TBS-TK Rezension
The Test of Everday Attention for Children (TEA-Ch)
Allgemeine Informationen über den Test, Beschreibung des Tests und seiner diagnostischen Zielsetzung
Beim TEA-Ch handelt es sich um die deutsche Bearbeitung mit teilweiser Neunormierung des in Australien konstruierten „Test of Everyday Attention for Children”, einem psychometrischen Test zur Überprüfung verschiedener Aufmerksamkeitsfunktionen von Kindern und Jugendlichen in sechs Normierungsgruppen im Alter von 6 bis 15;11 Jahren. Es liegen zwei parallele Testversionen A und B vor, die in 9 Subtests gegliedert sind, mit deren Hilfe die Aufmerksamkeitsbereiche selektive Aufmerksamkeit (2 Subtests), Daueraufmerksamkeit (5 Subtests) sowie Aufmerksamkeitskontrolle (2 Subtests) erfasst werden; genaue Angaben zur Erstellung eines Aufmerksamkeitsprofils fehlen. Die vollständige Durchführung dauert ca. 60 Minuten und länger, eine Kurzfassung, die „eine grobe Abschätzung der Leistung in jedem der Aufmerksamkeitsbereiche” liefert (S.11), entsprechend kürzer. Der Test wird als Individualtest vorgegeben. Die Testmappe besteht aus dem Manual, Protokollbögen, Testvorlagen, sowie einer Audio-CD.
Theoretische Grundlagen als Ausgangspunkt der Testkonstruktion
Den Ausgangspunkt bildet die Testbatterie „Test of Every-day Attention” für Erwachsene (TEA; Robertson et al., 1994). Unter Bezug auf grundlegende Arbeiten zu Mehrfaktorentheorien der Aufmerksamkeit (Posner & Petersen, 1990) wurden kindgerechte Aufgabenadaptationen für die Bereiche „selektive Aufmerksamkeit”, „Daueraufmerksamkeit” und „Aufmerksamkeitswechsel” vorgenommen und in ein spielähnliches Messinstrument transformiert. Ein weiteres Anliegen war, mögliche Störeinflüsse auf die eigentliche Aufmerksamkeitsmessung (z. B. Gedächtnisanforderungen, motorische Geschwindigkeit, sprachliche Fähigkeiten) weitestgehend zu reduzieren, um ein valides Ergebnis zu erlangen. Unter Hinweis auf die Eigenständigkeit der drei relevanten Aufmerksamkeitsbereiche wird die Wichtigkeit der Erfassung eines Aufmerksamkeitsprofils betont, um im Vergleich mit Norm-(Referenz‐)gruppen differenzierte Informationen über Aufmerksamkeitsstörungen gewinnen zu können (vgl. S. 35).
Objektivität
Zur Gewährleistung der Durchführungsobjektivität sind die visuellen und akustischen Testmaterialien voll standardisiert. Für die einzelnen Untertests liegen genaue Instruktionstexte und Handlungsanweisungen vor sowie Kontrollfragen zur Sicherstellung des Instruktionsverständnisses (S. 13 – 25). Allerdings sollte erwähnt werden, dass die Durchführung einzelner Subtests eher schwierig ist und die Kinder manchmal Probleme haben, bestimmte Instruktionen zu verstehen (z. B. „Creature Counting”). Bezüglich der Auswertungsobjektivität liegen klare Anweisungen zur Ermittlung der Testscores vor, wobei meist die Anzahl gelöster Aufgaben bzw. der Zeitverbrauch festgestellt werden muss; in drei Subtests (S.25 f) sind zusätzliche Berechnungen notwendig. Die Auswertung der Subtestergebnisse stellt sich in der Praxis als zeitaufwendig dar. Zur Objektivierung der Interpretation liegen Normwerte in Tabellenform (s.u.) vor.
Normierung (Eichung)
Zur Gewinnung der Normentabellen wurde die australische Stichprobe (N=293, Range: 6 – 16 Jahre) herangezogen, welche vor allem wegen des geringen Umfanges der Teilstichproben bei den jüngeren Kindern um eine deutschsprachige Stichprobe (N=245, Range: 6 – 10 Jahre) ergänzt wurde. Da die Leistung der deutschen Kinder sich im Durchschnitt nicht von der Leistung australischer Kinder unterschied, wurden die beiden Stichproben zusammengefasst. In den Normentabellen (S. 49 – 54), welche für 6 Altersstufen (6;0 bis 6;11, 7;0 bis 8;11, 9;0 bis 10;11, 11;0 bis 12;11, 13;0 bis 14;11, 15;0 bis 15;11 Jahre) vorliegen, sind jeweils jene Scorewerte angegeben, welche den Prozenträngen 5, 10, 25, 50, 75, 90 und 95 entsprechen. Wegen der z. T. sehr kleinen Stichprobenumfänge zwischen N=29 und N=139 (S.39) erscheint die Gültigkeit der Normwerte fragwürdig. Für Kinder > 11 Jahren ist wegen starker Deckeneffekte (S.39) nur bei Leistungen im unteren Leistungsbereich ein Vergleich mit den Referenzwerten sinnvoll.
Zuverlässigkeit (Reliabilität, Messgenauigkeit)
Als Retest-Korrelationen bei Anwendung der Parallelversion mit einem Abstand von 6 bis 15 Tagen werden für die einzelnen Subtests Reliabilitäten zwischen .57 und .87 aufgeführt. Diese Angaben sind jedoch nur wenig belastbar, da die Testwiederholungen an einer bezüglich ihrer Verteilung auf die sechs Altersstufen nicht näher beschriebenen kleinen Stichprobe von N=55 Kindern durchgeführt wurden. Angaben zu längeren Retestintervallen oder mehr als zwei Testdurchführungen liegen bislang nicht vor. Für die Subtests mit Deckeneffekten werden unübliche und nicht verwertbare Reliabilitätsangaben gemacht in Form einer „Übereinstimmung der Prozentanteile innerhalb einer Standardabweichung” von 71,0 % bis 76,2 % (S.39/40). Detailliertere Ausführungen zur Reliabilität fehlen. Hinweise für die Bildung von Konfidenzintervallen zur statistischen Absicherung gegen Messfehler werden nicht gegeben.
