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Überprüfung der Wirksamkeit eines adaptiven Lern- und Fehlerworttrainings

Published Online:https://doi.org/10.1024/2235-0977/a000394

Abstract

Zusammenfassung.Hintergrund: Das Ziel der vorliegenden Untersuchung war es, die Wirkung eines adaptiven Rechtschreibtrainings zur Verbesserung der Leistung von Kindern mit schwacher Rechtschreibung zu untersuchen. Methoden: Dazu wurden 43 Kinder der vierten Schulstufe mit allgemeiner Rechtschreibleistung unter dem Prozentrang 40 als Stichprobe für die Evaluierung herangezogen. Die Kinder wurden zufällig einer Experimentalgruppe und einer Wartelistengruppe zugeteilt. Die Intervention umfasste einen Zeitraum von sechs Wochen und beinhaltete Papier und Bleistift-Aufgaben sowie Übungen einer speziell entwickelten Trainingssoftware zum Rechtschreibtraining. Anschließend nahmen die Kinder nochmals an einer Rechtschreibtestung teil. Ergebnisse: Die Ergebnisse demonstrieren, dass Kinder, die am Rechtschreibtraining teilnahmen, ihre allgemeine Rechtschreibleistung signifikant steigern konnten. Diskussion: Dieser Befund kann durch die gesteigerten Rechtschreibkompetenzen der Kinder auf morphematischer und orthografischer Ebene erklärt werden und deutet auf einen effizienteren Ansatz im Schriftspracherwerb hin.

Effectiveness of an Adaptive Spelling Training

Abstract.Background: The aim of the present study was to evaluate the effectiveness of an adaptive spelling training in children with comparatively poor spelling abilities. Methods: For this purpose, 43 children showing a general spelling performance below the percentile rank of 40 were included in this study. The children were randomly assigned to an intervention group and a waiting list group. The intervention took place over a time period of six weeks and consisted of paper and pencil tasks as well as a training software. After the intervention, the children were again required to perform the spelling test. Results: The results showed that children, who participated in the spelling training increased their general spelling performance significantly. Discussion: This result can be explained by the children's increased spelling competences on a morphologic and orthographic level and indicates a more efficient approach to correct spelling.

Einleitung

Unsere moderne Wissensgesellschaft setzt heute schriftsprachliche Kompetenzen in einem hohen Ausmaß voraus und jene Menschen, die Probleme im Erwerb der Schriftsprache haben, sind meist mit massiven Nachteilen konfrontiert. Oftmals beginnen die Probleme mit Schuleintritt und sowohl in schulischer als auch in beruflicher Hinsicht erreichen die Betroffenen nicht das Niveau, das aufgrund ihrer kognitiven Fähigkeiten möglich wäre (Schulte-Körne & Remschmidt, 2003). Eine Studie von Haffner et al. (1998) belegt z.B., dass nur zwei Prozent der Kinder, die von der stärksten Ausprägung dieser Defizite (Stichwort: Lese-Rechtschreibstörung) betroffen sind, ein Abitur ablegen, weil sie trotz ausreichender Intelligenz nur selten weiterführende Schulen besuchen. Die Entwicklung geeigneter Förderprogramme für all jene, die Probleme im Erwerb dieser Kompetenzen haben, stellt deshalb eine wichtige Aufgabe für die Forschung dar.

Zwar ist die Fülle der Fördermaterialien am Markt in diesem Bereich auch für Experten kaum mehr überblickbar, es existieren insgesamt aber dennoch vergleichsweise wenige Förderprogramme, die wissenschaftlich evaluiert wurden. Überblicksdarstellungen zu den Evaluationen finden sich z.B. bei Ise, Engel und Schulte-Körne (2012) sowie Steinbrink und Lachmann (2014) und dem Bundesministerium für Bildung (2016). Insgesamt herrscht in der wissenschaftlichen Literatur ein grundlegender Konsens darüber, dass symptomspezifische Förderprogramme, die direkt am Lesen und Rechtschreiben ansetzen, effektiver als Funktions- oder Wahrnehmungstrainings sind (Schneider, 2017; Suchodoletz, 2006; Ise et al., 2012).

