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Open AccessOriginalarbeit

Autismus-Spektrum-Störungen in einer Spezialsprechstunde für Geschlechtsdysphorie: Wie häufig kommt eine Doppeldiagnose vor und was bedeutet die gemeinsame Prävalenz für eine Behandlung?

Published Online:https://doi.org/10.1024/1422-4917/a000805

Abstract

Zusammenfassung.Fragestellung: Aktuelle Studien weisen auf ein erhöhtes gemeinsames Auftreten von Geschlechtsdysphorie (GD) und Autismus-Spektrum-Störungen (ASS) hin. Diese Studie soll Aufschluss über die klinische Prävalenz von ASS bei Kindern und Jugendlichen in einer deutschen Spezialsprechstunde für GD sowie über personen- und behandlungsbezogene Merkmale bei vorliegender Doppeldiagnose (GD, ASS) geben. Methodik: Angaben zum Zuweisungsgeschlecht, Alter, Diagnosen (GD, ASS) und Behandlungsstatus von 680 Kindern und Jugendlichen (Zeitraum: 2013 bis 2018) wurden erfasst. Die Häufigkeit von ASS-Diagnosen (F84.0, F84.1, F84.5, F84.8 oder F84.9, gesichert und ASS-Verdacht) wurde innerhalb der Stichprobe mit GD-Diagnose (gesichert: F64.0, F64.2; Verdacht: F64.8, F64.9; n = 579) ausgewertet. Personen- und behandlungsbezogene Merkmale wurden vergleichend zwischen 18 Kindern und Jugendlichen mit Doppeldiagnose und 40 Kindern und Jugendlichen mit GD-, aber ohne ASS-Diagnose ausgewertet. Ergebnisse: Die klinische Prävalenz von ASS bei vorliegender GD-Diagnose lag unter Einschluss der Verdachtsfälle bei 3.1 %. Kinder und Jugendliche mit einer Doppeldiagnose erhielten signifikant häufiger eine GD-Verdachtsdiagnose und wurden signifikant seltener körpermedizinisch behandelt als Jugendliche ohne ASS-Diagnose. Schlussfolgerungen: Obwohl die gemeinsame Prävalenz von GD und ASS in dieser Untersuchung geringer als in anderen internationalen Sprechstunden ausfiel, sprechen die Zahlen für ein erhöhtes gemeinsames Auftreten der Phänomene. Die Behandlungsergebnisse verdeutlichen, dass eine ASS-Diagnose die Diagnostik bei GD sowie die Indikation somatischer, geschlechtsangleichender Maßnahmen erschweren kann.

Autism spectrum disorders in a Gender Identity Service: How prevalent is the co-occurrence and what are implications for treatment?

Abstract. Abstracts: Objective. Recent studies suggest higher rates of co-occurring gender dysphoria (GD) and autism spectrum disorder (ASD) than it would be expected by chance. This study provides information on the clinical prevalence of ASD in children and adolescents referred to a specialized German Gender Identity Service for children and adolescents (Hamburg GIS) and on features related to the individuals and their treatment in case of co-occurring GD and ASD. Method. We assessed information on birth-assigned sex, age, diagnosis (GD and ASS), and treatment status of 680 referred children and adolescents (time period: 2013–2018). The frequency of ASD diagnoses (ICD F84.0, F84.1, F84.5, F84.8 or F84.9, confirmed or suspected) was evaluated within the sample with GD diagnoses (confirmed diagnoses: ICD F64.0, F64.2; suspected: F64.8, F64.9; n = 579). The individual and treatment-related features of 18 children and adolescents with co-occurring GD and ASD and 40 children and adolescents with GD but without ASD diagnosis were compared. Results. The clinical prevalence of co-occurring ASD diagnoses, including suspected cases, was 3.1 %. Youth with co-occurring GD and ASD had significantly higher rates of suspected GD diagnoses and started significantly less often with gender-affirming medical interventions than youth without ASD diagnosis. Conclusions. Although the prevalence of ASD among children and adolescents with GD was lower than that reported from other international gender identity services, the present results suggest that the two phenomena do co-occur frequently. The results confirm that a diagnosis of ASD can challenge diagnostic procedures as well as decision-making regarding gender-affirming medical interventions.

Einleitung

In den letzten Jahren wurde das erhöhte gemeinsame Auftreten der Diagnosen Geschlechtsdysphorie (GD) und Autismus-Spektrum-Störungen (ASS) im Kindes- und Jugendalter vermehrt empirisch untersucht. Aufgrund der häufig eingeschränkten Introspektionsfähigkeit bei Kindern und Jugendlichen mit einer ASS-Diagnose sind die spezialisierte Diagnostik bei GD und die möglicherweise daran anschließende Indikation einer körpermedizinischen Behandlung bei einer vorliegenden Doppeldiagnose (GD und ASS) komplex. Insbesondere Behandlungsentscheidungen, die zu einer Modifikation des Körpers führen und teilweise irreversibel sind, sind vor diesem Hintergrund erschwert. Ziele der vorliegenden Arbeit sind daher, die Prävalenz von ASS in einer deutschen Spezialsprechstunde für Kinder und Jugendliche mit GD sowie personen- und behandlungsbezogene Merkmale von Kindern und Jugendlichen mit einer Doppeldiagnose zu untersuchen.

Geschlechtsdysphorie und Gendervarianz

Das bei Geburt zugewiesene Geschlecht (Zuweisungsgeschlecht) kann bei einigen wenigen Individuen bereits im Kindes- und Jugendalter als nicht stimmig erlebt werden und dadurch Leid erzeugen. Dieses Phänomen wird in der klinischen Diagnostik als „Geschlechtsdysphorie” (GD; American Psychiatric Association, 2013) oder auch als „Geschlechtsinkongruenz“ bezeichnet (Becker, Ravens-Sieberer, Ottová-Jordan & Schulte-Markwort, 2017). Die klinische Prävalenz von GD-Diagnosen wird im älteren Jugend- und Erwachsenenalter auf 4.6 pro 100 000 Individuen geschätzt (0.0046 %; Arcelus et al., 2015) und Geschlechtsinkongruenz in der jugendlichen Allgemeinbevölkerung für rund 1 % berichtet (Becker et al., 2017). Die Diagnose GD ist durch eine anhaltende Inkongruenz zwischen dem Zuweisungsgeschlecht und dem Geschlechtserleben (oder auch: Gender) gekennzeichnet, welche in der Regel mit klinisch relevantem Leidensdruck einhergeht (American Psychiatric Association, 2013). Weiter gefasste Begriffe wie „Gendervarianz“ oder „Trans/Transgender“ sollen ausdrücken, dass nicht bei allen Kindern und Jugendlichen mit geschlechtsvariantem Erleben ein Leidensdruck besteht und diese somit nicht als pathologisch oder behandlungsbedürftig anzusehen sind (Becker-Hebly, Briken, Schulte-Markwort & Nieder, 2020).

Autismus-Spektrum-Störungen

Die DSM-Diagnose (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders) der Autismus-Spektrum-Störungen (ASS) umfasst Störungsbilder, welche durch Defizite in der sozialen Kommunikation und Interaktion sowie durch repetitive Verhaltensmuster, Interessen oder Aktivitäten charakterisiert sind. Die Symptome der Entwicklungsstörung bestehen seit der frühen Kindheit und sind für die Betroffenen häufig mit psychosozialen Beeinträchtigungen und Leid verbunden (American Psychiatric Association, 2013). Die Prävalenz von ASS in der Allgemeinbevölkerung von Kindern und Jugendlichen liegt zwischen 0.6 und 1.2 % (Baird et al., 2006; Elsabbagh et al., 2012; Nevison, Blaxill & Zahorodny, 2018).

Gemeinsame Prävalenz von GD und ASS

Für GD und ASS sollte ein zufälliges gemeinsames Auftreten angesichts der jeweils niedrigen einfachen Prävalenzen der Diagnosen eher unwahrscheinlich sein. Aktuelle Forschungsarbeiten berichten eine erhöhte Koinzidenz – im Vergleich zu den Einfachprävalenzen in der Allgemeinbevölkerung – und legen somit einen Zusammenhang zwischen dem Auftreten von GD und ASS bei Kindern und Jugendlichen nahe (Glidden, Bouman, Jones & Arcelus, 2016; Herrmann et al., 2020).

Erste klinische empirische Studien, darunter zwei Kohortenstudien (Becerra-Culqui et al., 2018; de Vries, Noens, Cohen-Kettenis, van Berckelaer-Onnes & Doreleijers, 2010) sowie fünf Chart-Reviews (Holt, Skagerberg, & Dunsford, 2016; Kaltiala-Heino, Sumia, Työläjärvi, & Lindberg, 2015; Leef et al., 2019; Nahata, Quinn, Caltabellotta, & Tishelman, 2017; Spack et al., 2012) untersuchten, wie häufig GD und ASS gemeinsam in klinischen, auf GD spezialisierten Einrichtungen vorlagen. Zusammenfassend lag die Prävalenz von ASS bei Kindern und Jugendlichen mit GD zwischen 4.7 und 26 %. Die Schätzungen hingen davon ab, ob in den Zentren ausschließlich Fälle mit einer Diagnose für GD (de Vries et al., 2010; Leef et al., 2019; Nahata et al., 2017; Spack et al., 2012) oder auch subklinische Manifestationen (sogenannte Gendervarianz) miteinbezogen wurden (Becerra-Culqui et al., 2018; Holt et al., 2016; Kaltiala-Heino et al., 2015).

In den untersuchten Stichproben erhielten grundsätzlich mehr Individuen mit männlichem als mit weiblichem Zuweisungsgeschlecht sowie mehr Jugendliche als Kinder die zusätzliche Diagnose einer ASS (Herrmann et al., 2020). In der Studie von de Vries et al. (2010) zeigte sich zudem, dass Kinder und Jugendliche mit der zusätzlichen Diagnose einer ASS häufiger eher eine nicht weiter spezifizierte Diagnose einer GD (nach DSM-IV-TR) erhielten. Diese Diagnose wurde laut Autor_innen häufig dann vergeben, wenn gendervariante Verhaltensweisen oder Interessen untypisch oder gering ausgeprägt waren (de Vries et al., 2010). Vor dem Hintergrund dieser Ergebnisse stellt sich die Frage, inwiefern sich Kinder und Jugendliche mit vs. ohne zusätzliche ASS hinsichtlich verschiedener personenbezogener und klinischer Merkmale unterscheiden.

Aus der aktuellen Studienlage geht nicht hervor, wie häufig Jugendliche mit GD und ASS im Vergleich zu Jugendlichen ohne ASS geschlechtsangleichend körpermedizinisch behandelt werden. Dennoch werden Implikationen, die sich aus der zusätzlichen Diagnose einer ASS ergeben können, in den o. g. Studien diskutiert: de Vries et al. (2010) betonen, dass eine zeitlich aufwendigere Diagnostik wichtig sei, um festzustellen, ob der Behandlungswunsch tatsächlich aus einer andersgeschlechtlichen Identifikation oder vielmehr aus dem diffusen Gefühl des „Andersseins“ (aufgrund der ASS) resultiere. Kaltiala-Heino et al. (2015) überlegen weiterhin, dass Jugendliche mit ASS – aufgrund der Schwierigkeit, mit Veränderungen umzugehen – von den körperlichen Veränderungen im Zuge der geschlechtsangleichenden Behandlung überfordert sein könnten. Die Autor_innen vermuten, dass auch die Abschätzung und Diskussion möglicher Risiken einer körpermedizinischen Behandlung für die Betreffenden herausfordernd sein könnte. Im klinischen Alltag stellt sich somit ganz konkret die Frage, inwieweit Jugendliche mit ASS die langfristigen Folgen einer körpermedizinischen Behandlung abschätzen können und wie differenzialdiagnostisch und therapeutisch vorgegangen werden sollte, um im Falle einer Koinzidenz beiden Phänomenen möglichst gerecht zu werden.

Ziele der Arbeit

Bisher gibt es keine Studien, die Aufschluss über die Prävalenz von ASS bei Kindern und Jugendlichen mit GD in einer deutschen Spezialsprechstunde geben. Zudem existieren keine empirischen Veröffentlichungen dazu, inwiefern Jugendliche mit einer Doppeldiagnose GD und ASS im Vergleich zu Jugendlichen mit GD, aber ohne ASS, geschlechtsangleichend behandelt werden. Ziele dieser Studie sind deshalb, diese gemeinsame Prävalenz sowie personen- und behandlungsbezogene Merkmale bei Vorliegen einer Doppeldiagnose (GD und ASS) erstmalig für den deutschen Sprachraum zu untersuchen.

Methodik

Projektrahmen und Studiendesign

An der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie (KJP) am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) gibt es ein spezialisiertes Sprechstundenangebot für Kinder und Jugendliche mit GD oder mit Fragen zur Geschlechtsidentitätsentwicklung (Gender Identity Service for children and adolescents [Hamburg GIS]). Seit 2013 werden die Angaben von mittlerweile mehr als 900 zugewiesenen Familien systematisch im Rahmen eines Forschungsprojekts erfasst. Das Forschungsprojekt wurde durch die Ethikkommission der Hamburger Psychotherapeutenkammer beraten und bewilligt.

Für die vorliegende Studie wurde die Inanspruchnahmepopulation der Hamburger GIS retrospektiv für den Zeitraum seit Beginn der Erfassung von personenbezogenen Angaben (September 2013 bis Dezember 2018) untersucht. Die Prävalenz von ASS wurde deskriptiv anhand von Angaben der Behandler_innen ausgewertet. Zum Vergleich der personen- und behandlungsbezogenen Merkmale zwischen Kindern und Jugendlichen mit GD und mit vs. ohne zusätzliche ASS wurde ein Fall-Kontroll-Design gewählt.

Diagnostik- und Behandlungsprotokoll in den zwei Hamburger Spezialsprechstunden

Diagnostik und Behandlung bei Geschlechtsdysphorie

In der Hamburger GIS beginnt das Beratungs- und Behandlungsangebot – ähnlich wie in vergleichbaren internationalen Zentren (z. B. in Amsterdam, vgl. de Vries & Cohen-Kettenis, 2012) – mit einer ausführlichen und zeitintensiven Diagnostik. Im Rahmen der psychodiagnostischen und psychiatrischen Evaluation werden die Geschlechtsidentität, der Leidensdruck und die Introspektionsfähigkeit mithilfe der Kinder, Jugendlichen und ihrer Sorgeberechtigten exploriert (Coleman et al., 2012; Möller et al., 2014). Für eine „eindeutige“ oder gesicherte Diagnose der GD sollten eine persistierende Inkongruenz zwischen dem Zuweisungsgeschlecht und dem erlebten Geschlecht sowie das anhaltende, drängende Verlangen, als Angehörige_r eines anderen Geschlechts wahrgenommen zu werden, vorliegen sowie Leidensdruck berichtet werden (American Psychiatric Association, 2013). Da keine geeigneten diagnostischen Instrumente existieren, basiert die diagnostische Einschätzung einer GD in der Hamburger GIS auf den langjährigen klinischen Erfahrungen von auf die GD-Thematik spezialisierten Ärzt_innen, Psycholog_innen und Psychotherapeut_innen (nachfolgend: Behandler_innen).

Für viele, aber nicht alle Jugendliche geht eine GD auch mit einem Wunsch nach geschlechtsangleichenden, den Körper verändernden Maßnahmen einher (Becker-Hebly et al., 2020). Wenn das Inkongruenzerleben persistierend, insistierend und konsistent vorgetragen wird, kann gemeinsam mit der Familie über geschlechtsangleichende Maßnahmen gesprochen werden (Coleman et al., 2012; de Vries & Cohen-Kettenis, 2012; Hembree et al., 2017). Dies beinhaltet auch, Jugendliche und deren Familien über Möglichkeiten und Grenzen sowie über mögliche Neben- bzw. unerwünschte Wirkungen der Behandlung und über deren (partielle) Irreversibilität aufzuklären (Coleman et al., 2012; de Vries & Cohen-Kettenis, 2012; Möller et al., 2014).

Vor dem Hintergrund internationaler Leitlinien wird in der Hamburger GIS nach einer umfassenden Diagnostik und Aufklärung bei präpubertären Kindern die Entwicklung der GD bis zum Einsetzen der Pubertät beobachtet und bis dahin von somatischen Maßnahmen abgesehen (Coleman et al., 2012; Hembree et al., 2017). Werden die diagnostischen, psychosozialen und körperlichen Voraussetzungen erfüllt – insbesondere der Eintritt der Pubertät (mind. Tanner Stadium 2) –, kann anschließend die Verabreichung von Gonadotropin Releasing Hormon analoga (GnRHa; oder auch: „Pubertätshemmer“) erwogen werden (de Vries, Steensma, Doreleijers & Cohen-Kettenis, 2011; Hembree et al., 2017). Einen nächsten möglichen Behandlungsschritt stellt im Jugendalter die geschlechtsangleichende Hormontherapie dar, die zum Einsetzen einer körperlichen Entwicklung entsprechend des erlebten Geschlechts führt (Becker & Richter-Appelt, 2018; Coleman et al., 2012; de Vries & Cohen-Kettenis, 2012; Hembree et al., 2017). Geschlechtsangleichende chirurgische Maßnahmen (z. B. Mastektomie) stellen eine weitere Therapieoption – in der Regel ab Volljährigkeit – dar. Grundsätzlich erfolgen Behandlungsentscheidungen hier nach einem sogenannten „Informed Consent Model“, bei dem die Jugendlichen, Familien und Behandler_innen gemeinsam über mögliche Behandlungsschritte entscheiden (Coleman et al., 2012; Hembree et al., 2017).

Diagnostik bei Autismus-Spektrum-Störungen

In der Hamburger GIS vorstellige Kinder und Jugendliche mit Verdacht auf ASS werden zusätzlich an die Spezialsprechstunde für Kinder und Jugendliche mit ASS überwiesen. In dieser mit der Hamburger GIS kooperierenden ASS-Spezialsprechstunde, welche ebenfalls an die KJP am UKE angebunden ist, erfolgt die diagnostische Abklärung durch auf ASS spezialisierte Behandler_innen. In der ASS-Spezialsprechstunde werden die Symptome einer ASS in Anlehnung an internationale Leitlinien zum einen im Quer- und Längsschnitt anhand von Selbst- und Elternberichten erfasst (Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften, 2016; National Institute for Health and Clinical Excellence, 2011; Scottish Intercollegiate Guidelines Network, 2016). Zum anderen stellen direkte Verhaltensbeobachtungen eine wichtige Informationsquelle dar (ebd.). Im Gegensatz zur Diagnostik der GD gibt es für die Diagnostik der ASS im Kindes- und Jugendalter Goldstandards bei der Nutzung bestimmter Screeninginstrumente: Hierzu zählen das Diagnostische Interview für Autismus (ADI-R; Bölte, Rühl, Schmötzer & Poustka, 2006) und die Diagnostische Beobachtungsskala für Autistische Störungen – 2 (ADOS-2; Poustka et al., 2015). In der ASS-Spezialsprechstunde werden daher im Rahmen der Diagnostik in allen Fällen das ADI-R und die ADOS-2 durchgeführt. Wenige Ausnahmen bilden Kinder und Jugendliche, die aus anderen spezialisierten Zentren überwiesen wurden und bei denen ein schriftlicher Bericht der ADI-R- und ADOS-2-Diagnostik vorliegt.

Variablen und Datenerhebung

Die folgenden Variablen wurden deskriptiv für die gesamte (Inanspruchnahme-)Stichprobe untersucht und dann in einem Fall-Kontroll-Design statistisch zwischen der Fall- und Kontrollgruppe (Kinder und Jugendliche mit vs. ohne zusätzliche ASS-Diagnose) verglichen: Zuweisungsgeschlecht, Alter zum Zeitpunkt der Erstvorstellung, Alter zum Zeitpunkt der Auswertung, Behandlungsstatus (Status der Behandlung bei Jugendlichen, die zum Zeitpunkt der Datenauswertung altersmäßig theoretisch für eine körpermedizinische Behandlung infrage kamen) und die GD- und ASS-Diagnosen (durch auf die GD- und ASS-Thematik spezialisierte Behandler_innen vergebene Diagnosen). Einschränkend ist darauf hinzuweisen, dass die Angaben nicht standardisiert erhoben wurden.

Die Angaben zum Zuweisungsgeschlecht und Alter wurden anhand der Zuweisungsdaten aus der Sprechstunde im Januar 2019 mittels SAP erfasst, für die Auswertung von der Erst- und Letztautorin zusammengetragen und durch die zuständigen Behandler_innen aus der Spezialsprechstunde validiert.

Mithilfe der Aktenaufzeichnungen und der Validierung durch die Behandler_innen wurden die Diagnosen und der Behandlungsstatus ermittelt. Für die Auswertung der erfolgten geschlechtsangleichenden Maßnahmen wurde zunächst für jede Behandlungsstufe (GnRHa, geschlechtsangleichende Hormone, geschlechtsangleichende Operationen) das Mindestalter (der jüngsten behandelten Person) ermittelt. Alle Fälle wurden nur der höchsten Behandlungsstufe zum Auswertungszeitpunkt zugeordnet. Bei den retrospektiv gewonnenen Daten handelt es sich somit nicht um endgültige Behandlungsverläufe, sondern um den Behandlungsstatus zum Auswertungszeitpunkt im Januar 2019.

Die Diagnosen wurden im klinischen Verlauf durch auf die jeweilige Thematik spezialisierte Behandler_innen entsprechend dem oben beschriebenen Vorgehen prozessbegleitend gestellt, in den Akten erfasst und für die Datenauswertung von der Erst- und Letztautorin zusammengetragen.

Unterschieden wurden folgende Diagnosen bei GD:

  • Gesicherte Diagnose einer GD: Alle Kriterien einer GD erfüllt („Transsexualismus“ F64.0 oder „Störung der Geschlechtsidentität des Kindesalters“ F64.2 in der ICD-10 [International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems])
  • Verdachtsdiagnose einer GD: Dringender Verdacht auf GD, Kriterien jedoch (noch) nicht erfüllt („sonstige Störung der Geschlechtsidentität“ F64.8 oder „Störung der Geschlechtsidentität, nicht näher bezeichnet“ F64.9 in der ICD-10)

Bei ASS wurden folgende Diagnosen unterschieden:

  • Gesicherte Diagnose einer ASS: Diagnose einer ASS mithilfe des ADI-R und der ADOS-2 („frühkindlicher Autismus“ F84.0, „atypischer Autismus“ F84.1, „Asperger-Syndrom“ F84.5, „sonstige tiefgreifende Entwicklungsstörung“ F84.8 oder „tiefgreifende Entwicklungsstörung, nicht näher bezeichnet“ F84.9 in der ICD-10)
  • Verdachtsdiagnose einer ASS: Diagnostik begonnen, Diagnose jedoch noch nicht gesichert (gemäß der o. g. Klassifikation in der ICD-10)

Stichprobe

Die Inanspruchnahmepopulation der Hamburger GIS umfasste im Erhebungszeitraum von September 2013 bis Dezember 2018 insgesamt 680 Kinder und Jugendliche, die sich gemeinsam mit ihren Eltern vorgestellt hatten. Nicht alle vorstelligen Kinder und Jugendlichen hatten den Diagnostikprozess vollständig durchlaufen und die Kriterien einer GD erfüllt (n = 101), sodass für die Auswertung der Koinzidenz nur jene Fälle berücksichtigt wurden, bei denen eine gesicherte (F64.0, F64.2) oder eine Verdachtsdiagnose der GD (F64.8, F64.9) vergeben wurde. Insgesamt hatten 579 Fälle (85.1 %) eine Diagnose im Bereich GD erhalten und konnten somit in die Berechnung der Häufigkeit von ASS bei GD miteinbezogen werden.

Im Rahmen der Fall-Kontroll-Analysen wurde für die Kontrollgruppe eine Stichprobe von 40 Kindern und Jugendlichen mit GD und ohne ASS zufällig aus der Stichprobe der Kinder und Jugendlichen mit GD (n = 579) gezogen (SPSS-Funktion: Zufallsstichprobe). Für die Auswertung der behandlungsbezogenen Unterschiede wurden nur Jugendliche (> 10 Jahre) der Kontrollgruppe berücksichtigt, die das Beratungs- und Behandlungsangebot der GIS fortlaufend wahrgenommen hatten und daher für eine Behandlung infrage kamen (n = 34). Es fehlten n = 3 Angaben zur körpermedizinischen Behandlung (jeweils 5.9 % pro Gruppe). Die Fallgruppe wurde anhand der zusätzlichen Diagnosen einer ASS identifiziert.

Abbildung 1 bietet eine Übersicht über die Auswahl der verschiedenen Gruppen und deren Merkmale.

Abbildung 1 Auswahl und Merkmale der verschiedenen Gruppen. Anmerkungen: ASS = Autismus-Spektrum-Störung; GD = Geschlechtsdysphorie.

Statistische Analysen

Die Auswertung der Daten erfolgte mit SPSS 23. Für die Prävalenz von ASS wurden die Häufigkeiten von gesicherten und Verdachtsdiagnosen einer ASS ausgewertet und Konfidenzintervalle berechnet.

Zur Untersuchung personenbezogener Merkmale in den zwei Gruppen im Fall-Kontroll-Design von Kindern und Jugendlichen mit vs. ohne ASS wurden zunächst bivariate logistische Regressionen berechnet. Es wurde zusätzlich eine multivariate logistische Regressionsanalyse durchgeführt, um zu testen, ob sich die Fall- und Kontrollgruppe in Hinblick auf die personenbezogenen Variablen Altersgruppe, Zuweisungsgeschlecht und Diagnoseart (gesicherte vs. Verdachtsdiagnose einer GD) unterschieden. Für die behandlungsbezogenen Merkmale in der Fall- und Kontrollgruppe wurde der Behandlungsstatus in den verschiedenen Altersgruppen mithilfe des Freeman-Halton-Tests und die körpermedizinische Behandlungsrate mithilfe einer bivariaten logistischen Regression ausgewertet.

Ergebnisse

Prävalenz von ASS bei Kindern und Jugendlichen mit GD

Innerhalb der Stichprobe mit GD-Diagnose (n = 579) wurde die Diagnose einer ASS bei insgesamt 3.1 % (95 % KI [1.7 %; 4.5 %]; n = 18) der Kinder und Jugendlichen mit GD vergeben. Von den insgesamt 18 Kindern und Jugendlichen mit ASS lag in 13 Fällen (2.2 %; 95 % KI [1.0 %; 3.4 %]) eine gesicherte Diagnose und in fünf Fällen eine Verdachtsdiagnose einer ASS vor.

Personen- und behandlungsbezogene Merkmale bei Kindern und Jugendlichen mit vs. ohne zusätzliche ASS

Die Angaben zum Vergleich der personen- und behandlungsbezogenen Merkmale der Kinder und Jugendlichen mit vs. ohne ASS (Fall- und Kontrollgruppe) können den Tabellen 1 und 2 entnommen werden.

Tabelle 1 Stichprobenbeschreibung (Fall- und Kontrollgruppe) und personen- und behandlungsbezogene Unterschiede zwischen Kindern und Jugendlichen mit vs. ohne zusätzliche ASS (Fall- und Kontrollgruppe).
Tabelle 2 Multivariate logistische Regression zur Untersuchung der personenbezogenen Unterschiede zwischen Kindern und Jugendlichen mit vs. ohne zusätzliche ASS (Fall- und Kontrollgruppe).

Die bivariaten logistischen Regressionsanalysen zeigten, dass zwischen den Kindern und Jugendlichen mit ASS (n = 18) und denen ohne ASS (n = 40) kein signifikanter Unterschied in Hinblick auf die personenbezogenen Faktoren Altersgruppe und Zuweisungsgeschlecht vorlag. In beiden Gruppen gab es mehr Jugendliche als Kinder und mehr junge Individuen mit weiblichem als mit männlichem Zuweisungsgeschlecht. Ein signifikanter Unterschied bestand hinsichtlich der Diagnosen einer GD: So erhielten Kinder und Jugendliche mit ASS signifikant häufiger eine Verdachtsdiagnose der GD (F64.8, F64.9) als Kinder und Jugendliche ohne ASS.

Die multivariaten logistischen Regressionsanalysen zeigten, dass auch im Gesamtzusammenhang aller personenbezogenen Faktoren die Diagnoseart einer GD (gesichert vs. Verdacht) einen signifikanten Einfluss auf die Zugehörigkeit zur Fall- vs. Kontrollgruppe hatte (p = .001; OR = 9.03; 95 % KI = [2.36; 34.47]).

In Bezug auf die behandlungsbezogenen Merkmale zeigte sich deskriptiv, dass die Jugendlichen ohne ASS fünfmal häufiger mit GnRHa behandelt wurden als die Jugendlichen mit ASS (Alter > 10 Jahre; n = 51). Die Behandlung mit geschlechtsangleichenden Hormonen und Operationen erfolgte mehr als doppelt so häufig in der Gruppe der Jugendlichen ohne ASS im Vergleich zur Gruppe der Jugendlichen mit ASS (Alter > 13 bzw. > 15 Jahre; n = 49 bzw. n = 39). Zwischen der Gruppenzugehörigkeit (Fall- vs. Kontrollgruppe) und dem Behandlungsstatus ließ sich jedoch kein signifikanter Zusammenhang feststellen.

Die bivariate logistische Regression zeigte, dass die Jugendlichen mit ASS insgesamt signifikant seltener körpermedizinisch behandelt wurden als die Gleichaltrigen ohne ASS (Alter > 10 Jahre; n = 48).

Im Umkehrschluss hatten signifikant mehr Jugendliche mit ASS im Vergleich zu den Jugendlichen ohne ASS zum Auswertungszeitpunkt ausschließlich das diagnostische oder psychotherapeutische Beratungs- und Behandlungsangebot am UKE wahrgenommen oder keine Indikation für eine körpermedizinische Behandlung erhalten.

Es wurden nachfolgend zusätzlich Sensitivitätsanalysen mithilfe von bivariaten logistischen Regressionen berechnet, um zu überprüfen, ob sich die oben dargestellten Ergebnisse ändern, wenn die Kinder und Jugendlichen mit Verdachtsdiagnosen einer ASS (n = 5) nicht zur Fallgruppe mit ASS, sondern zur Kontrollgruppe ohne ASS gezählt werden (nicht in den Tabellen dargestellt).

Parallel zu den Hauptanalysen erhielten Jugendliche mit einer gesicherten Diagnose einer ASS signifikant häufiger eine Verdachtsdiagnose der GD (F64.8, F64.9) als Jugendliche ohne ASS oder mit Verdacht auf ASS (p = .018; OR = 4.98; 95 % KI = [1.31; 18.96]).

Auch die Ergebnisse hinsichtlich der körpermedizinischen Behandlungsrate änderten sich nicht in den Sensitivitätsanalysen. So erhielten Jugendliche mit einer gesicherten Diagnose einer ASS signifikant seltener eine körpermedizinische Behandlung als Jugendliche ohne ASS oder mit Verdacht auf ASS (p = .008; OR = 7.00; 95 % KI = [1.67; 29.39]).

