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Open AccessSchwerpunktbeitrag

Partizipationsmöglichkeiten von Kindern in gruppenpädagogischen Settings

Eine empirische Untersuchung von Partizipation als Schlüsselelement einer inklusiven Alltagsgestaltung in Kindertageseinrichtungen

Published Online:https://doi.org/10.1026/2191-9186/a000609

Abstract

Zusammenfassung. Partizipation ist ein wichtiges Element in der Umsetzung von Inklusion im Kita-Alltag, da dadurch Kindern Selbstbestimmung, Teilhabe und -gabe konkret ermöglicht wird (Prengel, 2016; Wagner, 2012). Im Fokus der vorgestellten videografischen Studie steht der Morgenkreis als wiederkehrendes gruppenpädagogisches Setting und potenzieller Ort für demokratische Beteiligung im Kita-Alltag. Partizipation wird hier im Sinne von Beteiligung und Mitbestimmung von Kindern in Entscheidungsprozessen untersucht. In der Analyse zeigt sich, dass Mitbestimmung von Kindern im Morgenkreis bisher nur ansatzweise umgesetzt wird. Entscheidungssituationen werden selten von der Fachkraft gezielt für alle Kinder partizipativ gestaltet. Wenn Kinder an Entscheidungsprozessen mitwirken, haben diese tendenziell keine verbindliche Rolle bei der Entscheidungsfindung.

Opportunities for Children to Participate in Educational Group Situations. Empirical Research on Participation as a Key Element in Inclusive Daily Routines at Daycare Centers

Abstract. Participation plays a key role in implementing inclusive education in the daily routine at daycare centers, as it allows for the children's right to self-determination and social participation (Prengel, 2016; Wagner, 2012). The present video study focuses on the morning circle as a recurring educational group setting and a potential place for participatory democracy in the daily routine at daycare centers. The study examines participation in terms of involvement and the codetermination of children in decision-making processes. Our analysis indicates that children's participation in morning circles has been implemented only to a limited extent. Educators seldom structure decision-making situations to allow all children to participate. And when children do participate in decision-making processes, they tend not to play a key role in the decision-making process.

Der Gestaltung des Alltags in Kindertagesstätten kommt bei der Umsetzung von Inklusion eine besondere Rolle zu, da der gelebte Alltag das Erleben der Kinder wesentlich und nachhaltig bestimmt. Aktuell ist zu konstatieren, dass im Alltag situierte Inklusion, das heißt, die selbstverständliche und diskriminierungsfreie Teilhabe und -gabe aller Kinder an alltäglichen Erziehungs- und Bildungsprozessen, noch nicht ausreichend in allen Kindertagesstätten realisiert wird (Seitz, Ali-Tani & Joyce-Finnern, 2021; König, 2020; Heimlich, 2019, S. 2). Teilhabe betont in diesem Zusammenhang, dass Kinder nicht nur am Alltag teilnehmen, sondern sich hier auch einbringen und diesen mitgestalten können (Schmude & Pioch, 2014, S. 7).

Das Projekt PIIQUE – Pro Inkludierende Interaktion. Qualität crossmedial entwickeln widmet sich diesem Forschungsdesiderat und untersucht, wie Inklusion im Kita-Alltag ganz selbstverständlich gelebt und wie dieses Wissen frühpädagogischen Fachkräften digital zugänglich gemacht werden kann. Die videografische Studie des Projekts analysiert Fachkraft-Kind(er)-Interaktionen im Morgenkreis. Die Gestaltung von Morgenkreisen wird dabei als Möglichkeit einer alltagsintegrierten inklusiven Pädagogik in Kindertageseinrichtungen verstanden.

Dieser Artikel stellt die erste Teilanalyse des Projekts vor. Der Fokus der Analyse liegt dabei auf Partizipation im Sinne der Mitbestimmung (Michell, 2019; Schröder, 1995). Es wird untersucht, inwiefern es sich beim Morgenkreis um ein partizipatives Format handelt und ob alle Kinder die Möglichkeit haben, sich hier an Entscheidungssituationen zu beteiligen.

