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Nachruf für Prof. Dr. Klaus Foppa, Bern

Published Online:https://doi.org/10.1026/0033-3042/a000591

Am 10. Juni in 2021 verstarb in Bern Prof. Dr. Klaus Foppa im Alter von 90 Jahren. Foppa war Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychologie e.V. (DGPs), Mitglied der Academia Europaea und der Wilhelm-Wundt-Gesellschaft e.V. (WWG). Er war nicht nur ein angesehener Wissenschaftler, sondern ein angenehmer und beliebter Kollege, Gesprächspartner und Freund.

1930 in Linz als Sohn eines Gymnasial-Professors geboren, hat Klaus Foppa dort am humanistischen Gymnasium 1949 sein Abitur abgelegt. Anschließend hat er in Wien bei Hubert Rohracher Psychologie studiert; seine Lehrer waren Walter Toman und Erich Mittenecker. Ein Jahr nach der Promotion 1955 bewarb er sich erfolgreich um ein Humboldt Stipendium. So kam er nach Würzburg an das dortige Psychologische Institut zu Wilhelm Arnold (1956). In Würzburg lernte er neben Erwin Roth und Ernst Wehner als Assistenten Ferdinand Merz kennen, und 1957 kam Jochen Kornadt aus Marburg dazu. Ende 1957 wurde er „Verwalter einer wissenschaftlichen Assistentenstelle“, die damals im Falle einer Wiedervereinigung Deutschlands mit einem Kollegen aus der „Zone“ besetzt worden wäre. Dann kam Wallace Russell als US-amerikanischer Gastprofessor nach Würzburg und machte ihn mit den damals in den USA aktuellen behavioristischen Lerntheorien vertraut. Zu seinem „inoffiziellen Lehrern“ gehörte übrigens auch Wilhelm Peters, der nach seinem von den Nazis erzwungenen Exil in Istanbul privat nach Würzburg zurückgekommen war. 1959 entschied sich Klaus Foppa, mit seiner Familie nach Wien zurückzukehren, um dort zu habilitieren. Als Thema seiner Habilitationsschrift wählte er, von Russell und Peters angeregt, „Lernen“, um das von Rohracher für eine Habilitation geforderte Buch zu schreiben. Noch vor Abschluss der Habilitation nahm er einen Ruf an die Universität Bern an, der er bis zur Emeritierung treu blieb. Einen Ruf nach Konstanz 1967 lehnte er ab. Während des akademischen Jahres 1984/85 war er am Wissenschaftskolleg Berlin, und von 1986 – 88 war er Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychologie und anschließend zwei Jahre deren Vizepräsident.

1995 wurde Klaus Foppa emeritiert, ohne sich jedoch aufs Altenteil zurückzuziehen. Er ist weiterhin seinen wissenschaftlichen Interessen, besonders der Beschäftigung mit Gedächtnis, Lernen, Wahrnehmen und Sprache nachgegangen.

Mit Theo Herrmann (zur Sprachpsychologie) und schließlich auch mit uns (zur Kulturpsychologie) hat er regelmäßig den wissenschaftlichen Diskurs gesucht, u. a. zu Fragen der kulturellen Grundlagen der Ontogenese und von Wissenserwerb. In den letzten Jahren durch eine tückische, kaum therapierbare Krankheit mehr und mehr beeinträchtigt, ist Klaus Foppa nun im Kreise seiner Familie verstorben.

Ein Blick in sein Schriftenverzeichnis zeigt, dass sich seine wissenschaftlichen Beiträge den heute üblichen Bewertungskriterien entziehen. Sein bekanntestes Buch „Lernen, Gedächtnis, Verhalten. Ergebnisse und Probleme der Lernpsychologie“ (1965) war seine Habilitations-Schrift, die zur Pflichtlektüre für viele Generationen von Psychologiestudenten mutierte. Seine weiteren Schriften sind vielfach Beiträge zu grundlegenden Problemstellungen, u. a. die Diskussion mit Rainer Fuchs und Heinz Heckhausen zu „Motivation und Handeln“ bei einer früheren Tagung für Experimentelle Psychologie. Bedeutender ist, dass Klaus Foppa sich in der Wilhelm-Wundt-Ge‍sellschaft e.V. intensiv an der Diskussion über menschliche Willensfreiheit oder Diskussion menschlicher Willensfreiheit beteiligte. Damals wurden solche Fragestellungen in der WWG freimütig diskutiert. Klaus Foppa griff diese durchaus kontroverse Thematik auf und organisierte zusammen mit Mario v. Cranach 1993 eine Tagung in Murten (Schweiz), bei der in einem breit angelegten Programm die psychologischen Aspekte der Freiheit des Entscheidens und des Handelns erörtert wurden. Hier entstanden Fragen nach Begrenzung menschlicher Handlungsspielräume durch verschiedene Restriktionen.

Auch weiterhin waren es seine Beiträge in vielfältigen, persönlichen Gesprächen, die ihn zu einem besonders angesehenen Gesprächspartner machten, auch oder gerade, wenn er seinem Partner (immer freundlich) widersprach. Ein besonderes Beispiel ist sein Aufsatz mit dem Thema „Um welche Art von Wissenschaft handelt es sich eigentlich bei der empirischen Psychologie?“ Er fragt darin, ob die immer reklamierten Ansprüche an naturwissenschaftliche Standards in der psychologischen (experimentellen) Forschung wirklich erfüllt werden.

