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Published Online:https://doi.org/10.1024/2235-0977/a000227

Im Beitrag von Bender et al. (2017) wurde die integrative Lerntherapie als Behandlungsform bei der Lese-Rechtschreib- und/oder der Rechenstörung erstmals beschrieben. Den Autoren war und ist es ein Anliegen, auf dieser Grundlage, eine Diskussion im Wissenschaftsfeld Lerntherapie anzuregen, weiterzuführen und zu vertiefen. Daher sind die Kommentare sehr zu begrüßen. Im Folgenden geben Vertreter der jeweiligen Disziplinen des Autorenteams Antworten zu den dargestellten Aspekten der Fachdidaktik Deutsch und Mathematik, zur Arbeit im System, insbesondere zur Zusammenarbeit mit Schule sowie zur Grundhaltung für die lerntherapeutische Arbeit.

Cordula Löffler und Gerheid Scheerer-Neumann beleuchten in ihren Repliken zum Kommentar von Günther Thomé und Irene Corvacho del Toro das diagnostische Vorgehen in der Lerntherapie, die Qualifikation der Lerntherapeut/innen sowie die Schwierigkeiten der zurecht geforderten Evaluation, die nötig ist, um Lerntherapie als evidenzbasiertes Verfahren anzuerkennen.

Cordula Löffler

Corvacho del Toro und Thomé betonen zu Recht, dass eine erfolgreiche Förderung eine qualitative Analyse der Rechtschreibfehler erfordert. Ob diese an frei geschriebenen Texten erfolgen muss oder ob eine qualitative Analyse der Rechtschreibfehler aus den standardisierten Tests erfolgen sollte, sei dahingestellt, außer Diskussion steht die Notwendigkeit der qualitativen Diagnostik. Diese ist im Beitrag zur integrativen Lerntherapie nur kurz benannt. Damit wird einmal mehr deutlich, wo der Schwerpunkt des Beitrags liegt, nämlich auf Psychologie und Pädagogik. Das Modell von Breuninger steht sinnvoll im Zentrum des Textes, weil es den Kern der integrativen Lerntherapie bildet und eine Abgrenzung zu anderen Förder- und Therapieansätzen darstellt. Aus Sicht der Deutschdidaktik bekommen damit aber gleichzeitig die Aspekte zu wenig Raum, die von Corvacho del Toro und Thomé genannt werden: die qualitative Diagnostik als notwendige Basis der Förderung und die Skizzierung einer evidenzbasierten, sprachwissenschaftlich und sprachdidaktisch begründeten Therapie, für die Lerntherapeutinnen und -therapeuten adäquat ausgebildet sein müssen.

Gerheid Scheerer-Neumann

Herr Thomé und Frau Corvacho del Toro thematisieren drei wichtige Punkte: (1) Die Notwendigkeit einer genauen Lernstandsdiagnose zu Beginn der Lerntherapie, (2) die lernfeldbezogene Sachkenntnis der Lerntherapeutinnen und -therapeuten und (3) wünschenswerte Evaluationsstudien.

Differenzierte Lernstandsanalysen zu Beginn und während der Förderung sind wesentliche Elemente der integrativen Lerntherapie; im Beitrag von Bender et al. wurde dies nicht deutlich genug. Die Ausführungen von Thomé und Corvacho sind deshalb sehr zu begrüßen, ebenso ihr Hinweis auf die Notwendigkeit einer guten Sachkompetenz der Lerntherapeutin/des Lerntherapeuten. In den vom FiL anerkannten Master- und Bachelorstudiengängen sowie in den FiL-zertifizierten Weiterbildungen nehmen die relevanten Teilbereiche der Sprachwissenschaft einen nicht kleinen Raum ein.

Problematischer ist der Wunsch nach Vergleichsstudien: Evaluationsstudien im Bereich der Lerntherapie sind methodisch und praktisch sehr schwierige Unterfangen, weil die notwendige Individualisierung (didaktisch und psychotherapeutisch) und der mehrdimensionale Ansatz der integrativen Lerntherapie den strengen Methoden der „evidenzbasierten Forschung“ entgegenstehen. Daten aus Evaluationsstudien sind dann am besten zu interpretieren, wenn die Probanden nach alternativen, konkret beschreibbaren Verfahren behandelt wurden – sich z.B. unterschiedlichen Operationen unterzogen. Die integrative Lerntherapie ist in diesem Kontext eher als ein therapeutischer Ansatz als ein Verfahren zu sehen und kann – angepasst an den Einzelfall – durchaus recht heterogen realisiert werden.

Weiterhin sind unbehandelte Kontrollgruppen zum Vergleich mit den behandelten Probanden aus ethischen Gründen kaum möglich; über den relativ langen Zeitraum einer Therapie sind auch „Wartegruppen“ nicht gerechtfertigt. Trotzdem sollte man nicht ganz auf eine Evaluation verzichten. Die beiden in unserem Text erwähnten Studien von Schulz et al. (2003) und Bövers & Schulz (2005) machen deutlich, wie man sich einer Evaluation nähern kann: In einer LRS-Beratungsstelle in Braunschweig wurden die Veränderungen in den Persönlichkeitsmerkmalen und den Rechtschreibleistungen der behandelten Kinder und Jugendlichen zu drei Zeitpunkten über einen Zeitraum von etwa 2 Jahren erfasst. Die Daten zeigten nach der Lerntherapie eine deutliche Verbesserung im kognitiven (leistungsbezogenen) Selbstkonzept und in den Rechtschreibleistungen, wobei eine Schulnotenskala verwendet wurde. Etwa die Hälfte der Kinder hat sich um zwei Noten oder mehr verbessert, ein Ergebnis, das ohne Intervention kaum zu erwarten ist. Trotzdem weisen die Autoren darauf hin, dass durch die fehlende Kontrollgruppe, die Heterogenität in der Testauswahl und Unterschiede im konkreten therapeutischen Vorgehen, die Studien nur als explorativ gewertet werden dürfen, d.h. eine Verallgemeinerung nicht zulässig ist. Man kann die Studien als Einzelfallstudien sehen, wobei die Institution der „Fall“ ist und es würde durchaus Sinn machen, auch andere Einzelfallstudien – mit gleichen oder abweichenden therapeutischen Ansätzen – in diesem Sinne zu initiieren. Methodisch ebenfalls nicht „wasserdicht“, aber sehr interessant wären auch Probanden-Einzelfallstudien, bei denen die Therapie von einer Supervisorin/einem Supervisor begleitet wird und Daten über ein standardisiertes Protokoll- und Beobachtungsraster erhoben werden.

Antworten auf den Kommentar von Holger Lorenz kommen von Marianne Nolte und Heinz Rosin aus der Fachdidaktik Mathematik und von Gerheid Scheerer-Neumann aus der Fachdidaktik Deutsch. Damit wird deutlich, dass Kompetenzen in beiden Disziplinen für die Therapie erforderlich sind. Diese Kompetenzen, die über das Niveau hinaus gehen, das für die Vermittlung der Lerninhalte der Grundschule erforderlich ist, müssen in der Weiterbildung der Lerntherapeutinnen und -therapeuten erworben werden.

Marianne Nolte

Der Artikel „Integrative Lerntherapie“ (Bender et al., 2017) leistet einen ersten Beitrag eine Diskussion darüber einzuleiten, was unter integrativer Lerntherapie zu verstehen ist. Da in diesem Bereich sehr unterschiedliche Disziplinen sowohl in der konkreten Arbeit mit Betroffenen als auch auf Seiten der Forschung beteiligt sind, sind unterschiedliche Positionen zu erwarten. Das betrifft auch die Sprachregelung, die sich um eine Annäherung bemüht, aber noch nicht wirklich gelungen ist (Nolte, 2015). Auch daraus lassen sich unterschiedliche Positionen der Autorinnen und Autoren ableiten.In seinem Kommentar greift der Mathematikdidaktiker Jens Holger Lorenz wesentliche Aspekte auf, die mit dem Erwerb mathematischer Inhalte verbunden sind. Es geht um das, was ich die Vier V's genannt habe: „Verstehen, Vorstellen, Vernetzen und Verankern“ (Nolte, 2009), die quer zu den Repräsentationsebenen enaktiv, ikonisch und symbolisch liegen und auf jeder Repräsentationsebene wichtig sind. Lorenz macht zurecht deutlich, dass eine therapeutische Intervention, die Verstehensprozesse initiieren will, unbedingt darauf angewiesen ist, dass die Therapeutin/der Therapeut über das fachwissenschaftliche und fachdidaktische Hintergrundwissen verfügt, um eine Förderung adaptiv zu gestalten, d.h. sich an dem zu orientieren, über was ein Kind bereits an Kompetenzen verfügt, aber auch Fehlvorstellungen zu berücksichtigen, die häufig entwickelt wurden, vor allem, wenn die Rechenstörung eines Kindes recht spät erkannt wird.Im Zusammenhang mit Studien zur Professionalisierung der Lehrerbildung wurde die Relevanz von fachlichem, fachdidaktischem und pädagogischem Wissen sowie von Einstellungen für die Entwicklung von Kompetenzen bei Schülerinnen und Schülern nachgewiesen (z.B. Blömeke, Kaiser, Döhrmann, Suhl & Lehmann 2010; Dunekacke, Jenßen & Blömeke, 2015; Stahnke, Schueler & Roesken-Winter, 2016 ). Es ist zu erwarten, dass sich solche Studien auch auf Lehr-Lernprozesse in therapeutischen Settings übertragen lassen.

Die Bedeutung von professionellen Kompetenzen ist insbesondere unter der Perspektive wichtig, dass eine erfolglose Intervention dem Kind den Eindruck vermittelt, es selbst sei unfähig, auch wenn der mangelnde Erfolg auf die fehlende Kompetenz von Therapeutinnen und Therapeuten zurückgeführt werden muss. Die hohe professionelle Kompetenz ist die Voraussetzung zur Erreichung eines der wesentlichen Ziele der Lerntherapie: Ermutigung und die Erfahrung von Selbstwirksamkeit zu ermöglichen.

Therapeutische Interventionen beziehen sich auf den Erwerb mathematischer Inhalte, um Kindern eine erfolgreiche Teilnahme im Unterricht zu ermöglichen. Dazu gehören inhaltliche Kompetenzen und allgemeine Kompetenzen (Kultusministerkonferenz 2005). Inhaltliche Kompetenzen beschränken sich, wie Lorenz zu Recht anmerkt, nicht auf die vier Grundrechenarten und die Zahlbegriffsentwicklung in der Grundschule. Zwar werden diese in der ICD 10 ausdrücklich benannt und viele Studien zu Rechenstörungen und Förderansätze beziehen sich darauf (siehe z.B. Ise, Dolle, Pixner & Schulte-Körne, 2012), allerdings umfasst der Mathematikunterricht in der Grundschule deutlich mehr als Rechnen. Allgemeine Kompetenzen wie Reflektieren, Argumentieren oder Problemlösen beschreiben Zielsetzungen, die nicht erreicht werden können, wenn der Erwerb mathematischen Denkens kein wesentlicher Bestandteil therapeutischer Interventionen ist. Ein Irrtum, dem viele unterliegen, ist es, Störungen beim Erwerb des Rechnenlernens mit generellen Schwächen in mathematischen Denkprozessen gleichzusetzen. Wenn Lehrkräfte nicht nur berücksichtigen, dass ein Kind eine Aufgabe nicht kann, sondern darauf schauen, was an einer Aufgabe ein Kind nicht kann, und ihm entsprechende Brücken bauen, lernen rechenschwache Kinder nicht allein auf einer prozeduralen Ebene, sondern lernen mitzudenken.

Lorenz verweist als Beispiel auf Sachaufgaben, deren Bearbeitung komplexe Denkprozesse umfassen, die auch rechenschwachen Kindern zugänglich sein können, denn Rechenprozesse machen nur einen kleinen Teil der Anforderungen aus, die zur Bearbeitung von Sachaufgaben gebraucht werden. Es ist wichtig, die Situation, um die es geht, zu verstehen und aus den zu entwickelnden oder vorgegebenen Fragen Überlegungen zu deren Bearbeitung anzustellen. Dazu braucht man Verständnis für mathematische Operationen, für Anzahlen und für Größen, bevor das entwickelte mathematische Modell bearbeitet wird. Auch hier gilt, dass Lerntherapeutinnen und -therapeuten die vielfältigen Anforderungen, die in einer solchen Aufgaben stecken, kennen müssen, um dem Kind zu ermöglichen, so viel wie möglich selbstständig zu erarbeiten.

Entsprechendes gilt für die Bearbeitung von Problemstellungen. Kürzlich konnte ich im Unterricht beobachten, wie ein als sehr schwach eingeschätztes Kind als erstes die entscheidende Idee zur Lösung einer herausfordernden Problemstellung entwickelte, ein Erlebnis, das der Student, der den Unterricht durchführte, sicherlich nicht vergessen wird. Die Beobachtung lässt vermuten, dass in dieser Klasse alle Kinder zum Mitdenken ermutigt werden.

Lorenz macht weiterhin deutlich, dass eine Einschränkung der Perspektive therapeutischer Interventionen auf das Rechnen im Grundschulalter unzulässig ist. Insbesondere Kinder, die Rechnen trainiert haben, werden in der Grundschule häufig nicht als rechenschwach erkannt. Wenn das auf eine Weise erfolgt ist, die allein auf einem isolierten Einprägen von Fakten und Prozeduren basiert, wird das Kind in der Sekundarstufe auffällig werden. Ein Rechenlernen, das nicht auf Verstehen gegründet ist, keine Vernetzungen zwischen Inhaltsbereichen anspricht und einen mathematischen Inhalt nicht in verschiedenen Darstellungsweisen und Kontexten bearbeitet, führt zu einem isolierten Lernen, das nicht über die nächste Klassenarbeit hinaus trägt. Für den Erwerb von Inhaltsbereichen der Sekundarstufe, wie z.B. Bruchrechnung, Dezimalzahlen oder Algebra, sind einsichtsvolle Lernprozesse von Inhalten der Grundschule entscheidend.

Lorenz zeigt mit seinem Kommentar die hohen Ansprüche, die an eine integrative Lerntherapie bereits aus einer kognitiven Perspektive zu stellen sind. Er fragt zu Recht, ob die Ausbildung zur Lerntherapeutin/zum Lerntherapeuten diesen hohen Anforderungen gerecht wird. Vergleichbare Fragen finden sich auch in der Lehrerbildung, die sich diesem Problem stellt, indem bewusst Beschränkungen auf fundamentale Ideen erfolgen. Das sollte auch in der Ausbildung der Lerntherapeutinnen und -therapeuten grundlegend sein. Für wesentlich aus einer mathematikdidaktischen Perspektive halte ich die Idee der Verknüpfung von inhaltlichen und allgemeinen Kompetenzen, insbesondere die Fragen: Wie können therapeutische Settings gestaltet werden, dass sie auch unter den schwierigen Bedingungen von Rechenschwäche Kinder zu Verstehensprozessen führen, dazu anregen, Zusammenhänge zu erkennen und diese zu nutzen, aber natürlich auch Prozeduren zu erwerben? Für den Mathematikunterricht gibt es bereits eine Vielfalt von Ansätzen, die alle Kinder an mathematische Denkprozesse heranführen sollen (siehe z.B. Hengartner, Hirt & Wälti, 2006; Krauthausen & Scherer, 2010; Scherer, 1996a, 1996b). Wesentlich ist dabei die Frage, wie Inhalte so gestaltet werden können, dass sie an die Möglichkeiten des Kindes angepasst werden können, Variationen von Aufgabenstellungen und Materialien, aber den Kern des mathematischen Inhalts treffen. Diese Kompetenz zu erwerben gehört zu den unverzichtbaren Anteilen einer Ausbildung zur Lerntherapeutin/zum Lerntherapeuten.

Heinz Rosin

Im Kommentar wird die Darstellung der integrativen Lerntherapie als „sehr ausgewogen und umfassend“ herausgestellt. Die Ausführungen zum schulischen Lernen bezüglich Schriftspracherwerb und Rechnen geben sowohl in ihrem zeitlichen wie auch inhaltlichen Vergleich viel Raum für Diskussionen. Die beschriebene Divergenz in der gesellschaftlichen Wertigkeit, ob des Vermögens Lesen, Schreiben und/oder Rechnen zu können, steht faktisch außer Frage.

Dies zeigt aber gerade (aus gesellschaftlichen und inhaltlichen Erwägungen) wie wichtig und notwendig es ist, Lerntherapeuteinnen und -therapeuten möglichst umfassend psychologisch, therapeutisch, fachspezifisch und (sozial-)pädagogisch für beide Störungsbilder auszubilden und ihnen so das theoretische Rüstzeug zu vermitteln, um den Beziehungs- und Lerndialog effizient, achtsam, personenbezogen und theoretisch begründbar gestalten zu können.

Es werden dankenswerter Weise aus fachdidaktischer Sicht drei für den Autor offene Themenfelder angesprochen, auf die hier nur exemplarisch eingegangen werden kann.

1. Anwendung von Mathematik in Sach- und Textaufgaben – ein massives Problem

Das Thema ist seit vielen Jahren im Mathematikunterricht und in der fachdidaktischen Forschung aktuell. Dabei wurden auf der einen Seite sprachliche Aspekte betrachtet. Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Alltags-, Bildungs- und sogenannter Fachsprache im Fachunterricht Mathematik herausgestellt und Förderansätze beschrieben. Es wurden z.B. Fachwortschatztrainings entwickelt und nachgewiesen, dass sprachliche Kompetenz ein Prädiktor für mathematische Kompetenz ist. Andererseits wurde dem Lösen von Problemen, den Lösungsstrategien, der unterrichtlichen Gestaltung des Lösungsprozesses und dem individuellen Herangehen große Beachtung geschenkt.

So ist auch nicht verwunderlich, dass es den Kindern, die lerntherapeutische Hilfe in Anspruch nehmen, besonders schwerfällt, solche Anforderungen zu erfüllen. Sie haben grundlegende Probleme mit dem Rechnen (zeitliche und inhaltliche) und scheinen dadurch „gezwungen“, das formale Hantieren mit den Zahlen noch stärker in den Fokus zu nehmen. Zudem bleibt ihnen der Zugang zu den Zahlen, der „Sinn der Zahlen“ wohl nicht erst seit „ihrer ersten Begegnung mit diesen“ mehr oder weniger verborgen.

Ein Beispiel: Ein Junge (Klasse 3) hat bei der Aufgabe: Claudia kauft ein. Für 3 € Saft, für 5 € Gemüse und für 7 € Obst. Sie gibt der Verkäuferin 20 €. Wie viel Geld erhält sie zurück? als Lösung gefunden: „Claudia bekommt 16 € zurück.“ Und begründet so: „3 + 5 = 8, sie kauft noch Saft, 7 + 8 = 16, also bekommt Claudia 16 € zurück.“

Fragen, die sich die/der Lerntherapeut/-in stellen könnte:

  • Bestehen prinzipielle Probleme bei dem Jungen hinsichtlich des Verständnisses des Einkaufsvorgangs und/oder der verschiedenen zuzuordnenden Waren und Kosten? – oder – Sind es Schwierigkeiten beim Verstehen des Textes oder beides?
  • Ist die eigentliche Frage in der Aufgabe gänzlich aus dem Blick des Jungen geraten, weil er zu viel Zeit für die Ermittlung der Summe der drei einzukaufenden Dinge benötigte – oder fehlt es ihm an Zutrauen?

Gelingt es diesem Jungen faktisch noch nicht, die „notwendigen Transformationen von Sprache/Text in der Vorstellung und (damit) auf die symbolische Ebene“ zu realisieren? Hat möglicherweise seine besondere Ängstlichkeit gegenüber der Mathematik, aufgrund seiner andauernden rechnerischen Schwierigkeiten, bei dieser Aufgabe Auswirkungen auf sein individuelles Lösungsverhalten?

2. Der Beitrag scheint die Rechenstörung (Rechenschwäche) auf die Fertigkeit des Rechnens zu verkürzen

Wenn dieser Eindruck entstanden ist, so ist er unabhängig eines engen oder weiter gefassten Fertigkeitsbegriffs nicht beabsichtigt. Mag sein, dass die in der ICD 10 unter F81.2 beschriebenen Rechenschwierigkeiten, die einer Rechenstörung aus medizinischer Sicht zugeordnet werden, aus mathematikdidaktischer Sicht nicht unbedingt präzise sind. Eine einseitige Beschränkung oder Verkürzung auf die Fertigkeit des Rechnens ist jedoch nicht zu erkennen und auch nicht im Rahmen der Ausbildung von Lerntherapeuten angelegt. In der praktischen lerntherapeutischen Arbeit verbietet sie sich gleichwohl. Andererseits böten sich der Lerntherapeutin/dem Lerntherapeuten durchaus methodische Möglichkeiten und fachdidaktisch interessante Ansätze, um mit dem Kind bei spezifischen Schwierigkeiten z.B. „einem Unvermögen unsere Standardrechenschritte auszuführen“ andere Wege anzubieten. Diese müssen mit einer intensiven Zusammenarbeit und einer gelingenden Absprache zum Vorgehen mit der Schule und den Eltern verbunden werden, um eine erfolgreiche Teilhabe des Kindes zu sichern.

3. Sollten in der integrativen Lerntherapie auch andere Inhaltsbereiche jenseits der Arithmetik, d.h. des schlichten Rechnens, in denen Verständnis- und Lernschwierigkeiten in der Schule auftreten, behandelt werden?

Aus fachdidaktischer Sicht könnte man diese Frage aus zweierlei Gründen bejahen: Zum einen werden in der lerntherapeutischen Arbeit mit älteren Schülern solche schulischen Inhalte thematisiert. Zum anderen ist für die Lerntherapeutin/den Lerntherapeuten ein verständnisgetragener Überblick über die mathematischen Inhalte, deren Zusammenhänge und Bruchstellen zumindest bis zum Ende der Sekundarstufe I als theoretisches Rüstzeug erforderlich. Diese Fachlichkeit unterstützt die Therapie auch bei jüngeren Klienten und trägt zusätzlich zum Gelingen bei, da es ein flexibles und individuell angepasstes Vorgehen ermöglicht. Die Ausbildungs- und Weiterbildungsgänge und jährlichen interdisziplinären Fachkonferenzen leisten einen Beitrag zum nötigen Kompetenzerwerb. Dennoch können nicht alle im Schullalltag allgemein auftretenden mathematischen Stolpersteine vertiefend aufgegriffen und entsprechende fachdidaktische Kompetenz in der (universitären) Ausbildung vermittelt werden. Hier ist das Engagement und Interesse der Lerntherapeutinnen und -therapeuten selbst gefragt, sich gemäß ihren Bedürfnissen fortzubilden, wie in der Weiterbildungsordnung des Fachverbandes für integrative Lerntherapie e.V. (FiL) vorgesehen und wozu sich die Titelträger „Integrative/r Lerntherapeut/in FiL“ nachweislich verpflichten.

Das lerntherapeutische Geschehen ist komplex. Es ergeben sich auch differenzierte Anforderungen aus anderen involvierten Fachdisziplinen, die beachtet werden müssen. Eine gute Lerntherapie erkennt man wohl daran, dass das Kind/der Jugendliche/der junge Erwachsene wieder selbstständig lernt und Erfolge bei schulischen Inhalten sichtbar werden. Ein gelingender Beziehungs- und Lerndialog sind dafür die Basis. Dies umfasst das Ansetzen an den Stärken des Betroffenen mit dem Ziel, sein Selbstwertgefühl zu stabilisieren, das Zutrauen in die eigene Leistungsfähigkeit wiederherzustellen sowie die erfolgsvermittelnde Arbeit am Symptom (Lernvoraussetzungen nachzubessern, erfolgreiche Lernwege zu eröffnen und zur Lernfreude beigetragen, vgl. Breuninger & Nührig, 1999).

Gerheid Scheerer-Neumann

J.H. Lorenz fokussiert in seinem Beitrag Aspekte, in denen sich aus seiner Sicht die Lerntherapie bei Lese-Rechtschreib-Schwäche (LRS) von der Lerntherapie bei Rechenschwäche unterscheidet: Im Umfang des Lerngegenstands, in der Art des Lernens, in der notwendigen Sachkompetenz der Lerntherapeutin/des Lerntherapeuten. Ich möchte einige Punkte aus der Perspektive der Fachfrau für LRS aufgreifen – also vermutlich nicht weniger biased!

Lorenz grenzt den Lerngegenstand bei der Therapie der LRS auf den Schriftspracherwerb ein, für den in der Schule „lediglich zwei Schuljahre vorgesehen sind“. Richtig ist, dass das basale Lesen und Schreiben im Mittelpunkt des didaktischen Anliegens der Lerntherapie steht, solange diese Kompetenzen noch nicht ausreichend beherrscht werden – und diese Aufgabe ist oft schon sehr herausfordernd, vor allem bei Kindern mit einer zusätzlichen Sprachentwicklungsverzögerung oder -störung. Aus Platzgründen wurde in Bender et al. (2017) der Schriftspracherwerb im Vergleich zu weiterführenden Lernbereichen sicher zu sehr betont, aber: Die Aufgabe der Lerntherapie endet nicht mit dem basalen Lesen und Schreiben! In einer eigenen Erhebung an allen Schulberatungsstellen im Land Brandenburg, in der alle Fälle eines Jahres (2008) mit der Thematik LRS erfasst wurden, lagen die höchsten Werte im 2., 4. und 5. Schuljahr, aber es gab durchaus auch Meldungen aus dem 7.–10. Schuljahr und aus der gymnasialen Oberstufe.

