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Open AccessOriginalarbeit

Verhaltensanalysen und objektive Merkmalsbeurteilungen bei Personen mit olfaktorischer Referenzstörung

Published Online:https://doi.org/10.1026/1616-3443/a000659

Abstract

Zusammenfassung.Hintergrund: Personen mit olfaktorischer Referenzstörung (ORS) befürchten einen unangenehmen Körpergeruch zu verbreiten. Für andere ist dieser Geruch jedoch nicht objektivierbar. Fragestellung: Studienziele waren, zu eruieren, welche Situationen bei Betroffenen spezifische Verhaltens- und Denkmuster auslösen, welche Emotionen, Kognitionen, Körperempfindungen und Verhaltensweisen beschrieben werden, und wie diese Personen auf Andere bezüglich Aussehen, Habitus und Körpergeruch wirken. Methode: 38 ORS-Betroffene und 38 gematchte Kontrollpersonen durchliefen qualitative Interviews, es wurden Videoaufnahmen (Habitus), Fotos (Aussehen) und Schweißproben (Körpergeruch) durch unabhängige, verblindete Personen beurteilt. Ergebnisse: Als auslösende Situationen werden überwiegend soziale Situationen beschrieben. Als Reaktionen werden Sicherheitsverhalten (motorisch), Scham (affektiv), Selbstabwertungen (kognitiv) und Schwitzen (vegetativ) am häufigsten genannt. Die objektiven Beurteilungen unterschieden sich nicht signifikant zwischen den Gruppen. Diskussion: Es sind vorwiegend soziale Situationen, die ORS-spezifische Symptome auslösen. Dabei lassen sich die befürchteten Symptome (insbesondere der unangenehme Geruch oder die negative soziale Bewertung) durch unabhängige Beurteilende nicht objektivieren, was den sozialen Aspekt der Befürchtungen verdeutlichen könnte.

Behavioral Analyses and Objective Feature Assessments in People With Olfactory Reference Disorder

Abstract.Background: Individuals with olfactory reference disorder (ORS) fear spreading an unpleasant body odor, though for others, this odor is not objectifiable. Purpose: The study aimed to find out which situations trigger specific behavioral and thought patterns, which emotions, cognitions, body sensations, and behaviors are described, and how these individuals affect others concerning their appearance, habitus, and body odor. Methods: 38 ORS sufferers and 38 matched controls underwent qualitative interviews; video recordings, photographs, and sweat samples were assessed by independent, blinded individuals. Results: Triggering situations were described as predominantly social in nature. Safety behaviors, shame, self-deprecation, and sweating were most frequently mentioned as reactions. Objective evaluations did not differ significantly between the groups. Discussion: Predominantly social situations trigger ORS-specific symptoms. The feared symptoms (especially unpleasant smell or social evaluation) cannot be objectified by independent raters, which might confirm the social nature of the fears.

Bei der Olfaktorischen Referenzstörung (ORS) haben Betroffene das Gefühl einen unangenehmen Körpergeruch zu verbreiten, der von anderen Personen nicht, oder nur gering wahrgenommen wird (Phillips & Castle, 2007). Dabei können die befürchteten Gerüche sehr unterschiedlich sein und auch die Körperregion, von welcher der vermeintliche Geruch ausgeht, kann variieren (Greenberg, Shaw, Reuman, Schwartz & Wilhelm, 2016; Phillips & Menard, 2011). Betroffene empfinden einen erheblichen Leidensdruck, der unter anderem mit sozialer Isolation und Suizidalität einhergehen kann (Phillips & Menard, 2011).

Mittlerweile ist die ORS als eigenständige Störung anerkannt und wird zukünftig in der ICD-11 unter den Zwangsspektrumsstörungen zu finden sein (ICD-11; World Health Organisation [WHO], 2019). Bereits für das DSM-5 wurden diagnostische Kriterien für die ORS diskutiert (DSM-V Task Force, Arbeitsgruppe: „Anxiety, Obsessive-Compulsive Spectrum, Posttraumatic, and Dissociative Disorders“, 2011 (American Psychiatric Association [APA], 2011; DSM-V Task Force, Arbeitsgruppe: „Anxiety, Obsessive-Compulsive Spectrum, Posttraumatic, and Dissociative Disorders“), welche für unsere Studie handlungsleitend waren. Neben der Überzeugung schlecht zu riechen, sind weitere Kriterien die Verstrickung in repetetive Denk- und Verhaltensweisen als Reaktion auf die Sorgen, signifikanter Leidensdruck, Einschränkungen im alltäglichen Leben und der Ausschluss anderer gesundheitlicher Probleme wie etwa Schizophrenie. Für eine Gegenüberstellung der DSM-5 Task Force und ICD-11 Kriterien für die ORS siehe Elektronisches Supplement ESM 1.

