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Open AccessOriginalarbeit

Burnout-Symptome bei Fachkräften in der Kinder- und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie während des Winter-Lockdowns 2020/2021 der COVID-19-Pandemie

Published Online:https://doi.org/10.1024/1422-4917/a000876

Abstract

Zusammenfassung.Fragestellung: Fachkräfte in Kliniken und Abteilungen für Kinder- und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie erleben in ihrem Arbeitsalltag häufig Belastungen, die sich in Form von Belastungssymptomen wie einer Burnout-Symptomatik äußern können. Ziel ist es, die bisher nicht ausreichend erforschten Folgen einer Burnout-Symptomatik auf institutioneller Ebene wie beispielsweise Personalfluktuation zu untersuchen. Methodik: An psychiatrischen Kliniken oder Abteilungen für Kinder und Jugendliche in Deutschland wurden die Zusammenhänge zwischen einer Burnout-Symptomatik der Fachkräfte und den institutionellen Folgen Präsentismus, Absentismus, Fluktuationsneigung und geminderte Qualität der Arbeitsleistung an einer Stichprobe von n = 172 Fachkräften während des Winter-Lockdowns (2020/2021) der COVID-19-Pandemie untersucht. Ergebnisse: Es zeigte sich, dass Anzeichen einer Burnout-Symptomatik einen Einfluss auf die Fluktuationsneigung, den Präsentismus sowie die Arbeitsleistung der Fachkräfte haben. Darüber hinaus ergaben sich Hinweise, dass die Fachkräfte während des Winter-Lockdowns (2020/2021) der COVID-19-Pandemie belasteter waren und dies die Fluktuationsneigung, den Präsentismus und Absentismus sowie die Qualität der Arbeitsleistung beeinflusst hat. Schlussfolgerung: Den berufsbedingten Belastungen der Fachkräfte gilt es frühzeitig zu begegnen, um die potenziellen Folgen für Kliniken und Abteilungen für Kinder- und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie zu verhindern oder zu mindern und im Zuge dessen die Betreuungskonnektivität und -qualität gewährleisten zu können.

Burnout Symptoms Among Child and Adolescent Psychiatric/Psychotherapy Professionals During the 2020/2021 Winter Lockdown of the Covid-19 Pandemic

Abstract.Question: Professionals in clinics and Departments of Child and Adolescent Psychiatry/Psychotherapy are often confronted with stress during their daily work. Such psychological pressure can cause stress symptoms such as burnout. This article examines the consequences of burnout symptoms at the institutional level, such as staff turnover. Method: We examined the connection between burnout symptoms and the institutional consequences of presenteeism, absenteeism, turnover tendency, and reduced quality of job performance during the winter lockdown (2020/2021) of the Covid-19-pandemic at psychiatric hospitals or departments for children and adolescents in Germany using a sample of N = 172 professionals. Results: The results show that signs of burnout symptoms impact the turnover tendency, presenteeism, and job performance of professionals. In addition, evidence emerged that professionals were more stressed during the winter lockdown (2020/2021) of the Covid-19 pandemic, and that this influenced turnover tendency, presenteeism, and absenteeism as well as the quality of job performance. Conclusion: Work-related stress of professionals should be addressed early to protect clinics and departments for child and adolescent psychiatry/psychotherapy from potential consequences, and to ensure care connectivity and quality of care.

Einleitung

Fachkräfte in Kliniken und Abteilungen für Kinder- und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie sind in ihrer täglichen Arbeit häufig mit Belastungen konfrontiert, die aus der Interaktion mit den Patient_innen entstehen können. Derartige Belastungen werden zunächst als normale Umstände angesehen. Negative Auswirkungen für Mitarbeitende sind erst zu erwarten, wenn einzelne Belastungen als traumatisierend erlebt werden oder es sich um chronische Belastungen handelt (Dondalski, 2003). Aggressions- und Gewalterfahrungen können solche belastenden traumatischen Ereignisse sein, die in unterschiedlichen Ausprägungen häufig Bestandteil der täglichen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen sind (Papenberg, 2006). Eine Vielzahl der Kinder und Jugendlichen, die psychische Störungen aufweisen, haben selbst Kindheitstraumata wie beispielsweise Misshandlung oder sexueller Missbrauch erlebt (Goldbeck & Petermann, 2013), welche ein Risiko für eskalierende Interaktionen zwischen den Kindern und Jugendlichen und den betreuenden Fachkräften darstellen können (Alink, Euser, Bakermans-Kranenburg & van Ljzendoorn, 2014; Steinlin, Fischer, Dölitzsch, Fegert & Schmid, 2015). Häufigkeiten von Grenzverletzungen gegen das Personal und die daraus resultierenden möglichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen für Fachkräfte in der stationären Betreuung von psychisch kranken Kindern und Jugendlichen sowie die Folgen für die Institutionen wurden bisher nur in wenigen Settings eingehend untersucht. Einleitend werden neben den Befunden für das Setting der stationären Kinder- und Jugendpsychiatrie auch Befunde aus der Erwachsenenpsychiatrie und der stationären Kinder- und Jugendhilfe dargelegt.

In einer epidemiologischen Studie in Schweizer Einrichtungen der stationären Kinder- und Jugendhilfe, die die pädagogischen Fachkräfte explizit nach eigenen belastenden Situationen sowie persönlichen Grenzverletzungen in ihrem beruflichen Alltag mit den Kindern und Jugendlichen gefragt hat, berichteten die Befragten, von den Kindern und Jugendlichen beschimpft (79 %), verbal bedroht (53 %) und tätlich angegriffen (24 %) worden zu sein (Steinlin, Fischer, et al., 2015).

