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Open AccessOriginalarbeit

Cannabisbezogene Störungen in der Suchthilfe: Inanspruchnahme, Klientel und Behandlungserfolg

Published Online:https://doi.org/10.1024/0939-5911/a000404

Abstract

Zusammenfassung.Ziel: Cannabis ist in Deutschland die am häufigsten konsumierte illegale Droge. In Suchthilfeeinrichtungen machen Personen mit einer cannabisbezogenen Störung die zweitgrößte Gruppe aller Klienten aus. Ziel ist es, Veränderungen in der Inanspruchnahme von Suchthilfe aufgrund cannabisbezogener Probleme darzustellen und Besonderheiten der behandelten Cannabiskonsumenten, insbesondere Unterschiede zwischen ambulant und stationär Behandelten, herauszuarbeiten. Methodik: Es handelt sich um eine deskriptive Analyse der Daten von Personen aus ambulanten und stationären Suchtberatungs-/-behandlungseinrichtungen in Deutschland, die im Rahmen der Deutschen Suchthilfestatistik (DSHS) dokumentiert wurden. Im Datenjahr 2013 lag die Zahl der betrachteten Fälle im ambulanten Bereich bei n = 163.865 aus 822 Einrichtungen und im stationären Bereich bei n = 41.395 Fällen aus 200 Einrichtungen. Ergebnisse: Der Anteil der Personen mit einer primären Cannabisproblematik in Einrichtungen der Suchthilfe ist im Verlauf ambulant von 6,4 % (2000) auf 15,4 % (2013) und stationär von 1,1 % (2000) auf 7,1 % (2013) gestiegen. Personen mit einer cannabisbezogenen Störung zeichnen sich durch junges Alter, geringes Bildungsniveau und hohe Arbeitslosigkeit aus. Im Vergleich zu anderen Hauptdiagnosen (HD) zeigt sich ein früher Erstkonsum und Störungsbeginn. Vor allem stationär weisen Cannabispatienten eine hohe Zusatzbelastung durch multiplen Substanzkonsum auf. Ein vergleichsweise hoher Anteil kommt aufgrund gerichtlicher Auflagen in die Behandlung (ambulant: 29,9 %, stationär: 27,6 %) und etwa zwei Drittel zeigen nach Behandlungsende eine Verbesserung ihrer Suchtproblematik (ambulant: 64,0 %, stationär: 64,0 %). Schlussfolgerungen: Der deutlich gestiegene Anteil der Klienten mit HD Cannabis an allen Klienten ist vermutlich durch die gestiegene Zahl spezieller Programme zur Behandlung cannabisbezogener Störungen und ein stärkeres Bewusstsein über die Behandlungsbedürftigkeit problematischen Cannabiskonsums bedingt. Das geringe Bildungsniveau, die problematische berufliche Situation sowie die geringe Selbstständigkeit der Cannabisklienten sind vermutlich auf das unterdurchschnittliche Alter zurückzuführen, weshalb besonders Maßnahmen zur Erarbeitung einer psychosozialen Perspektive, wie z. B. Kooperationen mit Sozialämtern, Jugendhilfe und Arbeitsagenturen notwendig sind.

Cannabis-related Disorders in Substance Abuse Treatment: Service Utilization, Client Characteristics and Treatment Outcome

Abstract.Aim: Cannabis is the most frequently used illegal drug in Germany. In substance abuse treatment, clients with main diagnosis (MD) cannabis account for one third of all clients. Aim of the study is to outline changes in the utilization of addiction treatment due to cannabis-related problems and to describe the population of cannabis users treated in inpatient and outpatient treatment. Methods: This is a descriptive analysis of data from clients in outpatient and inpatient treatment centres in Germany, which were documented within the annual German addiction treatment statistics (Deutsche Suchthilfestatistik). The number of observed cases in 2013 was n = 163,865 out of 822 centres in outpatient setting and n = 41,395 out of 200 centres in inpatient setting. Results: The proportion of clients with primary cannabis problems in substance abuse treatment increased from 6.4 % (2000) to 15.4 % (2013) in outpatient and from 1.1 % (2000) to 7.1 % (2013) in inpatient treatment in the last years. The population of clients with cannabis-related disorders can be characterized by a relatively young age, low educational levels and high unemployment. Compared to other main diagnosis, we can observe a very young age at first cannabis use and the onset of the cannabis-related disorder. Especially in inpatient treatment, cannabis patients show additional strains due to polysubstance use. A high proportion of cannabis users enters treatment because of judicial constraints (outpatient: 29.9 %, inpatient: 27.6 %) and about two thirds show an improvement of their problematic substance use at the end of treatment (64.0 %). Conclusion: The increased proportion of clients with MD cannabis in substance abuse treatment may be due to the increased number of special programs for the treatment of cannabis-related disorders and a higher awareness of the need to treat problematic cannabis use. The low educational level, the problematic employment situation and the low extent of autonomy of clients with cannabis-related disorders, may be traced back to the below average age of this group. Therefore programs that focus on the acquirement of a psychosocial perspective, like co-operations with youth and social welfare offices as well as employment centres are needed.

