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Open AccessThemenschwerpunkt

Monitoring der Therapie alkohol-bezogener Störungen

Published Online:https://doi.org/10.1024/0939-5911.a000150

Abstract

Fragestellung: Die Deutsche Suchthilfestatistik (DSHS) stellt eines der größten und umfassendsten Dokumentationssysteme im Suchtbereich weltweit dar. Die Datenlage eröffnet hier ein breites Feld für Trendbeobachtung und Monitoring. Die vorliegende Untersuchung stellt den Versuch dar, anhand einer umschriebenen Störungsgruppe (Alkohol-bezogener Störungen) Veränderungen im Suchthilfesystem deskriptiv abzubilden und systematisch Ursachen innerhalb und außerhalb des Systems gegeneinander abzugrenzen. Methodik: Als Datenbank wurden die anonymisierten Daten der Berliner Suchthilfestatistik aus den Jahren 2004 bis 2008 verwendet (N = 39.219). Beobachtete Variablen der Stichprobe waren Alter bei Behandlungs- und Störungsbeginn, Geschlecht, Schulbildung, Erwerbssitution, Substanz-bezogene Komorbidität, Wohnungssituation und Partnerschaft. Beobachtete Outcome-Variablen waren Behandlungsdauer und Behandlungserfolg. Je nach Niveau und Fragestellung kamen unterschiedliche statistische Verfahren zur Anwendung (z. B. Chi-Quadrat, Regression, Korrelation, t-Test, Varianzanalyse, U-Test, H-Test). Ergebnisse: Die Untersuchung zeigte eine signifikante Reduktion des Therapieerfolgs in ambulanten und eine Verbesserung des Therapieerfolgs in stationären Einrichtungen. Die Behandlungsdauer sank in beiden Bereichen signifikant. Schlussfolgerungen: Diese Trends können vor allem durch soziodemographische Veränderungen der Population erklärt werden, deren Belastung im ambulanten Setting zugenommen und im stationären Bereich abgenommen hat. Die Analysen legen den Schluss nahe, dass in ambulanten und stationären Einrichtungen ein Trend hin zu positiveren Bewertungen von Therapieerfolgen zu beobachten ist.

Monitoring of Addiction of Alcohol-Related Disorders

Aim: German Addiction Treatment statistics (DSHS) is amongst the most extensive documentation systems worldwide. These data open a broad field for trend observation and monitoring. Using a concise disorder group (alcohol-related disorders) this study aims to describe trends in the addiction system. Causal effects are aimed to be originated within and from outside the system. Method: Berlin Addiction Treatment statistics provided anonymous data from 2004 to 2009 (N = 39.219). Observed sample-variables were age at treatment onset, disorder onset, sex, education, job situation, substance-related comorbidity, housing conditions and partnership status. Outcome-variables were treatment duration and success. According to the level and hypotheses diverse statistical methods were applied (e. g. chi-square, regression, correlation, t-test, variance analysis, U-Test, H-test). Results: A significant reduction of treatment success was found in out-patient treatment units, contrary to a significant amelioration in in-patient centres. Treatment duration decreased in both segments. Conclusions: Most of these trends can be explained by demographic changes in the clients’ population. Here a worsened situation is found in out-patient compared to an ameliorated situation in in-patient treatment centres. These analyses suggest that a trend towards more positive treatment evaluations must be presumed in out-patient as well as in-patient treatment centres.

