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TBS-TK Rezensionen

Wechsler Intelligenztest für Erwachsene WIE. Deutschsprachige Bearbeitung und Adaptation des WAIS-III von David Wechsler

Published Online:https://doi.org/10.1026/0033-3042/a000042

Allgemeine Informationen über den Test, Beschreibung des Tests und seiner diagnostischen Zielsetzung

Als deutschsprachige Adaptation der „Wechsler Adult Intelligence Scale III” (WAIS-III) ist der WIE die Nachfolgeversion des Hamburg-Wechsler Intelligenztests für Erwachsene (HAWIE-R) und dient der Untersuchung der kognitiven Fähigkeiten von Erwachsenen im Alter von 16 bis 89 Jahren. Für die Messung der sog. IQ- (Verbal-, Handlungs-, Gesamt-IQ) und Index-Werte (Sprachliches Verständnis, Wahrnehmungsorganisation, Arbeitsgedächtnis, Arbeitsgeschwindigkeit) sind 13 Untertests vorzugeben. Laut Testhandbuch soll in diesem Fall die Durchführung zwischen 65 und 95 Minuten dauern. In der Praxis wird dieser Wert jedoch häufig überschritten. Es gibt keine Parallelformen. Der WIE kann unter anderem zur Diagnostik schwerer Lernstörungen, in der Hochbegabungsdiagnostik und ergänzend bei der Abklärung neuropsychologischer und psychiatrischer Störungen herangezogen werden. Der WIE ist nur als Einzeltest einsetzbar.

Theoretische Grundlagen als Ausgangspunkt der Testkonstruktion

Der WIE und vorherige Testversionen wurden nicht auf Basis eines einschlägigen Intelligenzstrukturmodells konstruiert. Die Intelligenzdefinition von Wechsler (Wechsler, D. [1956].Die Messung der Intelligenz Erwachsener. Bern: Hans Huber) stellt keine hinreichende theoretische Grundlage zur Konkretisierung und genauen Beschreibung der mit dem Test erfassten Fähigkeiten dar. Diese allgemeine Konzeption Wechslers wurde im Rahmen der Testrevision durch neuere Entwicklungen der Intelligenzforschung ergänzt, die sich in der Einführung der Index-Werte für Arbeitsgedächtnis und Arbeitsgeschwindigkeit niederschlagen. Demgegenüber sind die den Index-Werten für Sprachliches Verständnis und Wahrnehmungsorganisation zugrunde liegenden Konstrukte theoretisch nicht hinlänglich beschrieben. Gemeinsamkeiten und Unterschiede des WIE gegenüber anderen Intelligenztests sind somit vor allem durch Vergleich der Aufgabentypen und empirisch möglich.

Objektivität

Das Manual enthält ausführliche und genaue Vorgaben zur Testdurchführung und zu den Rahmenbedingungen. Auch die Testung körperlich oder sprachlich Behinderter wird diskutiert. Die Testleiteraufgaben werden ebenso klar erläutert wie der Umgang mit Nachfragen bei einzelnen Aufgaben. Die Testvorgabe erfordert bei einzelnen Untertests die intensive Interaktion mit dem Testanden. Hier sind Einbußen der Durchführungsobjektivität nicht auszuschließen. Die Auswertungsobjektivität wird insbesondere durch detaillierte Anweisungen bei der Punktvergabe auf Itemebene sehr unterstützt. Bei einzelnen Aufgaben (z.B. Wortschatz-Test) ist der Reaktionsraum der Testanden nicht beschränkt. Bei diesen Aufgaben kann die Auswertungsobjektivität nicht völlig gesichert werden. Für die Berechnung der Gesamtwerte stehen übersichtliche Materialien zur Verfügung. Die Interpretationsobjektivität ist durch die weitgehende Standardisierung der Befunde gegeben, Fallbeschreibungen werden hierfür nicht angeboten.