Einleitung

Cannabis gilt nach wie vor als die am häufigsten konsumierte illegale Droge in Deutschland (Pabst, Kraus, Gomes de Matos & Piontek, 2013). In den letzten Jahren zeigen sich jedoch einige Veränderungen, die sowohl die allgemeine Verbreitung des Cannabiskonsums als auch die Behandlungsprävalenz cannabisbezogener Störungen betreffen. So zeigt sich in der Allgemeinbevölkerung unter den 18 – 59 Jährigen nach einem starken Anstieg der 12-Monats-Konsumprävalenz von 1995 (4,4 %) bis 2003 (6,9 %) seit dem Jahr 2004 ein kontinuierlicher Rückgang des Cannabiskonsums, der aktuell mit 4,5 % (2012) den niedrigen Stand von 1995 wieder nahezu erreicht hat (Kraus, Pabst, Piontek & Müller, 2010; Pabst et al., 2013). Dieser rückläufige Trend lässt sich in den letzten Jahren auch unter Jugendlichen beobachten. Laut der Europäischen Schülerstudie haben 22,2 % der Schülerinnen und Schüler (der 9. und 10. Jahrgangsstufe) bereits mindestens einmal in ihrem Leben Cannabis konsumiert und 8,1 % in den 30 Tagen vor der Befragung (Kraus, Pabst & Piontek, 2012). Im Vergleich dazu waren dies im Jahr 2003 noch 30,6 % bzw. 13,5 % und der Cannabiskonsum unter Jugendlichen somit noch deutlich weiter verbreitet (Kraus, Heppekausen, Barrera & Orth, 2004). Insgesamt ist der Cannabiskonsum damit sowohl unter Erwachsenen als auch unter Jugendlichen seit dem Höhepunkt im Jahr 2003 rückläufig.

Diese positive Entwicklung zeigt sich auch in der Prävalenz der Missbrauchs- und Abhängigkeitsdiagnosen von Cannabis, welche in den letzten Jahren ebenfalls um 0,5 % zurückgegangen ist (Kraus et al., 2010; Pabst et al., 2013). Trotzdem weist immer noch ein nicht geringer Anteil einen problematischen Konsum von Cannabis auf. Dieser beträgt in der erwachsenen Gesamtbevölkerung 1,0 % (Pabst et al., 2013), wobei die Hälfte einen missbräuchlichen Konsum von Cannabis zeigt und die andere Hälfte die Kriterien einer Cannabisabhängigkeit erfüllt. Hochgerechnet auf die deutsche Gesamtbevölkerung bedeuten diese Prävalenzen über 500.000 problematische Cannabiskonsumenten. Betrachtet man allerdings nur diejenigen Personen, die in den letzten 12 Monaten Cannabis konsumiert haben, steigt die Wahrscheinlichkeit einer Abhängigkeit um ein Vielfaches an. Fast ein Drittel erfüllt dann die Kriterien einer Cannabisabhängigkeit (Kraus et al., 2010). Der charakteristische negative Altersgradient des Cannabiskonsums schlägt sich auch hier nieder, so dass die höchste Prävalenz der Missbrauchs- und Abhängigkeitsdiagnosen unter den 18 – 29 Jährigen zu finden ist, wobei die Abhängigkeitsdiagnosen mit dem Alter zunehmen (Pabst et al., 2013).

Im Gegensatz zu dem allgemeinen Rückgang der Konsum- und Störungsprävalenz von Cannabis stehen die stark zunehmenden Behandlungszahlen cannabisbezogener Störungen in Einrichtungen der Suchthilfe. So zeigt sich im Gegensatz zu Mitte der 1990er Jahre, als Personen mit cannabisbezogenen Störungen kaum in ambulanten Suchthilfeeinrichtungen betreut wurden, ein deutlicher Anstieg der Behandlungsprävalenz (Kipke, Steppan & Pfeiffer-Gerschel, 2011). In Übereinstimmung mit nationalen und internationalen Studien (Rush & Urbanoski, 2007; Simon, Sonntag, Bühringer & Kraus, 2004; Tims et al., 2002; Urbanoski, Strike & Rush, 2005) fanden Kipke et al. (2011) ein überwiegend männliches, im Vergleich zu Personen mit anderen Hauptdiagnosen relativ junges (durchschnittlich Mitte zwanzig) Klientel, mit einem hohen Anteil an Alleinstehenden, Arbeits- und Erwerbslosen und einem niedrigen Bildungsniveau. Weiterhin kennzeichnet sich die Inanspruchnahmepopulation der Cannabispatienten durch einen in der Mehrheit (fast) täglichen Konsum, das Vorliegen einer Diagnose Cannabisabhängigkeit und psychosoziale Beeinträchtigungen (Hölscher, Bonnet & Scherbaum, 2008). Insgesamt ist der Cannabiskonsum, wie auch der Konsum der meisten anderen Substanzen, bei Männern deutlich weiter verbreitet (Pabst et al., 2013; Pfeiffer-Gerschel, Jakob, Stumpf, Budde & Rummel, 2014). Der beobachtete Rückgang des Durchschnittsalters bei Erstkonsum von Cannabis von 1993 (17,3 Jahre) bis 2011 (16,7 Jahre) (DAS; BZgA, 2012) deutet auf einen früheren Einstieg in den Cannabiskonsum hin, was als bedeutsamer Risikofaktor für die Entwicklung einer cannabisbezogenen Störung gilt (Duwe, Schumann & Küfner, 2001).

Vor dem Hintergrund dieser gegenläufigen Veränderungen in der Konsum- und Behandlungsprävalenz, lohnt sich ein umfassender Blick auf die Population der Personen mit cannabisbezogenen Störungen in Deutschland, die in Kontakt mit dem Suchthilfesystem stehen. Die Daten der DSHS ermöglichen eine systematische Analyse von Trends, insbesondere angesichts einer Zahl von 28.789 dokumentierten Fällen mit einer Hauptdiagnose Cannabis im Jahr 2013 und einer Erreichungsquote1 von etwa 70,1 % der ambulanten bzw. 60,4 % der stationären Einrichtungen in Deutschland (Brand, Steppan, Künzel & Braun, 2014).

Ziel der vorliegenden Studie ist es, Veränderungen in der Behandlungsprävalenz cannabisbezogener Störungen in Einrichtungen der Suchthilfe darzustellen und diese im Hinblick auf allgemeine Trends des Cannabiskonsums in der Bevölkerung zu betrachten. Weiterhin soll die Population der Personen mit einer cannabisbezogenen Störung in der Suchthilfe anhand soziodemographischer Daten sowie Störungs- und Behandlungsmerkmalen beschrieben werden, um daraus Hinweise auf besondere Anforderungen und Bedürfnisse dieser Klientel abzuleiten. Auf Basis der Befunde der Literatur wird angenommen, dass (a) der Anteil der Klienten mit einer cannabisbezogenen Störung in der Suchthilfe im Gegensatz zur Konsumprävalenz in der Allgemeinbevölkerung in den letzten Jahren weiter gestiegen ist, (b) dass sich Cannabisklienten hinsichtlich soziodemographischer Merkmale von Klienten mit anderen Hauptdiagnosen unterscheiden und (c) dass sich Unterschiede zwischen ambulant und stationär behandelten Personen mit einer cannabisbezogenen Hauptdiagnose zeigen.

Methodik

Design und Stichprobe

Es handelt sich um eine deskriptive Analyse der Daten von Personen aus ambulanten Suchtberatungs-/-behandlungseinrichtungen sowie (teil–) stationären Rehabilitationseinrichtungen und Adaptionseinrichtungen in Deutschland, die jährlich im Rahmen der Deutschen Suchthilfestatistik (DSHS; aktueller Jahresbericht: Brand, Künzel & Braun, 2015) dokumentiert werden.

Die ambulanten Daten der DSHS basieren auf der Bezugsgruppe der „Zugänge/Beender“, d. h. es werden Daten zu jenen Personen berichtet, die im jeweiligen Berichtsjahr eine Betreuung begonnen bzw. beendet haben. Die stationären Daten basieren auf der Bezugsgruppe der „Beender“, d. h. es werden Daten zu jenen Personen berichtet, die im jeweiligen Berichtsjahr eine Behandlung2 beendet haben. Die Methodik ist ausführlich bei Brand et al. (2015) beschrieben.

Im Datenjahr 2013 lag die Zahl der betrachteten Fälle im ambulanten Bereich bei n = 168.212 aus 822 Einrichtungen und im stationären Bereich bei n = 41.395 Fällen aus 200 Einrichtungen. Die Grundgesamtheit schließt alle Fälle ein, für die eine Hauptdiagnose vergeben wurde. Aufgrund der Variabilität der Erreichungsquote auf Einrichtungsebene (siehe Tab. 1), bzw. insbesondere deren Berechnung (siehe Süß & Pfeiffer-Gerschel, 2011), werden nur prozentuale Anteile und keine Absolutzahlen berichtet.

Tabelle 1 Tabelle 1. Verlaufsdaten 2000 – 2013, Einrichtungen, Hauptdiagnosen, Geschlecht, Alter

Instrumente

Das zugrunde liegende Dokumentationssystem orientiert sich am Deutschen Kerndatensatz zur Dokumentation in der Suchthilfe (KDS; DHS, 2010). Die Diagnostik des KDS orientiert sich an der Internationalen Klassifikation psychischer Störungen (ICD-10; Dilling, Mombour & Schmidt, 2013). Die Dokumentation in den Einrichtungen erfolgt anhand computerbasierter Softwaresysteme.

Alle Variablen wurden gemäß dem KDS operationalisiert. Für die Auswertung wurden folgende Variablen herangezogen: Die Behandlungsprävalenz wurde anhand der Variable „Hauptdiagnose“ (HD) untersucht. Die Population der Cannabisklienten wurde anhand der Variablen „Geschlecht“ „Alter“, „Migration“, „Wohnsituation in den letzten 6 Monaten vor Behandlungsbeginn“, „Schulabschluss“, „Ausbildungsabschluss“, „Erwerbssituation in den letzten 6 Monaten vor Behandlungsbeginn“ und „Hauptlebensunterhalt in der Woche vor Behandlungsbeginn“ beschrieben. Zur Untersuchung der Störungscharakteristika dienten die Variablen „Konsumtage in den letzten 30 Tagen“, „Alter bei Erstkonsum“, „Alter bei Störungsbeginn“ und „Substanzbezogene Komorbidität“. Zur Charakterisierung der Vermittlungswege in die Behandlung wurden die Variablen „gerichtliche Auflagen“, „andere Auflagen“ und „Vermittlung“ herangezogen. Behandlungsverlauf und -erfolg wurden mittels der Variablen „Behandlungsdauer“, „Art der Beendigung“ („regulär“/„unplanmäßig“) und „Behandlungsergebnis“ („positiv“/“negativ“) untersucht. Als „positiv“ wird hierbei gewertet, wenn die substanzbezogene Problematik am Ende der Behandlung von dem Therapeuten als „erfolgreich“ oder „gebessert“ eingeschätzt wird, als „negativ“, wenn die Problematik als „unverändert“ oder „verschlechtert“ beurteilt wird. Die exakten Antwortkategorien sind den Tabellenbänden (Braun, Brand, Künzel & Pfeiffer-Gerschel, 2014ab), bzw. dem KDS-Manual (DHS, 2010) zu entnehmen.

Auswertung

Es erfolgt eine deskriptive Darstellung der Behandlungsprävalenz sowie der Variablen „Alter“ und „Geschlecht“ im zeitlichen Verlauf seit 2000. Weiterhin werden Personen mit einer cannabisbezogenen Störung im ambulanten und stationären Setting anhand soziodemographischer Merkmale, Störungs- und Behandlungsmerkmalen sowie Behandlungsergebnissen und Vermittlungswegen beschrieben. Zum Vergleich werden die Ergebnisse der anderen HD Gruppen (Alkohol, Opioide, Sedativa, Kokain, Stimulanzien, Tabak, Flüchtige Lösungsmittel, andere psychotrope Substanzen, Essstörungen und pathologisches Glückspielen) dargestellt. Grundlage hierfür bilden die Daten des Jahres 2013 (Braun et al., 2014ab). Wie oben beschrieben, sind keine Individualdaten verfügbar. Das aggregierte Datenformat der DSHS lässt die Anwendung inferenzstatistischer Verfahren nur in unzureichender Weise zu, womit übliche Verfahren zur Überprüfung z. B. von Mittelwertunterschieden mittels t-Tests nicht möglich sind. Zudem ist die Verwendung von ü2-Tests nicht angezeigt, da aufgrund der Sensitivität ü2-Tests bei großen Stichproben selbst kleinste Unterschiede in der Häufigkeitsverteilung als statistisch bedeutsam ausweisen (Bortz, 2005), was zu irreführenden Ergebnissen führen kann. Aufgrund der nahezu flächendeckenden Berichterstattung und der damit verbundenen Repräsentativität für alle Klienten in der ambulanten Suchthilfe (Erreichungsquote ambulant: ≥ 70,1 %, stationär: ≥ 60,4 %; Brand et al., 2014) sowie der Größe der Datensätze und der Stabilität der Trends, wird eine deskriptive Darstellung der Ergebnisse als ausreichend erachtet.

Ergebnisse

Behandlungsprävalenz cannabisbezogener Störungen

Der Anteil der Klienten mit HD Cannabis an allen Klienten ist von 2000 bis 2013 sowohl ambulant (2000: 6,4 %; 2013: 15,4 %) als auch stationär deutlich angestiegen, wobei vor allem die Zunahme im stationären Bereich bemerkenswert ist (siehe Abb. 1): Während im Jahr 2000 der Anteil von Patienten mit einer Cannabisproblematik in stationärer Behandlung sehr gering war (1,1 %), macht diese Patientengruppe inzwischen 7,1 % aus. Zudem zeigt sich im zeitlichen Verlauf, dass cannabisbezogene Störungen zunehmend den größten Anteil aller HD aufgrund illegaler Substanzen ausmachen (siehe Abb. 2).

Abbildung 1 Abbildung 1. Anteil HD Cannabis an Gesamt, 2000 – 2013, ambulant und stationär.
Abbildung 2 Abbildung 2. Anteil HD Cannabis an allen HD illegal, 2000 – 2013, ambulant und stationär.

Soziodemographische Merkmale

Geschlecht

Insgesamt machen Männer den Großteil aller Klienten mit einer HD Cannabis aus und liegen mit 84 % (ambulant und stationär) sogar noch deutlich über dem gesamten Männeranteil der DSHS (ambulant: 74,5 %, stationär: 73,7 %). Während der Frauenanteil im stationären Bereich seit 2000 kontinuierlich gestiegen ist (2000: 4,2 %, 2013: 16,5 %), war er im ambulanten Bereich bis zum Jahr 2007 rückläufig und nimmt erst seit dem Jahr 2008 kontinuierlich zu (siehe Tab. 1).

Alter

Cannabisklienten sind im Durschnitt bei Behandlungsbeginn 24,5 (ambulant) bzw. 27,5 Jahre (stationär) alt. Damit zählen Cannabisklienten zu den durchschnittlich jüngsten Klienten in der Suchthilfe. Im zeitlichen Verlauf zeigt sich eine kontinuierliche Zunahme des durchschnittlichen Alters. Im ambulanten Bereich ist das Alter seit 2001 um 2,7 Jahre gestiegen, im stationären Bereich um 3,2 Jahre. In der Gesamtpopulation der Suchthilfeklientel ist im selben Zeitraum kein vergleichbarer Anstieg des durchschnittlichen Alters zu verzeichnen (siehe Tab. 1).

Migration

Im Vergleich zu anderen HD Gruppen haben Personen mit einer cannabisbezogenen Störung vergleichsweise häufig einen Migrationshintergrund (siehe Tab. 2). Im ambulanten Bereich sind 19,2 % der Klienten entweder selbst migriert oder als Kind von Migranten in Deutschland geboren, im stationären Bereich haben 15,5 % der Cannabispatienten einen Migrationshintergrund.

Tabelle 2 Tabelle 2. Soziodemographische Daten, HD Cannabis und Gesamt, ambulant und stationär (in Prozent)

Wohnsituation

Insgesamt zeigt sich bei Personen mit einer cannabisbezogenen Störung vor der Aufnahme in eine ambulante oder stationäre Einrichtung eine geringere Wohnselbstständigkeit als in anderen HD Gruppen (siehe Tab. 2). Im ambulanten Bereich wohnte die Hälfte (50,3 %) vor Behandlungsbeginn selbstständig, ein weiterer großer Anteil (36,1 %) bei anderen Personen und 4,9 % waren in einer JVA untergebracht; 1,3 % lebten in prekären Wohnverhältnissen (obdachlos oder in Notunterkünften). Im stationären Bereich wohnte ebenfalls die Hälfte der Cannabispatienten vor Behandlungsbeginn selbstständig (50,0 %), ein Viertel (25,2 %) bei anderen Personen und 20,5 % waren in institutionellen Wohneinrichtungen, davon die Hälfte in einer JVA, untergebracht; 2,2 % lebten in prekären Wohnverhältnissen.

Bildungsstatus

Knapp ein Drittel der ambulanten Klienten mit einer Cannabisproblematik und damit deutlich mehr als in anderen HD Gruppen hat keinen Schulabschluss (11,9 %) oder befindet sich noch in Schulausbildung (16,0 %). Dafür ist der Anteil an hohen Schulabschlüssen unter Personen mit einer Cannabisproblematik deutlich geringer (31,0 %), während der Anteil an niedrigen Schulabschlüssen (41,2 %) ähnlich hoch ist wie in den übrigen HD Gruppen (siehe Tabelle 2). Im stationären Bereich zeigt sich ein vergleichbares Bild. Auch hier ist der Anteil an Personen ohne Schulabschluss deutlich größer (16,0 %) als in den anderen HD Gruppen, wohingegen höhere Schulabschlüsse unter Cannabispatienten vergleichsweise selten sind (34,7 % vs. 47,0 %).

Gleichermaßen zeigen sich unter den ambulanten Cannabisklienten auch ein deutlich höherer Anteil von Personen die sich noch in Hochschul- oder Berufsausbildung befinden (15,4 %) und ein geringerer Anteil an Personen mit abgeschlossener Berufsausbildung (29,4 %). Dementsprechend hat mehr als die Hälfte (54,9 %) der ambulanten Cannabisklienten keine Hochschul- oder Berufsausbildung. Im stationären Bereich besitzen noch mehr der Cannabispatienten keine Hochschul- oder Berufsausbildung (60,5 %). Nur 36,3 % haben irgendeine abgeschlossene Ausbildung, 3,1 % befinden sich derzeit in Ausbildung.

Erwerbsituation und Hauptlebensunterhalt

Von den ambulanten Cannabisklienten waren 35,9 % vor Behandlungsbeginn erwerbstätig, etwa genauso viele (31,9 %) waren arbeitslos (nach SGB II oder SGB III). Durch den hohen Anteil an Schülern und Studenten in dieser Gruppe (21,8 %), ist hier sowohl der Anteil an Erwerbstätigen als auch der Anteil an Arbeitslosen niedriger als in den anderen HD Gruppen. Dementsprechend viele Cannabisklienten sind bei der Bestreitung ihres Lebensunterhalts auf die Unterstützung von Angehörigen angewiesen (21,9 %) und über ein Drittel beziehen Arbeitslosengeld (ALG I oder ALG II) oder Sozialhilfe. Nur knapp ein Viertel (24,3 %) bezieht den Hauptlebensunterhalt aus dem eigenen Gehalt.

Im stationären Bereich ist der Anteil an Erwerbstätigen unter Cannabispatienten mit 22,1 % noch deutlich niedriger. Fast zwei Drittel (60,2 %) waren arbeitslos. Demnach beziehen hier nahezu doppelt so viele Patienten Arbeitslosengeld oder Sozialhilfe (64,8 %) wie im ambulanten Bereich. Nur 8,0 % der Patienten verdienen ihren Lebensunterhalt durch das eigene Gehalt. Damit liegt im stationären Bereich unter Cannabispatienten eine extrem hohe Erwerbslosigkeit vor, die deutlich höher ist als in den anderen HD Gruppen (siehe Tabelle 2).

Störungsverlauf und –merkmale

Erstkonsum, Störungsbeginn und Alter bei Behandlungsbeginn

Abbildung 3 zeigt das Alter bei Erstkonsum, Störungsbeginn und Behandlungsbeginn. Das Durchschnittsalter beim Erstkonsum von Cannabis liegt im ambulanten Bereich bei 15,3 Jahren und im stationären Bereich bei 15,2 Jahren. Im Vergleich zu anderen HD Gruppen ist dies ein relativ frühes Einstiegsalter (Erstkonsum andere HD: ambulant: 19,3 Jahre, stationär: 18,8 Jahre). Entsprechend setzt auch der Beginn einer cannabisbezogenen Störung vergleichsweise früh ein. Bei ambulanten Klienten im Mittel mit 16,7 Jahren, bei stationär behandelten Patienten mit 16,8 Jahren. Bis zum Behandlungsbeginn vergehen im Durchschnitt weitere 8 Jahre.

Abbildung 3 Abbildung 3. Erstkonsum, Störungsbeginn, Behandlungsbeginn HD Cannabis und Gesamt (ohne HD Cannabis).

Konsumtage

Klienten mit einer HD Cannabis haben im Monat vor Behandlungsbeginn im Durchschnitt an 18,5 Tagen Cannabis konsumiert, im stationären Bereich an durchschnittlich 12,9 Tagen. Damit liegen sie im Vergleich zu anderen HD Gruppen im durchschnittlichen Bereich (ambulant: 17,3 Tage, stationär: 12,9 Tage).

Substanzbezogene Komorbidität

Im ambulanten Bereich konsumieren 23,3 % der Klienten mit einer HD Cannabis auch Alkohol in missbräuchlicher oder abhängiger Art und Weise. Weitere 34,8 % weisen zudem eine Tabakabhängigkeit auf, 26,3 % konsumieren zusätzlich Stimulanzien (Amphetamine, MDMA und andere Stimulanzien) und 8,7 % Kokain. Das Ausmaß an substanzbezogener Komorbidität ist somit ambulant relativ vergleichbar mit anderen HD Gruppen. Im stationären Bereich zeigt sich dagegen eine erheblich stärkere Zusatzbelastung der Cannabispatienten durch den Konsum weiterer Substanzen. Etwa die Hälfte (52,1 %) weist eine weitere Einzeldiagnose Alkohol auf und drei Viertel (75,0 %) haben eine zusätzliche Tabakabhängigkeit. Kokain (27,7 %), LSD (8,5 %) und andere Halluzinogene (7,3 %) sowie Heroin (5,8 %) sind ebenfalls häufige weitere Einzeldiagnosen. Besonders auffällig und hoch (74,7 %) ist hier der Anteil zusätzlich konsumierter Stimulanzien (Amphetamine, MDMA und andere Stimulanzien). Insgesamt weisen stationäre Cannabispatienten damit im Vergleich zu anderen HD Gruppen eine enorme Zusatzbelastung durch den Konsum weiterer Substanzen auf.

Wege in die Suchtbehandlung

Gerichtliche und andere Behandlungsauflagen

Knapp ein Drittel der Cannabisklienten kommt aufgrund einer gerichtlichen Auflage in die ambulante Suchthilfe. Davon bringen 22,8 % eine Auflage nach Betäubungsmittelgesetz (BtMG) mit, weitere 7,1 % andere strafrechtliche Auflagen. Im stationären Bereich sind 27,6 % der Cannabispatienten aufgrund gerichtlicher Auflagen in Behandlung, 21,4 % aufgrund eines Verstoßes gegen das BtMG und 6,0 % aufgrund anderer strafrechtlicher Auflagen. Dies ist im Vergleich zu anderen HD Gruppen (ambulant: 10,9 %, stationär: 9,9 %) ein deutlich höherer Anteil an gerichtliche Auflagen. Neben den gerichtlichen gibt es noch weitere Auflagen, die eine Behandlung erforderlich machen. Unter den Cannabisklienten im ambulanten Bereich sind dies vor allem Auflagen durch die Straßenverkehrsbehörde (23,1 %), Arbeitsagenturen (14,4 %) und den Arbeitgeber (8,2 %). Im stationären Bereich führen hauptsächlich Auflagen durch den Arbeitgeber (12,2 %), Arbeitsagenturen (10,8 %) und sonstige Auflagen (65,5 %) zu einer Behandlung.

Vermittlungswege

Neben den 19,1 %, die von Justizbehörden in die ambulante Suchthilfe vermittelt werden, kommt etwa die Hälfte aller Cannabisklienten selbst oder aufgrund der Familie (47,7 %). Weitere 7,6 % werden durch Einrichtungen der Jugendhilfe vermittelt. Deutlich seltener sind hier im Vergleich zu anderen HD Gruppen Vermittlungen durch ärztliche oder psychotherapeutische Praxen und Krankenhausabteilungen. Vermittlungen in den stationären Bereich erfolgen zum Großteil durch ambulante Suchtberatungsstellen (63,3 %), Krankenhäuser (10,8 %) und stationäre Rehabilitationseinrichtungen (10,7 %).

Behandlungsmerkmale

Behandlungsdauer

Klienten mit einer cannabisbezogenen Störung werden im ambulanten Bereich im Mittel 170 Tage (5,6 Monate) betreut. Nur 18,1 % der Klienten bleiben über 6 Monate in Behandlung und nur 10,7 % über ein Jahr. Im Vergleich zu den anderen HD Gruppen (MW = 222,5 Tage) ist dies eine relativ kurze Behandlungsdauer. Im stationären Bereich liegt die Behandlungsdauer cannabisbezogener Störungen mit 96,2 Tagen (3,2 Monate) im mittleren Bereich und ist mit anderen HD Gruppen vergleichbar (MW = 97,2).

Behandlungssende

Der Anteil regulärer Behandlungsbeendigungen liegt bei ambulanten Klienten mit HD Cannabis bei 62,4 % und ist damit vergleichbar mit dem Anteil regulärer Beendigungen anderer HD Gruppen (63,4 %). Von den unplanmäßigen Beendigungen geht der Großteil (34,7 %) auf einen vorzeitigen Abbruch durch den Klienten zurück. Im stationären Bereich beenden ebenfalls zwei Drittel der Patienten die Behandlung planmäßig (66,1 %). Im Vergleich zu anderen HD Gruppen (81,6 %) ist dies jedoch eine relativ geringe Planmäßigkeit.

Behandlungserfolg

Bei 64,0 % der ambulanten Cannabisklienten zeigt sich ein positives Behandlungsergebnis. Dies entspricht auch dem Behandlungserfolg in anderen HD Gruppen (63,0 %). Im stationären Bereich ist der Behandlungserfolg mit 64,0 % gleich hoch, jedoch ebenso wie die Planmäßigkeit der Beendigung, im Vergleich zu den anderen HD Gruppen (80,5 %) als deutlich geringer zu bewerten.

Diskussion

Störungs- und Behandlungsprävalenz

Im Gegensatz zu dem allgemeinen Rückgang der Konsum- und Störungsprävalenz von Cannabis (Kraus et al., 2010; Pabst et al., 2013), zeigt sich in der Suchthilfe eine steigende Behandlungsprävalenz cannabisbezogener Störungen. Unter den illegalen Drogen nimmt Cannabis mehr denn je die Vorreiterrolle ein. Diese Entwicklung kann zum einen durch eine erhöhte Konsumprävalenz zwischen 1990 und 2003 (Kraus, Pfeiffer-Gerschel & Pabst, 2008) erklärt werden, wenn man von einer sechs- bis siebenjährigen Latenz zwischen Erstkonsum und der Entwicklung einer Abhängigkeit ausgeht (Kleiber & Soellner, 1998). Zudem spiegelt sich in diesem Trend auch die Implementierung spezieller Programme, wie z. B. FreD3, Realize it4, CAN Stop5 und anderen wieder, die speziell auf die Zielgruppe der Cannabiskonsumenten ausgelegt sind. Weiterhin ist anzunehmen, dass ein stärkeres öffentliches Bewusstsein, dass es sich bei problematischem Cannabiskonsum um eine behandlungsrelevante Störung handelt, zu der zunehmenden Inanspruchnahme von Suchthilfe beigetragen hat.

Charakterisierung der Klienten mit cannabisbezogener Störung

Entsprechend den Ergebnissen anderer nationaler und internationaler Erhebungen (Hölscher, Bonnet & Scherbaum, 2008; Kipke et al., 2011; Rush & Urbanoski, 2007; Simon et al., 2004; Tims et al., 2002; Urbanoski et al., 2005) zeigt sich auch unter den in der Suchthilfe behandelten Personen mit einer cannabisbezogenen Störung, das charakteristische, sehr junge Durchschnittsalter, ein hoher Anteil an Männern, ein niedriges Schul- und Ausbildungsniveau und, vor allem im stationären Bereich, eine extrem hohe Arbeitslosigkeit. Hinsichtlich der Lebensführung weisen Personen mit cannabisbezogenen Störungen eine vergleichsweise geringe Selbstständigkeit und starke Abhängigkeit von anderen Personen oder Institutionen auf, was jedoch vor dem Hintergrund des durchschnittlich jungen Alters dieser Klientel betrachtet und relativiert werden muss. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass Cannabisklienten besonders in den Bereichen „Schule, Ausbildung, Beruf“ deutlich benachteiligt sind und damit zum einen wenig positive Ressourcen in die Behandlung miteinbringen und zum anderen möglicherweise eine schlechtere Prognose haben. Erstaunlich ist nach wie vor, dass Klienten mit einer Cannabisdiagnose trotz der, aufgrund des meist jungen Alters, vergleichsweise kurzen „Suchtkarrieren“ und starken familiären Bezügen ein mit anderen Hauptdiagnosen vergleichbares Ausmaß psychosozialer Belastungen aufweisen (vgl. Kipke et al., 2011). Insgesamt lassen die Ergebnisse darauf schließen, dass es sich bei der ambulanten und stationären Cannabisklientel um deutlich unterschiedliche Populationen handelt, wobei sich Patienten im stationären Bereich durch eine erheblich schlechtere (psycho–)soziale Situation auszeichnen.

Störungsverlauf und -merkmale

Personen, die sich aufgrund einer cannabisbezogenen Störung in der Suchthilfe befinden, berichten ein sehr junges Alter bei Erstkonsum, welches unterhalb des Durchschnittsalters bei Erstkonsum von Cannabis in der Allgemeinbevölkerung liegt (Pabst et al., 2013). Dies steht im Einklang mit der Annahme von Duwe und Kollegen (2001), dass ein frühes Einstiegsalter ein bedeutsamer Risikofaktor für die Entwicklung einer cannabisbezogenen Störung ist. In Folge des frühen Konsumeinstiegs setzt auch der Beginn einer cannabisbezogenen Störung früher ein als bei anderen substanzbezogenen Störungen. Neben dem frühen Erstkonsum stellt der Konsum weiterer Substanzen einen zusätzlichen Risikofaktor dar. Cannabisklienten weisen häufig eine zusätzliche Tabakabhängigkeit auf und zeigen vor allem im stationären Bereich einen erheblichen Zusatzkonsum weiterer Substanzen, insbesondere von Stimulanzien. Dies kann zusätzlich das Risiko für schwere psychiatrischer Störungen erhöhen, die gehäuft im Zusammenhang mit Cannabiskonsum auftreten (Gouzoulis-Mayfrank, 2007; Kawohl & Rössler, 2008). Es ist daher davon auszugehen, dass bei stationär behandelten Cannabispatienten meist eine deutlich schwerere Störungsausprägung vorliegt und diese möglicherweise noch von erheblichen Zusatzbelastungen, wie etwa komorbiden psychischen Störungen, betroffen sein könnten.

Behandlungsmerkmale

Auch hinsichtlich der Behandlung zeigen sich einige Unterschiede zwischen ambulanten und stationären Einrichtungen. Im ambulanten Bereich kommen Klienten mit einer Cannabisproblematik häufig aufgrund gerichtlicher Auflagen (meist nach BtMG) in die Behandlung und weisen unter allen Hauptdiagnosen die kürzeste Behandlungsdauer auf, während sie im stationären Bereich zu den Längsten zählen. Bezüglich der Art der Beendigung und des Behandlungserfolgs zeigen sich ambulant und stationär zwar zahlenmäßig dieselben Ergebnisse, im Vergleich zu den Ergebnissen anderer Hauptdiagnosegruppen ergibt sich jedoch ein deutlich unterschiedliches Bild. Während die cannabisbezogenen Störungen im ambulanten Bereich im Vergleich zu den anderen HD Gruppen ein durchschnittlich gutes Ergebnis zeigen, schneiden sie im stationären Bereich trotz der längeren Behandlungsdauer vergleichsweise schlecht ab. Dies steht in Übereinstimmung mit der Annahme einer stärkeren Störungsausprägung bei stationären Cannabispatienten, was zusammen mit der beobachteten Zusatzbelastung durch weiteren Substanzkonsum sowie der höheren psychosozialen Belastung, vermutlich häufiger zu Komplikationen in der Behandlung führt und sich in den vermehrten Behandlungsabbrüchen und schlechteren Behandlungsergebnissen widerspiegelt.Abbildung 4Abbildung 5

Abbildung 4 Abbildung 4. Zusatzbelastung durch den Konsum weiterer Substanzen, ambulant und stationär, HD Cannabis und Gesamt (ohne HD Cannabis).
Abbildung 5 Abbildung 5. Behandlungserfolg (erfolgreich oder gebessert), ambulant und stationär, HD Cannabis und Gesamt (ohne HD Cannabis).

Limitationen

Methodische Limitationen der Deutschen Suchthilfestatistik bestehen hinsichtlich möglicher Doppelzählungen und der Unterrepräsentation kleinerer Einrichtungen sowie der Frage, wie viele Personen mit einer Suchtproblematik tatsächlich Suchthilfe in Anspruch nehmen (Gomes de Matos, Kraus, Pabst & Piontek, 2013; Perkonigg, Pfister, Lieb, Bühringer & Wittchen, 2004).