Ein Anlass für das Auftreten von Aggressionen gegenüber Fachkräften ist, wenn Fachkräfte den Kindern und Jugendlichen Grenzen setzen, um die Struktur einer Einrichtung aufrechtzuerhalten, oder wenn pädagogische und therapeutische Maßnahmen entgegen dem Einverständnis der Kinder und Jugendlichen ausgeübt werden. Bei den Fachkräften besteht dahingehend eine große Unsicherheit, welche von Befürchtungen begleitet werden, bedroht, angegriffen und verletzt zu werden (Papenberg, 2006). Problematisch ist, dass zahlreiche Fachkräfte unzureichend auf den Umgang mit grenzverletzendem Verhalten der Kinder und Jugendlichen in ihrem Arbeitsalltag vorbereitet werden (Schmid, Grieb & Kölch, 2011). Ist eine Fachkraft mit den ihr zur Verfügung stehenden Qualifikationen und Kompetenzen den Anforderungen einer Situation nicht gewachsen, verursacht dies im Folgenden Stress, der sich negativ auf den Gesundheitszustand der Fachkraft auswirken kann (Dondalski, 2003). Die gesundheitlichen Auswirkungen für die Mitarbeitenden können sich in Form von Belastungssymptomen wie einer Burnout-Symptomatik äußern (Steinlin, Dölitzsch, et al., 2015). Eine berufsbedingte Burnout-Symptomatik ist eine psychische Beeinträchtigung, die durch emotionale Erschöpfung, Depersonalisation und verminderte persönliche Leistungsfähigkeit gekennzeichnet ist und bei Personen, die in irgendeiner Weise mit Menschen zusammenarbeiten, auftreten kann. Dabei wird die emotionale Erschöpfung als Gefühl einer emotionalen Überforderung durch die Arbeit definiert und gilt als Leitsymptom. Depersonalisation bezieht sich auf negative, zynische Einstellungen gegenüber Klient_innen, und verminderte persönliche Leistungsfähigkeit spiegelt die Tendenz einer negativen Selbsteinschätzung, insbesondere in Bezug auf die Arbeit mit Menschen, wider (Maslach, Jackson & Leiter, 1996). Für den Begriff „Burnout“ gibt es weitere zahlreiche Definitionen und Erklärungsansätze, die teilweise widersprüchlich sind. Infolge dieser Widersprüche und der unzureichenden Abgrenzbarkeit kann nicht angenommen werden, dass Burnout zukünftig als eigenständiges Störungsbild in die Diagnosesysteme aufgenommen wird. Der Begriff findet jedoch häufig Anwendung, da dieser als nicht stigmatisierend wahrgenommen wird und im Zuge dessen für die Betroffenen eine Erleichterung darstellt, sich professionell Hilfe zu suchen (Thalhammer & Paulitsch, 2014). In der ab Januar 2022 in Kraft getretenen ICD-11 (International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems) wird Burnout als Syndrom beschrieben, das die Folge von chronischem Stress am Arbeitsplatz ist, der nicht erfolgreich bewältigt wurde. Burnout gilt dabei nicht als Krankheit, sondern als Faktor, der einen Einfluss auf den Gesundheitszustand hat (World Health Organization, 2021).

Zwei aktuelle Studien in psychiatrischen Kliniken und Abteilungen berichten über arbeitsplatzbezogene Belastungssituationen, wie aggressives Verhalten von Patient_innen gegenüber Fachkräften, sowie daraus resultierende psychische Belastungsreaktionen in Form einer Burnout-Symptomatik (Aguglia et al., 2020; Kobayashi et al., 2020). Unter den Mitarbeitenden in der psychiatrischen Gesundheitsversorgung lassen sich hohe Burnout-Werte finden, die je nach Studie zwischen 21 und 67 % liegen (Morse, Salyers, Rollins, Monroe-DeVita & Pfahler, 2012). Eine Studie unter Mitarbeitenden einer stationären Kinder- und Jugendpsychiatrie zeigte, dass 84.8 % bereits physische Gewalt von Patient_innen gegen das Personal erlebt haben, die mit emotionalen und beruflichen Folgen assoziiert ist (Dean, Gibbon, McDermott, Davidson & Scott, 2010).

Auch in der stationären Kinder- und Jugendhilfe ist das Erleben von verbaler oder physischer Gewalt von Kindern bzw. Jugendlichen gegenüber den Fachkräften weit verbreitet, was das Risiko einer Burnout-Symptomatik erhöht (Kind, Eckert, Steinlin, Fegert & Schmid, 2018; Winstanley & Hales, 2015). Die Befunde der epidemiologischen Studie von Steinlin et al. (2016) zeigten, dass bei fast einem Fünftel der Fachkräfte (18 %) eine Burnout-Gefährdung vorlag.

Neben diesen direkten Reaktionen auf berufliche Belastungen beziehen sich langfristige Auswirkungen nicht nur auf die Fachkräfte selbst, sondern auch auf ihre betreuende Funktion und die Institution, in der sie arbeiten. Eine Untersuchung von Holmqvist und Jeanneau (2006) zeigte, dass Mitarbeitende in psychiatrischen Einrichtungen, die Symptome eines Burnouts vorwiesen, sich gegenüber den zu behandelnden Patient_innen weniger hilfreich bis ablehnend verhalten haben. Haben Fachkräfte selbst einen Übergriff im beruflichen Kontext erlebt, kann dies eine erhöhte Unsicherheit am Arbeitsplatz sowie einen durch Angst geprägten Umgang mit den Patient_innen als Folge haben (Richter, 2007). Weiterhin haben Symptome, die dem kontrovers diskutierten Begriff „Burnout“ zugeordnet werden und in der ICD-10-Klassifikation unter der Diagnosegruppe Z73 („Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung“) eingeordnet werden, eine Vielzahl an Krankheitstagen zur Folge. Laut dem jährlichen Fehlzeiten-Report des Wissenschaftlichen Instituts der AOK haben sich die krankheitsbedingten Fehltage aufgrund eines Burnouts zwischen 2010 und 2019 um fast das Doppelte erhöht. Rund 185 000 Menschen mit insgesamt 4.3 Mio. Arbeitsunfähigkeitstagen waren im Jahr 2019 infolge eines sogenannten „Burnouts“ krankgeschrieben, wobei Frauen und Menschen in helfenden oder beratenden Berufen besonders häufig betroffen waren (Meyer, Wiegand & Schenkel, 2020). Eine Burnout-Symptomatik kann neben krankheitsbedingten Fehlzeiten auch häufig zu Präsentismus führen (Salvagioni et al., 2017; Tuithof et al., 2017), der sich darin äußert, dass Mitarbeitende bei der Arbeit erscheinen, obwohl sie angesichts ihres wahrgenommenen Gesundheitszustandes krankgeschrieben sein sollten (Aronsson, Gustafsson & Dallner, 2000). Eine Studie unter Beschäftigten im Gesundheitswesen ergab, dass Beschäftigte mit einer Burnout-Symptomatik im Vergleich zu Beschäftigten, die keine Symptomatik aufweisen, mehr krankheitsbedingte Fehlzeiten sowie Tage, an denen sie krank zur Arbeit erscheinen, vorweisen (Peterson, Demerouti, Bergström, Åsberg & Nygren, 2008). Darüber hinaus belegen Ergebnisse einer Studie unter Mitarbeitenden der psychiatrischen Gesundheitsfürsorge einen Zusammenhang zwischen der Absicht eines Arbeitsplatzwechsels und Symptomen eines Burnouts (Acker, 2012; Broderick, Vaughan, McNicholas & Feeney, 2021). Gerade für das vulnerable Klientel in der stationären Betreuung von Kindern und Jugendlichen sind jedoch kontinuierliche Beziehungen und gesunde Fachkräfte als Bezugspersonen wesentlich (Steinlin et al., 2016).

