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Published Online:https://doi.org/10.1026/2191-9186/a000294

Sowohl international als auch national wird die Zusammenarbeit mit Erziehungsberechtigten (kurz: Eltern) bzw. Familien in Kindertageseinrichtungen als zentraler Standard für (früh-)pädagogisches Handeln beschrieben (Wissenschaftlicher Beirat für Familienfragen, 2005; Cloos & Karner, 2010; MacNaugthon & Hughes, 2011; Fröhlich-Gildhoff, 2013; Betz, 2015). Sie ist zentraler Bestandteil der Bildungs- und Erziehungspläne der einzelnen Bundesländer und wird fachwissenschaftlich als notwendige Voraussetzung angesehen, Bildungsprozesse in Kindertageseinrichtungen und Familie anschlussfähig zu gestalten sowie Bildungssettings und informelle Lernwelten miteinander zu verknüpfen (BMFSFJ, 2005). Durch eine wechselseitige Verstärkung sollen größere Lernerfolge bei den Kindern erzielt werden.

Bildungspolitisch wird eine verstärkte Zusammenarbeit mit den Eltern mit der These von der „Erziehungsmächtigkeit der Familie“ (Liegle, 2009, S. 100) und den Grenzen der Wirkung öffentlicher Erziehung begründet. Insbesondere im Anschluss an internationale Studien, wie z.B. NICHD Early Child Care Research Network (2002) oder Sylva, Melhuish, Sammons, Siraj-Blatchford und Taggart (2004), wird die Familie als die entscheidende Bildungsinstitution für Kinder für die Herausbildung grundlegender, für die Schule bedeutsamer Fähigkeiten und betont.

Neben einer allgemeinen Zusammenarbeit mit Eltern wird Kindertageseinrichtungen zunehmend deutlicher die Aufgabe zugewiesen, durch die verstärkte Zusammenarbeit mit den Eltern herkunftsbasierte Bildungsungleichheiten abzumildern (Betz, 2015). Damit geraten Eltern in doppelter Weise in den Blick frühpädagogischer Ansinnen: zum einen als zentrale Akteure einer elementaren Bildung, mit denen notwendigerweise zusammengearbeitet werden muss; zum anderen als Gruppe, die, damit sie die notwendigen Voraussetzungen für gelungene Bildungsbiografien der Kinder schafft, mit den öffentlichen Bildungsinstitutionen zusammen zu arbeiten hat. Damit werden Eltern im Kontext der Zusammenarbeit mit frühpädagogischen Fachkräften in doppelter Weise adressiert.

Hinzu tritt ein dritter Aspekt: Für die psychische Entwicklung der Kinder ist es bedeutsam, dass Eltern und pädagogische Fachkräfte kooperieren, somit das „Beziehungsdreieck“ möglichst ausbalanciert ist und die Kinder nicht in einen Loyalitätskonflikt zwischen Bezugspersonen geraten (vgl. Fröhlich-Gildhoff, 2013, S. 361).

Ob und wie eine partnerschaftliche Zusammenarbeit herzustellen ist, wird kontrovers diskutiert: Im 12. Kinder- und Jugendbericht wird die Partnerschaft programmatisch gefordert (BMFSFJ, 2005), und aktuelle Studien zeigen, dass die Eltern zwar mit den pädagogischen Fachkräften in Kindertageseinrichtungen weitgehend zufrieden sind und deren Rat schätzen (Friederich, 2011; Fröhlich-Gildhoff, Kraus-Gruner & Rönnau, 2006). International zeigt sich hingegen, dass eine große Lücke zwischen den Ansichten und Anliegen der pädagogischen Fachkräfte und der Eltern besteht und Letztere oftmals nicht die Möglichkeit haben sich einzubringen. Fachkräfte und Eltern erkennen, dass die Etablierung einer positiven und effektiven Kommunikation eine große Herausforderung dar- und sich nicht selbstläufig herstellt (MacNaugthon & Hughes, 2011). Dies bestätigen auch Studien, die empirisch beobachten konnten, wie im Vollzug die Zusammenarbeit z.B. in Elterngesprächen realisiert wird (Urban et al., 2015).

Für die Frühe Bildung ist die Zusammenarbeit mit Eltern als Programm konzeptionell weitgehend ausgearbeitet, auch liegen einige wenige Beiträge zu ihrer grundlegenderen theoretischen Verankerung vor (Betz, 2015; Fröhlich-Gildhoff, 2013). Ebenso gibt es Konzepte zur Aus- und Weiterbildung pädagogischer Fachkräfte (WiFF, 2011; Fröhlich-Gildhoff, Pietsch, Wünsche & Rönnau-Böse, 2011) oder zu ‚Spezialthemen‘ wie den Kursen zur Stärkung elterlicher Erziehungskompetenzen.

