Skip to main content
Open AccessOriginalarbeit

Glücksspielsuchtprävention im staatlichen Glücksspielwesen

Werden Problemspielende erreicht?

Published Online:https://doi.org/10.1024/0939-5911/a000766

Abstract

Zusammenfassung:Zielsetzung: Der Glücksspielstaatsvertrag verpflichtet Anbietende von Glücksspielen Spielerschutzmaßnahmen zu implementieren. Befunde, die Rückschlüsse auf die Erreichbarkeit von Problemspielenden ermöglichen, sind limitiert; ebenso die Anwendung freiwilliger Selbstlimitierungsstrategien. Die Studie untersucht die Nutzung von Spielerschutzmaßnahmen sowie Anwendungen selbstlimitierender Strategien. Methodik: Lottospielende in Rheinland-Pfalz wurden mittels Fragebogen (terrestrisch und online) befragt. Die Gesamtstichprobe umfasste 1.966 Fragebogen. Die Differenzierung von Normal- und Problemspielenden erfolgte mittels „Lie-/Bet-Questionnaire“. Ergebnisse: Der Anteil Problemspielender betrug 7.8 % (Lebenszeit). Die Nutzung der Spielerschutzmaßnahmen war durchschnittlich bis gering (41.2-0.0 %) und erfolgte aufgrund konkreter Problemlagen; mehr Problemspielende nutzten Spielerschutzmaßnahmen. Eine Ansprache durch Mitarbeitende erfolgte kaum: 12.9 % der terrestrischen und 1.5 % der online Problemspielenden wurden auf ihr Spielverhalten angesprochen. Problemspielende zeigten signifikant geringere Zustimmungswerte, Spieldauer, -häufigkeit und Einsätze zu begrenzen; online ergab sich kein signifikanter Unterschied bei der Einsatz-Limitierung. Schlussfolgerungen: Die Mehrheit der Problemspielenden wird durch Spielerschutzmaßnahmen nicht erreicht. Verhaltensdatenbasierte Frühwarnsysteme können dazu beitragen, die Reichweite von Spielerschutzmaßnahmen bei Problemspielenden zu erhöhen.

Prevention of Gambling Addiction in the State Gambling Sector: Are Problem Gamblers Reached?

Abstract: Objective: According to the German State Gambling Treaty, gambling operators are obliged to implement player protection measures. Findings about the access to problem gamblers, as well as the use of voluntary self-limiting strategies are lacking. The study investigates the use of player protection measures as well as the application of self-limiting strategies among normal and problem gamblers. Methods: Data collection was carried out among lottery players in Rhineland-Palatinate (a county in Germany) by means of questionnaires (terrestrial and online). The total sample comprised of 1,966 questionnaires. The differentiation of normal and problem gamblers was based on the “Lie-/Bet-Questionnaire”. Results: The proportion of problem gamblers was 7.8 % (Lifetime). The use of player protection measures in the overall sample was average to low (41.2-0.0 %) and was based on concrete problem situations. More problem- than normal gamblers used player protection measures. Problem gambling was hardly addressed by staff: 12.9 % of terrestrial and 1.5 % of online problem gamblers were approached about their gambling behaviour. Problem gamblers showed significantly lower levels of agreement to limiting gambling duration, frequency, and stakes; online, there was no significant difference in stakes limitation. Conclusions: The majority of problem gamblers are not reached by way of current measures. Early warning systems based on behavioural data can help to increase the access to player protection measures, especially among problem gamblers.

Einleitung

Seit 2008 regelt der Glücksspielstaatvertrag (GlüStV) die Veranstaltung von Glücksspielen in Deutschland. Glücksspielunternehmen sind seitdem verpflichtet, „Spieler zu einem verantwortungsbewussten Spiel anzuhalten und der Entstehung der Glücksspielsucht vorzubeugen“ (§ 6 GlüStV). Während universelle Spielerschutzmaßnahmen Spielteilnehmende für mögliche Gefahren einer exzessiven Glücksspielteilnahme sensibilisieren und zu einem verantwortungsvollen Umgang mit dem Glücksspiel befähigen sollen, richten sich selektive und indizierte Präventionsmaßnahmen an Spielteilnehmende, die bereits Merkmale einer Problemspielentwicklung zeigen (z. B. Steigerung von Spielhäufigkeit, -dauer und -einsätzen) (Blaszczynski et al., 2011).

Lotterien zählen zu den beliebtesten Glücksspielen in Deutschland. 2019 spielten 32,5 % der 16- bis 70-jährigen Bundesbürger_innen Lotterien (Banz, 2019). Auch bei den Bezugswegen von Glücksspielen liegt die Lottoannahmestelle mit 23,4 % an erster Stelle, gefolgt von der Glücksspielnutzung im Internet (7,1 %) (Banz, 2019). Die staatlichen Lotteriegesellschaften verfügen über bundesweit einheitliche Standards für den Spielerschutz. Dazu zählen verhaltenspräventive Informationsangebote, Warnhinweise, telefonische und persönliche Beratungsangebote von Mitarbeitenden der Lottogesellschaften sowie Selbsttests. Mit Wiedereinführung eines legalen Online-Lottoangebotes im Jahr 2012 erfolgte zudem eine Erweiterung der Sozialkonzepte, die größtenteils eine Übertragung der bestehenden terrestrischen Spielerschutzmaßnahmen in den Onlinebereich bedeutete.

Obwohl Glücksspielanbietende in den vergangenen Jahren zahlreiche Spielerschutzmaßnahmen implementiert haben, sind die Effekte dieser Maßnahmen auch 12 Jahre nach Inkrafttreten des GlüStV kaum untersucht (Fiedler, Wilcke, Thoma, Ante & Steinmetz, 2017; Kalke, Buth & Hayer, 2012; Meyer & Hayer, 2010; Quack, 2020). Es fehlen auch Befunde, die Rückschlüsse auf die Erreichbarkeit vulnerabler Gruppen und von Problemspielenden in der realen Spielumgebung erlauben (Quack, 2020). Auch die Anwendung freiwilliger Begrenzungen von Einsatz, Dauer und Häufigkeit der Glücksspielteilnahme, die Rückschlüsse auf einen kontrollierten Umgang mit dem Glücksspiel ermöglichen, sind in Deutschland nahezu unerforscht.

Der neue GlüStV 2021 stellt die Weichen für eine weitreichende Liberalisierung vor allem onlinebasierter Glücksspielangebote in Deutschland. Das erhöhte Gefährdungspotential von Online-Glücksspielen (Giralt et al., 2018), die auf ein jüngeres, onlineaffines Publikum zielen, unterstreicht die Bedeutung evidenzbasierter Spielerschutzmaßnahmen.

Das Kompetenzzentrum Spielerschutz und Prävention (KSP), Universitätsmedizin Mainz, hat in Kooperation mit der Landeslottogesellschaft Rheinland-Pfalz 2019 eine Befragung von Lottospielenden zur Nutzung von Spielerschutzmaßnahmen durchgeführt. Im Mittelpunkt stand dabei erstmals eine vergleichende Betrachtung von Normal- und Problemspielenden im terrestrischen und Online-Lottospiel hinsichtlich der Nutzung von Spielerschutzmaßnahmen und der Anwendung von Strategien für einen kontrollierten Umgang mit dem Glücksspiel.

Daraus ergaben sich folgende Fragestellungen:

  1. 1
    Wie hoch ist die Nutzung präventiver und interventionsorientierter Spielerschutzmaßnahmen bei Lottospielenden (terrestrisch und online) in Rheinland-Pfalz?
  2. 2
    In welchem Ausmaß wenden Lottospielende (terrestrisch und online) selbstlimitierende Strategien (Einsatz, Dauer, Häufigkeit) bei der Glücksspielteilnahme an?
  3. 3
    Unterscheiden sich Normal- und Problemspielende (terrestrisch und online) in Bezug auf soziodemografische- und Glücksspielverhaltensmerkmale sowie in der Nutzung von Spielerschutzmaßnahmen und selbstlimitierenden Strategien?

Methode

Fragebogen und Datenerhebung

Es wurde ein Fragebogen entwickelt, der sowohl valide Messinstrumente und Subskalen (Götestam, Johansson, Wenzel & Simonsen, 2004; Johnson, Hamer & Nora, 1998; Johnson et al., 1997) als auch dem Erkenntnisinteresse des Forschungsprojektes folgend, eigens konstruierte Fragen beinhaltet. Der Fragebogen umfasst die thematischen Schwerpunkte: 1. Soziodemografie, 2. Glücksspielform, 3. Glücksspielverhaltensmerkmale, 4. Nutzung von Spielerschutzmaßnahmen, 5. Anwendung freiwilliger Selbstlimitierungsstrategien. Erhoben wurden die soziodemografischen Merkmale Alter (18–25 J; 26–35 J; 36–45 J bis >65 J), Geschlecht, Nationalität („In welchem Land sind Sie geboren?“), Schulabschluss („Welchen höchsten Schulabschluss haben Sie?“) und Berufsstand (berufstätig in Vollzeit bis dauerhaft berentet). Bei der Erfassung der Glücksspielform und der Spielfrequenz (1 = „gar nicht“ bis 6 = „mehrmals wöchentlich“) wurde zwischen Lottoprodukten („Wie häufig, wenn überhaupt, spielen Sie Lotterieprodukte“ (6aus49, Eurojackpot, Zusatzlotterien Spiel77, Super 6 etc.) und weiteren Glücksspielen unterschieden („Wie häufig, wenn überhaupt, spielen Sie weitere Glücksspiele?“ (Glücksspiele in Spielbanken, Automatenspiel, Online Casinos, Online Sportwetten etc.). Es wurden zudem die monatlichen Einsätze (< 20 €; 20 – 50 €; 50 – 100 €; > 100 €) erfasst.

Die Nutzung der Spielerschutzmaßnahmen („Haben Sie schon einmal eines der folgenden Informations- und Hilfsangebote genutzt, um sich über das Thema Glücksspielsucht und Spielerschutz zu informieren?“) wurde mittels dichotomen Antwortformat (Ja/Nein) erfasst. Abgefragt wurden Spielerschutzmaßnahmen (Info-Flyer, Selbsttest, Warnhinweise, Angebote der Suchtkrankenhilfe etc.), die mehrheitlich seit Inkrafttreten des Glücksspielstaatsvertrags im Jahr 2008 und damit im Erhebungszeitrum seit mehr als 10 Jahren existierten. Als zentrale Maßnahme des selektiven bzw. indizierten Spielerschutzes wurde zudem die Ansprache von Spielenden durch Mitarbeitende der Lottoannahmestellen bzw. Lottogesellschaft (online) erfragt (dichotomes Antwortformat Ja/Nein). Die freiwillige Limitierung zur Begrenzung von Einsatz, Dauer und Häufigkeit der Glücksspielteilnahme erfolgte mittels 4-stufiger Likert-Skala (1 = „trifft voll und ganz zu“ bis 4 = „trifft überhaupt nicht zu“).