In den folgenden Jahren hat sich Klaus Foppa weiterhin mit vielfältigen Phänomenen des Lernens und der damit verbundenen Gedächtnisleistung beschäftigt. 2001 resultierte dies in einer Arbeit zu „Unbemerkten Gedächtnisleistungen (rezeptive Erinnerungen) als Voraussetzungen von Lernprozessen“ und zu entwicklungspsychologisch fundierten Ausführungen über „Lernprozesse in der frühen Kindheit“ (2002). Ihm geht es dabei um die Genese von Gedächtnis, insbesondere um die Rolle nicht intendierter Gedächtnisleistungen, bzw. des nicht bewussten Erinnerns als Voraussetzung für Lernen. Das Ergebnis diffuser Vergleiche zwischen Repräsentationen gleicher und ungleicher, bekannter und unbekannter Merkmale sieht er als Voraussetzung für rezeptive Gedächtnisspeicherung und als Grundlage für frühkindliche Erfahrungsbildung. Rezeptives Erinnern wird durch Imitation und damit verbundene motivationale Prozesse in der weiteren Entwicklung zu intentionalem aktiven Lernen erweitert. Schließlich stellen sich für Klaus Foppa Fragen nach Bedingungen für kulturelles Lernen und der Funktion des rezeptiven Gedächtnisses für Enkulturationsprozesse und für kulturelle Entwicklungen.

In aufwändigen sprach- und entwicklungspsychologischen Beobachtungsstudien zusammen mit seinen Schülern galt sein Interesse zunehmend den Bedingungen und dynamischen Prozessen des Dialogs: in Alltagsinteraktionen sowie auch in der Wissenschaft. Ein gutes Beispiel dafür, wie sich Klaus Foppa einen wissenschaftlichen Austausch, die Abwägung von Argumenten und einen allmählichen Erkenntnisfortschritt vorgestellt hat, ist das Buch „Über Lernen. Ein Gedankenaustausch“, dass Marie-Louise Käsermann und Andreas Altorfer (2005) zu seinem 75. Geburtstag herausgegeben haben. Hier hat Klaus Foppa eine große Zahl von Kolleg_innen eingeladen, ihre Vorstellungen und eventuellen Einwände zu seinen (Foppas) Positionen darzulegen. Auf jeden dieser – heterogenen – Beiträge hat er eingehend geantwortet. Foppas Vorstellung über den Fortschritt in der Wissenschaft, über wissenschaftlichen Austausch und über Klärung im Dialog kommen hier wie auch im Gespräch mit Ralph Sichler (1998) am besten zum Ausdruck. Dabei mögen ihm – der bis zuletzt einem Kreis zum Studium alt-griechischer philosophischer Texte angehörte – auch die Peripathetiker vorgeschwebt haben.

Klaus Foppas eigentliche wissenschaftliche Beiträge bestehen nach wie vor in Diskussionen oder im Dialog. Dafür hat ihm sein Aufenthalt im Wissenschaftskolleg Berlin außergewöhnliche und zusätzliche Anregungen geboten. Daraus ist neben kleineren Online-Publikationen ein mit Bruno Frey gemeinsam verfasster Artikel „Über menschliches Handeln“ (1984/5) hervorgegangen. Klaus Foppa war zudem über mehr als dreißig Jahre Mitglied der Interdisziplinären sozialwissenschaftlichen Arbeitsgruppe (ISAG), die zweimal jährlich zusammenkam. Sein Interesse an Sprache und am Austausch in Gesprächen hat er zudem in einem 1995 gegründeten und sich über vierzehn Jahre regelmäßig treffenden Literaturkreis verfolgt.

Schließlich hat sich Klaus Foppa in späteren Jahren mit Fragen der „Individuellen Voraussetzungen der Kulturentwicklung“ (2007) und mit biologischen Grundlagen menschlicher Entwicklung befasst, und somit auch mit Darwins Evolutionstheorie. Dessen Grenzen für die menschliche Kulturentwicklung hat er in seiner Monographie „Jenseits von Darwin“ (2011) dargelegt. Für ihn war klar, dass auch die Psychologie einen Beitrag zu Fragen der Entwicklung und Entstehung von Kulturen leisten müsste. Wir haben daher einen kleinen Gesprächskreis gegründet, in dem über Jahre hinweg regelmäßig Fragen der Anthropogenese und der Entstehung von Kulturen diskutiert wurden: ihm gehörten außer Klaus Foppa auch Mario von Cranach und die beiden Autor_innen (Kornadt und Trommsdorff) und des Öfteren auch Ruth Foppa an. Die Absicht unserer entwicklungs-‍, sozial- und kulturpsychologischen Ansätze war, diese, um biologische und historische Sichtweisen zu erweitern. Dies konnte jedoch nicht mehr realisiert werden.

Die unübertroffene Gastfreundschaft der Foppas, Klaus′ intellektuelle Neugier, sein originelles Denken und seine einfallsreichen Überlegungen – die anregenden Diskussionen in einer warmen und freundschaftlichen Atmosphäre – und mit Blick auf die Aare – haben die nicht immer streng strukturierten Gespräche mit Klaus Foppa zu unvergesslichen Erlebnissen werden lassen.

Für die Deutsche Gesellschaft für Psychologie.