Im Hinblick auf den Verlauf des Schriftspracherwerbs existieren bereits seit längerem unterschiedlich ausdifferenzierte Modellvorstellungen über die Entwicklung des Orthografieerwerbs. Obwohl hier natürlich erhebliche Unterschiede existieren, hat sich insgesamt die Vorstellung durchgesetzt, dass am Beginn der Schreibentwicklung eine Phase steht, die von lautorientierten Schreibungen geprägt ist. Dies zeigt zum Beispiel eine Synopse von acht bekannten Phasenmodellen zum Schriftspracherwerb von Thomé (1999), in der ausnahmslos alle verglichenen Modelle von einer anfänglichen Phase der Lautorientierung ausgehen. Im Anschluss daran folgt eine Entwicklungsstufe, die von der schrittweisen Annäherung an die korrekte Orthografie geprägt ist (Thomé, 1999). Gerade in diesem Bereich liegen aber erhebliche Herausforderungen für die Lernenden, weshalb etwa Moll und Landerl (2010) in Defiziten bei der Produktion orthografisch korrekter Schreibungen ein Kernsymptom der Lese-Rechtschreibstörung sehen. Unterschiedliche Rechtschreibphänomene wie Doppelung, Dehnung oder Schreibungen von Prä- bzw. Suffixen erfordern aufgrund ihrer Komplexität unterschiedliche kognitive Zugangsweisen bzw. Strategien. Als wirksame Ansätze werden etwa bei Galuschka et al. (2020) phonologische, orthografisch-regelbasierte und morphologische Förderansätze beschrieben. Phonologische Ansätze fokussieren dabei meist auf die Kenntnis der Phonem-Graphem-Relationen, orthografische befassen sich mit den Regularitäten der jeweiligen Orthografie, während morphologische Ansätze die Segmentierung in Morpheme sowie die Ableitung von Wortstämmen in den Mittelpunkt der Intervention stellen. Nachdem davon ausgegangen werden kann, dass in der vorliegenden Altersstufe die Phonem-Graphem-Korrespondenzen bereits erlernt wurden, wurden für das verwendete „Adaptive Lern- und Fehlerwortprogramm“ (ALF) folgende Ansätze herangezogen:

Im angesprochenen Bereich der Förderung der orthografisch korrekten Schreibungen gibt es inzwischen einige wissenschaftliche Evidenz dafür, dass bestimmte Förderkomponenten helfen, die Rechtschreibleistung von Kindern zu verbessern (Bundesministerium für Bildung, 2016). In Studien konnte gezeigt werden, dass sich regelgeleitetes Training positiv auf das orthografische Schreiben auswirkt (Faber, 2003). Auch die umfangreichen Evaluationsstudien des „Marburger Rechtschreibtrainings“, in dem Rechtschreibregeln schrittweise geübt und wiederholt wurden, belegen signifikante Verbesserungen der Teilnehmer in der Rechtschreibung (Schulte-Körne, Schäfer, Deimel & Remschmidt, 1997; Schulte-Körne, Deimel & Remschmidt, 1998; Schulte-Körne, Deimel, Hülsmann, Seidler & Remschmidt, 2001; Schulte-Körne, Deimel, & Remschmidt, 2003), weshalb regelgeleitete Trainingsinterventionen als ein evidenzbasierter Ansatz gelten können.

Bei morphematischen Trainings steht hingegen das Segmentieren einzelner Wörter in ihre Grundbausteine (Morpheme) im Mittelpunkt. Corvacho del Toro & Günther Thomé (2021) sehen in morphematischen Rechtschreibkompetenzen etwa einen wichtigen Meilenstein in der Entwicklung des Orthografieerwerbs. Vor allem die Wortstammkonstanz spielt eine wichtige Rolle für viele orthografische Phänomene im Deutschen (z.B. bei der Ableitung von <a> zu <ä> in <halten> und <hält>). Genauso berührt die Morphemkonstanz „die Markierung der Vokallänge mit <ah, uh, eh, üh> u.a. und der Vokalkürze mit <pp, ck, tt, mm, tz> u.a., indem sie diese Markierung auf abgeleitete Wörter überträgt“ (Corvacho del Toro & Thomé, 2021, p. 175). Da in diesem Bereich eine Vielzahl von Rechtschreibphänomenen betroffen ist, hat sich dieser Ansatz ebenfalls als ergiebig erwiesen. Arnbak und Elbro (2000) trainierten z.B. mit guten Ergebnissen die Morphembewusstheit von LRS-Kindern in einem neunstündigen Förderprogramm. Auch die Evaluationen zum computergestützten Förderprogramm MORPHEUS (Kargl & Purgstaller, 2010) weisen nach, dass sich die Rechtschreibleistungen nach dem Training signifikant verbessert haben (Kargl, Purgstaller, Weiss & Fink, 2008, Schneeberger et al. 2011) und selbst auf neuronaler Ebene konnte hier die Wirksamkeit der Intervention nachgewiesen werden (Gebauer et al. 2012a, Gebauer et al. 2012b, Gebauer et al. 2012c, Weiss, Grabner, Kargl, Purgstaller & Fink, 2010).