Bei den Zwangsspektrumstörungen handelt es sich um eine Reihe von Störungen, von denen angenommen wird, dass sie phänomenologische Grundlagen teilen, wie z. B. repetitives Verhalten (WHO, 2019). Personen mit ORS zeigen wiederholte Denk- und Verhaltensweisen, um mit ihrem vermeintlichen Geruch umzugehen (z. B. häufiges Duschen). Außerdem werden die Sorgen auch als belastend und über Stunden anhaltend erlebt (Lochner & Stein, 2014). Hier ähnelt die ORS anderen Störungen aus dem Zwangsspektrum, wie etwa der Körperdysmorphen Störung (KDS). Auch Personen mit KDS zeigen ritualisierte Denk- und Verhaltensweisen, die über Stunden anhalten können (Lochner & Stein, 2014). Als unspezifische Vulnerabilitätsfaktoren scheinen Hänseleien in der Jugend ein bedeutendes Schlüsselerlebnis für Personen mit KDS und ORS zu sein. Personen mit KDS schildern hierbei aussehensbezogene Hänseleien (Buhlmann, Wilhelm, Glaesmer, Mewes, Brähler & Rief, 2011), Personen mit ORS geruchsbezogene (Begum & McKenna, 2011). Darüber hinaus scheinen Personen beider Krankheitsbilder häufiger bestimmte prämorbide Persönlichkeitsmerkmale des Clusters C (vermeidend, dependent & zwanghaft) zu zeigen (Begum & McKenna, 2011; Phillips & McElroy, 2000).

Die ORS zeigt außerdem phänomenologische Überlappung mit Störungen außerhalb des Zwangsspektrums. Für die Nähe zur Sozialen Angststörung (SA) spricht z. B. eine Furcht vor sozialer Zurückweisung und eine Beschämung durch körperliche Dysfunktionen (Lochner & Stein, 2003; Tada & Kojima, 2002; Tsuruta et al., 2017). Personen mit ORS haben im Unterschied zu Personen mit SA auch Überzeugungen mit wahnhaft anmutenden Ausmaß in Bezug auf den Eigengeruch und auch weniger Einsicht in exzessives, zwanghaftes und übertriebenes Verhalten (Tada & Kojima, 2002).

Wegen dieses Merkmals wurde die Verwandtschaft zu den wahnhaften und psychotischen Störungen diskutiert (Cruzado, Caceres-Taco & Calizaya, 2012). Eine weitere Nähe zu den psychotischen Störungen besteht darin, dass ca. 22 % der ORS-Betroffenen über olfaktorische Halluzinationen berichten (Begum & McKenna, 2011) und oft eine geringe Krankheitseinsicht zeigen (z. B. 57 %, Begum & McKenna, 2011). Die Erfassung des Körpergeruchs und der Geruchsfähigkeit der Betroffenen ist von diagnostischer Bedeutung, um ausschließen zu können, ob tatsächlich ein unangenehmer Körpergeruch oder eine veränderte Geruchswahrnehmung vorliegt (Hyperosmie, Anosmie). So wurde in einer Studie mit neun von ORS betroffenen Personen festgestellt, dass diese in einem Geruchstest Schwierigkeiten hatten, Gerüche zu identifizieren und zu differenzieren (Sofko et al., 2020). Derzeit gibt es zudem keine empirischen Studien, welche die auslösenden Bedingungen ORS spezifischer Befürchtungen oder die begleitenden und aufrechterhaltenden Kognitionen, Emotionen und Körperempfindungen der Personen mit ORS abbilden. Ungeklärt ist, ob bei den Betroffenen z. B. die Wahrnehmung eines Körpergeruches vorliegen muss, um ORS Symptome hervorzurufen oder ob eher soziale Situationen als Auslöser für die Empfindungen fungieren. Einzelfallstudien weisen auf eine große Bedeutung sozialer Kontakte hin (Phillips & Castle, 2007). Möglicherweise spielen auch dysfunktionale Selbstverbalisationen, die negative Bewertung körperlicher Reaktionen und / oder des Verhaltens anderer Personen eine bedeutende Rolle, wie dies zum Beispiel bei der SA der Fall ist (Rapee & Spence, 2004). Interessant wäre einen Hinweis darauf zu bekommen, ob interne Reize, also Gedanken, Körperempfindungen und Sinneswahrnehmungen, oder externe Reize, wie soziale Kontakte oder Situationen, Symptome hervorrufen (oder beides gleichermaßen).

Um in diesem Bereich eine systematische Übersicht zu erhalten, eignet sich insbesondere die Nutzung einer funktionalen Verhaltensanalyse, die ein wichtiges Element im diagnostischen Prozess darstellt (Madden, Dube, Hackenberg, Hanley & Lattal, 2013). Sie ermöglicht eine mikroanalytische, qualitative Beschreibung des subjektiv-kognitiven Erlebens betroffener Personen und bildet so einen Aspekt ab, der auch in anderen etablierten Störungsmodellen, wie z. B. der SA (Clark & Wells, 1995), oder anderen Störungen aus dem Zwangsspektrum (Steketee & Frost, 2007) Einzug gefunden hat. Ziel der Nutzung dieser Methode ist es, das ORS konkreter zu charakterisieren und ggf. zu extrahieren, ob es identifzierbare Mechanismen gibt (wie z. B. dass ORS-Verhalten unter sozialer Kontrolle steht). Auf diese Weise können ggf. weitere Erkenntnisse in Bezug auf die Klassifikation und Behandlung der Störung gewonnen werden.