Zur Unterscheidung von Normal- und Problemspielenden wurde der insbesondere für Verbraucherbefragungen zeitökonomische „Lie-/Bet-Questionnaire“ (LBQ) (Johnson et al., 1998; Johnson et al., 1997) verwendet, der die Lebenszeitprävalenz einer Glücksspielstörung erfasst und bereits in verschiedenen Bevölkerungs- und Patientenbefragungen eingesetzt wurde (Dowling et al., 2018; Götestam et al., 2004). Der zwei Item-Fragebogen („Mussten Sie jemals Menschen, die Ihnen wichtig sind oder waren, wegen des Ausmaßes Ihres Spielverhaltens anlügen?“; „Haben Sie jemals das Bedürfnis verspürt, mit immer mehr Geld zu spielen?“) beinhaltet das dichotome Antwortformat (Ja/Nein). Die Bejahung mindestens einer Frage weist mit einer Sensitivität von 0.99 und einer Spezifität von 0.85–0.91 auf ein problematisches Glücksspielverhalten über die Lebenszeit hin (Johnson et al., 1998; Johnson et al., 1997). Damit ist der LBQ grundsätzlich geeignet, in der Allgemeinbevölkerung Normalspielende und Problemspielende, d. h. pathologische Glücksspieler_innen und Spielteilnehmende mit riskanten Glücksspielverhaltensmerkmalen, voneinander zu unterscheiden (Götestam et al., 2004; Hayer, Rumpf & Meyer, 2014; Wejbera et al., 2021).

Die Befragung fand in den Monaten September und Oktober 2019 in den 940 Lottoannahmestellen in Rheinland-Pfalz statt. Die Auswahl der terrestrisch Befragten erfolgte zufällig und anonym durch Mitarbeitende in den Lottoannahmestellen. Ein Rückschluss auf die Befragten war nicht möglich. Zudem erhielten 26 336 registrierte Online-Lottokund_innen im Rahmen des Online-Newsletters von Lotto Rheinland-Pfalz einen Link zu einem Onlinefragebogen. Der Onlinefragebogen wurde mittels SoSci Survey erstellt (Leiner, 2019). Es wurden weder personenbezogene Daten noch IP- Adressen aufgezeichnet. Ein positives Ethikvotum der Landesärztekammer Rheinland-Pfalz für die Studie liegt vor.

Datenanalyse

Es erfolgte eine deskriptive Datenauswertung der Gesamtstichprobe (soziodemografische und glücksspielbezogene Merkmale, Nutzung und Anwendung von Spielerschutzmaßnahmen und Selbstlimitierungsstrategien).

Mittels χ2-Tests wurden statistisch relevante Zusammenhänge zwischen Normal- und Problemspielenden in Bezug auf soziodemografische- und Glücksspielverhaltensmerkmale sowie auf die Nutzung universeller, selektiver und indizierter Spielerschutzmaßnahmen geprüft. Terrestrisch und online Lottospielende wurden jeweils getrennt betrachtet. Die Differenzierung zwischen Normal- und Problemspielenden erfolgte anhand des LBQ (Johnson et al., 1998; Johnson et al., 1997), der ein problematisches Glücksspielverhalten über die Lebenszeit erfasst. Aufgrund einer möglichen Überschätzung des Anteils von Spielteilnehmenden mit einer aktuell vorhandenen Glücksspielproblematik durch den LBQ wurde zusätzlich eine Sensitivitätsanalyse durchgeführt, die eine Spielfrequenz von mehrmals wöchentlich und monatliche Einsätze > 100 Euro als Indikatoren für ein aktuelles Problemspielverhalten zugrunde legt. Mittels χ2 -Tests wurden auch diese Befunde anschließend auf statistisch relevante Zusammenhänge in Bezug auf die Inanspruchnahme von Spielerschutzmaßnahmen geprüft. Wegen des geringeren Stichprobenumfangs wurde dabei auf eine getrennte Betrachtung von terrestrischen und online Lottospielenden verzichtet.

Anhand von t-Tests wurden zudem Zusammenhänge zwischen der Anwendung freiwilliger Selbstlimitierungen (Dauer, Einsatz und Häufigkeit, mittlere Skalenwerte der Zustimmung) bei Normal- und Problemspielenden anhand des LBQ untersucht. Terrestrisch und Online-Lottospielende wurden jeweils getrennt betrachtet. Es wurden Effektstärken für χ2-Tests (Cramer‘s V = .10 kleiner Effekt; V =.30 mittlerer Effekt; V = .50 großer Effekt) (Ellis, 2010) und t-Tests (Cohens d |d| = .20 kleiner Effekt; |d|=.50 mittlerer Effekt; |d|= .80 großer Effekt) (Cohen, 1988) bestimmt. Die Auswertung erfolgte mit SPSS, Version 23.