Die Gliederung von Wörtern in Silben wird häufig für Lesetrainings oder auch für die Ebene des lautorientierten Schreibens eingesetzt. Im Hinblick auf die Wirksamkeit bei Interventionen, die auf orthografische Schreibungen abzielen, gibt es eher weniger Evidenz. Hier wurden die größten Trainingserfolge vor allem im Bereich der Konsonantenverdopplung gefunden (Bundesministerium für Bildung, 2016). Für die Wirksamkeit eines Trainings von Reimsegmenten existieren zurzeit nur indirekte Belege in Form einer Längsschnittstudie von Wimmer, Landerl und Schneider (1994), in der die Reimbewusstheit als Prädiktor für die Rechtschreibleistung in höheren Klassen nachgewiesen werden konnte.

Insgesamt erscheint es außerdem naheliegend, dass eine Förderung auch möglichst genau an die individuellen Fehler der einzelnen Betroffenen angepasst werden sollte. Ein gängiges Konzept stellt in diesem Zusammenhang die Übungsmethode einer Fehlerwörterkartei dar. Dabei werden Fehlerwörter (z.B. aus Aufsätzen) in korrekter Schreibung auf Karteikarten geschrieben und in eine Kartei mit mehreren Abschnitten gegeben. Je nachdem, ob ein Wort richtig oder falsch geschrieben wurde, wandert das Kärtchen in einen anderen Abschnitt der Kartei. Wird ein Wort entsprechend oft richtig verschriftlicht, so gilt es als gelernt und kann aus der Kartei genommen werden. Vereinfacht gesagt, passt sich auf diese Weise der Übungswortschatz sozusagen an die Schwierigkeiten der Kinder an. Die Wirksamkeit dieses Übungsprinzips wurde auch schon empirisch für eine computergestützte Variante belegt (Murjahn, Latoska & Borg-Laufs, 2005) und wird z.B. auch im SLRT (Moll & Landerl, 2010) als Fördermaßnahme zum orthografischen Schreiben empfohlen.

Noch präziser an die einzelnen Fehlerwörter angepasst wurde die Förderung mit Hilfe einer qualitativen Fehlerwortanalyse in einer Studie von Corvacho del Toro (2016). Hier wurden die Fehlerwörter der einzelnen Probanden und Probandinnen gesammelt und nach Rechtschreibkategorien analysiert. Das Training wurde nach den Kriterien dieser Analyse durchgeführt und führte zu einer signifikanten Verbesserung der Rechtschreibleistung.

Adaptives Lern- und Fehlerworttraining

In der hier vorliegenden Studie wurden nun diese unterschiedlichen Förderansätze zu einem stark individualisierten Trainingsprogramm verdichtet. Dabei stehen vor allem folgende evidenzbasierte Ansätze im Mittelpunkt: individueller Fehlerwortschatz, qualitative Analyse der Falschschreibungen, Regelorientierung, Segmentierung in Morpheme und Analogiebildung.

In einem ersten Schritt werden dabei Falschschreibungen der einzelnen Probanden und Probandinnen gesammelt. Dies geschieht auf zweierlei Weise. Zum einen werden die individuellen Falschschreibungen aus den einzelnen Texten der Probanden und Probandinnen herangezogen. Zum anderen wird den Teilnehmern in einem Computerprogramm eine Wortliste von rund 200 besonders häufig falsch geschriebenen Wörtern in Lückensätzen angesagt. Das PC-Programm wertet direkt aus, welche der Wörter falsch geschrieben werden und so erhält man weitere individualisierte Fehlerwörter. Die Liste der fehlerträchtigen Wörter geht auf eine Untersuchung von Menzel (1985) zurück. Dieser hatte in einer Analyse von ca. 2000 Aufsätzen von Schülern und Schülerinnen herausgefunden, dass ca. 20 Prozent aller Falschschreibungen auf lediglich 100 Wörter und zusätzliche zehn Prozent der Fehler auf weitere 200 Wörter entfielen. Es liegt also nahe, dass ein Training dieser Wörter besonders effektiv ist.

Ausgehend von diesem individualisierten Wortschatz werden im Verlauf des Trainings die einzelnen Wörter auf unterschiedlichen Ebenen gemeinsam mit den Probanden und Probandinnen analysiert und trainiert. Die erste Ebene stellt dabei die morphematische Analyse dar. In einem speziellen Arbeitsblatt wird das Wort in richtiger Schreibung eingetragen und in seine einzelnen Morpheme zerlegt. Nun stellt sich die Frage, ob der Fehler im Präfix, Suffix oder im Wortstamm zu finden ist. Findet sich dieser im Präfix oder Suffix, so handelt es sich um ein eher überschaubares Morpheminventar. Wenn z.B. das Präfix {vor} mit <f> verschriftlicht wurde, empfiehlt es sich Ableitungen mit dieser Vorsilbe zu bilden (z.B. vorstellen, vorwerfen, …). Ähnliches gilt für die Schreibung von Suffixen. Bei der Falschschreibung der Verbendung {ieren}, sollten demnach Verben mit dieser Endung gesucht werden (z.B. probieren, spionieren, …). Sollte der Schreibfehler im Wortstamm anzutreffen sein (z.B. <ziet> statt <zieht>), liegt eine Generalisierung auf die Wortfamilie (anziehen, erziehen, Beziehung, …) nahe. Im Folgenden wird diese Vorgehensweise an einem Beispiel verdeutlicht:

