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Open AccessOriginalarbeit

Der Forschungsbeitrag der deutschsprachigen Klinischen Psychologie zu Themen der psychischen Störungen und Psychotherapie

Published Online:https://doi.org/10.1026/1616-3443/a000582

Abstract

Zusammenfassung. Die Klinische Psychologie ist essentieller Bestandteil interdisziplinärer Forschung im Bereich psychischer Störungen. Ziel der präsentierten Analyse war es, den individuellen Beitrag der Psychologie abzubilden. Wir bestimmten daher objektive Indikatoren für die Mitwirkung der deutschsprachigen Klinischen Psychologie und ihrer psychologischen Nachbardisziplinen an den Forschungsthemen zu psychischen Störungen. Eine themenbezogene Drittmittelanalyse für den Zeitraum 2000 – 2018 identifizierte 85 Großprojekte unter klinisch-psychologischer Leitung sowie 10 Personenförderungen mit einem Gesamtfördervolumen von 156 Millionen Euro. Weiterhin zeigte eine Publikationsanalyse, dass in den Jahren 1980 – 2018 die 150 deutschsprachigen Autor_innen mit den meisten themenrelevanten Publikationen mehrheitlich (63 %) einen akademischen Abschluss in Psychologie hatten. Die Anzahl der Publikationen nahm unter den psychologischen Autor_innen insgesamt jährlich zu. Wir identifizierten ein breites Forschungsfeld in störungsspezifischer, verfahrensspezifischer und neurowissenschaftlich fundierter Forschung. Die Ergebnisse verdeutlichen den substantiellen Beitrag der Psychologie in der Grundlagen- und Behandlungsforschung zu psychischen Störungen.

The Research Contribution of German-Speaking Clinical Psychology on Topics Concerning Mental Disorders and Psychotherapy

Abstract. Clinical psychology forms an essential part of interdisciplinary research in the field of mental disorders. The presented analysis illustrates the individual contribution of psychology. We therefore determined objective indicators for the involvement of German-speaking clinical psychology and its neighboring disciplines in the research topics concerning mental disorders. This topic-related, third-party funding analysis for the period 2000 – 2018 identified 85 large-scale projects under clinical-psychological management as well as 10 personal grants, with a total funding volume of 156 million euros. Furthermore, a publication analysis showed that, in the years 1980 – 2018, a majority of the 150 German-speaking authors with the most relevant publications (63 %) held an academic degree in psychology. The number of publications among authors from psychology revealed an overall annual increase. A broad field of research occurred in disorder-specific, procedure-specific, and neuroscientific research. The results illustrate the substantial contribution of psychology to basic and treatment research on mental disorders.

Hintergrund

Am 1. September 2020 ist das neue Psychotherapieausbildungsgesetz in Kraft getreten. Mit diesem Gesetz, das nach einem fünfjährigen Universitätsstudium einen Approbationsabschluss in Psychotherapie vorsieht, ist für die Psychologische Psychotherapie der letzte Schritt zum akademischen Heilberuf vollzogen worden. Bereits das erste Psychotherapeutengesetz aus dem Jahr 1999 hat die Klinische Psychologie maßgeblich geprägt und zu einer weiteren Professionalisierung des akademischen Faches beigetragen. Psychologische Psychotherapie ist zu einem Qualitätsmerkmal in Deutschland geworden. Ohne sie wäre die Versorgung psychisch erkrankter Menschen in Deutschland nicht mehr leistbar. An fast allen Professuren für Klinische Psychologie sind Forschungs- und Ausbildungsambulanzen entstanden, in denen jährlich weit über 50.000 Menschen aller Altersgruppen mit psychischen Störungen mit evidenzbasierter Psychotherapie erfolgreich behandelt werden1. Diese Ambulanzen bieten heute dem Fach eine international konkurrenzlose Basis für eine dynamische Grundlagen- und Interventionsforschung.

Bis die Klinische Psychologie ihre heutige akademische Position einnehmen konnte, unterlag sie vielfältigen Einflüssen (Malich, 2020). Ihre institutionelle Entwicklung war dabei zunächst mit der erfolgreichen Etablierung einer Psychologischen Psychotherapie als einer zentralen Säule der Krankenversorgung von Patientinnen und Patienten mit psychischen Störungen verknüpft. Die Klinische Psychologie prägte von Beginn an eine psychotherapeutische Perspektive, die auf empirischen Forschungsarbeiten zur Ätiologie abweichenden Verhaltens beruht und sich dem Primat der Evidenzbasierung verpflichtet fühlt.

Nach einer anfänglichen Etablierung klinisch-psychologischer Schwerpunkte innerhalb der Medizin sowie im Rahmen von Erziehungsberatung entwickelten die Vertreter_innen der Klinischen Psychologie in Deutschland zunehmend eine eigene Identität als Teildisziplin der angewandten Psychologie. Die in den 1960er Jahren begonnene Professionalisierung zeigte sich auch in der universitären Institutionalisierung der Klinischen Psychologie im Kontext aufblühender psychologischer Institute. Die von der Deutschen Gesellschaft für Psychologie im Jahr 1973 veröffentlichte Modifikation der Rahmen-Prüfungsordnung für Psychologie wies die Klinische Psychologie erstmals als einen von drei anwendungsbezogenen Schwerpunkten im Studium aus. Mit der Einführung des ersten Psychotherapeutengesetzes im Jahr 1999 erhielt die akademische Professionalisierung in der Klinischen Psychologie einen weiteren wichtigen Aufschwung. In diesem Gesetz wurde nicht nur die Grundlage für die Entwicklung des akademischen Heilberufs Psychologische Psychotherapie geschaffen, sondern auch die Forschung und Lehre zur Psychotherapie im Fachbereich Klinische Psychologie und Psychotherapie an den psychologischen Instituten der deutschen Universitäten fest verankert (Fydrich & Kommer, 2004; Schulte, 2012). Dies zeigt sich nicht zuletzt darin, dass viele Professuren ihre Denomination von Klinischer Psychologie nun in Klinische Psychologie und Psychotherapie umbenannten.

Im Psychotherapeutengesetz von 1999 wird aufbauend auf der Definition Hans Strotzkas, des österreichischen Mediziners, Tiefenpsychologen und Hochschullehrers, eine verfahrens- und methodenübergreifende Definition der Psychotherapie als gezielte professionelle Behandlung psychischer Störungen oder psychisch bedingter körperlicher Störungen mit psychologischen Mitteln, mit einer lehrbaren Technik, einem definierten Ziel und auf der Basis einer Theorie des normalen und abnormen Verhaltens beschrieben (Strotzka, 1969). Diese bis heute gültige Definition betont die Rolle der Psychologie als „Mutterwissenschaft“ der Psychotherapie und die Bedeutung psychologischer Grundlagenerkenntnisse für die Weiterentwicklung psychotherapeutischer Verfahren (Wittchen & Rief, 2015).

