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TBS-TK Rezension

10. Auflage 2011 (erste Auflage 1957)

Published Online:https://doi.org/10.1026/0033-3042/a000238

Allgemeine Informationen über den Test

Das Verfahren „Familie in Tieren” ist ein projektives Verfahren in Form eines thematischen Zeichentests. Das Handbuch umfasst 147 Seiten zuzüglich eines Bildteils mit 29 Zeichnungen. Ziel des Verfahrens ist eine differenzierte Diagnostik der Familiensituation des Kindes und der Beziehungsformen zu seinen Eltern. Die Diagnostik erfolgt durch die Auswertung der Zeichnung des Kindes von seiner Familie, die es nach Aufforderung, seine Familie in Tieren zu zeichnen, angefertigt hat. Entsprechend dem Anspruch der Autorin ist an dieser Zeichnung im Einzelnen die Qualität der Beziehung des Kindes zu seinen Eltern im Hinblick auf Geborgenheits-, Macht- und Kontakterleben ablesbar und Aufschluss über die teils unbewusste Struktur und Dynamik innerhalb der Familie, so wie sie das Kind erlebt, zu gewinnen. An Material sind Papier und Zeichenstift erforderlich. Zur Dauer der Durchführung und zum Altersbereich der Zielgruppe liegen keine Angaben vor. Die berichteten Untersuchungen anderer Autoren zum Verfahren sind mangels hinreichender Quellenangaben nicht zugänglich. Die angegebenen Methoden der inhaltlichen Auswertung durch intuitive Deutung unter weitgehender Ausschaltung des begrifflich-logischen Denkens sowie die formale Auswertung durch Analyse der grafischen Merkmale erfüllen die Kriterien der Nachvollziehbarkeit und Objektivität nicht.

Theoretische Grundlagen

Dem Verfahren liegt die Annahme zugrunde, dass das Testverhalten des Kindes projektiven Charakter hat. Der Begriff der „Projektion” wird nicht definiert. Als Begründung für die Vorgabe, die Familienmitglieder als Tiere zeichnen zu lassen, wird auf Folkloristik und Aberglauben sowie auf dichterische Produkte wie Fabeln, Legenden, Sagen und Märchen verwiesen, die sich auf das Verhältnis des Menschen zum Tier beziehen sowie auf Entwicklungspsychologie aus der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts und auf tiefenpsychologische Theorien. Der diagnostische Wert der genannten Grundlagen für das Verfahren wird nicht nachvollziehbar dargelegt. Eine veränderte Bewertung dieser Grundlagen gegenüber der Erstauflage 1957 erfolgt nicht. Für die Klärung der Frage der Ebene, auf der die angenommene Projektion funktioniert, wird auf die grafologische Analyse der Zeichnung verwiesen. Dabei finden empirische Studien, die den diagnostischen Anspruch der Grafologie widerlegen, keine Beachtung.

Objektivität

Die mündliche Testanweisung liegt in wörtlicher Formulierung vor. Andere Angaben, die für eine objektive Durchführung notwendig wären, wie Härtegrad des Zeichenstiftes sowie Qualität und Format des Papiers, fehlen. Das ist angesichts der geforderten detaillierten Analyse der grafischen Merkmale der Zeichnung, wie Strichbreite, Strichführung, Schattierung und Schwärzung, ein bemerkenswerter Mangel. Die für Auswertung und Interpretation angegebenen Vorgehensweisen der Deutung und intuitiven Einfühlung können zu subjektiver Gewissheit des Diagnostikers, nicht aber zu objektiv begründbaren diagnostischen Aussagen führen. Auch der vorgesehene Bezug auf eine in den 1950er-Jahren erstellte Liste mit jeweils guten und schlechten Charaktereigenschaften von über 100 Tieren, die an 2000 Kindern erhoben wurde, trägt zu einer objektiven Auswertung nicht bei, da unklar bleibt, wie erkannt werden kann, welche von diesen Eigenschaften das Kind mit dem betreffenden Tier verbindet.