Normierung (Eichung)

Die Normstichprobe wurde zwischen 1999 und 2005 erhoben (Deutschland:N = 1377, davon 20 Prozent aus den neuen Ländern; Österreich: N = 260; Schweiz: N = 260). Ein Repräsentativitätsanspruch wird nicht erhoben. Die wenigen soziodemografischen Angaben deuten keine extremen Verzerrungen hinsichtlich der Allgemeinbevölkerung an. Die Normstichprobe wird von 16 bis 89 Jahren in 13 Gruppen (meist Intervalle von 5 Jahren) aufgeteilt. Diese sind, abweichend von der Allgemeinbevölkerung, mit rund 140 Personen etwa gleich stark besetzt. Für diese Gruppen werden separat Normtabellen auf Subtestebene angeboten, die aber den Vergleich der Rohwertpunkte über die Lebensspanne hinweg erschweren. Nach Bildungsabschlüssen und Geschlecht stratifizierte Normen würden den Test attraktiver machen, sind aber auf der derzeitigen Datenlage kaum anzubieten.

Zuverlässigkeit (Reliabilität, Messgenauigkeit)

Die Reliabilität wird auf Subtest-Ebene mit der nach Spearman-Brown korrigierten Testhalbierungsmethode (odd-even) geschätzt. Die Reliabilitätschätzungen der IQ- und Indexwerte erfolgen auf dieser Basis. Für den WIE liegen keine Testwiederholungsreliabilitäten vor; es wird auf die Werte der Originalfassung verwiesen. Es fehlen für die diagnostischen Zielsetzungen relevante untergruppenspezifische Reliabilitätsangaben. Die über alle Altersgruppen hinweg bestimmten Reliabilitäten variieren für die Subtests zwischen 0,70 (Bilderordnen) und 0,92 (Matrizen), für die IQ-Werte zwischen 0,94 (Handlungs-IQ) und 0,97 (Gesamt-IQ) und für die Index-Werte zwischen 0,91 (Arbeitsgeschwindigkeit) und 0,95 (sprachliches Verständnis). Die auf Grundlage der Normierungsdaten erhaltenen zufallskritischen Angaben zu verschiedenen Testwertdifferenzen werden in mehreren Tabellen gelistet. Eine gewisse Einschätzung von relativen Stärken bzw. Schwächen in spezifischen Testwerten wird dadurch ermöglicht.

Gültigkeit (Validität)

Dem WIE wird durch Experten abgesicherte Inhaltsvalidität attestiert. Für die Beurteilung der Validität wird auf wenige Fragestellungen fokussiert und ansonsten auf die Befundlage über andere Sprachversionen verwiesen, die jedoch nicht ohne weiteres auf die deutsche Fassung übertragbar ist. Die vorgelegte Validitätsevidenz besteht in umfangreichen Hauptkomponenten- und konfirmatorischen Faktorenanalysen. Letztere zeigen, dass ein Modell mit vier den Index-Werten entsprechenden Faktoren am besten die den Untertests zugrunde liegende faktorielle Struktur repräsentiert. Es fehlen Belege für konvergente und divergente Validität. Als kriteriumsbezogene Validitätsevidenz werden erwartungskonforme Mittelwertsdifferenzen zwischen folgenden Gruppen berichtet: a) verschiedene Schulabschlüsse, b) Lernstörungen (Selbstbericht) vs. Kontrollgruppe, c) verschiedene Hirnschädigungen vs. Kontrollgruppe und d) Major Depression vs. Kontrollgruppe. Es fehlen Befunde für die Hochbegabungsdiagnostik.

Weitere Gütekriterien (Störanfälligkeit, Unverfälschbarkeit und Skalierung)

Eine besondere Störanfälligkeit des WIE besteht nicht. Er kann nicht im Sinne eines Faking-Good verfälscht werden. Faking-Bad ist möglich und bei Vorliegen kaum erkennbar. Abgesehen von Simulationen im klinischen Kontext dürfte Faking-Bad jedoch selten vorliegen. Eine Prüfung auf Rasch-Skalierbarkeit ist bei vielen Subtests mit nicht-dichotomen Items unmöglich. Die Punktzuweisung auf Itemebene und damit die Skalierung ist testtheoretisch ungeprüft. Dieses Scoring erfolgt bei einigen Subtests während der Bearbeitung und erfordert auf Testleiterseite viel Übung zur sicheren Befolgung komplexer Regeln. Erinnerungseinflüsse, etwa beim Subtest Bilderergänzen bzw. Bilderordnen, können sich wegen fehlender Parallelformen bei Prä-Post Designs negativ auswirken. Der Einsatz des WIE als Einzeltest ist eher unökonomisch. Relativ zur Bearbeitungszeit erscheint er jedoch besonders hinsichtlich der Index-Werte als recht effizient.

