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Open AccessOriginalarbeit

Das Potential von Grundbildungszentren aus subjektwissenschaftlicher Perspektive

Published Online:https://doi.org/10.1024/2235-0977/a000350

Abstract

Zusammenfassung.Hintergrund: Die Subjektwissenschaftliche Lerntheorie betrachtet Lernprozesse vom Standpunkt des Subjektes. Dabei wird ein besonderer Fokus auf Begründungsstrukturen für gelingende oder nicht gelingende Lernhandlungen gelegt. Die subjektwissenschaftliche Perspektive scheint gerade für die Betrachtung von Lernprozessen in der Alphabetisierung und Grundbildung gewinnbringend, da bisherige (negative) Lernerfahrungen, unterschiedlich zusammengesetzte Kompetenzen sowie spezifische Bildungsziele (wie z.B. gesellschaftliche Teilhabe) auf besondere Weise das Lernen beeinflussen können. Grundbildungszentren (GBZen) können als regionale Anlaufstellen für unterschiedliche Fragestellungen bezüglich der Grundbildung und Alphabetisierung Erwachsener Lernenden gelten. Dabei halten GBZen sowohl niedrigschwellige Lernangebote für Menschen mit Alphabetisierungs- und Grundbildungsbedarfen vor, als auch regionale Netzwerk- und Kooperationsstrukturen, um das Umfeld der Lernenden zu sensibilisieren. Methoden: Anhand von zwölf Interviews und vier Selbstberichten, die im Rahmen einer Evaluationsstudie generiert wurden, wurde folgende Fragestellung sekundäranalytisch beantwortet: Welches Potential haben die GBZen Lernprozesse subjektorientiert zu gestalten? Ergebnisse und Diskussion: Die Ergebnisdarstellung erfolgt anhand einer institutionellen, interaktionellen sowie individuellen Ebene. Die Ergebnisse zeigen, dass die Struktur der GBZen eine wesentliche Vorbedingung darstellt, Lernenden subjektorientiert zu unterstützen, sich das Potenzial in vollem Umfang aber nur durch das Zusammenwirken aller drei Ebenen entfalten kann.

The Potential of Adult Basic Education Centers from a Subject-Scientific Perspective

Abstract.Background: Subject-scientific learning theory describes learning processes from the point of view of the subject. Thereby, a special focus is put on justification structures for successful or unsuccessful learning actions. The subject-scientific perspective seems to be especially profitable for the consideration of learning processes in literacy and adult basic education, since previous (negative) learning experiences, differently composed competencies as well as specific educational goals (such as social participation) can influence learning in a special way. Adult Basic Education Centers can be considered as regional contact points for different questions concerning basic education and literacy of adult learners. Adult Basic Education Centers provide low-threshold learning opportunities for people with literacy and basic education needs, as well as regional networking and cooperation structures to sensitize the learners' environment. Methods: Based on twelve interviews and four self-reports generated in the course of an evaluation study, the following question was answered in a secondary analytical way: What is the potential of Adult Basic Education Centers to make learning processes subject-oriented? Results and discussion: The results are presented on an institutional, interactional and individual level. The results show that the structure of the Adult Basic Education Centers is an essential precondition to support learners in a subject-oriented way, but that the potential can only unfold to its full extent through the interaction of all three levels.

Einleitung

Die Subjektwissenschaft stellt das Individuum in den Mittelpunkt des Denkens und Forschens. In der Erwachsenenbildung hat sich die subjektwissenschaftliche Lerntheorie, deren Mitbegründer Klaus Holzkamp ist (Holzkamp, 1995), bereits durch zahlreiche und vielfältige Beiträge etabliert (z.B. Grotlüschen, 2003; Grell, 2006; Faulstich & Bayer, 2006; Faulstich & Ludwig, 2008; Ludwig, 2012Grotlüschen & Zimper, 2015; Marvakis et al., 2019; Bonna, Stobrawe & Hirschberg, 2019). Bei einer subjektwissenschaftlichen Herangehensweise wird von einem eigenständigen, mit Absichten handelnden Subjekt ausgegangen, das Gründe für oder gegen Lernen hat und somit Erklärungen für das Lernen als auch das Nichtlernen ermöglicht (Holzkamp, 1995, S.27).

Gerade für Lernprozesse in der Alphabetisierung und Grundbildung scheint die subjektwissenschaftliche Perspektive gewinnbringend: Das Ziel von Alphabetisierung und Grundbildung ist die gesellschaftliche Teilhabe. Die gesellschaftliche Teilhabe lässt sich zum einen nur vor dem sozio-kulturellen Hintergrund auslegen. Zum anderen wird gesellschaftliche Teilhabe sowohl über normativ gesetzte Ansprüche definiert (z.B. um gesellschaftlich zu partizipieren sind Lese- und Schreibkenntnisse erforderlich) als auch darüber, was eine Person aus eigener Sicht benötigt, um am gesellschaftlichen Leben teilnehmen zu können (vgl. auch Koppel & Wolf, 2021). Im Erwachsenenalter haben sich über viele Jahre hinweg unterschiedliche Lernerfahrungen „angesammelt“, die einen Einfluss auf zukünftige Lernprozesse haben. Einerseits üben die bisherigen Erfahrungen einen Einfluss auf die sog. Lernhaltung aus. Andererseits führen sie zu sich ausdifferenzierenden Wissensbeständen und Kompetenzen. Im Bereich der Grundbildung wird daher auch von einem „Patchwork von Kompetenzen“ gesprochen. Dementsprechend hat die Berücksichtigung situierter Erfahrungen und biographischer Bezüge in Lehr-Lernarrangements besondere Relevanz. Der Erfahrungsbezug garantiert, „dass Lernende als handelnde Subjekte verstanden werden, die ihre Lerngründe in engem Bezug zu ihren Lebens- und Arbeitserfahrungen, also den subjektiv fassbaren Verwendungs- und Verwertungsinteressen formulieren“ (Tippelt, 2005, S.6). Dabei können, durch die didaktische Gestaltung (Zeit, Raum, Angebot, Organisation, Personal, Programm, Support) von Lernkulturen, sowohl Lernhemmnisse (z.B. der sozialen Herkunft, der beruflichen Stellung, des Alters, der familiären Lage etc.) überwunden werden, als auch, durch die institutionelle Gelegenheitsstruktur, subjektive Lerninteressen angesprochen werden (Tippelt 2005, S.6).

Die Erfahrungs- und Biographieorientierung soll damit sowohl für individuelle Lernsituationen (inkl. Hemmnissen und Gelingensbedingungen) als auch die eigene Problembewältigung sensibilisieren und bildet damit eine wichtige Grundlage für Lernprozesse im Erwachsenenalter. Die subjektwissenschaftliche Lerntheorie schließt diese Orientierungen ein und bietet darüber hinaus weitere Anknüpfungspunkte, Lernprozesse aus subjektiver Sicht erfolgreich zu gestalten.