Normierung

Als Grundlage der Entwicklung des Verfahrens werden drei Erhebungen an denselben 2000 Volksschulkindern in der 1950er-Jahren angegeben, in welchen diese aufgefordert wurden, drei Tiere zu zeichnen, diesen jeweils gute und schlechte Eigenschaften zuzuordnen und ihre Familie in Tieren zu zeichnen. Die Autorin kommentiert dazu, dass Zehnjährige für dieses Vorhaben besonders geeignet seien, ohne explizite Angaben zum Alter der Zielgruppe des Verfahrens zu machen. Die vorgestellten Beispielfälle beziehen sich auf die Altersspanne von sieben bis 16 Jahren. Die Auswertung dieser Erhebungen wird als Grundlage der Deutung des einzelnen Bildes „Familie in Tieren” angegeben. Ein Anspruch auf Repräsentativität wird nicht erhoben und ist nicht erfüllt.

Zuverlässigkeit

Untersuchungen zur Zuverlässigkeit werden von der Autorin als wünschenswert genannt, wurden aber nicht durchgeführt. Diesbezügliche Untersuchungen von anderen Autoren (Kubinger, Schrott & Maitz, 2003) an 756 Kindern im Alter von sechs bis zwölf Jahren, jeweils zweimal unmittelbar hintereinander und an zwei einen Monat auseinanderliegenden Zeitpunkten, ergaben keinerlei bedeutsame Zusammenhänge zwischen den so jeweils gewonnenen vier Zeichnungen. Das Kriterium der Zuverlässigkeit ist zwar dem Kriterium der Gültigkeit nachgeordnet. Im Hinblick auf den Anspruch des Verfahrens jedoch, die mit Hilfe der Zeichnung gewonnene Diagnose sei eine geeignete Grundlage für eine mittel- bis langfristige Planung, zum Beispiel für die Erstellung eines familienspezifischen Hilfeplans, ist die fehlende Zuverlässigkeit ein beachtenswerter Mangel.

Gültigkeit

Es wird indirekt Anspruch auf Gültigkeit erhoben, indem davon ausgegangen wird, die gezeichnete Tierfamilie sei ein Projektionsträger des unmittelbaren seelischen Erlebens des Kindes in Bezug auf seine Familie und dieses sei in der Zeichnung ablesbar. Die zitierten Untersuchungen, die als Beleg für die beanspruchte Gültigkeit angeführt werden, entbehren der hinreichenden Quellenangaben und liegen mehr als 50 Jahre zurück. Es werden zahlreiche außerhalb der familiären Erfahrung des Kindes liegende Bedingungen benannt, die Einfluss auf die Zeichnung nehmen können, aber im Folgenden in den Hinweisen für die Auswertung der Zeichungen ignoriert. Der postulierte Zusammenhang zwischen bestimmten Merkmalen der Zeichung und diagnostisch relevanten Merkmalen des kindlichen Erlebens beruht weitgehend auf Analogieschlüssen. Das Wissen um die Möglichkeit, dass Projektionen des Diagnostikers in die Interpretation der Testergebnisse eingehen können, findet keine Berücksichtigung.

Weitere Gütekriterien

Veränderungen aus den letzten vierzig Jahren in den familiären Lebenssituationen und der Qualität der Beziehung zwischen Kindern und ihren Eltern gehen in die vorliegende Auflage nicht ein. Die jüngste zitierte Literatur stammt aus dem Jahre 1973, der weitaus größte Teil aus der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts. Das schlägt sich in Kategorisierungen der Eltern-Kind-Beziehung nieder, in welchen davon ausgegangen wird, dass die Beziehung des Kindes zur Mutter überwiegend durch das Erleben von Geborgenheit geprägt ist und jenes zum Vater überwiegend durch das Erleben von Macht. Damit ist dieser Bezugsrahmen für das zentrale Anliegen des Verfahrens, nämlich eine differenzierte Diagnostik familiärer Beziehungserfahrungen des Kindes, nicht brauchbar. Auch Veränderungen in der Erfahrungswelt des Kindes im Umgang mit Tieren gehen in die Verfahrenshinweise nicht ein.