Einleitung

Weltweit protokollieren Dokumentationssysteme die Therapieverläufe tausender Patienten im Bereich der Suchtkrankenhilfe und ähnlicher Disziplinen (z. B. European Monitoring Centre for Drugs and Drug Addiction [EMCDDA], 2010). Abgesehen von einer rein deskriptiven Erfassung der Gegebenheiten können diese Daten genutzt werden, um systematisch zu untersuchen welche Eigenschaften und Interaktionen von Therapie und Individuum zu einem möglichst optimalen Ergebnis führen (Mattick & Hall, 1996). Bereits diese querschnittliche Betrachtungsweise stellt den Forscher vor ein komplexes wissenschaftliches Problem (McLellan, McKay, Forman, Cacciola & Kemp, 2005): Bei Verwendung naturalistischer Daten existieren zahlreiche Fehlerquellen, die nicht wie in einem Experiment kontrolliert werden und die untereinander konfundiert sein können (Dennis, Scott, Funk & Foss, 2005). Die Stärke solcher oft flächendeckenden nationalen Datenbanken ist, dass sich durch die großen Stichproben kleinere Verzerrungen (biases) nivellieren bzw. durch die detaillierte Dokumentation herausrechnen lassen. Von noch höherer Komplexität ist die Untersuchung dieser Zusammenhänge im Längsschnitt, die dadurch erschwert wird, dass sich sowohl das System als auch die es umgebenden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen im Wandel befinden können und sorgfältig abgewogen werden muss, ob Veränderungen z. B. im Therapieerfolg auf Veränderungen der Behandlungspraxis zurückgeführt werden können.

Die kontinuierliche Beobachtung wichtiger Parameter im wirtschaftlichen aber auch gesundheitsökonomischen Bereich wird oft als Monitoring bezeichnet. Die Deutsche Suchthilfestatistik (DSHS) stellt eines der größten und umfassendsten Dokumentationssysteme im Suchtbereich weltweit dar. In jährlichen Analysen werden die wichtigsten Parameter suchtbezogener Hilfestellung dokumentiert und einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht (Steppan, Künzel & Pfeiffer-Gerschel, 2010). Die durchgeführten Analysen erstrecken sich neben der Bundesebene auch auf einzelne Bundesländer (Wegmann & Pfeiffer-Gerschel, 2009). Die große Menge an Daten, vor allem aber die Stringenz und Nachhaltigkeit der Dokumentation mithilfe des Deutschen Kerndatensatzes (KDS, Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen [DHS], 2010) eröffnen somit ein Feld für Monitoring in diesem wichtigen Sektor der öffentlichen Gesundheit (Public Health). Neben Substanz-bezogenen Variablen erhebt die DSHS auch zahlreiche soziodemographische Variablen, die für die Vorhersage des Therapieerfolgs von Relevanz sind. Als für die Therapie förderlich erwiesen sich stabile Wohnverhältnisse und eine geringe soziale Isolation (z. B. Stahler, Shipley, Bartelt, DuCette & Shandler, 1995). Eine bessere Integration in die „nicht auf Drogen bezogene Welt“ und eine Vollzeitbeschäftigung zeigten ebenfalls positive Zusammenhänge mit dem Therapieerfolg (Cushman, 1974). Darüber hinaus zeigte „Verheiratet sein“, d. h. eine stabile Partnerschaft positive Auswirkungen auf den Therapieerfolg (Mertens & Weisner, 2000). Ebenso erwies sich Bildung als förderlicher Faktor bei Behandlungen Alkohol-bezogener Störungen (Wickizer et al., 1994). Es zeigte sich außerdem, dass höheres Alter mit Therapieerfolg assoziiert ist (Wickizer et al., 1994), wobei dies besonders für Männer zu gelten scheint (Green, Polen, Dickinson, Lynch & Benett, 2002). Neben soziodemographischen Variablen werden im Rahmen der DSHS auch weitere Substanz-bezogene Diagnosen (d. h. schädlicher Gebrauch bzw. Abhängigkeit von weiteren Substanzen) erhoben. Die Stärke zusätzlichen problematischen Beikonsums anderer Substanzen, d. h. die substanzbezogene Komorbidität ist aus früheren Studien als negativer Prädiktor bekannt (Brewer, Catalano, Haggerty, Gainey & Fleming, 1998; McLellan et al., 1994; Wickizer et al., 1994).

