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Open AccessOriginalarbeit

Komplexität außerstationärer Intensivpflege beatmeter Menschen

Cross-Mapping mit der standardisierten NNN-Taxonomie

Published Online:https://doi.org/10.1024/1012-5302/a000919

Abstract

Zusammenfassung.Hintergrund: Zur Abbildung des Pflegeprozesses wird in der außerstationären Intensivpflege in Deutschland bevorzugt im Freitext dokumentiert, obwohl Klassifikationssysteme eine genauere Beschreibung ermöglichen könnten. Fragestellung: Wie lässt sich die pflegerische Versorgung außerstationär beatmeter Menschen mit der NNN-Taxonomie darstellen und welche Empfehlungen ergeben sich daraus für die Pflegepraxis? Methoden: Angewendet wurde ein qualitatives „multiple Case“ Design. Mittels deduktiver Inhaltsanalyse (Datenquellen: Pflegedokumentation und Sekundäranalyse von Interviews mit Betroffenen) wurden mehrere Fälle sowohl individuell als auch über alle Fälle hinweg mit den Pflegediagnosen, -interventionen und -ergebnissen der NNN-Taxonomie verknüpft (Cross-Mapping). Ergebnisse: Insgesamt wurde die Pflegedokumentation von 16 invasiv beatmete Personen mit einem Durchschnittsalter von 58,4 Jahren (SD = 16,3) analysiert. Sieben Personen steuerten zusätzlich Interviewdaten bei. Dokumentiert wurde überwiegend nach dem „Strukturmodell“ (14/16) mit einer mittleren bis hohen Genauigkeit (D-Catch Score: 16,6; SD = 4,1). Beim Cross-Mapping wurden 4016 Codes vergeben: 618 Pflegediagnosen, 1956 -interventionen und 1442 -ergebnisse. Es wurde stark maßnahmenorientiert, wenig personenzentriert und mit mangelnder Differenzierung zwischen Diagnostik und Intervention dokumentiert. Schlussfolgerungen: Zur Verbesserung der Pflegepraxis sollen eine personenzentrierte Grundhaltung und die Fähigkeit zwischen pflegerischen Diagnosen, Interventionen und Ergebnissen zu unterscheiden gefördert werden.

Complexity of outpatient intensive care for ventilated people: Cross-mapping into the standardised NNN-taxonomy

Abstract.Background: In Germany, free text is the preferred method for recording the nursing process in outpatient intensive care, although classification systems could enable a more precise description. Research question: How is nursing care for people with outpatient ventilation represented by the NNN-taxonomy and what are the recommendations for nursing practice? Methods: A qualitative “multiple case” design was applied. Using deductive content analysis (data sources: nursing documentation and secondary analysis of interviews with affected persons), several cases, both individually and across all cases were linked to the NNN-taxonomy (cross-mapping). Results: In total, the nursing documentation of 16 invasively ventilated persons with a mean age of 58.4 years (SD = 16.3) was analysed. Seven persons additionally contributed interview data. Documentation was mainly based on the “Strukturmodell” (14/16) with a moderate to high accuracy (D-Catch Score: 16.6; SD = 4.1). Cross-mapping resulted in 4016 codes: 618 nursing diagnoses, 1956 interventions and 1442 outcomes. Documentation was strongly measure-oriented, not very person-centred and with a lack of differentiation between diagnosis and intervention. Conclusions: To improve nursing practice, a person-centred attitude and the ability to differentiate between nursing diagnoses, interventions and outcomes should be promoted.

Was ist zu dieser Thematik schon bekannt?

Die außerstationäre Intensivpflege beatmeter Menschen ist hochkomplex.

Welchen Erkenntniszugewinn leistet die Studie?

In der außerstationären Intensivpflege ist die Dokumentation physiologisch und wenig auf die Bedürfnisse beatmeter Personen ausgerichtet. Diagnostik und Intervention werden nicht klar voneinander abgegrenzt.

Einleitung

In der außerstationären Intensivpflege von Menschen mit Beatmung werden hochkomplexe pflegerische Maßnahmen von Pflegefachpersonen weitgehend selbstständig organisiert und durchgeführt, was eine hohe Verantwortungsübernahme voraussetzt. Mit dem Ziel Menschen mit Beatmung bei einer selbstbestimmten Lebensgestaltung zu unterstützen, gehören neben der Überwachung der Beatmung und der Bedienung des Beatmungsgeräts pflegerische Maßnahmen wie Verbandswechsel, Verabreichung von Sondennahrung, Mobilisation, Unterstützung bei der Körperpflege oder Assistenz bei Freizeitaktivitäten zu den Aufgaben der außerstationären Intensivpflege (Windisch et al., 2017). Die Versorgung außerstationär beatmeter Menschen kann in der eigenen Wohnung (häusliche 1:1-Versorgung) oder einer ambulanten Intensiv-Wohngemeinschaft (WG) stattfinden (Horvath et al., 2019; Windisch et al., 2017).