Ergebnisse

Beschreibung der Stichprobe

Von 35 736 ausgesandten Fragebogen wurden 2 507 ausgefüllt, davon n = 1.132 in Lottoannahmestellen und n = 1.375 online. Aufgrund fehlender Angaben (Auslassen von Seiten, Ankreuzen ausschließlich des ersten Items einer Frage, Ankreuzen nach Mustern) wurden 193 terrestrische Fragebogen ausgeschlossen. Es wurden zudem 348 Online-Fragebogen ausgeschlossen, die nicht beendet wurden oder mit mehr als 10 % fehlenden Angaben. Es liegt eine Gesamtstichprobe von 1.966 Fragebogen zugrunde (terrestrisch n = 939; online n = 1.027). Die Netto-Rücklaufquote betrug terrestrisch rd. 10 % und Online rd. 4 %. Nicht alle Befragten beantworteten alle Items, so dass die Fallzahlen variieren.

Soziodemografie

70,2 % der Befragten waren Männer und 28,9 % Frauen. Mit 54,7 % war der größte Anteil der Befragten über 55 Jahren alt. 95,3 % besaßen die deutsche Staatsangehörigkeit. Als höchsten Schulabschluss nannten 34,5 % das Fachabitur/Abitur. Etwas mehr als die Hälfte (50,9 %) war laut eigenen Angaben vollzeitbeschäftigt; knapp ein Drittel war dauerhaft berentet (Tabelle 1).

Tabelle 1 Soziodemografische und Glücksspielverhaltensmerkmale der Befragungsteilnehmer_innen (Gesamtstichprobe N = 1.966*)

Glücksspielverhaltensmerkmale

Das klassische Zahlenlotto 6 aus 49 stellte mit 91,9 % der Nennungen das mit Abstand am häufigsten gespielte Lottoprodukt dar, gefolgt von Eurojackpot (71,7 %) (Tabelle 1). 18 % der Befragten gaben an, neben Lottoprodukten weitere Glücksspiele zu spielen. Mit 6,5 % am häufigsten wurde das sonstige Automatenspiel (Automaten in Gaststätten, Autobahnraststätten, Spielecafés) genannt.

Der mit 39,3 % größte Anteil setzte zwischen 20–50 Euro pro Monat für das Lottospiel ein, gefolgt von 28,9 %, die weniger als 20 Euro pro Monat einsetzten (Tabelle 1).

Problemspielverhalten (terrestrisch und online)

Der Anteil von Spielenden mit einem auffälligem Lie-/Bet-Score lag in der Gesamtstichprobe bei 7,8 % (Lebenszeit). Von diesen bejahten 19,0 % (29) beide Items und 81,0 % (124) ein Item des Lie-/Bet-Scores. Der Anteil von Problemspielenden betrug terrestrisch 9,1 % und online 6,6 % (Tabelle 1).

Terrestrisch Spielende

Wie in Tabelle 2 ersichtlich ergaben sich hochsignifikante Unterschiede zwischen terrestrischen Normal- und Problemspielenden in Bezug auf die Nationalität, das Spielen weiterer Glücksspiele neben Lottoprodukten und auf die monatlichen Einsätze. Unter den Problemspielenden fanden sich anteilsbezogen mehr Personen anderer Nationalität (16,5 %) als unter den Normalspielenden (4,7 %). Deutlich häufiger als Normalspielende (16,8 %) spielten Problemspielende (46,9 %) neben Lottoprodukten weitere Glücksspiele. Signifikante Unterschiede ergaben sich auch in Bezug auf die monatlichen Einsätze. Ein Anteil von 37,0 % der terrestrischen Lottokund_innen mit einem Problemspielverhalten nannte monatliche Einsätze von mehr als 100 Euro. Im Vergleich taten das nur 8,7 % der Normalspielenden. Es ergaben sich mittlere Effektstärken in Bezug auf das Spielen weiterer Glücksspielangebote (Cramer‘s V = 0.22) und auf die monatlichen Einsätze (Cramer’s V = 0.27) (Tabelle 2).

Tabelle 2 Soziodemografische- und Glücksspielverhaltensmerkmale Normal- vs. Problemspielende (terrestrisch und online)

Online Spielende

Es zeigten sich signifikante Unterschiede bei Normal- und Problemspielenden bezüglich Nationalität, dem Spielen weiterer Glücksspiele neben Lottoprodukten sowie den monatlichen Einsätzen (Tabelle 2). Unter den Problemspielenden fanden sich anteilsbezogen mehr Personen anderer Nationalität (10,3 %) als unter den Normalspielenden (3,2 %).

33,8 % der Problemspielenden spielten neben Lottoprodukten weitere Glücksspiele. Im Vergleich taten das nur 16,4 % der Normalspielenden. Online Problemspielende (14,7 %) tätigten mehr als doppelt so häufig Einsätze von mehr als 100 Euro pro Monat als Normalspielende (6,8 %). Es zeigte sich ein signifikanter Unterschied bezogen auf das Alter. In der Altersgruppe der 18- bis 35-Jährigen waren Problemspielende mit 17,6 % anteilsbezogen häufiger vertreten als Normalspielende in dieser Altersgruppe (3,9 %). Es ergaben sich kleine Effektstärken in Bezug auf das Spiel weiterer Glücksspielangebote (Cramer‘s V = .11) und die Altersgruppen (Cramer‘s V = .16) (Tabelle 2).

In der terrestrischen und in der Onlinestichprobe ergaben sich keine signifikanten Zusammenhänge zwischen Geschlecht und Problemspielverhalten.