Die Fehlschreibung aus Abbildung 1 wird also in die drei Morpheme {ver} (Präfix), {steck} (Wortstamm) und die Flexionsendung {t} (Suffix) untergliedert. Die Analyse zeigt zunächst einen Fehler im Präfix (<fer> statt <ver>). Aus diesem Grund wird gemeinsam mit dem Probanden oder der Probandin erarbeitet, dass die Vorsilbe {ver} konstant mit <v> verschriftlicht wird. Im Anschluss daran werden weitere Beispiele gesucht (verlassen, vergeben, verstehen, verbrauchen …) und ebenfalls morphematisch analysiert. Die zweite Abweichung findet sich im Wortstamm (<stek> statt <steck>). Nachdem Wortstämme im Deutschen weitestgehend konstant geschrieben werden, wird die Schreibung auf weitere Mitglieder der Wortfamilie generalisiert (Versteck, stecken, Besteck, anstecken, …).

Für Fehler im Wortstamm kann außerdem auf die Regelebene zugegriffen werden. Hier können mithilfe von Arbeitsblättern Rechtschreibmarker (Doppelkonsonanten inkl. <ck> und <tz>, Dehnungszeichen wie <ie> und <h>, …) visualisiert und Rechtschreibmuster und Regularitäten dargestellt werden. Die Schreibung unseres Beispielworts <versteckt> folgt auf der Regelebene dem Schema <ck> nach einem Kurzvokal. Dieses Schema wird ebenfalls erarbeitet, und gemeinsam sucht man weitere Beispiele, die dieser Regel folgen (z.B. Strecke, Fleck, Ecke, Zweck, dreckig, …). Mithilfe von Arbeitsblättern wird die Rechtschreibregel auch in den neu gefundenen Beispielwörtern analysiert und visualisiert.

Abbildung 1 Fehlschreibung des Wortes „versteckt“ als Grundlage für die Übungsparadigmen des adaptiven Fehlerworttrainings.
Abbildung 2 Qualitative Analyseebenen zur Erstellung des Übungswortschatzes.

Auf der Ebene der Analogien und Reime kommen abschließend noch Reimwörter dazu, wobei darauf geachtet werden muss, dass die Rechtschreibung mit dem Fehlerwort deckungsgleich ist (z.B. streckt, schmeckt, weckt, deckt, …). Ausnahmen, die entweder vom Regelparadigma abweichen oder sich zwar reimen, aber unterschiedlich verschriftlicht werden, sollten nicht Eingang in den Übungswortschatz finden, weil sie Kinder zu einer falschen Analogiebildung verleiten könnten. Für den hier angeführten Wortstamm gilt z.B. /Versteck/ reimt sich auf /weg/. Trotzdem eignet sich das Wortpaar nicht als Analogie, weil die Schreibung nicht deckungsgleich ist.

Die auf diese Weise gebildeten Wörter bilden nun den grundlegenden Übungswortschatz, der dadurch passgenau auf die individuellen Fehler der Betroffenen abgestimmt ist. Würde im selben Wort ein anderer Fehler auftreten, wie z.B. die Schreibung des /ʃt/ mit <scht>, so würde man zusätzlich Wörter nach diesem Paradigma integrieren (z.B. strecken, stehen, streiten, Streit, …). Damit wäre also auch der Übungswortschatz ein anderer und mit ihm die Rechtschreibparadigmen, die abgearbeitet werden. Weil sich somit das gesamte Training recht präzise an die Defizite der Lernenden anpasst, wurde dafür die Bezeichnung „Adaptives Lern- und Fehlerwortprogramm“ gewählt.

Im nächsten Schritt werden die Wörter in ein Computerprogramm eingetragen, das schließlich mithilfe dieses Wortschatzes abwechslungsreiche Computerspiele generiert und es zusätzlich erlaubt, individualisierte Arbeitsblätter auszudrucken. Durch die Vielzahl von PC-Übungen und Arbeitsblättern wird sichergestellt, dass die Schreibungen oft genug wiederholt werden.

Zielsetzungen der vorliegenden Arbeit

Die zentrale Fragestellung der vorliegenden Arbeit ist es, zunächst zu überprüfen, inwieweit der beschriebene Förderansatz geeignet ist, die Rechtschreibleistung von Kindern mit Problemen im Orthografieerwerb zu verbessern.