Allerdings fehlt es noch an einer breiteren Basis, durch die das Programm einer veränderten und intensivierten Zusammenarbeit mit Eltern noch empirisch besser abgesichert oder modifiziert werden könnte. Hierbei lohnt es sich zu überprüfen, inwieweit die u.a. durch die Bildungspläne gesetzten Standards für die Zusammenarbeit mit Eltern das Potential haben, eine Orientierung für die pädagogischen Fachkräfte zu liefern. Hier setzt der Beitrag von Tanja Betz und Nicoletta Eunicke an. Er präsentiert Ergebnisse einer inhaltsanalytischen Auswertung aller Erziehungs- und Bildungspläne der Bundesländer und fragt, wie dort die Zusammenarbeit zum Wohl der Kinder entworfen wird und dabei Kinder mit ihren Interessen einbezogen werden. Sie kommen zu dem Schluss, dass die Pläne für die Fach- und Lehrkräfte eher verunsichernde als orientierende Grundlagen schaffen, weil entgegen bildungspolitischer Entwürfe von Kindern als (zu beteiligende) Akteure diese in den Plänen eher als Objekte des Handelns Erwachsener konzeptualisiert werden.

Neben der Überprüfung der bildungspolitischen Rahmungen lohnt insbesondere eine themenspezifische Vertiefung in Bezug auf die Zusammenarbeit mit Eltern. Der Schwerpunkt des Heftes liegt insbesondere auf solch einer themenspezifischen Vertiefung in Bezug auf die Anforderungen an die Zusammenarbeit. Eine erste solche Vertiefung nimmt der Beitrag von Beate Vomhof vor, wenn er die Orientierungsmuster frühpädagogischer Fachkräfte zur Zusammenarbeit im Kontext von Sprachfördermaßnahmen untersucht. Die Sprachförderung und -bildung wird bildungspolitisch und fachwissenschaftlich als zentraler Schlüssel zu späterem Bildungserfolg angesehen. Dabei zeigt sich, dass die Zusammenarbeit mit Eltern einen wesentlichen Einfluss auf dem Erfolg von Sprachförderung und –bildung hat. In diesem Zusammenhang untersucht Vomhof die Frage, welche Einstellungen Fachkräfte zur Zusammenarbeit haben und welche Orientierungen das Handeln von frühpädagogischen Fachkräften im Kontext kompensatorischer Sprachfördermaßnahmen strukturieren.

Eine zweite Vertiefung nimmt der Beitrag von Andreas Wildgruber, Wilfried Griebel, Julia Held & Andrea Schuster vor, die das Schwerpunktthema Zusammenarbeit mit Eltern im Kontext der Transition von Kindern in die Schule diskutieren. Die Autor_innen gehen dabei der empirisch noch kaum beleuchteten Frage nach, wie Eltern von Kindergartenkindern zu Eltern von Schulkindern werden und wie sie den Übergang bewältigen. Dabei vergleichen Sie die Aussagen von Eltern die meinen, unterschiedlich gut den Übergang zu Eltern eines Schulkindes bewältigt zu haben

Der letzte Schwerpunktbeitrag von Tanja Jungmann, Katja Koch und Julia Böhm widmet sich schließlich den Verhaltensauffälligkeiten in Kindertagesstätten aus der z.T. unterschiedlichen Perspektive von Eltern und Fachkräften. Es werden Implikationen für die Professionalisierung von pädagogischen Fachkräften für die Zusammenarbeit mit den Eltern herausgearbeitet.

Die Artikel des Schwerpunktes können insgesamt einen Beitrag zur weiteren Klärung der Frage leisten, wie das Konstrukt der Zusammenarbeit mit Eltern in der frühpädagogischen Praxis umgesetzt wird; die themenspezifischen Verknüpfungen liefern hier neue Einblicke. Darüber können die Artikel aus einer empirisch-kritischen Perspektive dazu beitragen, zentrale Grundannahmen des Konstrukts der Zusammenarbeit zu hinterfragen. Sie stellen Impulse für eine empirische Fundierung dar – zugleich wird deutlich, dass die wissenschaftliche Untersuchung der Zusammenarbeit von pädagogischen Fachkräften und Eltern bzw. Familien erst am Anfang steht.

Literatur

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