Nutzung von Spielerschutzmaßnahmen durch Normal- und Problemspielende (terrestrisch und online)

In der Gesamtstichprobe (n = 1.966) wurden am häufigsten Beiträge in Zeitung, TV oder Internet (22,4 %) genannt, um sich über das Thema Glücksspielsucht und Spielerschutz zu informieren, gefolgt von Hinweisen auf Lotto-Quittungen, Wettscheinen etc. (20,0 %) und Hinweisen in Radiospots (16,1 %). Die aktive Nutzung der Informationsflyer „Sie werden gespielt“ (7,6 %) bzw. „Spiel nicht bis zur Glücksspielsucht“ (8,1 %) war gering, ebenso die Nutzung des Beratungsangebotes durch Mitarbeitende in den Lottoannahmestellen (4,4 %), der BZgA-Informationsangebote (1,7 %), der telefonischen Angebote von BZgA (0,8 %) und Landeszentrale für Gesundheitsförderung (LZG) in Rheinland-Pfalz (0,4 %).

Terrestrisch Spielende

Über nahezu alle Maßnahmen hinweg nutzten Problemspielende in den Lottoannahmestellen spielerschutzbezogene Informations- und Hilfsangebote häufiger als Personen ohne Problemspielverhalten; Presseberichterstattung in Zeitung, Fernsehen und Internet, Selbsttests (off- und online) sowie Informationen zur Spielersperre sogar signifikant häufiger. Die Effektstärken waren klein (Cramer’s V 0.07–0.15). Insgesamt lag die Nutzung der Spielerschutzangebote bei Normal- und Problemspielenden mit Werten zwischen 25,9 % und 0 % auf einem durchschnittlichen bis geringen Niveau (Tabelle 3).

Tabelle 3 Nutzung von Spielerschutzmaßnahmen – Normal- vs. Problemspielende (terrestrisch und online)

Online Spielende

Auch online nutzten Problemspielende über alle Maßnahmen hinweg Spielerschutzmaßnahmen häufiger als Normalspielende. Signifikant mehr Problem- als Normalspielende nutzten Beiträge in Zeitung, Fernsehen und Internet, Plakate, Online Informationsangebote, Informationen zur Spielersperre und Informationsflyer, um sich zum Thema Glücksspielsucht und Spielerschutz zu informieren. Mit 41,2 % am häufigsten nutzten Online-Problemspielende Beiträge in Zeitung, Fernsehen und Internet. Mediale Beiträge ausgenommen, lag auch in der Online-Stichprobe die Nutzung der Maßnahmen mit Werten zwischen 26,5 % und 0,5 % auf einem durchschnittlichen bis geringen Niveau. Auch hier waren die Effektstärken klein (Cramer’s V 0.08–0.12) (Tabelle 3).

Ansprache von Problemspielenden durch Mitarbeitende (terrestrisch und online)

Die Ansprache von Problemspielenden durch Mitarbeitende von Glücksspielanbietern stellt eine zentrale Maßnahme des selektiven Spielerschutzes dar. Mit einem Anteil von 12,9 % wurden Problemspielende in den Lottoverkaufsstellen signifikant häufiger auf ihr Glücksspielverhalten angesprochen als Normalspielende (Cramer’s V = 0.14), eine Mehrheit von 87,1 % der terrestrischen Problemspielenden wurde jedoch nicht auf ihr Glücksspielverhalten angesprochen. Von 68 Problemspielenden der Online-Stichprobe wurde laut Selbstauskunft nur eine Person (1,5 %) angesprochen (Tabelle 4).

Tabelle 4 Ansprache von Normal- und Problemspielende durch Lotto-Mitarbeitende (terrestrisch und online)

Anwendung freiwilliger Selbstlimitierungen durch Normal- und Problemspielende (terrestrisch und online)

Die Limitierung von Glücksspieldauer, monetären Einsätzen und Häufigkeit der Glücksspielteilnahme sind zentrale Botschaften der Spielerschutzkommunikation mit dem Ziel, einen kontrollierten und verantwortungsvollen Umgang mit dem Glücksspiel zu fördern. In der Gesamtstichprobe gab eine Mehrheit von 82,0 % an, klare Regeln für die Glücksspielteilnahme zu haben. Lediglich 18,0 % der Befragten sagten, nach „Lust und Laune“ zu spielen. Befragte der Online-Stichprobe stimmten häufiger zu, klare Regeln für die Glücksspielteilnahme zu haben (88,8 %), als Befragte in den Lottoannahmestellen (74,3 %). Dabei wurden am häufigsten der Einsatz (M = 1.41; 92,3 % trifft voll und ganz zu bzw. trifft zu) begrenzt, gefolgt von der Spielhäufigkeit (M = 1.75; 81,2 % trifft voll und ganz zu bzw. trifft zu) und der Dauer der Glücksspielteilnahme (M = 2.05; 68,0 % trifft voll und ganz zu bzw. trifft zu).

Terrestrisch Spielende

Problemspielende in den Lottoannahmestellen zeigten signifikant geringere Zustimmungswerte Spieldauer (M = 2.72 vs. M = 2.00, |d|= .60), Einsätze (M = 2.09 vs. M = 1.49, |d|= .69) und Spielhäufigkeit zu begrenzen (M = 2.26 vs. M = 1.82, |d|= .40) als Normalspielende (Tabelle 5).

Tabelle 5 Freiwillige Selbstlimitierungen Normal- vs. Problemspielende (terrestrisch und online)

Online Spielende

Online-Lottokunden mit einem Problemspielverhalten zeigten signifikant geringere Zustimmungswerte Spieldauer (M = 2.48 vs. M = 1.99, d= .42) und Spielhäufigkeit zu begrenzen (M = 2.06 vs. M = 1.63, |d| = 0.48) als Normalspielende. Demgegenüber zeigte sich in der Online-Stichprobe kein signifikanter Unterschied zwischen Normal- und Problemspielenden und der Einsatz-Limitierung (Tabelle 5).

