen stoßen bildungsinstitutionelle Möglichkeiten allerdings, wenn es um die Bereitstellung des privaten Zugangs zu (schnellem) Internet geht. Hier wird eine Abhängigkeit der Bildungsakteur_innen zu politischen Entscheidungen deutlich, auf welche, mit Verweis auf das deutsche Grundgesetz, hätten gesetzliche Reaktionen folgen können. Damit käme unter anderem das Recht der freien Entfaltung der Persönlichkeit zum Tragen, woraus sich ein Anspruch darauf ergibt, grundlegende Fähigkeiten – darin eingeschlossen Fähigkeiten im Umgang mit digitalen Medien – zu erwerben, die zur Persönlichkeitsentfaltung für ein Leben und eine Teilhabe an der Gesellschaft unerlässlich sind.

Literatur