Der vorliegende Beitrag ordnet zunächst Partizipation als bedeutendes Element für die Umsetzung von Inklusion im Kita-Alltag ein und befasst sich mit dem Morgenkreis als gruppenpädagogisches Alltagssetting. Die darauf aufbauende Untersuchung von 22 Morgenkreisen zeigt auf, wie Kinder an Entscheidungssituationen im Morgenkreis beteiligt werden. Abschließend diskutiert der Beitrag Potenzial und weiterführende Implikationen für die Umsetzung einer inklusiven Partizipation im Morgenkreis.

Inklusionsverständnis

Inklusion wird als gesamtgesellschaftlicher Reformprozess verstanden, mit dem Ziel, das Recht aller Menschen auf Partizipation im Sinne von Teilhabe und -gabe, Selbstbestimmung und Bildung umzusetzen (Heimlich, 2019, S. 13; Schmude & Pioch, 2014, S. 7). Das Projekt PIIQUE untersucht bezüglich des Zugangs und der Teilhabe und -gabe konkret das Recht aller Kinder auf inklusive Bildung, Betreuung und Erziehung. Ein wichtiges Element in diesem Prozess ist die Partizipation von Kindern. Durch sie wird Teilhabe und -gabe im Alltag praktisch ermöglicht, wenn Kinder diesen mitgestalten und Entscheidungen zu Bereichen treffen können, die sie persönlich, ihre Einrichtung bzw. Gruppe und die Aktivitäten, die hier stattfinden, betreffen (Prengel, 2016, 9f.). Es geht demnach sowohl um Mithandeln und Mitentscheiden in Bezug auf das Leben in der Gemeinschaft, als auch um die Selbstbestimmung eines jeden Kindes in Bezug auf das eigene Leben (Hansen, Knauer & Sturzenhecker, 2015; Schröder, 1995).

Partizipation im Sinne von Mitbestimmung in einer demokratischen Gemeinschaft ist dabei auch Ziel und Methode von Demokratiebildung, die auf die Vermittlung grundlegender demokratischer Prinzipien und Werte und den Erwerb demokratischer Kompetenzen abzielt (Hansen et al., 2015, S. 114ff.). Unter Mithandeln und Mitentscheiden werden unterschiedliche Grade von Partizipation zusammengefasst, die bereits durch verschiedene Stufenmodelle systematisiert wurden. Diese beachten auch die Negation von Mitbestimmung und zeigen so die Spannbreite von Fremdbestimmung bis zur Selbstorganisation auf (u.a. Schröder, 1995; Wright, von Unger & Block, 2010). Dem vorgestellten Verständnis von Partizipation folgend untersucht die anschließende Analyse zur Umsetzung von Inklusion die Kinderbeteiligung auf der interaktionalen Ebene zwischen Fachkraft und allen Kindern.

