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Open AccessFreier Beitrag

Qualität entwickeln mit und durch Bewegung in Kitas

Erste Ergebnisse des Verbundprojekts QueB

Published Online:https://doi.org/10.1026/2191-9186/a000552

Abstract

Zusammenfassung. Im Projekt QueB1– Qualität entwickeln mit und durch Bewegung in Kitas – wurde untersucht, inwieweit Kitas unterstützt werden können, ihre Organisation so zu entwickeln, dass sowohl die Kinder als auch die pädagogischen Fachkräfte ihre Handlungsmöglichkeiten für einen aktiven Lebensstil nachhaltig erweitern. Die Kitas folgten einem 10-Schritte-Programm, das sich am Public Health Action Circle orientierte und von Coaches begleitet wurde. Verschiedene Methoden wie eine Kita-Check-App, eine Bewegungstagebuch-App und Schrittzähler wurden eingesetzt. Getestet wurde das Vorgehen in einer einjährigen Studie in zwei Regionen in Bayern mit Wartegruppe, prä-post-Design und mixed-methods Ansatz. Die Ergebnisse zeigen u.a. positive Veränderungen in den Bewegungsaktivitäten. Kinder machten rund 10% mehr Schritte und reduzierten ihre Sitzzeiten. Pädagogische Fachkräfte steigerten ihre Aktivität sogar um fast 15%. In der Kita wurden nicht nur die vorhandenen Möglichkeiten sich zu bewegen mehr genutzt, es wurden auch neue Bewegungsgelegenheiten geschaffen. Analysen der Ziele, die die Kitas individuell formulierten, zeigten vielfältiges Potential für die Kita-Entwicklung.

Developing Quality With and Through Physical Activity in Childcare Centers

Abstract. The QueB project – Developing Quality with and Through Physical Activity in Childcare Centers – investigated the extent to which childcare centers can be supported in developing their organization to sustainably expand the scope of action for an active lifestyle of both the children and the pedagogical staff. The childcare centers followed a 10-step program based on the Public Health Action Circle and were accompanied by coaches. Various methods such as a Kita Check App, a physical activity diary app, and step-counters were used to support the development process. The approach was tested in a 1-year study in two regions of Bavaria with a waiting group, pre-post design, and mixed-methods approach. The results revealed positive changes in physical activity levels: Children took about 10% more steps and reduced their overall sitting time. The pedagogical staff even increased their activity by almost 15%. In the childcare center, not only were the existing opportunities to be active used more, but new opportunities for physical activity were also created. An analysis of the goals that the childcare centers individually formulated showed diverse potential for development.

In den letzten Jahren ist viel für den Ausbau der Plätze für Bildung, Betreuung und Erziehung von Kindern bis zur Einschulung getan worden. Die Qualität der pädagogischen Arbeit mit Bezug zu Gesundheit und Bewegung ist jedoch nach wie vor kein zentrales Thema, obwohl der Stellenwert von Bewegung als Medium der Entwicklungsförderung und zur Steigerung des kindlichen Wohlbefindens bekannt ist (vgl. Deutsche Gesellschaft für Sportwissenschaft, 2015).

Aus gesundheitswissenschaftlicher und Public Health Perspektive kann durch eine ganzheitliche und partizipative Setting-Entwicklung ein wichtiger Beitrag für die nachhaltige Optimierung von Verwirklichungschancen für einen gesunden Lebensstil von Kindern und pädagogischem Personal in Kitas geleistet werden (Poland & Dooris, 2010). Erfolgreiche Beispiele für einen ganzheitlichen, gesundheitsorientierten und auf Organisationsentwicklung basierenden Ansatz sind (Bewegungs-)Programme wie „gesunde kitas – starke kinder“ (Plattform Ernährung und Bewegung, 2011), „Schatzsuche im Kindergarten“ (Ungerer-Röhrich et al., 2007) und die „gute gesunde Kita“ (Biebricher, Engelhardt & Langness, 2009; Voss & Viernickel, 2016). Als effektive Strategie hat sich in diesen Beispielen die persönliche Begleitung der Fachkräfte in Form von Coaching erwiesen (Isner et al., 2011; Greif et al., 2018). In der Gesundheitsförderung gelten darüber hinaus Empowerment und Partizipationselemente als rentable Strategien (Abel & Schori, 2009; Laverack, 2011).