Basierend auf diesen Befunden aus der Literatur wurden diese Kovariate in die Untersuchung integriert, so dass etwaige Trends des Therapie-Outcomes dahingehend überprüft werden konnten, ob sie lediglich auf eine Veränderung der Patientenpopulation und deren soziodemographische und Substanz-bezogene Belastung zurückgeführt werden können. Die Herausforderung eines solchen Monitorings besteht darin, externe Veränderungen von internen Veränderungen im System der Suchthilfe abzugrenzen, damit bewertende Aussagen über Veränderungen abgeleitet und gegebenenfalls Interventionen geplant und durchgeführt werden können. In der vorliegenden Untersuchung werden anhand einer umschriebenen Störungsgruppe (Alkohol-bezogene Störungen) Verlaufsdaten (2004 – 2008) aus Berlin hinsichtlich der Frage untersucht, ob es im Beobachtungszeitraum (a) zu Veränderungen (Trends) des Therapie-Outcomes bzw. der Population von Personen mit Alkohol-bezogenen Störungen gekommen ist („Trendfeststellung“). Als Hypothese wurde hier angenommen, dass sich Veränderungen des Therapie-Outcomes und der Population signifikant darstellen lassen. Darüber hinaus wird untersucht, ob (b) etwaige Trends unabhängig von Populationsveränderungen bestehen, d. h. ob abgesehen davon eine unaufgeklärte „Restvarianz“ verbleibt, die auf signifikante Veränderungen innerhalb des Systems hindeutet („Trendlokalisation“). Als Hypothese wurde hier angenommen, dass Trends im Therapie-Outcome auch kontrolliert für Kovariate signifikant bleiben, sofern diese interne Veränderungen in der Behandlungspraxis wiederspiegeln.

Methoden

Datensatz und Stichproben

Der verwendete Datensatz umfasst Daten, die im Rahmen der Deutschen Suchthilfestatistik (DSHS; Steppan et al., 2010) für Berlin dokumentiert wurden. Das zugrunde liegende Dokumentationssystem orientiert sich für die Jahre seit 2007 am neuen Deutschen Kerndatensatz zur Dokumentation in der Suchthilfe (KDS). Die Daten der Jahre 2004 bis 2006 basieren auf der Vorgängerversion des KDS und mussten daher leicht abgewandelt werden, um bei Veränderungen der Datenstruktur eine äquivalenz der Datensätze zu erzielen. Der Datensatz umfasst für die sechs Jahre insgesamt 39 219 Fälle von Betreuungen von Klienten mit (eigenen) Alkohol-bezogenen Störungen Die Diagnostik des KDS orientiert sich an der Internationalen Klassifikation psychischer Störungen (ICD-10; Dilling, Mombour & Schmidt, 2009). Die Dokumentation in den 114 Einrichtungen erfolgt in der Regel anhand zertifizierter computer-basierter Dokumentationssysteme (z. B. EBIS, Patfak etc.).

Innerhalb der Stichprobe wurden ambulante und stationäre Samples voneinander unterschieden. (1) Ambulant: enthält ausschließlich jene Patienten (N = 34 373), die in Beratungs- und oder Behandlungsstellen und Fachambulanzen betreut wurden, wobei hier Daten aus 86 verschiedenen Berliner Einrichtungen eingingen). (2) Stationär: enthält ausschließlich jene Patienten (N = 2809), die in insgesamt 28 stationären Einrichtungen in den Jahren 2005 bis 2008 behandelt wurden (2004 hatten noch keine stationären Einrichtungen berichtet).

Variablen und Indikatoren

Als Indiktoren für den Therapie-Outcome wurden Therapiedauer (in Tagen) und der Therapieerfolg herangezogen, der im Rahmen des Deutschen Kerndatensatzes (KDS) basierend auf der Beurteilung der behandelnden Therapeuten vierstufig am Tag des Betreuungsendes (ordinal) kategorisiert wird (erfolgreich, gebessert, unverändert, verschlechtert).