Gültigkeit (Validität)
Zur Validitätsbeurteilung wurden Strukturmodellüberprüfungen durchgeführt. Die a-priori vorgenommene Zuordnung der Testwerte der 9 Subtests zu den postulierten 3 Faktoren (selektive Aufmerksamkeit, Daueraufmerksamkeit, Aufmerksamkeitskontrolle) wird konfirmatorisch im Sinne einer guten Übereinstimmung interpretiert. Diese Ergebnisse sind nur wenig belastbar, da sie auf Stichproben unbekannter Größe und Zusammensetzung basieren. Zur konvergenten beziehungsweise diskriminanten Validität zeigten sich (N=96) überwiegend signifikante Zusammenhänge einzelner Subtests zu bereits bewährten Aufmerksamkeitstests, welche die gleiche Aufmerksamkeitskomponente messen, jedoch nicht zu solchen Subtests, die motorische Funktionen oder IQ (HAWIK-III) erfassen. Kinder mit der Verdachtsdiagnose ADHS (N=74) zeigten signifikant schlechtere Leistungen vor allem in arbeitszeitabhängigen Subtests. Genauere Validierungsuntersuchungen stehen noch aus.
Weitere Gütekriterien (Störanfälligkeit, Unverfälschbarkeit und Skalierung)
Die Durchführung des Tests erfordert ungestörte und wegen des z. T. akustischen Testmaterials auch ruhige Untersuchungsbedingungen. Es besteht eine gewisse Störanfälligkeit bei der Durchführung des Tests, da die Anforderungen an Kind und Versuchsleiter größer sind als das Handbuch suggeriert. Eine Verfälschbarkeit des Testergebnisses im Sinne von „faking good” erscheint unwahrscheinlich; allerdings fehlen Hinweise, wie mit falschen Lösungen (die immer auch ein Indikator für nur zufällig richtige Lösungen sind) bei der Scorebildung umzugehen ist. Eine testtheoretische Legitimation der Scorebildung/des Skalierungsvorganges fehlt, ebenso fehlen Ausführungen zum Skalenniveau der Testwerte. Es wird nicht angegeben, wie die Testwerte in den 9 Untertests zusammengefasst werden sollen, um integrierte Aussagen über die Ausprägungen der Probanden in den drei relevanten Aufmerksamkeitsbereichen zu gewinnen.
Abschlussbewertung/Empfehlung
Bei der deutschen Bearbeitung des „Test of Everyday Attention for Children, TEA-Ch” handelt es sich um ein breit angelegtes Verfahren, welches mit 9 Subtests Informationen über die Ausprägungen von 6 bis16-Jährigen zu drei relevanten Aufmerksamkeitsbereichen (selektive Aufmerksamkeit, Daueraufmerksamkeit, Aufmerksamkeitskontrolle) liefert. Vermisst werden Angaben, wie die Ergebnisse der 9 Subtests zu einem eindeutigen Aufmerksamkeitsprofil in den drei relevanten Bereichen zusammengefasst werden können. Die Durchführung des kompletten Test ist sehr zeitaufwändig (mind. 1 h). Positiv hervorzuheben ist, dass der TEA-CH auf einem neurowissenschaftlichen Modell von Aufmerksamkeitsfunktionen basiert und eine differenzierte Erfassung von verschiedenen Aufmerksamkeitsleistungen ermöglicht. Im TEA-Ch werden Testaufgaben vorgegeben, die eine hohe ökologische Validität aufweisen und somit sehr gut mit Anforderungen des schulischen Alltags vergleichbar sind (z. B. geteilte Aufmerksamkeit für zwei Modalitäten). Allerdings kann das Verfahren nicht die klassischen Nachteile eines Papier- und Bleistifttests gegenüber einer computergestützen Testdiagnostik ausgleichen, insbesondere da Aufmerksamkeitsdefizite in Abweichungen in Millisekunden messbar sein sollten. Auch wird suggeriert, dass der Test zwischen Kindern mit und ohne ADHS differenzieren könne und deshalb für die Individualdiagnose von ADHS geeignet sei; ebenso erscheint fraglich, ob der Test für die Anwendung bei Kindern mit eher unterdurchschnittlichen intellektuellen Fähigkeiten geeignet ist. Der TEA-Ch liefert objektive Aufmerksamkeitsmaße, wobei die Gültigkeit der Tabellen zur normorientierten Interpretation wegen der nicht näher spezifizierten und z. T. sehr kleinen Normierungsstichproben fragwürdig ist. Auch fehlt eine statistische Absicherungsmöglichkeit in den einzelnen Altersgruppen bezüglich der Messfehler, sodass eine reliable Aufmerksamkeitsdiagnostik im gegenwärtigen Entwicklungsstadium nicht gewährleistet ist.
Diese Testrezension wurde im Auftrag des Diagnostik- und Testkuratoriums der Föderation deutscher Psychologenvereinigungen (DGPs und BDP) gemäß den TBS-TK-Richtlinien (Testkuratorium, 2009, 2010) erstellt.
Testinformationen
Bitte zitieren Sie diesen Artikel wie folgt: Konrad, K. & Moosbrugger, H. (2013). TBS-TK Rezension: „The Test of Everyday Attention for Children (TEA-Ch).” Psychologische Rundschau, 65, 55 – 56.