Diskussion

Ein Ziel dieser Studie war es, erstmalig für Deutschland die klinische Prävalenz von ASS in einer deutschen Spezialsprechstunde für GD im Kindes- und Jugendalter zu erfassen. In der Hamburger GIS am UKE zeigte sich – nicht ganz so deutlich, aber ähnlich wie in der bestehenden Literatur – eine erhöhte Prävalenz von ASS mit 3.1 %, wenn Verdachtsdiagnosen einer ASS eingeschlossen wurden (Prävalenz gesicherter ASS-Diagnosen: 2.2 %). Dies entspricht einer etwa drei- bis fünfmal höheren Prävalenz von ASS als es für die Allgemeinbevölkerung von Kindern und Jugendlichen (ohne GD) beschrieben wird (Baird et al., 2006; Elsabbagh et al., 2012; Nevison et al., 2018).

Im Vergleich zu anderen international publizierten Prävalenzraten der ASS an klinischen Stichproben von Kindern und Jugendlichen mit GD (4.7 bis 26 %, vgl. Becerra-Culqui et al., 2018; de Vries et al., 2010; Holt et al., 2016; Kaltiala-Heino et al., 2015; Leef et al., 2019; Nahata et al., 2017; Spack et al., 2012) war die Prävalenz von ASS in der Hamburger Spezialsprechstunde niedriger. Eine mögliche Erklärung für solche Unterschiede könnte das „extreme“ Geschlechterverhältnis der hier untersuchten Stichprobe sein. So haben sich im untersuchten Zeitraum in der Hamburger GIS mehrheitlich Kinder und Jugendliche mit weiblichem Zuweisungsgeschlecht vorgestellt. Da in anderen Studien bei Geburt männlich zugewiesene Kinder und Jugendliche mit GD häufiger eine ASS-Diagnose erhielten (Becerra-Culqui et al., 2018; de Vries et al., 2010; Holt et al., 2016; Nahata et al., 2017) und ASS allgemein häufiger bei Jungen/Männern diagnostiziert wird (3:1 (M:F), vgl. Loomes, Hull & Mandy, 2017), könnte das „extreme“ Geschlechterverhältnis der Hamburger GIS von etwa 1:3 (M:F) die im Vergleich zur Literatur niedrigere Prävalenz von ASS beeinflusst haben. So finden sich in den anderen Studien zur gemeinsamen Prävalenz balanciertere Geschlechterverhältnisse von 1:0.8 (M:F; Becerra-Culqui et al., 2018) bis 1:1.7 (M:F; Spack et al., 2012).

Im Kontrast zu anderen vergleichbaren Studien waren in dieser Untersuchung die Altersgruppen und Zuweisungsgeschlechter bei Kindern und Jugendlichen mit GD und ASS vs. ohne ASS ähnlich verteilt. Das relativ ausbalancierte Geschlechterverhältnis von ASS in der Hamburger GIS (ca. 1:1.6 [M:F]) steht auch im Widerspruch zum Geschlechterverhältnis von ASS in der Allgemeinbevölkerung (3:1 [M:F]; vgl. Loomes et al., 2017). Ein Vergleich der vorliegenden Stichprobe mit der Allgemeinbevölkerung ist zum einen aufgrund des verzerrten Geschlechterverhältnisses der Hamburger GIS nicht möglich. Somit lässt die vorliegende Untersuchung keine Rückschlüsse auf die Verteilung von ASS-Diagnosen in der Allgemeinbevölkerung zu. Zum anderen wird v. a. hochfunktionaler Autismus bei Menschen mit weiblichem Zuweisungsgeschlecht häufig nicht erkannt bzw. diagnostiziert (van Wijngaarden-Cremers et al., 2014). Inwiefern das Geschlechterverhältnis von 3:1 (M:F) dem „wahren“ Geschlechterverhältnis von ASS in der Allgemeinbevölkerung entspricht, ist daher Gegenstand aktueller wissenschaftlicher und klinischer Debatten (ebd.).

Jugendliche mit zusätzlicher ASS-Diagnose wurden signifikant seltener körpermedizinisch behandelt als die Gleichaltrigen mit GD, aber ohne ASS-Diagnose. Zum einen könnte dies mit der häufigen Vergabe einer Verdachtsdiagnose einer GD (F64.8, F64.9) und möglicherweise auch mit unrealistischen Behandlungserwartungen der Jugendlichen begründet werden. So erhielten auch in der Studie von de Vries et al. (2010) Kinder und Jugendliche mit einer zusätzlichen ASS-Diagnose häufig keine gesicherte GD-Diagnose (gemäß F64.0, F64.2) und kommunizierten unrealistische Behandlungserwartungen. Zum anderen ist denkbar, dass einige Jugendliche mit GD und ASS nicht für eine geschlechtsangleichende Behandlung infrage kamen oder sich nicht dafür entschieden, da diese für sie nicht unbedingt erstrebenswert erschien, um das Wohlbefinden im eigenen Zuweisungsgeschlecht zu steigern. So weisen erste Studien darauf hin, dass sich Personen mit ASS häufig als non-binär erleben (nicht ausschließlich männlich oder weiblich) oder sich mit einem non-binären Auftreten identifizieren (Dewinter, De Graaf & Begeer, 2017; Strang, Powers, et al., 2018).

Limitationen

Die geringe Zahl von Fällen mit ASS führt zu einer geringen statistischen Power und unsicheren Effektschätzungen. Durch den Einschluss von Verdachtsdiagnosen ist zudem möglich, dass auch Kinder und Jugendliche in die Berechnungen miteingeschlossen wurden, die am Ende des Diagnostikprozesses keine gesicherte Diagnose einer GD und/oder ASS erhielten. Auch wenn sich die Ergebnisse durch die Sensitivitätsanalysen nicht änderten, ist die geringe Fallzahl, insbesondere von gesicherten Fällen einer ASS, die wichtigste Limitation dieser Studie.

Eine weitere wichtige Limitation der vorliegenden Untersuchung stellt die retrospektive und nicht standardisierte Erhebung der Angaben von Behandler_innen dar. Außerdem wurden rückwirkend weitere für diese Studie relevante Informationen, wie z. B. das Tanner-Stadium, die „Eignung“ für eine körpermedizinische Behandlung, das Alter bei Behandlungsbeginn oder die genaue Diagnose einer ASS (z. B. F84.0 oder F84.1) nicht berücksichtigt. Diese zusätzlichen Informationen hätten zu einem besseren Verständnis der unterschiedlichen Behandlungsraten zwischen Jugendlichen mit vs. ohne ASS beitragen können.