Fragestellungen

In Anbetracht des übergeordneten Ziels, das ORS näher zu konkretiseren, haben wir ein exploratives Vorgehen gewählt. Bei der Beantragung des gesamten Forschungsprojekts (siehe Abschnitt Methode) haben wir festgelegt, dass wir mit Hilfe einer Verhaltensanalyse herausfinden möchten, ob (1) die Empfindung sozialer Angst Auslöser für soziale Kontrollmechanismen ist und (2) ob externe Reize (wie Bewertungsängste durch andere Personen) Auslöser für Empfindungen sind. Wenn man davon ausgeht, dass bestimmte Reize Empfindungen auslösen, die dann zu bestimmten Emotionen führen, ist von Wichtigkeit, nach internen und externen Reizen zu differenzieren. Zu den psychischen Störungen, bei denen als Trigger interne Reize fungieren, gehört z. B. die Panikstörung (z. B. erhöhte Herzrate) (Diveky et al., 2013). Zu den psychischen Störungen, bei denen externe Trigger Empfindungen auslösen, gehören beispielsweise die SA oder die KDS (soziale Trigger, z. B. Weingarden, Curley, Renshaw & Wilhelm, 2017). Sollte ein rein interner Reiz (z. B. ein nicht extern verursachtes Geruchserleben) ausreichend sein, starke olfaktorische Befürchtungen auszulösen, wäre dieses vermutlich eher ein Hinweis auf eine Halluzination (sofern es keine objektivierbare Grundlage gibt), sollte ein externer Trigger (z. B. Befürchtung von Ablehnung durch Andere) nötig sein, spräche dieses möglicherweise eher dafür, dass die Störung durch Mechanismen der sozialen Kontrolle entsteht oder aufrechterhalten wird, die Geruchswahrnehmung also eher als ein Symptom anzusehen sein könnte. Was sind also auslösende Situationen der spezifischen Handlungen und Empfindungen ORS-Betroffener?

Laut Pryse-Phillips (1971) zeigen ORS-Betroffene eine „Reue-Reaktion“, die sich darin äußert, dass Betroffene versuchen sich ihres Körpergeruchs zu entledigen. Dies würde bedeuten, dass die repetitiven Gedanken und Verhaltensweisen ein Resultat sozialer Kontrollmechanismen sind und somit soziale Ängste ein Unterscheidungsmerkmal zu anderen Störungsgruppen, wie etwa den wahnhaften Störungen, darstellen. Zeigen Betroffene überhaupt und falls ja, welche kompensatorischen Verhaltensweisen und durch welche Gedanken, Emotionen und Körperempfindungen werden diese begleitet?

Es ist auch von Interesse, ob die sozialen Ängste der Betroffenen mit einer objektivierbaren Ablehnung durch andere Personen zusammenhängen. Dabei sollte untersucht werden, ob tatsächlich der Geruch der Personen mit ORS von anderen Menschen als unangenehmer oder intensiver wahrgenommen wird als der Geruch einer Gruppe von Menschen, die kein ORS hat. Alternativ sollte überprüft werden, ob ein bestimmtes Auftreten oder Aussehen der Betroffenen mit ORS zu einer negativeren Bewertung durch andere Personen führt als bei Personen, die dieser Gruppe nicht angehören.

Methode

Die hier beschriebene Untersuchung fand im Zuge eines von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projektes zur ORS statt mit mehreren Fragestellungen. Bei den hier berichteten Ergebnissen handelt es sich um eine Teilfragestellung des Gesamtprojektes unter Nutzung der Verhaltensanalyse. Neben der Verhaltensanalyse wurden weitere Methoden eingesetzt, z. B. die chemische Untersuchung von Geruchsproben oder die Untersuchung der olfaktorischen Diskriminationsleistung von eigenen und fremden Körpergerüchen (Schmidt et al., 2021). Dafür war es notwendig, zwei Erhebungstermine durchzuführen: In einem ersten Termin fand die Diagnostik mit den Teilnehmenden, inkl. der Verhaltensanalysen statt. In einem zweiten Termin wurden Video- und Fotomaterialien erstellt (siehe ESM 2 „Detailbeschreibung des Versuchsablaufs“). Weitere Inhalte des zweiten Termins waren die Abgabe einer Schweißprobe zur chemischen Analyse, ein Versuch zur Identifikation und Differenzierung von eigenen und fremden Schweißgerüchen, sowie die Untersuchung der mimischen Reaktionen und hedonischen Bewertungen auf den eigenen und fremde Schweißgerüche.

Ablauf

Klinische Diagnostik

Beim ersten Termin wurden diagnostische Interviews durchgeführt und Selbstberichtsmaße erhoben. Alle Interviews wurden von einer Psychologischen Psychotherapeutin durchgeführt:

Das Diagnostische Interview bei psychischen Störungen für DSM-IV-TR (DIPS; Schneider & Margraf, 2010 – ein deutschsprachiges validiertes DIPS zu dem DSM-5 Kriterien lag bei Studienbeginn noch nicht vor) erfasst 28 wichtige psychische Störungen. Es handelt sich um ein strukturiertes Interviewverfahren, das sich durch eine gute bis sehr gute Interrater-Reliabilität auszeichnet (Kappa = .72 – .89).

Das Interview für die Olfaktorische Referenzstörung (ORS-DM; Grocholewski, 2014a) ist eine für die ORS modifizierte Version der deutschen Übersetzung des Body Dysmorphic Disorder Diagnostic Module (BDDDM; Phillips, 1986) bei dem anhand von sechs Fragen das Vorliegen einer ORS beurteilt wird (angelehnt an die Kriterien der APA Task Force, 2011). In unserer Stichprobe lag die interne Konsistenz bei α = .76.