Das BMBF geförderte Forschungsprojekt Capital4Health (Laufzeit Phase 1: 2015–2018) zielt auf die Verbesserung des aktiven Lebensstils bei verschiedenen Populationsgruppen: Kinder in Kitas und Schulen, Jugendliche in der Ausbildung, Männer über 50 (vgl. Capital4Health, 2018; Rütten et. al. 2019). Das Projekt QueB – Qualität entwickeln mit und durch Bewegung2 – ist eines von sechs Teilprojekten dieses BMBF-Forschungsverbundes. In QueB wurde untersucht, was Kindertagesstätten dabei unterstützt, ihre Organisation so zu entwickeln, dass sowohl die Kinder als auch die pädagogischen Fachkräfte ihre Handlungsmöglichkeiten für einen gesunden Lebensstil nachhaltig erweitern, wobei gleichzeitig die Qualität der Arbeit in den Kitas verbessert wird.

Für QueB wurden drei Ziele formuliert:

  1. 1.
    Weiterentwicklung der Kitas im Bereich Gesundheit und Bewegung durch einen Organisationsentwicklungsprozess,
  2. 2.
    Partizipative Entwicklung, Erprobung und Etablierung eines prozessorientierten Zertifizierungsverfahrens, das die Kita-Entwicklung nachhaltig unterstützt,
  3. 3.
    Entwicklung von Selbstassessment-Tools in Form von Apps, um Handlungsmöglichkeiten der Kinder und pädagogischen Fachkräfte aufzuzeigen und zu fördern.

Im Folgenden stellen wir die Basis und die Werkzeuge der Intervention vor, beschreiben die Evaluation und geben einen Überblick über ausgewählte Ergebnisse.

Grundlagen der Intervention

Um die oben genannten Ziele zu erreichen, nutzte QueB Ansätze und Erkenntnisse aus vier unterschiedlichen Quellen:

  1. 1.
    In der Thematik Bewegung orientierte sich QueB an den nationalen Empfehlungen für Bewegung und Bewegungsförderung für den Kitabereich (Rütten & Pfeiffer, 2017). „Für Kindergartenkinder soll insgesamt eine Bewegungszeit von 180 Minuten/Tag und mehr erreicht werden, die aus angeleiteter und nicht angeleiteter Bewegung bestehen kann“ (Rütten & Pfeiffer, 2017, S.25). Eisenbarth et al. (2020) zeigten, dass in einer Kita ein Minimum von 1000 Schritten/h pro Kind erreicht werden sollte, um eine adäquate Bewegungsaktivität gemäß den nationalen Empfehlungen zu erfüllen.
  2. 2.
    Konkrete Strukturen und Inhalte einer bewegungsfreundlichen Kita-Arbeit wurden in einem umfangreichen Referenzrahmen dargelegt, der unter https://queb.eu/kca.html nachzulesen ist. Er bildete auch die Basis für die Kita-Check-App (s.u.) und war Orientierung für die inhaltliche Qualitätsentwicklung einer Einrichtung mit Schwerpunkt Bewegung.
  3. 3.
    Im Bereich der Organisationsentwicklung basierte QueB auf einer Ausformulierung des Public Health Action Circle (PHAC) der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA, 2012). Auf dieser Grundlage sollten Kitas auf dem Weg zu gesunden und bewegten Einrichtungen systematisch unterstützt werden. Die Kriterien, die im PHAC dargelegt sind, strukturierten auch den Entwicklungsprozess, den eine Einrichtung durchlaufen sollte (Eisenbarth et al., 2020).
  4. 4.
    Wie Ergebnisse verschiedener Forschungsprojekte zeigten (s.o.), brauchen Kitas für eine Entwicklung, die das gesamte System einbindet, Unterstützung. QueB-Coaches 3 3 Als QueB-Coaches arbeiteten Mitarbeiterinnen, die sowohl ein sportwissenschaftliches Studium als auch eine systemische Weiterbildung absolviert hatten und in der Arbeit mit Kitas sehr erfahren waren. begleiteten Kitas auf der Grundlage eines systemischen Ansatzes (Radatz, 2009) bei dem Impulse in das System gegeben werden, die sich an Ressourcen und Lösungen orientieren und nicht an Defiziten. Vor allem aber wurde davon ausgegangen, dass ein System seine Selbstorganisationskräfte weiterentwickeln muss, um Abläufe, Regeln und Möglichkeiten hinsichtlich der Bewegungsaktivitäten weiterentwickeln zu können (Kindl-Beilfuß, 2012).

Für die Arbeit innerhalb der Kitas lieferte QueB Werkzeuge und Materialien, die die Einrichtungen nutzen konnten4. Dies waren: Kita-Check-App, Schrittzähler zur Analyse der Bewegungsaktivität, Bewegungstagebuch-App, Fragebögen bspw. zur organisational readiness und kollektiven Selbstwirksamkeit. Darüber hinaus bekamen die Kitas Unterstützung durch: QueB-Coaches, Workshops bspw. „Mut zum Risiko“, Fortbildungen bspw. zur Raumgestaltung oder zum Bewegungs-Coach.

