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Open AccessOriginalarbeit

Wie kann die Psychologie die Psychotherapie verbessern?

Entwicklungsperspektiven translationaler Psychotherapieforschung

Published Online:https://doi.org/10.1026/0033-3042/a000662

Abstract

Zusammenfassung:Theoretischer Hintergrund: Angesichts der wachsenden Bedeutung der Psychotherapie als Anwendungsbereich der Psychologie wird Grundlagenwissen in der Psychotherapieforschung immer noch zu wenig berücksichtigt. Die vorliegende Studie verfolgte die Frage, welche Potenziale und Hindernisse translationaler Psychotherapieforschung aus der Sicht von Hochschullehrer_innen gesehen werden. Dieser Frage ging eine qualitative Studie nach, in der vorgegebene Themen in Fokusgruppen diskutiert und die Diskussionsbeiträge qualitativ ausgewertet wurden. Methode: Nach inhaltlicher Diskussion innerhalb der PSYCHANGE-Forschungsgruppe der Universitäten Gießen, Marburg und Frankfurt wurde ein Interviewleitfaden entwickelt, der drei Forschungsfragen für die Fokusgruppen enthielt: 1. Wie können Grundlagenerkenntnisse besser in psychotherapeutische Interventionen transferiert werden? 2. Wie kann die Kommunikation und Kooperation zwischen grundlagenorientierten und klinischen Forscher_innen gefördert werden? 3. Wie kann die Rückkopplung klinischer Erkenntnisse zu den Grundlagen verbessert werden? Mit 24 Professor_innen und 7 Nachwuchswissenschaftler_innen der beteiligten drei Psychologischen Institute wurden insgesamt 8 Fokusgruppen durchgeführt, in denen Vertreter_innen aus psychologischen Grundlagenfächern und klinischen Anwendungsbereichen vertreten waren. Die Audioaufnahmen der online durchgeführten Fokusgruppen wurden transkribiert und von zwei unabhängigen Rater_innen analysiert. Die Interrater-Übereinstimmung betrug hinsichtlich der Kodierungen identifizierter Texteinheiten 73 % und den hieraus abgeleiteten Oberkategorien 100 %. Ergebnisse: Es wurden acht Kategorien zu Potenzialen und Hindernissen translationaler Psychotherapieforschung identifiziert: Kommunikation, Gemeinsame Forschung, Methodennutzung / -weiterentwicklung, Strukturelle / hochschulpolitische Faktoren, Translation vermitteln / lernen, Anwendungsperspektiven, Rechtliche Barrieren, Motivationale und sonstige Einflüsse. Zusätzlich wurden die spezifischen Translationspfade analysiert. Am häufigsten wurde die Translation von den Grundlagenfächern der Psychologie in die Psychotherapieforschung und in die klinisch-psychologischen Grundlagen angesprochen. Am seltensten wurde die Translation von den Grundlagen in die Klinische Praxis und von der Klinischen Praxis in die Psychotherapieforschung benannt. Schlussfolgerung: Die Ergebnisse der Befragung sprechen dafür, Translation im Kontext universitärer Lehre im Fach Psychologie, in den Gremien und Forschungsgruppen an psychologischen Instituten, sowie in den Gremien von Projektträgern zu thematisieren und zu fördern.

How Can Psychology Improve Psychotherapy? Development Perspectives of Translational Psychotherapy Research

Abstract:Theoretical background: Because of psychotherapy’s growing importance as an application area of psychology, psychotherapy research still pays little attention to basic psychological science. The present study focused on the potentials and obstacles of translational psychotherapy research from the perspective of professors and early-career scientists in psychology. We addressed this question in a qualitative study in which focus groups discussed predefined topics and then analyzed the discussion using qualitative methods. Method: The PSYCHANGE research group of the Universities of Giessen, Marburg, and Frankfurt developed interview guidelines including three questions for the focus groups: 1. How can basic psychological science be better transferred into psychotherapeutic interventions? 2. How can communication and cooperation be promoted between basic psychological and clinical researchers? 3. How can feedback from clinical findings improve basic psychological research? We conducted 8 focus groups with 24 professors and 7 early-career scientists from basic and clinical disciplines of psychology. Two independent raters transcribed and analyzed the audio recordings of the focus groups, consisting of postdocs from clinical psychology. Interrater agreement was 73 % for the codes of identified text units and 100 % for the derived supercategories. Results: We identified eight categories regarding the potentials and barriers of translational psychotherapy research: communication, collaborative research, use / development, structural / political factors, teaching / learning translational research, application perspectives, legal barriers, motivational and other influences. Of the 12 possible translation pathways, translation from experimental psychology to psychotherapy and clinical psychological research were most frequently addressed; translation from basic to clinical practice and from clinical practice to psychotherapy research were least frequently mentioned. Conclusion: The results of the survey support addressing and promoting translation in the context of university teaching of psychology, in committees and research groups at psychological departments, and in the committees of project sponsors.

Translationale Forschung ist in der Medizin zu einem zentralen Schlagwort für die Übersetzung von Grundlagenforschung in neue, effektive Behandlungsformen geworden. Der Begriff „translational“ wurde erstmals 1993 verwendet, um Erkenntnisse aus der genetischen Forschung bei der Früherkennung und Behandlung von Brustkrebs anzuwenden (Butler, 2008). Ab der Jahrtausendwende stieg die Zahl der Publikationen sprunghaft an und translationale Forschung bildet heute einen etablierten Bereich in der Medizin (s. Abbildung 1, oben). Auch in der Psychiatrie ist eine rapide Zunahme an translationaler Forschung zu verzeichnen und durch Gründung einer eigenen Zeitschrift Translational Psychiatry 2011 dokumentiert (s. Abbildung 1, Mitte). Im Vergleich zu dieser dynamischen Entwicklung in der Medizin ist der internationale Trend in der Psychologie, bezogen auf die Psychotherapie, deutlich langsamer (s. Abbildung 1, unten). Ein 2014 gegründetes Journal Translational Issues in Psychological Science enthält fast keine Beiträge zur Psychotherapie bzw. psychologischen Interventionen.