  1. 1.
    Die grundlegende Hypothese geht davon aus, dass die Trainingsintervention zur Verbesserung der allgemeinen Rechtschreibleistung führt.
  2. 2.
    Darüber hinaus sollten vor allem orthografische bzw. morphematische Rechtschreibstrategien effizienter verwendet werden. Erwartet wird also, dass speziell orthografische und morphematische Schreibungen von dieser Verbesserung betroffen sind.
  3. 3.
    Umgekehrt bildet das lautorientierte Schreiben keinen Trainingsschwerpunkt, weshalb auch keine nennenswerten Zuwächse in diesem Bereich durch die Intervention erwartet werden.

Methoden

Bei der vorliegenden Untersuchung handelt es sich um eine Längsschnittstudie, bei der Schülerinnen und Schülern der 4. Schulstufe das oben beschriebene adaptive Fehlerworttraining vorgegeben wurde. Die Ergebnisse des Trainings wurden mithilfe einer Prä- und Posttestuntersuchung ermittelt.

Beschreibung der Stichprobe

Insgesamt nahmen 43 Schülerinnen und Schüler der 4. Schulstufe (25 Jungen und 18 Mädchen) aus Volksschulen im Großraum Graz (Österreich) teil. Ausgewählt wurden nur Kinder mit schwächerer Rechtschreibleistung, wobei als Kriterium dafür ein Prozentrang von unter 40 in der allgemeinen Rechtschreibleistung (Anzahl der richtig geschriebenen Wörter) im Prätest festgelegt wurde. Ausschlusskriterien für die Teilnahme an der Untersuchung waren das Vorliegen von motorischen Beeinträchtigungen, mangelnde Deutschkenntnisse und sozialpädagogischer Förderbedarf. Die Zuteilung der Kinder zur Experimental- und Wartelistengruppe erfolgte per Zufall. In Hinblick auf Stichprobenumfang, Geschlechterverhältnis und Muttersprache lassen sich die beiden Gruppen gut miteinander vergleichen.

Untersuchungsmaterialien

Rechtschreibtest

Zur Überprüfung der allgemeinen Rechtschreibleistung wurde der Förderdiagnostische Rechtschreibtest für die Schulstufen 4 bis 7 (Kargl, 2021) verwendet, welcher als Papier- und Bleistifttest vorliegt. Der Test eignet sich sowohl für die Durchführung in Einzel- als auch in Gruppensettings und liegt in zwei Formen vor. Für die vorliegende Untersuchung wurde den Kindern die Testform B vorgegeben, welche 33 Wörter umfasst, die bei einem Diktat in Lückensätze eingetragen werden. Auf quantitativer Ebene kann hier die allgemeine Rechtschreibleistung durch die Anzahl der richtig geschriebenen Wörter erhoben werden und qualitativ können Rückschlüsse auf individuelle Fehlerschwerpunkte gezogen werden. Dies wird durch drei Bereiche verdeutlicht. Der Bereich der lautlichen Fehler gibt an, ob die Kinder in der Lage sind, lautorientiert zu schreiben bzw. Wörter ihrer Aussprache gemäß zu verschriftlichen. In diesen Bereich fallen Schreibungen, die nicht dem Wortklang entsprechen (z.B. <Sträke> statt <Stärke>). Kein lautlicher Fehler ergibt sich, wenn die Grapheme den Wortklang abbilden (z.B. <Schterke>). Moll und Landerl (2010 haben schon betont, dass selbst umgangssprachliche Versionen der Testwörter keine lautlichen Fehler darstellen, solange die Aussprache in Grapheme übersetzt wurde. Der orthographische Bereich umfasst wichtige Rechtschreibmarker wie etwa die Doppelkonsonanten inklusive <tz>/<ck> (z.B. <Wasserfäle> statt <Wasserfälle>), Schreibvarianten mit <s>/<ss>/<ß> (z.B. <pasiert> statt <passiert>) sowie die Dehnungszeichen <h>/<ie> (z.B. <gefärlich> statt <gefährlich>). Der Bereich der morphematischen Schreibungen beinhaltet Präfixe wie z.B. {ver}/{vor}, Suffixe wie {en}/{ieren}, Doppelkonsonanten an der Morphemgrenze sowie Schreibungen mit Umlaut <ä>, die von einem Wortstamm mit <a> abgeleitet werden. Prä- und Suffixe sollten dabei als morphematische Einheit erkannt werden, denn Versuche, diese mit einer lautorientierten Schreibstrategie zu verschriftlichen, führen häufig zu Falschschreibung wie z.B. <ferzählt> statt <verzählt>, <Uhrzeiga> statt <Uhrzeiger>, <abbrechn> statt <abbrechen>. Genuin morphematisch sind die Ableitung von Wörtern mit <ä> von einem Wortstamm mit <a> (z.B. <stark>/<Stärke> vs. <Sterke>) sowie die Doppelung von Konsonanten an der Morphemgrenze. Die Konsonantenverdoppelung resultiert daraus, dass zwei Selbstlaute an der Nahtstelle zwischen zwei Morphemen zusammenstoßen (z.B. <Fahrad> statt <Fahrrad>). Die einzelnen Teilbereiche können im Anschluss mit unterschiedlichen Förderstrategien (Regelparadigmen, Morphemsegmentierung, Generalisierung auf die Wortfamilie, usw.) bearbeitet werden.