Abschlussbewertung/Empfehlung

Das Verfahren ist nicht historisch zu beurteilen, sondern vom aktuellen Stand der psychologischen Diagnostik ausgehend, weil der Anspruch, es handele sich um ein gültiges Testverfahren, aufrechterhalten wird. Untersuchungsergebnisse, die diesen Anspruch in Frage stellen, werden ignoriert. Eine Reflexion über den kognitiven Prozeß des Zustandekommens des Urteils des Diagnostikers findet nicht statt. Mit dem Verzicht auf diese Reflexion geht einher, dass alle psychologischen Erkenntnisse über die Einflussfaktoren der sozialen Wahrnehmung und Urteilsbildung ignoriert werden. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass diese Einflußfaktoren, insbesondere die durch Vorinformationen aus Gesprächen mit der Mutter, dem Kind oder anderen Bezugspersonen des Kindes geprägten Erwartungshaltungen, die Interpretation beeinflussen. Wenn sich dann auf diesem Wege eine mit diesen Informationen stimmige Interpretation der Zeichnung ergibt, bedingt dies die Neigung, die Gültigkeit des Verfahrens als bestätigt anzusehen. Das Verfahren erfüllt aufgrund der subjektiven inhaltlichen, ausschließlich auf Intuition beruhenden Interpretaton und der formalen Auswertung durch grafologische Analyse, deren diagnostische Leistungsfähigkeit als widerlegt anzusehen ist, die Mindestanforderungen an Objektivität und Validität nicht. In außerordentlichem Widerspruch dazu steht der Anspruch, das Verfahren erweise sich im Vergleich mit anderen Familientests als am aufschlussreichsten für die Erhellung der vom Kind erlebten familiären Mitwelt. Wegen der genannten Mängel ist davon abzuraten, aufgrund eines bestimmten Testergebnisses eine bestimmte Entscheidung über das Kind und für seine Eltern oder andere Instanzen zu treffen. Davon abgesehen kann die Aufforderung an das Kind, seine Familie zu zeichnen, die Kontaktaufnahme erleichtern, die Motivation zur Zusammenarbeit fördern und später als Grundlage für ein Gespräch mit dem Kind dienen.

Tabelle 1.

Diese Testrezension wurde im Auftrag des Diagnostik- und Testkuratoriums der Föderation deutscher Psychologenvereinigungen (DGPs und BDP) gemäß den TBS-TK-Richtlinien (Testkuratorium, 2009, 2010) erstellt.

Testkuratorium (2009). TBS-TK. Testbeurteilungssystem des Testkuratoriums der Föderation Deutscher Psychologenvereinigungen. Revidierte Fassung vom 09. September 2009. Report Psychologie, 34, 470 – 478.

Testkuratorium (2010). TBS-TK. Testbeurteilungssystem des Testkuratoriums der Föderation Deutscher Psychologenvereinigungen. Revidierte Fassung vom 09. September 2009. Psychologische Rundschau, 61, 52 – 56.

Testinformationen

Brem-Gräser, L. (2011). Familie in Tieren. Die Familiensituation im Spiegel der Kinderzeichnung. München: Reinhardt.  Bezugsquelle: Buchhandel. Buch 29,90 €.

Bitte zitieren Sie diesen Artikel wie folgt: Baumgärtel, F. & Thomas-Langel, R. (2014). TBS-TK Rezension: „Familie in Tieren”. Psychologische Rundschau, 66, 152 – 154.

Literatur

  • Kubinger, K. D., Schrott, A. & Maitz, P. (2003). Zur Null-Objektivität, Null-Reliabilität und daher Null-Validität der „Familie in Tieren”. Zeitschrift für Differentielle und Diagnostische Psychologie 24, 114 – 115. First citation in articleGoogle Scholar

Der Beurteilungsprozess sieht vor, dass die Autoren des Tests Gelegenheit erhalten, gegenüber dem Diagnostik- und Testkuratorium (DTK) zur ersten Fassung der Rezension Stellung zu nehmen. Der Ernst Reinhardt Verlag teilte dem DTK auf Anfrage mit, dass es keinen Nachfolger der Autorin gibt, der dieses projektive Verfahren aktuell betreut. (persönliche Mitteilung von Frau F. Rescher, Ernst Reinhardt Verlag, 30. Juli 2014).