Abschlussbewertung/Empfehlung

Der WIE ist Ergebnis einer von David Wechsler vor mehr als 70 Jahren begonnenen Testentwicklung. Er zeichnet sich durch eine breite, abwechslungsreiche Erhebung mehrerer kognitiver Fähigkeiten aus. Die Übersetzung in viele Sprachen und die jahrzehntelange Verwendung sprechen für die hohe Verfahrensakzeptanz. In der praktischen Anwendung der Vorläuferversionen Erfahrene werden den WIE positiv bewerten, da insbesondere für die Praxis spürbare Verbesserungen erzielt wurden. Dass sich der WIE besonders an diese Anwender richtet, wird z.B. dadurch offenkundig, dass der Untertest Figurenlegen aus dem HAWIE-R trotz seiner Nachteile immer noch optional angeboten wird. Dieser Atavismus ist symptomatisch für das Hauptproblem des WIE: Die Diskrepanz zwischen der konzeptionellen Einteilung Wechslers in verbale und handlungsbezogene Intelligenzaspekte einerseits und neueren Forschungserkenntnissen sowie methodischen Weiterentwicklungen andererseits. So wird durch die Einführung der Komponenten Arbeitsgedächtnis und Arbeitsgeschwindigkeit eine Anbindung an die moderne kognitive Psychologie angestrebt. Dennoch wird an der theoretisch und empirisch unhaltbaren Unterscheidung zwischen Verbal- und Handlungs-IQ festgehalten. Durch die beiden nebeneinander stehenden Auswertungsstrategien wird dieses Problem nicht gelöst, sondern verfestigt. In der amerikanischen Neuauflage (Wechsler, D. [2008].Wechsler Adult Intelligence Scale–Fourth Edition [WAIS–IV]. San Antonio, TX: Pearson Assessment) ist dieses Konzept zu Gunsten der faktoriellen Auswertung aufgegeben worden – eine auch für die deutschsprachige Variante wünschenswerte Entwicklung.

Der WIE ist insbesondere für die klinische Einzelfalldiagnose gewiss ein nützlicher Test. Er erlaubt aufgrund des teiladaptiven Vorgehens die zuverlässige Messung relevanter Intelligenzkomponenten in einem breiten Spektrum. Die stringente Beantwortung von Fragestellungen aus den benannten Anwendungsbereichen wird neben den Kompetenzen der Anwenderinnen und Anwender auch weitere Forschungsbemühungen erfordern.

Diese Testrezension wurde im Auftrag des Testkuratoriums der Föderation deutscher Psychologenvereinigungen (DGPs und BDP) gemäß den TBS-TK-Richtlinien (Testkuratorium, 2009, 2010) erstellt.

Testinformationen

von Aster, M., Neubauer, A. & Horn, R. (Hrsg.). (2006). Wechsler Intelligenztest für Erwachsene WIE. Deutschsprachige Bearbeitung und Adaptation des WAIS-III von David Wechsler (2., korrigierte Auflage). Frankfurt: Pearson Assessment.

Bezugsquelle: Pearson Assessment & Information GmbH, Baseler Str. 35–37, 60329 Frankfurt.

Test komplett, 810,00 €. Manual, 87,00 €. 25 Aufgabenhefte, 41,00 €. 25 Protokollbogen, 34,00 €. WIE-Auswertungsprogramm 1.0, 205,00 €. Preisangaben zzgl. UST.

Bitte zitieren Sie diesen Artikel wie folgt:

Molz, G., Schulze, R., Schroeders, U. & Wilhelm, O. (2010). TBS-TK Rezension: „Wechsler Intelligenztest für Erwachsene WIE. Deutschsprachige Bearbeitung und Adaptation des WAIS-III von David Wechsler”.Psychologische Rundschau, 61, 229–230.