Das Testverfahren ist für die 4. bis 7. Klasse für alle gängigen Schulformen sowie für Kinder nicht deutscher Muttersprache normiert, wobei die Auswertung entweder händisch oder mit einem PC-Programm erfolgt.

Trainingsmaterial

Das in der Untersuchung verwendete adaptive Lern- und Fehlerworttraining wurde vom Lese-Rechtschreib-Institut Graz entwickelt. Durch die Analyse und Verwendung von individuellen Fehlerwörtern passt sich das Training adaptiv an die Rechtschreibprobleme jedes einzelnen Lernenden an. Das Training beinhaltet sowohl Papier- und Bleistiftaufgaben als auch Aufgaben am Computer.

Übungsblätter

Die Übungen im Papier- und Bleistiftformat wurden den Kindern sowohl als Handouts zur Bearbeitung während des Trainings als auch als Hausaufgaben zur Verfügung gestellt. Zu Beginn wurden die grundlegenden Begriffe (z.B. Nomen, Verb, Adjektiv, Präfix, Wortstamm, Suffix, Vokal, Konsonant …) und Strategien (Morphemsegmentierung, Reim- und Analogiebildung, Generalisierung auf die Wortfamilie …) erarbeitet.

Darauf aufbauend wurden auf Grundlage der analysierten Falschschreibungen für jedes Kind individuelle Unterlagen erstellt. Die Basis der Aufgaben bildeten die falsch geschriebenen Morpheme in den Fehlerwörtern. Diese wurden auf den drei Ebenen Morphematik sowie Regel- und Analogiebildung bearbeitet. In den so entstandenen Arbeitsblättern geht es unter anderem um Wortartenbestimmung, Deklinations- und Flexionsendungen sowie die automatisierte Erfassung von Regelparadigmen.

Übungssoftware

Durch das PC-Programm hatten die Kinder die Möglichkeit, ihre Fehlerwörter in verschiedenen Übungen und Spielen zu bearbeiten. Die individuellen Fehlerwörter wurden in das Programm eingetragen. Dieses erlaubt es, Fehlerwörter abzuspeichern und somit diese in unterschiedlichen Übungen zu bearbeiten.

Zusätzlich wurden Wörter aus dem Pool der häufigsten Fehlerwörter der deutschen Sprache (Menzel, 1985) geübt. Dafür wurde den Kindern ein Lückensatz vorgegeben, in den das zu schreibende Wort eingetragen werden musste. Die Fehlschreibungen werden vom Programm erkannt und sobald acht solcher Fehlerwörter zur Verfügung stehen, können diverse Aufgaben zu diesen Wörtern bearbeitet werden.

Untersuchungsplan

Für die vorliegende Untersuchung wurde ein Prätest – Training – Posttest Design verwendet, um die Effektivität des neu entwickelten Rechtschreibtrainings zu überprüfen. Am Training nahmen Kinder mit schwacher Rechtschreibleistung teil, die mittels eines Rechtschreibscreenings im Rahmen einer Vortestung ermittelt wurden. Neben der Experimentalgruppe, die am adaptiven Fehlerworttraining teilnahm, gab es auch eine Wartelistengruppe, die zwischen den beiden Messzeitpunkten keine Intervention erhielt. Die Zuteilung zu den beiden Gruppen erfolgte zufällig. Die Intervention in Form des adaptiven Fehlerworttrainings erstreckte sich über einen Zeitraum von sechs Wochen, die Gruppensitzungen dauerten jeweils 100 Minuten und fanden in der Zeit von Dezember 2017 bis März 2018 statt. Im Anschluss fand eine Nachtestung der Rechtschreibleistung statt.

Ergebnisse

Zur Überprüfung der Effektivität des Trainings wurden getrennt für die Anzahl der richtig geschriebenen Wörter (allgemeine Rechtschreibleistung im FDRT), die lautorientierte Schreibung sowie für die orthografischen und morphematischen Bereiche zweifaktorielle Varianzanalysen mit Messwiederholung (zwei Zeitpunkte: Prätest und Posttest; zwei Gruppen: Trainingsgruppe und Wartekontrollgruppe) durchgeführt.