Zur Messung der Schwere der ORS-Symptomatik wurde die Yale-Brown-Obsessive-Compulsive-Scale modifiziert für ORS (ORS-YBOCS, Grocholewski, 2014b) eingesetzt. Es handelt sich um ein 13 Fragen umfassendes, strukturiertes Interview, das auf der deutschen Version der Y-BOCS für die KDS basiert (BDD-YBOCS; Stangier, Hungerbühler, Meyer & Wolter, 2000), die entsprechend für die ORS angepasst wurde. Die ORS-YBOCS erfasst die kognitive und behaviorale Auseinandersetzung mit dem Körpergeruch und die damit einhergehenden Belastungen und Beeinträchtigungen im sozialen und beruflichen Bereich. Es werden auch die Einsichtsfähigkeit (ausgezeichnet – gut – mäßig – wenig – fehlend) und das Vermeidungsverhalten erfragt. Ein Wert ab 20 Punkten wird von Greenberg et al. (2018) als Cut-off-Wert für Personen mit ORS angenommen. Die interne Konsistenz liegt laut Gerlach (2013) bei α = .89. In unserer Stichprobe erzielten wir eine interne Konsistenz von α = .95.

Durchführung einer Verhaltensanalyse

Nach der klinischen Diagnostik wurde mit den ORS Betroffenen mit Hilfe eines Interviewleitfadens eine Verhaltensanalyse erhoben. Der Leitfaden wurde für diese Studie entworfen und orientierte sich an dem SORKC Modell von Kanfer, Reinecker und Schmelzer (2000). Das Modell stellt ein etabliertes Verfahren in der psychotherapeutischen Praxis dar. Es besteht aus den Komponenten: Situation (S): Auslösende Situation mit internen und externen Auslösereizen, Organismus (O): Überdauernde Merkmale der Person und deren Umwelt, sowie Lernerfahrungen und übergeordnete / handlungsleitende Grundüberzeugungen, Reaktion (R): Motorische, kognitive, emotional und physiologische Reaktionen des Organismus, Kontingenz (C): Beschreibung der Häufigkeit und Verlässlichkeit des Auftretens der beschriebenen Reaktionen, Konsequenz (K): Aus der Reaktion folgende Konsequenzen für die Person, sowohl kurzfristig, als auch langfristig. Der Fokus sollte entsprechend unserer Fragestellungen auf den auslösenden Situationen (S) liegen und den damit einhergehenden Reaktionen (R). Die Bereiche O, C und K werden hier nicht näher beschrieben.

Die Proband_innen wurden zunächst gebeten eine oder mehrere typische Situationen zu schildern, in der ihre Befürchtungen normalerweise auftreten. Die Berichte der Proband_innen wurden schriftlich erfasst, und es wurden weitere Fragen gestellt (z. B. „Was bemerken Sie in diesen Situationen zuerst?“), um die Situationen zu konkretisieren (siehe ESM 3 „Interviewleitfaden“).

Erhebungen der Geruchssensitivität, Abgabe einer Schweißprobe und Einschätzung von Videosequenzen, Fotos und Geruchsproben

(für Details siehe ESM 2 „Detailbeschreibung des Versuchsablaufs“).

Zum Ausschluss einer veränderten Geruchswahrnehmung der ORS-Betroffenen wurden Geruchstests mit schweißassoziierten Gerüchen (z. B. Buttersäure, Cadaverin) durchgeführt. Ferner mussten alle Teilnehmenden eine Schweißprobe abgeben, indem sie 24 Stunden lang Kompressen unter ihren Achselhöhlen tragen sollten. Zum Schluss wurden von den Teilnehmenden ein Foto mit neutralem Gesichtsausdruck gemacht und eine kurze Videosequenz, auf der sie einen Flur entlang gehen. Geruchsproben, Fotos und Videos wurden dann von vier bezgl. der Gruppenzugehörigkeit verblindeten und vom Projekt unabhängigen Beurteilenden bewertet und zwar im Hinblick auf die Erscheinung (attraktiv / unattraktiv; sympathisch / unsympathisch) und das Kontaktaufnahmebedürfnis, das die Teilnehmenden bei den Beurteilenden auslösten. Bei der Geruchsprobe interessierte, ob die Beurteilenden den Körpergeruch von ORS Betroffenen tatsächlich als unangenehmer wahrnahmen als den der Kontrollpersonen.

Rekrutierungsverlauf und Stichprobe

Die Rekrutierung erfolgte von Januar 2016 bis Juli 2018 über verschiedene Wege (z. B. Zeitungen, Radiobeiträge, soziale Netzwerke). Es wurde ein Telefonscreening durchgeführt, bei dem Ein- und Ausschlusskriterien für die Teilnahme überprüft wurden. Da zum Zeitpunkt der Erhebung die ICD-11 Kriterien noch nicht vorlagen, wurden die von der DSM-V Task Force (APA, 2011) vorgeschlagenen Kriterien genutzt (siehe ESM 1). Eingeschlossen in diese Fragestellung wurden Personen ab 18 Jahren, auf die diese Kriterien vollständig zutrafen. Dabei wurden die von ORS betroffenen Teilnehmenden mit jeweils einer Kontrollperson hinsichtlich Alter und Geschlecht parallelisiert. Ausgeschlossen wurden Personen mit aktuellen Abhängigkeits- oder psychotischen Erkrankungen. Personen wurden nicht in die Studie aufgenommen, wenn diese unter einer körperlichen Erkrankung litten, die einen ungewöhnlichen Körpergeruch verursachen könnte (z. B. Diabetes, Hyperhidrose).