Die Klinische Psychologie und ihre psychologischen Nachbardisziplinen erlebten nach dem Inkrafttreten des Gesetzes eine enorme Weiterentwicklung. An den psychologischen Instituten entstanden in ganz Deutschland Hochschul- und Forschungsambulanzen sowie postgraduale Ausbildungsgänge in Psychologischer Psychotherapie sowie Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie, die eine ideale Grundlage für klinisch-psychologische Forschung legten. Die Gründung von <unith> im Jahr 2002, dem Zusammenschluss universitärer Ausbildungsgänge in Psychotherapie mit dem Ziel einer engen Verknüpfung von Psychotherapieausbildung und Forschung in Klinischer Psychologie und Psychotherapie, war ein weiterer Meilenstein für die Professionalisierung des Faches. Die etablierten Strukturen ermöglichten ausgeprägte multizentrische Forschungsarbeiten in der ambulanten Versorgung. Und nicht zuletzt stieg die Anzahl der Professuren im Bereich Klinische Psychologie stetig an: Gab es in Deutschland im Jahr 2000 noch 24 Professor_innen für Klinische Psychologie, Diagnostik und Psychotherapie, waren es im Jahr 2018 bereits 99 Professor_innen (nur W2 und W3 bzw. C4 und C3; persönliche Korrespondenz mit dem statistischen Bundesamt). Es wird deutlich, dass die Umsetzung des ersten Psychotherapeutengesetzes mit einem weitreichenden strukturellen Ausbau des Faches Klinische Psychologie verbunden war. Mit dem neuen Psychotherapeutenausbildungsreformgesetz wird dieser Prozess weiter vorangetrieben, was sich nicht zuletzt an der klinisch-psychologischen Forschungstätigkeit in Deutschland ablesen lässt.

Die Forschung und Lehre in der Klinischen Psychologie umfasst heute alle Aspekte psychischer Gesundheit und psychischer Störungen und behandelt Themen von der Nosologie, Klassifikation, Epidemiologie, Ätiologie, Prävention, Psychotherapie und Rehabilitation bis hin zu Versorgungsforschung bei psychischen Störungen und psychisch bedingten körperlichen Störungen (Wittchen & Hoyer, 2011). Ein gängiges Grundmodell zum Verständnis psychischer Störungen in der Klinischen Psychologie baut auf einem bio-psycho-sozialen-Rahmenmodell auf und enthält in seiner modernen Fassung neben pathogenen Faktoren auch salutogene Faktoren sowie deren Interaktion (Margraf, 2018). Diese integrative Perspektive betont einen engen Austausch mit anderen Wissenschaftsdisziplinen, insbesondere medizinischer Fächer wie Psychiatrie und Neurologie, aber auch Fachrichtungen wie Soziologie oder Pädagogik, und zeigt sich in zahlreichen interdisziplinären Kooperationsprojekten in Deutschland (z. B. Heinig et al., 2017). In den letzten Jahren spielten hier vor allem die großen Verbundausschreibungen des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) eine wichtige Rolle. In diesen Verbünden (z. B. Forschungsnetz psychische Erkrankungen2; Forschungsverbünde zur psychischen Gesundheit geflüchteter Menschen3) werden über die verschiedenen Fachdisziplinen hinweg, insbesondere Psychologie und Medizin, große multizentrische Verbundprojekte zu Themen der psychischen Gesundheit sowie psychischer Störungen und Psychotherapie durchgeführt. Diese Projekte tragen zu der immer größer werdenden internationalen Sichtbarkeit Deutschlands in diesem Forschungsbereich bei.

Um den spezifischen Beitrag der Psychologie an den Forschungsthemen zu psychischen Störungen darzustellen, bestimmten wir im Rahmen einer themenbezogenen Analyse eingeworbener Drittmittel und Publikationsleistungen objektive Indikatoren von erbrachten Forschungsleistungen der Kolleg_innen der akademischen Psychologie.

Fragestellung

Die Sprechergruppe der Fachgruppe Klinische Psychologie und Psychotherapie der Deutschen Gesellschaft für Psychologie hat das 20-jährige Jubiläum der Einführung des ersten Psychotherapeutengesetzes zum Anlass genommen, um eine Bestandsaufnahme zur Forschungsaktivität der Klinischen Psychologie und ihrer psychologischen Nachbardisziplinen im Bereich psychischer Störungen und Psychotherapie im deutschsprachigen Raum vorzunehmen. In der interdisziplinären Perspektive psychischer Störungen und deren Behandlung nimmt die Psychologie ihre Verantwortung in der deutschsprachigen Forschungslandschaft wahr. Dennoch bleibt der geleistete Beitrag im Gesamtkontext der Forschung – bedingt durch die thematische Konvergenz und der zunehmenden interdisziplinären Forschungstätigkeiten – häufig unerkannt. Detaillierte Kenntnisse über den geleisteten Anteil an der Forschung sind aber die Grundlage für ein adäquates Selbstverständnis des Faches und dienen als Ausgangspunkt für eine angemessene Berücksichtigung in der politischen Steuerung von zukünftigen Maßnahmen der Forschungsförderung. Ziel war es daher, den individuellen Beitrag der Psychologie an Forschungsleistungen zum Themenbereich psychische Störungen und Psychotherapie abzubilden. Als Indikatoren für Forschungsleistung wurden die im Wissenschaftssystem üblichen Kennwerte herangezogen: (1) Umfang der Einwerbung kompetitiver Verbund- und Großprojekte, (2) Anzahl renommierter Förderpreise und Personenförderung, (3) Publikationsleistungen, jeweils bezogen auf den Themenbereich psychische Störungen und Psychotherapie.