Als Grundorientierung für pädagogisches Handeln impliziert Partizipation, dass pädagogische Fachkräfte freiwillig Macht abgeben und Kinder beteiligen wollen (Hansen et al., 2015; Wyrobnik und Krause, 2016, S. 126), denn gerade junge Kinder können das Recht auf Beteiligung weder einfordern noch praktisch durchsetzen. Sie sind also davon abhängig, dass Erwachsene Entscheidungsmacht abgeben. Dafür ist ein responsives, dialog- und kindorientiertes Verhalten der pädagogischen Fachkräfte wichtig, durch das sie die Signale und Bedürfnisse der Kinder wahrnehmen und bewusst und verantwortungsvoll Entscheidungsmöglichkeiten öffnen und Interaktionen gestalten (Hildebrandt et al., 2021, S. 12). Die Umsetzung von Partizipation vollzieht sich demnach insbesondere im professionellen Handeln der Fachkräfte und lässt sich nur dann in einem breiten Verständnis als inklusiv beschreiben, wenn die Rechte aller Kinder wahrgenommen werden. Entsprechend kommt es in der Performanz der Fachkräfte entscheidend darauf an, dass sie ihr Handeln bewusst inklusiv organisieren (Wagner, 2012). Dies unterstreichen auch die aktuellen Ergebnisse der BiKA-Studie – Beteiligung im Kindesalter für Kinder unter drei Jahren: Bisher gelingt es pädagogischen Fachkräften im Alltag nicht ausreichend, Kindern Selbst- und Mitbestimmungserfahrungen zu ermöglichen, wenn sie nicht von sich aus Entscheidungsprozesse initiieren oder schnell auf partizipationsförderliche pädagogische Impulse reagieren (Hildebrandt et al., 2021, S. 69).

Der Morgenkreis als inklusives Alltagsritual?

In den allermeisten Kindertagesstätten ist der Morgenkreis ein fester Bestandteil des Tagesablaufs, an dem alle Kinder einer Gruppe und die frühpädagogischen Fachkräfte teilnehmen (Burghardt & Kluczniok, 2020; Collins, 2013; Zaghlawan & Ostrosky, 2011).

Morgenkreise können im Sinne der Mitbestimmung ein offenes Format der Beteiligung in Kindertageseinrichtungen darstellen und bewusst demokratische Mitbestimmungsprozesse ermöglichen, wenn Kinder hier ihre Anliegen und Einsichten vorbringen, gemeinsam diskutieren und Entscheidungen treffen können. Dieses Verständnis vom Morgenkreis findet sich u.a. in Bildungsplänen (Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft, 2014, S. 18; Thüringer Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur, 2011, S. 30) sowie in Ansätzen zur Demokratiepädagogik (Hansen et al., 2015, S. 65 ff.; Braun, 2019, S. 169 ff.; Maywald, 2019, S. 46).

Bisher liegen nur sehr wenige empirische Studien zum Morgenkreis als besonderes frühpädagogisches Setting vor, insbesondere im deutschsprachigen Raum (Burghardt & Kluczniok, 2020, S. 287). Die wenigen Forschungen, die sich u.a. mit dem Morgenkreis beschäftigen, spiegeln nur teilweise ein Verständnis des Morgenkreises als Format der offenen Beteiligung wider; überwiegend wird der Morgenkreis als Gemeinschaftsritual, das den Kindern Sicherheit, Struktur und Zugehörigkeit vermittelt, analysiert (Stenger, 2020; Burghardt & Kluczniok, 2020; Nentwig-Gesemann et al., 2017; Hekel & Neuman, 2016, Hansen et al., 2015; Kuhn, 2011).

Bezüglich der Handlungsmöglichkeiten von Kindern im Morgenkreis wurden in einer schweizerischen Studie drei zentrale Formen kindlicher Akteur_innenschaft herausgearbeitet. Die erste Form Dabei sein beschreibt die körperliche Teilnahme der Kinder am Morgenkreis. Mitmachen als zweite Form bezieht sich auf die Möglichkeit einer aktiven Teilnahme in Form von mitspielen oder singen oder etwas auszuwählen, ohne dadurch aber den Ablauf des Morgenkreises zu verändern. Die dritte Form Einflussnehmen bedeutet, dass Kinder durch ihre Handlung Einfluss auf den Verlauf des Morgenkreises nehmen (Hekel & Neumann, 2016, S. 23f.). Letztere unterstreicht, dass der Morgenkreis Potenzial für echte Partizipation, i.S.v. Mithandeln und Mitentscheiden, bietet. Gleichzeitig stellt die Studie fest, dass im Format Morgenkreis kindliche Beteiligungsformen teilweise stark kanalisiert und eingeschränkt werden, damit die Fachkraft den von ihr geplanten Verlauf ungestört durchführen kann (Neumann & Hekel, 2016, S. 99).