Es meldeten sich 166 Personen. 82 Personen haben das Projekt vollständig abgeschlossen (siehe ESM 4: Flow-Chart zur Rekrutierung). Drei Personen berichteten, dass sie zwar befürchten, unangenehm zu riechen; sie erfüllten jedoch nicht das Kriterium B und C nach den Kriterien der DSM-V Task Force (APA, 2011), so dass kein klinisches Vollbild vorlag. Aus diesem Grund wurden sie und ihre parallelisierten Kontrollpersonen (n = 6) nicht berücksichtigt.

Die endgültige Stichprobe umfasste 38 Personen mit klinisch relevantem ORS und 38 parallelisierte Personen ohne psychische Störung. Die Personen mit ORS waren M = 32.40 Jahre (SD = 11.35) und die Kontrollgruppe M = 31.67 Jahre alt (SD = 11.61). 50 Personen (65 %) klassifizierten sich als weiblich, 26 Personen (34 %) als männlich. 24 Teilnehmende der ORS-Gruppe (63 %) hatten mindestens eine andere psychische Störung (ICD-10-Kriterien). Die Ergebnisse der ORS-YBOCS ergaben eine durchschnittliche Belastung durch ORS-Symptome von M = 32.21 (SD = 5.44, Min = 21, Max = 40) (Schmidt et al., 2021). Der Beginn der Symptomatik lag bei M = 22.32 Jahren (SD = 12.84, Min = 6, Max = 62). Keine betroffene Person hatte eine ausgezeichnete Krankheitseinsicht. Die Mehrzahl unserer Teilnehmenden zeigte aber eine gute (n = 9, 23.7 %) bis mäßige (n = 17, 44.7 %) Einsicht in die Übertriebenheit ihrer Sorgen. Wenig Einsicht zeigten hingegen n = 7 Personen (18.2 %) und eine fehlende Krankheitseinsicht n = 5 (13.4 %) unserer Teilnehmenden. Keine Person war gedanklich unter einer Stunde mit den Sorgen beschäftigt. Die Mehrzahl der Teilnehmenden litt mindestens 2 – 3 Stunden am Tag unter ihnen (n = 20, 52.6 %; 1 – 2 Std.: n = 4, 10.5 %; 3 – 4 Std.: n = 10, 26.3 %; 4 – 5 Std.: n = 4, 10.5 %). Die meisten unserer untersuchten Personen verbrachte 1 – 3 Stunden (n = 17, 44.7 %) mit ORS-spezifischen Handlungen. Nur eine Person verwendete weniger als eine Stunde pro Tag mit Handlungen bezogen auf den Körpergeruch (2.6 %). Die restlichen Teilnehmenden benötigten deutlich mehr Zeit (3 – 8 Std.: n = 15, 39.5 %; über 8 Std.: n = 5, 13.2 %).

Auswertungsmethoden

Die mit dem Interviewleitfaden erhobenen Aussagen wurden direkt in ein vorgefertigtes SORKC-Modell notiert. So wurde eine erste Zuordnung der Aussagen zu den Facetten S und R des Modells vorgenommen. Um die auslösenden Situationen und Reaktionen zu systematisieren, wurde ein bottom-up Vorgehen gewählt, bei dem die Erstautorin die Aussagen der Teilnehmenden zu übergeordneten Sinneinheiten zusammenfasste (z. B.: Teammeeting – Arbeit). In einem zweiten Schritt wurden die gefundenen Sinneinheiten durch eine weitere Autorin (AG) zusätzlich top-down den Aussagen der Teilnehmenden zugeordnet. Die Interrater-Reliabilität nach Cohen’s gewichtetem κ (linear), berechnet für zwei Rater auf 48 Kategorien, ergab einen Anteil von κ = 0.721 als Anteil der Übereinstimmung, die über den Zufall hinaus geht (z = 7.21, p <  .001***) (Hemmerich, 2019). Dieser Wert liegt in einem guten Bereich. Die Aussagen, für die keine komplette Übereinstimmung der Zuordnung zu den Kategorien gefunden werden konnten, wurden mittels Konsensbildung zwischen den zwei Beurteilerinnen zugeordnet.

Für die Auswertung der Ratings zu den Fotos, Videos und Geruchsproben wurden die Ergebnisse der ORS- und der Kontrollgruppe mittels T-Tests verglichen.

Ergebnisse

Verhaltensanalysen

Situation

Von den Teilnehmenden wurden verschiedene Situationen beschrieben, in denen es zu ORS-Symptomen kommt, und die von uns in folgende übergeordnete Kategorien eingeordnet wurden: Arbeit (n = 16, 32.7 %), Kontakt mit anderen Menschen (n = 13, 26.5 %), Studium (n = 16.3 %), Freunde / Freizeit (n = 12.2 %), romantische Beziehungen (n = 6, 12.2 %). Es wurden alle Situationen für die Analyse berücksichtigt. Im Durchschnitt wurden 1.2 Situationen pro teilnehmender Person aus der ORS-Gruppe berichtet (eine Situation: n = 30, zwei Situationen: n = 6, drei Situationen: n = 2).

Tabelle 1 zeigt die auslösenden externen und internen Reize über die Situationen hinweg (Mehrfachnennungen möglich).

Tabelle 1 Absolute und relative Häufigkeiten für die externen und internen Reize

Reaktion

Tabelle 2 zeigt die motorischen, affektiven, kognitiven und vegetativen Reaktionen der Personen mit ORS auf die externen und internen Reize.