Die Kontrollgruppe der Kinder und Jugendlichen ohne ASS wurde zufällig aus der GD-Stichprobe gezogen und hinsichtlich der personenbezogenen Angaben nicht mit der Fallgruppe der Kinder und Jugendlichen mit ASS gematcht. Ziel war hierbei, eine Kontrollgruppe zu bilden, die zum einen der Stichprobe hinsichtlich Alter und Zuweisungsgeschlecht ähnelte und zum anderen aufgrund der ca. doppelt so hohen Fallzahl mit der Fallgruppe hinsichtlich der personen- und behandlungsbezogenen Merkmale statistisch verglichen werden konnte. Die gezogene Zufallsstichprobe war somit repräsentativ für die Inanspruchnahmepopulation, jedoch nicht für alle Kinder und Jugendlichen mit GD.

Die Ergebnisse zur körpermedizinischen Behandlung stellen zudem nur Momentaufnahmen zum Auswertungszeitpunkt dar. Vor diesem Hintergrund ist auch denkbar, dass einige Jugendliche mit ASS aufgrund einer zeitintensiveren Diagnostik und Psychoedukation lediglich später als die Gleichaltrigen ohne ASS – nach dem Erhebungszeitpunkt – körpermedizinisch behan- delt wurden.

Kinder und Jugendliche mit einer Doppeldiagnose der GD und ASS könnten sich zudem aufgrund der Komplexität oder eines erhöhten Leidensdrucks vermehrt in spezialisierten-Kliniken vorstellen, was zu einer Überschätzung der gemeinsamen Prävalenz in dieser und internationalen Sprechstunden führen könnte (Shumer, Reisner, Edwards-Leeper & Tishelman, 2016). Die gemeinsame Prävalenz sollte daher nicht nur in GD- und ASS-Spezialsprechstunden, sondern auch in der Allgemeinbevölkerung untersucht werden. Zudem braucht es zuverlässige Daten zur einfachen Prävalenz von GD im Kindes- und Jugendalter (vgl. Becker et al., 2017), um Aussagen über ein erhöhtes gemeinsames Auftreten treffen zu können. Darüber hinaus ist fraglich, ob sich eine im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung erhöhte Prävalenz von ASS nur bei Kindern und Jugendlichen mit GD oder auch in anderen klinischen Gruppen zeigt, ebenso wie auch andere psychiatrische Diagnosen bei Kindern und Jugendlichen mit GD im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung erhöht auftreten (z. B. Becker, Gjergji-Lama, Romer, & Möller, 2014; Levitan, Barkmann, Richter-Appelt, Schulte-Markwort, & Becker-Hebly, 2019). So zeigen Studien, dass Kinder und Jugendliche mit GD nicht nur häufiger ASS, sondern auch andere neurobiologische Auffälligkeiten wie z. B. Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) aufweisen (Thrower, Bretherton, Pang, Zajac & Cheung, 2020). Die Tatsache, dass andere zusätzliche psychische (Differenzial-)Diagnosen (z. B. Angststörungen oder ADHS) nicht erfasst wurden, stellt eine Limitation dieser Studie dar. Gleichzeitig gibt es hierzu bereits zahlreiche Arbeiten, die neben ASS auch andere psychische Diagnosen berücksichtigen (Becerra-Culqui et al., 2018; Holt et al., 2016; Kaltiala-Heino et al., 2015; Nahata et al., 2017; Spack et al., 2012). Wie in den Untersuchungen von de Vries et al. (2010) und Leef et al. (2019) wurde der Fokus dieser Studie bewusst auf die Diagnose ASS gesetzt, um sich gezielt der Doppeldiagnose und den damit einhergehenden möglichen Herausforderungen für die Behandlung zu widmen.

Implikationen für die Klinik und Forschung

Die Ergebnisse dieser Studie sind ein erster empirischer Hinweis darauf, dass sowohl die Diagnostik einer GD als auch Behandlungsentscheidungen zu körpermedizinischen Maßnahmen bei Jugendlichen mit der Doppeldiagnose einer GD und ASS erschwert sein können. Optimal für die komplexe Diagnostik von Kindern und Jugendlichen mit gleichzeitigem Vorhandensein von GD und ASS wären deshalb Behandler_innen, die auf beiden Gebieten spezialisiert sind oder aber ein multidisziplinäres Team, in dem eine differenzialdiagnostische Abklärung beider Phänomene erleichtert wird (Strang, Meagher, et al., 2018; Strang, Powers, et al., 2018). In der Diagnostik und Behandlung gilt es jedoch nicht nur, beide möglichen Diagnosen zu berücksichtigen, sondern auch die Fähigkeiten und Besonderheiten des Individuums im Blick zu behalten. Im Falle einer Erstdiagnostik von ASS ist zudem eine ASS-spezifische Behandlung indiziert, um einerseits den Leidensdruck zu reduzieren und andererseits den diagnostischen Prozess und Entscheidungen über weitere Maßnahmen zu präzisieren.

Trotz der insgesamt niedrigeren Behandlungsrate gab es in dieser Untersuchung Jugendliche mit GD und ASS, die nach einer umfangreichen Diagnostik und Beratung für eine geschlechtsangleichende Behandlung infrage kamen. Mögliche Behandlungskonsequenzen wurden hierbei für das Individuum angemessen dargestellt und im multidisziplinären Team gemeinsam mit der Familie und zu unterschiedlichen Entwicklungs- und Behandlungszeitpunkten erneut abgewogen, um eine informierte Einwilligung zu ermöglichen. Unter diesen Voraussetzungen (umfassende Diagnostik, Beratung und informierte Einwilligung) sprechen sich die meisten Spezialist_innen für eine transitionsbezogene und auch körpermedizinische Behandlung von autistischen Jugendlichen aus (Ehrensaft, 2018; George & Stokes, 2016; Janssen, Huang & Duncan, 2016; Strang, Meagher, et al., 2018). Vor allem bei Jugendlichen mit ASS, bei denen ein „Informed Consent Model“ nicht verfolgt werden kann, da z. B. im Falle von ASS kognitive Beeinträchtigungen oder eine verminderte Reflexionsfähigkeit vorliegen können, bleibt es am Ende auch eine ethische Abwägung seitens der Eltern und Behandler_innen, ob eine körpermedizinische Behandlung zur Reduktion des Leidensdrucks notwendig ist. Darüber hinaus ist es bei einer Doppeldiagnose auch wichtig, andere Aspekte einer Transition im Blick zu behalten. So können z. B. Defizite der exekutiven Funktionen die Vorstellung des Lebens in einem anderen Geschlecht beeinträchtigen (Strang, Meagher, et al., 2018) oder rigide Denkweisen und eine reduzierte Ambivalenztoleranz die Phase der sogenannten „Alltagserprobung“ im gewünschten oder erlebten Geschlecht erschweren (Jacobs, Rachlin, Erickson-Schroth & Janssen, 2014; Meyenburg, 2014).