Methode

Drittmittelumfrage

In dem Zeitraum 02. 10. 2018 bis 18. 11. 2018 wurden die Professor_innen für Klinische Psychologie und Psychotherapie im deutschsprachigen Raum gebeten, an einer Umfrage zum Umfang eingeworbener kompetitiver Drittmittel teilzunehmen. Da die spezifischen Fördersummen für themenassoziierte Forschungsprojekte von DFG und BMBF nicht veröffentlicht werden und wir diese daher nicht als Grundlage für unsere Drittmittelanalyse heranziehen konnten, mussten wir uns auf den Selbstbericht der Professor_innen beziehen. Es wurden ausschließlich Verbund- und Großprojekte bzw. Personenfördermittel abgefragt, die eine Fördersumme von mindestens 500.000 Euro unabhängig von der Projektlaufzeit umfassten. Hierdurch sollte der Beitrag der Klinischen Psychologie und Psychotherapie an hoch kompetitiven Großprojekten in Deutschland als Indikator exzellenter Forschungsleistungen sichtbar gemacht werden. Wir haben auf die Nennung anderer Drittmittelprojekte unabhängig von der Fördersumme verzichtet, um den Aufwand der Umfrage zu begrenzen und damit eine ausreichende Motivation zur Teilnahme nicht zu gefährden. Anhand von zwei Tabellen, die eigens für die Umfrage entwickelt wurden, wurden neben der Bezeichnung der Projekte die Angaben zur Förderinstitution (z. B. DFG, BMBF, EU, Innovationsfonds), Art des Förderprogrammes, Name des Sprechers / PrincipaI Investigators (PI) bzw. der assoziierten Hochschule, Förderzeitraum und Fördervolumen inkl. Overheadmittel erfragt. Für die Darstellung der Personenfördermittel wurden Förderinstitution, Art der Personenförderung sowie Fördersumme inkl. Overhead erfasst. Die Aufforderung erfolgte über einen in der DGPs-Fachgruppe Klinische Psychologie und Psychotherapie geführten E-Mailverteiler, der alle Professor_innen der Fachgruppe an Psychologischen Instituten in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Luxemburg enthält und laufend aktualisiert wird. Zum Zeitpunkt der Befragung waren hier 102 Personen gelistet. Unter den 102 Personen befanden sich neun emeritierte bzw. pensionierte Professorinnen und Professoren. Gleichzeitig wurde darum gebeten, die Umfrage auch an Vorgänger_innen der aktuellen Professor_innen weiterzuleiten, da die Fachgruppe über keine systematische Übersicht emeritierter bzw. pensionierter Kolleg_innen verfügt. Auf die Freiwilligkeit der Teilnahme an der Umfrage sowie die anonymisierte Datenverarbeitung wurde explizit hingewiesen. Auch wurde darum gebeten, die Umfrage zu beantworten, falls keine Verbund- und Großprojekte bzw. Personenfördermittel eingeworben wurden.

Publikationsanalyse

In Zusammenarbeit mit dem Leibniz-Institut für Psychologie (ZPID) erhoben wir zunächst die Häufigkeit von Veröffentlichungen zum Themenbereich psychischer Störungen (vgl. unten) von Wissenschaftler_innen an den Universitäten im deutschsprachigen Raum unabhängig von ihren jeweiligen Wissenschaftsdisziplinen in dem Zeitraum 1980 bis 2018. Im zweiten Schritt identifizierten wir den Anteil der Psycholog_innen in Relation zu der Gesamtheit der 150 Autor_innen, die in der identifizierten Gesamtliste von 81.347 Autor_innen die meisten Publikationen veröffentlichten (inkl. Kolleg_innen aus benachbarten Disziplinen wie z. B. Medizin oder Pädagogik). In der Gruppe der psychologischen Autor_innen mit den meisten Veröffentlichungen im Gesamtzeitraum ermittelten wir die Häufigkeiten von Publikationsformen, Grad der Internationalisierung der Publikationen und die am häufigsten verwendeten Fachzeitschriften. Weiterhin identifizierten wir diejenigen Themenbereiche, die sich durch einen starken Zuwachs an Publikationsleistungen über die Zeit hinweg auszeichneten („Hot Topics“) und charakterisierten diese inhaltlich. Abschließend skizzierten wir die internationale Verknüpfung von Autor_innengruppen, um die internationalen Kooperationsnetzwerke der publizierenden Psycholog_innen abzubilden.

Daten

Datengrundlage bildeten die in der Forschungsdatenbank PSYNDEX nachgewiesenen wissenschaftlichen Zeitschriftenartikel, Fachbücher, Buchkapitel, Berichte und Dissertationen mit Stand vom 18. 10. 2019. PSYNDEX ist die Referenzdatenbank für psychologische Fachliteratur aus dem deutschsprachigen Raum und wird vom ZPID produziert (freier Zugang über www.PubPsych.de). Erfasst werden hier Publikationen aus nationalen und internationalen Fachzeitschriften mit Bezug zu allen Teilbereichen der Psychologie sowie aus Nachbarbereichen wie Psychiatrie, Psychosomatik und Verhaltensmedizin, Erziehungswissenschaften oder Soziologie. In PSYNDEX wird demnach Literatur nachgewiesen, die für die Psychologie relevant ist, aber auch von Autor_innen mit anderem fachlichen Hintergrund verfasst wurde (hier vor allem Ärzt_innen). Zur Selektion von Publikationen aus dem Bereich psychischer Störungen und Psychotherapie wurde wie folgt vorgegangen:

Aus dem Klassifikationssystem4 der American Psychological Association (APA) für psychologische Literatur, das für die inhaltliche Einordnung von Publikationen in PSYNDEX genutzt wird, wurden folgende Inhaltsklassifikationen ausgewählt, um möglichst spezifisch den Bereich der psychischen Störungen und assoziierter Aspekte abzubilden: „Psychische Störungen“, „Behandlung und Prävention“ sowie „Klinische Psychodiagnostik“ mit jeweils fast allen Unterkategorien. Klassifiziert wird dabei jegliche Forschungsliteratur mit thematischem Bezug ohne Einschränkung in Hinblick auf den fachlichen Hintergrund von Fachzeitschriften, in denen publiziert wurde, bzw. beruflichen Hintergrund der Autor_innen. Damit berücksichtigt PSYNDEX explizit die interdisziplinäre Ausrichtung der themenbezogenen Forschung. Ausgeschlossen wurden folgende Unterkategorien, sofern sie nicht gemeinsam mit einer relevanten Zusatzklassifikation vergeben waren: Kriminelles Verhalten, Lernstörungen, geistige Behinderung, Sprachstörungen, Umweltbelastung und Krankheit mit allen Unterpunkten, Selbsthilfegruppen, Laienhilfe, paraprofessionelle Beratung und Seelsorge, Kunst-‍, Musik-‍, und Bewegungstherapie, Gesundheitsförderung und Vorsorge, psychosoziale Dienste und Gesundheitsversorgung mit allen Unterpunkten, Sprachtherapie sowie Strafvollzug und Resozialisierung. Neben den Klassifikationen wurde zusätzlich ein standardisiertes Thesaurusvokabular5 der APA (Tuleya, 2007; ZPID, 2016) zur Selektion genutzt. Alle Publikationen, die mit den Begriffen “Clinical Psychology“, “Clinical Psychologists“, “Clinical Psychology Graduate Training“, “Clinical Methods Training“, “Clinical Psychology Internship“, “Psychotherapy Training“ und “Therapist Trainees“ aus dem standardisierten Schlagwortvokabular verschlagwortet waren, wurden ebenfalls ausgewählt.

Der somit erstellte Datensatz umfasste insgesamt 136.289 Publikationen. Die Autor_innen der Publikationen entstammen unterschiedlichen Fachrichtungen, da entsprechend der Aufnahmekriterien von PSYNDEX6 auch Psychologie-relevante Literatur aus Nachbardisziplinen wie Psychiatrie, Psychosomatik oder Verhaltensmedizin aufgenommen wird. Um den spezifischen Anteil von Psycholog_innen zu untersuchen, war es daher nötig, deren Publikationen herauszufiltern.