Zentraler Baustein von QueB war die Kita-Check-App5, die nach den Anforderungen des PHAC für die Punkte „gemeinsames Verständnis entwickeln“ und „Bedarf und Bestand ermitteln“ eingesetzt wurde. Sie bildet neun inhaltliche Bereiche ab: Räume innen, Räume außen, materielle Ausstattung, Kita-Kultur, Bewegungsangebote, Methodik & Didaktik, Bildung & Bewegung, Elternarbeit und Qualifizierung & Konzeption. Die Auseinandersetzung mit diesen Inhalten unterstützte die Fachkräfte dabei, ihren Ist-Zustand in den Blick zu nehmen und daran anknüpfend sogenannte smarte Ziele („spezifisch, messbar, anspruchsvoll, realistisch und terminiert“, zur Definition s. Storch, 2009) und geeignete Maßnahmen zu entwickeln, die die Kita bewegungsfreundlicher gestalten.

Die App wie auch alle weiteren oben aufgeführten Instrumente waren in einen einjährigen Prozess eingebunden, bei dem die Kitas die folgenden 10 Schritte durchliefen:

Schritt 1: Startworkshop

Der Startworkshop sollte vor allem die Randbedingungen für eine positive Organisationsentwicklung beeinflussen, individuelle Veränderungsbereitschaft und Problembewusstsein entwickeln.

Schritt 2: Qualitätsanalyse

Mittels der Kita-Check-App wurde die Analyse des Ist-Stands in der Kita durchgeführt. Schrittzähler und die Bewegungstagebuch-App zeigten den Bewegungsstatus.

Schritte 3 und 4: Coaching zur Zielformulierung und Maßnahmenplanung

Das Coaching diente vor allem der Formulierung smarter Ziele und der Erarbeitung von Maßnahmen zur Zielerreichung, Dokumentation und Evaluation.

Schritt 5: Dokumentation der Ziele und Maßnahmen

Mit den zu erstellenden Unterlagen wurde das Entwicklungsvorhaben der Kitas schriftlich fixiert und war die Grundlage für eine spätere Zertifizierung.

Schritte 6 und 7: Umsetzung mit Unterstützung durch QueB-Coaches

In diesen Schritten erfolgte die Umsetzung der geplanten Maßnahmen, die durch einen QueB-Coach – soweit nötig und gewünscht – begleitet wurden.

Schritt 8: Zwischen-Workshop

Der Zwischen-Workshop förderte den Austausch der beteiligten Kitas bezüglich ihrer Entwicklungsziele untereinander.

Schritte 9 und 10: Abschlussworkshop und Abschlussbericht

Im Abschlussworkshop präsentierten die Kitas ihren Entwicklungsprozess, machten Veränderungen sichtbar und Entwicklungen nachvollziehbar, lieferten Erklärungen und Erläuterungen zum Prozess, und diskutierten Überlegungen zur Nachhaltigkeit. Letztlich wurden die Veränderungen als Erfolge gefeiert. Die Abschlusspräsentationen dienten als Basis für den Abschlussbericht, der auch in der Evaluation weiter genutzt wurde.

Evaluation der Intervention

Das Projekt startete in der Modellregion Coburg (Experimentalgruppe) im April 2016 die Intervention mit dem Start-Workshop und der Baselinemessung (T0). Die Kitas in der Region Erlangen begannen ebenfalls mit der Baselinemessung und ein halbes Jahr später mit dem Start-Workshop. Sie fungierten als Warte- bzw. Kontrollgruppe zu T1. Drei Messzeitpunkte (jeweils im halbjährlichen Abstand T1, T2, T3) dienten der Überprüfung des Interventionseffekts. In der Experimentalgruppe wurde mit dem letzten Messzeitpunkt die Nachhaltigkeit überprüft. Die Intervention dauerte in beiden Gruppen ein Jahr (vgl. Abbildung 1).

Abbildung 1 Untersuchungsdesign des QueB-Projekts.

Es wurde untersucht, inwieweit QueB dazu führte, dass die Bewegungsmöglichkeiten und die körperliche Aktivität sich bei den Kindern und den pädagogischen Fachkräften veränderten. Die Evaluation wurde sowohl quantitativ (Schrittzähleranalysen, Fragebögen für Leitungen, pädagogische Fachkräfte und Eltern) als auch qualitativ (Verhaltensbeobachtung als Basis des Bewegungstagebuchs; Zielerreichungsskalierungen, Interviews und Dokumentenanalysen) durchgeführt.

Im Folgenden wird gezeigt, wie sich die Bewegungsaktivitäten der Kinder und pädagogischen Fachkräften durch QueB entwickelt haben und inwieweit diese Entwicklung mit den von den Kitas formulierten Zielen und umgesetzten Maßnahmen in Zusammenhang gesehen werden kann.

Stichprobenbeschreibung

Am Projekt nahmen zwölf Einrichtungen aus den Modellregionen Coburg und Erlangen teil. Insgesamt wurden 1020 Kinder zwischen drei und sechs Jahren und 158 pädagogische Fachkräfte erreicht (zu Details siehe Popp et al., 2018). Die Kitas wurden über Pressemitteilungen in kommunalen Mitteilungsblättern sowie über die Gesundheits- und Jugendämter eingeladen. Die Sozialräume der Kitas können als ländlich bzw. kleinstädtisch und eher gut situiert beschrieben werden. Die Trägerschaft ist heterogen: 25% kommunal, 25% Diakonie, 25% Caritas, 25% privat/gemeinnützig.

Methoden und Durchführung

Inwieweit vermehrt Bewegungsaktivitäten realisiert wurden, wurde bei Kindern und pädagogischen Fachkräften durch eine Schrittzählermessung und bei den Kindern zusätzlich durch eine Analyse der Bewegungsaktivitäten mit der Bewegungstagebuch-App überprüft.

Schrittzähleruntersuchungen

Für die Schrittzählermessung wurden Fitbit Zip TM-Geräte eingesetzt (von Schwerin & Dickmann, 2019). Zu T0 (Basismessung) erfolgte die Erhebung an 5 Tagen in einer Woche. Zu den Folgemessungen T1, T2 und T3 wurde die Erhebung nur noch an 2 Tagen in einer Woche realisiert, da die Zuverlässigkeit der Messung bereits mit 2 Tagen als befriedigend bis gut bezeichnet werden konnte. Als Erhebungstage wurden der bewegungsstärkste sowie der bewegungsschwächste Tag (meist der Dienstag und der Donnerstag) ausgewählt. Bei den Kindern wurde zu Beginn der Untersuchung in jeder Kita-Gruppe eine geschichtete Zufallsstichprobe von vier Jungen und Mädchen je Altersgruppe gezogen. War bei den Folgeuntersuchungen ein Kind nicht da, wurde ein Ersatzkind bestimmt. Von den pädagogischen Fachkräften nahmen zwei pro Gruppe teil.

Um eine Vergleichbarkeit der Daten herzustellen, wurde die Untersuchung jeweils in der Kernzeit von ca. 8:45–12.30 Uhr durchgeführt. Die mittlere Beobachtungsdauer betrug 223 Minuten (zu T0), das Minimum 135 Minuten, das Maximum 300 Minuten. Wegen der unterschiedlichen Beobachtungsdauern wurde als abhängige Variable die durchschnittliche Schrittzahl pro Stunde benutzt.

Bewegungstagebuchuntersuchungen

Die Bewegungstagebuch-App basiert auf dem OSRAC-P-Kodierungssystem von Brown et al. (2006). In diesem System wurden gleichzeitig pro beobachtetem Kind Ort, Kontext, Intensität und Art der Aktivität codiert. Das Intensitätslevel wurde in QueB – wie in McIver et al. (2009) im Unterschied zur Originalversion – nicht in 5 Stufen, sondern nur in 4 Stufen erhoben. Die Stufen 2 und 3 des OSRAC-P-Kodierungssystems wurden zusammengefasst zu der Intensitätsstufe 2. Der Grund war die geringe Unterscheidbarkeit der beiden Abstufungen in der Originalskala.

Mit der Bewegungstagebuch-APP wurden pro Kita jeweils 3 Kinder zufällig aus den vier Altersgruppen der Drei-, Vier-, Fünf und Sechsjährigen ausgewählt, wobei darauf geachtet wurde, dass sich sowohl Jungen als auch Mädchen in der Beobachtungsgruppe befanden.

Datenauswertung und statistische Verfahren

Die Ergebnisse der Schrittzähler und die Beobachtungsdaten wurden mittels R (R Core Team, 2017) ausgewertet. Zur Analyse der Schrittzählerdaten kamen varianz-/regressionsanalytische Modelle zum Einsatz.