Tabelle 2 Reaktionen auf die auslösenden externen und internen Reizen

Einschätzung der Fotos, Videos und Geruchsproben

Die Ergebnisse der Ratings durch die objektiven Rater sind Tabelle 3 und 4 zu entnehmen. Es ergibt sich für die Darbietung der Fotos, Videos und für die Urteile zu den Geruchsproben kein signifikanter Gruppenunterschied in der Einschätzung der Personen.

Tabelle 3 Ergebnisse der unabhängigen Ratings in Abhängigkeit von der Informationsquelle (Foto oder Video)
Tabelle 4 Ergebnisse der unabhängigen Ratings für die Geruchsproben

Diskussion

Ziel unserer Studie war es, Situationen zu identifizieren, die ORS spezifische Befürchtungen auslösen und die Reaktionen auf diese Situationen näher zu beschreiben. Außerdem wollten wir herausfinden, wie Personen mit ORS (im Vergleich zu Personen ohne psychische Störung) im Hinblick auf das Aussehen, den Habitus und den Geruch auf unabhängige und hinsichtlich der Gruppenzugehörigkeit verblindete Beurteilende wirken. Es zeigten sich in der ORS-YBOCS hohe Werte, die den von Greenberg et al. (2018) festgelegten Cut-off Wert von 20 überschreiten und im Mittel auch deutlich belasteter waren als in der Stichprobe von Greenberg et al. (2018; M = 26.0, SD = 4.0). Bei Greenberg et al. (2018) erfolgte eine Interneterhebung, die (anders als in unserer Studie) auf 274 Selbsteinschätzungen beruhte. Dies könnte die Ergebnisse entsprechend beeinflusst haben. Unsere Ergebnisse lagen näher an den Werten, die Phillips und Menard (2011; M = 33.4, SD = 14.1) fanden, die ebenfalls persönliche Interviews durchführten. Allerdings muss einschränkend gesagt werden, dass die von uns genutzte deutschsprachige Version der ORS-YBOCS ggf. inhaltlich nicht vergleichbar mit der englischsprachigen Version ist, da auch die englischsprachige Version bislang nicht publiziert wurde und so z. B. kein Abgleich auf Itemebene stattfinden konnte. Die meisten unserer Teilnehmenden (68.4 %) waren gut oder mäßig in der Lage einzusehen, dass ihre Befürchtungen übertrieben sind, wenig oder keine Einsicht zeigte knapp ein Drittel. In der Studie von Phillips und Menard (2011) waren die Teilnehmenden hingegen in der Mehrzahl (84.6 %) stark oder wahnhaft davon überzeugt, dass sie einen unangenehmen Geruch verbreiten. Vielleicht besteht bei einer besseren Einsicht auch eine bessere Fähigkeit, auslösende Situationen zu identifizieren. Bei einer unveränderlichen Annahme, dass der Körper einen schlechten Geruch verströmt, könnte es schwerer sein anzuerkennen, dass bestimmte, vom Körpergeruch unabhängige Reize die Ängste auslösen. Das Alter der Erstmanifestation der ORS lag in unserer Stichprobe im jungen Erwachsenenalter, was sich mit den Untersuchungsergebnissen von Greenberg et al. (2016) deckt. In der Studie von Phillips und Menard (2011) lag der Beginn im Mittel hingegen in einem Alter von 15 Jahren. Vier Teilnehmerinnen (10.5 %) berichteten zudem, dass ihre Befürchtungen mit dem Eintritt in die Wechseljahre begonnen hätten. In der Menopause kann sich durch die Veränderungen im Hormonhaushalt der Körpergeruch tatsächlich verändern (Savović et al., 2002), was evtl. ein Risikofaktor für die Entwicklung einer ORS sein könnte. Das frühe Erwachsenenalter könnte auch einen kritischen Lebensabschnitt darstellen, da hier in der Regel längerfristige Partnerschaften eingegangen werden und der Körpergeruch bei der Partnerwahl eine wichtige Rolle spielt (Seiffge-Krenke, 2015; Wedekind, Seebeck, Bettens & Paepke, 1995).

Die von unseren Teilnehmenden benannten Situationen (die wir in übergeordnete Kategorien zusammengefasst hatten) betrafen in dieser Untersuchung ausschließlich solche, die ein Zusammenkommen mit anderen Personen erforderlich machen. Insbesondere die Arbeit wurde von vielen Betroffenen genannt. Dies deckt sich auch mit einem der ersten Fallberichte zur ORS von Potts (1891). Der berufliche Kontext stellt eine wichtige Ressource für das Selbstbild dar (Bode, Maurer & Kröger, 2017). Möglicherweise spielt der berufliche Kontext eine besondere Rolle bei ORS-Sorgen, da hier die Gefahr einer Beschämung zu einer besonders ausgeprägten Schädigung des Selbstwertes der Betroffenen führen könnte. Schamerfahrungen müssen daher evtl. besonders in diesem Bereich von den Betroffenen vermieden werden. Aber auch private Beziehungen (Partnerschaft, Freundschaften) spielten bei einigen der Betroffenen eine zentrale Rolle. Auch bei den externen Reizen wurde überwiegend körperliche Nähe zu anderen Menschen beschrieben, was den sozialen Aspekt der Ängste verdeutlicht. Ebenfalls in der Untersuchungssituation berichteten viele Betroffene, dass sie froh waren, dass ein Tisch zwischen ihnen und der Versuchsleiterin stand, damit ihr Geruch keine zu große Belästigung darstellt.