Auch die Arbeitsleistung der Mitarbeitenden wird durch gesundheitliche Beeinträchtigungen im Sinne von Erschöpfungssymptomen eines Burnouts, die infolge von belastenden Arbeitsbedingungen entstehen, beeinflusst (Bakker, Demerouti & Verbeke, 2004; Swider & Zimmerman, 2010). Eine Studie unter Pflegenden in psychiatrischen Kliniken konnte Zusammenhänge zwischen Symptomen eines Burnouts und reduzierter selbst berichteter Qualität der Arbeit aufzeigen (Van Bogaert, Clarke, Willems & Mondelaers, 2013).

Die COVID-19-Pandemie hat zu zahlreichen Veränderungen und zusätzlichen Anforderungen für die Fachkräfte im Bereich der psychiatrischen Versorgung von Kindern und Jugendlichen geführt. Während der COVID-19-Pandemie wurden beispielsweise neue Hygienekonzepte zum Schutz der Mitarbeitenden sowie der Kinder und Jugendlichen vor einer Infektion umgesetzt. Darüber hinaus haben sich die Behandlungsformen für die Kinder und Jugendlichen dahingehend verändert, dass beispielsweise die persönlichen Kontakte reduziert wurden (Fegert & Schulze, 2020). Die Behandlung der stationär untergebrachten Kinder und Jugendlichen erforderte eine umsichtige Güterabwägung, die Aspekte einer sicheren Behandlung insbesondere hinsichtlich Selbst- und Fremdgefährdung sowie Kinderschutzaspekte, aber auch Maßnahmen zum Schutz vor einer Infektion umfassen. Um das Infektionsrisiko zu minimieren, wurden beispielsweise Kleingruppen etabliert sowie Beurlaubungen am Wochenende ausgesetzt. Neben dem Erfragen des Gesundheitszustandes der Patient_innen wurden auch regelmäßige Temperaturmessungen durch das Personal durchgeführt (Aslan et al., 2020). Eine Studie von Pappa, Barnett, Berges und Sakkas (2021) unter Beschäftigten der psychiatrischen Gesundheitsvorsorge legte dar, dass die Beschäftigten während der Pandemie psychisch belastet waren und bei ihnen häufig Symptome wie emotionale Erschöpfung (52 %), Depersonalisation (19.5 %) und eine geringe persönliche Leistung (55.5 %) auftraten. Die Arbeitsveränderungen, die infolge der COVID-19-Pandemie zu etablieren waren, stellen zudem einen Faktor dar, der die Fluktuationsneigung der Fachkräfte infolge von Burnout Symptomen beeinflussen kann (Sklar, Ehrhart & Aarons, 2021).

Da für den Zusammenhang zwischen den erlebten Grenzverletzungen gegen das Personal und einer gesundheitlichen Beeinträchtigung in Form einer sogenannten Burnout-Symptomatik oder einer massiven wahrnehmbaren Belastung bislang wenig empirische Studien vorliegen, ist ein Ziel dieser Studie, den Zusammenhang zwischen der Anzahl an erlebten Grenzverletzungen durch Kinder und Jugendliche gegenüber Fachkräften (z. B. einen tätlichen Angriff oder eine verbale Bedrohung) und der Belastungsreaktionen in Form einer Burnout-Symptomatik zu untersuchen. Des Weiteren nimmt sich die Studie den bisher nicht ausreichend erforschten weitreichenden institutionellen Folgen einer Burnout-Symptomatik (Personalfluktuation, Absentismus, Präsentismus und Qualität der Arbeitsleistung) an. Insbesondere für kinder- und jugendpsychiatrische Einrichtungen liegen bis dato keine Befunde vor.

Methode

Vorgehen

Rekrutiert wurden für diese Studie Fachkräfte aus psychiatrischen Kliniken oder Abteilungen für Kinder und Jugendliche, die in ihrem Arbeitsalltag einen gewohnheitsmäßigen Kontakt zu den Kindern und Jugendlichen (Patient_innen) haben. Die Studie wurde von der Bundesarbeitsgemeinschaft der Leitenden Klinikärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie e. V. unterstützt und die Mitglieder dieser Bundesarbeitsgemeinschaft, mit der Bitte, an dieser Studie teilzunehmen, angeschrieben. Dabei haben die Mitglieder einen Link zu einer Onlinebefragung erhalten, um diesen an die jeweiligen Mitarbeitenden ihrer Klinik bzw. Abteilung weiterzuleiten. Die Mitarbeitenden wurden im Rahmen dieser Onlinebefragung unter anderem gebeten, ihre Belastungen sowie ihre Belastungsreaktion zu beurteilen. Zudem sind auch die Folgen für die psychiatrische Einrichtung für Kinder und Jugendliche erhoben worden. Darüber hinaus wurden die grundlegenden im Arbeitsalltag erlebten Arbeitsbelastungen (z. B. Grenzverletzungen) in psychiatrischen Kliniken und Abteilungen für Kinder und Jugendliche erfasst. Aufgrund der während des Erhebungszeitraumes vorherrschenden COVID-19-Pandemie und den damit einhergehenden Veränderungen (z. B. Abstandsregeln, Hygienemaßnahmen) und möglicherweise zusätzlichen Belastungen der Fachkräfte, wurde der subjektiv eingeschätzte Einfluss dieser Pandemie auf die Grenzverletzungen der Kinder und Jugendlichen gegenüber den Fachkräften, die Belastungsreaktionen sowie die Folgen für die psychiatrischen Kliniken und Abteilungen für Kinder und Jugendliche erhoben. Die Mitarbeitenden konnten den Fragebogen innerhalb von 3 Wochen auf freiwilliger Basis ausfüllen. Die Datenerhebung erfolgte von November 2020 bis Mai 2021. Für die Durchführung dieser Studie liegt ein positives Ethikvotum der Universität Ulm vor.

Stichprobenbeschreibung

An der Onlinebefragung während der in ganz Deutschland besonders stark belastenden Wintermonate ab November 2020 bis zu den Lockerungen im frühen Mai 2021 haben 172 klinisch tätige Fachkräfte aus kinder- und jugendpsychiatrischen Kliniken und Abteilungen in Deutschland teilgenommen. Die meisten Teilnehmenden waren Mitarbeitende des pädagogischen Erziehungsdienstes (20.9 %) sowie Gesundheits- und Krankenpfleger_innen (19.2 %), gefolgt von Psychotherapeut_innen (15.7 %) sowie Ärzt_innen (14.5 %). Mit 79.7 % waren die Teilnehmenden der Onlinebefragung überwiegend weiblich und im Schnitt 39.50 Jahre alt (SD = 10.71; Median = 37.50). Die Teilnehmenden konnten durchschnittlich 10.24 Jahre (SD = 8.87; Median = 9.00) Berufserfahrung vorweisen (Tabelle 1).