Die Bewegungstagebücher sind zeitkodiert, d.h. jede Veränderung wurde mit der Zeit, die seit Start bzw. der letzten Veränderung vergangen ist, aufgezeichnet. Auf diese Weise ergab sich pro Kind und Tag ein Prozentwert für die Kategorien der Variablen „Ort“, „Kontext“, „Intensität der Bewegung“ und „Art der Aktivität“ (vgl. Brown et al. 2006), der den jeweiligen Zeitanteil der Kategorie an der Gesamtzeit angab. Diese Prozentwerte dienten als Basis für die weitere Datenanalyse. Durchgeführt wurden Omnibustests auf Unterschiede von Proportionen, die mittels der Chi-Quadratverteilung auf Signifikanz überprüft werden konnten. Der Kontrollgruppenvergleich der Zeitanteile wurde mit einer Varianzanalyse durchgeführt.

Die von den Kitas unter Mitwirkung der QueB-Coaches formulierten Ziele wurden einem – oder bei fehlender Eindeutigkeit zwei – Bereichen der Kita-Check-App zugeordnet. Für die Analyse des Einflusses der Zielauswahl auf die Veränderung der Schrittanzahlen wurde pro gewähltem Ziel eine Dummy-Variable (0–1-Variable) definiert, die auf 1 gesetzt wird, wenn die Kita dieses Ziel benannt hat. Die Regression wurde dann als Regression ohne Achsenabschnitt auf die Veränderungswerte durchgeführt.

Ergebnisse

Schrittzähleranalysen – Kinder

Da die Regionen Erlangen und Coburg zeitversetzt in die Untersuchung starteten, fungierten die Kitas in der Region Erlangen zu T1 als Kontrollgruppe (vgl. Abbildung 2). So konnten zur Bestimmung der Effektivität der Intervention die Messwiederholungen und die beiden Regionen als Faktoren untersucht werden.

Abbildung 2 Schrittzählerergebnisse der Kita-Kinder differenziert nach Geschlecht, Region und Messzeitpunkt.

Die Varianzanalyse der Prätestdaten (T0) (Tabelle 1) zeigte signifikante Unterschiede mit substantiellen Effektstärken hinsichtlich des Geschlechts (F(1,318) = 17,88; p < 0,001; part. η 2 = 0,06) und der vier Altersstufen (F(3,318) = 4,34; p < 0,001; part. η 2 = 0,04), jedoch keine signifikante Interaktion der beiden Variablen (F(3,318) = 1,06; n.s.).

Tabelle 1 Anzahl der Schritte pro Stunde (M (SD)) der Kinder im QueB-Projekt in Abhängigkeit von Alter und Geschlecht zum Zeitpunkt T0 der Untersuchung

Da die Variablen Alter und Geschlecht einen substanziellen Einfluss auf das Bewegungsverhalten aufweisen, wurden bei den nachfolgenden Analysen diese beiden Variablen als Kovariaten berücksichtigt. Abbildung 2 zeigt die Verläufe der Mittelwerte der Schritte pro Stunde für Interventions- und Wartegruppe über die vier Messzeitpunkte getrennt für Jungen und Mädchen. Über den Zeitverlauf gemittelt wurden bei den Jungen ca. 100 Schritte/h mehr gemessen als bei den Mädchen (s. Tabelle 1).

Da in der Region Coburg die Intervention nach T0 begann, während die Region Erlangen auf die Intervention warten musste, ermöglicht der varianzanalytische Vergleich der Daten zu T0 und T1 die Bewertung des Interventionseffekts (siehe Tabelle 2). Während es mit dem Start in die Intervention keine Unterschiede zwischen den beiden Regionen gab, zeigt sich zu T1 ein deutlicher Anstieg der Schritte bei den Coburger Kindern.

Tabelle 2 Anzahl der Schritte pro Stunde (M (SD)) der Kinder im QueB-Projekt in Abhängigkeit von Messzeitpunkt und Region

Bei den Zwischensubjektfaktoren zeigten die Kovariaten Alter (F(3,320) = 8,193, p < 0,001; part. η2 = 0,07) und Geschlecht (F(1,320) = 22,39; p < 0,001; part. η2 = 0,07), wie nach den Ergebnissen des Prätests zu erwarten war, einen signifikanten Effekt, jedoch nicht der Ort der Intervention (Region Coburg bzw. Erlangen; F(1,320) = 3,48, n.s.).

Bei den Innersubjektfaktoren ergab sich jedoch eine signifikante Interaktion der Region mit der Messwiederholung, die auch einen großen Effekt aufwies (F(1,324) = 45,38; p < 0,001; part. η2 = 0,14). Dies belegt die Wirkung der Intervention auf das Bewegungsverhalten der Kinder in den Kitas der Region Coburg.