Lernen aus subjektorientierter Perspektive

Die subjektwissenschaftliche Lerntheorie (Holzkamp, 1995) betrachtet Lernprozesse aus der Perspektive des Subjektes. Im Zentrum stehen Lernhandlungen, die aus guten Gründen und vor allem bewusst vom Lernsubjekt initiiert wurden. Maßgeblich ist also nicht ein Lehrimpuls, der von einer Lehrkraft gesetzt wird, sondern vielmehr die Erfahrung einer Diskrepanz zwischen dem, was das Subjekt bereits kann bzw. gelernt hat und dem was es noch lernen möchte. Holzkamp bezeichnet dies auch als Diskrepanzerfahrung (vgl. Holzkamp, 1995, S.214). Im Vordergrund steht dabei die lernende Person in ihrer Situiertheit, also ihrer je eigenen Fähigkeit zum Lernen, die sich aus dem individualgeschichtlichen Erfahrungshintergrund ergeben (können) (Holzkamp, 1995, S.263). Durch die subjektwissenschaftliche Lerntheorie lassen sich subjektive Lerngründe von gesellschaftlichen Lernanforderungen abgrenzen (Holzkamp, 1995, S.212). Lernen wird als Prozess oder auch als spezielle Art einer Handlung verstanden, um die eigene Weltverfügung zu erweitern. Dies geschieht, indem Lernende zunächst eine Handlungsproblematik erfahren und sich aus diesem Anlass bewusst dazu entscheiden, die Handlungsproblematik lernend überwinden zu wollen. Handlungsproblematiken „(…) sind demnach im Begründungsdiskurs bestimmte, sich aus meinem Handlungsvollzug ausgliedernde Problemsituationen, in denen das Subjekt einerseits ‚gute Gründe‘ hat, auf eine bestimmte Weise zu handeln, andererseits aber die Problemsituation so nicht zu bewältigen vermag (…)“ (Holzkamp, 1995, S.182). Eine Handlungsproblematik ist also die Voraussetzung dafür, dass eine Lernproblematik entsteht. Am folgenden Beispiel wird das Zusammenwirken von Handlungsproblematik und Lernproblematik verdeutlicht: Eine Person ist in der selbstbestimmten gesellschaftlichen Teilhabe eingeschränkt, da sie behördliche Formulare nicht lesen und verstehen und infolgedessen nicht selbstständig bearbeiten kann. Sie ist daher auf Hilfe von Dritten angewiesen. Denkbar ist, dass eine solche Handlungsproblematik diese Person dazu bewegt, sich für einen Alphabetisierungskurs anzumelden. Im Kurs angekommen hat sie die Handlungsproblematik bereits in eine Lernproblematik überführt, da sie sich bewusst dazu entschieden hat, die Handlungsproblematik lernend zu überwinden. Allerdings wird nicht jede Handlungsproblematik mittels Lernen überwunden, sondern kann auch auf anderen Wegen bewältigt werden (Holzkamp 1995, S.182). Lernen beginnt dementsprechend, indem eine Lernschleife ausgegliedert und anhand eines bestimmten Lernprinzips bearbeitet wird (Holzkamp 1995, S.187). Im Beispiel des Alphabetisierungskurses kann ein Lernprinzip sein, zunächst das Lesen anhand behördlicher Formulare zu erlernen, um genau für diesen vorab definierten Anwendungsbezug die eigenen Lesekompetenzen zu verbessern. Im Idealfall kann dies mit methodisch-didaktischer Unterstützung der Lehrkraft geschehen. Die Spezifizierung von Lernproblematiken ergibt sich daraus, dass das Lernen hier intentionalen Charakter hat, also nicht nebenbei, informell vollzogen wird, sondern als „speziell darauf gerichtete Handlungsvornahme“ (Holzkamp, 1995, S.183). Während der Lernschleife kann es dazu kommen, dass „Behinderungen, Dilemmata etc., die mich bis jetzt an der Überwindung der Handlungsproblematik gehindert haben, aufgehoben werden können, so dass daran anschließend bessere Voraussetzungen für die Bewältigung der Handlungsproblematik bestehen“ (Holzkamp, 1995, S.183). Durch den Besuch eines Alphabetisierungskurses wird es einem/einer Lernenden folglich nicht direkt gelingen, sämtliche behördlichen Formulare selbstständig zu lesen und auszufüllen. Aber (je nach Alpha-Level – vgl. Grotlüschen, Buddeberg, Dutz, Heilmann & Stammer., 2019) wird es einem/einer Lernenden gelingen, die Struktur eines solchen Dokumentes zu erfassen oder eventuell sogar einzelne Abschnitte lesen und in der Folge auch ausfüllen zu können. Um diese Erfolge im Lernprozess erreichen zu können, ist allerdings eine Voraussetzung, dass solche Lernproblematiken, die die Lernenden mit in den Kurs bringen, dort auch bearbeitet werden können und von den Lehrenden so aufgegriffen werden.

Lernprozesse können laut Holzkamp eher defensiven oder eher expansiven Charakter aufweisen. Lernhandlungen, die zu einer Erhöhung der Lebensqualität führen und motivational begründet sind, weisen expansiven Charakter auf (Holzkamp 1995, S.190). Defensiv werden solche Lernhandlungen bezeichnet, die nicht dazu führen, dass eine verbesserte Lebensqualität oder Weltverfügung erreicht werden kann. Die Gründe, sich aber auch auf solche Lernhandlungen einzulassen liegen darin, dass ein Nicht-Lernen die bereits vorhandene Lebensqualität beeinträchtigen würde. In der Regel wird beim defensiven Lernen tatsächlich nur so lange gelernt, bis diese drohende Beeinträchtigung der Lebensqualität abgewendet ist (Holzkamp, 1995, S.191). Defensives und Expansives Lernen sind nicht dichotom sondern als Kontinuum zu verstehen: es geht weniger darum, eine Dichotomie von Selbst- und Fremdbestimmung darin zu lesen, sondern vielmehr unterschiedliche Grade auf dem Weg zu mehr Weltverfügung und Lebensqualität identifizieren zu können (vgl. Grotlüschen & Pätzold 2020, S.28). Im Bereich des defensiven Lernens kann es zu „widerständigem Lernen“ kommen. Hoch relevant bei dieser bezeichneten „widersprüchlichen Mischung aus Lernen und Lernverweigerung“ (ebd.) ist der Umstand, dass der Lernwiderstand dem/der Lernenden nicht bewusst und reflexiv zugänglich ist. Lernanforderungen, die Involviertheit von Kontrollinstanzen und subjektive Lerngründe geraten auf ambivalente Weise durcheinander und behindern den/die Lernende. Widerständiges Lernen kann dabei begründungslogisch auf mindestens drei Ebenen verortet werden (vgl. Grotlüschen, 2003; Grell, 2006, S.26): Auf der individuellen Ebene kann widerständiges Lernen beispielsweise darin begründet sein, dass subjektive Interessen nicht immer im Lernprozess aufgegriffen, sondern vielmehr den didaktischen Vorgaben untergeordnet werden (Grotlüschen, 2003, S.195). Auf der interaktionellen Ebene kann widerständiges Lernen darin begründet sein, dass durch die Lehrkraft klassische schulische Interaktionsmuster reproduziert werden, die der/die Lernende ablehnt und sich daher im Lernprozess gestört fühlt (vgl. Grotlüschen, 2003, S.231; Schepers, 2014, S.167). Die Interaktion zwischen Lernenden und Lehrenden ebenso wie zwischen den Lernenden untereinander spielen in Bezug auf das Lernen und potentielle Widerstände eine große Rolle (vgl. Schepers, 2014, S.164ff.; S.133) Auf der institutionellen Ebene kann sich widerständiges Lernen darin begründen, dass Lernende kaum Wahlmöglichkeiten hinsichtlich der Gestaltung ihres eigenen/subjektiven Lernprozesses haben, da strukturelle Vorgaben als „Schranken“ wahrgenommen werden (bsp.: Zeitstrukturen, schlechte Erreichbarkeit o.ä.) (vgl. Faulstich, 2006, S.20; Grotlüschen, 2003, S.272). Wenn auf einer (oder allen) Ebene(n) das Subjekt kaum mitbestimmen kann, wird defensives oder widerständiges Lernen begünstigt.

Als Gegenbegriff zum subjektwissenschaftlich fundierten (Lern-) Widerstand lässt sich das (Lern-)Interesse verorten (vgl. Grotlüschen, 2010, S.286). Lernwiderständen ist genauso wie Lerninteressen inhärent, dass sie vom Subjekt nicht vollständig reflektiert sind und dennoch Begründungen für bestimmte (Lern-) Handlungen liefern können. Bei der Genese von Interesse kann sowohl eine pragmatische als auch eine habituelle Achse eine wichtige Rolle spielen (Grotlüschen, 2010, S.291). Die Pragmatische Achse beschreibt den Verlauf von Interesse. Diese Achse beinhaltet die Pole „Berührung“ und „Distanz“. Interesse verläuft hierdurch in einem zyklischen „Verhältnis eines Akteurs zu einem als relevant und attraktiv bewerteten Gegenstand. Voraussetzung der Interessengenese ist eine erste Berührung mit dem Gegenstand“ (Grotlüschen, 2010, S.251). Interesse ist folglich als Prozess zu verstehen, nicht als Zustand (vgl. Grotlüschen & Krämer, 2015, S.246). Darüber hinaus werden anhand der habituellen Achse die sozialen Einflüsse der Interessengenese sowie der Einfluss Dritter konzipiert (vgl. Grotlüschen & Krämer, 2015, S.259). (Lern-) Interessen sind, ebenso wie (Lern-)Widerstände, durch eine Verstrickung des handelnden Subjekts und seiner/ihrer Situiertheit mit äußeren Einflüssen gekennzeichnet.

Personen mit geringer Literalität bringen eine für den Lernprozess besonders zu berücksichtigende personale Situiertheit mit, wie z.B. negative Lernerfahrungen, differenzierte Handlungsstrategien zur Bewältigung des von Schriftsprache geprägten Alltags oder subjektiv wahrgenommener Testsituationen (vgl. Nienkemper, 2015, S.267). Im Alltag wahrgenommene Handlungsproblematiken werden häufig umgangen oder sogar vor anderen „vertuscht“, anstatt sie lernend zu bewältigen (Egloff, 2007). Somit ist bereits die Wahrnehmung einer Handlungsproblematik bzw. als Folge dessen die Ausgliederung einer Lernproblematik ein hoch relevanter Aspekt, den es besonders zu fokussieren bzw. didaktisch zu adressieren gilt, wenn es um das Lernen gering literalisierter Menschen geht. Hilfreiche Anhaltspunkte liefern Ergebnisse aus dem SYLBE-Projekt, in welchem fünf Lernbegründungstypen identifiziert wurden (Ludwig & Müller, 2012, S.38). Relevant sind daher individuelle Beratungsprozesse, in denen die Verschiedenheit von Lernbegründungen berücksichtigt werden kann. Erkenntnisse zu Beratungsprozessen in der Alphabetisierung (Nuissel & Przybylska, 2016, S.85) zeigen, dass eine sog. Mischberatung notwendig erscheint, indem Bildungsberatung und Lernberatung kombiniert werden. Durch die Kombination kann die Überwindung von Lernschwierigkeiten, die durch unbewusste (z.T. auch bewusste) biografische und situative Sichtweisen und Handlungsmuster erzeugt werden, berücksichtigt und bearbeitet werden. Aber ebenso der Weg in den Kurs bzw. die (längerfristige) Wahrnehmung eines spezifischen Lernangebotes sollten subjektorientiert gestaltet werden, um gering literalisierte Menschen mit ihrer je subjektiven Situiertheit zu adressieren. Es ist anzunehmen, dass sogenannte Grundbildungszentren mit ihren Angeboten für gering Literalisierte das Potenzial haben, dieser Subjektorientierung gerecht zu werden.

Grundbildungszentren in Baden-Württemberg

Übergeordnete Aufgabe eines Grundbildungszentrums (GBZ) ist, als Kompetenz- und Kommunikationszentrum für Alphabetisierung und Grundbildung Erwachsener zu fungieren. In Deutschland sind Grundbildungszentren erst in jüngerer Zeit, in Baden-Württemberg erst kürzlich eingerichtet worden. In Baden-Württemberg nehmen GBZen unter anderem folgende Aufgaben wahr (Pressemitteilung Baden-Württemberg, 2019):

  • Aufbau und Pflege von Informations- und Aktionsnetzwerken
  • Bereitstellung sozialräumlicher Angebote
  • Professionalisierung und Qualifizierung beispielsweise durch Dozent_innenpools und Qualifizierungsmaßnahmen
  • Transfer und unterstützende Angebote für andere Bildungseinrichtungen
  • Sensibilisierungsmaßnahmen für das Umfeld von Lernenden
  • Aufbau von Selbsthilfestrukturen, um Betroffene zu unterstützen
  • Bereitstellung niedrigschwelliger Lernangebote

GBZen haben die Aufgabe stark bedarfsorientiert vorzugehen, indem sie auf verschiedenen Ebenen flexibel agieren und auf die Wünsche der Lernenden eingehen können. Zudem werden sie durch eine Fachstelle koordiniert, so dass ein Austausch fachlicher Expertise möglich wird (Fachstelle Grundbildung und Alphabetisierung Baden-Württemberg).

Die geforderte Struktur eines GBZ – niedrigschwellige (anonyme) Ansprache, Aufbau von Selbsthilfestrukturen sowie Bedarfsorientierung und Flexibilität – bietet die Grundlage zur Berücksichtigung eines Vorgehens im Sinne der subjektwissenschaftlichen Lerntheorie. Wie oben angedeutet, erscheint für die hier fokussierte Zielgruppe der gering Literalisierten ein Vorgehen im Sinne der Subjektwissenschaft vielversprechend, da Lernproblematiken aufgrund der flexiblen Struktur aufgegriffen und negative Lernerfahrungen sowie Lernwiderstände Berücksichtigung und Raum zur Bearbeitung finden können. Im Rahmen dieses Beitrags wird daher analysiert, welches Potenzial die GBZen aus subjektwissenschaftlicher Perspektive aufweisen.

Die Auswahlkriterien für die hier berücksichtigten GBZ waren die Ansiedelung im städtischen oder ländlichen Raum (je zwei GBZ) sowie die Trägerschaft des GBZ (von zwei GBZ ist der Träger die VHS, von den zwei anderen GBZ sind die Träger andere Bildungsinstitutionen). Anzumerken ist, dass diese Auswahlkriterien Gegenstand des zugrunde liegenden Evaluationskonzeptes waren.

Methoden

Die übergeordnete Fragestellung lautet: Welches Potenzial haben die GBZen Lernprozesse subjektorientiert zu gestalten? Um diese Frage zu beantworten, wurden sekundäranalytisch vier Selbstberichte von GBZen, vier Interviews mit Lehrenden (L) der GBZen, vier Interviews mit Lernenden (LN) sowie vier Interviews mit Insitutionsleitenden (IL) mittels der qualitativen Inhaltsanalyse (Kuckartz, 2012) ausgewertet. Die Daten wurden im Rahmen einer Evaluationsstudie generiert, die vom Ministerium für Kultus, Jugend und Sport in Baden-Württemberg gefördert wurde. Für die folgende Analyse wurde das Einverständnis der Untersuchungsteilnehmenden eingeholt.

Für eine systematische Herangehensweise (vgl. z.B. Grotlüschen, 2003) fragen wir gemäß der etablierten Vorgehensweise subjektwissenschaftlicher Forschung (vgl. z.B. Grotlüschen, 2003; Grell, 2006; Faulstich, 2006; Ludwig, 2012; Grotlüschen & Zimper, 2015) nach möglichen Begründungsstrukturen für subjektives Handeln (vgl. Faulstich, 2006, S.20), die wir auf der a) institutionellen bzw. infrastrukturellen, der b) interaktionellen sowie der c) individuellen Ebene verorten. Die aus der Theorie abgeleiteten Hauptkategorien werden den drei Ebenen zugeordnet:

  • Zu a) Die Fragestellung lautet: Welches Potenzial der Subjektorientierung besteht auf institutioneller und infrastruktureller Ebene? Um diese Frage zu beantworten werden die Hauptkategorien Infrastruktur der Lernangebote, Kooperationen und Netzwerke sowie Professionalisierung an das qualitative Datenmaterial herangetragen.
  • Zu b) Die Frage auf dieser Ebene lautet: Welches Potenzial der Subjektorientierung besteht auf interaktioneller Ebene? Die Hauptkategorien auf dieser Ebene umfassen Interaktionen sowohl zwischen Lehrenden und Lernenden als auch zwischen Lernenden untereinander.
  • Zu c) Auf dieser Ebene ist folgende Frage verortet: Welches Potenzial der Subjektorientierung besteht auf individueller Ebene? Die individuelle Ebene umfasst die Perspektive der Lernenden im Sinne eines subjektwissenschaftlichen Vorgehens. Dazu wurden folgende Hauptkategorien aus der Theorie abgeleitet: Handlungsproblematiken, Lernproblematiken und Lernprinzipien sowie Lerninteresse.

In einem weiteren Analyseschritt wird auf jeder Ebene geprüft, ob sich auf der Grundlage der Codierungen Schlussfolgerungen für expansives bzw. defensives Lernen und/oder Lernwiderstände ziehen lassen, da es sich bei expansivem und defensivem Lernen um Prozesse handelt, die im Material nur bedingt codierbar sind.

Zu betonen ist, dass hier das Potenzial und nicht die tatsächliche Umsetzung analysiert und dabei auch in den Blick genommen wird, inwieweit Lehrende die Möglichkeiten haben und ggf. nutzen, eine subjektorientierte Vorgehensweise zu unterstützen. (vgl. auch den Abschnitt zu den Limitationen im letzten Kapitel).

Das für die Sekundäranalyse herangezogene Datenmaterial ist umfassend: Die Selbstberichte liegen in einem Umfang von sieben bis vierzehn Seiten vor. Gegenstand der Selbstberichte waren folgende Kriterien: Vernetzung, Ansprache von Personen mit Grundbildungsbedarf, Infrastruktur der Lernangebote, Nachhaltigkeit, weitere Angebote, Aktionen, Qualifikation von Mitarbeiter*innen und Lehrkräften. Alle Kriterien wurden anhand einer Leitfrage sowie eines Reflexionsanreizes von den GBZ-Leitungen beschrieben, so dass umfangreiche Schilderungen zu den spezifischen Bedingungen jedes einzelnen GBZ dokumentiert werden konnten. Die vier Lernendeninterviews dauerten zwischen 12:03 und 20:19 Minuten. Die Lerner*innen besuchten unterschiedliche Kursformate: eine Lernerin lernte in einer offenen Lernwerkstatt, die drei anderen Lerner (alle männlich) lernten je in einem Deutschkurs, in einem Alphabetisierungskurs und in einem arbeitsorientiertem Grundbildungskurs mit dem Fokus auf Schriftsprache, der in den Ausbildungskontext integriert wurde. Die Gründe für den jeweiligen Kursbesuch sind den Interviews zum Teil zu entnehmen. Im Abschnitt „Ergebnisse der individuellen Ebene“ werden Aussagen zu Gründen für den Kursbesuch eingebunden. Die Interviews mit den Institutsleitungen hatten eine Länge von 36:37 bis 52:07 Minuten, die vier Interviews der Lehrenden dauerten zwischen 18:66 und 37:70 Minuten. Alle Lehrkräfte waren weiblich und konnten umfangreiche Lehrerfahrung im Bereich der Alphabetisierung und Grundbildung aufweisen, die sie auf unterschiedlichen, für diese Zielgruppe typischen beruflichen Sozialisationsverläufen erworben haben (vgl. Löffler 2001, 39/40). Alle Interviews wurden telefonisch durchgeführt, aufgezeichnet und anschließend transkribiert. Um eine ausreichende Anonymisierung herzustellen werden die Selbstberichte als SB 1/2/3/4, die Interviews mit Lehrenden als L 1/2/3/4, mit Lernenden als LN 1/2/3/4 und mit Institutionsleitungen als IL 1/2/3/4 gekennzeichnet.

Ergebnisse

Gründe für das Lernen oder nicht-Lernen können auf unterschiedlichen Ebenen verortet sein. Wir folgen in der Ergebnisdarstellung den zuvor gestellten Forschungsfragen und tragen Codierungen auf der institutionellen bzw. infrastrukturellen, der interaktionellen sowie der individuellen Ebene zusammen.

Ergebnisse zur institutionellen und infrastrukturellen Ebene

Die Ergebnisse zur institutionellen und infrastrukturellen Ebene umfassen Aussagen zur Infrastruktur der Angebote, zu Kooperationen bzw. Netzwerken sowie zur Professionalisierung.

Infrastruktur der Lernangebote

Die GBZen sind in der Regel an eine Stamminstitution angebunden, die bereits Alphabetisierungs- und Grundbildungskurse anbietet. Den Selbstberichten ist zu entnehmen, dass ihre Vernetzungs- und Sensibilisierungsarbeit darauf abzielt, die Zielgruppe zu erreichen, um für sie die passenden Lernangebote bereitzustellen. Dementsprechend wird in den GBZ ein breites Spektrum an unterschiedlichen Lernangeboten vorgehalten. Die meisten GBZen haben unter anderem offene Lernangebote (sogenannte Lernwerkstätten, Lerncafés oder Lernstuben) eingerichtet, die niedrigschwellig gestaltet, freiwillig, kostenlos, auf Wunsch anonym und jederzeit offen für interessierte Lernende sind. Wenn möglich werden sie im Quartier angesiedelt, so dass sie für Lernende gut erreichbar sind und darüber hinaus an etablierte Strukturen vor Ort angebunden werden können (bsp. an Beratungsstellen oder soziale Treffpunkte).

Das Angebot eines Lerncafés wird von einer Lehrenden folgendermaßen beschrieben:

„[…] da gibt es zum Beispiel Lernspiele, es gibt Diskussionsgruppen, über Politik teilweise auch, ähm, Rechenspiele und man kann im Grunde machen was man will, aber man hat eine Anleitung. Und es gibt dort auch zwei IPads, die […] verwendet werden.“ (L 2)

Dabei entscheiden die Lernenden von Besuch zu Besuch des Angebotes selbst mit, was und wie sie lernen möchten. Durch das breite Spektrum an Lernangeboten, von denen die offenen Lernwerkstätten lediglich einen Baustein darstellen, ist eine Struktur etabliert, die für die Lernenden verhältnismäßig niedrige Übergangsschwellen auch in andere Lernangebote schafft. Zudem bieten die GBZ unterschiedliche Ausstattungen: So berichten GBZen von Computerräumen oder Tablets, die genutzt werden können, ein weiteres GBZ berichtet davon, dass sie eine Küche nutzen können.

Um die Bedarfe und -Interessen der Lernenden festzustellen, findet in jedem GBZ eine Eingangsberatung statt im Rahmen derer der Kenntnisstand, persönliche Lebensumstände, eventuelle Lernhemmnisse, individuelle Lernziele sowie die Motivation zu ermitteln versucht wird (SB 1). Je nach Bedarf und Möglichkeit findet zudem eine Eingangsdiagnostik statt (SB 2). Dabei integrieren die GBZen die Eingangsberatung auf unterschiedliche Weise in ihre Lernangebote bzw. in die institutionellen Abläufe: Ein GBZ beschreibt im Selbstbericht, dass jeder/jede Lernende vor der Vermittlung in ein Lernangebot eine Beratung bekommt. Diese Art der Beratung dient dann dazu, das passende Lernangebot zu ermitteln. Ein anderes GBZ integriert die Eingangsberatung samt Diagnostik bereits in das offene Lernangebot der Lernwerkstatt. Hierbei geht es dann vornehmlich darum, Lerninteressen und Förderbedarfe zu ermitteln, um den Zugang des/der Lernenden zu einem Lernangebot über konkrete Lerninhalte herzustellen. Anhand dieser Aussagen kann davon ausgegangen werden, dass entsprechend der Erkenntnisse zu Beratungsprozessen Lernbegründungstypen (Ludwig & Müller, 2012) berücksichtigt und Mischberatungen (Nuissl & Przybylska, 2016) durchgeführt werden.

Kooperationen und Netzwerke

Die GBZen sind in umfangreiche Kooperations- und Vernetzungsstrukturen eingebunden. Hierüber gelingt es, das Umfeld der gering literalisierten Menschen in den Akquise-Prozess einzubinden und darüber hinaus die Zugänge in das GBZ zielgruppenorientiert zu gestalten. Den Selbstberichten und den Interviews mit den GBZ-Leitungen ist zu entnehmen, dass die GBZen die Lernangebote gemeinsam mit Kooperations- und Netzwerkpartnern entwickelt haben; die Kooperationen umfassen beispielsweise die Zusammenarbeit mit Jobcentern, Unternehmen, Bibliotheken und regionalen Beratungsstellen. Ziel dabei soll es u.a. sein, Lernorte außerhalb des GBZ in die Angebotskonzeption einzubinden um hierüber mehr Lernmöglichkeiten zu schaffen (z.B. die Nutzung von Computerräumen) und unterschiedliche Lerninteressen fördern zu können. Ebenso Gegenstand von Kooperationen ist die Einbindung anderer Berufsgruppen zur Unterstützung des je individuellen Lernprozesses. So kann den Selbstberichten entnommen werden, dass Lernende bei Bedarf eine Sozialbegleitung oder sozialpädagogische Betreuung erhalten können.

Professionalisierung

Die Leitungen der GBZen berichten in den Selbstberichten von einer Vielzahl an Qualifikationen und Kompetenzen, die von den Lehrenden gefordert bzw. mitgebracht werden müssen, damit der Unterricht an den Bedarfen der Zielgruppe ausgerichtet werden kann. Anforderungen an das lehrende Personal sind z.B.: mehrjährige Berufs- sowie Unterrichtserfahrung in der Alphabetisierung/Grundbildung, Zusatzqualifikationen in der Alphabetisierung/Grundbildung, sowie fundierte Kenntnisse in der Vermittlung sowohl von Schriftsprachkompetenzen als auch aus benachbarten Professionen (bsp. Soziale Arbeit). Hinsichtlich der Professionalisierung deuten die Aussagen daraufhin, dass die Lehrenden speziell für die Arbeit mit Personen mit Grundbildungsbedarf ausgebildet sind. Vor allem, um die offenen Angebote wie die Lernwerkstätten professionell betreuen zu können, sind umfangreiche Berufserfahrungen in der Alphabetisierung und Grundbildung notwendig, da es hier vornehmlich darum geht, in einem bewusst offenen Lernsetting subjektive Lerninteressen und Lernproblematiken didaktisch fundiert aufzugreifen und zu fördern.

Zudem findet in den GBZen ein regelmäßiger Austausch zwischen den Lehrenden statt, in dem es neben organisatorischen Aspekten auch um inhaltliche Fragestellungen und Lehrmaterialien geht, die kollegial beraten werden (SB 2). Aktuelle Weiterbildungsanlässe werden von Lehrenden aus dem Lernangebot heraus identifiziert und konkret hinsichtlich der Themen Binnendifferenzierung und der Einsatzmöglichkeiten digitaler Medien formuliert (u.a. L 2).

Von einer Lehrenden (L 1) wird der Bedarf geäußert, die GBZen stärker in der Stadt und der Verwaltungsebene zu verankern, indem beispielsweise mit dem Frauenbüro oder mit der Verwaltungsebene zusammengearbeitet und in die städtische Arbeit integriert wird.

Die Aussagen zur institutionellen und infrastrukturellen Ebene zeigen zusammengefasst, dass die Infrastruktur ein flexibles Reagieren auf die Bedarfe der Lernenden und die Qualifikation der Lehrenden ein subjektorientiertes Vorgehen ermöglicht. Die Kooperationen scheinen das Potenzial für eine Subjektorientierung dahingehend zu bieten, dass je nach Bedarf und Lernstand der Lernenden ein Kontakt zu einer Bildungseinrichtung oder einer Behörde vermittelt werden und auch niedrigschwellig gestaltet werden kann.

Ergebnisse zur interaktionellen Ebene – Zusammenarbeit der Lernenden untereinander

Die interaktionelle Ebene bezieht sich auf die Interaktion zwischen den Lernenden untereinander sowie zwischen Lehrenden und Lernenden in einem spezifischen Lernangebot. Die Lernenden berichten durchweg von einer positiven Lernatmosphäre, was folgendes Beispiel zeigt:

„[Wenn] die Lehrer oder die anderen Schüler, oder die Teilnehmer […] nicht so nett [sind], dann [fahre] ich auch nicht […] 120 Kilometer jeden Montag mit dem Auto […]“ (LN 3)

Anzumerken ist an dieser Stelle, dass die Interviewpartner_innen zum Teil von (Kurs-) Leitenden sprechen. In der Erörterung wird durchweg der Begriff „Lehrende“ verwendet, um eine Assoziation mit Kursstrukturen zu vermeiden. Der Lernende beschreibt hier, dass die anderen Lernenden einer der Gründe sind, das GBZ weiterhin zu besuchen. Darüber hinaus beschreiben die Lernenden, dass sie sich im GBZ gegenseitig helfen, wenn etwas mal nicht verstanden wird, oder die Lehrenden beispielsweise gerade an anderer Stelle gebraucht werden. Ergänzend beschreibt eine Lehrende:

„Ja, weil die Leute untereinander, wenn die da sind, ich glaube die haben auch ein bisschen das Gefühl, wir sitzen in einem Boot und deshalb gehen die auch sehr respektvoll miteinander um.“ (L 1)

Dass auch seitens des GBZ eine positive Zusammenarbeit der Lernenden gefördert wird, beschreibt eine GBZ-Leitung:

„Da wir in den ersten Kurswochen ein Schwergewicht auf gemeinsame Aktivitäten zur Förderung einer positiven Gruppendynamik gelegt haben, hat sich trotz unterschiedlicher Kompetenzen und Niveaustufen eine gute Atmosphäre mit Zusammenhalt, gegenseitigem Vertrauen und Unterstützung unter den Teilnehmenden entwickelt.“ (SB 3)

Um innerhalb des Lockdowns, also der Kontaktbeschränkungen während der Coronapandemie, Kontakt zu Lernenden aufrechtzuerhalten, wurde z.T. Maßnahmen ergriffen, die an der personalen Situiertheit der Lernenden ausgerichtet war:

„Also was eigentlich ganz gut lief, jetzt das mit Corona, das war dann über […] WhatsApp, was ja dann nicht so gerne gesehen wurde, aber da war es halt die einzige Möglichkeit, da war dann schon der eine oder andere, der dann sagte: „Mensch, das geht doch so.“ (L 3)

Während dieser Artikel verfasst wurde, befanden sich sämtliche Bildungsinstitutionen sowie andere Einrichtungen des öffentlichen Lebens in einem Lockdown, so auch die GBZen. Faktisch waren die Institutionen geschlossen, so dass Lehre und Lernen ausschließlich digital stattfinden konnte. Diese Maßnahmen waren bundesweit verordnet, um die Ausbreitung des Coronavirus zu stoppen. Von der Nutzung von datenschutzkonformen Lernplattformen während des Lockdowns wurde nicht berichtet. Naheliegend ist, dass den Institutionen entweder keine digitalen Plattformen zur Verfügung standen oder vorhandene digitale Plattformen mit der Zielgruppe aufgrund mangelnder digitaler Grundbildung oder aufgrund mangelnder zielgruppenspezifischer Aufbereitung nicht nutzbar waren.

Ergebnisse zur interaktionellen Ebene – Arbeitsbündnis zwischen Lehrenden und Lernenden

Das Arbeitsbündnis zwischen Lehrenden und Lernenden wird unterschiedlich gestaltet. Allerdings beschreiben alle Lehrenden das Ziel, eine vertrauensvolle Beziehung aufzubauen. Versucht wird dieses Ziel z.B. durch Zeit und Interesse zu erreichen:

„[…] dann einfach auch die Zeit, die die Teilnehmer brauchen, viel Zeit, langsam, erst mal auch die Ansprachen: wie gehts, wie war die Woche, das gehört einfach dazu“ (L 4)

Ein Vertrauensverhältnis herzustellen ist bei der Zielgruppe von besonderer Relevanz, da diese tendenziell schambehaftet sind, Misserfolgsbefürchtungen aufweisen (z.B. Koppel, 2017) und dadurch in ihrem Lernprozess gehemmt sein können. Gelingt es nicht, eine positiv konnotierte Beziehung zwischen Lehrenden und Lernenden aufzubauen, kann dies auch zu einem Abbruch der Teilnahme führen. Eine Lehrende bringt ihre Lernangebotsstruktur und ihr Verhalten mit Reaktionen von zwei Lernenden in Verbindung:

„Ich habe mich halt dann beschwert über die Zwei, weil ich bin jemand, der ziemlich viel Disziplin verlangt. […] wenn ihr schon […] in der Schule [seid] […] dann sehe ich nicht ein, dass ihr eine halbe Stunde zu spät kommt und lauter solche ‚uncoolen‘ Dinge habe ich verlangt. Ich habe auch verlangt, dass sie mitmachen und solche typischen ‚Lehrersachen‘, die bei den Jungs halt nicht ankamen“ (L 3)

Aus dem Interview geht hervor, dass sich die Lehrende als diejenige sieht, die die Regeln definiert und deren Einhaltung von den Lernenden einfordert. Zudem spricht sie davon, dass sie sich bereits „beschwert“ hat. Hieran zeigt sich ein sehr restriktives bzw. hierarchisches Lehrhandeln, in dem sich sogenannte „Machtstrukturen“ (Holzkamp, 1995) widerspiegeln und damit ein großes Potential zum Entzünden widerständigen Lernens beinhaltet. Die beiden Lernenden, um die es hier geht, haben ihre Besuche im Grundbildungszentrum nicht fortgeführt. Dies ist eine klassische, wenn auch drastische Erscheinungsform eines Lernwiderstandes (vgl. Grell, 2006, S.25). Die Begründung dieser Widerstandsform kann sowohl in der Zeitstruktur des Lernangebotes als auch auf die Interaktion mit der Lehrenden zurückgeführt werden oder sogar auf eine Verstrickung unterschiedlicher Begründungen (vgl. Grell, 2006, S.26). Hervorzuheben ist, dass das Grundbildungsangebot dieses GBZ in eine Ausbildungsmaßnahme integriert war. Hierdurch kann eine Verstrickung des Lernprozesses mit den durch die Ausbildung vorgegebenen Strukturen entstehen. Zudem ist in einem solchen Fall das Lernangebot nicht vollumfänglich freiwillig. Um Abbrüche oder die Verstärkung von Lernwiderständen zu vermeiden könnten Beratungsprozesse präventiv wirken, indem Lernschwierigkeiten erörtert, berücksichtigt und bearbeitet werden. Es ist anzunehmen, dass die Kommunikation von beiden Seiten als Kommunikation auf Augenhöhe wahrgenommen wurde. Auch von einer anderen Lehrenden wird dieser Eindruck verbalisiert:

„Aber trotzdem ist es meines Erachtens nach ein anderes miteinander als im klassischen Kursgeschehen. Ich hab das Gefühl, dass es alles viel mehr auf Augenhöhe ist, weil die Leute sich sehr öffnen indem sie zu uns kommen und sagen Ich hab da ein Problem.“ (L 1)

In dieser Aussage wird ein Vergleich zu „klassischen“ Alphabetisierungskursen gezogen, in denen, laut Aussage der Lehrenden, zwischen Lernenden und Lehrenden weniger auf Augenhöhe interagiert wird. In Bezug auf die von Holzkamp beschriebene Annahme, dass Lernen immer in Macht- und Herrschaftsstrukturen eingebettet sei (Holzkamp, 1995, S.12) wird hier ein Umgang beschrieben, in dem diese Machtstrukturen wenig manifest werden.

Zusammengefasst zeigen die Aussagen zur interaktionellen Ebene, dass die Lernenden untereinander durch ihre gegenseitige Unterstützung zu einem positiven Lernerlebnis beitragen können bzw. eine positive Lernatmosphäre von den Lernenden als Voraussetzung beurteilt wird, um das Lernangebot anzunehmen. In den meisten Fällen wird eine Interaktion „auf Augenhöhe“ gefördert, die eine relevante Voraussetzung für ein gutes Lernklima beherbergt. Ein angebrachtes Beispiel zeigte aber ebenfalls, dass zwei Lernende das GBZ verlassen haben. Die Aussagen bestätigen aktuelle Erkenntnisse (vgl. z.B. Schepers, 2014, S.194), dass eine positive Lernatmosphäre und ein respektvoller Umgang einen wichtigen Ausgangspunkt für ein positives Lernerlebnis darstellen, um sich auf ein Lernen einlassen zu können.

Ergebnisse zur individuellen Ebene

Auf der individuellen Ebene wurden solche Textstellen codiert, die sich auf Handlungsproblematiken, Lernproblematiken und Lernprinzipien beziehen.

Handlungsproblematiken

Die Aussagen zeigen, dass Handlungsproblematiken sowohl von anderen Personen erkannt als auch vom Subjekt selber wahrgenommen wurden. So beschreibt ein Lernender, dass er bei seinem alten Arbeitgeber einen Stundenzettel abgeben musste, den er aber nicht selbstständig ausfüllen konnte. Der Lernende berichtet:

„Und dann hat er [der Arbeitgeber] das Problem gesehen oder erkannt.“ (LN 1)

Wesentlich in diesem Beispiel ist, dass die Handlungsproblematik vom Arbeitgeber und nicht vom Subjekt selbst expliziert wurde. Möglicherweise war die Handlungsproblematik dem Lernenden bewusst, allerdings hat er aus dieser Problematik heraus keine Initiative ergriffen. Dennoch führte die Konfrontation der Problematik durch den Arbeitgeber dazu, dass der Lernende das Lernangebot „Alphakurs“ angenommen und sich damit auf die Lernsituation eingelassen hat. Anzumerken ist, dass hier auch ein Machtverhältnis zwischen wissender und weniger wissender Person deutlich wird, das Machtverhältnis aber nicht zu einer Form der Lernhemmung, sondern zu einer Annahme eines Unterstützungsangebotes geführt hat. Auch in weiteren Interviews mit Lernenden wird beschrieben, dass der Vorschlag zum Besuch im GBZ vom Arbeitgeber formuliert und die Handlungsproblematik somit „von außen/von Dritten“ wahrgenommen und an die Lernenden herangetragen wurde. Somit ist die Handlungsproblematik oder auch die daraus folgende Konsequenz für einen Besuch im GBZ nicht durchgehend subjektiv begründet. Jedoch wird der Empfehlung einer dritten Person gefolgt und daher auch die Handlungsproblematik vom Subjekt im GBZ in eine Lernproblematik überführt.

Die Datenlage zeigt, dass lediglich in einem Fall eine Handlungsproblematik in einer Interviewsituation vom Subjekt selbst wahrgenommen wurde und schließlich dazu geführt hat, selbstständig ein passendes Angebot zu suchen und folglich eine Lernproblematik auszugliedern:

„Ähm es ist so, ich arbeite im Kindergarten. Ich habe die drei bis sechsjährigen. Und momentan kann ich im Kopf nur noch, ja wenn ich es hinbekomme nur noch bis 50 zusammenrechnen. Ja, also dreistellig, 527 + 195 bekomme ich im Kopf nicht mehr zusammen. Das muss ich also mir dann aufschreiben auf Papier. Und irgendwie denke ich mir „Mensch das kann ja nicht sein, das hast du in der Schule alles mal gekonnt. […] Ich meine, ich brauche es nicht für meine Kinder, die lernen es dann später, aber ich möchte es eigentlich schon für mich haben“ (LN 2).

Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang, dass diese Lernende über Schriftsprachkompetenzen auf einem verhältnismäßig hohem Alphalevel (Level 4 oder höher) verfügt, die sie ebenso im beruflichen Alltag anwendet. Ihre personale Situiertheit ist folglich eine andere als bei den Lernenden, die über Schriftsprachkompetenzen auf Level 1 verfügen. Aufgrund der Struktur von GBZen ist allerdings zu erwarten, dass im Vergleich zu klassischen Alphabetisierungskursen weniger Personen von Ämtern geschickt werden. Zudem wird mit dem Besuch in einem GBZ womöglich weniger erwartet, dass ein messbarer Output generiert wird, wie z.B. die Integration in eine Ausbildung oder in den Arbeitsmarkt. So kann vermutlich alleine die Angebotsstruktur eines GBZ dazu beitragen, dass weniger Lernwiderstände entstehen. Die Daten zeigen, dass ein didaktisches Ziel der Lernangebote in den GBZ ist, gemeinsam mit den Lernenden Lernproblematiken aus Handlungsproblematiken auszugliedern und diese in der Folge lernend zu überwinden. Dies kann auch als Hinweis gedeutet werden, dass Raum für expansives Lernen vorhanden ist.

Lernproblematiken und Lernprinzipien

In den Aussagen von den Lernenden ließen sich keine konkreten Lernproblematiken identifizieren. Dies kann darin begründet sein, dass die Lernenden von der Interviewerin nicht konkret nach Lerninhalten gefragt wurden, um im Interview nicht den Anschein einer Prüfung zu erwecken. Allerdings wurde von den Lernenden beschrieben, dass im GBZ Angebote individualisiert für jedes Level bereitgehalten werden und „das, was er gerne machen möchte“ (L 1) von den Lehrenden unterstützt wird. Hinweise auf Lernproblematiken lassen sich zudem in den Aussagen von Lehrenden identifizieren. Die Aussagen der Lehrenden spiegeln die Wahrnehmung der Lernenden dahingehend wider, dass die Lerninhalte an den aktuellen Handlungs- und Lernproblematiken ausgerichtet werden (z.B. L2). In den Interviews von Lehrenden finden sich diverse Aussagen dazu, dass Lernende Handlungs- und Lernproblematiken in das GBZ bringen – wie z.B. ein Formular oder Brief von einem Amt. In den meisten Beispielen wird deutlich, dass der Weg von einer Handlungs- in eine Lernproblematik bereits stattgefunden hat und ein Bewusstsein seitens der Lernenden darüber besteht, dass sie ihre Handlungsproblematiken lernend überwinden können – wie z.B. Wörter schreiben zu lernen, die in dem Formular vom Amt benötigt werden:

„Okay, jemand möchte in nächster Zeit dies Thema bearbeiten und da kann man gucken, was braucht derjenigen dafür?“ (L 1)

Das Zitat zeigt, dass die Lernprinzipien mit der Lehrenden gemeinsam entwickelt werden. Dieses Vorgehen wird auch von weiteren Lehrenden und Lernenden beschrieben.

Auch die Einbindung digitaler Medien erfolgt, um Lernproblematiken aufzugreifen und für die Umsetzung von Lernprinzipien zu nutzen:

„Da haben wir es so gemacht auch aufgrund, da das war auch wieder eine Teilnehmerin, die sich das gewünscht hat, dass ich Videos machen soll so ein bisschen wie auf YouTube. Und dann habe ich insgesamt jetzt drei Videos, drei oder vier, also drei mindestens, gemacht drei Videos, die habe ich jeweils am Wochenende rausgeschickt. Die Teilnehmer konnten sich es also angucken, also immer über ein Thema und dann haben wir Einzelunterricht gemacht.“ (L 2)

Diverse Aussagen von Lehrenden zeigen, dass Flexibilität seitens der Lehrenden besteht, um sich nach den Bedarfen der Lernenden zu richten.

Das folgende Zitat deutet darauf hin, dass Lernprinzipien von den Lernenden eigenständig umgesetzt werden:

„Also wir sprachen da eine Zeit lang über Essen. Sind ja angehende Köche. Und dann kam dann mal das erste Foto zurück, ja, da hatte dann eine Teilnehmerin, hatte dann auch Brot gebacken, so ein Ciabatta, dann wollte sie wissen von mir: „Ist das so in Ordnung? Sieht das gut aus?“ (L 3)

Hier zeigt sich, dass die beschriebene Interaktion zwischen Lehrenden und Lernenden nicht durch die Lehrende initiiert worden zu sein scheint sondern durch eine Lernende: Die Lernende hat ein Bild von einem Brot in die WhatsApp-Gruppe geschickt und dabei gezeigt, dass sie den Lerninhalt außerhalb des GBZ aufgegriffen und Lerninhalte wiederholt hat. Die eigenständige Wiederholung kann hier als Lernprinzip mit expansivem Charakter gedeutet werden. Ob diese als expansiv gedeutete Lernhandlung tatsächlich zu einer Erhöhung der Verfügung bzw. Lebensqualität (Erweiterung des Wissens/der Kompetenzen hinsichtlich des Backens) bei der Lernenden führt, lässt sich aus der Datenlage nicht ermitteln. Die Einbindung von Smartphones und WhatsApp ist hier als Berücksichtigung der personalen Situiertheit interpretierbar: WhatsApp scheint von allen Lernenden bereits vor dem Lockdown genutzt worden zu sein. Für die Lehrende erschien dies als einzige Möglichkeit, mit den Lernenden in Kontakt zu bleiben und dabei die Schriftsprachentwicklung weiter zu fördern. Das in dem Zitat beschriebene Vorgehen kann als umfangreiche Lernhandlung bezeichnet werden: die Lernende berichtet darüber, wie sie etwas (das Backen) umgesetzt hat, um ihr Ziel (z.B. ein Brot oder eine Torte zu backen) zu erreichen und zu kommunizieren (via WhatsApp). Hier wird die Lernhandlung zwar nicht von der Lernenden selbst, also aus subjektiver Perspektive beschrieben. Dennoch wird hier ein Potential für Lernhandlungen deutlich, die eher auf expansives Lernen hindeuten.

Lerninteressen

Vereinzelt ist den Interviews mit den Lernenden zu entnehmen, dass sie Lerninteressen beschreiben.

Zwei Lernende formulieren, dass sie zunächst ihre Schriftsprachkompetenzen im Deutschen verbessern wollen, um anschließend eine weitere Sprache (Englisch) zu lernen, was das folgende Zitat ausdrückt:

„Momentan möchte ich lernen deutsche Sprache sehr gut. Und ich möchte lesen und verstehen alles. Ja, und danach Englisch.“ (LN 4)

Es ist anzunehmen, dass Lernangebote in GBZen das Potenzial bieten, um entweder mit Interessegegenständen in Berührung zu kommen oder bereits bestehende Interessen weiter zu entwickeln (vgl. auch Grotlüschen, 2010). Dies zeigt ebenso, dass die Lernenden eine Perspektive im Lernen sehen. Eine Lehrende berichtet, wie sie in der Lernsituation die Lerninteressen aufgegriffen hat:

„Aber es hat sich da schon, ja es ging dann so mehr in, die praktischen Anlässe, die waren dann natürlich, und Corona war natürlich extrem wichtig. […] Weit in den Abend hinein. (lachen) Aber ich habe mir gesagt, wenn ich sie jetzt habe in dem Moment, wenn sie jetzt dabei sind, ja dann ist es doch egal wie spät es ist.“ (L 3)

Das Interesse zeigt sich hier primär in der pragmatischen Achse (Grotlüschen, 2010), indem die Lernenden Corona als relevanten und attraktiven Lerngegenstand bewerten, der in der Lehr-Lernsituation aufgegriffen wird. Durch die Reaktion der Lehrenden, über die geplante Lernzeit hinaus mit den Lernenden über den Lerngegenstand zu sprechen, zeigt sich ein Engagement, expansive Lernprozesse zu unterstützen.

Diskussion

Im Folgenden werden die Ergebnisse anhand der drei Ebenen diskutiert. Abschließend werden Limitationen und die Relevanz für die Praxis erörtert.

Institutionelle Ebene

Ein hervorzuhebendes Potenzial der GBZen liegt darin, das Umfeld zu sensibilisieren, Lernende für das GBZ zu akquirieren und dann, sobald sie im GBZ angekommen sind, gemeinsam zu erörtern, welches Lernangebot für die jeweiligen Lernenden das Richtige ist. Es geht nicht darum, dass ein bestimmtes Angebot zu einem vorgegebenen Zeitpunkt beginnt. In der Regel sind die Angebote fortlaufend, so dass ein Eintritt jederzeit möglich ist. Die in allen GBZen verankerte Eingangsberatung bietet das Potenzial, dass Lernende mit der Unterstützung der Lehrenden Lernproblematiken aus Handlungsproblematiken ausgliedern.

Ein weiteres nennenswertes Potenzial der GBZen besteht in der Flexibilität, die Lernenden während des Lernens individuell zu unterstützen, um subjektorientiert lernen zu können.

Interaktionelle Ebene

Den beteiligten Akteuren scheint es wichtig zu sein, im GBZ eine positive Lernatmosphäre zu erleben. Dies gelingt über eine wertschätzende Kommunikation und durch die gegenseitige Unterstützung der Lernenden untereinander. Auch wenn sich bei zwei Lernenden widerständiges Lernen zeigt, ist die Ursache nicht eindeutig identifizierbar. Wohl aber scheinen alle Lehrenden hinsichtlich einer subjektorientierten Interaktion sensibilisiert zu sein und dazu beizutragen, dass sich auch die Lernenden untereinander unterstützen. Diese Voraussetzungen können darüber hinaus einen Rahmen darstellen, der die Erfahrung von Selbstwirksamkeit begünstigt und somit zu weiteren expansiven Lernprozessen anregt. Das Potenzial auf der interaktionellen Ebene für eine subjektorientierte Vorgehensweise ist somit darin zu erkennen, dass die Strukturen der GBZen eine wertschätzende Kommunikation unterstützen und die Lernenden einen wertschätzenden Umgang erfahren können.

Individuelle Ebene

Die Interviews zeigen, dass die Lernenden sowohl außerhalb als auch im GBZ Interessen entwickeln. Dies zeigt, dass sie eine Perspektive im Lernen sehen. Ob sie diese Lerninteressen tatsächlich umsetzen werden, lässt sich anhand der Datenlage nicht erklären. Relevant scheint hier, dass der Kontext des Angebotes die Lernenden dazu ermutigt, auch über die Angebotsdauer hinaus Perspektiven zu entwickeln und ggf. sogar in dem GBZ einen Ort zu sehen, an dem diese Interessen perspektivisch angegangen werden können.

Auch nach der Eingangsberatung werden Handlungsproblematiken aufgegriffen und es können nach der Identifikation der Lernproblematiken individuelle Lernprinzipien gewählt werden. Bei der Wahl der Lernprinzipien deuten die Aussagen daraufhin, dass die Lernenden in ihrer personalen Situiertheit unterstützt werden können. Das Potenzial für ein subjektorientiertes Vorgehen in GBZs scheint somit insbesondere in der Offenheit der Angebote zu liegen und damit Lernbegründungen berücksichtigen und Mischberatungen durchführen zu können. Darüber hinaus lässt sich erkennen, dass sich die Machtstrukturen zwischen Lehrenden und Lernenden nicht negativ (bzw. lernhemmend) manifestieren, sondern Lehrende sich eher in der Rolle einer beratenden Person sehen als in der Rolle einer bestimmenden Person.

Zusammengefasst können folgende Potenziale identifiziert werden, Lernprozesse in GBZen subjektorientiert zu gestalten:

  • Niedrigschwellige und flexible Angebote
  • Offenheit und Möglichkeiten, Lernanlässe aufzugreifen sowie Lerninteressen zu entwickeln bzw. zu verfolgen
  • Qualifikation und Erfahrung der Lehrenden hinsichtlich einer sensiblen, didaktisch fundierten Unterstützung der Lernenden
  • Beratungsstrukturen und Beratungskompetenz von Lehrkräften
  • Sensibilisierung hinsichtlich möglicher Lernwiderstände

Ausblickend wäre es für die Gestaltung von Lehr- und Lernprozessen gewinnbringend, diese Potenziale genauer zu betrachten und zu erforschen, inwieweit Lernprozesse tatsächlich im Sinne der subjektwissenschaftlichen Lerntheorie ausgerichtet werden und welche Hinweise es auf Faktoren gibt, die den Lernprozess positiv beeinflussen.

Limitationen

Aufgrund des qualitativen Vorgehens, der regionalen Verortung in Baden-Württemberg sowie der Datenlage (pro Akteursebene wurde jeweils lediglich ein Interview einbezogen) ist das Potenzial der Verallgemeinerbarkeit insbesondere hinsichtlich der Subjektwissenschaft gering. Auch der sekundäranalytische Charakter erschwert den Transfer auf Grundbildungsprozesse aus subjektwissenschaftlicher Perspektive.

Wohl aber ist zu vermuten, dass sich die Erkenntnisse auf andere GBZen übertragen lassen, da sich die Strukturen von GBZen deutschlandweit ähneln und die Angebote grundlegend niedrigschwellig gestaltet und an den individuellen Bedarfen von Lernenden ausgerichtet sind. Zudem wurde im Beitrag zwar das Potenzial für eine subjektorientierte Lehr-Lernprozessgestaltung in GBZen herausgearbeitet, allerdings konnte dieses Vorgehen nicht durchgehend aus einer subjektwissenschaftlichen Forschungsperspektive erfolgen: vornehmlich auf der individuellen Ebene wurden Textpassagen dahingehend interpretiert, ob sie einer Subjektperspektive standhalten bzw. zuordbar sind. Um das Forschungsvorgehen vom Subjektstandpunkt aus zu gestalten wäre es daher wünschenswert, mehr Lernende in die Befragungen einzubeziehen, um zu untersuchen, wie das Lernen vom Standpunkt des Subjektes tatsächlich verläuft. Ebenfalls zu erwähnen ist, dass im Rahmen der subjektwissenschaftlichen Perspektive Lernen ausschließlich als intentionales Lernen berücksichtigt wird und nicht das inzidentielle oder informelle Lernen beinhaltet. Eine solche Differenzierung unterschiedlicher Lernhandlungen in GBZen wäre eine weitere interessante Forschungsperspektive.

Relevanz für die Praxis

Durch die Betrachtung der Interviews und Selbstberichte wurde deutlich, dass die Vorbedingungen für eine subjektorientierte Vorgehensweise auf der institutionellen/infrastrukturellen Ebene verortet sind: Es bedarf bestimmter Ressourcen (flexible offene Strukturen und Angebote) und der Qualifikation des Personals, damit sich das Potenzial einer subjektorientierten Vorgehensweise entfalten kann.

Die Erkenntnisse können zudem hinsichtlich der Durchführung von Beratungsprozessen gewinnbringend sein: Lernende können bei der Reflexion ihrer Handlungsproblematiken und der daraus abzuleitenden Lernproblematiken unterstützt werden, indem die Lehrenden offen an die Beratungssituation herangehen und für mögliche Lernwiderstände sensibilisiert sind. Hier sind Überschneidungen zu den bisherigen Erkenntnissen zu Beratungsprozessen in der Alphabetisierung erkennbar (Nuissel & Przybylska, 2016, S.85; Ludwig, 2012). Wird davon ausgegangen, dass die Prinzipien der Beratung mit gering Literalisierten berücksichtigt werden, wird das Potenzial von GBZen für die Unterstützung subjektorientierter Lernprozesse und damit die Unterstützung bei der Identifikation von Lernproblematiken und Lernprinzipien besonders deutlich.

Das Potenzial von GBZen mit deren flexiblen und offenen Strukturen ermöglicht zudem, den Anforderung an eine zielgruppenspezifische Didaktik (s. Didaktik der Alphabetisierung (Löffler & Weis, 2016) gerecht zu werden. Für die Didaktik der Alphabetisierung ist einerseits die Teilnehmer- und Lebensweltorientierung relevant, andererseits steht der Lerngegenstand Schriftsprache im Mittelpunkt (Löffler & Weis, 2016, S.365). Weitere Verbindungslinien können zur sog. Ermöglichungsdidaktik (Arnold, 2003) gezogen werden. Für die Praxis bieten die hier gewonnenen Erkenntnisse somit eine Orientierung, um subjektorientierte Lernprozesse zu unterstützen und mit konkreten didaktischen Prinzipien zu verknüpfen.

Literatur