Verschiedene Studien weisen auf die Bedeutung spezifischer soziodemographischer Variablen hin. Als demographische Prädiktoren wurden in Anlehnung an frühere Untersuchungen (siehe Einleitung) die Variablen Geschlecht, Alter (bei Betreuungsbeginn), höchste abgeschlossene Schulbildung, Erwerbs- und Wohnsituation verwendet. Schulbildung, Erwerbs- und Wohnsituation wurden in eine ordinale Reihung gebracht, um die Indikatoren als Prädiktoren in Regressionsmodellen angemessen verwenden zu können (Die verwendeten Codierungen finden sich in der Fußnote der Tabelle 2). Zur Quantifizierung der substanzbezogenen Komorbidität (nicht alkoholischer Beikonsum) wurde der Mittelwert aus allen weiteren dichotomisierten Substanz-bezogenen Einzeldiagnosen gebildet (1 = vorhanden, 0 = nicht vorhanden), da in diesem Fall missing-Werte nicht verfälschen. Die im Rahmen des KDS erhobenen anderen Substanzen sind Opioide (Heroin, Methadon, Buprenorphin, andere opiathaltige Mittel), Cannabis, Barbiturate, Benzodiazepine, andere Sedativa/Hypnotika, Kokain, Crack, Amphetamine, MDMA und verwandte Substanzen (Ecstacy), andere Stimulanzien, LSD, Meskalin, sonstige Halluzinogene, Tabak, flüchtige Lösungsmittel und andere psychotrope Substanzen.

Tabelle 2. Ergebnisse verschiedener statistischer Prüfverfahren zur Testung von temporären Veränderungen bezogen auf die Stichproben ambulant, stationär und konstante Stichprobe

Statistische Methoden

Statistische Verfahren wurden anhand von SPSS 15 und Stata berechnet. Zunächst wurden bezogen auf „Trendfeststellung“ (Fragestellung a) alle Variablen dahingehend überprüft, ob sich eine temporäre Veränderung im untersuchten Zeitraum nachweisen lässt. Dabei kamen je nach Skalenniveau die entsprechenden statistischen Verfahren gemäß Bortz (2005) zur Anwendung (siehe Tabelle 2). Aufgrund verschiedener Robustheiten gegenüber Verletzungen von Voraussetzungen und Sensitivität gegenüber großen Stichproben, wurden hier – wo dies möglich war – mehrere statistische Tests angewandt. In Bezug auf die „Trendlokalisation“ (Fragestellung b) wurde untersucht, ob Veränderungen des Therapie-Outcomes (Dauer, Erfolg) eventuell durch eine Veränderung der Stichprobe hinsichtlich soziodemographischer und Belastungsindikatoren zustande gekommen sein könnte. Dazu wurden neben dem annualen Prädiktor („Trend“) diese als Kovariate in die Regressionsanalyse integriert. Im Rahmen dieser Regressionsmodelle kamen Varianzanalysen (ANOVA) zur Anwendung, um die Gültigkeit einer linearen Modellannahme zu überprüfen.

Ergebnisse

Tabelle 1 zeigt die deskriptiven Rohdaten zur Veränderung des Therapie-Outcomes. Es zeigt sich eine Veränderung der mittleren Betreuungsdauer, die im ambulanten Bereich von 2004 (87,2 Tage) zunächst auf 2005 (104,8 Tage) ansteigt, um anschließend bis zum Jahr 2008 (69,7 Tage) stark abzufallen. Im stationären Bereich findet sich eine ähnliche Veränderung der durchschnittlichen Betreuungsdauer, die von 2005 (98,6 Tage) auf 2006 (116,3 Tage) zunächst ansteigt, um 2008 deutlich unter das Ausgangsniveau abzufallen (77,4 Tage). Hinsichtlich des Therapieerfolgs zeigt sich, dass im ambulanten und stationären Bereich eine Reduktion des Anteils „erfolgreicher“ Therapien zu verzeichnen ist, die einer Steigerung des Anteils „gebesserter“ Patienten gegenüber steht. Die Anteile „unveränderter“ und „verschlechterter“ Therapien weisen im ambulanten Bereich wenig zeitliche Veränderung auf, während im stationären Bereich nach anfänglicher Steigerung beider Kategorien eine Reduktion unter das Ausgangsniveau (2005) zu beobachten ist. Insgesamt zeigt sich somit eine Reduktion der mittleren Betreuungsdauer und eine Verlagerung von „erfolgreichen“ hin zu „gebesserten“ Therapien im ambulanten und stationären Setting verglichen mit 2004 bzw. 2005.

