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Fachgruppe Klinische Psychologie und Psychotherapie. Gute klinische Forschung durch zukünftige Psychotherapeut_innen

Published Online:https://doi.org/10.1026/0033-3042/a000567

Fachgruppe Klinische Psychologie und Psychotherapie

Gute klinische Forschung durch zukünftige Psychotherapeut_innen

In ihrem Beitrag untersuchten Brachem und Kolleg_innen, inwiefern die Replikationskrise und fragwürdige Forschungspraktiken (questionable research practices; QRP) unter Studierenden bekannt und in ihrer eigenen Forschungspraxis angekommen sind. Die Ergebnisse einer Umfrage an 1.397 Studierenden der Psychologie im deutschsprachigen Raum verweist auf drei Kernbefunde: erstens scheint die Anwendung von QRPs im Studienverlauf abzunehmen (wobei Limitationen des querschnittlichen Designs zu bedenken sind, dies ergo auch Kohorteneffekte abbilden könnte); zweitens sind ca. drei Viertel der Studierenden mit der Thematik im Rahmen von Lehrveranstaltungen in Berührung gekommen; drittens wird der Themenkomplex von einer großen Mehrheit als wichtig und interessant beurteilt, wobei der Grad an Informiertheit schwankt. Alles in allem sind dies gute Nachrichten.

Viele der von den Autor_innen empfohlenen Forschungspraktiken stehen in der Tradition klinischer Forschungsmethoden zum Wirksamkeitsnachweis (psycho–) therapeutischer Interventionen (sog. Phase-III Studien der Wirksamkeitsprüfung). Diese orientieren sich an den Phasen der klinischen Prüfung aus der evidenzbasierten Medizin und Medikamentenprüfung und sind z. B. in den Good Clinical Practice (GCP) oder Consolidated Standards of Reporting Trials (CONSORT) – Richtlinien niedergelegt. Zur Präregistrierung kommen spezifische Datenbanken, z. B. www.clinicaltrials.gov der National Institutes of Health oder das Deutsche Register Klinischer Studien (www.dkrs.de) des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zum Einsatz. Die konfirmatorische Wirksamkeitsprüfung setzt eine a priori Hypothesenformulierung, Festlegung eines primären Endpunkts (in Abgrenzung zu explorativen Sekundäranalysen) sowie eine belastbare Stichprobenplanung voraus. Die Cochrane Database of Systematic Reviews (CDSR) beinhaltet qualitativ hochwertige systematische Übersichtsarbeiten (und deren Präregistrierungs-Protokolle) im Bereich der Gesundheitsforschung, die sowohl für Lehrzwecke als auch zur Planung studentischer Forschungsprojekte genutzt werden kann. Leitlinien stellen eine summarische Bewertung dieser Evidenz dar, mit dem Ziel, dieses Wissen aufzubereiten und für Praktiker_innen gut handhabbar verfügbar zu machen. Trotz dieser fest implementierten Standards guter klinischer Praxis zeigt z. B. die COMPare Initiative des Centre for Evidence-Based Medicine an der University of Oxford (an der auch Studierende der Medizin beteiligt sind), dass das selektive Berichten von Outcome-Variablen (Weglassen von primären Endpunkten sowie Hinzufügen neuer Outcomes) in der medizinischen Forschung gängige Praxis ist (www.compare-trials.org). Diese Zahlen verdeutlichen, dass Interessenkonflikte, z. B. durch Publikationsdruck, auch in der Klinischen Forschung allgegenwärtig sind. Hier wäre eine strengere Prüfung von Manuskripten durch Herausgeber_innen und Gutachtende, z. B. durch Abgleich mit den Präregistrierungsprotokollen, wünschenswert.

Das große Interesse der Studierenden an der Thematik ist ein wichtiger Impuls, methodische Aspekte der Replikationskrise, QRPs und Open Science nicht nur in den Grundlagenfächern, sondern auch anwendungsorientiert in den klinischen-psychologischen Lehrveranstaltungen zu vermitteln. Dies bildet sich in den Studieninhalten, die gemäß Approbationsordnung für Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten im Bachelor und verstärkt in den neuen Masterstudiengängen mit Schwerpunkt Klinischer Psychologie und Psychotherapie gelehrt werden müssen, ab (z. B. in der vertieften Forschungsmethodik). Robustes Wissen über die Wirksamkeit (psycho–) therapeutischer Interventionen sowie deren Anwendung in der Praxis wird unter Bezugnahme auf Leitlinien vermittelt, die in Deutschland z. B. von der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V. (AWMF) herausgegeben werden und an denen auch viele Mitglieder unserer Fachgruppe federführend mitwirken.