Stellvertretend für die gesamte Klinische Psychologie wurden die Publikationsanalysen anhand der publikationsstärksten Klinischen Psycholog_innen durchgeführt. Dazu wurden zunächst für das thematisch eingegrenzte Korpus die 150 publikationsstärksten Autor_innen bestimmt.7 In dieser Liste wurden in einem zweiten Schritt diejenigen Autor_innen mit einem akademischen Abschluss in Psychologie (Diplom bzw. Bachelor / Master und / oder Promotion) identifiziert, deren Publikationen in die weiteren Analysen eingeschlossen wurden. Ergänzend haben wir geprüft, ob ein akademischer Abschluss in Medizin und / oder weiteren Fachdisziplinen vorlag.

Diese Identifikation erfolgte im Rahmen einer Recherche in den im Internet frei verfügbaren Lebensläufen der jeweiligen Autor_innen, die unabhängig voneinander durch zwei der Autor_innen (H.C. und J.R.) durchgeführt wurde und konsistente Ergebnisse hervorbrachte. Die Disambiguierung von Personen mit ggf. gleichem Namen erfolgte einerseits thematisch anhand der standardisierten Schlagworte ihrer Publikationen (ZPID, 2016) sowie andererseits anhand ihrer Koautor_innen.

Um den spezifischen Anteil der Klinischen Psychologie in Veröffentlichungen in renommierten internationalen Fachzeitschriften zu untersuchen, wurden alle verwendeten Zeitschriften mit Impact Factor (IF) > 4.00 (n = 109) bzw. die n = 20 Zeitschriften mit höchstem Impact-Faktor im Korpus bestimmt. Der IF ist derzeit der etablierteste bibliometrische Indikator für das Ansehen und den Einfluss einer wissenschaftlichen Zeitschrift. Anschließend wurden auch hier unter den 150 publikationsstärksten Autor_innen diejenigen mit einem akademischen Abschluss in Psychologie ermittelt.

Weiterführende Datenanalyse

Topic Modeling

Zur Ermittlung einer Gruppe von “Hot Topics“ der Klinischen Psychologie wurde, wie bei Bittermann und Fischer (2018) beschrieben, Topic Modeling basierend auf Latent Dirichlet Allocation (LDA; Blei, Ng & Jordan, 2003) eingesetzt. Ziel dieser Methode aus dem Maschinenlernen ist es, Gruppen von Wörtern zu ermitteln, die häufig zusammen in Publikationen verwendet werden. Aus diesen Wortgruppen können die ihnen zugrundeliegenden Themen abgeleitet werden. Lernt der Algorithmus beispielsweise, dass “Störungen“, “PTBS“, “Erfahrungen“ und “Trauma“ in vielen Publikationen gemeinsam auftreten, deutet dies auf ein Thema zur Posttraumatischen Belastungsstörung hin. Grundlage zur Ermittlung der Themen waren die Titel, Abstracts, Schlagwörter der Autorinnen und Autoren sowie kontrollierte Schlagwörter der PSYNDEX Terms (ZPID, 2016). Da deutschsprachige Beiträge im Gesamtdatensatz vor Eingrenzung auf die 150 meistpublizierenden Personen am häufigsten waren, wurden neben den deutschen Originaltexten die publizierten deutschen Übersetzungen verwendet. Für Publikationen mit rein englischsprachigen Nachweisen wurden die Inhalte automatisch mit den neuronalen Übersetzungsnetzen von DeepL (www.deepl.com) ins Deutsche übersetzt, damit ein sprachlich einheitliches Korpus für die automatisierte Analyse vorlag.

Die Modellwahl erfolgte analog zu Bittermann, Greiner und Fischer (2020), indem für eine unterschiedliche Anzahl an Themen (von 30 bis 100 in Fünferschritten) und Werten für den LDA-Hyperparameter alpha (0.001 bzw. 0.01) diejenigen Modelle bestimmt wurden, deren Produkt aus semantischer Kohärenz (Mimno, Wallach, Talley, Leenders & McCallum, 2011) und Exklusivität (Roberts et al., 2014) am höchsten war. Nach qualitativer Inspektion der Modellpassung hinsichtlich Interpretierbarkeit und semantischer Validität der Themen (Maier et al., 2018) sowie Zuordnung der Dokumente zu Themen wurde schließlich ein Modell mit 70 Themen (alpha = 0.001) gewählt. Um die Robustheit der Ergebnisse zu erhöhen, wurden nur diejenigen Themen in die nachfolgenden Analysen einbezogen, die interpretierbar waren sowie bei verschiedenen Modellinferenzen reproduziert werden konnten (Niekler, 2016). Das finale Topic Model umfasste schließlich 54 Themen. Zur besseren Interpretierbarkeit der Themen wurde Post-Stemming (Schofield & Mimno, 2016) angewandt, das heißt, dass grammatikalisch bedingte Wortvariationen nach der Modellinferenz auf ihren gemeinsamen Wortstamm gebracht wurden (z. B. “Klinische“ und “Klinischen“ werden zu “Klinisch“ vereinheitlicht). Als “Hot Topics“ wurden diejenigen Themen erachtet, deren Prävalenz einen signifikant ansteigenden Trend (p < .001 anhand linearer Regression mit Jahr als Prädiktor und Prävalenz als Kriterium; siehe jeweilige Teststatistiken identifizierter „Hot Topics“ in Tabelle 2) über die Publikationsjahre hinweg aufwiesen.

Internationale Kooperationsnetzwerke

Zur Untersuchung von internationalen Kooperationsnetzwerken wurden diejenigen Publikationen einbezogen, bei denen die Autor_innen aus mindestens zwei verschiedenen Herkunftsländern stammen. Jedes Land wurde nur einmal pro Publikation gezählt (z. B. fünf Personen, davon drei mit Herkunft Deutschland und zwei mit Herkunft USA, zählen als eine Kooperation zwischen Deutschland und USA). Die Netzwerke wurde anhand einer Kookkurenzmatrix der Herkunftsländer erstellt. Das bedeutet, je häufiger zwei verschiedene Länder zusammen in den Affiliationsangaben einer Publikation auftreten, desto stärker ist die Verbindung im Netzwerk.

Software

Die Publikationsanalysen wurden mit RStudio Version 1.2.5033 (RStudio Team, 2019) basierend auf R Version 3.6.3 (R Core Team, 2020) durchgeführt. Zur Untersuchung von Kooperationsnetzwerken wurde das Paket quanteda 2.0.0 (Benoit et al., 2018) verwendet, Themen und Trends wurden mit den Paketen topicmodels 0.2 – 9 (Grün & Hornik, 2011) und quantqual 0.0.2 (Fischer, 2019) identifiziert. Der kommentierte Analysecode zu Topic Modeling und den Kooperationsnetzwerken ist bei PsychAr‍chives.org (http://dx.doi.org/10.23668/psycharchives.4196) verfügbar.