Tabelle 1 Demografische Darstellung der Stichprobe (n = 172) der Onlinebefragung

Verwendete Messinstrumente

Die Onlinebefragungen der Studie zu Belastungen von Fachkräften in der (stationären) Betreuung von Kindern und Jugendlichen an psychiatrischen Kliniken und Abteilungen für Kinder und Jugendliche umfasste verschiedene standardisierte und eigens im Rahmen der Studie entwickelte Fragebögen.

Zur Erfassung der Belastungen im Arbeitsalltag wurde der von Fischer, Dölitzsch, Steinlin, Breymaier und Schmid (2012) im Rahmen eines Modellversuchs zur Implementierung und Evaluation von traumapädagogischen Konzepten entwickelte Fragebogen eingesetzt. Mit 16 Items wurden neben Grenzverletzungen der Kinder und Jugendlichen gegenüber Mitarbeitenden auch potenziell belastende Ereignisse, die im Arbeitsalltag miterlebt wurden (wie beispielsweise selbstverletzende Handlungen oder grenzverletzendes Verhalten zwischen den Kindern und Jugendlichen), erfasst. Die Teilnehmenden konnten dabei aus einer Liste von spezifischen belastenden Ereignissen mit „ja“ oder „nein“ angeben, ob diese in den letzten 3 Monaten vor der Befragung aufgetreten waren. Für die nachfolgend dargestellten Ergebnisse wurden nur die Items analysiert, die Grenzverletzungen gegen Mitarbeitende erheben.

Zur Erfassung aktueller Beschwerden, wie sie typischerweise im Zuge eines Burnout-Syndroms auftreten, wurde die Burnout-Screening-Skala (BOSS; Skala: Beruf) von Hagemann und Geuenich (2009) eingesetzt. Burnout wird vermutet, wenn ein oder mehrere Werte der Skala (10 Items) erhöht sind (T-Score ≥ 60). Der Bezugszeitraum wurde auf 3 Wochen vor der Befragung festgelegt. Die Teilnehmenden beantworten die Fragen anhand einer sechsstufigen Likert-Skala von 1 „trifft nicht zu“ bis 6 „trifft stark zu“.

Mit drei Items aus dem Fragebogen von Thaler (2013) wurde anhand einer fünfstufigen Likert-Skala von 1 „trifft nicht zu“ bis 5 „trifft zu“ die persönliche Fluktuationsneigung ermittelt.

Für die Erfassung der Anzahl an krankheitsbedingten Fehltagen in den letzten 12 Monaten wurde ein Textfeld genutzt, bei dem die Befragten gebeten wurden, eine Zahl einzutragen. Angelehnt an den Fragebogen ProSoB von Badura, Rixgens und Behr (Ueberle, 2013) wurde mit drei Items anhand einer fünfstufigen Likert-Skala von 1 „nie“ bis 5 „fast immer“ die subjektiv eingeschätzte persönliche Arbeitsfähigkeit, die den Präsentismus und damit die Anwesenheit der Fachkräfte trotz Krankheit erfasst, erhoben.

Um anhand von drei Items die subjektiv eingeschätzte Qualität der eigenen Arbeitsleistung zu ermitteln, wurden Items des Fragebogens Interpro Q von Brücker, Bock-Rosenthal und Rixgens (2004) eingesetzt. Die Teilnehmenden beantworteten die Fragen anhand einer fünfstufigen Likert-Skala von 1 „sehr schlecht“ bis 5 „sehr gut“.

Die eingesetzten Fragebögen wurden jeweils um ein Item ergänzt, um den subjektiv eingeschätzten Einfluss der COVID-19-Pandemie unter anderem auf die Häufigkeit der Grenzverletzungen von Kindern und Jugendlichen gegenüber den Fachkräften, die Belastungsreaktionen (Burnout) sowie die Folgen für die psychiatrischen Kliniken und Abteilungen für Kinder und Jugendliche zu ermitteln. Die Teilnehmenden beurteilten den Einfluss der COVID-19-Pandemie mithilfe von drei Items, indem sie beispielsweise angaben, ob aufgrund der COVID-19-Pandemie die Häufigkeit der Grenzverletzungen von Kindern und Jugendlichen gegenüber den Fachkräften oder die persönliche Absicht, den Arbeitsplatz zu wechseln, zugenommen, abgenommen oder sich nicht verändert hat.

Statistische Verfahren

Zur Beurteilung der Differenzen einer Burnout-Gefährdung der Fachkräfte hinsichtlich des Alters und der Berufserfahrung mit Kindern und Jugendlichen wurde die Gruppe anhand des Medians geteilt und ein t-Test für unabhängige Stichproben berechnet. Der Einfluss einer Burnout-Symptomatik auf die psychiatrischen Einrichtungen für Kinder und Jugendliche, in Form von Personalfluktuation, Absentismus, Präsentismus und geminderter Arbeitsleistung, wurde in Ergänzung zu Korrelationsanalysen mittels linearer Regressionen quantifiziert. Darüber hinaus wurde zur Ermittlung des Zusammenhangs zwischen der erlebten Anzahl unterschiedlicher Grenzverletzungen gegen die Fachkräfte und einer Burnout-Symptomatik der zweiseitige exakte Fisher-Test eingesetzt. Die Durchführung der Auswertungen erfolgte mit der Statistik- und Analysesoftware SPSS (Version 23.0).

Ergebnisse

Häufigkeit von unterschiedlichen Grenzverletzungen gegenüber den Fachkräften

66 % (n = 113) der Stichprobe gaben an, dass sie in den letzten 3 Monaten von den Kindern und Jugendlichen beschimpft oder beleidigt worden sind. Mehr als die Hälfte der Befragten (n = 94) gab an, von den Kindern und Jugendlichen verbal bedroht worden zu sein. Von tätlichen Angriffen berichteten rund 30 % (n = 55) der Befragten. 30.2 % der Befragten gaben an, dass sie keine der genannten Grenzverletzungen erlebt haben (Abbildung 1). 42.5 % gaben an, eine bis drei Grenzverletzungen erlebt zu haben. Vier bis sechs der genannten Grenzverletzungen haben 23.8 % der Befragten in den letzten 3 Monaten erlebt. Von mehr als sieben Grenzverletzungen berichteten 3.5 % der Befragten.