In Hinblick auf eine partizipative Alltagskultur untersucht die vorgestellte Analyse einerseits ebenfalls, ob das Format Morgenkreis durch die Fachkräfte an sich partizipativ gestaltet wird, das heißt, ob die Kinder an der Gestaltung und Durchführung des Morgenkreises beteiligt werden und darauf Einfluss nehmen können. Dafür werden die entsprechenden Entscheidungssituationen im Morgenkreis in den Fokus genommen. Anderseits werden Entscheidungsprozesse untersucht, die sich auf den Tagesablauf und das Zusammenleben in der Kita beziehen und den Morgenkreis als Format der offenen Beteiligung kennzeichnen.

Methodisches Vorgehen

Fragestellung

In der vorliegenden Studie wird untersucht, wie Kinder an Entscheidungssituationen im Morgenkreis beteiligt werden. Dabei stehen Entscheidungen im Fokus, die alle anwesenden Kinder betreffen. Es wird analysiert, von wem und wie im Morgenkreis entschieden wird, welche Aktivitäten im Morgenkreis stattfinden; wie diese Aktivitäten konkret gestaltet werden und wie der Tagesablauf, der Kita-Alltag und das Zusammenleben in der Gemeinschaft gestaltet werden.

Stichprobe und Design

Als Forschungszugang wird die Situationsanalyse durch Videografie dokumentierter, nicht inszenierter Morgenkreise gewählt. Die Videografie als Methode zielt auf die „Untersuchung sozialer Situationen“ (Tuma & Schnettler, 2019, S. 1192). Durch die Möglichkeit, sich die beobachteten Situationen wiederholt anzusehen, unterstützt die Videografie die Rekonstruktion der sozialen Wirklichkeit (Tuma & Schnettler, 2019, S. 1192) und die Feinanalyse von Interaktionsprozessen (König, 2013, S. 820). Das Datenmaterial umfasst je zwei Morgenkreise von 11 pädagogischen Fachkräften, an denen überwiegend Kinder im Alter von drei bis sechs Jahren teilnehmen. Die 22 Morgenkreise von zehn unterschiedlichen Kindergruppen wurden zwischen 2020–2021 in Berlin und Brandenburg gefilmt.

Die Videografie ermöglicht hier die systematische Erfassung der Entscheidungsprozesse im Morgenkreis sowie die Analyse dieser in Hinblick auf die Beteiligung aller teilnehmenden Kinder. Im Mittelwert nahmen acht Kinder an einem Morgenkreis teil (Minimum = vier Kinder, Maximum = 14 Kinder). Die ökologische Validität (Döring und Bortz, 2016, S. 198) wird durch ein Kurzinterview (Helfferich, 2011) mit den beteiligten Fachkräften sichergestellt.

Auswertungsmethode

Die systematische Analyse des Materials erfolgt durch eine strukturierende qualitative Inhaltsanalyse angelehnt an Mayring (Mayring, 2015; Mayring, Gläser-Zikuda & Ziegelbauer, 2005) auf Grundlage eines theoriegeleiteten Kodierleitfadens. Die Verwendung von Kategorien ermöglicht eine nachvollziehbare Interpretation des Videomaterials, lassen eine Vergleichbarkeit aller Beobachtungen zu und dienen der Systematisierung der Erkenntnisse (Mayring, 2015).

Die Inhaltsanalyse wird computergestützt mit Hilfe der Software MAXQDA direkt am Videomaterial durchgeführt. Für die Bestimmung der Intercoder-Übereinstimmung wurde am Ende der Auswertungsphase eine Zufallsstichprobe von 27 Prozent der Morgenkreise (n = 6) gezogen und durch eine externe, geschulte Expertin überprüft. Die durchschnittliche Intercoder-Reliabilität nach Holsti (1969) ist 0,89 mit einer Spannweite von 0,87 bis 1 zwischen den einzelnen Kategorien. Die anderen Morgenkreise wurden von mindestens zwei Forscher_innen aus dem Projekt kodiert, um die Reliabilität der Dateninterpretation weiter abzusichern (Mayring et al., 2005, S. 6).