Ergebnisse

Drittmittelumfrage

Es gingen Rückmeldungen von 47 Personen (Rücklaufquote: 46.08 %) zu den Verbund- und Großprojekten bzw. Rückmeldungen von 21 Personen (20.59 %) zu den Personenförderungen ein. Die durchgeführte Umfrage identifizierte für den Untersuchungszeitraum 2000 bis 2018 im deutschsprachigen Bereich insgesamt 85 Großprojekte an 45 Standorten mit einem Gesamtfördervolumen von 140.187.329 €. Die Fördersumme pro Projekt variierte bei einem durchschnittlichen Fördervolumen von 2.031.700 € zwischen 504.050 € und 17.500.000 €. Die Projekte wurden mehrheitlich vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF; n = 32) bzw. der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG; n = 25) gefördert (siehe Tabelle 1 für die absolute und relative Anzahl der geförderten Großprojekte nach Förderungsart sowie nach Förderungsart differenzierte Fördersummen). Von den insgesamt 85 Großprojekten wurden 41 als Verbundprojekte charakterisiert. Davon wurden 23 Verbundprojekte (56.10 %) von Vertreter_innen der Klinischen Psychologie in der Funktion der / des Sprecher_in geleitet. Weiterhin wurden uns 10 Personenförderungen zurückgemeldet. Das Gesamtfördervolumen beträgt dabei 16.257.877 € (durchschnittliches Fördervolumen pro Person: 1.625.787 €; Spannbreite: 500.000 € – 5.000.000 €). Die Förderung erfolgte durch die DFG (n = 4), das BMBF (n = 2), den Schweizer Nationalfond (n = 2), der Alexander von Humboldt Stiftung (n = 1), sowie der Volkswagen Stiftung (n = 1).

Tabelle 1 Anzahl und Fördervolumen von kompetitiv eingeworbenen Großprojekten (Fördersumme > = 500.000 €) in dem Zeitraum 2000 – 2018, differenziert nach Förderinstitutionen

Publikationsanalyse

Analyse des relativen Anteils der Psychologie

Die identifizierten 150 Autor_innen mit den meisten Publikationen veröffentlichten durchschnittlich 206.23 Publikationen (SD = 125.64; Range: 109 – 1038). Die Mehrheit (n = 94; 62.7 %) der Autor_innen hatte einen akademischen Abschluss in Psychologie. Von den 150 meistpublizierenden Autor_innen hatten 70 Personen einen akademischen Abschluss in Medizin und 32 Personen in einem anderen Fachgebiet (Pädagogik, Erziehungswissenschaften, Soziologie, Philosophie, Politikwissenschaften, Sportwissenschaften, Theologie, Biologie, Mathematik, Physik, Volkswirtschaftslehre, Astronomie oder Astrophysik; Mehrfachzuordnung bei Vorliegen mehrerer Abschlüsse möglich). 17 Autor_innen hatten sowohl einen Abschluss in Psychologie als auch in Medizin.

Den 94 Psycholog_innen konnte ein Anteil von 12.35 % des ursprünglichen Gesamtdatensatz zu klinisch-psychologischer Fachliteratur zugeordnet werden (16.833 von 136.289 Publikationen). Zum Vergleich der Inhalte ihrer Publikationen mit dem Gesamtdatensatz zogen wir die PSYNDEX-Klassifikationskategorien8 heran. Hierbei zeigte sich deskriptiv eine Korrelation von r = .91 zwischen der Kategorienverteilung der 94 Psycholog_innen mit der Verteilung im Gesamtdatensatz. Abweichungen sind vor allem auf eine Überrepräsentierung der Kategorie „3315 Psychoanalytische Therapie“ unter Nicht-Psycholog_innen zurückzuführen (ca. 1.5 mal höher als unter Psycholog_innen; 2.18 % vs. 1.41 %) bzw. auf ein Verhältnis von ca. 1.4 zugunsten der Psycholog_innen bei der Kategorie „3311 Kognitive Therapie“ (2.79 % vs. 3.84 %).

Die Anzahl der durchschnittlichen Publikationen unterschied sich dabei nicht signifikant zwischen Autor_innen mit oder ohne Psychologie-Abschluss (mit Abschluss: m = 204.35, SD = 136.26; ohne Abschluss: m = 209.38, SD = 106.57; t ‍(148) = 0.24, p = .81). Grenzt man die Gruppe der Autor_innen weiter ein (die 50, 20 bzw. 10 Autor_innen mit den meisten Publikationen) fällt der Anteil der Autor_innen mit Psychologie-Abschluss leicht, bleibt aber bei min. 50 % (siehe Abbildung 1 A). Erneut unterschied sich die Anzahl der durchschnittlichen Publikationen zwischen Autor_innen mit oder ohne Psychologie-Abschluss in den Gruppen nicht signifikant, nahm aber in der Gruppe der Psycholog_innen relativ kontinuierlich zu (siehe Abbildung 1B; Top 50: t ‍(48) = 0.34, p = .74); Top 20: t ‍(148) = 0.92, p = .37; Top 10: t ‍(148) = 1.51, p = .17). Berücksichtigt man in weiteren Analysen ausschließlich internationale Zeitschriften mit einem Impact Factor größer als 4.00 (n = 109 Zeitschriften) bzw. die 20 internationalen Zeitschriften mit dem identifizierten höchsten Impact Factor (> 9.50; siehe Tabelle S1 im Elektronischen Supplement I) identifizierten wir n = 69 (46.0 %) bzw. n = 62 (41.3 %) Autor_innen mit einem Abschluss in Psychologie.

Abbildung 1 Anteil der Psychologie an den Publikationsleistungen. Teil A: Relativer Anteil (%) der Autor/innen mit einem akademischen Abschluss in Psychologie in den Gruppen der 150, 50, 20 und 10 meistpublizierenden Autor/innen insgesamt. Teil B: Anzahl der Publikationen (Mittelwert und Standardabweichung) der Autor/innen mit oder ohne akademischen Abschluss in Psychologie in den Gruppen der 150, 50, 20 und 10 meistpublizierenden Autor/innen insgesamt.