Unabhängig vom Ort der Versorgung ist an der Beatmungspflege ein Team aus mehreren Personen beteiligt. Besonders in der häuslichen 1:1-Versorgung, bei der mündliche Absprachen nur bei einer kurzen Übergabe nach einer 12-Stunden-Schicht stattfinden, ist die Pflegedokumentation ein wichtiges Hilfsmittel zum Informationsaustausch. Die Pflegedokumentation ist aber nicht nur ein wesentliches Kommunikations- und Planungsmittel, sondern auch ein Nachweis für geleistete Maßnahmen und damit rechtlich und abrechnungstechnisch relevant (Döbele & Becker, 2016; Reuschenbach, 2008).

In der Pflegedokumentation wird der gesamte Pflegeprozess systematisch erfasst und abgebildet. Der erweiterte Pflegeprozess bzw. „advanced nursing process“ besteht aus definierten, validierten Konzepten und wird durch Pflegeklassifikationen unterstützt. Der evidenzbasierte Pflegeprozess umfasst Assessment, Pflegediagnosen, Pflegeinterventionen und Pflegeergebnisse (Müller Staub et al., 2014). Anerkannte Pflegeklassifikationssysteme sind z.B. die Pflegediagnoseklassifikation „North American Nursing Diagnosis Association International“ (NANDA‑I), die Pflegeinterventionsklassifikation „Nursing Intervention Classification“ (NIC) und die Pflegeergebnisklassifikation „Nursing Outcome Classification“ (NOC), die als NANDA‑NIC‑NOC-Taxonomie (NNN-Taxonomie) verknüpft dargestellt werden können (Müller Staub et al., 2017). Nach NANDA‑I versteht man unter einer Pflegediagnose die klinische Beurteilung der Reaktionen einer Person (bzw. einer Familie oder Gemeinschaft) auf momentane oder mögliche Gesundheitsprobleme im Lebensprozess (Herdman & Kamitsuru, 2019). Pflegediagnosen bilden damit die Basis für Pflegeinterventionen, die beschreiben, welche Maßnahmen Pflegefachpersonen durchführen, um bestimmte Pflegeergebnisse zu erreichen (Bulechek et al., 2016). Pflegeergebnisse beschreiben wiederum alle Veränderungen im Gesundheitszustand, in den Verhaltensweisen oder in der Wahrnehmung einer Person (Moorhead et al., 2013). Pflegeklassifikationen machen es möglich, den Beitrag der Pflege an der gesundheitlichen Versorgung wissenschaftlich zu messen und Vergleiche anzustellen (Müller Staub et al., 2017).

Scheinbar entgegengesetzt zu den standardisierten Klassifikationssystemen und Terminologien der Pflege setzt Deutschland in der Langzeitversorgung auf eine Freitext-Pflegedokumentation. Mit der bundesweiten Einführung des sogenannten „Strukturmodells“ im Jahr 2015 sollte der Dokumentationsaufwand in der Langzeitversorgung, und damit auch in der außerklinischen Intensivpflege, erheblich reduziert werden (Bundesministerium für Gesundheit, 2021). Basierend auf einem vierstufigen Pflegeprozess ist das Strukturmodell auf die persönliche Perspektive der pflegebedürftigen Person ausgerichtet. Pflegerische Maßnahmen sollen in erster Linie als Freitext innerhalb der individuellen Strukturen der jeweiligen Einrichtung formuliert werden. Den Einstieg in den Pflegeprozess (Phase I) bildet die Strukturierte Informationssammlung (SIS). In der SIS werden anhand von sechs Themenfeldern individuelle Wünsche der Pflegebedürftigen, Pflege- und Betreuungsbedarfe und potentielle pflegerelevante Risiken dokumentiert. Diese sechs Themenfelder gliedern die Informationssammlung und haben in der Breite dazu geführt, dass traditionelle Pflegemodelle, wie z.B. das Modell der Aktivitäten und existentiellen Erfahrungen des Lebens (AEDL) (Krohwinkel, 1993) an Bedeutung verloren haben. Im Strukturmodell folgt auf die Informationssammlung die individuelle Maßnahmenplanung (Phase II). Der Dokumentationsaufwand wird deutlich reduziert, indem im Berichteblatt lediglich Abweichungen von der geplanten pflegerischen Versorgung niedergeschrieben werden (Phase III). Bei der Evaluation (Phase IV) wird die Ausgangsituation mit der aktuellen Situation abgeglichen, um so den Erfolg der geplanten pflegerischen Maßnahmen zu prüfen (Bundesministerium für Gesundheit, 2021; Panka et al., 2017).

