TBS-TK-Rezension
EXPLORIX® – das Werkzeug zur Berufswahl und Laufbahnplanung, 1. Manual (4. Aufl. des Testsets)
Allgemeine Informationen
Basierend auf dem Test Self-Directed Search® nach John Holland ist der EXPLORIX® (4. Auflage) ein Verfahren zur Erfassung der Berufswahlsituation (18 Items) sowie der beruflichen Interessendimensionen „handwerklich-technisch (realistic)“, „untersuchend-forschend (investigative)“, „künstlerisch-kreativ (artistic)“, „erziehend-pflegend (social)“, „führend-verkaufend (enterprising)“ und „ordnend-verwaltend (conventional)“. Jede Dimension wird mit elf Items mit Bezug zu Tätigkeiten, elf Items mit Bezug zu Fähigkeiten, 14 Items mit Bezug zu Berufen sowie zwei Selbsteinschätzungsitems erfasst. Ein so gewonnenes Interessenprofil kann mit den für Deutschland, Österreich und die Schweiz länderspezifischen Profilen von über 1000 Berufen oder Funktionen verglichen werden. Der EXPLORIX® soll als Entscheidungshilfe zur Berufswahl und Laufbahnplanung dienen. Er kann ab 15 Jahren als Selbsttest oder im Beratungskontext papier- oder webbasiert bearbeitet werden (je ca. 20 Minuten Bearbeitungs- und Auswertungszeit).
Theoretische Grundlagen als Ausgangspunkt der Testkonstruktion
Der EXPLORIX® basiert auf der Theorie beruflicher Interessen von Holland (z. B. 1959,1997), die insgesamt als empirisch gut unterstützt angesehen werden kann. Nach dieser Theorie lassen sich Menschen wie Berufsumwelten anhand von sechs hexagonal angeordneten Interessendimensionen charakterisieren. Insbesondere die Passung (Kongruenz) zwischen zwei Interessenprofilen (Mensch und Umwelt) soll berufliches Erleben und Verhalten bedeutsam beeinflussen. Die Theorie inklusive Angaben zur Berechnung und Interpretation der Kongruenz sowie der anderen sekundären Konstrukte „Differenziertheit“, „Identität“ und „Konsistenz“ ist gut beschrieben. Dies gilt ebenfalls für die empirische Befundlage zu den einzelnen Aspekten, zumindest für den Zeitpunkt der Manualpublikation (2004). Die Theorie wurde in dem Testmaterial, den Auswertungs- und Interpretationsbeschreibungen sinnvoll berücksichtigt – auch mit Blick auf Unterschiede zwischen der Verwendung des EXPLORIX® als Selbsttest versus im Beratungskontext.
Objektivität
Stark positiv hervorzuheben ist, dass Durchführung, Auswertung und Interpretation im Testheft sehr verständlich beschrieben und im Manual ausführlich erläutert sind. Das Manual bietet auch viele gute Hinweise zur Steigerung der Objektivität, zum Beispiel hinsichtlich möglicher Auswertungsfehler oder Interpretationsbeispiele. Im Testheft ist die Auswertung mit Hilfe der Summierung aller Rohwerte übersichtlich und einfach gestaltet; ebenso der Abgleich mit den Berufe- und Funktionscodes im Berufsregister. Kritisch ist, insbesondere für die Bearbeitung des EXPLORIX® als Selbsttest, dass im Testheft eindeutige Hinweise zu einer angemessenen Durchführungsumgebung oder der zu erwartenden Bearbeitungszeit ebenso wie Beispielaufgaben fehlen. Ähnliches gilt für die Auswertungsobjektivität bezüglich nicht bearbeiteter Items. Für eine Durchführung im Gruppensetting sind im Manual die notwendigen Rahmenbedingungen zwar gut beschrieben, allerdings gibt es keine wörtlichen Instruktionen, sondern nur Stichworte.
