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TBS-TK-Rezension

Inventar verkehrsrelevanter Persönlichkeitseigenschaften – Revision (IVPE-R)

Published Online:https://doi.org/10.1026/0033-3042/a000502

Inventar verkehrsrelevanter Persönlichkeitseigenschaften – Revision (IVPE-R)

Allgemeine Informationen

Beim IVPE-R handelt es sich um ein Persönlichkeitsinventar, das speziell auf die verkehrspsychologische Diagnostik zugeschnitten ist. Anhand von 50 Aussagen werden die vier Skalen „Psychische Stabilität“, „Verantwortungsbewusstsein“, „Selbstkontrolle“ und „Risikovermeidung“ abgedeckt. Die Aussagen zielen explizit auf verkehrsrelevante Aspekte und unterscheiden sich damit in ihrer Operationalisierung von gängigen, allgemeinen Testverfahren zur Erfassung der vier genannten Merkmale. Die Durchführungsdauer wird bei ca. zwölf Minuten verortet. Der IVPE-R soll im Rahmen verkehrspsychologischer Untersuchungen sowie bei der Auswahl von Berufskraftfahrerinnen und -fahrern Anwendung finden. Die diagnostische Zielsetzung ist verständlich dargestellt. Der Vorschlag, bei der Interpretation mit harten Cut-Off-Werten zu arbeiten (S. 72 – 73), ist allerdings kritisch zu werten, da die Ergebnisse auf einer Selbstbeschreibung beruhen und somit lediglich als Hilfsmittel für die Diagnostikerin bzw. den Diagnostiker dienen können.

Theoretische Grundlagen als Ausgangspunkt der Testkonstruktion

Der Test ist eine Weiterentwicklung eines Vorgängers. Er baut auf theoretischen Überlegungen zu Letzterem auf, die verständlich beschrieben und klar in Zusammenhang mit relevanten Konstrukten gebracht werden. Es wird deutlich, was gemessen bzw. was als Mehrwert des neuen Tests angesehen wird. Das Weglassen eventuell obsoleter und die Ergänzung neuer Items im Sinne einer Modernisierung und Internationalisierung sind beschrieben, wobei mitunter Zweifel anzumelden sind. Darüber hinaus ist der – mit Blick auf einen internationalen Einsatz – bewusste Verzicht auf Items zu den Themen „Alkohol“ und „Glatteis“ vor dem Hintergrund eines Einsatzes in der DACH-Region durchaus kritisch zu bewerten.

Objektivität

Der Test ist weitgehend standardisiert. Instruktionen für die Testleiterinnen und Testleiter schreiben wörtlich vor, was sie bzw. er zu sagen und zu tun hat und wie sie bzw. er auf Fragen eingehen soll. Die Instruktionen für die Testpersonen enthalten Beispiel- und Übungsitems und Informationen, wie Antworten zu geben sind. Die Auswertung erfolgt maschinell. Das Programm berücksichtigt, für die Anwendenden einsehbar, welche Werte / Gewichte gegebenen Antworten zuzuordnen und wie nicht bearbeitete Items zu werten sind. Zur Interpretation wurde ein Fallbeispiel in das Manual aufgenommen. Dort wird allerdings nicht deutlich darauf eingegangen, wie Testergebnisse abhängig vom individuellen Hintergrund der Probandinnen und Probanden (allgemeiner Lebensstil, soziales Umfeld etc.) zu interpretieren sind. In diesem Zusammenhang wird das nötige Ausmaß an Sachkunde, um den Test zu interpretieren, zu wenig diskutiert: Der Vorschlag, mit Cut-Off-Werten zu arbeiten (S. 72 – 73) greift hier zu kurz.