Im Hinblick auf die allgemeine Rechtschreibleistung erreichte die relevante Interaktion zwischen Zeitpunkt und Gruppe statistische Signifikanz (F 1,41 = 13.10, p = .001, ƞ 2p = .24). Auch die Haupteffekte Zeitpunkt (F 1,41 = 61.28, p < .001, ƞ 2p = .60) und Gruppe (F 1,41 = 4.66, p = .037, ƞ 2p = .10) waren signifikant. Nachfolgende t-Tests getrennt für beide Gruppen ergaben zwar in beiden Gruppen signifikante Verbesserungen vom Prätest zum Posttest (siehe Abbildung 3), allerdings fällt die Verbesserung in der Trainingsgruppe (t(20) = –7.45, p < .001) deutlicher als in der Wartegruppe aus (t(21) = –3.26, p = .004).

Abbildung 3 Veränderung der allgemeinen Rechtschreibleistung (richtig geschriebene Wörter im FDRT) im Prä- und Posttest für die Trainings- und Wartekontrollgruppe. Fehlerbalken: + /– 1 SE.

Die Analysen für die lautorientierte Schreibung ergaben nur einen signifikanten Haupteffekt Zeitpunkt (F 1,41 = 10.52, p = .002, ƞ 2p = .20), mit einer Verbesserung der lautorientierten Schreibung in beiden Gruppen.

Im Bereich der orthografischen Schreibungen (siehe Abbildung 4) konnte wiederum eine signifikante Interaktion zwischen Zeitpunkt und Gruppe beobachtet werden (F 1,41 = 4.23, p = .046, ƞ 2p = .09), neben einem signifikanten Haupteffekt Zeitpunkt (F 1,41 = 23.08, p < .001, ƞ 2p = .36). Nachfolgende t-Tests ergaben nur in der Trainingsgruppe (t(20) = –5.64, p < .001), nicht aber in der Wartekontrollgruppe statistische Signifikanz (t(21) = –1.75, p = .095).

Abbildung 4 Veränderung der orthografischen Strategie vom Prä- zum Posttest für die Trainings- und Wartekontrollgruppe. Fehlerbalken: + /– 1 SE.

Auch im Bereich der morphematischen Schreibungen erreichte die Interaktion zwischen Zeitpunkt und Gruppe Signifikanz (F 1,41 = 16.50, p < .001, ƞ 2p = .29), neben signifikanten Haupteffekten für den Zeitpunkt (F 1,41 = 107.36, p < .001, ƞ 2p = .72) und die Gruppe (F 1,41 = 9.10, p = .004, ƞ 2p = .18). Abbildung 5 zeigt vor allem in der Trainingsgruppe einen deutlichen Zuwachs im Bereich der morphematischen Schreibungen, auch wenn die Veränderungen vom Prä- zum Posttest in beiden Gruppen statistische Signifikanz erreichen (Trainingsgruppe: (t(20) = –13.61, p < .001; Wartegruppe: (t(21) = –3.77, p = .001).

Abbildung 5 Veränderung der morphematischen Strategie vom Prä- zum Posttest für die Trainings- und Wartekontrollgruppe. Fehlerbalken: + /– 1 SE.

Diskussion

In der vorliegenden Arbeit wurde das Ziel verfolgt, durch ein stark individualisiertes Lern- und Fehlerworttraining die Rechtschreibleistung von Kindern mit Problemen im Schriftspracherwerb zu verbessern. Bei der Erstellung dieses Trainings wurden vorliegende evidenzbasierte Trainingsprinzipien in diesem Bereich zu einem eigenen Förderansatz zusammengestellt, der sich durch die Verwendung von individuellen Fehlerwörtern adaptiv an die Rechtschreibprobleme der Kinder anpasst.

Die Überprüfung der Effektivität dieses Förderansatzes ergibt ein sehr klares Bild: Sowohl im Hinblick auf die allgemeine Rechtschreibleistung als auch im Hinblick auf die orthografische sowie morphematische Rechtschreibstrategie konnten statistisch signifikante Trainingseffekte beobachtet werden. In diesen Bereichen zeigten Kinder, die das Training absolvierten, starke Verbesserungen, während dies in der untrainierten Kontrollgruppe nicht bzw. in einem viel geringeren Ausmaß der Fall war. Für die allgemeine Rechtschreibleistung sowie für die morphematischen Schreibungen fallen diese Effekte besonders stark aus (partielles Eta2 von .24 sowie .29), was angesichts des vergleichsweise kurzen Trainingszeitraums von sechs Wochen als sehr bedeutsam einzustufen ist.

Ebenso im Einklang mit den Erwartungen ergaben die Analysen für die lautorientierte Schreibung nur einen signifikanten Effekt des Testzeitpunkts (mit einer generellen Verbesserung der lautorientierten Schreibung in beiden Gruppen), was auf einen allgemeinen Übungseffekt hindeuten dürfte. Da das lautorientierte Schreiben keinen eigenen Trainingsschwerpunkt bildete, wurden hier auch keine nennenswerten Zuwächse durch das Training erwartet. Dieser Befund kann somit auch als Ausdruck der Spezifität des Förderansatzes interpretiert werden. Dadurch lassen sich auch Implikationen auf die Praxis ziehen, inwieweit ein adaptives und morphembasiertes Rechtschreibtraining ein effizientes und ökonomisches Vorgehen auch im Regelunterricht erlaubt.