Die Analyseeinheiten des Datenmaterials sind alle Entscheidungssituationen, die für die Gruppe bzw. Kitagemeinschaft getroffen werden. Diese werden dahingehend unterschieden, ob sie sich auf die Gestaltung des Tagesablaufs bzw. Miteinanderlebens oder einen Wechsel der Gruppenaktivitäten, die im Morgenkreis stattfinden, bzw. deren Gestaltung, beziehen (s. Tabelle 1). Die Gruppenaktivitäten wurden in einer Voranalyse, angelehnt an Burghardt und Kluczniok (2020), bestimmt. In einem Morgenkreis fanden durchschnittlich sechs Aktivitäten statt (Minimum = zwei Aktivitäten, Maximum = 13 Aktivitäten).

Tabelle 1 Analysierte Entscheidungssituationen im Morgenkreis

Für die Auswertung der erhobenen Daten wurde deduktiv ein Kategoriensystem entwickelt, um Videosequenzen mit ähnlichem Bedeutungsinhalt zusammenzufassen. Für die Erfassung der Beteiligung der Kinder wurde eine Hauptkategorie auf Grundlage der Partizipationsleiter von Wright et al. (2010) entwickelt und die verschiedenen Beteiligungsstufen für Entscheidungen im Morgenkreis modifiziert. Das Stufenmodell ist hierarchisch aufgebaut (s. Abbildung 1).

Abbildung 1 Kategorie Beteiligung der Kinder (in Anlehnung an Wright et al., 2010, S. 42).

Auch in den Vorstufen der Partizipation werden die Kinder bereits in den Entscheidungsprozess einbezogen. Die einzelnen Unterstufen der Partizipationsleiter entsprechen den Unterkategorien des Kodierleitfadens. Bei den Vorstufen der Partizipation wurde die Stufe Vorgefertigte Mitbestimmung induktiv aus dem Material gebildet, da ein wiederkehrendes Muster war, dass die Fachkräfte die Kinder zwischen vorab vorgefertigten Vorschlägen haben auswählen lassen und sich dies nicht direkt abbilden ließ. Weiter wird hier festgehalten, ob die Kinder nur nach ihrer Zustimmung gefragt werden, also nur mit ja oder nein antworten oder tatsächlich zwischen zwei oder mehreren Vorschlägen auswählen können.

In zwei formalen Kategorien wird festgehalten, ob die Fachkraft oder ein Kind die Entscheidungssituation initiiert bzw. den Morgenkreis moderiert. Eine weitere formal-skalierende Kategorie hält fest, wie viele der Kinder an Entscheidungsprozessen mitwirken. Den Abschluss bilden zwei analytische Kategorien zur Entscheidungsmacht. In diesen wird analysiert, wie entschieden wird, welcher Teil der Kinder am Entscheidungsprozess mitwirkt und wer entscheiden darf, welcher Vorschlag umgesetzt wird. Neben einzelnen Kindern bzw. der Fachkraft wurde in letztgenannter nach Hansen et al. (2015) als Unterkategorien die Konsens- und Mehrheitsentscheidung als gängiges Entscheidungsverfahren in den Kindertageseinrichtungen übernommen.

Ergebnisse

Insgesamt ließen sich durchschnittlich fünf Entscheidungssituationen mit Kinderbeteiligung für einen Morgenkreis mit einer Spannweite von null bis 15 Entscheidungssituationen festhalten. Die Beteiligung von Kindern in den analysierten Entscheidungssituationen wird in Abbildung 2 dargestellt.