Abbildung 1 Häufigkeit von Grenzverletzungen gegenüber den Fachkräften n = 172 (Mehrfachnennungen möglich).

Ca. 75 % der Befragten gaben an, dass sich aufgrund der COVID-19-Pandemie die Häufigkeit der Beschimpfungen und Beleidigungen, verbalen Bedrohungen und tätlichen Angriffe nicht verändert hat. Rund ein Viertel berichtete von einer Zunahme von diesen Grenzverletzungen im Zuge der COVID-19-Pandemie. Von einer Abnahme der Häufigkeiten unterschiedlicher Grenzverletzungen gegenüber dem Personal berichtete keine_r der Befragten.

Ausmaß der Burnout-Gefährdung in der Stichprobe

Anhaltspunkte für ein berufsbedingtes Burnout-Syndrom ergeben sich, wenn Personen auf der BOSS-Skala Beruf in einem oder mehreren Kennwerten (Gesamt-, Intensitäts- und Breitenwert) einen Wert T ≥ 60 erreicht haben. Rund ein Viertel der Fachkräfte (26.7 %) wies mindestens einen auffälligen Kennwert (T ≥ 60) auf. Somit besteht bei 46 Personen der Verdacht auf ein berufsbedingtes Burnout-Syndrom. Rund die Hälfte (51.8 %) der Befragten gab an, dass ihre Beschwerden und Belastungen in ihrem Arbeitsbereich aufgrund der COVID-19-Pandemie zugenommen haben. Bei 43 % haben sich die Beschwerden und Belastungen im Arbeitsalltag nicht verändert und 5.2 % berichteten über eine Abnahme der Beschwerden und Belastungen.

Zur Betrachtung der Burnout-Gefährdung nach Alter und Berufserfahrung in Jahren, wurde die Stichprobe anhand des Medians unterteilt. Anschließend erfolgte ein Vergleich der Mittelwerte der jeweiligen Gruppe bezüglich ihrer Burnout-Gefährdung. Die Auswertungen (t[170] = –.93, p = .355) ergaben, dass die jüngeren Fachkräfte (< 37.50 Jahre: M = 1.85, SD = .59) im Vergleich zu den älteren Fachkräften (≥ 37.50 Jahre: M = 1.76, SD = .72) auf einem 5%igen Signifikanzniveau keine signifikant höhere Burnout-Gefährdung aufwiesen. Auch bei Fachkräften mit weniger Berufserfahrung war die Burnout-Gefährdung nicht signifikant höher (< 9.00 Jahre: M = 1.79, SD = .57) verglichen mit den berufserfahreneren Fachkräften (≥ 9.00 Jahre: M = 1.81, SD = .73) (t[170] = .18, p = .855).

Der Zusammenhang zwischen der Anzahl an erlebten unterschiedlichen Grenzverletzungen gegenüber den Fachkräften und einer Verdachtsdiagnose für ein berufsbedingtes Burnout (liegt vor vs. liegt nicht vor) wurde mit einem zweiseitigen exakten Fisher-Test für kategoriale Variablen untersucht. Um die Stärke des Zusammenhangs zu ermitteln, wurde Cramers V berechnet. Die Ergebnisse zeigten einen signifikanten Zusammenhang (exakter Fisher-Test = 18.90, p = .013, n = 172). Zwischen der Anzahl unterschiedlicher erlebter Grenzverletzungen gegen die Fachkräfte und einer Verdachtsdiagnose für ein berufsbedingtes Burnout konnte ein mittlerer positiver Zusammenhang identifiziert werden (Cramers V = .34, p = .014).

Zusammenhänge zwischen Burnout-Symptomatik und potenziellen Folgen auf institutioneller Ebene

Die Berechnung der Korrelationen zeigt, dass der Zusammenhang zwischen einer Burnout-Gefährdung und dem Präsentismus am stärksten ausgeprägt ist (r = .50, p < .001). Für die Arbeitsleistung konnte ein mäßiger linearer negativer Zusammenhang (r = –.44, p < .001) mit dem Gesamtwert für Burnout identifiziert werden. Die Fluktuationsneigung weist einen signifikanten mäßigen positiven Zusammenhang mit einer Burnout-Gefährdung auf (r = .38, p < .001). Ein Zusammenhang zwischen dem Absentismus und einer Burnout-Gefährdung konnte in dieser Studie nicht beobachtet werden (Tabelle 2).

Tabelle 2 Mittelwerte und Standardabweichung der Fluktuationsneigung, des Präsentismus, der Arbeitsleistung (jeweils Skala von 1 bis 5) sowie des Absentismus und deren Korrelation mit einer Burnout-Gefährdung (Gesamtwert)

Um aufzuzeigen, welchen Einfluss Belastungsreaktionen in Form einer Burnout-Symptomatik auf die möglichen institutionellen Folgen haben, wurden ergänzend zu den Korrelationsanalysen lineare Regressionen berechnet (Tabelle 3). Die Analyse mit der Burnout-Gefährdung als Prädiktor und der Fluktuationsneigung der Fachkräfte als Kriterium ist signifikant (R2 = .15, F[1,170] = 28.83, p < .001). 15 % der Gesamtvarianz der Fluktuationsneigung der Fachkräfte wird durch eine Burnout-Gefährdung erklärt. Der Regressionskoeffizient der Variable Fluktuationsneigung (.67) ist signifikant (t[170] = 5.37; p < .001). Eine weitere Analyse zeigte, dass eine Burnout-Gefährdung einen Einfluss auf den Präsentismus hat (R2 = .25, F[1,170] = 55.10, p < .001). 25 % der Streuung des Präsentismus wird durch die Burnout-Gefährdung der Fachkräfte erklärt. Der Regressionskoeffizient der Variable Präsentismus zeigt, dass die Burnout-Gefährdung in einem positiven Zusammenhang mit dem Präsentismus der Fachkräfte steht (ß = .57; t[170] = 7.42; p < .001). Die Analyse mit Burnout-Gefährdung als Prädiktor und Absentismus als Kriterium (R2 = .01, F[1,170] = 1.46, p > .05) zeigte, dass der Verdacht eines Burnouts keinen Einfluss auf die Anzahl an Fehltagen der Fachkräfte hat. Eine weitere Analyse zeigte, dass die Burnout-Gefährdung einen negativen Einfluss auf die Qualität der Arbeitsleistung der Fachkräfte hat (R2 = .20, F[1,170] = 41.83, p < .001). 20 % der Gesamtvarianz der Arbeitsleistung der Fachkräfte kann durch eine Burnout-Gefährdung erklärt werden. Der Regressionskoeffizient der Variable Arbeitsleistung (ß = –.35) ist signifikant (t[170] = –6.47; p < .001).

Tabelle 3 Einfluss einer Burnout-Gefährdung auf die potenziellen Folgen auf institutioneller Ebene

Unter Betrachtung der während des Erhebungszeitraumes vorherrschenden COVID-19-Pandemie gab die Mehrheit der Befragten an, dass sich ihre Absicht, den Arbeitsplatz zu wechseln (77.3 %), die Anzahl der Tage, an denen sie krank zur Arbeit gingen (70.3 %), die Anzahl der krankheitsbedingten Fehltage (73.2 %) und die Qualität der Arbeitsleistung (54.1 %) nicht verändert hat. Die Befragten berichteten aufgrund der COVID-19-Pandemie mit 18 % von einer Zunahme der Absicht eines Arbeitsplatzwechsels, mit 28.5 % von mehr Tagen, an denen sie zur Arbeit gingen, obwohl es legitim gewesen wäre, sich krank zu melden, mit 22.1 % von mehr krankheitsbedingten Fehltagen und mit 44.7 % von einer Verschlechterung der Qualität der Arbeitsleistung. 4.7 % der Befragten gaben an, dass sich die Absicht, den Arbeitsplatz zu wechseln und die krankheitsbedingten Fehltage verringert haben. 1.2 % berichteten von weniger Tagen, an denen sie krank zur Arbeit gingen, sowie von einer Verbesserung der Arbeitsleistung.

Diskussion

Die Ergebnisse dieser Studie zeigten, dass Fachkräfte in Einrichtungen für Kinder- und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie als häufigste gegen sie gerichtete Grenzverletzungen von Patient_innen Beschimpfungen und Beleidigungen, gefolgt von verbalen Bedrohungen, angaben. Ein Viertel der Befragten erlebte in den letzten 3 Monaten im beruflichen Alltag einen tätlichen Angriff, wie beispielsweise von den Kindern und Jugendlichen getreten zu werden. Auch die Befunde von Steinlin, Fischer, et al. (2015) zeigten, dass Beschimpfungen, gefolgt von verbalen Bedrohungen sowie tätlichen Angriffen, die Grenzverletzungen sind, die Fachkräfte nach eigenen Angaben am häufigsten erlebten. Rund ein Viertel der Befragten berichtete von einer Zunahme an Grenzverletzungen aufgrund der COVID-19-Pandemie. Dies könnte daraus resultieren, dass die Pandemie zu zahlreichen Veränderungen im Bereich der psychiatrischen Versorgung der Kinder und Jugendlichen geführt hat, die mitunter weitreichende Einschränkungen mit sich ziehen, wie beispielsweise die Beschränkung von Besuchen sowie das Einhalten eines Sicherheitsabstandes (Fegert & Schulze, 2020). Es lässt sich annehmen, dass die zahlreichen notwendigen Veränderungen während der Winter-Lockdownphase (2020/2021) der COVID-19-Pandemie in Kliniken für Kinder- und Jugendpsychiatrie auch mehr wahrgenommene Grenzverletzungen zur Folge hatten, da aggressive und gewalttätige Situationen vornehmlich entstehen, wenn Kindern und Jugendlichen Grenzen gesetzt werden müssen (Papenberg, 2006). Es zeigte sich auch, dass einzelne Patient_innen auf die im Zuge der COVID-19-Pandemie zu implementierenden Maßnahmen aggressiv reagiert haben (Fegert & Schulze, 2020). Die Kinder und Jugendlichen hatten zwar überwiegend Verständnis für die Maßnahmen, fühlten sich jedoch sehr eingeschränkt. Dies zeigten die Kinder und Jugendlichen z. B. mit gemalten Protestplakaten, mit denen sie um Lockerungen der Maßnahmen bitten. Zudem haben sich die Vorstellungsanlässe während der COVID-19-Pandemie, aufgrund der vorübergehenden Einstellung der tagesklinischen Behandlungen, in Richtung Notaufnahmen verschoben (Aslan et al., 2020).

Anzeichen für ein berufsbedingtes Burnout-Syndrom zeigten sich bei rund einem Viertel der Befragten. Bei einem Vergleich der Befunde dieser Studie mit den Ergebnissen der epidemiologischen Studie in Schweizer Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe, in der ein Burnout-Verdacht ebenfalls mit den Burnout-Screening-Skalen (BOSS; Hagemann & Geuenich, 2009) erfasst wurde, zeigt sich in der vorliegenden Studie mit 26.7 % eine höhere Anzahl an Betroffenen, die einen Verdacht eines Burnout-Syndroms aufweisen, im Vergleich zu 18 % in der Studie in Schweizer Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe (Steinlin, Dölitzsch, et al., 2015). Es kann vermutet werden, dass die Anzahl an Betroffenen auch aufgrund der COVID-19-Pandemie in dieser Studie höher ist. Rund die Hälfte der Befragten berichtete, dass ihre Beschwerden und Belastungen in ihrem Arbeitsalltag aufgrund der COVID-19-Pandemie zugenommen haben. Werden die Zahlen mit den Prävalenzzahlen unter Mitarbeitenden in der psychiatrischen Gesundheitsversorgung aus der Literatur, die je nach Studie zwischen 21 und 67 % liegt (Morse et al., 2012), verglichen, erscheint die Prävalenz für einen Burnout-Verdacht in dieser Studie verhältnismäßig gering. Bei dem Vergleich mit diesen Prävalenzzahlen muss jedoch auf die heterogenen Definitionen sowie Messverfahren für einen Burnout-Verdacht hingewiesen werden.

In dieser Studie konnte beobachtet werden: Je mehr unterschiedliche Grenzverletzungen die Fachkräfte selbst erlebt haben, desto höher ist das Risiko für eine Burnout-Symptomatik. Die Befunde stehen im Einklang mit der Literatur (Kind et al., 2018; Winstanley & Hales, 2015). Mit diesen Angaben lässt sich jedoch keine Aussage darüber treffen, inwiefern sich der Zusammenhang je nach Art der erlebten Grenzverletzung gegen die Fachkräfte unterscheidet. Ereignisse wie beispielsweise die Bedrohung mit einem gefährlichen Gegenstand durch zu betreuende Kinder und Jugendliche wurden weitaus seltener von den Fachkräften angegeben als erlebte Beschimpfungen und Beleidigungen. Allerdings werden solche Ereignisse für die Fachkräfte wesentlich einschneidender sein und womöglich einen größeren Einfluss auf eine Burnout-Gefährdung der Fachkräfte haben. Diesen Einfluss gilt es, in zukünftigen Forschungsarbeiten näher zu bestimmen. Auch die in den vorliegenden Analysen nicht berücksichtigten belastenden Ereignisse, die die Fachkräfte im Arbeitsalltag miterleben, wie beispielsweise selbstverletzendes Verhalten, können einen Einfluss auf die Burnout-Gefährdung haben und sollten bei weiteren Analysen mit einbezogen werden.