Tabelle 1. Tabelle 1 Deskriptive Statistik zum Therapie-Outcome im zeitlichen Trend

Tabelle 2 zeigt die Ergebnisse verschiedener statistischer Verfahren zur Überprüfung von temporären Veränderungshypothesen. Hinsichtlich des Geschlechts zeigt sich, dass es im stationären Bereich zu einer signifikanten Erhöhung des Frauenanteils gekommen ist, während im ambulanten Bereich das Geschlechterverhältnis konstant geblieben ist. Beim Erwerbsstatus kam es in der ambulanten Stichprobe zu einer Verschlechterung der Situation im Gegensatz zu stationären Einrichtungen, in denen sich die Erwerbssituation der Betroffenen signifikant verbessert hat (R = .133, p < .000), wobei hier nur die Rangkorrelation signifikant ist, nicht jedoch der Mann Whitney U-Test. Bei der höchsten abgeschlossenen schulischen Ausbildung zeigten sich in beiden Stichproben keine signifikanten Ergebnisse. Die Behandlungsdauer verringerte sich in allen untersuchten Stichproben signifikant, wobei im ambulanten und stationären Bereich, sowohl Mann Whitney U-Test als auch Rangkorrelation zu einem signifikanten Ergebnis führen. Der Therapieerfolg verringerte sich in der im ambulanten Bereich signifikant, während sich der Anteil der erfolgreichen Therapien im stationären Bereich signifikant erhöhte (R = .119, p < .000; U = 4.5E4, p < .024). Die Wohnproblematik (ordinalisiert) der Betroffenen verringerte sich im ambulanten und stationären Bereich signifikant. Die Partnerschaftssituation (dichotomisiert) verschlechterte sich in beiden Stichproben hoch signifikant (p < .000) im Sinne höherer Anteile von Betroffenen, die nicht in festen Partnerschaften waren. Substanzbezogene Komorbidität nahm in der ambulanten Stichprobe hochsignifikant zu, so dass im Jahr 2009 im Schnitt mehr Substanz-bezogene weitere Diagnosen zu verzeichnen waren als noch 2004. Im Gegensatz dazu blieb dieser Indikator in der stationären Stichprobe im zeitlichen Verlauf auf hohem Niveau stabil (r = –.001, p < .952). Im Sinne von Belastungs- und Schutzfaktoren kam es somit in der ambulanten Stichprobe zu einer Verschlechterung (schlechtere Erwerbssituation, niederes Alter bei Störungsbeginn, zunehmende substanzbezogene Komorbidität), wohingegen im stationären Bereich eine Verbesserung zu beobachten war (höheres Alter bei Störungsbeginn, günstige Erwerbssituation).

Tabelle 3 zeigt eine Zusammenfassung signifikanter Trends in den Jahren 2004 bis 2009, wobei die Signifikanz jenes Testverfahrens herangezogen wurde, das die höchste Aussagekraft für das entsprechende Skalenniveau aufweist. Mit Ausnahme der Behandlungsdauer und der höchsten abgeschlossenen Schulausbildung zeigten sich bei allen anderen Variablen uneinheitliche Trends in ambulanter und stationärer Stichprobe. Tabelle 3 zeigt, dass die Variable Schulbildung keine mittels der verwendeten Verfahren nachweisbaren Veränderungen im untersuchten Zeitraum aufwies.