Unter den internen Reizen fand sich vor allem die Wahrnehmung einer körperlichen Veränderung. Hier wurden von den Betroffenen insbesondere Schwitzen, bzw. das Gefühl von feuchten Achseln berichtet. In diesem Fall könnte die körperliche Reaktion als eine direkte Bestätigung der Befürchtungen aufgefasst werden („Ich schwitze – Schweiß riecht ekelhaft – Ich rieche ekelhaft“). Die Wahrnehmung eines Geruchs wurde am zweithäufigsten genannt. Hier handelte es sich aber nicht immer um einen Körpergeruch, sondern auch um Gerüche in der Umgebung der Betroffenen. Möglicherweise führen dysfunktionale Kognitionen dazu, dass die Gerüche der Außenwelt auf die eigene Person übertragen werden, ohne dass diese Verknüpfung kritisch hinterfragt wird. Diese möglichen Prozesse haben wir jedoch nicht untersucht. Unter den genannten Gedanken und Befürchtungen fanden sich ausschließlich Ängste vor sozialer Zurückweisung.

Interessant ist, dass unsere Teilnehmenden nicht den Gedanken, beziehungsweise die Erwartung einer soziale Situation als Auslöser für ihre Ängste nannten. Dafür, dass aber eine Antizipation dieser Situationen ausreicht, um ORS spezifische Befürchtungen hervorzurufen, spricht, dass ein Teil unserer Teilnehmenden mehrere Stunden täglich mit ORS-spezifischen Sorgen und Sicherheitsverhaltensweisen beschäftigt war (10.5 % bzw. 13.2 %). Die Ängste scheinen also auch über die (sozialen) Situationen hinaus weiter zu bestehen.

In den Reaktionen zeigte sich auf motorischer Ebene bei unserer Stichprobe eine deutliche Tendenz zu Sicherheitsverhalten verschiedener Art, aber auch zu Vermeidungsstrategien (z. B. Termin absagen, Kontakte reduzieren). Nur bei wenigen unserer Teilnehmenden wurde auch die Absicherung bei anderen Personen genutzt. Hierbei handelte es sich vor allem um sehr nahe Angehörige. Unter den erlebten Emotionen wurde am häufigsten von Scham berichtet. Dies steht im Einklang mit den Ergebnissen die Pryse-Phillips (1971) berichtete. Er beschrieb eine Reue-Reaktion, die von uns als starke Scham verstanden wird. Aber auch Ekel und Angst wurden von unseren Teilnehmenden berichtet. Dieser Befund war erwartbar, da wir bereits zuvor mittels Fragebogenerhebung herausstellen konnten, dass Selbstekel, sowie die Eigenschaft Ekel zu erleben und Ekelerfahrungen zu fürchten, bei unserer Gruppe von Personen mit ORS erhöht waren (Schmidt & Grocholewski, 2019). Dies scheint sich auch in ihrer erinnerten Wahrnehmung von auslösenden Situationen widerzuspiegeln (wobei man einschränkend sagen muss, dass es sich hierbei um dieselben befragten Personen handelt). Die häufig beschriebene Scham könnte somit auf eine Verwandtschaft zu der sozialen Angststörung hinweisen, während Ekel eine Emotion ist, die oft von Personen mit Zwangsstörungen berichtet wird. Im affektiven Erleben fand sich also eine Nähe zu beiden Störungen. Bei den Kognitionen überwogen negative Vorhersagen über das Urteil / Verhalten anderer Personen (z. B.: „Andere werden sich vor mir ekeln.“) und Selbstabwertungen (z. B. „Ich bin ekelhaft.“), gefolgt von schwarzmalerischen (sozialen) Gedanken („Ich werde so niemals einen Partner finden“), Muss-Denken („Ich muss immer gut riechen, sonst bin ich ein Versager“) und Krankheitsängste („Dass ich so rieche bedeutet, dass ich eine bisher unbemerkte Erkrankung habe“). Vegetativ zeigte sich vor allem eine Tendenz zum Schwitzen, Herzklopfen oder Zittern. Bei den Personen, die parallel zu ihrer Angst vor Körpergerüchen auch über Sorgen um Mundgeruch klagten, zeigte sich zum Beispiel auch eine starke Mundtrockenheit oder ein ungewöhnlicher Geschmack auf der Zunge. Möglicherweise nehmen Betroffene die Körpersymptome als Bestätigung ihrer Befürchtungen war, was zu einem klassischen, sich intensivierenden Erleben im Sinne eines Teufelskreises führen könnte.

Die Befragung der objektiven Beurteilenden erbrachte keine signifikanten Unterschiede zwischen den untersuchten Gruppen. Personen mit ORS wurden von bewertenden Personen, die hinsichtlich der Gruppenzugehörigkeit verblindet waren, im statistischen Vergleich nicht stärker abgelehnt als Personen ohne ORS. Das heißt, die Befürchtung der Betroffenen, von anderen abgelehnt zu werden, konnte durch unseren Versuchsaufbau nicht objektiviert werden.