Limitationen

Auch wenn in dieser Studie erfolgreich gezeigt werden konnte, dass mit dem hier vorgestellten adaptiven Lern- und Fehlerworttraining ein sehr effektiver Förderansatz zur Verbesserung der Rechtschreibleistung von Kindern vorliegt, so wirft diese Studie auch neue Fragen auf. Dabei sind vor allem Fragen rund um die Nachhaltigkeit der Trainingserfolge sowie Fragen bezüglich allfälliger Transfereffekte auf andere schulische Leistungen für weiterführende Forschungsarbeiten in diesem Bereich von besonderer Relevanz. Nicht zuletzt aufgrund der Kosten- bzw. Ressourcenökonomie stellt sich für die Praxis die Frage, wie lange und in welcher Intensität eine Förderung erfolgen muss, damit sich die angestrebten Lernerfolge im Idealfall auch nachhaltig über einen längeren Zeitraum zeigen. Solche Ursache-Wirkungsbeziehungen erfordern längsschnittlich orientierte Forschungsdesigns, die trainingsinduzierte Verbesserungen der Rechtschreibleistungen der Kinder über einen längeren Zeitraum verfolgen. Hier wäre es in Zukunft auch sehr wertvoll beurteilen zu können, ob bzw. in welchem Ausmaß sich Förderansätze im Bereich des Schriftspracherwerbs auch auf andere Lern- bzw. Schulleistungen förderlich auswirken. Außerdem wäre eine größere Zahl an Probanden und Probandinnen sowie eine Erweiterung auf andere Altersstufen notwendig, um die Effekte des adaptiven Trainings besser einordnen zu können. Insgesamt hoffen wir, mit dem hier vorgestellten Förderansatz einen wichtigen Beitrag zur evidenzbasierten, individuellen Förderung von Kindern mit Problemen im Schriftspracherwerb zu leisten.

Relevanz für die Praxis

Schon seit einiger Zeit gelten adaptive Ansätze als vielversprechend in der Förderung der Rechtschreibkompetenzen. Diese Ansätze ermöglichen es, den Fokus stärker auf Faktoren wie Lernökonomie und Individualisierung zu legen. Dennoch wissen wir im deutschsprachigen Raum noch wenig über die genauen Zusammenhänge.

In dieser Studie, die auf die Verbesserung der Rechtschreibleistung abzielt, wurde kein standardisierter Grundwortschatz trainiert, sondern es wurde ein Fokus auf die individuellen Falschschreibungen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer gelegt. Die Zugangsweise basiert also auf einem individuellen Fehlerwortschatz, auf qualitativer Analyse der Fehlerwörter sowie auf Segmentierung in Morpheme und Analogiebildung. Legt man die Ergebnisse unserer Studie zugrunde, wäre eine stärkere Einbeziehung von individuellen Fehlerwortschätzen in den Regelunterricht wünschenswert. Dies sollte zu einer stärkeren Binnendifferenzierung im Unterricht führen und ein ökonomisches Lernen ermöglichen, welches auf die individuellen Stärken und Schwächen der Lernenden abzielt. Die praktische Umsetzbarkeit dieser Individualisierung kann unter anderem auch in größeren Gruppen durch ein gezielt adaptives Verfahren ermöglicht werden. Vermehrt sollten auch Übungen zur Segmentierung in Morpheme implementiert werden, welche es ermöglichen, die wichtigsten Schreibungen relativ rasch zu automatisieren. Dabei sollten nicht nur auf Prä- und Suffixe, sondern vor allem auch auf die Wortstämme abgezielt werden, welche sehr häufig die Rechtschreibschwierigkeiten beinhalten. Für Lernende mit Lese-Rechtschreibschwäche wäre ein adaptiver Lernzugang möglich, indem sie ihren Fokus auf ihre individuellen Fehlerwörter richten können. Außerdem wäre die stärkere Einbeziehung morphematischer Kompetenzen in den Regelunterricht wünschenswert. Zur Kombination morphematischer Übungstools mit adaptiven Verfahren, die sehr erfolgversprechend aussieht, besteht jedenfalls noch größerer Forschungsbedarf.

Wir bedanken uns bei Lehrerinnen und Lehrern sowie den teilnehmenden Schülerinnen und Schülern der PVS Dobl bei Graz und der Volksschule Judendorf-Straßengel für die engagierte Mitarbeit und die Teilnahme an der Untersuchung.

Literatur