Gegenüber einer Pflegedokumentation im Freitext liegen die Vorteile von standardisierten Pflegeklassifikationen auf der Hand: Eine standardisierte Pflegefachsprache ermöglicht eine genaue und vergleichbare Beschreibung von Maßnahmen und besitzt das Potenzial, die Kommunikation sowohl innerhalb der Pflege als auch im interprofessionellen Team zu verbessern (Müller Staub et al., 2017). In der außerstationären Intensivpflege wird die Kommunikation mit internen und externen Partnern als eines der zentralen Versorgungsprobleme beschrieben (Klingshirn et al., 2021). Außerdem ist weitgehend unklar, welche pflegerischen Versorgungsleistungen erbracht werden und ob diese bedarfsgerecht sind (Klingshirn et al., 2020).

Fragestellung

Diese Arbeit entstand im Rahmen des Projektes zur „Optimierung der Versorgung beatmeter Patienten in der außerstationären Intensivpflege“ (OVER-BEAS). Das Projekt hat zum Ziel Handlungsempfehlungen für eine verbesserte außerstationäre Intensivpflege zu generieren (Gerken et al., 2020). Erstmalig wird in dieser Studie das Potenzial der NNN-Taxonomie zur Darstellung der Komplexität der außerstationären Intensivpflege auf Basis von Freitext-Pflegedokumenten und Interviews mit beatmeten Personen untersucht. Die spezifischen Fragestellungen lauten:

  • Within-Case-Analyse: Wie werden die einzelnen pflegerischen Versorgungen beschrieben? Wie ist die Genauigkeit der Pflegedokumentation zu bewerten?
  • Cross-Case-Analyse: Wie lässt sich die Komplexität der pflegerischen Versorgung mit der NNN-Taxonomie darstellen? Was sind die häufigsten Pflegediagnosen, Pflegeinterventionen und Pflegeergebnisse bei beatmeten Personen? Welche Unterschiede oder Gemeinsamkeiten ergeben sich aus der Beschreibung von Pflegefachpersonen und beatmeten Personen?
  • Gesamt: Welche Empfehlungen ergeben sich daraus für die Pflegepraxis?

Methode

Design

Die Studie wurde mit einem qualitativen „multiple Case“-Studiendesign durchgeführt, wobei mehrere Fälle unter Einbeziehung verschiedener Informationsquellen (hier: Pflegedokumentation und Interview) untersucht wurden (Creswell, 2013). Im Rahmen dieser Vorgehensweise wurden die Fälle zunächst einzeln beschrieben (Within-Case-Analyse), um anschließend mit der Methode des Cross-Mappings (Frauenfelder et al., 2016) die Freitext-Pflegedokumentation mit der NNN-Taxonomie zu verknüpfen (Cross-Case-Analyse). Die „Standards for Reporting Qualitative Research“ (SRQR) wurden verwendet, um den Kriterien guter wissenschaftlicher Praxis und Berichterstattung zu entsprechen (O’Brien et al., 2014).

Sample und Setting

In die Studie wurden Personen mit einer chronisch respiratorischen Insuffizienz, die mindestens 18 Jahre alt waren, invasiv oder nicht‑invasiv und dauerhaft oder intermittierend beatmet wurden und in einem außerstationären Setting (d.h. zu Hause oder in einer Intensiv-WG) in Bayern versorgt wurden, eingeschlossen. Personen, die neben der Analyse der Pflegedokumentation zu einem Interview bereit waren, mussten kognitiv und kommunikativ in der Lage sein, ein vollständiges Interview durchzuführen. Von der Studienteilnahme ausgeschlossen wurden Personen im Endstadium einer tödlich verlaufenden Erkrankung. Die Rekrutierung fand über soziale Medien, Patientenverbände und Intensivpflegeanbieter statt.

Datenerhebung

Die Daten wurden von Juni 2019 bis März 2020 erhoben. Dazu wurden die Teilnehmenden einmalig von einer Person aus dem Studienteam besucht. Mit dem Einverständnis der Teilnehmenden und in Rücksprache mit den Pflegeanbietenden wurde bei diesem Besuch von der Informationssammlung, dem Maßnahmenplan und den Pflegeberichten der vergangenen drei Monate eine Kopie erstellt. Außerdem wurden die Charakteristika der Teilnehmenden (d.h. Alter, Geschlecht, Beatmungsform, Beatmungsdauer, Grunderkrankung, Pflegebedürftigkeit und Wohnform) mit einem standardisierten Fragebogen erhoben. Die Pflegebedürftigkeit wird im Sinne des Sozialgesetzbuches (§15 SGB XI) in fünf Pflegegraden (1 = keine, 2 = geringe, 3 = erhebliche, 4 = schwere und 5 = schwerste Beeinträchtigung der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten) abgebildet. Eine Subgruppe der Teilnehmenden wurde im Rahmen eines anderen Bausteins des OVER-BEAS-Projektes zur ihrer persönlichen Wahrnehmung der Versorgungssituation befragt (Klingshirn et al., 2022). Diese Interviewdaten wurden zur Beantwortung der oben beschriebenen Forschungsfrage erneut analysiert und ebenfalls mit der NNN-Taxonomie gemapped (Medjedović, 2014).

D-Catch

Das D-Catch-Instrument ist ein valides und reliables Messinstrument zur Bewertung der Genauigkeit der Pflegedokumentation im Krankenhaussetting (Paans et al., 2010). Es wurde bereits erfolgreich im Setting Langzeitversorgung angewendet (Tuinman et al., 2017). Das Instrument besteht aus insgesamt sechs Items: (1) Struktur der Pflegedokumentation, (2) Pflegeassessment bei der Aufnahme, (3) Pflegediagnosen, (4) pflegerische Maßnahmen oder Interventionen, (5) pflegerische Ergebnisse und (6) Lesbarkeit der Pflegedokumentation. Für die Items 2–5 kann jeweils die Quantität und Qualität auf einer 4‑Punkt‑Likert‑Skala bewertet werden („vollständig/sehr gut“ = 4 Punkte, „teilweise vollständig/gut“ = 3 Punkte, „unvollständig/mäßig“ = 2 Punkte, „nicht vorhanden/ unzureichend“ = 1 Punkt; je höher der Summenscore, umso genauer die Pflegedokumentation). Waren zur Bewertung notwendige Pflegedokumente nicht vorhanden, wurde für das Item der Punktwert 1 vergeben. Entsprechend der Zielsetzung dieser Studie wurden nur die Items 3–5 zur Bewertung der Pflegedokumentation herangezogen, sodass der maximal erreichbare Summenscore bei 24 Punkten lag.

Datenanalyse

Im Rahmen einer qualitativen Inhaltsanalyse wurden die Pflegedokumentation und die Transkripte der Interviews mit den beatmeten Personen (Sekundärdatenanalyse) nach der Methode des Cross-Mapping ausgewertet (Frauenfelder et al., 2016). Diese Methode erlaubt es, die nicht‑standardisierten Formulierungen der Pflegedokumentation im Sinne einer deduktiven Inhaltsanalyse (Kyngäs & Kaakinen, 2020) mit der NNN-Taxonomie in Beziehung zu setzen.

Um mit dem Prozess des Cross-Mappings vertraut zu werden, wurde der erste Fall von zwei Wissenschaftlerinnen (LG: Pflegefachperson, MSc und HK: Ergotherapeutin, MPH) parallel kodiert. Anschließend wurden die beiden unabhängigen Analysen verglichen und bei Abweichungen diskutiert, bis ein Konsens erzielt wurde. Im weiteren Prozess wurde die Kodierung von der Pflegewissenschaftlerin (LG) übernommen. Als Analyseeinheit wurde jeder Dokumentationseintrag definiert, der von einer Pflegefachperson bei der Informationssammlung, der Pflegeplanung, oder im Pflegebericht am Ende einer Schicht oder bei besonderen Vorkommnissen in eigenen Worten formuliert wurde. Ähnliches gilt für die Analyse der Interviews mit den beatmeten Personen: hier wurden die beschriebenen Aktivitäten und Unterstützungsbereiche mit der NNN-Terminologie verknüpft. Angelehnt an bereits erprobte Vorgehensweisen beim Cross-Mapping wurde die qualitative Inhaltsanalyse nach den Prinzipien der „vollständigen“ oder „konzeptionellen“ Übereinstimmung durchgeführt (D’Agostino et al., 2020; Frauenfelder et al., 2016). Eine „vollständige“ Übereinstimmung im Cross-Mapping-Prozess wurde erreicht, wenn der in der Pflegedokumentation verwendete Begriff wortwörtlich mit der NNN-Terminologie bzw. den entsprechend definierenden Merkmalen übereinstimmte (z.B. „freie Atemwege“ und NOC Pflegeergebnis „0410: Respiratorischer Status: freie Atemwege“ oder „Hautläsion erkennbar“ und Definition der NANDA-I Pflegediagnose „00046: Beeinträchtigte Integrität der Haut“). Von einer „konzeptionellen“ Übereinstimmung wurde gesprochen, wenn der in der Pflegedokumentation verwendete Begriff nicht wortwörtlich, aber sinngemäß mit der NNN‑Terminologie übereinstimmte (z.B. „schnelle Erschöpfung der Atemhilfsmuskulatur“ und NANDA‑I Pflegediagnose „00032: Ineffektives Atemmuster“ oder „Schwester war heute zu Besuch“ und NOC Pflegeergebnis „2609: Familiäre Unterstützung während der Behandlung“). Begriffe, die der NNN-Terminologie nicht zugeordnet werden konnten (z.B. „allgemeines Unwohlsein“), wurden nicht weiter erfasst. Die Analyse wurde mit MAXQDA (VERBI Software, 2020) durchgeführt.

Ethische Aspekte

Die Studie wurde von der Ethikkommission der Katholischen Stiftungshochschule München genehmigt. Vor der Durchführung der Studie wurden alle Teilnehmenden und/oder deren gesetzliche Betreuung über Ziel und Ablauf der Studie informiert und ein schriftliches Einverständnis zur Studienteilnahme eingeholt. Zusätzlich zum schriftlichen Einverständnis gaben alle Teilnehmenden vor der Audioaufzeichnung des Interviews ihr mündliches Einverständnis. Die Teilnehmenden wurden vor dem Interview dazu ermutigt, offen zu sein und ihre persönliche Wahrnehmung der Pflegesituation zu schildern. Der Analyse der Pflegedokumentation konnte unabhängig von der Teilnahme an einem Interview zugestimmt bzw. nicht zugestimmt werden. Um die Anonymität der Teilnehmenden zu gewährleisten, wurde jedes Dokument mit einem Code pseudonymisiert.

Ergebnisse

Beschreibung von Sample und Setting

Von 25 Studienteilnehmenden waren neun Personen nicht bereit, ihr Einverständnis für die Analyse ihrer Pflegedokumentation zu geben. Als Gründe wurden etwa Bedenken wegen des Datenschutzes oder der Wunsch, Konflikte mit den Pflegeanbietern zu vermeiden, angegeben. Insgesamt wurden 16 Personen (fünf weiblich) mit einem durchschnittlichen Alter von 58,4 Jahren (SD = 16,3) in die Analyse eingeschlossen. Alle Teilnehmenden waren invasiv beatmet, wobei die Hälfte der Personen kontinuierlich (24 Stunden), sechs weniger als 16 Stunden und zwei mindestens 16 Stunden beatmet waren. Durchschnittlich waren die Teilnehmenden seit 5,7 Jahren beatmet (SD = 5,5; fehlende Angaben: n = 2). Als Grunderkrankung gaben sechs Personen eine Erkrankung des zentralen Nervensystems (z.B. Schlaganfall, Schädel-Hirn-Trauma, Enzephalitis), vier eine neuromuskuläre Erkrankung (z.B. spinale Muskelatrophie, Amyotrophe Lateralsklerose), drei eine chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD), zwei eine Pneumonie und eine Person post-operative Komplikationen an. Der Pflegegrad war bei der Hälfte der Teilnehmenden mit Grad 5 angegeben, sechs Teilnehmende gaben den Grad 4 an und zwei Personen gaben niedrigere Pflegegrade an. Die Mehrzahl der Teilnehmenden (n = 12) wurde in einer Intensiv‑WG versorgt. Insgesamt waren acht unterschiedliche Pflegeanbieter in die Versorgung der 16 Teilnehmenden involviert (1–4 Teilnehmende pro Pflegeanbieter).

Beschreibung der analysierten Fälle

Die Beschreibung der analysierten Fälle ist in Tabelle 1 dargestellt. Neben der Pflegedokumentation flossen von sieben Teilnehmenden jeweils ein persönliches Interview in das Cross-Mapping ein. Vorherrschend wurde nach dem Strukturmodell dokumentiert, lediglich in zwei Fällen wurde das AEDL-Modell angewendet. Der Vergleich beider Dokumentationssysteme zeigt, dass bei der Dokumentation nach dem AEDL-Modell die Anzahl der vergebenen Codes deutlich umfangreicher ausfällt. Bei zwölf Teilnehmenden konnte die vollständige Pflegedokumentation, bestehend aus Informationssammlung, Maßnahmenplan und dem Pflegebericht analysiert werden. In drei Fällen fehlte die Informationssammlung und in einem Fall fehlte der Pflegebericht. Pro Fall konnten zwischen 82 und 668 Codes mit der NNN-Taxonomie gemapped werden. Der D-Catch Score bewegte sich zwischen 10 und 22 Punkten mit einem Durchschnittswert von 16,6 (SD = 4,1), was für eine mittlere bis hohe Genauigkeit der Pflegedokumentation spricht (Maximum: 24 Punkte). Tabelle 2 zeigt eine exemplarische Within-Case Analyse zur Beatmungspflege auf Basis von Interview und Pflegedokumentation. In dieser Tabelle wird durch die Gegenüberstellung von NANDA-I, NIC und NOC deutlich, dass eine Pflegediagnose mehrere Pflegeinterventionen notwendig machen kann.

Tabelle 1 Beschreibung der analysierten Fälle (Within-Case)
Tabelle 2 Exemplarische Within-Case Analyse (ID 11) zur Beatmungspflege auf Basis des Interviews und der Pflegedokumentation

Komplexität der pflegerischen Versorgung

Die Verteilung der Codierungen zwischen den verschiedenen Datenquellen ist in Abbildung 1 dargestellt. Insgesamt wurden bei den 16 analysierten Fällen 4016 Codes vergeben. Mit 1956 Codierungen waren die NIC-Pflegeinterventionen am häufigsten vertreten. An zweiter Position fanden sich die NOC-Pflegeergebnisse mit 1442 Codierungen. An letzter Stelle folgten die NANDA‑I-Pflegediagnosen mit 618 Codierungen. Im Vergleich der verschiedenen Dokumente der Pflegedokumentation fällt auf, dass in der Informationssammlung ein hoher Anteil an NIC-Pflegeinterventionen vorhanden war, obwohl in der pflegerischen Anamnese eigentlich nur Diagnosen auftauchen sollten. Die Top 10 der häufigsten NANDA‑I-Pflegediagnosen, NIC-Pflegeinterventionen und NOC-Pflegeergebnisse sind in Tabelle 3 dargestellt. Die gesamten Ergebnisse des Cross-Mappings finden sich im Elektronischen Supplement ESM1.

Abbildung 1 Verteilung der Codierungen zwischen den verschiedenen Datenquellen. N = 4016. Häufigkeit der vergebenen Codes inklusive Mehrfachnennungen.
Tabelle 3 Top 10 Häufigkeiten der NNN-Taxonomie

Bei den Häufigkeiten auf Ebene der Domänen wird deutlich, dass die außerstationäre Intensivpflege in den Pflegediagnosen, -interventionen und -ergebnissen übereinstimmend als hoch physiologisch- und funktionsorientierter Bereich dargestellt wird (siehe ESM2, Abbildungen). Die am häufigsten codierten NANDA‑I-Domänen waren Sicherheit/Schutz (n = 186) und Aktivität/Ruhe (n = 172). Bei den NIC-Domänen waren Physiologie: komplex (n = 766) und Physiologie: grundlegend (n = 737) am häufigsten codiert. Die NOC-Domänen waren mit physiologischer Gesundheit (n = 981) und funktionaler Gesundheit (n = 222) am häufigsten vertreten. Ein Vergleich zwischen Interview und Pflegedokumentation zeigt, dass beatmete Personen und Pflegefachpersonen ähnliche physiologisch orientierte Schwerpunkte bei den Pflegeinterventionen sahen, jedoch vor allem bei den Pflegeergebnissen andere Schwerpunkte (Wahrgenommene Gesundheit: 49%) setzten (siehe ESM2, Tabellen).

Nach dem Ausschluss von Mehrfachnennungen ergaben sich insgesamt 129 verschiedenen NIC-Pflegeinterventionen, 100 NANDA‑I-Pflegediagnosen und 85 NOC-Pflegeergebnisse. Abbildung 2 zeigt eine Code-Wolke mit allen vergebenen NIC-Pflegeinterventionen (weiter Code-Wolken siehe ESM3).

Abbildung 2 NIC-Pflegeinterventionen in der außerstationären Intensivpflege beatmeter Personen. N = 129. Je häufiger eine NIC-Pflegeintervention vorkommt, desto größer wird sie dargestellt.

Diskussion

Die Ergebnisse unserer Studie charakterisieren die außerstationäre Intensivpflege beatmeter Menschen als ein enorm diverses Versorgungssetting, in dem neben physiologischen und funktionellen Aspekten auch psychosoziale und koordinative Aspekte von Bedeutung sind. In einer Cross-Mapping-Studie mit 256 Patienten auf der Intensivstation konnten 52 verschiedenen NANDA‑I-Pflegediagnosen identifiziert werden (Ferreira et al., 2016). Bei deutlich geringerer Teilnehmendenzahl konnten wir fast doppelt so viele NANDA-I-Pflegediagnosen erkennen. Häufige Diagnosen, die sowohl von Ferreira et al. (2016) als auch in unserer Studie identifiziert werden konnten, waren akuter Schmerz, ineffektives Atemwegsclearance, ineffektives Atemmuster, beeinträchtigte Integrität des Gewebes oder beeinträchtigte verbale Kommunikation.

Des Weiteren konnten wir zeigen, dass die außerstationäre Intensivpflege physiologisch-funktionsorientiert und auf das somatische Krankheitsbild fokussiert ist. Obwohl der psychosoziale Bereich und die zwischenmenschliche Beziehung zwischen Pflegefachperson und beatmeter Person eine Schlüsselrolle beim Sicherheitsempfinden der Patienten spielen (Schaepe & Ewers, 2017), spiegeln sich diese Bereiche in unseren Ergebnissen nur geringfügig wider. Zudem setzen beatmete Personen und Pflegefachpersonen im Vergleich ähnliche physiologisch orientierte Schwerpunkte bei den Pflegeinterventionen, erstere weichen aber vor allem bei den Pflegeergebnissen von dieser stark physiologischen Fokussierung ab. Eine Erklärung dafür könnte sein, dass pflegerische Interventionen sowohl von beatmeten Personen als auch von Pflegefachpersonen objektiv beobachtet werden können, während pflegerische Ergebnisse noch selten gemeinsam erarbeitet werden und somit subjektive Wahrnehmungen eine größere Rolle spielen dürften. Studien belegen eine unzureichende Passung zwischen der Sichtweise von Pflegenden und den zu pflegenden Personen in der Beschreibung relevanter Pflegeprobleme: Was Pflegenden bedeutsam erscheint, muss nicht zwingend der zu pflegenden Person wichtig sein (Cochran & Ganong, 1989).

Die an dieser Studie teilnehmenden Pflegeanbieter dokumentierten überwiegend nach dem Strukturmodell. Ebenso wie die Evaluation des Strukturmodells (Wolf-Ostermann et al., 2017) zeigen unsere Ergebnisse, dass der Wegfall täglicher Einzelleistungsnachweise und die Beschränkung auf Abweichungen in der Routineversorgung den Dokumentationsaufwand deutlich reduzieren. Trotz Entbürokratisierung und Qualitätsschwankungen ergibt sich in unserer Studie eine mittlere bis hohe Genauigkeit der Pflegedokumentation. Wenngleich das Strukturmodell auf die persönlichen Bedürfnisse der pflegebedürftigen Person ausgerichtet sein sollte, weisen unsere Ergebnisse darauf hin, dass die Pflegedokumentation eher funktionell, maßnahmenorientiert und noch zu wenig personenzentriert ausgerichtet ist. Auch Wolf-Ostermann et al. (2017) stellen fest, dass Pflegebedürftige selten in den Pflegeprozess miteinbezogen werden. Deutlich wurde durch unsere Analyse zudem, dass in der Pflegedokumentation Diagnostik und Intervention oftmals nicht klar voneinander abgegrenzt oder Interventionen nicht mit Ergebnisbezug dokumentiert werden und insbesondere in der Informationssammlung schon Maßnahmen formuliert werden. Leoni‑Scheiber et al. (2020) zeigen in ihrer Studie, dass die klare Abgrenzung von pflegerischen Diagnosen, Interventionen und Ergebnissen die Qualität des Pflegeprozesses maßgeblich mitbestimmt: Je genauer die Pflegediagnose, desto wirksamer die Pflegeintervention und desto besser das pflegesensible Patientenergebnis.

Stärken und Limitationen

Die NNN-Taxonomie hat sich als das international am besten untersuchte Klassifizierungssystem bewährt (Tastan et al., 2014) und erwies sich in unserer Studie als geeignet, um die Komplexität der außerstationären Intensivpflege darzustellen und Unterschiede zwischen den Perspektiven von Pflegefachpersonen und beatmeten Personen zu untersuchen.