Abbildung 1 Anzahl der PubMed-Publikationen mit den Stichwörtern „Translational“ und „Medicine“ (links), „Translational“ und „Psychopharmacological“ oder „Psychopharmacotherapy“ oder „Antidepressants“ (Mitte), und „Translational“ und „Psychotherapy“ oder „Psychogical Intervention“ (rechts).

Ursprünglich wurde in der Medizin unter translationaler Forschung ein zunächst unidirektionaler Transfer vom Labor in die klinische Anwendung („bench to bedside“), später dann ein bidirektionaler Austausch verstanden, in dem auch Erkenntnisse aus der klinischen Anwendung wieder auf die Grundlagenforschung zurückwirken. Neuere Definitionen erweitern den Translationsprozess auch auf die Interessensgruppen im Gesundheitswesen, d. h. Patienten, „Gesunde“ und klinische Anwender (Cohrs et al., 2015). Überträgt man diese erweiterte Definition auf die Psychotherapie, so stellt translationale Forschung einen wechselseitigen Austausch zwischen psychologischer und klinisch-psychologischer Grundlagenforschung, Psychotherapieforschung und psychotherapeutischer Praxis dar (s. Abbildung 2).

In der deutschsprachigen Psychologie ist es vor allem Klaus Grawe gewesen, der mit dem „Entwurf einer allgemeinen Psychotherapie“ (Grawe, 1998; 1999) eine Bezugnahme der Psychotherapie auf den aktuellen Stand der wissenschaftlichen Psychologie und Abkehr von empirisch wenig validierten Behandlungstheorien traditioneller Schulen eingefordert hat. Durch die Etablierung von Hochschulambulanzen an Psychologischen Instituten im Zuge des Psychotherapeutengesetzes von 1999 wurde ein erster Schritt vollzogen, um die strukturellen Voraussetzungen für Psychotherapieforschung an den psychologischen Instituten zu schaffen (Fydrich & Unger, 2013). Die Grundposition, Psychotherapieforschung aus der Psychologie als „Mutterwissenschaft“ abzuleiten (Wittchen & Rief, 2015), wurde auch durch den Wissenschaftsrat 2018 bestätigt (Wissenschaftsrat, 2018). Dieser Anspruch bleibt jedoch weiterhin eine wissenschaftliche Herausforderung, sowohl bezüglich der Erklärung von psychischer Störung und Gesundheit als auch der Ableitung effektiverer präventiver und therapeutischer Interventionen (Wittchen, Härtling & Hoyer, 2015; Flor, 2015).

Translation bietet für Psychologie und Psychotherapie gleichermaßen enorme Möglichkeiten, die aufgrund der historisch getrennten Entwicklung beider Bereiche weitgehend noch nicht genutzt wurden. Durch die Übertragung der Ergebnisse experimenteller Grundlagenforschung ergeben sich vielfältige Anregungen für die Entdeckung von Wirkmechanismen, deren Umsetzung in entscheidendem Maße zur Entwicklung neuer oder Optimierung vorhandener Interventionen beitragen kann. Paradigmatisch hierfür sind Ergebnisse der Gedächtnisforschung: z. B. kann unmittelbar nach einem Trauma durch eine gezielte Implementierung kompetitiver sensorisch-perzeptiver, visuell-räumlicher Bilder mit Hilfe von Videospielen die Entwicklung von „flash-backs“ signifikant gehemmt werden (Holmes et al., 2009).

Abbildung 2 Translationale Psychotherapie-Forschung als Austausch zwischen unterschiedlichen Forschungsbereichen der Psychologie

Je präziser relevante Mechanismen und Prozesse erfasst werden können, desto mehr müsste die Psychotherapie dadurch profitieren können. Umgekehrt können durch Erkenntnisse aus der Modulation psychologischer Prozesse im klinischen Kontext auch Rückschlüsse gewonnen werden, die zu einer Schärfung und Veränderung der zugrundeliegenden psychologischen Modelle führen können. Als Beispiel hierfür sind die aus der klinischen Forschung hervorgegangenen Ergebnisse zur Bedeutung von Emotionsregulation und adaptiven vs. maladaptiven Regulationsstrategien für die experimentalpsychologische Forschung (z. B. Barnow, 2020) zu nennen.

Betrachtet man den aktuellen Stand translationaler Forschung aus klinisch-psychologischer Sicht, so ist die Bilanz im Hinblick auf innovative Entwicklungen aktuell eher ernüchternd. Ehring et al. (2022) kategorisierten in internationalen Leitlinien empfohlene Interventionen hinsichtlich der Verbindung zur Grundlagenforschung. Sie fanden, dass von 40 Interventionsformen, die für fünf stark beeinträchtigende Störungen empfohlen wurden, nur 23 % in einem sehr engen Zusammenhang zu grundlegenden psychologischen Prozessen entwickelt wurden. Darüber hinaus gibt es nur wenige Arbeiten, die sich mit translationaler Psychotherapieforschung befassen (Stice & Jansen, 2018; Richter et al., 2017; Krampen & Perrez, 2015). Das Forschungsgebiet scheint fragmentiert und es existiert keine einheitliche Nomenklatur (Bittermann et al., 2024).