Abbildung 2 Auswertung von 102 analysierten Entscheidungssituationen mit Kinderbeteiligung in 22 Morgenkreisen.

In 144 analysierten Gruppenaktivitäten wurden bei 18,1% (n = 26) der Entscheidungssituationen zum Aktivitätenwechsel Kinder beteiligt. 80,8% (n = 21) dieser 26 Entscheidungssituationen ließen sich Vorstufen der Partizipation und 15,4% (n = 4) Stufen der Partizipation zuordnen. Überwiegend, bei 73,1% (n = 19), wurden die Kinder nach ihrer Zustimmung gefragt, ob sie eine Aktivität machen wollen.

Bei der Gestaltung ließen sich in den 144 analysierten Gruppenaktivitäten insgesamt 67 Entscheidungssituationen mit Kinderbeteiligung analysieren. Von diesen 67 Entscheidungssituationen ließen sich bei 82,1% (n = 55) Vorstufen der Partizipation und bei 17,9% (n = 12) Stufen der Partizipation festhalten.

Nur selten wurde beobachtet, dass Entscheidungen zum Tagesablauf und Miteinanderleben in Kindertageseinrichtungen getroffen werden. In sechs Morgenkreisen gab es 11 Entscheidungsprozesse zum Kita-Alltag. Bei neun wurde eine Kinderbeteiligung in Vorstufen der Partizipation festgestellt und an einem wurden die Kinder gar nicht beteiligt.

Insgesamt ließ sich für die 102 analysierten Entscheidungssituationen mit Kinderbeteiligung festhalten, dass der Anteil der Kinder, die sich an den Entscheidungssituationen beteiligten, in 42,2% bei einem Kind (43 von 102), in 49,0% bei einer Teilgruppe (50 von 102) und in 2,9% bei allen Kindern (3 von 102) lag. Wenn Kinder sich an Entscheidungssituationen beteiligten, ging das bei 83,3% von Kindern (85 von 102) aus, d.h., dass sie von sich aus Entscheidungssituationen initiierten oder auf offene Fragen an die ganze Gruppe antworteten (s. Abbildung 3).

Abbildung 3 Anteil und Form der Mitwirkung von Kindern.

Wenn Kinder verbindlich an der Entscheidungsbefugnis beteiligt wurden, was in 17 Entscheidungssituationen der Fall war, hatte bei mehr als der Hälfte ein Kind die Entscheidungsmacht inne (n = 10), 29,4% waren Konsensentscheidungen (n = 5) und 5,9% Mehrheitsentscheidungen (n = 1).

Alle Morgenkreise wurden von der Fachkraft moderiert und die Entscheidungsprozesse überwiegend auch von ihr initiiert. In 30 von Kindern initiierten Entscheidungssituationen wurden die Kinder an 24 beteiligt. Die Kinderbeteiligung wurde hier in 50,0% aller Situationen in Vorstufen der Partizipation (12 von 24) und 45,9% in Stufen der Partizipation (11 von 24) erfasst.

Übergreifend wurden drei Formen herausgearbeitet, wie partizipative Entscheidungssituationen in den analysierten Morgenkreisen hergestellt werden. Erstens von der Fachkraft partizipativ gestaltete Entscheidungssituationen. In vier Morgenkreisen von vier Fachkräften wurde im Durchschnitt eine Entscheidungssituation für alle Kinder gezielt partizipativ gestaltet. Die Kinder durften überwiegend zwischen Vorschlägen der Fachkraft auswählen. Zwei der Fachkräfte achteten dabei darauf, ob sich alle Kinder beteiligen wollten. Zweitens ließ sich eine Offenheit für von Kindern initiierte Entscheidungssituationen feststellen. Bei fünf Fachkräften führten von Kindern initiierte Entscheidungssituationen ausschließlich zu einer Beteiligung der Kinder an den Entscheidungssituationen. In zwei Morgenkreisen von zwei Fachkräften konnten die Kinder zudem mindestens drei Entscheidungssituationen initiieren und (mit-) bestimmen. Drittens ließ sich eine Tendenz beobachten, Beteiligung über die Abfrage der Zustimmung der Kinder zu einer Entscheidung zu gestalten, in neun Morgenkreisen von sechs Fachkräften wurden die Kinder mindestens dreimal danach gefragt.