Im Hinblick auf die Anwendung dieser wissenschaftlichen und methodischen Standards bei Projekt- und Abschlussarbeiten sind jedoch einige Besonderheiten aus Sicht der Klinischen Psychologie und Psychotherapie zu beachten. Zum einen sind viele Projekt- und Abschlussarbeiten oft in größere, z. T. multizentrische klinische Studien eingebettet und untersuchen Teilfragestellungen, die nicht durch Primärhypothese‍(n) und Endpunkt‍(e) (und damit durch die a priori Stichprobenplanung) abgedeckt sind. Da diese Studien aber oft der Generierung neuer Hypothesen dienen, sind sie vom großen Wert und sollten, wie von Brachem et al. gefordert, explizit als explorative (Zusatz–) Analysen gekennzeichnet werden. Zweitens ergibt sich im Falle einer eigenständig durchgeführten klinischen Studie oft ein Konflikt durch die Diskrepanz der eigentlich notwendigen Stichprobengröße (durch eine a priori Stichprobenplanung ermittelt), und den Möglichkeiten, geeignete Patient_innen, die den Ein- und Ausschlusskriterien entsprechen, in einem begrenzten Zeitraum zu rekrutieren. Die Stichprobenplanung muss sich hier an den pragmatischen Gegebenheiten orientieren und sollte dann durch eine post hoc Poweranalyse zur Feststellung der statistischen Power ergänzt werden (d. h. welche Effektgröße konnte bei dieser Stichprobengröße und verwendetem Studiendesign inferenzstatistisch nachgewiesen werden?), die in der Diskussion der Ergebnisse Berücksichtigung finden sollte. Darüber hinaus sollten Betreuende die Studierenden z. B. anhand von jährlichen Behandlungszahlen einer Hochschulambulanz oder Klinik dahingehend gut beraten, welches Rekrutierungsziel (unter Berücksichtigung der Prävalenz einer Störung, der Strenge von Ein- und Ausschlusskriterien sowie der zu erwartenden Drop-out Quote) im gegebenen Zeitraum realistisch ist und ggf. Ziel und Fragestellung der Studie bereits im Planungsstadium anpassen. Alternativ könnte ein Rekrutierungszeitraum festgesetzt werden, der auch unabhängig von der Anzahl der Patient_innen nicht überschritten werden sollte. Auch das Einholen eines Ethikvotums sollte in der Zeitplanung berücksichtigt werden. Zur Forderung nach Transparenz gehört hier eine vollständige Dokumentation des Rekrutierungsflusses i. S. eines CONSORT-Flussdiagramms, aus dem ersichtlich ist, wie das Verhältnis gescreenter zu eingeschlossener Patient_innen sowie der möglicherweise selektiven Drop-out Quoten in den Studienarmen ausgefallen ist. Drittens stellt die Forderung der Veröffentlichung von Primärdaten in allgemein zugänglichen Repositorien die Klinische Forschung vor gewisse datenschutzrechtliche Probleme, da Gesundheitsdaten als besonders sensibel einzustufen sind und die Möglichkeit einer Re-Identifizierung ausgeschlossen sein muss. Oft sind, wie oben beschrieben, Abschlussarbeiten auch Teil größerer, multizentrischer klinischer Studien und unterliegen den dort festgelegten Vorgaben zur Veröffentlichung von Primärdaten.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass viele der von Brachem et al. diskutierten Aspekte der Replikationskrise, QRPs und Open Science in der Klinischen Psychologie und Psychotherapie in verschiedenen Richtlinien – von GCP bis CONSORT – verankert sind, die zum Instrumentarium eines jedem und jeder Forschenden gehören (sollten). Wichtig ist, diese nun fest in das Curriculum der neuen Studiengänge im Bachelor- und Masterbreich, die sich aus der Novellierung des Psychotherapeutengesetztes ergeben, zu implementieren, um im Sinne des Practitioner-Scientist Modells zukünftige Psychotherapeut_innen methodisch fundiert auszubilden und für die klinische Forschung zu gewinnen.