Der eher zögerliche Austausch zwischen psychologischen Grundlagenfächern und Psychotherapieforschung ist aus unserer Sicht unter anderem durch drei Faktoren begründet:

1. Ein zentrales Paradigma für Translation wird von der Verhaltenstherapie mit der starken Verwurzelung in der Lerntheorie repräsentiert. Hiervon abgesehen, hat Psychotherapieforschung jedoch eine längere Tradition außerhalb der Psychologie: von den kulturell verankerten Heilpraktiken über Hypnose und Psychoanalyse ist die Psychotherapie stark in das Krankheitsmodell der Medizin eingebunden (Wampold, 2001) und hat sich unter dem Einfluss der verschiedenen psychotherapeutischen Schulen eher als eigenständiges Wissenschaftsfeld definiert (Lutz et al., 2021). Vielen Begründern einzelner Psychotherapieschulen / -theorien war oft wenig daran gelegen, das eigene Theoriegebäude mit der psychologischen Grundlagenpsychologie einem kritischen Diskurs auszusetzen.

2. Ein weiteres Hindernis in der Zusammenarbeit psychologischer Grundlagen- und Anwendungsdisziplinen wurde in den unterschiedlichen Zielen und zugrunde liegenden Wertorientierungen gesehen. Während die Forschung in den Grundlagendisziplinen vor allem auf eine Prüfung von Theorien abzielt, ist die Anwendungsforschung vor allem an der Erforschung der Wirkung von Technologien unter spezifischen Rahmenbedingungen interessiert (Kanning et al., 2007; Wottawa, 2007).

3. In das Konzept von translationaler Psychotherapieforschung ging implizit häufig die Vorannahme ein, dass vor allem neurobiologische Forschung zum Fortschritt der Psychotherapie beiträgt (Grawe, 2004; Kumsta, 2019; Faustino, 2022). Diese Eingrenzung auf biologische Grundlagen ist vor dem Hintergrund der Dominanz der Neurowissenschaften und auch der biologisch ausgerichteten Psychiatrie zu erklären. Dennoch sind in den zuvor beschriebenen Positionen vor allem die Translation aus den psychologischen Grundlagenfächer angesprochen, die es generell schwer hat, sich gegenüber der neurobiologischen Orientierung zu behaupten (Bermeitinger et al., 2016; Almeida, 2022).

Vor dem Hintergrund des potentiellen Nutzens translationaler Forschung für die Psychotherapie einerseits und deren geringen Umsetzung in der Forschungspraxis andererseits wurde in der vorliegenden Studie der Frage nachgegangen, welche Potenziale und Hindernisse aus der Sicht von Hochschullehrer_innen und Nachwuchswissenschaftler_innen identifiziert werden können, um Translation besser fördern zu können. Hierzu wurden Grundlagen- und Psychotherapieforscher_innen aus den drei psychologischen Instituten der Universitäten Marburg, Gießen und Frankfurt in gemischten Fokusgruppen durch offen formulierte Fragen zu einer möglichst breiten Diskussion angeregt und die Antworten qualitativen Analysen unterzogen. Zusätzlich wurde ausgewertet, welche Verbindungen zwischen den verschiedenen Forschungsbereichen (psychologische vs. klinische Grundlagen, Psychotherapieforschung vs. klinische Praxis) der Psychologie und Psychotherapie gezogen wurden.

Methode

Design

Die vorliegende Studie verfolgt einen qualitativen explorativen Ansatz in Form von moderierten Fokusgruppen, die spezifische Fragestellungen zum Thema Translationale Psychotherapie‍(forschung) diskutierten. Aufgrund des Defizits an wissenschaftstheoretischen und empirischen Untersuchungen fehlen Methoden und Erkenntnisse, welche Faktoren Translationsprozesse zwischen der Psychologie und der Psychotherapieforschung beeinflussen. Daher haben wir uns dazu entschieden, Erklärungen aus der Perspektive von Professor_innen und Nachwuchswissenschaftler_innen in Fokusgruppen diskutieren zu lassen und diese qualitativen Inhaltsanalysen zu unterziehen, um relevante Dimensionen von Translationsprozessen zu identifizieren. Es wurde daher für die Inhaltsanalyse ein induktives, exploratives Vorgehen gewählt, um neue Aspekte von Translation zu entdecken und die Aussagen der Teilnehmer_innen spezifischen Themen zuordnen zu können (Strauss & Corbin, 1996). Der Themenleitfaden wurde auf der Grundlage der Forschungsziele entwickelt, wobei jeder der Fragestellungen jeweils etwa der gleiche Anteil an der Dauer der gesamten Sitzung (60 Minuten) zugewiesen wurde. Um eine möglichst breite Diskussion anzuregen und explorativ neue Erkentnisse zu translationaler Psychotherapie gewinnen zu können, wurden folgende Fragestellungen eingebracht und von den Teilnehmenden diskutiert:

1. Wie können Grundlagenerkenntnisse besser in psychotherapeutische Interventionen transferiert werden? Welche Schritte und Prozesse sind hierfür notwendig?

2. Wie kann die Kommunikation und Kooperation zwischen grundlagenorientierten und klinisch-psychologisch ausgerichteten Forscher_innen gefördert werden, um gemeinsam relevante Themen zu bearbeiten?