Tabelle 3. Tabelle 3 Signifikante Trends im ambulanten und stationären Bereich (2004 – 2009, Berlin)

Um überprüfen zu können, inwiefern Veränderungen des Therapie-Outcomes auch kontrolliert für Veränderungen der Population Bestand haben, wurde multiple lineare Regression angewandt. Tabelle 4 zeigt deren Ergebnisse, wobei sich die Variable „Jahr“ als Indikator für den Trend mit Ausnahme von Therapiedauer in der stationären Stichprobe immer als signifikanter Prädiktor erwies. Der Einfluss der Variable „Jahr“ auf den Therapieerfolg war in beiden Stichproben (ambulant β = .056 und stationär β = .158) positiv und hoch signifikant (p < .000). Bezogen auf die Therapiedauer erwies sich das „Jahr“ im ambulanten Bereich als negativer Prädiktor (β = -.097). Markant erwies sich der nicht signifikante Einfluss der Variable Geschlecht auf den Therapie-Outcome im zusammenfassenden Regressionsmodell, das sämtliche Variablen (Einschluss-Methode) berücksichtigt. Alle vier Varianzanalysen (ANOVA) zu den vier Modellen erwiesen sich als hoch signifikant (p < .000). Der multiple Regressionskoeffizient war für den Therapieerfolg höher (ambulant R = .203; stationär R = .287) als für die Therapiedauer (ambulant R = .128; stationär R = .180).

Tabelle 4. Tabelle 4 Multiple lineare Regression mit Therapie-Outcome als abhängiger Variable und Trend und soziodemographischen Variablen als Prädiktoren (signifikante Ergebnisse)

Diskussion

In der Untersuchung zeigten sich signifikante Veränderungen der Population als auch des Therapie-Outcomes im zeitlichen Verlauf, sowie deutliche Zusammenhänge zwischen individuellen (soziodemographischen) Eigenschaften und dem Therapie-Outcome, insbesondere dem Therapie-Erfolg. Unter Berücksichtigung individueller Kontrollvariablen bleibt ein signifikanter annualer Trend bestehen, der auch auf eine interne Veränderung des Therapie-Outcomes hindeutet, welche nicht durch die (beobachteten) Trends der Population erklärt werden konnte.

Es existieren einige wichtige Limitationen dieser Ergebnisse: (1) Bei dem im Rahmen der Deutschen Suchthilfestatistik erhobenen Therapieerfolg handelt es sich um eine subjektive Einschätzung des Therapeuten unmittelbar am Therapieende. Die Reliabilität und Validität der vergebenen Diagnosen wird im Rahmen der DSHS nicht systematisch überprüft. Es ist denkbar, dass diagnostische Angaben aus dem Versorgungsalltag v. a. in der ambulanten Suchtberatung nicht immer in völliger Übereinstimmung mit Ergebnissen stehen, die auf einem differenzierten diagnostischen Vorgehen (z. B. Durchführung strukturierter Interviews wie SKID oder CIDI) beruhen würden. (2) Die hier dargestellten Daten werden in sehr heterogenen (Größe, Angebot, Struktur) Einrichtungen erhoben, deren Anteil an der Gesamtpopulation der Patienten ebenfalls über die Jahre schwankt. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass ein Teil der Veränderungen von Therapie-Outcome und Population mit dem sich verändernden Einrichtungspool zu tun hat. (3) Für alle der erhobenen Daten kann nicht restlos ausgeschlossen werden, dass Veränderungen der Dokumentationsgewohnheiten für etwaige Trends verantwortlich sein können. Nichtsdestotrotz, kann die Konvergenz von Prädiktoren des Therapie-Outcomes mit früheren Untersuchungen als Hinweis auf die Validität der vorliegenden Daten angesehen werden (Brewer et al., 1998; Cushman, 1974; McLellan et al., 1994; Mertens & Weisner, 2000). Ein weiteres Indiz für die Gültigkeit der Daten zeigt sich in der Übereinstimmung mit Ergebnissen aus anderen Untersuchungen. So steht beispielsweise die Zunahme des Frauenanteils (in stationären Einrichtungen) in Übereinstimmung mit aktuellen Befunden zu Kohorten- und Alterseffekten bezüglich starken episodischen Alkoholkonsums (Pabst, Kraus, Piontek & Müller, 2010) und zu erhöhten Raten regelmäßigen Alkoholkonsums bei Jüngeren und Frauen (Augustin & Kraus, 2005). (4) Ein weiterer Diskussionspunkt betrifft die geringe Varianzaufklärung des Therapie-Outcomes, die die Signifikanz der Ergebnisse möglicherweise in ungerechtfertigter Weise schmälert. Soziodemographische Variablen haben in der Regel aufgrund der geringen Anzahl von Ausprägungen nur geringe Varianzaufklärungsraten (Brewer et al., 1998). Der Großteil der Varianzaufklärung verbleibt somit immer noch für individuelle Charakteristika der Person (z. B. Motivation). Das Jahr des Therapiebeginns spielt naturgemäß eine untergeordnete Rolle gegenüber einer Vielzahl von individuellen Variablen, die den Therapie-Outcome deutlich mehr beeinflussen. Ein Bestehen auch einer geringen Varianzaufklärung durch einen annualen Prädiktor unter Berücksichtigung von Kontrollvariablen deutet somit unabhängig von der Größe der aufgeklärten Varianz auf einen linearen Trend hin.