Um zu zeigen, dass die Intervention an beiden Standorten wirksam war, wurden die Daten von T0 mit den Folgemessungen zu T2 und T3 verglichen. Die Ergebnisse der Varianzanalyse zeigten einen signifikanten Einfluss des Zeitpunktes (F(1,953) = 6,12; p < 0,01; part. η2 = 0,01), aber keine signifikante Interaktion des Messzeitpunktes mit dem Ort der Testdurchführung (F(2,953) = 1,02; n.s.), d.h. der Wartegruppeneffekt war lediglich zu T1 zu beobachten.

Die Intervention mit QueB führte in beiden Regionen zu einer Zunahme an Bewegungsaktivitäten. Der Effekt in Coburg war mit dem Start der Intervention schnell zu sehen, während die Kitas, die nach der Startmessung warten mussten, nach einem reaktiven Abfall einen längeren Anstieg zurückgelegt haben. Nach Abschluss der Intervention hatten beide Regionen ein vergleichbares Niveau bei den erhobenen Schritten. Eine weitere Varianzanalyse untersuchte die Unterschiede zwischen T2 und T3 und somit die Stabilität der durch die Intervention erzielten Veränderungen in der Region Coburg.

Hier war nur ein signifikanter Effekt der Kovariate Geschlecht zu verzeichnen (F(1,594) = 16,83; p < 0,001; part. η2 = 0,02). Die Messwiederholungen unterschieden sich nicht (F(1,594) = 0,69; n.s.) – es war somit auch kein Abfall in den Mittelwerten der Schrittzählerdaten zu T3 zu verzeichnen. Alle Kinder konnten einen signifikanten Anstieg an Schritten verzeichnen. Bei der ersten Datenerhebung machten die Kinder durchschnittlich 965 Schritte/h, während es nach der Intervention ca. 100 Schritte/h mehr waren (1059 Schritte/h). Der Wartegruppeneffekt zum Zeitpunkt T1 und das Angleichen der Wartegruppe zu den Zeitpunkten T2 und T3 sind in Abbildung 2 deutlich sichtbar genauso wie die Nachhaltigkeit der Intervention in den Kitas aus dem Raum Coburg.

Schrittzähleranalysen – pädagogische Fachkräfte

Um den Einfluss der Intervention auf das Bewegungsverhalten der pädagogischen Fachkräfte abzuschätzen, wurde eine Schrittzähleranalyse durchgeführt. Sie zeigte über die Messzeitpunkte hinweg einen signifikanten Haupteffekt (Tabelle 3; F(3,192) = 6,927; p < 0,001; part. η 2 = 0,06. Weder die Region (F(1,64) = 2,59; n.s.) noch die Interaktion der Region mit dem Messzeitpunkt (F(3,192) = 0,61; n.s.) fallen signifikant aus.

Tabelle 3 Anzahl der Schritte pro Stunde (M (SD)) der Erzieher_innen im QueB-Projekt in Abhängigkeit von Messzeitpunkt und Region

Nach der Intervention machten die pädagogischen Fachkräfte statt 815 Schritte/h im Vortest 939 Schritte/h zum Zeitpunkt T3, was eine Zunahme von 15% bedeutet. Diese Veränderungen waren nicht unabhängig von den Veränderungen bei den Kindern: Bildete man pro Kita die Differenzen der Baselinemessung mit dem Mittel der Testzeitpunkte T2 und T3, so korrelieren die Veränderungen der Schrittzählerergebnisse von pädagogischen Fachkräften und Kindern auf der Ebene der Kitas (tau = 0,473; z = 2,13; p < 0,05).

Analyse der Bewegungstagebücher

Wegen der geringen Fallzahlen wurden die Ergebnisse der Bewegungstagebuch-App so aggregiert, dass die Messungen vor dem Einsetzen der Intervention als Kontrolle für die Messungen nach der Intervention dienen. Die Bewegungsintensitäten wurden von 0 (extrem geringe Intensität; „sedentary“), 1 (geringe Intensität, „slow easy“), 2 (moderate Intensität, „moderate“) bis 3 (hohe Intensität, „vigorous“) kodiert. Abbildung 3 zeigt die Verteilung der Intensitäten.

Abbildung 3 Verteilung der Bewegungsintensitäten 0 (extrem geringe Intensität; „sedentary“), 1 (geringe Intensität, „slow easy“), 2 (moderate Intensität, „moderate“) 3 (hohe Intensität, „vigorous“) vor und nach der QueB-Intervention.

Der Unterschied zwischen den Testzeitpunkten T0 und T2 ist über die vier Intensitäten mit χ2(3) = 13.3 signifikant (p < .01). Das bewegungsarme Verhalten (Intensität 0) nahm ab, während Verhalten mit (vor allem) leichten und moderaten Intensitäten vermehrt auftrat. In der Experimentalgruppe wurden 7,1% mehr intensive Bewegungen (Intensitäten 2 und 3) als in der Kontrollgruppe beobachtet (F(1,40) = 6.016; p < .05).

Die Verteilung der Aktivitäten änderte sich stark mit χ 2(24) = 209.2 (p < .001). Die Abbildung 4 zeigt die signifikanten Veränderungen (p < .05) in den Kategorien, die mehr als 1% Zeitanteile aufweisen.

Abbildung 4 Signifikante Veränderungen von Aktivitäten der Kinder in den QueB-Kitas.

Die Zeitanteile für „Sitzen“, „Stehen“ und „Fahren“ sind reduziert, während „Gehen/Herumlaufen“ und „Spiele Kleingeräte“ erhöhte Zeitanteile nach der Intervention besitzen. Für die Kategorien „feinmotorische Tätigkeiten“, „aktives Sitzen“, „einfache Alltagstätigkeiten“, „Bauen, Heben, Schieben“ und „Rennen, Fangspiele“, die jeweils mehr als 5% der Zeitanteile aufweisen, lassen sich keine signifikanten Veränderungen feststellen.

Einfluss der Ziele auf das Bewegungsverhalten

Viele Kitas fokussierten ihre Zielbildung auf die Veränderung der Bewegungsangebote (7 von 12 Einrichtungen), die Umgestaltung von Räumen innen (6 Einrichtungen) und außen (4 Einrichtungen) und die Kita-Kultur (4 Einrichtungen). Alle anderen Ziele waren in geringerem Ausmaß vertreten (3 oder weniger Einrichtungen). Ziele im Bereich Methodik/Didaktik wurden von den Kitas im Kontext von QueB nicht formuliert.

Zwei Beispiele

  • In einer Kita stand der Bewegungsraum oft leer. Die pädagogischen Fachkräfte überlegten ein System, dass es jetzt den Kindern ermöglicht, mit Betreuung in den Morgenstunden die Räumlichkeiten selbständig zu nutzen. Ziel war eine 90%ige Auslastung in dieser Zeit.
  • In einer anderen Kita verabredeten die pädagogischen Fachkräfte Aussagen anonym zu dokumentieren, die Bewegungsaktivitäten der Kinder bremsen oder unterbinden, bspw. im Flur wird nicht gerannt; pass auf, sonst fällst du, setz dich mal ruhig hin, … In einer Teambesprechung wurden diese Kommentare diskutiert. Ziel war eine Reduktion bewegungshemmender Appelle.

Abbildung 5 zeigt den geschätzten Einfluss der gewählten Ziele auf die Veränderungen in den Schritten der Kinder, sowie der 95%-Konfidenzintervalle.

Abbildung 5 Veränderungen der Anzahl der Schritte pro Stunde der Kita-Kinder in Abhängigkeit von den gewählten Zielen der Kitas im Rahmen des QueB-Prozesses.

Wurden Ziele im Bereich materielle Ausstattung, Räume innen und außen in den Fokus genommen, wie bspw. die Öffnung des Flurs für Bewegungsaktivitäten, die Änderung des Raumkonzeptes bspw. durch Reduzierung der Anzahl der Stühle im Gruppenraum oder die Umgestaltung des Gartens, so waren auch substanzielle positive Änderungen in den mittleren Schrittanzahlen zu beobachten. Ziele, die dem Bereich Bildung & Bewegung zuzuordnen waren wie bewegtes Lernen oder bewegte Kleingruppenarbeit, kovariierten nicht mit den Veränderungen der Schrittanzahlen. Bezogen sich die Ziele auf die Qualifikation bspw. die Teilnahme an einer Inhouse-Fortbildung oder die Kita-Kultur bspw. den Bewegungsdrang der Kinder erkennen und nicht einschränken, so gab es ebenfalls deutliche Veränderungen bei den Bewegungsaktivitäten. Bei Wahl von Zielen zur (bewegten) Elternarbeit sank die durchschnittliche Schrittanzahl.

Diskussion und Perspektiven

Das 10-Schritte Programm, das die Kitas realisiert haben, führte zu einer Steigerung von ca. 100 Schritten/h bei den Kindern. Wenn man davon ausgeht, dass die Kita-Kinder mindestens 1000 Schritte/h schaffen müssen, um in Anlehnung an die nationalen Empfehlungen die mindestens 12000 Schritte pro Tag zu erreichen, so sind sie auf einem guten Weg. Allerdings wird die vorgegebene Zielzahl nur im Mittel erreicht bzw. überschritten.