Riskante Glücksspielverhaltensmerkmale und Nutzung von Spielerschutzmaßnahmen

Vor dem Hintergrund der möglichen Überschätzung des Anteils von Spielteilnehmenden mit einer aktuellen Spielproblematik durch den LBQ wurde eine zusätzliche Sensitivitätsanalyse unter Einbeziehung riskanter Glücksspielverhaltensmerkmale durchgeführt. Dazu wurde eine Zusatzvariable mit den Merkmalen „Spielfrequenz mehrmals wöchentlich“ und „monatliche Einsätze > 100 Euro“ gebildet. Der Anteil von Spielenden mit aktuell riskanten Glücksspielverhaltensmerkmalen lag in der Gesamtstichprobe bei 4,8 % (n = 67).

Spielteilnehmende mit riskanten Glücksspielverhaltensmerkmalen nannten am häufigsten Hinweise auf Lotto-Quittungen, Wettscheinen etc. (27,3 %), um sich über das Thema Glücksspielsucht und Spielerschutz zu informieren, gefolgt von Beiträgen in Zeitung, TV oder Internet (24,6 %) und Plakaten (21,2 %) sowie Radiospots (18,2 %). Über nahezu alle Maßnahmen hinweg nutzten auch Spielteilnehmende mit riskanten Glücksspielverhaltensmerkmalen spielerschutzbezogene Informations- und Hilfsangebote häufiger als Normalspielende; das Beratungsangebot durch Lotto-Mitarbeitende sowie Informationen zur Spielersperre sogar signifikant häufiger. Die Effektstärken waren zu vernachlässigen (Cramer’s V 0.00 – 0.09). Insgesamt lag die Nutzung der Spielerschutzangebote bei Spielteilnehmenden mit riskanten Glücksspielmerkmalen mit Werten zwischen 27,3 % und 0 % auf einem durchschnittlichen bis geringen Niveau (Tabelle 6). Spielteilnehmende mit riskanten Glücksspielverhaltensmerkmalen wurden mit einem Anteil von 10.4 % signifikant häufiger auf ihr Glücksspielverhalten angesprochen als Normalspielende (1,9 %); (Cramer’s V = 0.12). 89,6 % (n = 60) der Personen mit riskanten Glücksspielverhaltensmerkmalen wurden nicht auf ihr Glücksspielverhalten angesprochen.

Tabelle 6 Nutzung von Spielerschutzmaßnahmen – Normalspielende vs. Spielteilnehmende (Problemspielende) mit riskanten Glücksspielverhaltensmerkmalen (Spielfrequenz mehrmals wöchentlich und monatliche Einsätze > 100 Euro)

Diskussion

Empirische Befunde zur Nutzung von Spielerschutzmaßnahmen durch Glücksspielende im staatlich konzessionierten Glücksspiel sind limitiert und erlauben kaum Rückschlüsse auf die Reichweiten von Präventionsmaßnahmen in spielerschutzrelevanten Teilzielgruppen (Banz, 2019; Fiedler et al., 2017; Kalke et al., 2012; Kalke & Hayer, 2018; Meyer & Hayer, 2010; Quack, 2020). Die Novellierung des GlüStV und die Liberalisierung von Online-Glücksspielen in Deutschland unterstreicht die Bedeutung evidenzbasierter Maßnahmen für den Spielerschutz.

Die vorliegende Studie untersucht die Nutzung der gemäß GlüStV implementierten Spielerschutzmaßnahmen und die Anwendung selbstlimitierender Strategien bei Normal- und Problemspielenden unter Berücksichtigung von soziodemografischen- und Glücksspielverhaltensmerkmalen. Dabei werden erstmals terrestrische und online Lottospielende verglichen. Ziel ist es, Handlungsempfehlungen für eine Weiterentwicklung von Spielerschutzmaßnahmen abzuleiten.

Mit 7,8 % ist der Anteil Problemspielender (Lebenszeit) in der Gesamtstichprobe überraschend hoch. Der Anteil in der Online-Stichprobe ist dabei geringer (6,6 %) als in der terrestrischen Stichprobe (9,1 %). Für die Unterscheidung von Normal- und Problemspielenden wurde der LBQ (Johnson et al., 1997; Johnson et al., 1998) verwendet, der bei Bejahung einer oder beider Fragen auf ein problematisches Glücksspielverhalten hinweist. Der LBQ wird von verschiedenen Autoren empfohlen, um in der Allgemeinbevölkerung Normalspielende von Problemspielenden zu unterscheiden (Hayer et al., 2014; Götestam et al., 2004; Wejbera et al., 2021). Um die Diagnose „pathologisches Glücksspiel“ zu stellen, bedarf ein positiver Screening-Befund jedoch der Bestätigung durch vertiefende klinische Diagnostik (Götestam et al., 2004). Eine nachgelagerte Diagnostik im Rahmen anonymer Kundenbefragungen ist in der realen Spielumgebung allerdings nicht durchführbar.