Hinsichtlich der Interpretation von Veränderungen der Population gibt es weniger konzeptuelle Schwierigkeiten als mit Veränderungen des Therapie-Outcomes, da soziodemographische Merkmale relativ unabhängig vom Suchthilfesystem vor allem externe Veränderungen widerspiegeln dürften. Lediglich „populationssteuernde Maßnahmen“ wie eine Einführung spezifischer Angebote (z. B. für junge Patienten) könnte eine soziodemographische Veränderung der Patientenpopulation „von innen“ verursachen. Dies muss für die hier vorliegende Stichprobe auch tatsächlich angenommen werden, da im untersuchten Zeitraum in Berlin Programme wie das HALT-Projekt (für Jugendliche mit Alkoholvergiftungen, siehe www.halt-projekt.de) oder das Netzwerk Frühintervention begonnen haben, gezielt jüngere Patienten in ambulanten Einrichtungen anzusprechen. Die Frage, ob neben gesellschaftlichen Veränderungen auch ein Populations-verändernder Einfluss der Suchthilfelandschaft auf die Patientenpopulation besteht, kann hier nicht geklärt werden, muss aber bei der Interpretation berücksichtigt werden.

Die Populationsabhängigkeit erschwert die Interpretation von Trends des Therapie-Outcomes als interne Veränderung innerhalb eines Systems. Es ist daher unerlässlich, annuale Trends auch für entscheidende Kovariate zu kontrollieren. Die dabei gefundenen Prädiktionseffekte soziodemographischer und individueller Variablen entsprechen jenen, die in früheren Untersuchungen gefunden wurden. Günstige Erwerbs- und Wohnsituation (Cushman, 1974; Stahler et al., 1995), stabile Partnerschaft (Mertens & Weisner, 2000), höheres Alter (Green et al., 2002), höhere schulische Bildung (Wickizer et al., 1994) erwiesen sich als positive Prädiktoren des Therapieerfolgs. Substanz-bezogene Komorbidität wies erwartungskonform einen negativen Effekt auf (Brewer et al., 1998). Insgesamt zeigten sich potentiell therapieförderliche soziodemographische Veränderungen der Population im stationären und therapiehinderliche im ambulanten Bereich (schlechte Erwerbssituation, hohe Komorbidität, niedriges Alter bei Störungsbeginn). Dieses Ergebnis korrespondiert zunächst gut mit der (deskriptiven) Verbesserung des Therapieerfolgs in stationären und der Verschlechterung in ambulanten Einrichtungen. Allerdings zeigte sich beim Therapieerfolg in ambulanten Einrichtungen ein widersprüchliches Bild zwischen deskriptiven Trends und Ergebnissen der Regressionsanalyse. Während deskritptiv eine Verschlechterung des Therapieerfolgs zu beobachten war, zeigte die Regressionsanalyse einen positiven Effekt der Vorhersagevariable „Jahr“, was auf eine positive lineare Entwicklung hindeutet (Bortz, 2005). Dieses Ergebnis deutet darauf hin, dass die Verschlechterung soziodemographischer Variablen und die wachsende Belastung bzgl. Substanz-bezogener Diagnosen der behandelten Personengruppe im Zeitverlauf so deutlich sind, dass Effekte einer möglicherweise verbesserten Versorgung überlagert werden. Im Verhältnis zur Verschlechterung des Therapieerfolgs, die aufgrund der soziodemographischen und Substanz-bezogenen Kovariate zu erwarten wäre, wurden höhere Therapieerfolge beobachtet, sodass ein positiver Einfluss der Vorhersagevariable Jahr angenommen werden kann.

