Skip to main content
Free AccessFokus Forschung

Kommentare zu . Die integrative Lerntherapie: Therapieform zur Behandlung von Lernstörungen. Lernen und Lernstörungen, 6 (2), 65–73

Wirkungsfelder der Integrativen Lerntherapie

Published Online:https://doi.org/10.1024/2235-0977/a000220

Der Artikel gibt insgesamt einen fundierten Überblick über die Symptomatik und Diagnostik der Störungsbilder Legasthenie und Dyskalkulie und stellt das Behandlungskonzept einer Integrativen Lerntherapie vor. Die Integrative Lerntherapie als effektive Hilfemaßnahme für Kinder mit Teilleistungsstörungen ist ein relativ neues Berufsbild. Gerade im Zuge der Sicherung von Qualität ist eine Schärfung des Berufsbildes durch eine klare Beschreibung von Wirkungsspektrum, Zielgruppen und Methoden notwendig und für eine verlässliche und hochwertige Aus- und Weiterbildung erforderlich.

Kinder mit Teilleistungsstörungen scheitern häufig in Schule trotz guter kognitiver Ressourcen und trotz intensivster Anstrengungsbereitschaft am Erwerb des Lesens, Schreibens und/oder Rechnens. Das Autorinnenteam macht deutlich, dass ein wiederholtes und konstantes Scheitern deutliche Spuren hinterlässt – nicht nur beim Kind selbst, auch bei den Eltern. Hilflosigkeit, Frustration und oftmals Druck verdichten sich zu einem seelischen Leid, dass sich auf Verhaltensebene niederschlägt und das Kind in seiner Teilhabe deutlich beeinträchtigt. Kinder mit Teilleistungsstörungen sind häufiger von Schulversagen bedroht, leiden mehr unter psychischen Störungen und können der Gesellschaft nicht mehr mit ihren vorhandenen Ressourcen zur Verfügung stehen. Das „Wirkungsgefüge Lernen“ von Breuninger und Schley (2014) wird von den Autorinnen als ein zentrales, systemisches Modell und Instrument zur Beschreibung und Erfassung der Wirkfaktoren einer Lernstörung im Wechselspiel zwischen Lern- und Beziehungsdialog vorgestellt. Ein systemisches Arbeiten unter direktem Einbezug aller Bezugssysteme des betroffenen Kindes ist notwendig, um Hilfen in Familie und Schule zu transferieren und notwendige, langfristige Entlastungen für das Kind zu schaffen. Aufgrund der Vielseitigkeit und Individualität einer Lernstörung sind fundierte und professionsübergreifende Kenntnisse aus den Bereichen Diagnostik, Medizin, Förderung und Beratung erforderlich, um passgenaue Fördermaßnahmen ableiten und umsetzen zu können. Das Arbeiten im Spannungsfeld einer Lern-Störung erfordert von den tätigen Lerntherapeuten und Lerntherapeutinnen fachdidaktisch-pädagogische Sachkundigkeit aber auch eingehende Kenntnisse aus dem psychotherapeutischen und beratenden Feld. Diese Qualität für Ausbildung und Berufsprofil zu beschreiben und festzuschreiben ist ein Anliegen des vorliegenden Textes.

Im Hinblick auf eine Professionalisierung des Berufsbildes der Integrativen Lerntherapie und in einer Abgrenzung zu anderen Behandlungsformen sollten meines Erachtens auch die möglichen Tätigkeitsfelder in der Integrativen Lerntherapie Beachtung finden. Ich bin überzeugt, dass unser Bildungssystem umfassend ausgebildete Experten für gestörte Lernprozesse dringend benötigt. Nicht nur „in der Hinterhand“, ambulant und wenn sich das Leid verdichtet, sondern auch im „Scheitelpunkt“ einer drohenden Lernstörung. Wenn das Kind wiederholt seine Leistungen nicht abrufen kann, trotz intensiver Bemühungen von Schule und Familie kein Weiterkommen abzusehen ist, gerade dann ist schnelles und qualifiziertes, lerntherapeutisches Handeln gefragt. Dies impliziert ein frühzeitiges, direktes und vernetztes Zusammenarbeiten am Lernort Schule. Der Mehrwert einer Lerntherapie in Schule ergibt sich aus einer gelungenen, multiprofessionellen Vernetzung. In einem vertrauensvollen Agieren miteinander können schulprofil-spezifische Möglichkeiten der direkten Unterstützung von Kindern, Eltern und Lehrkräften in Schule entstehen, die das ganze Spektrum lerntherapeutischen Wissens abbilden: Prävention von Lernstörung durch frühe und gezielte Förderung der Basiskompetenzen, kollegiale Fallberatungen im Team, diagnostische Abklärungen, Beratungsprozesse, Förderplangespräche und lerntherapeutische Prozesse. Legt man eine Prävalenzrate von 5% – 8% zugrunde, sitzen in jeder Schulklasse mit einer „normalen Größe“ statistisch gesehen 1–2 Kinder mit einer Teilleistungsstörung. Diesen Kindern und Familien früh, effektiv und fachkundig zu helfen, sollte ein gesamtgesellschaftlicher Auftrag werden. Viele Schulen machen sich auf den Weg zur inklusiven Schule und entwickeln Konzepte, um mit der wachsenden Vielfalt professionell umgehen zu können. Eine „schulintegrierte“ Lerntherapie kann einen bedeutenden Beitrag leisten, diese Herausforderungen in Schule mit anzugehen und die Autonomie von Schule im Umgang mit Lernstörungen zu verbessern.

Literatur

  • Bender, F., Brandelik, K., Jeske, K., Lipka, M., Löffler, C., Mannhaupt, G. …… von Orloff, M.(2017). Die Integrative Lerntherapie. Therapieform zur Behandlung von Lernstörungen. Lernen und Lernstörungen, 6 (2), 65–73. LinkGoogle Scholar

  • Breuninger, H. & Schley, W.(2014). Pädagogische Führung als dialogische Intervention. Lernen und Lernstörungen, 3 (4), 292–301. LinkGoogle Scholar

Maike Hülsmann, Dipl. Sonderpädagogin, Lerntherapeutin, Legasthenie-Zentrum Berlin, Alt Tempelhof 21, 12103 Berlin, Deutschland,