Quantitative und qualitative Analyse innerhalb der Psychologie

Die 94 Autor_innen, die in der Hauptanalyse mit einem Psychologie-Abschluss identifiziert wurden, publizierten in den Jahren 1980 bis 2018 insgesamt n = 16.833 Veröffentlichungen. Die Anzahl ihrer jährlichen Publikationen nahm über die Jahre kontinuierlich zu (siehe Abbildung 2) von 31 (1980) auf 672 Publikationen (2018). Dabei zeigte sich, dass ab 1981 im Schnitt jährlich 3.25 neue Forschende zu publizieren begannen, während sich erst ab 2013 Indizien für ein Ende der Publikationstätigkeit einzelner Autor_innen ausmachen ließen. Von den 94 Publizierenden waren 21 Frauen (22.3 %). Der relative Anteil an Publikationen, an denen mindestens eine dieser Frauen als Ko-Autorin beteiligt war, nahm über die Jahre hinweg kontinuierlich zu (siehe Abbildung 3), blieb aber auch im Jahr 2018 mit etwa 25 % gering. Insgesamt beschrieben die Veröffentlichungen am häufigsten die Ergebnisse von empirischen Quer- und Längsschnittstudien oder experimentellen Studien, Interventionstechniken bzw. -programme oder hatten die Form eines Überblicksartikels (siehe Abbildung 4). Dabei wurden empirische und experimentelle Studien häufiger international, d. h. in englischer Sprache veröffentlicht, während Übersichtsartikel, Interventionsbeschreibungen und theoretische Diskussionsartikel häufiger in deutscher Sprache erschienen (siehe Abbildung 4). Abbildung 5 zeigt die Häufigkeit der Publikationen in den 30 am meisten genutzten Fachzeitschriften.

Abbildung 2 Anzahl der Publikationen der n = 94 meist publizierenden Autor/innen mit akademischem Abschluss in Psychologie pro Jahr.
Abbildung 3 Relativer Anteil (%) der Publikationen pro Jahr, bei denen mindestens eine der 21 Frauen unter den 94 meist publizierenden Psycholog/innen als Ko-Autorin mitgewirkt hat.
Abbildung 4 Relative Häufigkeit (%) der berichteten Studienmethodik in der entsprechenden Publikationssprache in den Publikationen mit erfasster Studienmethodik (n = 12,991, Mehrfachzuordnung möglich) der n = 94 meist publizierenden Autor/innen mit akademischem Abschluss in Psychologie. Kategorien mit einer relativen Häufigkeit von < 0.2 % werden zur besseren Lesbarkeit vernachlässigt.
Abbildung 5 Anzahl der Publikationen in den 30 am meisten genutzten Fachzeitschriften der n = 94 meist publizierenden Autor/innen mit akademischem Abschluss in Psychologie pro Jahr.

Topic Modeling

Die inhaltliche Analyse identifizierte 13 Themen mit einem starken Trend zu wachsenden Publikationsanteilen über die Jahre hinweg (Gruppe von „Hot Topics“; siehe Abbildung 6). Diese Themen umfassen Publikationen zu psychischen Störungen (Posttraumatische Belastungsstörung, Depression, Schizophrenie, Angststörungen, Aufmerksamkeitsdefizit- / Hyperaktivitätsstörung), psychischen Belastungen bei körperlichen Erkrankungen (Krebserkrankungen), Psychotherapieforschung (kognitive Verhaltenstherapie, psychodynamische bzw. psychoanalytische Therapie), neurobiologischen Grundlagen und psychometrischen Testverfahren sowie internetbasierten Interventionen (siehe Tabelle 2 für eine detaillierte Beschreibung der Themen der „Hot Topics“).

Abbildung 6 Zeitliche Verlaufe der Prävalenz (d. h., der durchschnittlichen Wahrscheinlichkeit des Themas) von 13 „Hot Topics“ der Klinischen Psychologie mit größtem Trend für ansteigende Prävalenz zwischen 1980 und 2018 (vgl. Tabelle 2). Die gestrichelte horizontale Linie entspricht der durchschnittlichen Prävalenz aller Themen im Modell.
Tabelle 2 Die 13 „Hot Topics“ für den Zeitraum zwischen 1980 und 2018 mit dem größten Trend für ansteigende Prävalenz, sortiert nach Anstieg des Trends (vgl. Abbildung 6).

Internationale Kooperationsnetzwerke

Unsere Analyse zu den internationalen Kooperationsnetzwerken identifizierte n = 2.068 (12.29 %) Veröffentlichungen mit Autor_innen aus mindestens zwei verschiedenen Herkunftsländern. Abbildung 7 zeigt das Netzwerk internationaler Kooperationen. Besonders viele Publikationen von deutschen Autor_innen wurden mit Kolleg_innen aus der Schweiz (n = 595), den USA (n = 522), dem Vereinigten Königreich (n = 307), den Niederlanden (n = 194), Österreich (n = 180), Kanada (n = 129) und Italien (n = 101) veröffentlicht.

Abbildung 7 Netzwerk internationaler Kooperationen: Häufigkeiten von Publikationen mit Autor/innen aus mindestens zwei verschiedenen Herkunftsländern in Abhängigkeit der kooperierenden Länder. Jedes Land wurde nur einmal pro Publikation gezählt. Je häufiger zwischen zwei Ländern kooperiert wurde, desto stärker die Verbindung. Die Anordnung folgt der gesamten Häufigkeit der Herkunftsländer (je häufiger, desto zentraler im Netzwerk).

Diskussion

Die durchgeführten Analysen verfolgten das Ziel, den wissenschaftlichen Beitrag der Klinischen Psychologie und ihrer psychologischen Nachbardisziplinen in der interdisziplinären Forschung zu psychischen Störungen und den damit verbundenen Bereichen wie Diagnostik, Psychotherapie und Prävention anhand von quantifizierbaren Indikatoren zu spezifizieren.

Zunächst identifizierten wir in einer Umfrage 85 themenbezogene Verbund- und Großprojekte mit einer Gesamtfördersumme über jeweils 500.000 €, die unter Verantwortung von Vertreter_innen der Klinischen Psychologie durchgeführt wurden. Dabei wurden insgesamt über 140 Millionen Euro für die Forschung zu psychischen Störungen und Psychotherapie mit einem durchschnittlichen Fördervolumen von über 7 Millionen Euro pro Jahr über den Zeitraum 2000 – 2018 eingeworben. Von den berichteten 41 interdisziplinären Verbundprojekten mit psychologischer Beteiligung wird über die Hälfte von Psychologen_innen geleitet, was die führende Position Klinischer Psychologen_innen in diesem Forschungsbereich unterstreicht. Weiterhin identifizierten wir die erfolgreiche Einwerbung von 10 Personenförderungen mit einem Gesamtvolumen von über 16 Millionen €. Insgesamt bilden die identifizierten Drittmittel der letzten knapp 20 Jahre eine bedeutende Rolle der Klinischen Psychologie in der interdisziplinären Forschungslandschaft zu psychischen Störungen ab. Das Fach nimmt damit eine zentrale Rolle in der Weiterentwicklung ätiologischer Modelle psychischer Störungen sowie der Psychotherapie ein. Zukünftig sollten vergleichende Analysen erfolgreich eingeworbener Drittmittel in themenassoziierten Nachbardisziplinen, z. B. der Psychiatrie, die relative Exzellenz der Forschungsleistungen in der Psychologie näher spezifizieren. Um die Objektivität solcher Ergebnisse zu steigern, sollten direkte Angaben von drittmittelvergebenden Institutionen herangezogen werden, z. B. der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die aber aktuell nicht in der notwendigen Spezifikation für spezifische Teildisziplinen wie der Klinischen Psychologie vorliegen. Bei Rücklaufquoten von 46 % bzw. 21 % in den Umfragen zu den Großprojekten bzw. Personenförderungen ist nicht auszuschließen, dass die Repräsentativität der berichteten Ergebnisse eingeschränkt ist und beispielhaft die geschätzten mittleren Fördersummen von den tatsächlichen Fördervolumen abweichen können. Es ist aber eher anzunehmen, dass weitere Drittmittel nach den gewählten Kriterien von Vertreter_innen der Klinischen Psychologie eingeworben wurden und nicht in unserer Analyse berücksichtigt werden konnten.