Für die Untersuchung der Zusammenhänge zwischen einer Burnout-Gefährdung und den potenziellen Folgen auf institutioneller Ebene wurden mäßige bis deutliche Zusammenhänge gefunden. Je höher die Burnout-Gefährdung, desto eher spielen die Fachkräfte mit dem Gedanken, ihren Arbeitsplatz zu wechseln, und desto häufiger erscheinen die Fachkräfte zur Arbeit, obwohl sie angesichts ihres wahrgenommenen Gesundheitszustandes krankgeschrieben sein sollten. Zudem wird die Qualität der eigenen Arbeitsleistung durch die Fachkräfte geringer eingeschätzt, je höher die Burnout-Gefährdung ist. Zwischen einer Burnout-Gefährdung und den krankheitsbedingten Fehltagen der Fachkräfte im letzten Jahr konnte kein Zusammenhang beobachtet werden. Bei den linearen Regressionsanalysen zeigte sich, dass Anzeichen eines Burnout-Syndroms einen Einfluss auf die Fluktuationsneigung, den Präsentismus sowie die Arbeitsleistung der Fachkräfte haben. Im Einklang mit der Literatur scheint eine Burnout-Gefährdung für die Fluktuationsneigung (Acker, 2012; Broderick et al., 2021), den Präsentismus (Peterson et al., 2008; Salvagioni et al., 2017; Tuithof et al., 2017) und die Qualität der Arbeitsleistung (Bakker et al., 2004; Swider & Zimmerman, 2010; Van Bogaert et al., 2013) relevant zu sein. Vor dem Hintergrund der Auswirkungen einer Burnout-Gefährdung lassen sich Anknüpfungspunkte für präventive Maßnahmen zur Reduktion der Belastungen der Fachkräfte ableiten, um infolgedessen auch der Fluktuationsneigung der Fachkräfte, dem Präsentismus sowie einer verminderten Qualität der Arbeitsleistung entgegenwirken zu können. Insbesondere das vulnerable Klientel in psychiatrischen Kliniken und Abteilungen für Kinder und Jugendliche ist auf kontinuierliche, verlässliche und fördernde Beziehungen angewiesen. Diese Studie gibt Hinweise, dass das Erleben von Grenzverletzungen durch Kinder und Jugendliche gegenüber Fachkräften als Anlass für Burnout-Prävention genommen werden sollte, da diese Erlebnisse mit einem erhöhten Risiko für eine Burnout-Symptomatik assoziiert sind. Anzunehmen ist, dass sich bei einer Reduzierung der Anzahl an erlebten Grenzverletzungen gegen das Personal auch das Risiko für eine Burnout-Gefährdung verringert. Eine Investition in traumapädagogische Konzepte, in Deeskalationskurse für verbale und physische Aggression, in Supervision, Intervision und Psychohygiene (Kind et al., 2018) könnten hierbei Maßnahmen für psychiatrische Einrichtungen für Kinder und Jugendliche darstellen, von denen die Fachkräfte profitieren könnten. Entgegen der Erwartung, dass krankheitsbedingte Fehltage eine (insbesondere auf Leitungsebene) direkt sichtbare Auswirkung von beruflichen Belastungen sind, konnte in dieser Studie ein Einfluss einer Burnout-Gefährdung auf die krankheitsbedingten Fehltage der Fachkräfte nicht beobachtet werden, was die Ergebnisse der Studie von Steinlin, Dölitzsch, et al. (2015) repliziert. Andere Studien, wie die von Peterson et al. (2008) unter Beschäftigten im Gesundheitswesen, konnten hingegen einen Zusammenhang zwischen einer Burnout-Symptomatik und den krankheitsbedingten Fehlzeiten belegen. Hinsichtlich der Ergebnisse dieser Studie muss jedoch auch der Aspekt berücksichtigt werden, dass Fachkräfte, die während des Erhebungszeitraumes aufgrund von Krankheit arbeitsunfähig waren, nicht an dieser Studie teilgenommen haben, was dazu geführt haben könnte, dass in dieser Studie kein Zusammenhang beobachtet werden konnte. Weiterhin könnte der fehlende Zusammenhang auch in der Stichprobe begründet sein. Diverse Studien berichten, dass Mitarbeitende im Gesundheitswesen vermehrt dazu neigen, trotz Erkrankung arbeiten zu gehen und im Zuge dessen keine krankheitsbedingten Fehltage vorweisen. Erklärungsansätze für den stark ausgeprägten Präsentismus in diesem Berufsfeld können der direkte Kontakt zu den Empfänger_innen der eigenen Leistung, den Patient_innen, eine geringe Personalausstattung sowie die Tätigkeiten dieses Arbeitsfeldes, die sich nicht aufschieben lassen, sein (Steinke & Badura, 2011a). Dabei wäre es wichtig, den Präsentismus zu reduzieren, denn zu möglichen Folgen von Präsentismus in diesem Arbeitsfeld zählen die Verschleppung der eigenen Krankheit, Ansteckung von Patient_innen sowie Fehler aufgrund der eingeschränkten Arbeitsfähigkeit (Steinke & Badura, 2011b).

Die in diesem Regressionsmodell untersuchten Folgen einer Burnout-Gefährdung erklären mit 15 % die Gesamtvarianz der Fluktuationsneigung, mit 25 % die Gesamtvarianz des Präsentismus und mit 20 % die Gesamtvarianz der Qualität der Arbeitsleistung. In der Literatur werden beispielsweise auch das Arbeitsengagement sowie die berufliche Einbindung als mögliche Prädiktoren für die Fluktuationsneigung sowie die Arbeitsleistung diskutiert (Halbesleben & Wheeler, 2008). Weitere Einflussfaktoren gilt es in zukünftigen Studien zu identifizieren.

Hinsichtlich des Einflusses der während des Erhebungszeitraumes vorherrschenden COVID-19-Pandemie auf die möglichen Folgen auf institutioneller Ebene in den psychiatrischen Einrichtungen für Kinder und Jugendliche gaben die Fachkräfte überwiegend an, dass sich ihre Fluktuationsneigung, ihre krankheitsbedingten Fehltage, ihr Präsentismus sowie die Qualität ihrer Arbeitsleistung infolge der Pandemie nicht verändert haben. Weniger als ein Viertel der Befragten berichtete von einer Zunahme der Fluktuationsneigung sowie der krankheitsbedingten Fehltage. Von einer Zunahme der Tage, an denen sie krank zur Arbeit erschienen, obwohl sie sich angesichts ihres Gesundheitszustandes krankmelden sollten, berichtete mehr als ein Viertel der Befragten. Bei der Betrachtung der Qualität der Arbeitsleistung gab knapp die Hälfte der Befragten an, dass sich diese in Folge der Pandemie verschlechtert hat. Da die COVID-19-Pandemie zu zusätzlichen Anforderungen für die Fachkräfte im Bereich der psychiatrischen Versorgung von Kindern und Jugendlichen geführt hat (Aslan et al., 2020; Fegert & Schulze, 2020) und Mitarbeitende während der Pandemie psychisch belastet waren (Pappa et al., 2021), kann sich dies möglicherweise auch auf die Fluktuationsneigung (Sklar et al., 2021), den Absentismus sowie Präsentismus der Fachkräfte ausgewirkt und zudem zu einer Verschlechterung der Qualität der Arbeitsleistung geführt haben. Aus den vorliegenden Daten ergeben sich jedoch lediglich Hinweise zum Einfluss der COVID-19-Pandemie auf die institutionellen Auswirkungen, die nicht mit statistischen Methoden quantifiziert werden können. Hierfür würde es eines Prä-Post-Vergleiches bedürfen.

Angesichts der Relevanz einer Burnout-Gefährdung für den Präsentismus, die Qualität der Arbeitsleistung und die Fluktuationsneigung der Fachkräfte, wäre es interessant, in der weiteren Forschung in diesem Bereich eine mögliche Erklärung zu finden, wieso manche Fachkräfte eine Belastungsreaktion in Form einer Burnout-Symptomatik entwickeln und andere nicht und welche Faktoren eine protektive Wirkung besitzen. Mithilfe der Identifikation von Resilienzfaktoren können noch gezieltere Präventions- und Interventionsmaßnahmen abgeleitet werden.

Limitationen

Hinsichtlich der methodischen Einschränkung ist insbesondere der Selektionseffekt zu erwähnen, da es sich bei dieser Studie um eine freiwillige Erhebung mittels eines Onlinefragebogens handelt. Zum einen ist es naheliegend, dass speziell psychiatrische Einrichtungen für Kinder und Jugendliche, die sich bereits mit diesem Thema beschäftigt haben und vielleicht auch einzelne präventive Strukturen und Maßnahmen hinsichtlich berufsbedingter Belastungen von Fachkräften vorweisen können, an dieser Studie teilgenommen haben. Darüber hinaus ist auch zu berücksichtigen, dass Fachkräfte, die aufgrund erheblicher Belastungssymptome im Zeitraum der Erhebung arbeitsunfähig waren oder neben ihrer Arbeit keine zeitlichen Kapazitäten zur Studienteilnahme gesehen haben, nicht an dieser Studie teilgenommen haben. Diese Aspekte würden eher eine Unterschätzung der Prävalenz der Belastungen in dieser Studie annehmen lassen.

Eine weitere methodische Schwäche ist, dass die Ergebnisse auf den individuellen Angaben der Fachkräfte basieren. Gerade hinsichtlich der institutionellen Folgen wäre es sinnvoll, Statistiken der psychiatrischen Kliniken oder Abteilungen für Kinder und Jugendliche z. B. zu Arbeitsunfähigkeitstagen mit einzubeziehen. Darüber hinaus konnte die anhand der Onlinebefragung erhobene Burnout-Gefährdung nicht klinisch eingeordnet werden und stellt somit lediglich die subjektive Belastung der Fachkräfte dar.

Da diese Studie auf einem Querschnittsdesign beruht, kann keine sichere Aussage über die Wirkrichtung der beschriebenen Zusammenhänge gemacht werden. Um die im Rahmen der Studie untersuchten Zusammenhänge besser verstehen zu können, würde es einer Verlaufsmessung bedürfen, womit der zeitliche Verlauf hinsichtlich der Belastungsreaktion in Form einer Burnout-Gefährdung sowie der institutionellen Folgen (Präsentismus, Fluktuationsneigung, Absentismus und geminderte Arbeitsleistung) abgebildet werden könnte.

Eine weitere Limitation der Studie könnte auch der Erhebungszeitraum während des Winter-Lockdowns (2020/2021) der COVID-19-Pandemie darstellen. Hinsichtlich der Befunde könnte die COVID-19-Pandemie zu zunehmenden Belastungen geführt haben, wodurch eine Übertragung der Befunde auf eine Normalsituation nicht zweifelsfrei erfolgen kann.

Fazit

Die Befunde dieser Studie mit Fachkräften, die in psychiatrischen Kliniken und Abteilungen für Kinder und Jugendliche arbeiten, verdeutlichen die Relevanz einer Belastungsreaktion der Fachkräfte in Form einer Burnout-Symptomatik für die institutionellen Folgen Präsentismus, Fluktuationsneigung und geminderte Qualität der Arbeitsleistung, die auch direkte Auswirkungen auf die betreuende Funktion der Fachkräfte haben. Unter dem Aspekt der Gewährleistung einer für das vulnerable Klientel besonders wichtigen qualitativen und fördernden Beziehung zwischen den Fachkräften und den zu betreuenden Kindern und Jugendlichen wird der Burnout-Prävention eine wichtige Bedeutung zugesprochen. Die Gesundheit und Arbeitsfähigkeit der Fachkräfte ist für eine qualitativ hochwertige Betreuung wesentlich. Ein Ansatz, um das Risiko einer Burnout-Symptomatik zu senken, könnte die Umsetzung von Maßnahmen zum Schutz vor Grenzverletzungen durch die Kinder und Jugendlichen gegenüber den Fachkräften, wie beispielsweise die Implementierung von traumapädagogischen Konzepten oder Schutzkonzepten, darstellen. Wie auch die Ergebnisse dieser Studie annehmen lassen, ist das Risiko einer Burnout-Gefährdung geringer, je weniger Grenzverletzungen die Fachkräfte erlebt haben. Da die Erhebung dieser Studie während des Winter-Lockdowns (2020/2021) der COVID-19-Pandemie stattfand, können die Befunde auch Hinweise liefern, dass nicht nur Fachkräfte auf den Intensivstationen, sondern auch Fachkräfte in der Kinder- und Jugendpsychiatrie in dieser Zeit psychisch belasteter waren und sich dies möglicherweise auch auf die Fluktuationsneigung, den Absentismus sowie Präsentismus der Fachkräfte ausgewirkt hat und eine Verschlechterung der Qualität der Arbeitsleistung zur Folge hatte.

Literatur