Auf Einrichtungsebene stellt sich die Frage, ob die Variabilität der Erreichungsquote die Aussagekraft der Daten verringert. Seit Einrichtung des Einrichtungsregisters kann die Stabilität der Teilnahme an der DSHS nachvollzogen werden. Etwa 65 % der Einrichtungen nahmen seitdem in 6 oder mehr Jahren (entspricht einer Teilnahmerate von mindestens 75 % von 2007 bis 2014) und etwa 46 % sogar jährlich an der DSHS teil (eigene Berechnung). Auch wenn sich die Teilnahmerate für die früheren Jahre nicht berechnen lässt, ist demnach von einem stabilen „Grundstock“ an Einrichtungen, die Daten liefern, auszugehen.

Da in der DSHS nur der Teil aller Personen mit einer Suchtproblematik erfasst wird, die sich in eine Einrichtung der Suchthilfe begeben, sind die Aussagen dieser Studie auf die untersuchte Population begrenzt und Rückschlüsse auf alle Personen mit einer Abhängigkeitsproblematik nur begrenzt möglich. Nach Berechnungen von Hildebrand, Sonntag, Bauer und Bühringer (2009) nehmen nur 4 % bis 8 % der Personen mit Missbrauch bzw. Abhängigkeit von Cannabis ambulante und stationäre Suchthilfe in Anspruch.

Eine weitere Einschränkung besteht hinsichtlich der Operationalisierung des Behandlungserfolgs, da die Einschätzung nur subjektiv durch den betreuenden Mitarbeiter erfolgt. Zudem ist die Ausprägung einiger soziodemographischer Variablen, darunter „Wohnsituation“, „Schulbildung“ und „Arbeitslosigkeit“ sehr wahrscheinlich durch das Alter konfundiert.

Schlussfolgerungen

Die Ergebnisse dieser Untersuchung zeigen, dass Cannabis in der Suchthilfe zunehmend eine größere Rolle spielt. Die Zunahme des Anteils cannabisbezogener Störungen in der Suchthilfe lässt auf eine erfolgreiche Implementierung spezieller Angebote und Programme der ambulanten Suchthilfe für die Zielgruppe der problematischen Cannabiskonsumenten schließen, die inzwischen weite Verbreitung gefunden haben. In diesem Zusammenhang verdeutlicht der frühe Erstkonsum die Notwendigkeit frühzeitiger Präventions- und Interventionsmaßnahmen, um das Risiko der Entwicklung problematischen Cannabiskonsums und der Manifestation einer cannabisbezogenen Störung zu verringern.

Während uns im ambulanten Bereich vermutlich eher die relativ „harmlosen“ Cannabiskonsumenten begegnen, die häufig aufgrund gerichtlicher oder anderer Auflagen in der Suchthilfe erscheinen und seltener aufgrund subjektiver Belastung oder erhöhtem Leidensdruck, scheinen stationäre Cannabispatienten in jeglicher Hinsicht erheblich stärker belastet zu sein. Während Klienten im ambulanten Bereich in der Regel noch einen besseren sozialen Hintergrund aufweisen, sprechen im stationären Bereich vor allem die alarmierende soziale Situation der Patienten sowie die enorme Zusatzbelastung durch multiplen Substanzkonsum dafür, dass bei diesen Patienten eine deutlich schwerere Störungsausprägung und psychosoziale Belastung vorliegt. Der vergleichsweise geringe Behandlungserfolg im stationären Bereich bestärkt diese Annahme. Hieraus ergibt sich die Notwendigkeit der Mitbehandlung komorbider Substanz- und psychischer Störungen sowie einer umfassenden Hilfeplanung.

Fazit für die Praxis
  • Da sich der Einsatz zielgruppenspezifischer Angebote in Hinblick auf die Erreichung von Personen mit problematischem Cannabiskonsum als erfolgreich erwiesen hat, sind weitere Bemühungen um eine flächendeckende Implementierung dieser Programme angezeigt.
  • Die schlechte Ausbildungs- und berufliche Situation der meist sehr jungen Cannabisklienten macht Interventionen notwendig, die speziell auf das Setting „Schule, Ausbildungsplatz, Berufsberatung“ zugeschnitten sind. Hier sind Kooperationen mit Ausbildungsstätten, Sozialämtern, Jugendhilfe und Arbeitsagenturen von großer Bedeutung.
  • Angebote zur Förderung der Selbstständigkeit, wie Arbeits- oder Wohnprojekte wären angezeigt, um die Autonomie der Cannabisklienten zu erhöhen und gleichzeitig der hohen Arbeitslosigkeit entgegen zu wirken.
  • Die alarmierende psychosoziale Situation und die vergleichsweise schlechten Behandlungsergebnisse im stationären Bereich erfordern neben intensiveren (sucht)medizinischen und psychiatrischen Therapien auch (psycho–)soziale Hilfe und Maßnahmen zur Reintegration der Patienten sowie der Förderung von Ressourcen und Perspektiven.

Interessenkonflikt: Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Das Projekt „Deutsche Suchthilfestatistik“ wird aus Mitteln des Bundesministeriums für Gesundheit gefördert.

Unser Dank gilt den teilnehmenden Klienten und Einrichtungen sowie den Mitgliedern des Fachbeirats Suchthilfestatistik (R. Gaßmann, A. Koch, P. Missel, G. Sauermann, R. Walter–Hamann, T. Wessel).

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1Die Erreichungsquote der DSHS errechnet sich auf Basis eines Einrichtungsregisters und den Angaben der Einrichtungen bezüglich ihrer (unter Umständen verdeckten) Teilnahme an der DSHS (durch Einschluss innerhalb des Datensatzes einer anderen Einrichtung) und Extrapolation von fehlenden Angaben.

2Zur besseren Lesbarkeit wird im folgenden Text der Begriff „Behandlung“ einheitlich für den ambulanten und stationären Bereich verwendet.

3 http://www.lwl.org/FreD/

4 http://www.realize-it.org

5 http://www.canstop.med.uni-rostock.de/

Hanna Brand, IFT Institut für Therapieforschung, Parzivalstraße 25, 80804 München, Deutschland