Diese Argumentation lässt sich auch für den stationären Bereich anwenden, wo kein paradoxer Trend gefunden wurde. Die Verbesserung des Therapieerfolgs in stationären Einrichtungen ist auch unter Berücksichtigung der positiven Veränderung der Population im stationären Bereich signifikant. Diese Ergebnisse sprechen für interne Veränderungen innerhalb des untersuchten Suchthilfesystems in Richtung positiverer Bewertungen der Therapieverläufe. Inwiefern diese subjektiven Einschätzungen der Therapeuten tatsächlich positivere Therapieergebnisse oder lediglich geänderte Bewertungsgewohnheiten wiederspiegeln, wäre ein sinnvoller Gegenstand für weitere Analysen, die auch katamnestische Informationen mit einbeziehen sollten.

Die Verringerung der Therapiedauer im stationären Bereich erwies sich regressionsanalytisch nur im ambulanten Bereich als signifikant, d. h. auch unabhängig von Populationsveränderungen relevant. Im stationären Bereich hingegen wird die Reduktion der Therapiedauer insignifikant, wenn Populationsveränderungen berücksichtigt werden.

Schlussfolgerungen für die Praxis

Die Analysen zeigen, dass die Berücksichtigung demographischer Veränderungen für die Bewertung von Therapie-Trends unerlässlich ist. Die dargestellte zunehmende Belastung der Population in ambulanten Einrichtungen ist eine empirische Bestätigung subjektiver Eindrücke zahlreicher Therapeuten und sollte als Hinweis für eine zunehmende Belastung der betreuten Patienten wahrgenommen werden. Die Verbesserung der soziodemographischen Situation in stationären Einrichtungen spricht für eine zunehmende Selbst- oder Fremdselektion von Personen, die stationäre Hilfe erhalten bzw. eine frühere Zuweisung zu intensiveren Interventionen noch bevor Fälle stärkere Chronifizierung aufweisen.

Deklaration möglicher Interessenkonflikte

Es bestehen keinerlei Interessenkonflikte im Zusammenhang mit der Erstellung dieser Publikation.

Mag. Martin Steppan

1980 in Innsbruck geboren

2008 Diplom an der Universität Innsbruck, Psychologie

Seit 2009 Lehrbeauftragter an der Universität Innsbruck, Institut für Psychologie

Seit 2009 wissenschaftlicher Mitarbeiter am IFT Institut für Therapieforschung, München  

Tim Pfeiffer-Gerschel

1971 in Hamburg geboren

1991 – 1998 Studium der Psychologie in Würzburg

1998 – 2001 IFT München

2002 – 2006 Psychiatrische Universitätsklinik der LMU München, Promotion

Seit 2007 Leiter der DBDD und der Arbeitsgruppe Klinische Epidemiologie und Monitoring am IFT München

Literatur

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Das Projekt „Deutsche Suchthilfestatistik“ wurde aus Mitteln des Bundesministeriums für Gesundheit gefördert. Die Sonderauswertung für Berlin wurde durch die Senatsverwaltung für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz des Landes Berlin finanziert.

Mag. Martin Steppan, IFT Institut für Therapieforschung, Parzivalstr. 25, DE-80804 München, E-Mail: