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Editorial

Interaktions- und Beziehungsgestaltung zwischen pädagogischen Fachkräften und Kindern

Published Online:https://doi.org/10.1026/2191-9186/a000239

Den alltäglichen sozialen Austauschprozessen wird eine zentrale Bedeutung zugeschrieben, um Bildungserfahrungen in Kindertageseinrichtungen zu vollziehen. Die Art und Weise, wie pädagogische Fachkräfte Interaktionen mit einzelnen Kindern und der Kindergruppe gestalten, gilt als wesentlicher Einflussfaktor für den Aufbau emotional tragfähiger, Sicherheit vermittelnder Beziehungen und für gelingende Entwicklungs- und Bildungsverläufe der Kinder. Bereitschaft und Fähigkeit, im Kontakt mit Kindern empathisch und responsiv zu agieren, in einen dialogischen Austausch einzutreten, fokussiert und entwicklungsangemessen sprachliche Impulse zu geben und gemeinsam geteilte Denkprozesse zu initiieren, werden als zentrale professionelle Handlungskompetenzen betrachtet. So gestaltete Interaktionsprozesse zielen darauf, gemeinsam Erfahrungen zu erweitern und damit Selbst- und Weltsichten zu verändern.

Während es im anglo-amerikanischen Raum bereits eine längere Tradition gibt, pädagogische Qualität (auch) als Interaktionsqualität zu konzeptualisieren und diese vorrangig mit Hilfe quantifizierender Verfahren messbar zu machen, u.a. in der Study of Early Child Care and Youth Development der National Institute of Child Health and Human Development (vgl. NICHD Early Child Care Research Network, 2002; Mashburn et al., 2008), ist in Deutschland erst in den vergangenen Jahren ein verstärktes Forschungsinteresse im Bereich der pädagogischen Interaktions- und Beziehungsgestaltung zu verzeichnen. Parallel zur Orientierung an internationalen Entwicklungen und dem Einsatz von in internationalen Studien bereits erfolgreich angewendeten Instrumenten hat sich hier auch eine eigenständige, stärker qualitativ ausgerichtete Auseinandersetzung mit der Erfassung von Beziehungs- und Interaktionsstrukturen entwickelt, die die Gestaltung der Kommunikation sowie Prozesse des pädagogischen Handels als zentrale Vollzugsformen von Erziehung begreift und zu verstehen sucht.

Die Vielfalt der forschungsmethodischen Zugänge im deutschsprachigen Raum, der – nicht immer explizit gemachten – theoretischen Paradigmen, vorgenommenen Operationalisierungen und verwendeten Instrumentarien verweist darauf, dass diese noch eher den Charakter von „Suchbewegungen“ haben. Dies erscheint angesichts der Komplexität des Gegenstandes nicht unbedingt als nachteilig: Fragen nach dem Wechselverhältnis zwischen den Interaktionsbeiträgen der beteiligten Akteure, nach Zusammenhängen zwischen dem Interaktionsgeschehen und strukturellen Merkmalen des Kontextes, in dem es sich entfaltet, individuellen Merkmalen von Fachkräften und Kindern, deren Beziehungsqualität und schließlich nach Wirkungen auf die kindliche Entwicklung sind sicherlich nicht über einen einzigen methodologischen Zugang zufriedenstellend zu beantworten.

In der nun vorliegenden Ausgabe zur pädagogischen Interaktions- und Beziehungsgestaltung haben wir uns zu einer Konzentration auf Forschungsbeiträge, die dem Paradigma quantitativer Sozialforschung zuzuordnen sind und somit ein deduktives Erkenntnisinteresse verfolgen, entschlossen. Damit sollen die Erträge ethnographischer, phänomenologischer oder dokumentarischer Analysen keinesfalls abgemindert werden. Vielmehr wollten wir durch diese bewusst herbeigeführte Komplexitätsreduktion die Möglichkeit eröffnen, die verwendeten Studiendesigns und Erhebungsinstrumente einander gegenüber zu stellen, vergleichend zu betrachten und auf ihre Stärken und Potenziale ebenso wie auf ihre Einschränkungen hin kritisch zu hinterfragen.

Sonja Perren, Doris Frei und Sandra Herrmann berichten über erste Befunde im deutschsprachigen Raum mit dem Beobachtungsverfahren CLASS-Toddler, welches im angloamerikanischen Sprachraum von La Paro, Hamre und Pianta (2012) entwickelt wurde und Bestandteil des auf die Arbeiten von Robert Pianta et al. zurück gehenden, ursprünglich für den schulischen Kontext konzipierten Classroom Assessment Scoring Systems™ ist. Mit dem standardisierten Beobachtungsverfahren werden sozio-emotionale, verhaltenssteuernde und lernprozessunterstützende Merkmalsausprägungen in Interaktionen zwischen pädagogischen Fachkräften und Kleinkindern erfasst. Die Autorinnen prüfen die Adaptivität des Instruments mit Bezug auf Praktikabilität und Gütekriterien. Mit der Studie wird ein wichtiger Beitrag zur Diskussion geleistet, wie Interaktions- und Beziehungsgestaltung insbesondere in Gruppen mit Kindern in den ersten Lebensjahren standardisiert zu erfassen sind. Er eröffnet damit auch eine weitere Analyseebene für international vergleichende Forschung.

Der zweite Beitrag von Anja Sommer und Jutta Sechtig nutzt ebenfalls ein aus dem anglo-amerikanischen Kontext stammendes Instrument, die Caregiver-Interaction-Scale (CIS, Arnett, 1989). Diese Ratingskala wurde in den 1980er Jahren zur Erfassung der sozio-emotionalen Beziehungs- und Interaktionsqualität entwickelt und seither in unterschiedlichen Studien auch im deutschsprachigen Raum eingesetzt. Mit der Studie wird auf einen bisher kaum beleuchteten Aspekt institutioneller Arrangements in der Frühpädagogik fokussiert, nämlich auf die Qualität sozio-emotionaler Beziehungen und Interaktionen zwischen pädagogischen Fachkräften und Kindern in Kindertageseinrichtungen mit erweiterter Altersmischung. Angesichts des massiven Ausbaus der Kindertagesbetreuung für Kinder im zweiten und dritten Lebensjahr bzw. der Organisation der Erziehung, Bildung und Betreuung dieser Kinder in erweiterten Altersgruppen, kommt den Befunden von Sommer und Sechtig hohe Bedeutung zu.

Im letzten Beitrag wird anhand von videografierten Freispielsituationen das Verhältnis zwischen Merkmalen der Beziehungsgestaltung und dem Auftreten von Interventionen zur Unterstützung kindlicher Lernprozesse untersucht. Heike Wadepohl und Katja Mackowiak kombinieren für die Erfassung ein Set unterschiedlicher, vorrangig im Kontext der Studie entwickelter und erstmalig eingesetzter Instrumente zur Erfassung der Beziehungs- und Interaktionsqualität. Dabei wurde die Qualität der Beziehungsgestaltung über globale Ratingverfahren, die Lernprozessunterstützung über ein Time-Sampling-Verfahren erfasst. Im Rahmen der derzeitigen Professionalisierungsdiskussion liefert die Studie wichtige Impulse für die Auseinandersetzung mit der konkreten Gestaltung von Erziehungs- und Bildungsprozessen im Elementarbereich.

Die Kindertagesbetreuung hat sich in den letzten Jahrzehnten zu einem zentralen gesellschaftlichen Teilsystem entwickelt. Kinder verbringen heute sehr früh einen beträchtlichen Zeitanteil in Kindertageseinrichtungen. Diese Entwicklungen verlangen nach einem verantwortungsvollen qualitativen Ausbau der Einrichtungen. Eine hohe pädagogische Qualität ermöglicht Kindern gute Entwicklungsbedingungen, und Forschung zur Beziehungs- und Interaktionsqualität leistet einen wesentlichen Beitrag zum Verständnis der zentralen Wirkfaktoren und Zusammenhangsmuster. Bildungsforschung in diesem Bereich zu entwickeln und damit eine kontinuierliche Beobachtung und Reflexion institutioneller Erziehung, Bildung und Betreuung zu ermöglichen, zählt zu den zentralen Herausforderungen der Zukunft.

Literatur

  • Arnett, J. (1989). Caregivers in day-care centers: Does training matter? Journal of Applied Developmental Psychology , 10 , 541 – 552. CrossrefGoogle Scholar

  • La Paro, K. M. , Hamre, B. K. , & Pianta, R. C. (2012). Classroom Assessment Scoring System (Class Manual, Toddler) . Baltimore: Paul H. Brookes Publishing. Google Scholar

  • Mashburn, A. J. , Pianta, R. C. , Hamre, B. K. , Downer, J. T. , Barbarin, O. , Bryant, D. et al. (2008). Measures of Classroom Quality in Prekindergarten and Children's Development of Academic, Language, and Social Skills. Child Development , 79 , 732 – 749. CrossrefGoogle Scholar

  • NICHD Early Child Care Research Network (2002). Early child care and children's development prior to school entry: Results from the NICHD Study of Early Child Care and Youth Development. American Educational Research Journal , 39 , 133 – 164. CrossrefGoogle Scholar

Anke König, Susanne Viernickel