Normierung
Das ermittelte Interessenprofil basiert auf Rohwerten und wird nicht mit Profilen einer Normstichprobe verglichen, sondern zu aus drei Interessendimensionen bestehenden Codes spezifischer Berufe/Funktionen in Beziehung gesetzt. Zur Itemkonstruktion konnte auf mehrere Stichproben zurückgegriffen werden, von denen zwei zu einer Stichprobe mit N = 1815 Personen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz zusammengefasst wurden. Neben einer gewissen Heterogenität weist diese Stichprobe einen relativ starken Anteil von Frauen, Jugendlichen/jungen Erwachsenen sowie Personen mit Abitur/Matura auf. Über die Probandenrekrutierung gibt es nur die Information, dass diese häufig über Beratungsstellen erfolgte. Die Berufecodes sind länderspezifisch; Testkäuferinnen und Testkäufer erhalten ein Landesset. Für jedes Land gibt es über 1000 Berufecodes, allerdings wurden die meisten Codes „nur“ mittels Expertenratings bestimmt, sehr wenige wurden danach noch empirisch überprüft.
Zuverlässigkeit
Alle angegebenen Informationen weisen auf eine zufriedenstellende bis gute Reliabilität hin; die Kennwerte beziehen sich auf (eine der) beide(n) Stichproben, die zu der Gesamtstichprobe zusammengefasst wurden. Cronbachs Alpha liegt für die sechs Dimensionen bei α ≥ .86 und für die Subskalen (Tätigkeiten, Fähigkeiten, Berufe) bei α ≥ .70. Die Trennschärfen der Items liegen im Durchschnitt pro Subskala bei .42 bis .43; es ist nicht angegeben, ob die Trennschärfen part-whole-korrigiert wurden. In einer Studie zur Retest-Reliabilität (N = 138, Zeitintervall 15 bis 18 Monate) betrug die Korrelation zwischen gleichnamigen Dimensionen im Durchschnitt r = .79. Allerdings setzt sich diese Stichprobe aus Teilstichproben zusammen, und zum zweiten Messzeitpunkt wurde nur eine Kurzform des EXPLORIX® eingesetzt. Mit Ausnahme geschlechtsspezifischer Analysen fehlen Analysen zur Reliabilität weiterer Subpopulationen. Empirische Hinweise zur (Retest–)Reliablität der Berufecodes fehlen.
Gültigkeit
Die faktorielle Validität wird überwiegend unterstützt. Die sechs Dimensionen erklären ca. 70 Prozent der Varianz. Die Items jeder Dimension weisen hohe Haupt- und niedrige Nebenladungen auf, wobei die Ergebnisse zur „Enterprising“- sowie „Conventional“-Dimension etwas weniger überzeugend sind. Auch deuten die Dimensions-Interkorrelationen darauf hin, dass die Idee der hexagonalen Anordnung nicht realisiert ist. Auf Basis einer kleinen Stichprobe (N = 71) werden Zusammenhänge mit dem Allgemeinen Interessen-Struktur-Test (AIST; Bergmann & Eder, 1992) sowie dem NEO-Fünf-Faktoren-Inventar (NEO-FFI; Borkenau & Ostendorf, 1993) genannt, die auf eine gute Validität der Interpretation der EXPLORIX®-Ergebnisse hinweisen. Ähnliches gilt für Zusammenhänge mit angegebenen Berufswünschen. Testteilnehmer bewerten den EXPLORIX® als hilfreich für ihre Laufbahnplanung. Allerdings ist es sehr problematisch, dass keine Daten zu Zusammenhängen mit anderen beruflich relevanten Kriterien vorliegen.
Weitere Gütekriterien
Auf die Störanfälligkeit wird nicht explizit eingegangen. Umgebungsfaktoren könnten die Konzentration bei der Testbearbeitung beeinträchtigen, was insbesondere dann problematisch sein kann, wenn der EXPLORIX® als Selbsttest durchgeführt wird. Das Problem der Verfälschbarkeit erscheint eher nebensächlich, denn das Verfahren soll vor allem die Berufswahl und Laufbahnplanung unterstützen. Testteilnehmer sollten daher einen hohen Anreiz haben, möglichst akkurat zu antworten. Positiv hervorzuheben sind auch die Ökonomie, Zumutbarkeit und Akzeptanz des EXPLORIX®. Das Verfahren ist vor dem Hintergrund der klassischen Testtheorie entwickelt; Skalierungen im Sinne der Item-Response-Theory wurden nicht vorgenommen.