Als weitere quantifizierbare Indikatoren der Forschungstätigkeit dienten Kennziffern zu Publikationsleistungen im Themenbereich der psychischen Störungen. Dafür wurde zunächst die Gesamtmenge wissenschaftlicher Veröffentlichungen im deutschsprachigen Raum zu dem Themenbereich in den Jahren 1980 bis 2018 identifiziert. Als Grundlage diente dabei PSYNDEX, die Referenzdatenbank für psychologische Fachliteratur aus dem deutschsprachigen Raum des Leibniz-Instituts für Psychologie (ZPID). In dieser Datenbank werden Publikationen aus nationalen und internationalen Fachzeitschriften mit Bezug zur Psychologie sowie den Nachbarbereichen Psychiatrie, Psychosomatik und Verhaltensmedizin, Erziehungswissenschaften und Soziologie und unabhängig von dem fachlichen Hintergrund der Autor_innen erfasst. Im interdisziplinären Kontext psychischer Störungen bietet PSYNDEX daher eine valide Grundlage für die Identifikation der Gesamtheit themenrelevanter Veröffentlichungen. Wie in den Tabellen 6 und S1 verdeutlicht, identifizierten wir in der Analyse Publikationen aus dem gesamten Spektrum der themenbezogenen Fachzeitschriften aus Psychologie, Psychiatrie und Psychosomatik unter Berücksichtigung aller gängigen Journale. Dennoch ist es nicht auszuschließen, dass eine Analyse auf der Basis alternativer Datenbanken zu abweichenden Resultaten führen können. Die Liste der in unserer Analyse eingeschlossenen internationalen Zeitschriften belegt aber, dass wir z. B. alle themenbezogenen renommierten Fachzeitschriften aus dem medizinisch-psychiatrischen Bereich berücksichtigt haben.

Im zweiten Schritt bestimmten wir aus der Gruppe der meistpublizierenden Autor_innen der diversen involvierten Berufsfelder den Anteil derjenigen Wissenschaftler_innen mit einem akademischen Abschluss in Psychologie. Unsere Analyse zeigt, dass die 150 Autor_innen mit den meisten Publikationen zu den Themen „Psychische Störungen“, „Behandlung und Prävention“ sowie „Klinische Psychodiagnostik“ mehrheitlich (etwa 63 %) einen akademischen Hintergrund in der Psychologie besaßen. In dieser Gruppe der meistpublizierenden Autor_innen waren diejenigen mit einem akademischen Abschluss in Psychologie im Schnitt an genauso vielen Veröffentlichungen beteiligt wie ihre Kolleg_innen aus anderen Fachgebieten. Grenzt man die Analyse weiter ein (Top 50, 20 und 10 der Autor_innen mit den meisten Veröffentlichungen) bleibt der relative Anteil an Psycholog_innen bei über 50 %. Auch diese Ergebnisse verdeutlichen beispielhaft die wichtige Rolle der Klinischen Psychologie in der deutschsprachigen Forschungslandschaft im Themenkontext psychischer Störungen und ihrer Behandlung. Die psychologischen Kolleg_innen veröffentlichen dabei gleichermaßen in nationalen und internationalen Fachzeitschriften mit Schwerpunkten in der Klinischen Psychologie und Psychotherapie sowie in Psychiatrie und Neurologie.

Die Bedeutung der Klinischen Psychologie wird auch in der Analyse des wissenschaftlichen Einflusses der Fachzeitschriften (Impact Factor, IF), in denen veröffentlicht wurde, deutlich: Unter den 150 identifizierten Autor_innen mit den meisten Publikationen in den 109 (IF > 4.00) bzw. 20 (IF > 9.50) internationalen Zeitschriften, war mit 46 % bzw. 41 % der Anteil der psychologischen Wissenschaftler_innen weiterhin substantiell. Dennoch ist damit in diesen Zeitschriften ein geringerer Anteil an psychologischen Autor_innen im Vergleich zu den Ergebnissen der Gesamtanalyse erkennbar. Die etwas geringere Vertretung der Klinischen Psychologie in Zeitschriften mit einem IF > 4.00 mag in dem generell höheren IF medizinischer Zeitschriften im Vergleich zu psychologischen Zeitschriften begründet sein. So wird der IF u. a. von der Größe eines Forschungsgebietes geprägt und nicht zwingend von der Qualität der Zeitschrift. So ist vermutlich auch zu erklären, dass aktuell nur eine_r von insgesamt sechs deutschen Kolleg_innen, die von Web of Science in der Kategorie Psychiatrie und Psychologie als Highly Cited Researcher geführt werden, aus der Psychologie kommt. Wissenschaftliche Institutionen wie die Deutsche Forschungsgemeinschaft oder auch der Wissenschaftsrat mahnen die unkritische Verwendung des IF einer Zeitschrift als ausschließliches Kriterium zur Beurteilung der wissenschaftlichen Qualität wissenschaftlicher Arbeiten an (vgl. hierzu Deutsche Forschungsgemeinschaft, DFG, 2013). Der IF einer Zeitschrift ist daher lediglich als indirekter Indikator für die Qualität einer Publikationsleistung zu verstehen. Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass der Impact Factor einer Zeitschrift keinen Rückschluss auf den Einfluss der wissenschaftlichen Arbeit auf die Versorgung psychisch erkrankter Menschen erlaubt. Zukünftig sollten alternative Kennwerte als Ergänzung zu rein bibliometrischen Indikatoren berücksichtigt werden. Beispielhaft schlägt Kousha (2019) Nennungen in klinischen Studien oder Richtlinien, graue Literatur relevanter Institutionen oder Lehrbücher vor.

Die Publikationsanalyse zeigt, dass die Anzahl der Publikationen in der Gruppe der meistpublizierenden psychologischen Autor_innen von 1980 bis 2000 kontinuierlich anstieg und zwischen 2000 und 2018 mit etwa 600 bis 800 Publikationen pro Jahr ein stabiles Niveau erreicht hat. Der Anstieg der Publikationsleistungen in der Gruppe der analysierten Autor_innen mag einerseits in der steigenden Publikationsleistung der einzelnen Autor_innen begründet sein, die typischerweise im fortgeschrittenen wissenschaftlichen Werdegang zu beobachten ist. Anderseits fanden wir klare Hinweise darauf, dass der Zuwachs an jährlichen Publikationen auch durch die immer größer werdende Gruppe von Autor_innen bedingt ist.