Eine zu diskutierende Einschränkung stellt die Stichprobengröße dar. Diese erscheint mit 16 Teilnehmenden, von denen wiederum nur sieben kognitiv und/oder kommunikativ zu einem Interview in der Lage waren, auf den ersten Blick gering. Nach Malterud et al. (2016) gilt bei qualitativen Studien jedoch folgende Regel: Je mehr Informationen die Stichprobe zur Beantwortung der Forschungsfrage bereithält, desto geringer kann die Anzahl der Teilnehmenden sein. Durch die Heterogenität der Stichprobe und die Analyse verschiedenster Datenquellen war unser Material sehr umfangreich, was sich letztendlich auch in unseren Ergebnissen widerspiegelt. Limitierend muss hier jedoch Erwähnung finden, dass nur in vier Fällen alle Dokumente (inklusive Interview) in die Analyse einfließen konnten. Schwankungen zwischen den Fällen können deshalb auch durch die unterschiedliche Anzahl an analysierten Dokumenten bedingt sein. Hinzu kommt, dass die Interviews lediglich als Sekundärdaten in die Analyse einflossen (Medjedović, 2014). Spezifischere, auf die Pflegedokumentation angepasste Interviews hätten vermutlich noch genauere Ergebnisse erbracht. Letztendlich müssen wir auch Selektionsfehler in Betracht ziehen, da zur Analyse der Pflegedokumentation vermutlich eher Pflegeanbieter bereit waren, die sich der Qualität ihrer Versorgung sicher waren. Abschließend ist deshalb davon auszugehen, dass wir die ohnehin hohe Komplexität der Versorgung in der außerstationären Intensivpflege mit unserer Studie noch unterschätzen. Es wurde bereits festgestellt, dass Pflegefachpersonen deutlich mehr Pflegeinterventionen durchführen als sie dokumentierten und Betroffene ihre erhaltenen Interventionen oftmals nicht als solche erkennen (Leoni-Scheiber et al., 2020).

Schlussfolgerungen

Unsere Studie liefert Erkenntnisse darüber, wie die NNN‑Taxonomie als standardisierte Pflegeterminologie zur Beschreibung von pflegerischen Diagnosen, Interventionen und Ergebnissen bei beatmeten Menschen in der außerstationären Intensivpflege beitragen kann. Insgesamt kann die außerstationäre Intensivpflege beatmeter Menschen als hochkomplexer und individueller Versorgungsbereich beschrieben werden, der neben der Beatmungspflege auch Maßnahmen zur Alltagsbegleitung, Koordination im Gesundheitssystem, Beratung von Familien und Förderung psychosozialer Aspekte beinhaltet. Die Qualität der Pflegedokumentation unterliegt individuellen Schwankungen, wurde aber insgesamt mit einer mittleren bis hohen Genauigkeit bewertet. Deutlich wurde außerdem, dass die Pflegefachpersonen Diagnostik und Intervention häufig nicht klar voneinander abgrenzen und allgemein sehr maßnahmenorientiert dokumentieren. Diese Ausrichtung der Pflegedokumentation verdeutlicht, dass der Pflegeprozess noch zu wenig auf die persönlichen Bedürfnisse von beatmeten Personen und Angehörigen ausgerichtet ist, obwohl dies im Strukturmodell eigentlich so vorgesehen ist. Offen bleibt, ob die Pflegedokumentation tatsächlich Spiegelbild pflegerischer Handlungen ist. Für die Aus- und Weiterbildungen ergeben sich zwei zentrale Empfehlungen: die Förderung einer personenzentrierten Grundhaltung im gesamten Pflegeprozess und die klare Unterscheidung zwischen pflegerischen Diagnosen, Interventionen und Ergebnissen. Da eine standardisierte Pflegeterminologie essentiell für die Weiterentwicklung und Qualität der Pflege ist, könnten sich Lösungen mit Hilfe künstlicher Intelligenz, die das Cross-Mapping von Textinhalten in der Pflegedokumentation im Hintergrund ablaufen lassen (Natural Language Processing), als zukunftsweisend herausstellen.

Wir danken Melinda Maszlag für die Unterstützung bei der Rekrutierung und beim Datenmanagement, Bernd Hein für die Unterstützung bei der Datenerhebung und Lisa Fischer für das Korrekturlesen des Manuskriptes. Außerdem danken wir allen Teilnehmenden und allen involvierten Pflegeanbietern, die bereit waren, uns ihre Zeit zur Verfügung zu stellen und ihre Erfahrungen und Ansichten mit uns zu teilen.

Autor_inneninterview

Was war die größte Herausforderung bei Ihrer Studie?

Die zentralen Erkenntnisse aus dieser komplexen Analyse herauszuarbeiten.

Was wünschen Sie sich bezüglich der Thematik für die Zukunft?

Dass pflegebedürftige Personen mit ihren individuellen Bedürfnissen im Mittelpunkt des Pflegeprozesses stehen.

Was empfehlen Sie zum Weiterlesen/Vertiefen?

Das Buch „Pflegeklassifikationen – Anwendung in Praxis, Bildung und elektronischer Pflegedokumentation“ von Müller Staub et al. (2017), da es sich kritisch mit Pflegeklassifikationssystemen auseinandersetzt.

Literatur