Abschlussbewertungen/Empfehlungen
EXPLORIX® ist ein anwenderfreundlich gestaltetes Verfahren, das zur Erkundung beruflicher Interessen und Perspektiven dient. Das Testheft ist übersichtlich aufgebaut und das Berufsregister äußerst umfangreich. Die Auswertung ist einfach, und die im Testheft dargebotenen Anregungen zur Reflexion der eigenen Berufsvorstellungen sind nützlich. Eine eigenständige Bearbeitung des EXPLORIX® ist somit möglich. Sind Ratsuchende jedoch auf eine genauere Interpretation ihrer Ergebnisse angewiesen, sollten sie eine/n Berufsberater/in aufsuchen, da z. B. die Interpretation eines eher flachen Interessenprofils oder die Auswertung und Interpretation der sekundären Konstrukte psychologische Fachkenntnisse und Zusatzinformationen aus dem informationsdichten Manual erfordern.
Insgesamt scheint der EXPLORIX® ein nach dem Verständnis der klassischen Testtheorie gut entwickeltes Verfahren zu sein. Allerdings sind auch vier größere Einschränkungen zu nennen. Erstens ist das Manual hinsichtlich der wissenschaftlichen Befunde und Diskussionen zur Theorie beruflicher Interessen nicht mehr ganz aktuell. Zweitens ist die Interpretierbarkeit der sekundären Konstrukte nicht vollkommen geklärt, da die hexagonale Struktur der Interessendimensionen nicht bestätigt werden konnte. Drittens sind nur die wenigstens Berufe- und Funktionscodes in Studien empirisch abgesichert worden. Viertens fehlen größere Studien zu Laufbahnentscheidungen oder dem Einfluss der mittels des EXPLORIX® ermittelten Kongruenz zwischen persönlichen Interessen und dem Berufsumfeld auf das berufliche Erleben und Verhalten (z. B. Berufszufriedenheit, berufliche Leistung). Die theoretischen Grundlagen, die Befunde zur faktoriellen Validität, die Korrelationen mit Interessen- und Persönlichkeitsverfahren sowie die Bemühungen, angemessene Berufecodes bereitzustellen, lassen zwar auf eine gute Validität der Interpretation der EXPLORIX®-Ergebnisse hoffen, robuste, dies unterstützende empirische Befunde stehen allerdings noch aus.
Diese Testrezension wurde im Auftrag des Diagnostik- und Testkuratoriums der Föderation deutscher Psychologenvereinigungen (DGPs und BDP) gemäß den TBS-TK-Richtlinien (Testkuratorium, 2009, 2010) erstellt. Die beiden Autoren fungierten als gleichberechtigte Rezensenten; die Autorenreihenfolge wurde ausgelost.
Testkuratorium. (2009). TBS-TK. Testbeurteilungssystem des Testkuratoriums der Föderation Deutscher Psychologenvereinigungen. Revidierte Fassung vom 09. September 2009. Report Psychologie, 34, 470 – 478.
Testkuratorium. (2010). TBS-TK. Testbeurteilungssystem des Testkuratoriums der Föderation Deutscher Psychologenvereinigungen. Revidierte Fassung vom 09. September 2009. Psychologische Rundschau, 61, 52 – 56.
Testinformationen
Bitte zitieren Sie diesen Artikel wie folgt: Köller, M. & Zettler, I. (2017). TBS-TK Rezension: „EXPLORIX® – das Werkzeug zur Berufswahl und Laufbahnplanung“, Psychologische Rundschau, 68, 98 – 100.
Literatur
1992). Allgemeiner Interessen-Struktur-Test (AIST), Umwelt-Struktur–Test (UST). Testmanual. Weinheim: Beltz.
(1993). NEO-Fünf-Faktoren Inventar (NEO-FFI) nach Costa und McCrae. Handanweisung. Göttingen: Hogrefe.
(1959). A theory of vocational choice. Journal of Counseling Psychology, 6, 35 – 45. DOI: 10.1037/h0040767
(1997). Making vocational choices: A theory of vocational personalities and work environments (3rd ed.). Odessa, FL: Psychological Assessment Resources.
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