Normierung

Die Normierung erfolgt anhand einer Normstichprobe (N = 345), die in Hinblick auf Geschlecht und Alter als repräsentativ für die österreichische und deutsche Bevölkerung gelten kann. Spezielle Normgruppen liegen nicht vor. Dies kann aus zweierlei Gründen als Manko angesehen werden: Erstens wurde die internationale Verwendung des IVPE-R als ein Anlass zur Revision des Verfahrens genannt. Dies macht Normen für die jeweiligen Länder bzw. Kulturkreise, in denen der IVPE-R eingesetzt werden soll, unverzichtbar. Zweitens muss im Bereich der verkehrspsychologischen Diagnostik, die häufig im Fall von Verkehrsdelikten zum Einsatz kommt, davon ausgegangen werden, dass in diesem Zusammenhang die Gruppe der „jungen Männer“ vermutlich überproportional häufig getestet wird. In der Gesamtnorm sind lediglich 33 Männer im Alter zwischen 20 und 29 Jahren enthalten. Mit Blick auf eine angemessene Interpretation einzelner Testergebnisse wäre hier eine spezielle Norm wünschenswert.

Zuverlässigkeit

Die Werte der internen Konsistenz sind als zufriedenstellend zu bewerten. Hinweise auf eine recht hohe Retest-Reliabilität ergeben sich anhand der Analysen einer Stichprobe, die im Abstand von sechs bis zwölf Wochen das Verfahren erneut bearbeitete. Aufgrund des Anspruchs, Persönlichkeitsmerkmale zu erheben, sind weitere Retest-Analysen mit größeren zeitlichen Abständen (z. B. ein bis zwei Jahre) anzustreben. Darüber hinaus wären Reliabilitätsnachweise für bestimmte Teilstichproben (wie z. B. junge Männer) hilfreich. Problematisch bei allen Darstellungen ist die extrem spezialisierte statistische Begriffsverwendung, die im Gegensatz zu anderen, sehr ausführlichen und verständlichen Erläuterungen steht (z. B. Erklärungen der Begriffe „Objektivität“ und „Reliabilität“, die allen Psychologinnen und Psychologen bekannt sind). Die Formulierung des „MLMV-Schätzers, welcher im R–Paket ‚lavaan‘ (…) implementiert ist, …“ wurde hingegen an mehreren Stellen ohne jegliche Erklärung identisch in den Text kopiert.

Gültigkeit

Die Konstruktvalidität für definierte Konstrukte wird als gegeben dargestellt. Sämtliche Hinweise zur Kriteriumsvalidität beziehen sich auf die Vorgängerversion (IVPE). Eigene Studien zum IVPE-R werden nicht berichtet. Laut Autorinnen und Autoren sind die Kennwerte über beide Testverfahren hinweg generalisierbar. Es wird versucht, dies mit entsprechenden an der Item-Response-Theory orientierten Berechnungen nachzuweisen, allerdings ist eine solche Generalisierung anzuzweifeln. Erstens stammen lediglich elf der 50 IVPE-R-Items aus dem „alten“ IVPE. Das heißt, es handelt sich tatsächlich um ein anderes Instrument mit unterschiedlichem Item-Material. Zweitens sind die Korrelationen zwischen alten (IVPE–) und neuen (IVPE-R–)‌Skalen (Studie mit N = 155) weit von einem perfekten Zusammenhang entfernt: Im besten Fall ergibt sich eine gemeinsame Varianz von 71 % („Psychische Stabilität“); im schlechtesten Fall von lediglich 32 % („Selbstkontrolle“). Insofern sollten originale IVPE-R-Studien zur Kriteriumsvalidität dringend erfolgen.

Weitere Gütekriterien

Die Störanfälligkeit des IVPE-R ist als eher gering einzuschätzen, wenn die Teilnehmerinnen und Teilnehmer – wie vorgesehen – das Verfahren in Ruhe und gemäß den Instruktionen bearbeiten. Zur Unverfälschbarkeit liegt eine Studie zur Vorgängerversion (IVPE) vor, deren Ergebnisse nicht ohne Weiteres auf den IVPE-R übertragbar sind (vgl. Ausführungen zur Validität). Zum Thema „Skalierung“ kann darauf hingewiesen werden, dass das Rasch-Modell in allen vier Skalen gilt und somit von einer Eindimensionalität der erhobenen Konstrukte ausgegangen werden kann.

