TBS-TK Rezension
FRAKIS Fragebogen zur frühkindlichen Sprachentwicklung. FRAKIS (Standardform) und FRAKIS-K (Kurzform)
Allgemeine Informationen über den Test, Beschreibung des Tests und seiner diagnostischen Zielsetzung
Die folgende Rezension bezieht sich auf die im Manual und im Verlagstext formulierte Testabsicht einer Diagnostik von frühen Sprachstörungen. Wenngleich die Autoren an anderer Stelle betonen, dass es nicht die Absicht von FRAKIS ist, „sichere Aussagen zu deutlichen Auffälligkeiten” zu machen, entsteht durch die Anwendungsempfehlungen (Vorsorgeuntersuchungen, Frühdiagnostik, Forschungszwecke) und die Normberechnung ein deutlicher Eindruck von FRAKIS als Testverfahren.
FRAKIS sowie seine Kurzform FRAKIS-K sollen den Sprachstand bei deutschsprachigen Kindern im Alter von 18 bis 30 Monaten erfassen. Dies erfolgt anhand der Beurteilung des Wortschatzes, der Flexionsmorphologie und der Satzkomplexität durch die Eltern. FRAKIS enthält im Wortschatzteil 600 Wörter aus 22 semantischen Feldern. Im Grammatikteil wird mit insgesamt 42 Items erfragt, welche Flexionen das Kind bereits verwendet (Mehrzahlbildung, Verbformen, Genus und Kasus). Die Satzkomplexität besteht aus 32 Items, bei denen die Eltern angeben, welche von zwei möglichen Alternativen das Niveau der Satzbildung ihres Kindes am besten repräsentiert („Kuh da/Kuh ist da”). Das Ausfüllen des Fragebogens dauert in der Langform 15 bis 45 Minuten, in der Kurzform 5 bis 10 Minuten. Die Auswertung erfolgt anhand von Prozenträngen und T-Wert-Spannen in den Bereichen Wortschatz, Flexionsmorphologie und Satzkomplexität. Auf Subskalenebene ist ein Vergleich verschiedener Flexionsparadigmen sowie der Satzlänge mit dem angepassten Altersmittelwert möglich, der Sprachstand wird qualitativ beschrieben. Mit der Kurz- sowie der Langform wird anhand des Wortschatzwertes (PR < 10), fehlender Flexionsbildung und Wortkombinationen eine grobe Orientierung zur Klassifikation als „später Sprecher” möglich.
Theoretische Grundlagen als Ausgangspunkt der Testkonstruktion
Die theoretische Grundlage des Fragebogens ergibt sich aus seiner Nähe zum CDI für amerikanisches Englisch (Fenson, L., Dale, P. S., Reznick, J. S., Thal, D., Bates, E., Hartung, J. P., Pethick, S. & Reilly, J. S. [1993]. The MacArthur Communicative Development Inventories: User’s Guide and Technical Manual. San Diego: Singular Publishing Group). In der Darstellung der Entstehung des Verfahrens findet sich keine ausführliche Beschreibung der theoretischen Grundlagen, es wird der Rückgriff auf naturalistische Daten betont. Ausgangspunkt der Fragebogenentwicklung war die Kritik an bisher vorliegenden Fragebogen (ELFRA, ELAN) zum Sprachstand junger Kinder, die nach Ansicht der Autoren die Variabilität des Spracherwerbs in der Bevölkerung nicht ausreichend und angemessen erfassen. Ihre Schlussfolgerungen ziehen die AutorInnen aus Studien, von denen die genauen Ergebnisse und Stichprobenbeschreibungen im Manual nicht angegeben werden. Die Itemauswahl für den Wortschatztest erfolgte überwiegend in Anlehnung an die amerikanischen CDI. Die übrigen Items wurden im Abgleich mit 170 zweistündigen deutschen Spontansprachstichproben (N = 22, Alter 1;4 bis 2;10) ergänzt. Die Items zur Flexionsmorphologie und Satzkomplexität wurden vollständig aus den benannten Stichproben konstruiert.
Objektivität
FRAKIS ist mit 13 Seiten ein sehr umfangreicher Fragebogen, der ein unbeeinträchtigtes Leseverständnis für die Bearbeitung voraussetzt. FRAKIS-K umfasst nur drei Seiten, die allerdings auch eng bedruckt sind. Im Verfahren werden keine Angaben zur Objektivität gemacht. Die Auswertungs- und Interpretationsobjektivität scheinen durch die ausführlichen Informationen zur Auswertung, die Berechnung von Normwerten sowie die Interpretationsregeln weitestgehend gegeben. Drei Beispiele für Sprachentwicklungsprofile erhöhen die Anschaulichkeit. Das operationalisierte Kriterium zur Klassifikation „später Sprecher” für FRAKIS-K und FRAKIS sensibilisiert für die weitere Verlaufsbeurteilung. Deutliche Einschränkungen bestehen hinsichtlich der Durchführungsobjektivität. Damit ist das Ergebnis zwar unabhängig von der TestleiterIn, nicht aber vom Setting. Zudem fehlen Verfahrenshinweise zum Umgang mit fehlenden Antworten und Angaben, bis zu welcher Anzahl beantworteter Fragen das Ergebnis noch interpretiert werden darf.