Um welche Probleme geht es jenseits des basalen Lesens und Schreibens? Jenseits des basalen Schreibens geht es darum, Einsichten in die Strukturen unserer Orthographie zu vermitteln, in die Regelmäßigkeiten der Vokaldauermarkierung, in die grammatischen Grundlagen der Groß- und Kleinschreibung, der Zusammen- und Getrenntschreibung und der Zeichensetzung. Deshalb kann man der folgenden Aussage von Lorenz kaum zustimmen: „Während eine LRS-Therapie primär mit der Entwicklung enger, umschreibbarer Fertigkeiten befasst ist, zielt eine Rechenschwäche-Therapie auf kognitive Verstehensprozesse.“

Richtig ist, dass man (Recht)schreiben beim geübten Erwachsenen als Fertigkeit ansehen kann – der Weg dorthin entspricht aber eher einem Lernmodell, in dem diese Stufe über eine kognitive Grundlegung und nachfolgende Übung erreicht wird. Der/die Lerntherapeut/-in muss also nicht nur, wie Lorenz richtig schreibt, „über didaktische Konzepte verfügen … über die kognitiven Prozesse beim Lesen und Schreiben kundig sein und sie individuell diagnostizieren und remedial abgestimmte Maßnahmen ergreifen können“, sie benötigt auch Fachkenntnisse in der deutschen Orthographie,Phonetik und Phonologie, ebenso in der Patholinguistik (vgl. Ausführungen zur Sachkompetenz im Kommentar von Thomé und Corvacho del Toro).

Auch beim Lesen beschränkt sich das Therapieziel nicht auf das basale Lesen, wenn auch das kompetente Wortlesen auf der Basis von Graphem-Phonem-Korrespondenzen, Schreibsilben und Morphemen ein zentraler Baustein für die weitere Leseentwicklung ist. Gegenstand der Lerntherapie im Bereich LRS ist aber auch das Leseverständnis, das in der Schule in fast allen Fächern von enormer Bedeutung ist (s. Sachtexte in Mathematik). Die kognitiven Prozesse beim Leseverstehen und ihre Grundlagen (Wortschatz, syntaktische Kompetenz, inhaltliche Vorkenntnisse etc.) sind sehr komplex und nicht leicht zu beeinflussen. Es gibt aber kognitive und metakognitive Strategien, die das Leseverstehen fördern und auch im Rahmen einer Lerntherapie vermittelt werden können (Gold, 2010; Scheerer-Neumann, 2015, Kap. 10).

In seinem Beitrag spricht Lorenz einen weiteren sehr interessanten Punkt an: Die elterliche Akzeptanz der Vorgehensweise in der Lerntherapie, die er im Bereich LRS aufgrund einer höheren Transparenz günstiger einschätzt. Dies ist wahrscheinlich richtig: Im Bereich LRS wird fachdidaktisch zumeist eng „am Symptom“ gearbeitet. Weniger transparent ist für manche Eltern der Fortschritt ihres Kindes, solange er sich nicht in den Schulnoten zeigt. Und da liegen die Hürden sehr hoch: Eine Reduzierung der Fehlerzahl von 18 auf 11 in einem Diktat mit 55 Wörtern (immerhin 80% der Wörter korrekt geschrieben!) führt im 3. Schuljahr noch nicht zu einem „Ausreichend“. Glücklicherweise sind die „klassischen Diktate“ in den Schulen auf dem Rückzug. Qualitative Veränderungen in Schreibungen wie die von „tlon“ zu „telfon“ zeigen vor allem der Lerntherapeutin/dem Lernterapeuten, dass er/sie auf dem richtigen Weg ist; Eltern lassen sich davon nicht immer überzeugen. Nach der Schulzeit können tatsächlich schon drei Rechtschreibfehler in einem Bewerbungsschreiben die Einladung zu einem Vorstellungsgespräch verhindern. Die von Lorenz angesprochene Wertigkeit des Lesens und Schreibens im Alltag ist Herausforderung und Bürde für die Lerntherapie im Bereich LRS.

In den Antworten auf den Kommentar von Jochen Klein unterstreichen Gabi Ricken und Marianne Nolte das Anliegen des Beitrages von Bender et al. (2017), die Lerntherapie von anderen Disziplinen abzugrenzen sowie die Notwendigkeit der Therapie gegenüber Kostenträgern zu begründen. Vertiefend setzen sie sich mit dem Thema Lerntherapie und Schule sowie mit der Grundhaltung für den lerntherapeutischen Ansatz auseinander, der auch systemisches und ressourcenorientiertes Arbeiten einschließt.

Marianne Nolte

Herr Klein hebt in seinem Kommentar zum Artikel von Bender et al. (2017) die verschiedenen Einsatzgebiete der Lerntherapie, Fragen zur Diagnostik, die Ressourcenorientierung und die systemische Perspektive besonders hervor. Lerntherapeutinnen und -therapeuten finden nicht allein in eigenen privaten Praxen ein Arbeitsfeld, sie arbeiten in(nerhalb von) Teams in psychologischen und kinder-psychiatrischen Einrichtungen, in Beratungsstellen und auch in Schulen. In der Regel entspricht der Anteil der Kinder, die in einer privaten Praxis gefördert werden, nicht den Anzahlen, die in der Literatur für betroffene Kinder zu finden sind, da dort nur ein Teil der betroffenen Kinder gefördert wird. Darauf verweist Klein und weist zu Recht eine zu enge Sichtweise der Tätigkeit von Lerntherapeutinnen und -therapeuten zurück. Es ist durchaus möglich und wünschenswert, dass gut ausgebildete Lerntherapeutinnen und -therapeuten mit Kindern präventiv arbeiten und diese im Rahmen der Schule fördern. Allerdings ist das Berufsbild immer noch in der Entwicklung und deshalb ist es wichtig, zunächst auf die Beschreibung des Berufsbilds zu fokussieren.Ein weiterer Punkt stellt die adaptive Förderung dar. Klein betont zurecht die Notwendigkeit der Orientierung am aktuellen Entwicklungsstand. Soll eine Förderung sich auf das Kind und seine Situation einstellen, ist eine fortlaufende Anpassung der Vorgehensweise und damit als Voraussetzung eine begleitende informelle Prozessdiagnostik notwendig. Eine so verstandene individuelle Förderung kann sich nicht an dem orientieren, was es an evidenzbasierten Förderprogrammen gibt. „Das Kind hat das (evidenzbasierte?) Förderprogramm inzwischen schon dreimal durchlaufen“ ist eine Aussage, die hoffentlich immer weniger zu finden ist.Eine „integrative Lerntherapie“ im Sinne des FiL beschränkt die Diagnostik und Förderung nicht auf das Kind und seine Situation. Das Umfeld wird mit einbezogen. Die Ressourcen des Kindes und seiner Umgebung werden festgestellt. ‚Ausgehend von den Stärken die Schwächen überwinden‘ ist ein Ansatz, auf den Klein verweist. Vielleicht kann das noch deutlicher formuliert werden, aber m.E. ist es in der Beschreibung des Wirkungsgefüges ebenso enthalten wie der systemische Ansatz. Die konkrete Arbeit erfolgt mit dem Kind, das Lernprobleme zeigt. Allerdings macht die Beschreibung des Wirkungsgefüges ebenso deutlich, dass diese Arbeit auch Eltern, Geschwister, Lehrkräfte sowie die Situation in der Klasse einbezieht (Nührig, 2008).Lerntherapie in Schule ist ein Ansatz, der bereits an verschiedenen Stellen erfolgreich realisiert wurde (z.B. Sönnicken, 2015; Trüeb & Rottig, 2015). Aber auch guter Unterricht wirkt präventiv (Nolte, 1996). Gelingensbedingungen (von Prävention, von Inklusion und Förderung) zu untersuchen, trägt wesentlich dazu bei, dass Kinder Barrieren, die sich im Lernprozess zeigen, überwinden können. Wie Klein unterstreicht, ist es an dieser Stelle wichtig, dass Kostenträger dazu Verantwortung in ausreichendem Maß übernehmen.

Gabi Ricken

Jochen Klein folgt in seinem Kommentar dem systemischen Ansatz des Konzepts der integrativen Lerntherapie und merkt einige Aspekte an, die etwas zu kurz gekommen scheinen.

Unter Ressourcenorientierung und systemische Sicht fokussiert er auf Haltungen, die erforderlich sind, um eng am Entwicklungsprozess des Kindes zu bleiben und diesen im Zusammenspiel mit den Lernangeboten in der Lerntherapie, aber auch in der Schule zu reflektieren. Im Beitrag von Bender et al. (2017) ist dieser Ansatz enthalten. Das Modell des Wirkgefüges von Betz & Breuninger (2014) lässt nicht nur die negative Ausprägung zu, sondern erlaubt auch den Blick auf unterstützende Bedingungen. Der Punkt „Integrative Lerntherapie“ gibt Hinweise zur Prozessdiagnostik, die jedoch etwas ausführlicher dargestellt werden könnten. Eine begleitende, lernverlaufsorientierte Diagnostik ist ein Selbstverständnis für die Lerntherapie.

Eine Systemische Sichtweise ist im Konzept der integrativen Lerntherapie über die Dialoge im Wirkungsgefüge verankert. Jochen Klein ist darin zu folgen, dass die Annahmen von Ursachen durch Annahmen von Bedingungen zu ergänzen sind. Der Versuch, in Kausalitäten zu denken, mag aus einer ursprünglich medizinischen Zugangsweise resultieren und findet sich noch immer in Arbeiten. Den komplexen Wirkgefügen würde dies nicht gerecht werden. Auf alle Fälle sind die didaktogenen Faktoren nicht unerheblich; ja, und auch Unterricht muss hinsichtlich seiner Entwicklungsanregung geprüft werden. Unter Punkt „Klassifikation und Diagnostik“ wird auf diesen Bedingungsbereich hingewiesen, indem die Abhängigkeit der Störung von den Erfahrungen in Schule und Elternhaus verdeutlicht wird. Dennoch stimmt der Einwand von Jochen Klein. Wer das so in vereinfachter Weise kausal denken mag, könnte durch die Fassung des lerntherapeutischen Konzepts bestätigt werden: das Kind hat die Lernstörung. In dieser Konsequenz würde man allen Befunden zur Entstehung von schulischen Leistungen und der Entstehung von Lernstörungen widersprechen. Deshalb lohnt es, diesen Aspekt differenzierter auszuführen.

Abschließend verweist Jochen Klein auf die Einbindung in Schulen und die Frage der Finanzierung der Lerntherapie sowie die unterschiedlichen Problemfelder der Kinder, mit denen lerntherapeutisch gearbeitet wird. Die Zusammenarbeit mit und in Schulen stellt zweifellos eine wichtige Form von Lerntherapie dar. Deren Formen, Möglichkeiten und Unmöglichkeiten müssen noch intensiv erforscht werden. Vielversprechende Erfahrungsberichte liegen vor. 1-8Bender et al. haben auf die Behandlung von Lernstörungen mit Krankheitswert fokussiert, um die Notwendigkeit gegenüber Kostenträgern hervorzuheben sowie die erforderlichen Kompetenzen der Therapeutinnen und -therapeuten. Jedoch steht außer Frage, dass mit der Lerntherapie nicht gewartet werden muss, bis „das Kind in den Brunnen gefallen“ ist. Lerntherapie kann eine Hilfe sein, „kleine und große“ Schwierigkeiten beim Lesen-, Schreiben- und Rechnenlernen zu verstehen und angemessen darauf zu reagieren. Der präventive Gedanke sollte dennoch im Konzept an Gewicht gewinnen.

Die Antwort von Gabi Ricken zum Kommentar von Maike Hülsmann schließt die Repliken ab. Der Kommentar liefert vertiefende Betrachtungen zur Integration der Lerntherapie in Schule. Gabi Ricken gibt Anregungen zur Gestaltung der „Zusammenarbeit“ in Schule sowie zu begleitenden Evaluationen.

Gabi Ricken

Der Kommentar von Maike Hülsmann findet sich in erfreulicher Übereinstimmung zum Textentwurf. Sowohl die Komplexität von Lernstörungen als auch die fachdidaktisch-pädagogische Expertise, die sich in diagnostisch-therapeutischen Kompetenzen niederschlägt, werden übereinstimmend zum formulierten Konzept der Lerntherapie gesehen. Ausbildungsstandards und die Berufsprofile sind auch aus dieser Sicht enorm bedeutsame Grundlagen der lerntherapeutischen Arbeit.

Die Autorin plädiert für eine Differenzierung der Tätigkeitsfelder insbesondere in Richtung Schule. Ihr Vorschlag, lerntherapeutische Expertise in Schulen einzubringen und damit an den „Scheitelpunkt“ der Entwicklung von Störungen zu gehen, verträgt sich außerordentlich gut mit den Grundgedanken des Konzepts integrativer Lerntherapie. Dazu sind Arbeitsformen zu entwickeln, die lerntherapeutische Expertise in Schulen einbringen. Erfahrungen dazu liegen vor und müssen in nächster Zeit systematisch aufbereitet werden. Zu erproben sind:

  • zeitliche Formen: Einzelstunden oder Unterstützung im Unterricht,
  • soziale Zusammensetzungen: Einzelförderung oder Kleingruppe
  • oder aber der unmittelbare inhaltliche Ansatzpunkt hinsichtlich des Lerngegenstandes.

Dafür muss die Bereitschaft von Lehrkräften, Kindern und Eltern ausgelotet werden, um Möglichkeiten und Grenzen bestimmen zu können. Letztlich sind auch Begleitforschungsprojekte erforderlich, wie sie derzeit in Hamburg vorbereitet werden, um Wirkungen von unterschiedlichen Komponenten in ihrem Zusammenspiel besser kennenzulernen. Nicht auszuschließen ist allerdings, dass Vernetzungen auf außerschulische Lernorte und Projekte zu erweitern sind, weil Kinder nur dort erreicht werden.

Maike Hülsmann unterstützt die Idee der Vernetzung im multiprofessionellen Team in allen anstehenden Aufgaben. Es spricht einiges dafür, dass es vorteilhaft ist, wenn Lerntherapeutinnen und -therapeuten nicht zur Schule gehören und damit nicht in den komplizierten Prozess der Arbeitszeit- und Ressourcenplanung eingebunden sind. So können sie flexibler und kompakter agieren und Vermittlerrollen zwischen Kindern, Eltern und Lehrkräften einnehmen.

Wie man das am besten macht, muss in den nächsten Jahren ausgearbeitet werden. Aber auch Einbindungen in Schulkollegien verbindlicherer Art sind zu erproben.

Schlussbemerkung

In den Kommentaren und Antworten wurde angeregt, Aspekte der Lerntherapie vertieft darzustellen sowie die Lerntherapie zu evaluieren. Sie verdeutlichen die unterschiedlichen Perspektiven der Disziplinen auf die Lerntherapie, aber auch das Ringen um Verständigung und eine gemeinsame Sprache, was schon innerhalb der Disziplinen eine Herausforderung bedeutet. Insofern stellen die Beiträge einen Beginn und keinesfalls den Abschluss der Diskussion dar. Weitere Kommentare, Forschungsergebnisse und vertiefende Betrachtungen sind nötig und erwünscht.

Die angestoßene Diskussion wird auch den komplexen Prozess der Herausbildung einer eigenständigen Disziplin fördern. Diese wird festlegen, welche Erkenntnisse aus der Pädagogik, der Psychologie, den Fachdidaktiken Deutsch und Mathematik, den Neurowissenschaften und der Medizin für die lerntherapeutischen Tätigkeitsfelder Diagnostik, Lernen und Therapie sowie Beratung im System genutzt und adaptiert werden. Wenn dieser Prozess weitere Diskussionen auslöst, so ist dies ausdrücklich beabsichtigt.

Literatur

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Marlies Lipka, Fachverband für Integrative Lerntherapie e.V., Rathausstr. 3b, 14669 Ketzin, Deutschland,