Insgesamt wurden in den Entscheidungssituationen mit Kinderbeteiligung hauptsächlich Vorstufen der Partizipation identifiziert, darüber hinaus gab es in fünf Morgenkreisen von fünf Fachkräften weniger als drei Entscheidungssituationen mit Kinderbeteiligung, das heißt insgesamt wenig Mitwirkungsmöglichkeiten für Kinder.

Diskussion

Der Morgenkreis als gruppenpädagogisches Alltagsritual kann unabhängig vom jeweils gewählten Thema als Format die Möglichkeit bieten, ihn bewusst als Ort des Austauschens und der Demokratiebildung zu gestalten und Kindern so Teilhabe und -gabe am Kitaalltag konkret zu ermöglichen. Zudem wäre ebenfalls bei der Auswahl der Aktivitäten sowie Gestaltung der Aktivitäten eine Beteiligung der Kinder jederzeit möglich. Gerade wiederkehrende Abläufe in einem vertrauten Rahmen würden es den Kindern erlauben, in der Entscheidungsfindung auf bereits vorhandenes Kontextwissen zurückzugreifen und dieses erfahrungsbasiert weiterzuentwickeln.

In der vorliegenden Studie zeigt sich, dass der Morgenkreis tendenziell ein von der Fachkraft moderiertes und geleitetes Ritual mit nur teilweise gelebten Mitbestimmungsmöglichkeiten der Kinder ist. Der Morgenkreis stellt hier eher kein Format der offenen Beteiligung dar, da er nicht primär dazu genutzt wird, um sich mit den Kindern über den Kita-Alltag und das Zusammenleben auszutauschen und gemeinsam Entscheidungen zu treffen. Stattdessen finden verschiedene, mehrheitlich von der Fachkraft geplante und durchgeführte Gruppenaktivitäten statt. Die Ergebnisse knüpfen damit an den bisherigen Forschungsstand zu Morgenkreisen im deutschsprachigen Raum an (Burghardt & Kluczniok, 2020; Neumann & Hekel, 2016). Die in dieser Studie sichtbare Lücke in der Umsetzung des Anspruchs einer inklusiven Partizipation wird dadurch verstärkt, dass selten allen Kindern gezielt ermöglicht wird, sich zu beteiligen, wenn sie es wollen, um so den Zugang zu Partizipation möglichst barrierearm zu gestalten.

Aus der Perspektive einer partizipationsorientierten inklusiven Alltagsgestaltung ist die Frage nach Mitbestimmungsmöglichkeiten der Kinder auch relevant, wenn gruppenpädagogische Settings im Kita-Alltag kein Format der offenen Beteiligung sind, da auch in Morgenkreisen, die wie zum Beispiel in dieser Studie gemeinsame Gruppenaktivitäten fokussieren, Entscheidungen zu gemeinsamen Aktivitäten getroffen werden. Damit verbunden ist die weiterführende Frage, welche und wie diese Entscheidungssituationen im Morgenkreis so gestaltet werden, dass Kinder daran mitwirken können. Die herausgearbeitete Form, Kinderbeteiligung über die Abfrage der Zustimmung zu gestalten, kann diesbezüglich tendenziell als ambivalente Beteiligungspraxis bewertet werden. Es ist davon auszugehen, dass die Abfrage mit der Erwartungshaltung der Fachkräfte verknüpft ist, dass die Kinder diese bejahen. Diese Vermutung wurde durch beobachtete Entscheidungssituationen bestärkt, in denen die Kinder durch Verneinung ausdrückten, es nicht machen zu wollen, was die Fachkraft aber überging und den geplanten Ablauf fortsetzte. Diese Form der Beteiligung kann daher eher als Methode der Mobilisierung und Aktivierung der Kinder für den geplanten Ablauf gedeutet werden anstatt als echte Beteiligung.

In Bezug auf die inklusive Gestaltung von Partizipation schließen die Ergebnisse an jene der BiKA-Studie für den Krippenbereich an. Das heißt, auch im hier untersuchten Elementarbereich können tendenziell Kinder, die nicht von sich aus Entscheidungssituationen initiieren bzw. auf offene Fragen der Fachkraft sofort antworten, sich nicht beteiligen. Die Forschung zeigt eine Differenz zwischen selbstbewussten Kindern, die Eigeninitiative ergreifen können und anderen, die es nicht können, auf. Ersteres trifft oft auf Kinder zu, die gesellschaftlich bevorteilt sind und früh die Fähigkeit besitzen, ihre Interessen zu artikulieren (Hildebrandt et al., 2020, S. 68). Damit sich gesellschaftliche Ungleichverhältnisse nicht durch Partizipationsbedingungen im Kita-Alltag bereits abbilden, ist es daher wichtig, einer einseitigen Einflussnahme von nur einem Teil der Kinder entgegenzuwirken (Wagner, 2012, S. 3).

Demgegenüber steht, dass von Kindern initiierte Entscheidungssituationen häufiger zu Beteiligung von Kindern an Entscheidungen führen. Das deutet daraufhin, dass Fachkräfte durchaus bereit sind, Macht abzugeben und Kinder zu beteiligen und offen für Signale der Kinder sind, aber die Fachkräfte seltener Entscheidungssituationen von sich aus partizipativ gestalten. Es unterstreicht auch, ebenso wie die Entscheidungssituationen, die Fachkräfte gezielt partizipativ für alle Kinder gestalteten, dass es möglich ist, im Morgenkreis Raum für kindliche Teilhabe und -gabe zu öffnen.

Durch die theoriegeleitete Auswertung auf Grundlage der Partizipationsleiter von Wright et al. (2010) lässt sich für die Beteiligung von Kindern allerdings insgesamt zusammenfassen, dass die Einflussnahme der Kinder auf die Entscheidungssituation selten verbindlich gestaltet ist und es bisher wenig Situationen gibt, in denen die Kinder mit der Fachkraft gemeinsam abstimmen bzw. Kinder entscheiden können, was sie gemeinsam machen. Mit Blick auf die Forderung nach einer inklusiven und partizipationsorientierten Alltagsgestaltung des Kita-Alltags und Forderungen aus Bildungsprogrammen und Demokratiepädagogik, zeigt sich hier eine Differenz zwischen normativen Erwartungen an das professionelle Handeln und gelebtem Handeln im Kita-Alltag.

Vor dem Hintergrund der Ergebnisse wird zum jetzigen Auswertungsstand ein Sensibilisierungsbedarf in Bezug auf eine partizipationsorientierte inklusive Alltagsgestaltung von wiederkehrenden gruppenpädagogischen Settings deutlich. In Bezug auf die theoretisch postulierte Bedeutung des Morgenkreises als möglichen Ort der Demokratiebildung und Format der offenen Beteiligung im Kita-Alltag zeigen sich aber auch gleichzeitig mögliche Anknüpfungspunkte für eine professionelle Weiterentwicklung des Formats Morgenkreis auf. Neben der bewusst partizipativen Gestaltung von Entscheidungsfindungen im Kita-Alltag von Seiten der pädagogischen Fachkräfte, scheint vor allem die Förderung und Ermutigung aller Kinder zur Beteiligung, unabhängig davon, ob Kinder die Entscheidungssituationen selbst initiieren, bedeutsam zu sein.

Literatur