Normierung (Eichung)
Für die Normierung wurden die Fragebögen von 1240 Eltern von Kindern im Alter von 18 bis 30 Monaten herangezogen (Rücklaufquote nur 37%). Die Familien stammten vorwiegend aus nord- und westdeutschen Städten. Da die Fragebögen überwiegend von Müttern ausgefüllt wurden, wurde die Schichtzugehörigkeit über die höchste abgeschlossene Schulbildung der Mutter erfasst. In der Normierungsstichprobe sind Mütter mit niedrigem Bildungsabschluss deutlich unterrepräsentiert. Damit ist die Normierungsstichprobe weder von der regionalen Verteilung noch von der sozialen Schicht repräsentativ für Deutschland.
Es werden geschlechtsspezifische Altersnormen als Perzentilspannen oder T-Wert-Spannen für die Hauptskalen angegeben. Die Normen sind aktuell (erhoben zwischen 2005 und 2007). Pro Lebensmonat liegen separate Normen vor, wobei die Stichprobenumfänge der zu normierenden Altersgruppe zwischen 87 und 109 liegen. Dies ist eindeutig als zu gering einzuschätzen, um sichere Aussagen zu deutlichen Auffälligkeiten zu treffen.
Zuverlässigkeit (Reliabilität, Messgenauigkeit)
Es werden Angaben zur internen Konsistenz gemacht (N = 1240). Cronbachs Alpha wird für den Wortschatzteil mit .99 angegeben, für die Satzkomplexität mit .97. Für die Flexionsmorphologie erscheint Cronbachs Alpha nicht sinnvoll, da für die Paradigmen unterschiedliche Erwerbszeitpunkte angenommen werden. Retestreliabilitäten wurden im Abstand von 8 bis 10 Tagen erhoben (N = 57). Sie betrugen .87 für Wortschatz, .95 für Flexionsmorphologie und .94 für Satzkomplexität. Diese unüblich hohen Stabilitätskoeffizienten werden interpretiert als zuverlässige Elternangaben, ohne darauf einzugehen, dass zeitlich derart stabile Elternurteile auch Ausdruck eines Halo-Effekts sein könnten.
Gültigkeit (Validität)
Insgesamt erscheint die Dokumentation der Validierungsstudien unübersichtlich und knapp. Befunde zur Inhaltsvalidität, zur prognostischen oder diskriminanten Validität fehlen. Die Angaben zur Konstruktvalidität beziehen sich auf die Korrelationen der drei Hauptskalen mit der Spontansprache von 59 Kindern. Diese betragen für Wortschatz .83, für Flexionsmorphologie .85 und für Satzkomplexität .82. Die Interpretierbarkeit dieser Werte wird allerdings dadurch eingeschränkt, dass die Eltern in der freien Spielsituation, in der das Sprachverhalten des Kindes beobachtet wurde, offenbar anwesend waren. Das Handbuch weist nicht aus, ob die Einschätzung der Sprachkompetenz mittels FRAKIS vor der Beobachtung des Sprachverhaltens erfolgte oder danach. Möglicherweise waren die Eltern damit für die Sprachkompetenz ihres Kindes sensibilisiert worden und konnten daher genauer Auskunft geben als dies ohne die Beobachtung möglich gewesen wäre. Die hohen Interkorrelationen widersprechen auch den bisherigen Ergebnissen zu elterlichen Urteilen über die kindliche Entwicklung (vgl. Deimann, P., Kastner-Koller, U., Benka, M., Kainz, S. & Schmidt, H. [2005]. Mütter als Entwicklungsdiagnostikerinnen: Der Entwicklungsstand von Kindergartenkindern im Urteil ihrer Mütter. Zeitschrift für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie, 37, 122–134). FRAKIS-K, der aus den trennschärfsten Items von FRAKIS besteht, wurde ausschließlich an FRAKIS validiert, so dass seine Gültigkeit damit ebenfalls fraglich ist.
Weitere Gütekriterien (Störanfälligkeit, Unverfälschbarkeit und Skalierung)
Wie alle Fragebogenverfahren ist auch der FRAKIS grundsätzlich verfälschbar. In den Verfahrenshinweisen wird nicht über Studien zur Simulation und Dissimulation und deren Vermeidung berichtet. Es wird eingangs diskutiert, dass Elterneinschätzungen ein valides Instrument zur Sprachstanderhebung sein können. Der Fragebogen wurde auf der Basis der klassischen Testtheorie konstruiert. Das Kriterium der Skalierung im engeren Sinne ist daher nicht erfüllt. Andere Gütekriterien, die neben den Hauptgütekriterien auch eine Rolle spielen können, werden nicht direkt erwähnt. Zur Testfairness zugeordnet werden kann der Sachverhalt, dass die Normen für bilinguale Kinder, aber auch für Kinder bildungsferner Schichten, in Grenzfällen der Einordnung nicht bzw. nur großzügig anzuwenden sind, wie die Autoren betonen.
Abschlussbewertung/Empfehlung
Das ursprüngliche Anliegen der TestautorInnen, die Variabilität des Sprachstandes junger Kinder bevölkerungsweit zu erheben, wäre eine sinnvolle Ergänzung zu bisherigen Forschungen zur Sprachentwicklung. Umso bedauerlicher ist, dass diese hochrelevante Forschungsidee mit der Konstruktion eines weiteren Elternfragebogens zur Sprachentwicklung vermischt wurde, was letztendlich dazu führte, dass keines der beiden Anliegen zufriedenstellend realisiert werden konnte. Die Erhebung der sprachlichen Fähigkeiten eines Kindes über das Elternurteil ist zwar gerade bei jungen Kindern aus ökonomischen Gründen ein verständlicher Zugang, der für Eltern (insbesondere bei den grammatikalischen Flexionsparadigmen) allerdings eine Überforderung darstellen könnte. Zahlreiche Forschungsergebnisse belegen, dass Elterneinschätzungen kindlicher Entwicklung gerade bei entwicklungsauffälligen Kindern nicht zuverlässig sind (vgl. Willinger, U. [2002]. ELFRA – Elternfragebögen für die Früherkennung von Risikokindern. Zeitschrift für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie, 34, 119–122).
Der Einsatz von FRAKIS erscheint auch aus weiteren Gründen derzeit problematisch. Neben der fehlenden Verbindung der Itemkonstruktion mit den gängigen Theorien der Sprachentwicklung sind hier vor allem die nicht-repräsentative Normierung und die unklare Validität des Verfahrens hervorzuheben. Die einzige berichtete Validitätsuntersuchung steht in keinem Zusammenhang mit dem empfohlenen Einsatz von FRAKIS in der Praxis (nämlich mit 24 und mit 30 Monaten die Vorgabe von FRAKIS-K sowie bei Auffälligkeiten eine Vorgabe von FRAKIS mit 30 und 36 Monaten, Letztgenanntes liegt außerhalb der Normierung). Wenn man annimmt, dass FRAKIS auch zur Identifikation von „späten Sprechern” im Sinne von Risikokindern gedacht ist, sind insbesondere die Fragen nach Sensitivität/Spezifität zu klären. Es ist dann überdies essenziell, prognostische Validierungsstudien durchzuführen, um u.a. das gewählte Kriterium für „späte Sprecher” empirisch zu falsifizieren. Die grafischen Darstellungen der Trennschärfen in Abhängigkeit von den Itemschwierigkeiten getrennt nach Alter geben Hinweise darauf, dass das intendierte Differenzierungsoptimum im unteren Leistungsbereich nur bei den älteren Kindern (ab 27 Monate) erfüllt ist.
Diese Testrezension wurde im Auftrag des Testkuratoriums der Föderation deutscher Psychologenvereinigungen (DGPs und BDP) gemäß den TBS-TK-Richtlinien (Testkuratorium, 2009, 2010) erstellt.
Testinformationen
Szagun, G., Stumper, B. & Schramm, S. A. (2009). FRAKIS Fragebogen zur frühkindlichen Sprachentwicklung. FRAKIS (Standardform) und FRAKIS-K (Kurzform). Frankfurt: Pearson.
Bezugsquelle: Pearson Assessment & Information GmbH, Baseler Str. 35–37, 60329 Frankfurt/M.
Test komplett, 69,55 €. Manual 43,87 €. 10 Frage- und Auswertungsbogen (Standard) 16,06 €. 10 Fragebogen (Kurzform) 9,63 €. (Preise inkl. MWSt.)
Bitte zitieren Sie diesen Artikel wie folgt:
Deimann, P., Kastner-Koller, U., Esser, G. & Hänsch, S. (2010). TBS-TK Rezension: „FRAKIS Fragebogen zur frühkindlichen Sprachentwicklung. FRAKIS (Standardform) und FRAKIS-K (Kurzform)”. Psychologische Rundschau, 61, 169–171.