Es handelte sich bei unserer Untersuchung um eine Erhebung im Labor, die unter standardisierten Bedingungen stattfand. Es ist möglich, dass sich die Teilnehmenden im Alltag anders geben als in unserem Laborsetting. Möglicherwiese finden sich bei Personen, die von ORS betroffen sind, Einschränkungen in der Performanz, die mit ihren Befürchtungen in einer Wechselwirkung stehen, die aber bei unseren Aufgaben im Laborsetting nicht zum Tragen kamen. Allerdings ergab eine Untersuchung zu sozialer Ängstlichkeit im nicht-klinischen Bereich, bei der die Teilnehmenden einige herausfordernde Aufgaben bewältigen mussten, dass zwar ein Ansteigen des Angstniveaus von außen wahrnehmbar war, sich jedoch die Performanz nicht beobachtbar verschlechterte (Thompson, Van Zalk, Marshall, Sargant & Stubbs, 2019).

Als Einschränkung unserer Studie ist festzuhalten, dass die Teilnehmenden mehrere Situationen und Reize nennen durften und sich nicht auf eine festlegen mussten. Es kann also keine Aussage darüber getroffen werden, welche Situation tatsächlich die höchste Belastung für die Betroffenen darstellte. Auf der anderen Seite ist dies auch eine Stärke der Untersuchung, da so keine Informationen verloren gingen. Die bessere Einsichtsfähigkeit der Personen mit ORS in unserer Studie könnte auch eine generell bessere Reflexionsfähigkeit bedeutet haben. Außerdem bestand unsere Stichprobe auch aus Personen, die bereit waren eine Schweißprobe abzugeben und sich damit mit dem eigenen Körpergeruch konfrontierten. Vielleicht ist dies ein Zeichen für ein generell hohes Funktionsniveau, was auch Einfluss auf die genannten Situationen gehabt haben könnte (Arbeit, Sex usw.). Schwerer belastete Personen könnten vielleicht von anderen Situationen berichten, weil die in unserer Studie genannten Situationen gar nicht mehr vorkommen. In Zukunft sollten zudem die Interviews von zwei oder mehr Personen geführt werden, um die Reliabilität der Aussagen der Teilnehmenden zu überprüfen. Die gesamte Erhebung lag in den Händen der Versuchsleiterin, die die Teilnehmenden schnell kennenlernte. Dies könnte zu Interpretationsfehlern bei der Dokumentation der Interviews geführt haben, da die Versuchsleiterin nicht mehr unvoreingenommen war. Auf der anderen Seite konnte so aber auch die Diagnose einer ORS sicher abgeklärt werden und die Teilnehmenden konnten mit einer konstanten Bezugsperson über ihre Sorgen sprechen. Dies könnte die Offenheit der Teilnehmenden gefördert haben. Die Ratings von Geruch, Bildern und Videos wurden in unserer Untersuchung von vier Personen durchgeführt, die nicht in das Projekt involviert waren. In Zukunft wäre eine größere Anzahl objektiver beurteilender Personen wünschenswert, um die Testsicherheit zu erhöhen. Eine posthoc Poweranalyse ergab, dass wir in unserer Untersuchung (Raterbefragung) mit der vorliegenden Stichprobengröße eine suboptimale statistische Power von 60 % bei einem Signifikanzniveau von p = .05 erzielten. Es wäre eine Stichprobe von 111 Personen notwendig, um eine hohe Power von 95 % zu erreichen. (Faul et al., 2009).

Die Ergebnisse zu dieser hier untersuchten Fragestellung lassen erste Überlegungen über die Entstehung und Aufrechterhaltung ORS-spezifischer Befürchtungen zu, auch wenn unsere Ergebnisse explorativ zu verstehen sind. In Anlehnung an etablierte Modelle, wie das der SA von Clark und Wells (1995) oder der KDS von Wilhelm, Phillips und Steketee (2013) könnten Grundüberzeugungen über die eigene Person oder den Körpergeruch in auslösenden Situationen zu selbstabwertenden Interpretationen der Situationen und veränderten Aufmerksamkeitsprozessen führen. Hierdurch könnten dann negative Gefühle und dysfunktionale Bewältigungsstrategien die Sorgen um den Körpergeruch aufrechterhalten. Unsere Ergebnisse zeigen, dass es statistisch nur geringe Unterschiede zwischen den Gruppen gibt, was Eigenschaften wie Aussehen, Habitus und Körpergeruch angeht. Die Betroffenen sind besonderes durch soziale Situationen mit ihren Sorgen konfrontiert und durch eigene dysfunktionale Gedanken und Verhaltensweisen werden die Symptome eher verstärkt. Dieses Wissen kann bei der Behandlungsplanung und Auswahl geeigneter therapeutischer Strategien hilfreich sein. Es gibt Hinweise, dass die ORS hinsichtlich der auslösenden Situationen und des primär erlebten Gefühls (Scham) konzeptuell näher an der Gruppe der sozialen Angststörung liegen könnte, als an der Gruppe der Zwangsstörungen. Bei Zwangsstörungen sind (z. B. im Störungsmodell von Salkovskis, Forester & Richards, 1998) Auslöser für repetitive Verhaltensweisen Intrusionen, und die erlebten Gefühle eher Angst als Scham (Salkovskis et al., 1998). Für zukünftige Studien wäre es interessant die auslösenden Situationen und die ihnen folgenden Reaktionen nicht retrospektiv zu erfragen, sondern direkt im Alltag der Betroffenen. Hier wären Tagebuchstudien oder das Ecological Momentary Assessment (EMA) nutzbar, bei dem Betroffene zum Beispiel mit Hilfe ihrer Smartphones danach gefragt werden, was sie gerade tun und was sie denken und empfinden.

Literatur