3. Wie kann eine Rückkopplung klinischer Erkenntnisse zu den Grundlagen funktionieren?

Teilnehmer_innen

Wir rekrutierten aus drei Instituten für Psychologie der Universitäten Marburg, Gießen und Frankfurt insgesamt 24 Professor_innen und 7 Post-Docs, die in den Grundlagendisziplinen und unterschiedlichen Schwerpunkten der Klinischen Psychologie und Psychotherapie tätig sind. Insgesamt wurden 8 Fokusgruppen gebildet mit den Schwerpunkten Translation aus Sicht der 1) Kognitionspsychologie, 2) Entwicklungspsychologie, 3) Klinische Psychologie und Psychotherapie, 4) Neurobiologie- und Neurokognitionswissenschaft, 5) Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie, 6) Psychologischen Methoden und interdisziplinären Forschungs-methodik, 7) Sozial- und Wirtschaftspsychologie und 8) Nachwuchwissenschaftler_innen. Die Fokusgruppengröße bestand aus je 4 Personen, um den Teilnehmenden ausreichend Zeit [5 Minuten] zu geben, ihre Standpunkte zu den drei Fragen zu nennen, in Austausch zu treten und einer Sättigung / Saturation an gewonnenen Informationen und Erkenntnissen vorzubeugen (Lettau & Breuer, 2012). Alle Sitzungen der Fokusgruppen wurden von drei Co-Autor_innen (V.R., A.H., M.A.M., M.B.) moderiert. Aus Termingründen wurden zusätzlich mit 2 Vertreter_innen Einzelinterviews durchgeführt. Diese Einzelinterviews wurden mit den Interviews in den Fokusgruppen gleichgesetzt. Die Resumées der einzelnen Fokusgruppen wurden am 01. 07. 22 auf einem Symposium („Wie kann die Translation zwischen Grundlagen- und Anwendungsfächern der Psychologie verbessert werden?“) des Forschungsverbundes „PsyChange“ der drei beteiligten Universitäten in Gießen vorgestellt und diskutiert.

Datenanalyse

Die Sitzungen wurden aufgezeichnet, mit der webbasierten Transkriptionssoftware Trint wortwörtlich transkribiert und bei Transkriptionsfehlern händisch nachtranskribiert. Die Transkriptionen wurden von zwei unabhängigen Raterinnen mit Erfahrung in qualitativer Datenanalyse (J.Z., K.M.) unabhängig voneinander mit der Software MAXQDA (Version Release 22.4.0, Build 221202; Firma VERBI) kodiert und analysiert. Die Raterinnen wurden in der Anwendung der Transkriptionssoftware sowie der Software MAXQDA trainiert [und folgten den Regeln der computerunterstützten Auswertung (Kuckartz, 2007)]. Darüber hinaus erhielten sie Supervision durch eine erfahrene qualitative Forscherin (M.H.) mit Expertise im Bereich qualitative Datenanalyse. Es wurde durch beide Raterinnen eine Probe / Pilotanalyse einer 25-minütigen Gesprächssequenz eines Einzelinterviews vorgenommen. Im Anschluss daran fand ein einstündiges Konsensmeeting zum Austausch über die jeweiligen Kodierungen statt. Danach erfolgte die unabhängige Kodierung der einzelnen Fokusgruppen. Die unabhängige, neutrale qualitative Forscherin (M.H.) nahm an allen Konsensmeetings teil, um die Kodezuordnungen und die spätere Kategorienbildung zu begleiten und zu supervidieren. Sie hatte dabei keinen Einfluss auf den Prozess und diente der objektiven und transparenten Kontrolle.

Die Auswertung der Daten erfolgte nach der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring (Mayring & Fenzl, 2019). Im ersten Schritt wurden die Interviews mit der webbasierten Transkriptionssoftware Trint wortwörtlich transkribiert, bei Transkriptionsfehlern händisch nachtranskribiert und zusammengefasst. In Anlehnung an Mayring (2010) wurde zunächst ein induktiver, thematischer Analyseansatz verfolgt, bei dem die Einordnung von Aussagen auf der Grundlage der vorgegebenen Fragen vorgenommen wurde. Die zwei unabhängigen Raterinnen lasen die Transkripte, um aus den Aussagen Themen zu identifizieren. Wiederkehrende Themen wurden unter demselben Code gruppiert, bis allgemeine Themenmuster identifiziert waren. Anschließend trafen sich die zwei unabhängigen Raterinnen [unter Einbezug der unabhängigen Supervisorin], um die bis dahin verwendeten Codes zu besprechen, zu konsolidieren und die bis dahin erstellte Liste von Codes zu überarbeiten, die für eine weitere Kodierungsrunde verwendet wurde. Es folgten mehrere Konsens-Meetings, um ein Code Book zu erstellen.

Danach erfolgte eine deduktive Kategorienbildung anhand der Codes, die acht Dimensionen bzw. Kategorien ergaben. Die Fokusgruppen wurden unabhängig untersucht und die Zugehörigkeit der Codes zu den Kategorien wurde unabhängig von beiden Raterinnen eingeordnet. Dies entspricht dem empfohlenen Vorgehen der offenen Kodierung, bei dem einzelne Phänomene zu Konzepten und Konzepte zu Kategorien zusammengefasst werden (Strauss & Corbin, 1996). Dabei wurden Einzelnennungen nur dann mit aufgenommen, wenn sie widersprüchlich zu den anderen Aspekten waren, um die Übersichtlichkeit bei großen Datenmengen zu wahren mit dem Ziel, wissenschaftliche Übereinstimmungen herauszuarbeiten. Bei den Kodierungen wurden konsensuelle Entscheidungen nach Hopf und Schmidt (1993) angestrebt, wonach alle Transkripte zunächst unabhängig voneinander kodiert und die Kodierungen anschließend in gemeinsamen Treffen miteinander verglichen und diskrepante Einschätzungen diskutiert wurden.