Abschlussbewertungen / Empfehlungen

Neben positiven Aspekten wie etwa der verständlichen einleitenden Darstellung und den recht gründlichen Reliabilitätsberechnungen ist auf folgende Kritikpunkte hinzuweisen, die ein „Nachschärfen“ des Tests / Manuals nahelegen.

Problematisch ist die Dichotomisierung der verwendeten Antwortskala: Es handelt sich um eine sogenannte „Analogskala“, die von null (Ablehnung) bis 100 (Zustimmung) reicht und dem Teilnehmer somit eine hohe Differenzierung suggeriert. Für die Verrechnung zur Auswertung erfolgt allerdings eine Dichotomisierung, in der die Werte lediglich zwei Kategorien zugeordnet werden: Ablehnung (0) und Zustimmung (1). Dies führt z. B. für die Skala „Psychische Stabilität“ dazu, dass alle Item-Beantwortungen zwischen null und 75 pauschal als Ablehnung sowie Werte zwischen 76 und 100 als Zustimmung gewertet werden. Bezogen auf die inhaltliche Validität handelt es sich unseres Erachtens um eine unzulässige Vereinfachung der Item-Wertung. So ist es rein logisch nicht vertretbar, einen Wert von 75 als „Ablehnung“ zu werten bzw. einen Wert von null inhaltlich mit einem Wert von 75 gleichzusetzen. Eine alternative Verrechnung der Item-Antworten ist dringend zu empfehlen.

Bereits dargestellte Probleme sind die geringe Größe der Normpopulation – insbesondere die Subpopulationen betreffend – sowie die zu kurz greifende Diskussion die Interpretation der Testergebnisse betreffend.

Unabhängig von der inhaltlichen Bewertung ist die Lesbarkeit des Manuals anzusehen: Hier finden sich – neben der bereits erwähnten inkonsequenten Erläuterung von Fachbegriffen – zahlreiche Redundanzen bei den jeweiligen Stichprobenbeschreibungen, die recht raumgreifend und gehäuft auftreten (ganze Absätze werden identisch wiederholt). Damit hat das Manual stellenweise „Skriptcharakter“. Eine erneute prüfende Durchsicht ist somit angezeigt.

Formalisierte Bewertung

Diese Testrezension wurde im Auftrag des Testkuratoriums der Förderation deutscher Psychologenvereinigung (DGPs und BDP) gemäß den TBS-TK-Richtlinien (Testkuratorium, 2009, 2010) erstellt.

Testkuratorium (2009). TBS-TK. Testbeurteilungssystem des Testkuratoriums der Förderation Deutscher Psychologenvereinigung. Revidierte Fassung vom 09. September 2009. Report Psychologie 34, 470 – 478.

Testkuratorium (2010). TBS-TK. Testbeurteilungssystem des Testkuratoriums der Förderation Deutscher Psychologenvereinigung. Revidierte Fassung vom 09. September 2009. Psychologische Rundschau 61, 52 – 56.

Testinformationen

Schuhfried GmbH & Herle, Margit. (2017). Inventar verkehrsrelevanter Persönlichkeitseigenschaften – Revision. Version 51, Revision 2. Mödling: Schuhfried.

Bezugsquelle: Schuhfried GmbH. Hyrtlstraße 45. 2340 Mödling. Österreich. Das IVPE-R ist Bestandteil des Wiener Testsystems. Für Nutzerinnen und Nutzer des Wiener Testsystems kostet die Einzelvorgabe 2,57 €.

Bitte zitieren Sie diesen Artikel wie folgt: Risser, R. & Frieg, P. (2020). TBS-TK Rezension: „Inventar verkehrsrelevanter Persönlichkeitseigenschaften – Revision“, Psychologische Rundschau, 71, 414 – 416.