Die Verwendung des LBQ, der die Lebenszeitprävalenz eines problematischen Glücksspielverhaltens erfasst, überschätzt demnach möglicherweise den Anteil von Personen mit einer aktuellen Glücksspielproblematik. Darüber hinaus gibt der LBQ keine Auskunft über den Schweregrad der Glücksspielstörung. Es ist deshalb ebenso möglich, dass im Rahmen der Untersuchung Problemspielende identifiziert wurden, die aktuell von keinen oder lediglich milden glücksspielbezogenen Problemen betroffen sind. Anhand einer zusätzlichen Sensitivitätsanalyse, die eine „Spielfrequenz mehrmals wöchentlich“ und „monatliche Einsätze > 100 Euro“ als Indikatoren für ein aktuelles Problemspielverhalten zugrunde legt, zeigt sich, dass der Anteil akut betroffener Problemspielender im Vergleich zu dem ermittelten Problemspieleranteil nach LBQ geringer ist. Die Nutzung der Spielerschutzmaßnahmen unterscheidet sich bei Spielteilnehmenden mit riskanten Glücksspielverhaltensmerkmalen und Problemspielenden nach LBQ (Lebenszeit) jedoch kaum und liegt in beiden Gruppen auf einem durchschnittlichen bis geringen Niveau.

Wenn auch die treffsichere Identifizierung von pathologisch Glücksspielenden anhand des LBQ nur eingeschränkt möglich ist (Götestam et al., 2004) und der LBQ keine Auskunft über den Schweregrad der Glücksspielstörung gibt, sondern nur eine kategorielle Aussage über das Vorliegen eines Problemspielverhaltens über die Lebensspanne trifft, stellen auch Spielteilnehmende mit einer subklinischen Problematik oder Remittierte pathologische Spieler_innen, eine vulnerable und damit spielerschutzrelevante Gruppe dar. Insbesondere Betroffene mit einer milden, subklinischen Symptomatik können von leicht zugänglichen Informations- und Hilfsangeboten (z. B. Bücher, Hinweise auf Suchtberatungsstellen, telefonische Beratungsangebote, Informationsangebote über Gefahren des Glücksspiels, Online-Angebote, Hinweise zu Limitierungen) zur Prävention des Störungsfortschritts profitieren (Toneatto, 2008). Um remittierte Problemspielende oder Personen mit einer leichten Glücksspielproblematik besser unterscheiden zu können, sollten künftige Verbraucher- bzw. Spielerbefragungen dennoch Filterfragen zu aktuellen Glücksspielverhaltensmerkmalen (Regelmäßigkeit der Glücksspielteilnahme und Spielfrequenz) in den letzten 12 Monaten enthalten.

Problemspielende spielen neben Lottoprodukten häufig weitere Glücksspiele. Dazu zählen Automatenspiele in Gaststätten, Raststätten und Spielecafés sowie Online-Sportwetten. Vergleichbare Befunde finden sich in der BZgA-Erhebung (Banz, 2019). Allerdings ermöglichen die vorliegenden Befunde keine Aussage über die problemverursachende Spielform. Künftige Untersuchungen sollten bei Vorliegen eines Problemspielverhaltens auch die problemverursachende Glücksspielform erfassen. Auch in der vorliegenden Befragung ist Problemspielverhalten mit einem jüngeren Lebensalter und einem Migrationshintergrund assoziiert (Banz, 2019; Johansson, Grant, Kim, Odlaug & Götestam, 2009; Meyer & Bachmann, 2011). Anders als in anderen Erhebungen (Banz, 2019; Johansson et al., 2009) ergeben sich demgegenüber keine statistisch signifikanten Zusammenhänge zwischen Geschlecht und Problemspielverhalten, was möglichweise mit der primär betrachteten Glücksspielform der Lotterien zusammenhängt.

Die vorliegende Studie kann keine Repräsentativität beanspruchen. Dies gilt generell für Konsumentenbefragungen, an denen in der Regel nur ein kleiner Prozentsatz der Konsument_innen teilnimmt. Dennoch sind Konsumentenbefragungen, zu denen auch Befragungen von Spielteilnehmenden in der realen Spielumgebung gehören, wichtige Instrumente zur Erhebung von Nutzungsmustern und Reichweiten und geben Hinweise für eine spielform- und zielgruppenadäquate Weiterentwicklung von Spielerschutzmaßnahmen.

Die Befragungsteilnehmer_innen wurden im Fragebogen nach der aktiven Nutzung von Spielerschutzmaßnahmen gefragt, die mehrheitlich seit Inkrafttreten des Glücksspielstaatsvertrags im Jahr 2008 existieren. Insgesamt liegen die Reichweiten der gemäß GlüStV implementierten Spielerschutzmaßnahmen auf einem durchschnittlichen bis geringen Niveau und bestätigen in weiten Teilen die vorwiegend internationalen Forschungsbefunde (Boutin, Tremblay & Ladouceur, 2009; Fiedler et al., 2017; Najavits, Grymala & George, 2003; Quack, 2020; Turner, Wiebe, Falkowski-Ham, Kelly & Skinner, 2005). Auch die durchgeführte Sensitivitätsanalyse, die Indikatoren für ein aktuelles Problemspielverhalten zugrunde legt, bestätigt in weiten Teilen die Ergebnisse der Lebenszeitbetrachtung durch den LBQ. Die vergleichsweise – zum Teil signifikant – häufigere Nutzung von Spielerschutzmaßnahmen durch Problemspielende on- und offline deutet darauf hin, dass die aktive Nutzung von spielerschutzrelevanten Informationen und Hilfsangeboten häufig erst aufgrund konkreter Problemlagen erfolgt (Bonfadelli & Friemel, 2010, 2017). Umgekehrt kann angenommen werden, dass Normalspielende ohne akute Betroffenheit sowie Problemspielende mit einer milden oder zurückliegenden Glücksspielproblematik aufgrund einer fehlenden Motivation, spielerschutzrelevante Informationsangebote kaum wahrnehmen und aktiv verarbeiten (Bonfadelli & Friemel, 2010).