Themenbereiche, in denen mit zunehmendem Anteil publiziert wird („Hot Topics“; zunehmende relative Prävalenzwerte pro Jahr) betreffen zahlreiche Bereiche der Störungslehre und Psychotherapieforschung und deren neurobiologische Grundlagen. Damit untermauern die gewonnenen Ergebnisse der Analyse die Vielfalt angesprochener Forschungsthemen, aber auch die zentrale Rolle der Psychologie in den klinischen Neurowissenschaften, die seit der Dekade des Gehirns nach der Jahrtausendwende besondere Aufmerksamkeit in der interdisziplinären Forschung psychischer Störungen erhielt. Insgesamt zeigen unsere Resultate eine substantielle Bedeutung der psychologisch fundierten Anteile an der disziplinären Gesamtforschung im Bereich psychischer Störungen und deren Behandlungen. Etwa 12 % der Veröffentlichungen der 94 meistpublizierenden Psycholog_innen wurden zusammen mit internationalen Kolleg_innen veröffentlicht. Dieser Befund verdeutlicht ein mögliches Entwicklungspotential in Richtung einer stärkeren Internationalisierung der Forschung.

Als Indikatoren für substantielle Anteile an den themenbezogenen Forschungsleistungen wurden in der vorliegenden Arbeit die im Wissenschaftssystem üblichen Kennwerte herangezogen, die sicher kontrovers diskutiert werden können (vgl. Deutsche Forschungsgemeinschaft, DFG, 2013). Die Kombination aus zwei Kennwerten – (1) der Analyse von in Großprojekten eingeworbenen Drittmitteln und (2) Publikationsanalyse (Anzahl von Publikationen) – ermöglichte die Berücksichtigung von Forschungsleistungen unabhängig von Drittmittelgeldern. Dennoch bleiben weitere Leistungsaspekte unberücksichtigt, wie z. B. die Publikationsleistungen von Jungwissenschaftler_innen aus den jüngeren Jahren oder die Relevanz der Forschungstätigkeit für die psychotherapeutische Versorgung. Daher verstehen wir unsere Analysen als einen Auftakt für die Bestimmung des Status Quo der akademischen Psychologie, der durch weitere Analysen ergänzt werden muss.

Zusammenfassend sprechen die vorgenommenen Analysen eindrucksvoll für eine zentrale Rolle klinisch-psychologischer und psychologisch-psychotherapeutischer Forschung im deutschsprachigen Raum. Seit 1980 haben Wissenschaftler_innen mit einem akademischen Abschluss in Psychologie die Forschung zu Themen psychischer Störungen und deren Behandlung maßgeblich mitgestaltet und geprägt. Sie sind damit essentieller Bestandteil dieser Forschungsleistungen im deutschsprachigen Raum. Diese Ergebnisse sollen das Fach ermutigen, weiterhin die notwendigen Anstrengungen aufzubringen, um auch zukünftig der bisherigen Rolle gerecht zu werden. Durch eine weitere Intensivierung der Drittmittelakquise und Publikationsleistungen in den renommiertesten internationalen Fachzeitschriften kann noch stärker das Potential der psychologisch fundierten Forschung ausgeschöpft werden. Will man die bestehende Expertise der Psychologie weiterhin nutzen, muss sie in strukturellen Überlegungen zur zukünftigen Ausgestaltung der Forschungslandschaft entsprechend ihrem bisherigen Einfluss berücksichtigt werden. In der Gegenüberstellung von z. B. Klinischer Psychologie und anderer Berufsgruppen (z. B. Psychiatrie) bedarf es einer adäquaten spezifischen Forschungsförderung, um den jeweiligen Disziplinen ausreichenden Raum für die eigenständige Weiterentwicklung als Grundlage interdisziplinärer Forschung zu gewährleisten. Gleichzeitig müssen zukünftig in interdisziplinär ausgerichteten Forschungseinrichtungen die Fachrichtungen ausreichende Berücksichtigung finden. Eine erfolgreiche Synergie der in den verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen verorteten Grundlagenexpertisen (psychologisches-experimentelles vs. somatisch-medizinisches vs. sozio-kulturelles Grundverständnis von Psychopathologie) bietet ein enormes Potential für eine erfolgreiche und notwendige Weiterentwicklung der Psychotherapie.

Elektronische Supplemente

Die elektronischen Supplemente sind mit der Online-Version dieses Artikels verfügbar unter https://doi.org/10.1026/1616-3443/a000582

Unser Dank gilt der Referentin der Fachgruppe Klinische Psychologie und Psychotherapie der Deutschen Gesellschaft für Psychologie, Dr. Ania Conradi, Katja Trillitzsch vom ZPID für ihre Hilfe bei der Bestimmung des Korpus für die Publikationsanalyse sowie den beiden studentischen Hilfskräften Celine Bahr und Sophie Ruprecht, beide Ruhr-Universität Bochum, für die Unterstützung bei der Durchführung und Auswertung der Umfrage zu den eingeworbenen Drittmitteln.

Literatur

1https://www.klinische-psychologie-psychotherapie.de/images/FG_KLINIK/PDF/Fact_Sheet-I_Klinische_Psychologie_Psychologie_2019_01.pdf

2gesundheitsforschung-bmbf.de/de/Forschungsnetz-psychische-Erkrankungen.php

3gesundheitsforschung-bmbf.de/de/forschungsverbunde-zur-psychischen-gesundheit-gefluchteter-menschen-8798.php

4https://www.apa.org/pubs/databases/training/class-codes

5Die Begriffe aus diesem Vokabular werden von geschulten PSYNDEX-Mitarbeitenden im Hinblick auf den Inhalt der Publikation vergeben. Es handelt sich nicht um freie Schlagwörter der Autor_innen. Das heißt beispielhaft in Bezug auf den Term „Clinical Psychology“, dass unabhängig von den beruflichen Hintergründen der Autor_innen eingeschätzt wird, ob die Inhalte einer entsprechenden Publikation in die Themenbereiche der Klinischen Psychologie fallen.

6https://psyndex.de/ueber/aufnahme/kriterien/

7Gezählt wurden individuelle Publikationsleistungen ungeachtet der Namensreihenfolge bzw. Position in der Autorenliste. Die Festlegung auf 150 Personen erfolgte vor dem Hintergrund, dass die Fachrichtung von Autor_innen in PSYNDEX (wie in anderen Datenbanken auch) nicht erfasst wird. Da eine manuelle Recherche aller 81347 Personen im Datensatz nicht mit vertretbarem zeitlichem Aufwand durchführbar war, beschränkten wir uns auf die 150 publikationsstärksten Personen.

8https://psyndex.de/ueber/inhalte-aufbau/schlagwoerter-klassifikationen/#klassifikationschemata