Aufgrund der Zugehörigkeit zu gleich zwei Minoritäten – zum einen einer geschlechtlichen und zum anderen einer neurobiologischen – kann mit der Doppeldiagnose einer GD und ASS eine erhöhte Vulnerabilität für psychische Auffälligkeiten einhergehen. Vor diesem Hintergrund ist es ein wichtiges Ziel künftiger Forschung, die betreffenden Kinder und Jugendlichen langfristig empirisch zu begleiten und so z. B. die Effekte einer geschlechtsangleichenden Behandlung auf das psychische Wohl im Verlauf zu untersuchen. Darüber hinaus gibt es neben der Behandlung weitere für die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen mit GD und ASS relevante Aspekte, die bisher wenig Beachtung in der Forschung erhalten haben. So sollten z. B. auch der Einfluss von sozialer Unterstützung auf die psychische Gesundheit der betreffenden Kinder und Jugendlichen sowie verschiedene Möglichkeiten geschlechtlicher Identifikation in künftigen Forschungsarbeiten berücksichtigt werden.

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Anhang

CME-Fragen

  1. 1
    Welche Aussage zur Geschlechtsdysphorie ist richtig?
    • a)
      Unter Geschlechtsdysphorie versteht man die Inkongruenz zwischen dem Zuweisungsgeschlecht und dem Gender, welche in der Regel mit Leidensdruck einhergeht.
    • b)
      Die Prävalenz von Geschlechtsdysphorie wird auf rund 5 % geschätzt.
    • c)
      Geschlechtsvariantes Erleben ist in jedem Fall mit Geschlechtsdysphorie verbunden.
    • d)
      Für die Diagnostik der Geschlechtsdysphorie gibt es Goldstandards bei der Nutzung bestimmter Screening- instrumente.
    • e)
      Eine Diagnose der Geschlechtsdysphorie geht immer mit dem Wunsch nach körpermedizinischen Maßnahmen einher.
  2. 2
    Wie hoch liegt die Prävalenz von Autismus-Spektrum-Störungen in unterschiedlichen Studien aus Spezialsprechstunden für Geschlechtsdysphorie im Kindes- und Jugendalter?
    • a)
      0.6 – 1.2 %
    • b)
      1 %
    • c)
      3.2 – 5 %
    • d)
      5 – 11.7 %
    • e)
      4.7 – 26 %
  3. 3
    Welche Aussagen zur Studienlage hinsichtlich der gemeinsamen Prävalenz von Geschlechtsdysphorie und Autismus-Spektrum-Störungen treffen zu? (Mehrfachauswahl)
    • a)
      Kinder mit einer Diagnose der Geschlechtsdysphorie erhalten im Vergleich zu Jugendlichen häufiger eine zusätzliche Diagnose der Autismus-Spektrum-Störung.
    • b)
      Individuen mit weiblichem Zuweisungsgeschlecht und einer Diagnose der Geschlechtsdysphorie erhalten im Vergleich zu Individuen mit männlichem Zuweisungsgeschlecht häufiger eine zusätzliche Diagnose der Autismus-Spektrum-Störung.
    • c)
      Kinder und Jugendliche mit einer zusätzlichen Diagnose der Autismus-Spektrum-Störung erhalten häufiger eine nicht weiter spezifizierte Diagnose der Geschlechtsdysphorie.
    • d)
      Jugendliche mit einer Doppeldiagnose der Geschlechtsdysphorie und Autismus-Spektrum-Störung werden in der Regel nicht körpermedizinisch behandelt.
    • e)
      Bisher hat keine andere Studie die körpermedizinische Behandlungsraten bei einer Doppeldiagnose untersucht.
  4. 4
    Die vorliegende Studie verdeutlicht, dass eine zusätzliche Diagnose der Autismus-Spektrum-Störung …
    • a)
      … ein Ausschlusskriterium für die Indikation von körpermedizinischen Behandlungen darstellt.
    • b)
      … in jedem Fall mit unrealistischen Erwartungen der Jugendlichen in Bezug auf die körpermedizinische Behandlung einhergeht.
    • c)
      … bei Kindern und Jugendlichen mit Geschlechtsdysphorie nicht gestellt werden sollte.
    • d)
      … die Diagnostik und körpermedizinische Behandlungsentscheidungen erschweren kann.
    • e)
      … in den meisten Fällen mit keinem Behandlungswunsch einhergeht.
  5. 5
    Welche Voraussetzungen sollten für eine körpermedizinische Behandlung bei einer vorliegenden Doppeldiagnose im Jugendalter mindestens erfüllt werden?
    • a)
      mindestens Tanner-Stadium 2 (Einsetzen der Puber- tätsentwicklung)
    • b)
      Umfassende Diagnostik
    • c)
      Aufklärung über langfristige Konsequenzen
    • d)
      Informierte Einwilligung und gemeinsame Entschei- dungsfindung
    • e)
      Alle Antworten sind richtig.

Um Ihr CME-Zertifikat zu erhalten (min. drei richtige Antworten), schicken Sie bitte den ausgefüllten Fragebogen mit einem frankierten Rückumschlag bis zum 27.08.2021 an die nebenstehende Adresse. Später eintreffende Antworten und solche ohne bzw. mit nicht frankierten Rückumschlägen können nicht mehr berücksichtigt werden.

Milena Becker

LWL-Universitätsklinik Hamm der Ruhr-Universität Bochum

Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik

Heithofer Allee 64

59071 Hamm, Deutschland

Abbildung 2

Abbildung 2 Fortbildungszertifikat.