Es ließ sich ein signifikanter und stabiler Geschlechtereffekt nachweisen: Jungen liefen ca. 150 Schritte/h mehr als Mädchen. Dieser Effekt lag in der Größenordnung ähnlich den Ergebnisse von Tudor-Locke et al. (2011). Dieser Geschlechtereffekt zeigt keine (signifikanten) Interaktionen mit den Interventionsgruppen und den Messzeitpunkten, d.h. Jungen und Mädchen profitierten vergleichbar von den Maßnahmen.

Die Kitas nutzten die vorhandenen Möglichkeiten, sich zu bewegen, intensiver und haben sich auch neue Bewegungsgelegenheiten bsw. durch mehr Bewegungsangebote, eine bessere Raumnutzung und einen sensibleren Umgang mit den Bewegungsbedürfnissen der Kinder geschaffen. Bei den Kindern zeigten die Schrittzählerdaten eine über die Zeitreihe stabile Erhöhung, die auch ein halbes Jahr nach Projektende noch nachzuweisen ist. Die festgestellte Absenkung des bewegungsarmen Verhaltens auf der Basis der Beobachtungsdaten kann als Kreuzvalidierung interpretiert werden. Mehr Schritte zu machen geht einher mit mehr Herumlaufen und Gehen und bedeutet auch weniger Sitzen und Stehen.

Die gewählten Zielsetzungen der Kitas führten zu einer messbaren Veränderung hinsichtlich des Indikators „Schritte/h“. Sehr große Veränderungen waren mit Zielsetzungen im Bereich „Material“ zu erzeugen. Auch in den nationalen Empfehlungen für Bewegung und Bewegungsförderung, hat sich die Verfügbarkeit von vielfältigen Materialien als relevant gezeigt (Messing et. al., 2019). Insgesamt standen vor allem Ziele im Fokus, die kurzfristig Veränderungen möglich machten, wie bspw. neben der Bereitstellung von Materialien die Öffnung des Bewegungsraums. Dagegen zeigten Themen, die deutlich mehr Zeit benötigen wie bspw. Bildung & Bewegung weniger schnell Effekte bei der Bewegungsaktivität (vgl. Ungerer-Röhrich et. al., 2015) Dies sind erste Hinweise auf die Bedeutung der Ziele und Maßnahmen, die Kitas für ihre Entwicklung in Angriff genommen haben. Weitere Analysen sind geplant.

Die Schrittzähleranalyse bei den pädagogischen Fachkräften brachte einen Anstieg um ca. 15% am Ende des Projekts. Der Abfall in den Schritten bei den Erzieherinnen – wie auch bei den Kindern der Kontrollgruppe – zum Zeitpunkt T1 deutet auf eine gewisse Reaktivität auf die Messung hin. Es ist anzunehmen, dass dies beim ersten Messzeitpunkt T0 zu einer Überschätzung der Schrittzahlen führte (Dössegger et al., 2014). Die Konsequenz ist dann vermutlich eine Unterschätzung des tatsächlichen Interventionseffekts.

Da die Kitas einer Region als Kontrollgruppe (zu T1) fungierten, wurde im Design darauf geachtet, dass die Struktur der Regionen und der beteiligten Kitas relativ ähnlich war. Dies schränkte die Validität der Ergebnisse ein. Inwieweit das 10-Schritte Programm auch in schwierigen Sozialräumen erfolgreich umgesetzt werden kann, soll in der zweiten Phase des Projekts untersucht werden.

Insgesamt belegen die Ergebnisse, dass anhand der gewählten Indikatoren die Bewegungsfreudigkeit und damit die Handlungsmöglichkeiten für einen aktiven Lebensstil durch die Maßnahmen von QueB erfolgreich und nachhaltig gesteigert werden konnten. Es spricht auch für ein gelungenes Interventionskonzept, dass es zwischen den Regionen Coburg und Erlangen zum Ende des Interventionszeitraums keine Unterschiede in den erzielten Ergebnissen gab.

Literatur

1QueB ist ein Teilprojekt des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung finanzierten Forschungsprojekts Capital4Health, Förderkennzeichen 01EL1421D/E.

2An der Arbeitsgruppe waren auch Prof. Dr. Holger Hassel und Christina Müller, beide Hochschule Coburg beteiligt.

4Vgl. https://queb.eu/werkzeuge.php

5Die Kita-Check-App ist im Google-Play-Store kostenfrei erhältlich. Eine WEB-Applikation mit gleichem Inhalt ist unter https://queb.eu/kca/erhältlich.