Die Effektstärken in Bezug auf die Nutzung von Spielerschutzmaßnahmen durch Normal- und Problemspielende sind allerdings gering und erlauben nur eine vorsichtige Interpretation der Befunde. Zudem bleibt offen, ob und in welchem Umfang Informations- und Hilfsangebote dazu beitragen, Problemspielende bei der Veränderung ihres Spielverhaltens zu unterstützen, was Bestandteil künftiger Forschungsvorhaben sein sollte.

Dies gilt auch für Frühidentifikation und proaktive Ansprache von Problemspielenden, die eine Kernaufgabe des indizierten Spielerschutzes darstellt. In den Lottoverkaufsstellen werden Problemspielende signifikant häufiger von Mitarbeitenden angesprochen als Normalspielende. Wenn auch in einem geringen Ausmaß kann dieser Befund dahingehend interpretiert werden, dass Mitarbeitende in den Lottoverkaufsstellen zwischen Problemspielenden und Normalspielenden unterscheiden können. Die Mehrheit von über 87 % der terrestrischen Problemspielenden und nahezu 100 % der online Problemspielenden werden derzeit weder von Mitarbeitenden in den Lottoverkaufsstellen noch durch onlinebasierte Interventionen der Lottogesellschaft erreicht. Vergleichbare Befunde finden sich bei Fiedler et al. (2017) und Quack (2020). Im terrestrischen Bereich spielen nahezu 50 % der Problemspielenden neben Lottoprodukten weitere Glücksspiele. Es ist deshalb davon auszugehen, dass zumindest bei einem substanziellen Teil der Problemspielenden das problemverursachende Glücksspiel nicht auf Lottoprodukte zurückzuführen ist und das Problemspielverhalten für die Mitarbeitenden in Lottoannahmestellen nicht erkennbar ist. Zudem äußern sich leichtere glücksspielbezogene Probleme häufig in Gedanken, Gefühlen oder Verhaltensweisen, die für Mitarbeitende ebenfalls kaum erkennbar sind. Eine geringe personelle Besetzung und fehlende räumliche Voraussetzung erschweren zudem die proaktive Ansprache von Kund_innen mit auffälligen Glücksspielverhaltensmerkmalen. Demgegenüber fehlen im Onlinebereich derzeit standardisierte, verhaltensdatenbasierte Frühwarnsysteme und eine darauf abgestimmte automatisierte Spielerschutzkommunikation, um eine Ansprache von Problemspielenden im Onlinebereich zu ermöglichen.

Wenngleich die Nutzung von Spielerschutzmaßnahmen eher gering ist, setzen sich über 80 % der Befragten beim Glückspiel Limits, dabei begrenzt eine Mehrheit von 90 % den Einsatz für Glücksspiele. Terrestrisch und online zeigen Problemspielende signifikant geringere Zustimmungswerte bei der Begrenzung von Spieldauer und Häufigkeit als Normalspielende. Problemspielende in der Lottoannahmestelle nicht aber online Lottospielende zeigen zudem signifikant geringer Zustimmungswerte, Einsätze zu begrenzen. Unabhängig von einem Problemspielverhalten stimmen online Lottospielende der Begrenzung von Einsätzen stärker zu, als terrestrische Normalspielende. Anders als in der Lottoverkaufsstelle haben online Lottospielende die Möglichkeit, ein tägliches, wöchentliches oder monatliches Einzahlungslimit festzulegen. Dieser Befund kann dahingehend interpretiert werden, dass die für das Online-Lotto vorhandene Möglichkeit Einsätze zu begrenzen, von Spielteilnehmenden als Maßnahme des technischen Spielerschutzes akzeptiert ist, von der auch Problemspielende profitieren. Die Ergebnisse zur Anwendung freiwilliger Limitierungen bei der Glücksspielteilnahme sind neu und können nicht mit bestehenden Befunden aus Deutschland verglichen werden. Im europäischen Vergleich (Auer & Griffiths, 2013; Auer, Littler & Griffiths, 2015) mangelt es in Deutschland bislang an Erfahrungen mit standardisierten, verhaltensdatenbasierten Spielerschutz-Interventionen. Um künftig einen effektiven Spielerschutz besonders im Onlinebereich zu gewährleisten, müssen onlinebasierte Spielerschutz-Interventionen erprobt und wissenschaftlich begleitet werden.

Schlussfolgerung für die Praxis

  • Die Mehrheit der Problemspielenden werden von den gemäß GlüStV implementierten Spielerschutzmaßnahmen nicht erreicht.
  • Eine Übertragung bestehender terrestrischer Spielerschutzmaßnahmen in den Onlinebereich ist nicht ausreichend, um Problemspielende zu erreichen.
  • Standardisierte, verhaltensdatenbasierte Frühwarnsysteme und eine darauf abgestimmte automatisierte Spielerschutzkommunikation können dazu beitragen, die Reichweiten von Spielerschutzmaßnahmen besonders bei Risiko- und Problemspielenden im Onlinebereich weiter zu erhöhen.

Literatur