Mithilfe des MAXQDA Programms wurde die Interrater-Übereinstimmung für alle in den Fokusgruppen vergebenen Codes berechnet. Die Prüfung der Übereinstimmung erfolgte mittels Evaluation der kodierten Segmente der beiden unabhängigen Raterinnen. Die Interrater-Übereinstimmung betrug hinsichtlich der identifizierten Texteinheiten 73 %. Nach dem letzten Konsensmeeting wurden acht Kategorien abgeleitet, und die Codes der beiden Rater eingeordnet. Es ergab sich eine 100 % Interrater-Übereinstimmung hinsichtlich der abgeleiteten Kategorien. Die Translationspfade wurden gemäß Translationsmodell (Abb. 2) eingeschätzt, wobei diese von Raterin 1 im Hinblick auf bestehende Translationspfade und („Ist“) und Raterin 2 bezüglich zukünftiger Entwicklungen von Translationspfaden („Soll“) eingeschätzt wurden. Der Anteil der auf spezifische Translationspfade bezogenen Statements wurde in % angegeben. Dabei wurde zwischen Einflussrichtungen (z. B. von psychologischer Grundlagenforschung zu klinisch-psychologischer Grundlagenforschung) differenziert.

Ergebnisse

Von den beiden Raterinnen wurden insgesamt 1427 (Ra‍terin 1) bzw. 998 (Raterin 2) Textstellen identifiziert, die übereinstimmend acht Kategorien zugeordnet werden können (s. Tabelle E1, Elektronisches Supplement).

Die erste Frage lautete: „Wie können Grundlagenerkenntnisse besser in psychotherapeutische Interventionen transferiert werden? Welche Schritte und Prozesse sind hierfür notwendig?“

Die hierzu genannten Aussagen der Befragten wurden fünf Kategorien zugeordnet:

  • Methodennutzung und -weiterentwicklung: die Aussagen bezogen sich auf methodische Voraussetzungen (z. B. Institutionelle Methodenberatung) und Barrieren (z. B. zu wenig anwenderfreundliche statistische Methoden, Unterschiedliche Vorgehensweisen);
  • Strukturelle und hochschulpolitische Faktoren: diese Kategorie umfasst förderliche (z. B. finanzielle Anreize wie Drittmittel oder Stipendien) und hinderliche (z. B. fehlende Zeit, befristete Arbeitsverträge) Faktoren;
  • Translation vermitteln / lernen: Aussagen dieser Kategorie beziehen sich auf Notwendigkeiten der Translationsvermittlung (z. B. Integration in universitäre Lehre, Nachwuchsförderung) und Barrieren (z. B. fehlendes Wissen zu den Ursachen von Störungen oder Wirkmechanismen von Behandlungen);
  • Anwendungsperspektiven von Translation: diese Kategorie umfasst neben Schwierigkeiten (Replikationskrise) Aussagen zu translationsförderlichen Maßnahmen wie z. B. Wissenstransfer und Open Science;
  • Rechtliche Barrieren: hier sind einige hochschulrechtliche oder auch ethische Hindernisse wie z. B. Wissenschaftszeitgesetz oder Datenschutz zusammengefasst.

Die zweite Frage war folgendermaßen formuliert: „Wie kann die Kommunikation und Kooperation zwischen grundlagenorientierten und klinisch-psychologisch ausgerichteten Forscher_innen gefördert werden, um gemeinsam relevante Themen zu bearbeiten?“

Die Antworten zu dieser Frage können drei Kategorien zugeordnet werden:

  • Kommunikation / Vernetzung: hier sind Aussagen zu unterschiedlichsten Ebenen des Austauschs zwischen Wissenschaftler_innen und praktisch tätigen Psychotherapeut_innen genannt, wie z. B. interdisziplinäre Kongresse, Workshops, Retreats oder Journal-Clubs;
  • Gemeinsame Forschung: die Kategorie bezieht sich auf die Nutzung von unterschiedlichen Expertisen in längerfristigen Kooperationen, Forschungsprojekten und Studien mit gemeinsamen Publikationen;
  • Motivationale und sonstige Einflüsse: Aussagen dieser Kategorie beziehen sich z. B. auf die intrinsische Motivation und Kompromissbereitschaft in der Zusammenarbeit und Barrieren (z. B. Pandemien).

Die dritte Frage greift einen Aspekt translationaler Forschung heraus: „3. Wie kann eine Rückkopplung klinischer Erkenntnisse zu den Grundlagen funktionieren?“

Die Stellungnahmen zu dieser Frage lassen sich inhaltlich den Dimensionen zu Frage 1 und 2 zuordnen:

  • Methodennutzung und -weiterentwicklung (z. B. Translation institutionalisieren, Methoden / Interventionen verbessern);
  • Strukturelle und hochschulpolitische Faktoren (z. B. finanzielle Anreize schaffen)
  • Translation vermitteln / lernen (z. B. Verständnis von Modellen und Wirkmechanismen verbessern);
  • Anwendungsperspektiven von Translation (Erkenntnisse aus unterschiedlichen Erfassungsebenen zusammenführen);
  • Kommunikation / Vernetzung (z. B. interdisziplinäre Kolloquien);
  • Gemeinsame Forschung.

Betrachtet man die unterschiedlichen Umfänge der Kategorien hinsichtlich der Anzahl der Stellungnahmen, zeigen die Kategorien Kommunikation / Vernetzung, Strukturelle und hochschulpolitische Faktoren sowie Gemeinsame Forschung die stärkste Differenzierung. Dabei wurden insbesondere bezüglich der Kommunikation und Vernetzung sowie hochschulpolitischen Faktoren häufiger Barrieren herausgestellt, während gemeinsame Forschung insgesamt als förderlicher Faktor angesehen wurde.

Zusätzlich wurden die angesprochenen Translationspfade kodiert; dabei wurde zwischen Ist-Zustand (gegenwärtig praktizierte Translation) und Soll-Zustand (angestrebte Formen der Translation) unterschieden und nach Einflussrichtungen zwischen den beiden Forschungsbereichen differenziert. Die Ergebnisse sind in Tabelle 1 enthalten.

Von 12 möglichen Pfaden wurden die Translation von den psychologischen Grundlagenfächern in die Psychotherapieforschung und in die klinisch-psychologischen Grundlagen am häufigsten als gegenwärtig praktizierte Translationspfade („Ist-Zustand“) angesprochen. In den Fokusgruppen wurden auch zahlreiche Beispiele für gelungene Translation aus allen psychologischen Grundlagenfächern genannt. Als erfolgreiche Translationen aus der kognitiven Psychologie in die Psychotherapieforschung wurden z. B. Erkenntnisse zu zentralen kognitiven Funktionen, Beeinträchtigungen, Gedächtnis, Angstkonditionierung, Informationsverarbeitungsprozesse in kognitive Störungsmodelle oder Methoden aus experimenteller Psychologie in klinische Interventionen (z. B. Virtual Reality) umgesetzt. Als Impulse aus der Entwicklungspsychologie wurden Erkenntnisse zur Sprachentwicklung, Entwicklungsstörungen, sprachlicher, motorischer und kognitiver Frühförderung sowie der Schnittstelle Entwicklungspsychopathologie in Prävention und Psychotherapie von jüngeren und älteren Menschen aufgeführt. Aus den kognitiven Neurowissenschaften sind vor allem Beiträge zur Resilienz und kognitiven Flexibilität zu nennen, die Eingang in klinische Interventionen gefunden haben. Aus der Sozialpsychologie haben eine Reihe von Paradigmen wie z. B. Attribution, sozialer Identität, kognitive Dissonanz, Reaktanz, Akkulturation, Vorurteils- und Diskrimination, Gruppenprozesse die Entwicklung psychotherapeutischer Methoden stimuliert. Aus der psychologischen Methodenlehre sind vor allem statistische Modelle zur Erfassung psychotherapeutischer Veränderungsprozesse (z. B. Bayes-Statistik, hierarchische lineare Modelle, sequentielles Testen, dynamische Netzwerkanalysen, Vektor-autoaggressive Modelle) in die Entwicklung von Psychotherapie eingeflossen. Im Hinblick auf den Soll-Zustand wurde zusätzlich zu den beiden bereits etablierten Translationspfaden am häufigsten die Translation von den allgemeinpsychologischen Grundlagen in die Klinische Praxis und umgekehrt genannt.

Tabelle 1 Häufigkeiten der Spezifizierung von Translationspfaden

Diskussion

Die Psychotherapie hat eine vergleichsweise kurze Geschichte. Noch jünger jedoch ist das Leitbild einer Psychotherapie, die in den Theorien und Forschungsergebnissen der wissenschaftlichen Psychologie verankert ist (s. Grawe, 1998). Trotz des großen Potenzials, das einer Translation zugesprochen wird (Wissenschaftsrat, 2018), werden in der Psychotherapieforschung bis heute die Erkenntnisse der empirischen Psychologie, die sich in den letzten Jahrzehnten dynamisch entwickelt hat, immer noch zu wenig berücksichtigt (Ehring et al., 2022). Welche Perspektiven lassen sich aus den Diskussionen der Fokusgruppen in unserer Befragung ableiten?

1. Translationale Perspektiven in der Forschung

Die Auswertung der Statements aus den Fokusgruppen zeigt, dass ein wesentlicher Ausgangspunkt für eine systematischere Verknüpfung von Grundlagen- und Psychotherapie-Forschung die Verbesserung der strukturellen Basis für die Zusammenarbeit zwischen den Wissenschaftler_innen selbst ist. In den Fokusgruppen wurden als Ausgangspunkt beispielsweise gemeinsame Kongresse, Forschungsverbünde und Publikationen genannt. Diese können dann die Implementierung dauerhafter Strukturen anregen, angefangen von Professuren für Translationale Forschung, über Arbeitsgruppen der Deutschen Gesellschaft für Psychologie bis hin zu Förderschwerpunkten etwa bei der Deuschen Forschungsgemeinschaft, die eine Beteiligung sowohl von Grundlagen- als auch klinischen Wissenschaftlern einfordern. Zu fordern wäre auch, dass die Mittel für translationale Forschung aufzustocken sind. Ein weiterer Vorschlag in den Fokusgruppen war eine gezielte Förderung von Nachwuchswissenschaftler_innen im Bereich der translationalen Psychotherapieforschung. Eine kontinuierliche Förderung von der Abschlussarbeit über die Promotion bis hin zur Habilitation kann die Entwicklung und Umsetzung von Translation eher verwirklichen als punktuelle Förderungen.

