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Free AccessPsychologie für die Gesellschaft

Die Gestaltung des Alters

Ein Plädoyer für mehr Psychologie

Published Online:https://doi.org/10.1026/0033-3042/a000203

Das Alter hat die Medien erreicht. Nahezu täglich wird über die Konsequenzen des demographischen Wandels, über Pflegenotstand, Altersarmut und Altersvorsorge oder über das Renteneintrittsalter debattiert. Diese Diskussionen werden meist von einer Grundfrage dominiert: Wie lässt sich das Leben einer immer größeren Zahl älterer Menschen, die noch dazu immer länger alt sind, finanzieren? Fragen zur Gestaltung und Optimierung des Lebens im höheren Alter sind zweifelsohne für jeden Einzelnen und für die Gesellschaft von hoher Relevanz. Die Fokussierung auf finanzielle Gesichtspunkte suggeriert jedoch ein einseitiges und unvollständiges Bild. So werden relevante psychologische Faktoren übersehen, die unsere Vorstellungen vom guten Leben im Alter, die Motivation zur Vorbereitung und Vorsorge, die Bereitschaft zum Engagement im Alter wie auch unsere Einstellungen zu und unseren Umgang mit alten Menschen bestimmen.

Im Folgenden möchte ich skizzieren, welchen Beitrag die Psychologie zu einer fundierten und differenzierten Diskussion altersbezogener gesellschaftlicher Fragen leisten kann, um die individuellen Voraussetzungen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für ein autonomes, selbstgestaltetes, erfülltes und–wenn gewünscht–auch aktives Leben im Alter zu schaffen.

Altern als Konstruktion

Wer alt ist, wen wir als alt bezeichnen und vor allem wie wir im Alter leben ist nur zu einem kleinen Teil das Resultat biologischer Gesetzmäßigkeiten. In erster Linie wird der Übergang ins Alter durch implizite und explizite Altersgrenzen, durch formelle und informelle Altersnormen, durch Altersstereotype und kulturelle Kontexte des Alterns gesteuert (Rothermund & Wentura, 2007). Die Vorstellung vom wohlverdienten Ruhestand im Alter etwa ist ein Spezifikum moderner Industrienationen, ebenso ist die Abgrenzung eines aktiven dritten (junge Alte) von einem abhängigen vierten Lebensalter (alte Alte) noch nicht einmal 30 Jahre alt (Laslett, 1989), das Negativstereotyp des vergesslichen alten Menschen ist in manchen asiatischen Kulturen kaum bekannt (Levy & Langer, 1994) und die Frage, ab wann man überhaupt „alt” ist, hängt selbst innerhalb einer Gesellschaft stark vom jeweiligen Kontext ab (Kornadt & Rothermund, 2011a): In der Discothek fühlt man sich schon mit 30 deplatziert, in der Werbe- oder IT-Branche darf man vielleicht noch 15 Jahre länger dabei sein, für die Identität und das Leben eines Schriftstellers spielt das Alter dagegen so gut wie überhaupt keine Rolle. Altersbilder und -normen prägen auch die unterschiedliche Gestaltung der sozialen Sicherungssysteme im Alter sowie die Wertschätzung und soziale Integration, die älteren Menschen zuteil wird.

Vor allem aber ist das Leben im Alter das Ergebnis der Lebensplanung und des Handelns jedes Einzelnen. Wo, wie, mit wem, und für was eine Person lebt, bestimmt sie zuallererst selbst. Dies gilt insbesondere für das Leben im höheren Alter, denn hier kumulieren sich die Einflüsse sämtlicher vorangehenden Lebensabschnitte. Altern ist somit zu weiten Teilen ein gesellschaftlich und individuell hergestelltes Produkt–eine Konstruktion. Konstruktionen aber sind gestaltbar, sie lassen sich ändern, beeinflussen und verbessern, durch aktives Handeln, durch Planung und Erfahrungen, gesellschaftliche Innovationen und Interventionen.

Überwindung von Gestaltungsbarrieren

Gesellschaftliche Maßnahmen zur Optimierung des Lebens im Alter sollten zuallererst an motivationalen, „psychologischen” Barrieren ansetzen, die eine aktive, verantwortungsvolle Selbstgestaltung des Lebens im Alter blockieren können. Dazu gehören etwa geringe Kontrollüberzeugungen, die altersbedingte Veränderungen als unvermeidlich erscheinen lassen, ein Mangel an Perspektiven und Entwicklungsmöglichkeiten, der aktive Bemühungen älterer Menschen um sinnstiftende Aktivitäten im Keim erstickt und frustriert, oder generell negative Einstellungen, die das Leben im Alter als wenig lebenswert erscheinen lassen.

Veränderungen können erreicht werden, indem älteren Menschen Möglichkeiten geboten werden, ihre Kompetenzen unter Beweis zu stellen, Verantwortung zu übernehmen und soziale Integration, Anerkennung und Wertschätzung zu erfahren. Starre Altersgrenzen die den Zugang zu wichtigen, sinnstiftenden Tätigkeiten etwa im Beruf oder in Ehrenämtern regeln, sollten gelockert werden. Ausgrenzungen und Benachteiligungen älterer Menschen sind in allen Lebensbereichen konsequent zu ächten: im Arbeitsleben, bei der finanziellen Versorgung, der Partizipation am öffentlichen Leben, und auch bei der gesundheitlichen Versorgung und Pflege (Rothermund & Mayer, 2009).

Nicht nur als Einzelne, auch als Gesellschaft tun wir uns manchmal schwer damit, sinnvolle Veränderungen an altersbezogenen Regelungen vorzunehmen. Zu sehr wird unsere Sicht auf das Altern durch etablierte Vorstellungen und Stereotype vom Leben im Alter und von alten Menschen bestimmt, die unser Denken und Handeln prägen und die sich als selbsterfüllende Prophezeiungen immer wieder zu bestätigen scheinen. Natürlich lassen sich die vielschichtigen und komplexen Bilder des Alters und Alterns und das damit verbundene System von Altersregeln, -grenzen und altersbezogenen Erwartungen nicht von einem Tag auf den anderen durch eine gänzlich neue Konzeption ersetzen. Auch wäre es falsch, die biologischen Grenzen einer aktiven und selbstbestimmten Lebensgestaltung zu leugnen, die sich am Lebensende manifestieren und die somit ebenfalls ein wesentlicher Bestandteil des Lebens im Alter sind und bleiben werden. Zum einen ist aber selbst diese finale Lebensphase ein wesentlicher Teil des Lebens, der positiv und würdevoll zu gestalten ist; zum anderen sollte das Bild eines abhängigen, vierten Lebensalters nicht als prototypisch für das Leben im Alter angesehen werden, wie dies häufig implizit suggeriert wird. Veränderungen in unseren Einstellungen zum Alter und Verbesserungen in den Rahmenbedingungen des Alterns sind somit in nahezu allen Bereichen möglich und notwendig.

Erwerbstätigkeit im höheren Lebensalter

Es ist mittlerweile ein Allgemeinplatz: Das berufliche Engagement älterer Menschen ist von entscheidender Bedeutung für die Zukunft unserer Gesellschaft. Vor allem eine weitere Erhöhung des Renteneintrittsalters wird als Maßnahme zur Lösung einer Reihe von Problemen diskutiert: Durch eine Verlängerung der Zeit der aktiven Berufstätigkeit verbessert sich das Verhältnis von Beitragszahlern zu Beitragsempfängern in der staatlichen Rentenversicherung. Zudem stellt die Mobilisierung älterer Arbeitnehmer ein scheinbar probates Mittel dar, um dem drohenden oder bereits eingetretenen Fachkräftemangel auf dem Arbeitsmarkt entgegen zu wirken.

Mit einer einfachen Erhöhung des Renteneintrittsalters allein werden sich diese Probleme jedoch nicht lösen lassen. So ist die Bereitschaft, ältere Arbeitnehmer einzustellen, trotz des immer wieder betonten Bedarfs offenbar noch nicht in den Personalabteilungen der Firmen angelangt. Trotz deutlich gestiegener Beschäftigungsquoten bei älteren Arbeitnehmern in den letzten Jahren, die hauptsächlich mit dem Wegfall von Förderprogrammen für Vorruhestandsregelungen zusammenhängen, sind die Wiedereinstiegschancen für ältere Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt unverändert schlecht (Nowossadeck & Vogel, 2013).

Die Gründe hierfür sind vielschichtig. Gebraucht werden eben nicht irgendwelche Arbeitnehmer, sondern vor allem hoch qualifizierte Personen, die bereit und in der Lage sind, neue oder zusätzliche Qualifikationen zu erwerben, und bei denen sich eine solche Investition in Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen auch rechnet. Dies wird für ältere Arbeitnehmer aber offenbar bezweifelt: Ihre Ausbildung liegt bereits längere Zeit zurück; ihnen wird aufgrund negativer Altersstereotype (geringere Lernfähigkeit und Flexibilität) die Bereitschaft und Fähigkeit abgesprochen, neue Fertigkeiten zu erwerben; vor allem aber rechnet sich eine Investition in die Einarbeitung, Fortbildung oder Umschulung eines älteren Arbeitnehmers nicht, wenn klar ist, dass dieser nach kurzer Zeit–spätestens mit Erreichen des Renteneintrittsalters–automatisch wieder aus dem Berufsleben ausscheiden muss.

Auch aus der Sicht des älteren Arbeitnehmers wirken sich diese Rahmenbedingungen negativ auf die Motivation aus, im höheren Alter noch beruflich aktiv zu sein bzw. frühzeitig und langfristig die notwendigen Voraussetzungen für eine solche aktive Teilnahme am Berufsleben im hohen Alter herzustellen. Warum sollte man sich einem Arbeitsmarkt aussetzen, auf dem Frustration und Misserfolg durch Stereotypisierung und Diskriminierung–selbst bei vorhandener Qualifikation–hochwahrscheinlich sind? Welchen Anreiz gibt es, das eigene Qualifikationsniveau durch Weiterbildung auch im Alter hoch zu halten, wenn die erworbenen Qualifikationen aufgrund des mit Erreichen des Rentenalters verbundenen automatischen Ausscheidens aus dem Beruf nur noch für kurze Zeit nutzbar sind?

Ohne begleitende Maßnahmen ist also zu befürchten, dass eine Erhöhung des Renteneintrittsalters häufig zu längeren Zeiten der Arbeitslosigkeit vor dem Rentenbezug führt (Naumann & Romeu-Gordo, 2010). Vielversprechende Ansatzpunkte für Interventionsmaßnahmen liegen jedoch vor. Zunächst einmal ist die prinzipielle Bereitschaft und Motivation, auch im höheren Lebensalter noch beruflich aktiv zu sein, bei vielen Menschen hoch ausgeprägt. Bei jüngeren Menschen finden sich bereits Anzeichen für einen Wandel in der Einstellung zur Lebensgestaltung im Alter: weg von einer alleinigen Betonung von Ruhe, Muße und Genuss hin zu einem aktiv gestalteten und engagierten Leben im höheren Alter (Kornadt & Rothermund, 2011b). Daten des Deutschen Alterssurveys zeigen, dass die dominierende Motivation für eine Berufstätigkeit im höheren Alter nicht etwa die finanzielle Notwendigkeit ist, sondern der Spaß an der ausgeführten Tätigkeit, der Wunsch, weiterhin eine Aufgabe zu haben, bestehende Kompetenzen zu nutzen und weiterzugeben und sozial eingebunden zu sein (Engstler & Romeu-Gordo, im Druck). Diese intrinsische Motivation nach aktiver Teilnahme gilt es zu nutzen und zu stärken, nicht zu frustrieren.

Wie kann das gelingen? Ansatzpunkte gibt es für Unternehmen, für den individuellen Arbeitnehmer, und auf der administrativen Ebene. Unternehmen sollten ihren Arbeitnehmern eine Perspektive für eine dauerhafte und ansprechende Tätigkeit im höheren Alter bieten. Dies beinhaltet Fortbildungs- und Umschulungsangebote, die speziell auf die Aktualisierung von Kompetenzen oder auf eine Neuausrichtung auf Tätigkeiten zugeschnitten sind, die auch für ältere Arbeitnehmer gut geeignet sind. Die Aussicht auf eine dauerhafte Beschäftigung sollte ergänzt werden mit Möglichkeiten eines flexiblen Übergangs in den Ruhestand (Wechsel zu altersangemessenen Tätigkeiten, Verzicht auf körperlich belastende Tätigkeiten, Teilzeitmodelle). Ein positives betriebliches „Altersklima” (Staudinger & Noack, 2009) bietet älteren Arbeitnehmern die erforderliche zeitliche Perspektive und Wertschätzung, die die Voraussetzung für eine positive Sicht auf eine berufliche Tätigkeit im Alter ist.

Auf gesellschaftlicher Ebene stellt die Kopplung des Ausscheidens aus dem Berufsleben an das Erreichen des Renteneintrittsalters, wie sie in vielen Tarifverträgen nach wie vor festgeschrieben ist, eine Barriere dar, die einer flexiblen Gestaltung und Ausdehnung der Berufstätigkeit ins höhere Alter im Weg steht. Eine solche Regelung ist ein Anachronismus. In Zeiten des Fachkräftemangels ist es weder im Interesse der Arbeitnehmer noch der Arbeitgeber, das Ausscheiden aus dem Berufsleben an ein starres Alter zu binden. Mit dem Wegfall einer solchen Regelung entstehen flexiblere und langfristigere Planungshorizonte für Unternehmen und Arbeitnehmer, die mit Blick auf das intrinsische Interesse älterer Arbeitnehmer an sinnvoller, qualifizierter und sozial integrierter Tätigkeit gefüllt werden können.

Ein begleitender Gesichtspunkt, durch den Unternehmen vielleicht zunächst zu ihrem Glück gezwungen werden müssen, ist die strikte Umsetzung von Antidiskriminierungsregeln in Bezug auf das Alter. Bei der Ausschreibung von Stellen, der Einstellung von Mitarbeitern, wie auch beim Zugang zu Fortbildungsmaßnahmen darf es keine Benachteiligung aufgrund des Alters geben (Rothermund & Temming, 2010). Sind nachvollziehbare ökonomische Gesichtspunkte, die sich aus starren Altersgrenzen in der Beschäftigung ergeben, erst einmal aus dem Weg geräumt, sollte Altersdiskriminierung bei der Personalrekrutierung und Weiterbildung ohnehin bald der Vergangenheit angehören.

Mehr als durch jede andere Maßnahme werden negative Altersbilder und Altersstereotype durch reale Gegenbeispiele widerlegt. Bietet man älteren Menschen die nötige Perspektive und die Möglichkeiten, ihre breit gestreuten Motive nach sinnstiftender Tätigkeit im Beruf zu befriedigen, so werden sie diese nutzen und sich schon bald als unverzichtbare Säule betrieblicher Personalpolitik etablieren. Unter günstigen Voraussetzungen steigt die Bereitschaft und Motivation, eine berufliche Tätigkeit im Alter selbst zu planen, Verantwortung zu übernehmen und die notwendigen Voraussetzungen hierfür herzustellen.

Freiwilliges Engagement

Während die gesellschaftlichen Kosten des hohen Alters in aller Munde sind, wird der Wert der freiwillig erbrachten (Dienst‐)Leistungen älterer Menschen in unserer Gesellschaft dagegen bislang nur unzureichend gewürdigt. Aktuelle Studien weisen auf die immensen Leistungen hin, die von der älteren Generation regelmäßig erbracht werden: Die Generali Altersstudie zeigt, dass sich ältere Menschen in Deutschland jährlich im Umfang von 2,4 Mrd. Zeitstunden (1,4 Mio. Vollzeitstellen) für ihre Familien engagieren. Darüber hinaus geben sie pro Jahr 10 Mrd. Euro an regelmäßiger finanzieller Unterstützung an die nachfolgende Generation. Auch im Bereich des freiwilligen bürgerschaftlichen Engagements werden von älteren Menschen jedes Jahr 1,5 Mrd. Stunden (900.000 Vollzeitstellen) geleistet. Die Daten des Freiwilligensurvey belegen außerdem eine Zunahme des freiwilligen Engagements bei älteren Menschen innerhalb der vergangenen Jahre (Nowossadeck & Vogel, 2013).

Diese Zahlen sind beeindruckend und stellen ein Gegengewicht dar zu den vielbeschworenen Finanzierungsproblemen, die durch eine zunehmende ältere Bevölkerung entstehen. Das freiwillige und unentgeltlich erbrachte familiäre und bürgerschaftliche Engagement älterer Menschen stellt eine wichtige gesellschaftliche Ressource dar, und diese Ressource wird von der demographischen Entwicklung profitieren. Es ist also von großer Bedeutung, dass die Bereitschaft und Fähigkeit zu solchen Leistungen der älteren Bevölkerung auch in Zukunft nicht nachlässt, sondern weiter ausgebaut wird.

Viele der im vorigen Abschnitt angesprochenen Aspekte zur Förderung beruflicher Tätigkeit im höheren Alter lassen sich auch auf die Förderung des freiwilligen Engagements übertragen: Die Motivation zum Engagement und zur Übernahme von Verantwortung sollte möglichst früh beginnen, denn der beste Prädiktor für eine solche Tätigkeit im Alter ist die Ausübung eben dieser Tätigkeit oder Funktion im jungen und mittleren Erwachsenenalter (Nowossadeck & Vogel, 2013). Altersgrenzen für die Übernahme ehrenamtlicher Tätigkeiten sind abzubauen (etwa bei Schöffentätigkeit oder Vereinsfunktionen) und durch inhaltlich definierte Anforderungskriterien zu ersetzen.

Interessanterweise ist zu erwarten, dass das freiwillige Engagement durch eine Ausweitung der beruflichen Aktivität im Alter nicht etwa leidet, sondern sogar davon profitieren dürfte, denn beide Formen des Engagements hängen positiv zusammen (Naumann & Romeu-Gordo, 2010). Aus gesellschaftlicher Sicht ist auch der Aufbau neuer sowie die Erschließung bestehender Möglichkeiten des bürgerschaftlichen Engagements für ältere Menschen vielversprechend. Unter diesem Gesichtspunkt ist etwa die Öffnung des Bundesfreiwilligendienstes für Personen aller Altersgruppen zu begrüßen.

Altersvorsorge und finanzielle Situation im Alter

Die finanzielle Situation älterer Menschen in Deutschland ist als sehr gut zu bewerten: Nie zuvor verfügten ältere Menschen über ein derartig hohes Maß an Einkünften und Vermögenswerten. Dennoch ist die Varianz in den finanziellen Mitteln, über die ältere Menschen verfügen, enorm und Altersarmut stellt ein ernstzunehmendes Problem dar. Zudem wird in Zukunft die Zahl von Personen weiter zunehmen, die aufgrund diskontinuierlicher Beschäftigungsverläufe nur geringe Rentenbezüge erhalten (Motel-Klingebiel, Simonson & Romeu-Gordo, 2010). Staatliche Anreize und Zuschüsse, die zu privaten Vorsorgemaßnahmen animieren, begünstigen für viele Menschen eine langfristig angelegte Absicherung im Alter. Aber gerade solche Personen, die am dringendsten auf diese Form der finanziellen Vorsorge angewiesen sind, haben aufgrund geringer Einkünfte und wiederholter Phasen der Arbeitslosigkeit oft nur unzureichende Möglichkeiten, an diesen Programmen zu partizipieren. Vor diesem Hintergrund stellt der Ausbau von Beschäftigungsmöglichkeiten bis ins hohe Alter das wichtigste Mittel dar, um Altersarmut vorzubeugen.

So wichtig eine finanzielle Absicherung älterer Menschen ist, eine ausschließliche Fokussierung auf die Optimierung der finanziellen Vorsorge läuft dennoch an den wahren Bedürfnissen älterer Menschen vorbei. Daten der Altersstudie der VolkswagenStiftung zeigen beispielsweise, dass die Lebenszufriedenheit älterer Menschen nur in vergleichsweise geringem Maße von ihrer aktuellen finanziellen Situation abhängt: Schon die Zufriedenheit mit der finanziellen Situation selbst wird nur zu etwa 10 % durch das absolute Nettoeinkommen bestimmt, vorrangig für die Zufriedenheit sind Vergleiche mit anderen Personen oder mit der früheren eigenen finanziellen Situation. Zudem sinkt die Bedeutung der finanziellen Situation für die allgemeine Lebenszufriedenheit mit dem Alter. Andere Faktoren sind für das Lebensglück (nicht nur) älterer Menschen wesentlich zentraler: Insbesondere die Bereiche Familie, Partnerschaft, Gesundheit, Beruf und Arbeit rangieren deutlich höher auf der Wichtigkeitsskala älterer Menschen als die finanzielle Situation.

Dementsprechend sollte auch die Debatte um eine finanzielle Alterssicherung nicht auf Aspekte der Überlebenssicherung beschränkt werden. Eine solche Darstellung legt nahe, dass es im hohen Alter ohnehin nur noch darum geht, anderen nicht zur Last zu fallen. Stattdessen bietet die finanzielle Alterssicherung die Möglichkeit, eine offene und von äußeren Zwängen weitgehend freie Lebensphase kreativ und nach eigenen Vorstellungen zu gestalten. Finanzielle Versorgung im Alter dient nicht nur der „Alterssicherung”, sie ist ein „Stipendium für ein selbstbestimmtes Leben im Alter”.

Auch die Vorsorge für das Alter ist nicht auf finanzielle Aspekte beschränkt, sondern weist eine wesentlich differenziertere Struktur auf, die der Vielschichtigkeit von Zielen und Lebensvollzügen im Alter entspricht. Altersvorsorge beginnt bereits früh im Leben und sie erfolgt bereichsspezifisch (Kornadt & Rothermund, 2013): Sie umfasst die Vorsorge für Not- und Ausnahmesituationen, sie zielt auf den Erhalt der Gesundheit, der geistigen und körperlichen Fitness, der Arbeitsfähigkeit und beruflichen Qualifikation oder eines attraktiven Aussehens; weitere Facetten betreffen eine altersgerechte Gestaltung der Wohnsituation, der Freizeitaktivitäten und sozialen Kontakte.

Wie lassen sich nun diese vielfältigen Formen der Vorsorge im und für das Alter fördern und anregen? Einen wichtigen Einflussfaktor für Vorsorgeaktivitäten stellen Bewertungen des Lebens im Alter dar: Negative Altersbilder beeinträchtigen den Wert des Lebens im hohen Alter und wirken sich hemmend auf Vorsorgebemühungen aus. Wer das Alter nur als Phase der Einsamkeit, Gebrechlichkeit und Bedeutungslosigkeit sieht, der wird keine Motivation aufbringen, für diese Phase zu planen und vorzusorgen. Eine Förderung von Altersvorsorge sollte daher in erster Linie darauf abzielen, das Alter als gleichwertige und attraktive Lebensphase zu etablieren. Hierzu gehört die Vermittlung positiver Altersbilder, deren Glaubwürdigkeit vor allem davon abhängt, welche aktiven Partizipationsmöglichkeiten älteren Menschen in unserer Gesellschaft geboten werden und welcher Respekt und welche Anerkennung ihnen für ihre Leistungen und Verdienste entgegengebracht werden. Aufbau und Öffnung von Lebensmöglichkeiten sollten das vorrangige Ziel sein, wenn es darum geht, Menschen zur Planung und Gestaltung ihres Lebens im Alter zu bewegen.

Gesundheit und Pflege

Wohl kein anderes Thema wird mit Blick auf das hohe Alter so häufig und intensiv diskutiert wie das der gesundheitlichen Versorgung und Pflege, sowie der damit verbundenen Kosten. Beispielsweise steigen die Pro-Kopf-Ausgaben für medizinische Leistungen mit dem Alter drastisch an und liegen für die Gruppe der 65 – 84jährigen mit 6000 Euro/Jahr etwa doppelt so hoch wie für die Gruppe der 45 – 64jährigen. Genauere Analysen ergeben allerdings, dass dieser erhöhte Bedarf zu einem substanziellen Teil auf die im letzten Lebensjahr anfallenden Versorgungskosten zurückgeht. Bei diesem Anteil handelt es sich also nicht um einen genuinen Alterseffekt, sondern um eine konstante Größe sogenannter „Sterbe-” bzw. „Todesfallvermeidungskosten”, die unabhängig vom Alter unweigerlich zum Lebensende anfallen (Mardorf & Böhm, 2009). Vor diesem Hintergrund ist nicht zu erwarten, dass die Kosten für die gesundheitliche Versorgung älterer Menschen durch die zukünftige demographische Entwicklung dramatisch weiter steigen werden. Ohnehin sind die in den letzten Jahren gestiegenen Kosten im Gesundheitswesen in erster Linie durch den medizinisch-technischen Fortschritt, die damit verbundenen Angebotsausweitungen und teurere medizinische Leistungen bedingt und sind damit von der Altersentwicklung weitgehend unabhängig. Allerdings sinken die Beitragszahlungen zur gesetzlichen Krankenversicherung nach dem Ausscheiden aus dem aktiven Erwerbsleben. Mit steigender Lebenserwartung erhöht sich somit der Anteil von Personen, die geringere Beiträge zahlen. Dies liefert ein weiteres Argument, möglichst vielen älteren Menschen eine Perspektive für eine Berufstätigkeit auch nach Erreichen der Ruhestandsgrenze zu bieten.

Aus psychologischer Perspektive ist die Erhaltung der Gesundheit älterer Menschen zuvorderst eine Funktion aktiver Gesundheitsvorsorge. Die Vermeidung von Risikoverhalten, regelmäßige körperliche Aktivität und medizinische Kontrollen haben großen Einfluss auf den Gesundheitsstatus im Alter. Die Bereitschaft zur gesundheitlichen Vorsorge und gesundheitsförderlichem Verhalten hängt ihrerseits davon ab, welche Altersbilder eine Person hat (Meisner, Weir & Baker, 2013; Wurm, Tesch-Römer & Tomasik, 2010; Wurm, Warner, Ziegelmann, Wolff & Schütz, 2013): Negative Altersstereotype untergraben die Motivation zur gesundheitlichen Vorsorge, indem sie altersbedingte Funktionsverluste und Gesundheitseinbußen als unvermeidlich oder indem sie das hohe Alter als wertlose Lebensphase erscheinen lassen, für die sich Engagement und Vorsorge ohnehin nicht lohnen.

Eine gute gesundheitliche Versorgung älterer Menschen ist eine wichtige Voraussetzung für den Erhalt der Gesundheit und Leistungsfähigkeit bis ins hohe Alter (sog. „Morbiditätskompression”; Fries, 1980). Die Investitionen des Gesundheitssystems in die Gruppe der älteren und alten Menschen sichern einen hohen Funktionsstatus und Lebensqualität und ermöglichen so auch deren berufliches und bürgerschaftliches Engagement. Umgekehrt ist aber auch die Einbindung in sinnstiftende, anspruchsvolle und altersangemessene Aktivitäten und Aufgaben eine wichtige Präventionsmaßnahme für den Erhalt der Gesundheit. Die Öffnung bzw. die Schaffung von Betätigungsfeldern in Beruf und Ehrenamt für ältere Menschen wirkt sich somit indirekt auch kostendämpfend auf den Gesundheitssektor aus.

Fazit: Erfolgreiches Altern als Balance zwischen aktiver Gestaltung und akzeptierender Sinnfindung

Die vorangehenden Abschnitte haben gezeigt, dass Leben im Alter mehr braucht als ökonomische Betrachtungen. Die Integration in sinnstiftende Kontexte ist für ältere Menschen oftmals wichtiger als ihre finanzielle Situation. Selbst für volkswirtschaftliche Betrachtungen liegen die Antworten und Ansatzpunkte häufig auf der psychologischen Ebene: Welche Voraussetzungen müssen geschaffen werden, um das Alter zu einer wichtigen und wertvollen Lebensphase zu machen und um das motivationale Potential für ein aktives und selbstgestaltetes Leben im Alter zu wecken?

Ich habe versucht, auf individuelle und gesellschaftliche Bedingungen hinzuweisen, die einem aktiven und selbstbestimmten Leben im Alter im Wege stehen (starre Altersgrenzen, negative Altersbilder, Altersdiskriminierung) bzw. ihm zugutekommen können (Öffnung von Partizipationsmöglichkeiten, Wertschätzung, Alter als selbstbestimmter Lebensabschnitt). Eine psychologische Altersperspektive sollte aber neben dem Hinweis auf die vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten auch vermitteln, dass das höhere Alter ein Lebensabschnitt ist, der uns in besonderer Weise mit den Grenzen der Machbarkeit und mit der Endlichkeit menschlichen Lebens und Strebens konfrontiert. Zum Alter gehört daher auch die Einsicht in die Grenzen der eigenen Handlungs- und Einflussmöglichkeiten. Entscheidend ist hier die Bereitschaft und Fähigkeit, loszulassen und zu akzeptieren, Sinn und Erfüllung nicht nur aus zukunftsbezogenen Zielen, sondern auch aus dem im Leben bereits Erreichten zu ziehen, vielleicht auch die Öffnung des Blickes für den eigenen Lebenshorizont überschreitende Werte und Sinnzusammenhänge (Brandtstädter, Rothermund, Kranz & Kühn, 2010). Vielleicht ist gerade diese gelassene und nicht mehr nur von persönlichen Interessen geleitete Haltung das Beste und Wichtigste, was die ältere Generation der Gesellschaft immer wieder neu vermittelt.

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Prof. Dr. Klaus Rothermund, FSU Jena, Zentrum für Alternsforschung Jena (ZAJ). Die Arbeit an diesem Beitrag wurde unterstützt durch das von der VolkswagenStiftung geförderte Projekt „Altern als Zukunft” (Az. II / 83 142, Az. 86 758). Ich bedanke mich bei Andreas Beelmann für viele hilfreiche Hinweise zur Textgestaltung.

Prof. Dr. Klaus Rothermund, Lehrstuhl für Allgemeine Psychologie II, FSU Jena, Institut für Psychologie, Am Steiger 3, Haus 1, 07743 Jena, E-Mail: