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Published Online:https://doi.org/10.1026/2191-9186/a000253

Die kindliche Entwicklung verläuft weit weniger einheitlich, als dies in älteren Entwicklungstheorien angenommen wurde: Sie erweist sich als domänenspezifisch, wobei unterschiedliche Bereiche der Entwicklung jeweils eigene Anforderungen an die heranwachsenden Kinder stellen, die diese jeweils mehr oder weniger gut bewältigen können. Trotz dieser Domänenspezifität gibt es bedeutsame Zusammenhänge und wechselseitige Einflüsse zwischen verschiedenen Bereichen der Entwicklung – insbesondere zwischen dem Erwerb sprachlicher Fähigkeiten und Fertigkeiten auf der einen Seite und der Ausbildung kognitiver sowie sozio-emotionaler Kompetenzen auf der anderen. Sprache ist sowohl ein wichtiges Kommunikationsmittel als auch ein hoch-effizientes Kodiersystem und Mittel der Selbststeuerung. Durch Sprache können Gedankengänge und Problemlösungen angeregt und Wissensbestände vermittelt werden; zugleich aber finden sich wichtige kognitive und sozial-kommunikative Voraussetzungen eines erfolgreichen Spracherwerbs.

Das vorliegende Schwerpunktheft widmet sich entsprechenden Zusammenhängen zwischen Sprache und anderen Entwicklungsbereichen im Kindesalter. In dem Beitrag von Rose, Ebert und Weinert werden auf der Basis von Daten der interdisziplinären Längsschnittstudie „Bildungsprozesse, Kompetenzentwicklung und Selektionsentscheidungen im Vor- und Grundschulalter“ (BiKS) die Zusammenhänge zwischen sprachlicher Entwicklung und verschiedenen Facetten der sozio-emotionalen Entwicklung im Alter zwischen drei und sieben Jahren längsschnittlich untersucht, wobei insbesondere die Wirkrichtung in den Blick genommen wird. Saalbach, Gunzenhauser, Kempert und Karbach analysieren Zusammenhänge zwischen sprachlichen Kompetenzen in der Instruktionssprache Deutsch und Leistungen in mathematischen Textaufgaben, welche unterschiedliche Anforderungen an exekutive Funktionen stellen, bei Kindern aus Familien mit unterdurchschnittlichem sozioökonomischen Status und fokussieren damit potenzielle sprachliche Hürden (Einschränkungen in der Mehrheits- und Instruktionssprache) und Chancen (vermittelt über exekutive Funktionen) mehrsprachig aufwachsender Kinder für ihre mathematische Leistungsfähigkeit. Die Studien von Hildebrandt, Scheidt, Hildebrandt, Hédervári-Heller und Dreier sowie von Grimminger, Lüke, Ritterfeld, Liszkowski und Rohlfing sind semi-experimentell angelegt. Während Hildebrandt et al. die potenzielle Bedeutung spezifischer sprachlicher Kommunikationsstrategien im Sinne einer auf gemeinsame gedankliche Problemlösungen, Begriffsklärungen und Ereignisbewertungen ausgerichteten Erwachsenen-Kind Interaktion („sustained shared thinking“) im Vergleich zu einem eher instruktionsorientierten Kommunikationsstil auf quantitative und qualitative Aspekte des kindlichen Dialogverhaltens untersuchen, befassen sich Grimminger et al. mit Bedingungen des frühen Spracherwerbs, speziell mit den Zusammenhängen zwischen dem frühen nonverbal-gestischen Verhalten und dem Wortschatzerwerb der Kinder; überprüft wird, ob die zunehmende Vertrautheit mit Objekten zu einer kognitiven Entlastung und einem Zuwachs an gestischen und sprachlichen Äußerungen führt oder ob die frühkindlichen Gesten insbesondere kommunikativ und damit vor allem bei neuen, nicht-familiarisierten Objekten (interrogative/mitteilende Funktion) genutzt werden, und in welcher Weise dies mit interindividuellen Unterschieden im Wortschatz zusammenhängt. Die Studien liefern – mit einem speziellen Fokus auf sprachliche Fähigkeiten und Fertigkeiten – Einblicke in das Zusammenwirken zwischen Entwicklungsbereichen im Kindesalter und tragen zur Aufklärung entsprechender Beziehungen bei.

Wir wünschen Ihnen eine interessante Lektüre!

Sabine Weinert

Hermann Schöler