Inhaltlich zeichnen sich in der translationalen Forschung einige vielversprechende Perspektiven ab. Die experimentelle Erforschung von grundlegenden Prozessen in der Entstehung und Aufrechterhaltung von Störungen könnte hierbei eine Schlüsselfunktion einnehmen. Beispielsweise bieten kognitive Modelle wie der Predictive-Processing-Ansatz (Kirchner et al., 2022) eine Erklärung dafür, wie Schlussfolgerungen aus beobachteten Handlungen anderer Personen abgeleitet werden. Aus den experimentellen Befunden zu predictive processing lassen sich wiederum Hinweise auf die Gestaltung von Verhaltensexperimenten (Stangier, 2022) ableiten, in denen solche veränderungsresistenten Schlussfolgerungen effektiver angegangen werden können (Kube & Hildebrandt, 2021). In den Fokusgruppen wurde hervorgehoben, dass die Translation aus allen Bereichen der Allgemeinen Psychologie, der Sozial- und Entwicklungspsychologie und Differentiellen Psychologie reichhaltige Potenziale bietet, um psychopathologische Probleme besser zu verstehen und psychotherapeutische Interventionen effektiver zu gestalten.

Auf Seiten der Psychotherapieforschung besteht zudem eine Hinwendung zu allgemeinen, nichtklinischen psychologischen Dimensionen, die mit der Abkehr von hochstrukturierten, diagnosebezogenen und therapieschulenspezifischen Programmen einhergeht. Mit einer stärkeren Fokussierung auf Mediatoren der Behandlungseffekte und zugrundeliegende Wirkmechanismen, etwa in der Prozessbasierten Therapie (Hofmann & Hayes, 2019), rücken empirisch validierte psychologische Dimensionen und Veränderungsprozesse an die Stelle von veralteten Erklärungsmodellen der Therapieschulen. Die Bezugnahme der klinischen Forschung auf evidenzbasierte Konstrukte der Psychologie könnte zudem auch rückwirkend in den psychologischen Grundlagenfächern beitragen, wie das Beispiel der Emotionsregulation zeigt.

Für die Translationsforschung sind nicht zuletzt die Folgen der Replikationskrise und die stärkere Transparenz im Umgang mit Daten (open science) zu berücksichtigen. Eine gemeinsame Nutzung von Daten durch innerdisziplinär zusammenarbeitenden Wissenschaftler_innen könnte eine gegenseitige Kontrolle der Robustheit von Forschungsergebnissen fördern. In einer Fokusgruppe wurde herausgestellt, dass ein frühzeitiger Austausch bereits bei der Planung experimenteller oder klinischer Grundlagenforschung und nicht erst am Ende der Datenerhebung sinnvoll wäre. Zudem könnte translationale Forschung auch zu einer Verbesserung der statistischen Methoden im klinischen Bereich beitragen. Ein Beispiel hierfür könnte etwa die Rückkopplung von methodischen Neuentwicklungen wie dynamische Netzwerkanalysen auf die therapiebezogene Diagnostik und bei adaptiven Therapieentscheidungen darstellen (Borsboom et al., 2021).

2. Translationale Perspektiven in der Lehre

Gegenwärtig bietet die Einführung der Studiengänge zur Approbation in Psychotherapie eine große Chance, potentielle Anknüpfungspunkte zwischen den Grundlagenfächern, der klinischen Psychologie und der Psychotherapie deutlicher zu machen. So sieht die Approbationsordnung u. a. die Beibehaltung eines polyvalenten Bachelors zur Vermittlung der Grundlagen und zusätzlich eine Grundlagenvertiefung im Masterstudiengang vor. Der Austausch der Hochschullehrer_innen über die Inhalte der Lehrveranstaltungen, die gemeinsame Anleitung von Abschlussarbeiten und die Diskussion in abteilungsübergreifenden Kolloquien bietet die Möglichkeit, Verbindungen zwischen zentralen Themen von Grundlagen und Psychotherapie in der Lehre zu verankern. Zusätzlich sollten Lehrveranstaltungen das Thema Translation explizit aufgreifen und mit Beispielen für die Umsetzung von grundlagenbezogenen psychologischen Paradigmen in die klinische Psychologie oder Psychotherapie veranschaulichen.

Eine Herausforderung stellt die Integration psychologischer Grundlagen in praxisbezogene Veranstaltungen des neuen Psychotherapie-Masterstudiengangs dar. Beispielsweise könnte Studierenden in den Vorbereitungskursen zur Berufsqualifizierenden Tätigkeit („BQT-II“) die Anwendung allgemeinpsychologischer Dimensionen in der Beschreibung psychischer Funktionen in Fallbeispielen vermittelt werden. Dabei wird z. B. einzuüben sein, die alltagssprachlichen Beschreibungen von Symptomen durch Patient_innen psychologischen Konstrukten zuzuordnen. Auch in der klinischen Ausbildungszeit („BQT-III“) wird von der Approbationsordnung als Einzelleistung gefordert, dass anhand eines klinischen Falles eine „Verknüpfung von klinisch-praktischen Aspekten mit ihren jeweiligen wissenschaftlichen Grundlagen durchgeführt wird“. Diese Anregung zur Translationalität sollte angenommen und auch in übergeordneten interdisziplinären Seminaren und in den Forschungspraktika aufgegriffen werden. Ein Beispiel für die Relevanz translationaler Perspektiven ist die Vermittlung entwicklungspsychopathologischer Paradigmen im Kontext der Psychotherapie psychischer Störungen, etwa bei Autismus und Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung, antisozialen Verhaltensstörungen oder früher Traumatisierung (Rutter, 2013).

3. Translationale Perspektiven in der Aus-‍, Weiter- und Fortbildung von Psychotherapeut_innen

In den Fokusgruppen wurde auch hervorgehoben, dass die Umsetzung allgemeinpsychologischer Erkenntnisse in die psychotherapeutische Praxis verstärkt gefördert werden muss. Die theoretischen Perspektiven für die Erklärung von Störungen und Wirkmechanismen der Behandlung werden von Schulenparadigmen dominiert, die nicht dem aktuellen Stand der Wissenschaft entsprechen. Spezialisierte Aus- / Weiterbildungs- und Fortbildungsveranstaltungen könnten diesen Prozess unterstützen. Wünschenswert wäre auch, dass Dozierende translationale Bezüge in die klinischen Vorlesungen und Seminare integrieren. Hier wäre auch die Entwicklung speziell auf die klinische Praxis zugeschnittener Lehrbücher und Materialien hilfreich, um translationale Erkenntnisse näherzubringen. Für die zukünftige Stärkung der Etablierung translationaler Aspekte wird es ferner wichtig, die Nachwuchsförderung durch gemeinsame Projekte und ausgebaute Translationsnetzwerke nachhaltig und langfristig zu unterstützen.

4. Limitationen und Schlussfolgerungen

Unsere Befragung von Fokusgruppen, die durch die gemischte Zusammensetzung zu einer möglichst breiten, authentischen Auseinandersetzung führen sollte, erbrachte vielfältige und konkrete Hinweise auf inhaltliche Fördermöglichkeiten, aber auch auf Barrieren bezüglich der strukturellen und hochschulpolitischen Ebene und in der Lehre. Hervorgehoben wurde, dass eine bessere Kommunikation und Zusammenarbeit zwischen den Teilbereichen der Psychologie auch strukturelle Veränderungen benötigt wird. Weiterhin müssen finanzielle Anreize (z. B. Drittmittel, Stipendien) geschaffen werden mit dem Ziel, Vernetzung und Austausch bereits bei der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses zu berücksichtigen. Die Verbesserung gemeinsamer Forschungsaktivitäten, aber auch für die Rückmeldung an Grundlagendisziplinen, wie sich ihre Konzepte in der klinischen Anwendung bewähren, stellen weitere Ansatzpunkte zur Förderung translationaler Prozesse in die Psychotherapieforschung dar.

Herausgestellt wurde in den Fokusgruppen auch die Notwendigkeit, die Umsetzung allgemeinpsychologischer Erkenntnisse und ihrer Konstrukte in die psychotherapeutische Praxis verstärkt zu fördern. Neben spezialisierten Aus- / Weiterbildungs- und Fortbildungsveranstaltungen wäre wünschenswert, dass Dozierende grundsätzlich translationale Bezüge in die klinischen Lehrfelder integrieren. Hilfreich wäre auch die Entwicklung speziell auf die klinische Praxis zugeschnittener Lehrbücher und Materialien, um translationale Erkenntnisse näherzubringen.

Trotz der vielfältigen Erkenntnisse bezüglich relevanter Dimensionen von Potenzialen und Hindernissen sind eine Reihe von Limitationen der Studie hervorzuheben. Zum einen ist die Repräsentativität der an der Studie teilnehmenden Expert_innen zu hinterfragen. Zwar ist die Repräsentativität von Aussagen nicht das primäre Ziel von qualitativen Studien, jedoch ist trotz Teilnahme einer großen Zahl von Mitgliedern aus drei psychologischen Instituten nicht davon auszugehen, dass alle relevanten Aspekte in den Fokusgruppen angesprochen wurden. Eine zweite Einschränkung betrifft die fehlende Festlegung von Kriterien für eine Saturierung der Kriterien. Aus forschungspragmatischen Gründen wurden aufgrund der zeitlichen Beschränkungen der beteiligten Professor_innen und Nachwuchswissenschaftler_innen Umfang und Dauer der Fokusgruppen so festgelegt, dass ausreichend Raum für Stellungnahmen und Diskussionen bestand. Es ist dennoch möglich, dass eine zeitliche Ausdehnung der Interviews und eine Vergrößerung der Stichprobe der befragten Personen zur Thematisierung von neuen Aspekten geführt haben könnte, die wiederum auch zur Identifikation weiterer Kategorien geführt haben könnte. Schließlich ist die Reliabilität zwar auf der Ebene von Kategorien mit 100 % (d. h. vollständiger Übereinstimmung bezüglich acht Kategorien) sehr gut, jedoch auf der Ebene der einzelnen Codierungen mit 73 % unter dem von Neuendorf (2002) empfohlenen Niveau von 90 %, was auf eine geringere Genauigkeit bei der Auswahl relevanter Textstellen hinweist.

Insgesamt erbrachten die Fokusgruppen jedoch eine Fülle von Anregungen, deren Umsetzung in den psychologischen Instituten nur dann erfolgreich sein kann, wenn die Konkurrenz von Grundlagen- und Anwendungsfächern zugunsten einer engeren innerdisziplinären Zusammenarbeit überwunden wird. Von der Etablierung translationaler Strukturen – die innerhalb der somatischen Medizin zum Teil schon jetzt große klinische Erfolge ermöglichen – wird nicht nur die Psychotherapieforschung profitieren, sondern auch die Rolle der Grundlagenfächer gestärkt und die gesellschaftliche Bedeutung der Psychologie insgesamt anwachsen.

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