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Open AccessOriginalarbeit

Warum prokrastinieren Promovierende?

Anpassung und Validierung des Fragebogens zu den Gründen akademischer Prokrastination für Promovierende

Published Online:https://doi.org/10.1026/0012-1924/a000325

Abstract

Zusammenfassung: Die meisten Fragebögen in der Prokrastinationsforschung erfassen das Ausmaß an Prokrastination, jedoch nicht die Gründe, warum man prokrastiniert. Patrzek et al. (2014) entwickelten diesbezüglich den Fragebogen zu den Gründen akademischer Prokrastination (FGAP), welcher jedoch bisher nur für Studierende validiert ist. Ziel der vorliegenden Studie war die Ergänzung des Fragebogens um promovierendenspezifische Gründe auf Basis einer Fokusgruppe sowie die Validierung des Fragebogens für eine Promovierendenstichprobe. Anhand der Daten von 401 Promovierenden wurden unterschiedliche Faktorenstrukturen mit Hilfe von exploratorischen Strukturgleichungsmodellen (ESEM) gegeneinander getestet. Hierbei zeigte sich, dass das ursprünglich gefundene 13-Faktoren-Modell des FGAP auch in der Promovierendenstichprobe zu einem guten Modell-Fit führt. Für den Fragebogen mit den promovierendenspezfisischen Ergänzungen, dem FGAP für Promovierende (FGAP-P), zeigte ein 15-Faktoren-Modell mit den zwei neuen Skalen Feedback und Deadlines sowie Andere Aufgaben einen guten Modell-Fit. Darüber hinaus zeigt ein hierarchisches Modell, welches fünf theoretisch hergeleitete Faktoren höherer Ordnung (studienbezogene Kompetenzen, persönlichkeitsbezogene Variablen, Überzeugungen, Aufgabenmerkmale, universitäre Rahmenbedingungen) beinhaltet, einen akzeptablen Modell-Fit. Der FGAP-P zeigt für die Promovierendenstichprobe gute Reliabilitäten sowie zufriedenstellende Validitäten. Somit kann der FGAP-P zur Erhebung von Gründen akademischer Prokrastination in Forschung und Beratungspraxis bei Promovierenden verwendet werden.

Why Do PhD Students Procrastinate? Adaption and Validation of the Reasons for Academic Procrastination Questionnaire for Doctoral Candidates

Abstract: Most questionnaires in the field of procrastination assess the tendency to procrastinate but not the reasons why someone procrastinates. Patrzek et al. (2014) closed this gap by developing the Reasons for Academic Procrastination Questionnaire (FGAP). The FGAP is validated for undergraduate and graduate students. This study validates the original questionnaire for PhD candidates and extends for Ph.D.-specific reasons by interviewing Ph.D. candidates. Based on data drawn from 401 doctoral candidates, we tested different factor structures using exploratory structural equation modeling (ESEM). First, the original 13-factor model showed a good fit for the FGAP in the present sample. Furthermore, the extended questionnaire with Ph.D.-specific reasons (FGAP-P) and two additional scales (Feedback and Deadlines and Other Tasks), showed a 15-factor-model to be a good fit as well. Additionally, a hierarchical model with five higher order factors (study-related competencies, personality-related variables, beliefs, task characteristics, general conditions at university), derived by theoretical considerations, showed an acceptable fit. Reliability and validity measures also showed satisfactory results.

Theorie

Steel (2007) definiert Prokrastination als das freiwillige Aufschieben einer intendierten Handlung trotz der Erwartung negativer Konsequenzen durch den Aufschub. Prokrastination ist vom strategischen Aufschieben abzugrenzen, welches zwar auch willentlich geschieht, jedoch keine negativen, zumeist sogar positiven Konsequenzen inkludiert (Klingsieck, 2013). Strategisches Aufschieben ist somit durch seine Funktionalität gekennzeichnet. Im Gegensatz hierzu folgt bei der Prokrastination trotz Absicht keine Handlung, bei gleichzeitigem Wissen und Bewusstsein über die Dysfunktionalität des Aufschubes der Handlung in die Zukunft. In verschiedenen Studien finden sich Hinweise darauf, dass Prokrastination ungünstige Auswirkungen auf beispielsweise die akademische Leistung (Kim & Seo, 2015), das Wohlbefinden (Pychyl & Sirois, 2016) und allgemein die psychische Gesundheit (Stead, Shanahan & Neufeld, 2010) hat. Der Großteil dieser Studien hat die Gemeinsamkeit, dass die Prokrastinationsausprägung auf der Verhaltensebene anhand gängiger Messinstrumente erfasst werden, wie beispielsweise der Tuckman-Prokrastination-Skala (deutsche Übersetzung: Stöber, 1995), der General Procrastination Skala (deutsche Übersetzung: Klingsieck & Fries, 2012) oder der Pure Procrastination Skala (deutsche Übersetzung: Svartdal et al., 2016). Es konnte gezeigt werden, dass diese Selbstauskünfte einen hohen Zusammenhang mit tatsächlich beobachteter Prokrastination aufweisen und somit als gute Prädiktoren dienen (Steel, Svartdal, Thundiyil & Brothen, 2018; Zuber et al., 2020). Die Mehrheit der Prokrastinationsfragebögen konzentriert sich somit auf das Prokrastinationsverhalten, jedoch nicht auf die Ursachen des dysfunktionalen Aufschiebens von beabsichtigten Aktivitäten. Diese Forschungslücke schlossen Patrzek, Grunschel, König und Fries (2014) mit der Konstruktion und Validierung des Fragebogens zu den Gründen akademischer Prokrastination (FGAP). Die Entwicklung und Nutzung von Fragebögen zur Erfassung von Gründen finden sich in unterschiedlichen psychologischen Fragestellungen. Westerberg, Miller und Heather (1996) entwickelten beispielsweise den Reasons for Drinking Questionnaire, der von Zywiak und Kollegen (2003) zur Untersuchung von Trinkrückfällen bei Alkoholabhängigen verwendet wurde. Sie konnten zeigen, dass Trinkrückfälle, die durch sozialen Druck ausgelöst wurden, sich mit höherer Wahrscheinlichkeit wiederholten im Vergleich zu durch negativen Affekt oder Suchtdruck ausgelösten Trinkrückfälle, die jedoch in dem Ausmaß intensiver waren. Im Bereich der Selbstverletzung ist der Reasons to Stop Self-Injury Questionnaire (Turner, Chapman & Gratz, 2014) zu nennen. Hier konnte gezeigt werden, dass resilienzbezogene Gründe im Zusammenhang mit mehr Hoffnung, sozialer Unterstützung und funktionaler Bewältigung stehen. Vulnerabilitätsbezogene Gründe stehen mit größerer Psychopathologie und einem chronischeren Verlauf im Zusammenhang. Ein weiterer Fragebogen zur Erfassung von Gründen findet sich beispielsweise im Bereich der Glücksspiele (Reasons for Gambling Questionnaire; Francis, Dowling, Jackson, Christense & Wardle, 2015). Über Fragebögen zur Erfassung von Gründen kann festgestellt werden, wie einzelne Gründe mit anderen konstruktrelevanten Variablen zusammenhängen. Hieraus lassen sich Muster erkennen, die für Präventions- und Interventionsmaßnahmen genutzt werden können. Übertragen auf den Forschungsbereich der Prokrastination bedeutet dies konkret, dass erforscht werden kann, welche Gründe beispielsweise mit niedriger bzw. hoher Prokrastinationshäufigkeit einhergehen. Ebenso könnte beispielsweise erforscht werden, ob bei unterschiedlichen Arbeitsaufgaben verschiedene Gründe leitend sind. An dieser Stelle ist wichtig zu betonen, dass die Entwicklung solcher Fragebögen auch kontrovers diskutiert wird, da fraglich ist, inwieweit Individuen reliabel und valide Gründe für eigenes dysfunktionales Verhalten erfassen können. Selbstwertdienliche Verzerrungen (Tesser, 1988), soziale Erwünschtheit (Nederhof, 1985) und Rückschaufehler (Hawkins & Hastie, 1990) könnten zu einer fehlerhaften Einschätzung der Gründe führen.

Fragebogen zu den Gründen akademischer Prokrastination (FGAP)

Der Fragebogen zu den Gründen akademischer Prokrastination wurde von Patrzek et al. (2014) in einem mehrschrittigen Mixed-Methods-Verfahren konstruiert. Zu Beginn wurden qualitative Interviews mit Studierenden (Grunschel, Patrzek & Fries., 2013b) sowie Studienberater_innen (Patrzek, Grunschel & Fries, 2012) durchgeführt. Hieraus ergaben sich zwei übergeordnete Kategorien: externale und internale Gründe. Diese beinhalteten wiederum Subkategorien (beispielsweise Kompetenzen, persönliche Überzeugungen oder institutionelle Rahmenbedingungen). Anschließend wurden die entworfenen 106 Items einer explorativen und konfirmatorischen Faktorenanalyse unterzogen. Daraus resultierend zeigte sich die beste Modellpassung für eine 13-Faktorenlösung, in der ein Faktor eine Prokrastinationsgründeskala darstellte. Diese Faktorenlösung setzte sich durch gegenüber Lösungen mit zwei Faktoren (externale und internale Gründe), fünf Faktoren (studienbezogene Kompetenzen, persönlichkeitsbezogene Variablen, Überzeugungen, Aufgabenmerkmale, universitäre Rahmenbedingungen) und zwei Faktoren höherer Ordnung (external und internal), denen die 13 Gründeskalen untergeordnet wurden. Inhaltlich redundante oder schwach ladende Items wurden entfernt. Der neu konstruierte FGAP resultierte somit in 13 Skalen à 3 Items, also insgesamt 39 Items. Die Gründeskalen wurden auf Basis der Subkategorien, die aus der Interviewstudie resultierten, erstellt. Die Forschungsgruppe (Patrzek et al., 2014) achtete hierbei darauf, einerseits Skalen zu entwickeln, die bereits in unterschiedlichen Studien thematisiert wurden (beispielsweise Angst oder Perfektionismus), andererseits Prokrastinationsgründe in Skalen resultieren zu lassen, die bisher weniger erforscht wurden, jedoch bedeutsam für den universitären Kontext erschienen (beispielsweise aufwändige Aufgaben).

Die Skala Mangelndes Zeitmanagement bezieht sich auf die Über- oder Unterschätzung der für die Aufgabenbearbeitung benötigten Zeit sowie der Nutzung unrealistischer Ziele im Rahmen der Aufgabenbearbeitung. Mangelnde Selbstmotivation erfasst die Kompetenz sich für den Beginn, das Fortsetzen oder die Beendigung einer Aufgabe motivieren zu können. Mangelndes Durchhaltevermögen erfasst die Fähigkeit über einen längeren Zeitraum konzentriert zu bleiben. Die Skala Mangelnde Studienkompetenz fokussiert sich auf Schwierigkeiten bei der strukturierten Bearbeitung von Aufgaben. Selbstwertbezogene Gründe für das Prokrastinieren werden in der Skala Mangelndes Selbstvertrauen erhoben. Besonders hohe eigene Leistungsansprüche als Grund für dysfunktionales Aufschieben werden unter der Skala Perfektionismus subsummiert. Die Sorge, sich vor anderen zu blamieren, Aufgaben nicht bewältigen zu können oder schlecht zu machen, wird durch die Angst-Skala erfasst. Die Überzeugung, nur unter Druck produktiv sein und gute Leistungen erbringen zu können, erfasst die Skala Arousal-Prokrastination. Zweifel, ob das Studium fortgeführt werden soll oder ob die Promotion den eigenen derzeitigen Interessen entspricht, wird durch die Skala Unsicherheit bzgl. des Studiums erhoben. Die Skala frühere Erfolge trotz Aufschieben erfasst die auf früheren Erfahrungen basierte Überzeugung, trotz des Aufschiebens erfolgreich zu sein. Das Prokrastinieren aufgrund der Bewertung einer Aufgabe als sinnlos, langweilig oder freudlos, fasst die Skala aversive Aufgabe zusammen. Wenn als umfangreich, anstrengend oder aufwändig wahrgenommene Aufgaben als Prokrastinationsgrund dienen, werden hohe Werte auf der Skala aufwändige Aufgaben erzielt. Geringe zeitliche oder inhaltliche Unterstützung als Grund wird durch die Skala ungünstiges Betreuer_innenverhalten targetiert. Die Korrelation der Subskala Konzentration des Fragebogens Lernstrategien im Studium (Wild & Schiefele, 1994), der Selbstwertskala von Rosenberg (1965), der Subskala Persönliche Ansprüche des Frost Multidimensional Perfectionism Fragebogens (Stöber, 1995) sowie der Skala Abbruchsintention (Dresel & Grassinger, 2013) mit den entsprechenden Subskalen des FGAP (Mangelndes Durchhaltevermögen, Mangelndes Selbstvertrauen, Perfektionismus, Unsicherheit bzgl. der Promotion) sprechen für die konvergente Validität des FGAP. Die Angst-Skala des FGAP wurde bisher noch nicht in die Analyse der konvergenten Validität mit einbezogen. Hierfür könnte die Subskala Sorge über Fehler und Zweifel (Frost Multidimensional Perfectionism Fragebogen; Stöber, 1995) dienlich sein, da sie Sorgen erhebt, Aufgaben nicht ausreichend gut bewältigen zu können. Die Prüfung der konvergenten Validität wurde nur für eine Auswahl an Gründeskalen durchgeführt, da es eine Herausforderung darstellte für spezifische Gründeskalen (beispielsweise Arousal-Prokrastination, frühere Erfolge trotz Aufschieben, aversive Aufgaben) inhaltlich relevante Referenzskalen zu finden.

Grunschel, Patrzek und Fries (2013a) nutzten den Fragebogen zu den Gründen akademischer Prokrastination, um vier verschiedene Prokrastinationstypen zu identifizieren und um Unterschiede zwischen diesen Typen auf verschiedenen Variablen festzustellen. Bislang wurde der FGAP nur in einer weiteren Studie genutzt, nämlich Limarutti und Mir (2021). Jedoch wird aus deren Artikel nicht deutlich, wie dieser in der Auswertung verwendet wurde.

Unterschiede zwischen Studierenden und Promovierenden

Wie in dem Forschungsfeld üblich, wurden zur Konstruktion ausschließlich Studierende herangezogen. Die vorliegende Studie hat zum Ziel, den FGAP für eine neue Stichprobe, nämlich Promovierende, anzupassen und zu validieren. Die präzise Anzahl an Promovierenden ist in Deutschland nicht genau zu ermitteln, Hochrechnungen aus dem Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs (BMBF, 2017) gehen von ca. 180 000 – 200 000 Promovierenden aus. Die durchschnittliche Promotionsdauer beträgt 4.5 Jahre, jedoch haben in einer Untersuchung ein Drittel der Promovierenden ihre Qualifikationsarbeit nach zehn Jahren noch nicht abgeschlossen und 17 % die Promotion aktiv abgebrochen (Fabian, Rehn, Brandt & Briedis, 2013). Warum es einer möglichen Erweiterung des FGAP bedarf, wird durch den Vergleich von Promovierenden und Studierenden deutlich, insbesondere der strukturellen Bedingungen. Ein Unterschied ist die hohe Bedeutung supervisorischer Begleitung der Promotion durch eine Betreuungsperson. Sverdlik, Hall, McAlpine und Hubbard (2018) bewerten die Betreuung als einen der einflussreichsten externalen Faktoren im Dissertationsprojekt. In unterschiedlichen Studien konnte gezeigt werden, dass die betreuende Person eine signifikante Rolle in der Aufrechterhaltung der Promovierendenzufriedenheit und -ausdauer sowie dem Erfolg in der Fertigstellung der Promotion spielt (Gube, Getenet, Satariyan & Muhammad, 2017). Ray (2007) konnte in einer Mixed-Methods-Studie zeigen, dass das Geben von Feedback, das Setzen von realistischen Fristen und die Unterstützung bei inhaltlichen Problemen durch Promovierende als wichtig bewertet wird. Der FGAP besitzt zwar bereits die Skala ungünstiges Betreuer_innenverhalten, diese erfasst jedoch nicht Aspekte hinsichtlich des Gebens von Feedback, der Anwesenheit von Fristen oder externer Kontrolle. Diese Aspekte sind auch für den Studierendenkontext relevant, jedoch bestehen diesbezüglich Unterschiede. Studierende arbeiten nicht über mehrere Jahre an einem größeren Projekt, welches durch dieselbe Betreuungsperson über das gesamte Studium hinweg begleitet wird. Auch ist das Betreuungsverhältnis in den meisten Fällen bei Studierenden weniger intensiv und persönlich. Ebenso gehören Fristen in den meisten Fällen standardmäßig zu Prüfungsleistungen, sodass diese nicht individuell vereinbart werden müssen. Aufgrund dieser Unterschiede wurden diese Gründe möglicherweise in dem ursprünglichen FGAP nicht berücksichtigt.

Eine weitere strukturelle Differenz zwischen Studierenden und Promovierenden ist das Vorhandensein von zusätzlichen Arbeitsaufgaben. Hauss et al. (2012) befragten ca. 3 000 Promovierende, unter anderem bezüglich der Arbeitssituation. Hierbei ist anzumerken, dass 77 % der Promovierenden in Teilzeit beschäftigt sind. Neben der Arbeit an der Promotion (ca. 50 % der Arbeitszeit) fallen zusätzlich nicht-promotionsbezogene Forschungsaufgaben, Lehrverpflichtungen sowie Administrations- und Organisationsarbeiten an. Die Teilzeitbeschäftigung scheint jedoch häufig unzureichend zu sein, da fast 70 % der Teilzeitbeschäftigten über 35 Stunden die Woche arbeiten. Die unter anderem daraus resultierende Belastung konnte in unterschiedlichen Studien gezeigt werden. Bei Promovierenden lässt sich ein Mangel an sozialen Interaktionen und Freizeit (Longfield, Romas & Irwin, 2006) feststellen, welcher wiederum mit mehr Burnoutsymptomen (Galdino, Martins, Haddad, Robazzi & Birolim, 2016) und Depressivität (Uqdah, Tyler & DeLoach, 2009) korreliert. Die Hälfte der Studierenden geht zwar zusätzlich zu ihrem Studium ebenfalls einer Erwerbstätigkeit nach, jedoch ist nur die Hälfte dieser erwerbstätigen Studierenden finanziell auf die Arbeit angewiesen (Mertens, 2013). Ferrari und Tice (2000) konnten zeigen, dass zusätzliche bzw. alternative Aufgaben das Prokrastinationsverhalten negativ beeinflussen können. Das Vorhandensein anderer nicht promotionsbezogener Aufgaben als Prokrastinationsgrund ist im FGAP nicht repräsentiert. Nach unserer Auffassung scheint dies jedoch eine promovierendenspezifische Herausforderung zu sein.

Forschungsfragen

Die vorliegende Studie lehnt sich an die Forschungsarbeit von Patrzek et al. (2014) an. Bisher sind keine weiteren Arbeiten veröffentlicht worden, die die Ergebnisse repliziert bzw. eine alternative Faktorenstruktur überprüft haben. Hieraus ergeben sich unterschiedliche Forschungsfragen.

Forschungsfrage 1: Lässt sich die Faktorenstruktur des ursprünglichen FGAP (13 Faktoren und Skalen à 3 Items, insgesamt 39 Items) auch in einer Promovierendenstichprobe reproduzieren?

Aus den oben beschriebenen strukturellen Unterschieden zwischen Promovierenden und Studierenden geht die Notwendigkeit hervor, eine Erweiterung des Fragebogens vorzunehmen, um alle relevanten Prokrastinationsgründe abbilden zu können. Daher soll eine Befragung von Promovierenden unter Nutzung einer Fokusgruppe durchgeführt werden. Auch eine ggf. erweiterte Version des FGAP für Promovierende soll in seiner Faktorenstruktur geprüft werden.

Forschungsfrage 2: Lassen sich neue Faktoren durch die in der Fokusgruppe entstehenden Items identifizieren?

Die von Patrzek et al. (2014) gefundene Faktorenstruktur ist mit 13 Faktoren bereits kein sparsames Modell. Zudem stellten Patrzek et al. (2014) zwischen den Faktoren auch mittlere bis hohe Korrelationen fest, was auf das Vorliegen Faktoren höherer Ordnung hinweist. Eine Testung erfolgte bisher jedoch nur für zwei Sekundärfaktoren (external / internal; Patrzek et al., 2014). Hieraus leitet sich die nächste Forschungsfrage ab.

Forschungsfrage 3: Lässt sich ein Faktorenmodell höherer Ordnung identifizieren?

Hierfür sollen Faktorenmodelle höherer Ordnung geprüft werden, bei denen die Skalen des FGAP als Primärfaktoren dienen, jedoch durch zwei (external / internal) bzw. fünf Sekundärfaktoren (studienbezogene Kompetenzen, persönlichkeitsbezogene Variablen, Überzeugungen, Aufgabenmerkmale, universitäre Rahmenbedingungen) subsummiert werden. Letztere Sekundärfaktoren leiten sich aus dem Kategoriensystem der qualitativen Studien ab, in denen Studierende und Studienberater_innen hinsichtlich der Gründe von Prokrastination interviewt wurden (Grunschel et al., 2013b; Patrzek et al., 2012). Diese Sekundärfaktoren wurden sowohl induktiv (aus Interviewantworten) als auch deduktiv (aus Forschungsergebnissen) gewonnen. Abschließend hat dieser Artikel auch das Ziel, die Validität des FGAP zu prüfen.

Forschungsfrage 4: Weist der FGAP eine zufriedenstellende konvergente Validität auf?

Methodik

Stichprobe

Die Gewinnung der Stichprobe erfolgte über Werbung in Newslettern von Graduiertenakademien und Stiftungen zur Förderung von Promovierenden. Die Gesamtstichprobe betrug 401 Promovierende, von denen sich 267 dem weiblichen, 132 dem männlichen Geschlecht sowie zwei einer anderen Geschlechtsidentität zuordneten. Das durchschnittliche Alter betrug 29.5 Jahre (SD = 4.2) bei einer Altersspanne von 22 bis 59 Jahren. 73 % waren zwischen 22 und 30 Jahren, 25 % waren zwischen 31 und 39 Jahre und 2 % 40+ Jahre. 68 % (vs. 32 %) aller Promovierenden nahmen nicht an einem strukturierten Promotionsprogramm teil. Mehr als die Hälfte (57 %) führten ihre Promotion als Monographie (vs. publikationsbasiert) durch. Die Teilnehmenden promovierten in über 100 unterschiedlichen Fächern, die meisten in Psychologie (15 %), Rechtswissenschaften (6 %), Erziehungswissenschaften (6 %), Biologie (5 %), Soziologie (5 %). Verglichen mit den Daten des Statistischen Bundesamtes (2020) zeigte sich eine Überrepräsentation bei den Promovierenden aus der Psychologie, Erziehungswissenschaften und Soziologie. Abgesehen von den Promovierenden aus der Biologie und den Rechtswissenschaften waren die Naturwissenschaften und Wirtschaftswissenschaften, aber auch die Ingenieurwissenschaften und die Humanmedizin in vorliegender Stichprobe unterrepräsentiert. An dieser Stelle ist zu erwähnen, dass Promovierende aus der Humanmedizin trotz durchschnittlich kürzerer Promotionszeit nicht aus den Analysen ausgeschlossen wurden. Eine mögliche Begründung für die Unterrepräsentation einiger Fachgruppen ist, dass Promovierende aus den hier überrepräsentierten Gruppen eine höhere Themennähe aufwiesen und daher eher motiviert waren an der Studie teilzunehmen als Promovierende aus eher inhaltlich ferneren Wissenschaften.

Fokusgruppe

An der Fokusgruppe nahmen 12 Promovierende teil, die über einen universitätsinternen Verteiler rekrutiert wurden. Es nahmen Promovierende aus der Psychologie, Chemie, Biologie, Mathematik und den Rechtswissenschaften teil. Zu Beginn wurden die Teilnehmenden über die Definition von Prokrastination informiert. Anschließend wurden die Promovierenden angehalten, zunächst in Einzelarbeit individuelle Prokrastinationsgründe zu erarbeiten. Diese wurden am Ende dieser Arbeitsphase mit Haftnotizen für alle Teilnehmenden sichtbar an der Wand fixiert. Anschließend erfolgten eine Gruppierung der genannten Gründe sowie eine Gruppendiskussion über die Bedeutsamkeit dieser. Hierbei wurde darauf geachtet, dass alle Teilnehmenden einen Beitrag zu der Diskussion leisten konnten. Abschließend wurden die Promovierenden gebeten, beginnend mit dem Itemstamm des FGAP „Ich schiebe auf, weil…“, Items für die genannten Gründe zu formulieren. Innerhalb des Autor_innenteams fand anschließend eine Betrachtung der genannten Items statt. Sich inhaltlich stark doppelnde Gründe oder Items wurden hierbei nicht berücksichtigt. Acht neue Items (siehe Anhang) waren das Ergebnis dieses Prozesses. Drei Items bezogen sich inhaltlich auf andere konkurrierende Aufgaben (Beispiel: „…, weil andere Aufgaben in diesem Moment wichtiger erscheinen, obwohl sie es nicht sind.“) und weitere drei Items auf die wahrgenommene Abwesenheit von bevorstehendem Feedback oder Deadlines (Beispiel: „…, weil ich kein direktes Feedback erwarte.“). Die zwei übrigen Items bezogen sich einerseits auf das eigene Setzen sehr hoher Ziele und andererseits auf die Angst, eine negative Rückmeldung durch die Betreuungsperson zu erhalten.

Erhebungsinstrumente

Fragebogen zu den Gründen akademischer Prokrastination (FGAP). Der bereits oben dargestellte FGAP wurde sprachlich für die Promovierendenstichprobe angepasst. Das Wort „Studium“ wurde durch das Wort „Promotion“ ersetzt. Die aus der Fokusgruppe entstandenen acht neuen Items wurden dem FGAP hinzugefügt. Der für Promovierende erweiterte FGAP wird folgend FGAP-P genannt.

Zur Validierung der Skalen des FGAP-P wurden folgende Instrumente verwendet. Hierbei wurden einerseits dieselben Gründeskalen (Mangelndes Selbstvertrauen, Mangelndes Durchhaltevermögen, Perfektionismus) wie bei Patrzek et al. (2014) gewählt, andererseits die Skalen Angst und Unsicherheit bzgl. des Studiums / Promotion mit den oben eingeführten Referenzskalen korreliert.

Konzentration. Die Fähigkeit, die Konzentration aufrecht zu erhalten wurde mit der Skala Konzentration des Fragebogens Lernstrategien im Studium (Wild & Schiefele, 1994) erfasst. Jedoch wurde eine aktuellere, kürzere Version mit optimaleren Reliabilitäten genutzt (Klingsieck, 2018). Die Items wurden auf Promovierende angepasst. Die Skala Konzentration (Cronbachs α = .90) besteht aus drei Items (Bsp.: „Es fällt mir schwer, bei der Sache zu bleiben.“) Das Antwortformat ist fünfstufig.

Selbstwert.Rosenbergs (1965; deutsche Version von Collani & Herzberg, 2003) Selbstwertskala (Cronbachs α = .90) wurde für die Einstellung gegenüber der eigenen Person genutzt. Diese besteht aus 10 Items mit vierstufigem Antwortformat (Bsp.: „Ich besitze eine Reihe guter Eigenschaften.“).

Abbruchsintention. Die Absicht, die Promotion abzubrechen, wurde über die Skala Abbruchsintention (Dresel & Grassinger, 2013) erfasst. Sie besteht aus fünf Items (Bsp.: „Mir kommt häufig der Gedanke, dass meine derzeitige Promotion nichts für mich ist.“) mit einem sechsstufigen Antwortformat (Cronbachs α = .86).

Perfektionismus und Sorge über Fehler. Zur Messung dieser Konstrukte wurden Subskalen der deutschen Version der Frost Multidimensional Perfectionism Scale (Stöber, 1998; Original von Frost, Marten, Lahart & Rosenblate, 1990) verwendet. Die Skala Persönliche Ansprüche (Cronbachs α = .86) enthält sieben Items (Bsp.: „Ich habe extrem hohe Ziele.“) und die Skala Sorge über Fehler (Cronbachs α = .91) ebenfalls sieben (Bsp.: „Ich rege mich zu Recht auf, wenn ich einen Fehler mache.“). Es wird eine fünfstufige Antwortskala genutzt.

Prokrastination. Um das Ausmaß des dysfunktionalen Aufschiebens zu erfassen, wurde die Tuckman-Prokrastination-Skala verwendet (Stöber, 1995; Original von Tuckman, 1991). Sie besteht aus 16 Items (Bsp.: „Ich finde leicht eine Entschuldigung dafür, etwas in der Promotion nicht zu erledigen.“) mit einem sechsstufigen Antwortformat (Cronbachs α = .93).

Die Instrumente verfügen über unterschiedlich gestufte Likert-Skalen. Dies stellt eine mögliche Verwirrung für die Proband_innen dar und ist somit reliabilitätsgefährdend. Nichtsdestotrotz wurde sich gegen eine Angleichung der Likert-Skalen entschieden, da eine solche die Interpretierbarkeit und Vergleichbarkeit der Ergebnisse mit anderen vorherigen und zukünftigen Studien erschwert.

Datenanalyse

Bis auf die exploratorischen Strukturgleichungsmodelle (ESEM) und die Invarianzprüfung, welche im Programm M-Plus (Muthén & Muthén, 2014) unter Nutzung eines ESEM-Syntax-Generator (van Zyl & ten Klooster, 2022) durchgeführt wurden, wurden alle anderen hier dargestellten Ergebnisse mit IBM SPSS Statistics 27 berechnet. Die in die Analyse inkludierten Daten enthielten keine fehlenden Werte, da bei dem Ausfüllen der Fragebögen und Skalen online die Nichtbeantwortung von Items unzulässig war.

Ergebnisse

Faktorenstruktur

Zur Überprüfung der Forschungsfragen hinsichtlich der Faktorenstruktur des FGAP‍(–P) wurden ESEM gerechnet. Hierfür wurde aufgrund seiner Robustheit im Vergleich zu dem ML-Schätzer der MLR-Schätzer (Maximum Likelihood Robust) gewählt (Byrne, 2013).

An dieser Stelle ist anzumerken, dass bei allen berechneten Modellen der Chi-Quadrat-Test, der in der Nullhypothese die Gleichheit der Population- und modellimplizierten Kovarianzmatrix prüft, signifikant wurde (p < .001). Jedoch müssen die oben genannten Fit-Indizes in die weitere Bewertung der Modellpassung miteinbezogen werden, da die Sensibilität des Chi-Quadrat-Tests abhängig von der Stichprobengröße, multivariaten Normalverteilung und Komplexität des Modells ist und somit nicht als einziges Beurteilungsmaß verwendet werden sollte (Schermelleh-Engel, Moosbrugger & Müller, 2003). Die Messinvarianz (männlich / weiblich) ist für alle folgenden Modelle gegeben. Zwei Personen identifizierten sich mit einer anderen Geschlechtsidentität. Aufgrund der geringen Anzahl konnte diese Gruppe nicht in die Messinvarianzanalyse miteinbezogen werden.

Zur Testung der ersten Forschungsfrage wurde die 13–Faktoren-Struktur von Patrzek et al. (2014) anhand der ursprünglichen 39 Items des FGAP geprüft. Alle Indizes zeigen eine sehr gute (SRMR = .012; RMSEA = .037; CFI = .982; TLI = .958) Modellpassung.

Forschungsfrage 2 wurde anhand einer 15-Faktoren-Struktur mit 47 Items geprüft. Hierbei wurden zwei neue Skalen angenommen, nämlich andere Aufgaben und Feedback und Deadlines (jeweils 3 Items). Je ein Item der zwei übrigen neuen Items, die aus der Fokusgruppe entstanden sind, wurde aufgrund der inhaltlichen Nähe zu der Skala Perfektionismus bzw. Angst hinzugefügt. Auch hier zeigt sich ein sehr guter Modellfit (SRMR = .013; RMSEA = .041; CFI = .973; TLI = .939).

Zur Beantwortung von Forschungsfrage 3 wurden zwei theoretisch hergeleitete hierarchische Modelle getestet. Bei beiden folgenden Modellen stellen die 15 Faktoren aus vorigem Modell die Primärfaktoren dar. Ein Modell mit zwei Faktoren höherer Ordnung (externale und internale Gründe) zeigt keinen akzeptablen Modell-Fit (SRMR = .063; RMSEA = .057; CFI = .937; TLI = .887; AIC = 56275.650). Ein alternatives Modell mit fünf Faktoren höherer Ordnung (studienbezogene Kompetenzen, Personenvariablen, Überzeugungen, Aufgabenmerkmale und universitären Rahmenbedingungen) zeigt einen akzeptablen und somit besseren Fit als das vorige Modell mit zwei Faktoren höherer Ordnung (SRMR = .058; RMSEA = .051; CFI = .951; TLI = .906; AIC = 56099.952). Hierbei laden die Primärfaktoren Mangelnde‍(s) Zeitmanagement (α = .25) / Selbstmotivation (α = .79) / Durchhaltevermögen (α = .82) / Forschungskompetenz (α = .47) auf den Faktor studienbezogene Kompetenzen. Der Faktor Personenvariablen beinhaltet die Primärfaktoren Mangelndes Selbstvertrauen (α = .71), Perfektionismus (α = .58), Angst (α = .88) und Unsicherheit bzgl. der Promotion (α = .44). Die Primärfaktoren Arousal-Prokrastination (α = .62) und Frühere Erfolge trotz Aufschieben (α = .90) laden auf den Faktor Überzeugungen. Auf den Faktor Aufgabenmerkmale laden die Primärfaktoren Aversive Aufgaben (α = .51) und Aufwändige Aufgaben (α = .77). Die Primärfaktoren Andere Aufgaben (α = .65), Ungünstiges Betreuer_innenverhalten (α = .33) sowie Feedback und Deadlines (α = .61) laden auf den Faktor universitäre Rahmenbedingungen.

Item- und Skalenwerte

In Tabelle 1 finden sich die verschiedenen deskriptivstatistischen Kennwerte. Fast alle Skalen zeigen einen guten bis sehr guten Grad an interner Konsistenz für die Gründeskalen. Die höchsten internen Konsistenzen finden sich für die Skala Arousal-Prokrastination (α = .96) und Mangelndes Selbstvertrauen (α = .93). Die zwei neuen Skalen andere Aufgaben (α = .88) und Feedback und Deadline (α = .85) weisen beide gute interne Konsistenzen auf. Allein die Skala Mangelndes Zeitmanagement (α = .69) zeigt eine akzeptable interne Konsistenz. Die Items zeigen für die jeweilige Skala akzeptable bis hohe Faktorladungen (.49 ≤ α ≤ .96) sowie überwiegend hohe Trennschärfen (.48 ≤ rit ≤ .93), wobei die Skalen Arousal-Prokrastination und Mangelndes Selbstvertrauen auch für diese Kennwerte im Vergleich die höchsten Werte aufweisen.

Tabelle 1 Deskriptivstatistik

Bei Betrachtung der Interkorrelationen (Tabelle 2) lassen sich überwiegend niedrige bis mittlere Zusammenhänge erkennen (Cohen, 1988). Die höchsten Korrelationen zeigen sich zwischen den Skalen Mangelnde Selbstmotivation und Mangelndes Durchhaltevermögen (r = .71) sowie zwischen den Skalen Mangelndes Selbstvertrauen und Angst (r = .68). Die zwei niedrigsten Korrelationen finden sich zwischen den Skalen ungünstiges Betreuer_innenverhalten und Angst (r = .00) und den Skalen Aversive Aufgaben und Perfektionismus (r = -.02). Die zwei neuen Skalen zeigen für die Mehrheit der Gründeskalen signifikante moderate Zusammenhänge.

Hinsichtlich der Korrelation zwischen den einzelnen Skalen und der Tuckman-Prokrastination-Skala lassen sich folgende Beobachtungen festhalten: Die zwei Skalen mit der höchsten Interkorrelation Mangelnde Selbstmotivation (r = .76) und Mangelndes Durchhaltevermögen (r = .67) zeigen den höchsten Zusammenhang mit der Tuckman-Prokrastination-Skala. Die niedrigste Korrelation zeigen die Skalen ungünstiges Betreuer_innenverhalten (r = .13) und Perfektionismus (r = .22). Die restlichen Skalen weisen mittlere bis hohe Korrelationen auf (.31 ≤ r ≤ .56). Die neue Skala andere Aufgaben korreliert hoch (r = .55) und Feedback und Deadlines moderat (r = .47) mit der Tuckman-Prokrastination-Skala.

Tabelle 2 Pearson-Interkorrelation der Gründeskalen und Tuckman-Prokrastinationsskala (TPS)

Konvergente Validität

Mangelndes Selbstvertrauen korreliert hoch negativ mit dem selbstberichteten Selbstwertgefühl (r = -.64). Mangelndes Durchhaltevermögen zeigt ebenfalls eine hohe negative Korrelation Skala zur Messung der Konzentration (r = -.73). Die Gründeskala Unsicherheit bzgl. der Promotion zeigt einen hohen Zusammenhang mit der Intention, seine Promotion abzubrechen (r = .76). Auch die Gründeskala Angst zeigt eine hohe Korrelation mit der Skala Sorge über Fehler und Zweifel (r = .55). Hinsichtlich der Gründeskala Perfektionismus und der Skala Persönliche Ansprüche zeigt sich eine mittlere Korrelation (r = .35), jedoch sei an dieser Stelle zu erwähnen, dass die vorher genannte Skala Sorgen über Fehler und Zweifel noch höher mit der Skala Perfektionismus korreliert (r = .45). Eine exemplarische regressive Betrachtung der Kovariaten auf zwei Sekundärfaktoren (studienbezogene Kompetenzen und Personenvariablen) findet sich im elektronischen Supplement 3.

Diskussion

Die vorliegende Studie knüpfte an die Ergebnisse von Patrzek et al. (2014) an und hatte die Zielsetzung, einerseits die bisherigen Ergebnisse hinsichtlich der Faktorenstruktur in einer Promovierendenstichprobe zu bestätigen, andererseits zusätzlich den FGAP für Promovierende inhaltlich zu erweitern und zu validieren.

Anhand von 401 Promovierenden konnte gezeigt werden, dass der FGAP in seiner Ursprungsform mit seiner 13-Faktorenstruktur und hinsichtlich der Reliabilität und Validität auch über Studierende hinaus für die Promovierendenstichprobe verwendet werden kann. Zusätzlich wurden nach Durchführung einer Fokusgruppe zwei neue Skalen ergänzt, die mögliche Aufschiebegründe speziell von Promovierenden darstellen. Für den FGAP-P zeigte eine 15-Faktorenstruktur einen guten Modellfit. Ein Faktorenmodell höherer Ordnung mit fünf Sekundärfaktoren zeigte einen teilweise akzeptablen Fit. Auch die Reliabilität der neuen Skalen sind als gut zu bewerten. Zusätzlich zeigte sich eine gute konvergente Validität, alle selektierten Gründeskalen korrelierten hoch mit ihren externen Referenzskalen, exklusiv der Skala Perfektionismus, die eine mittlere Korrelation mit einer externen Perfektionismusskala aufwies.

Das hierarchische Modell mit fünf Sekundärfaktoren zeigt einen akzeptablen Fit. Das Modell stellt einen Fortschritt dar, da die bereits bei Patrzek et al. (2014) gefundenen Interkorrelationen der Skalen auf Faktoren höherer Ordnung hinweisen, jedoch nicht in ein hierarchisches Modell umgesetzt wurden. Auffällig erscheint jedoch, dass einzelne Items sehr hoch (α > .9) auf die Primärfaktoren laden. Dies ist bereits bei Patrzek et al. (2014) der Fall und könnte auf eine Überfaktorisierung hinweisen. Andererseits ist die Skalenvielfalt des FGAP-P eine Stärke, da dies eine differenzierte Diagnostik von Prokrastinationsgründen ermöglicht.

Hinsichtlich der Korrelation der einzelnen Gründeskalen mit der Tuckman-Prokrastinations-Skala ließen sich einige Parallelen zu Patrzek et al. (2014) feststellen. Zunächst zeigten sich ebenfalls die höchsten Korrelationen mit den Skalen Mangelnde Selbstmotivation und Mangelndes Durchhaltevermögen. Auch der niedrigste Zusammenhang zeigte sich bei derselben Skala wie bei Patrzek et al. (2014), nämlich dem ungünstigen Betreuer_innenverhalten.Patrzek et al. (2014) erklärte sich den mangelnden Zusammenhang damit, dass möglicherweise die Aufgabenform entscheidend sei und vermuteten, dass bei der Betreuung von Abschlussarbeiten nicht-hilfreiches Verhalten der Betreuungsperson prokrastinationsfördernd sein könnte und der Zusammenhang somit stärker sein müsste. Diese Hypothese kann durch hiesige Daten hinterfragt werden, da die Promotion als solche Abschluss- bzw. Qualifikationsarbeit betrachtet werden kann, der Zusammenhang zwischen der Gründeskala und der Tuckman-Prokrastination-Skala jedoch trotzdem niedrig ausgeprägt war. Eine mögliche Erklärung könnte auch die Operationalisierung des Betreuungsverhaltens sein. Die Gründeskala zum ungünstigen Betreuer_innenverhalten bezieht sich darauf, ob die Person, die den_die Promovierende_n betreut, erreichbar ist, genügend Zeit für Fragen zur Verfügung stellt und bei der Bearbeitung von Aufgaben Unterstützung anbietet, was laut den Daten nur im sehr geringen Zusammenhang mit tatsächlicher Prokrastination stand. Bei der Betrachtung der Skala Feedback und Deadlines, die das Vorhandensein von Abgabefristen und externen Kontrollen sowie das Erwarten von Feedback abfragt, werden Rahmenbedingungen untersucht, die auch als Aufgaben der Betreuungsperson gewertet werden können, und einen höheren Zusammenhang aufwiesen als die Skala ungünstiges Betreuer_innenverhalten. Gleichzeitig können die erwähnten Aspekte auch von Kolleg_innen gegeben sein. Sollte in künftigen Validierungsstudien die Korrelation weiterhin so niedrig ausfallen, wäre ein Ausschluss der Skala in Erwägung zu ziehen. Der Zusammenhang zwischen der Tuckman-Prokrastination-Skala und der Skala Perfektionismus, die die Ausprägung der eigenen Ansprüche erfasst, fiel ebenfalls gering aus. Auch bei Patrzek und Kollegen_innen (2014) konnte diesbezüglich nur ein geringer Zusammenhang festgestellt werden. Dies könnte dadurch erklärt werden, dass an eigenen Ansprüchen angelehnter Perfektionismus im Vergleich zu einem an den Ansprüchen anderer angelehnter Perfektionismus eher negativ (vs. positiv) mit Prokrastination im Zusammenhang steht (Bong, Hwang, Noh & Kim, 2014). Es sollte somit in Erwägung gezogen werden, die Items weg von einem selbst-orientierten hin zu einem sozial vorgeschriebenen Perfektionismus abzuändern.

Praktische Implikationen

Wie Patrzek et al. (2014) erwähnen, bietet die hohe Anzahl an Skalen die Möglichkeit, eine Vielzahl an Gründen akademischer Prokrastination zu erfassen. Die zwei neuen Skalen tragen zusätzlich dazu bei, dass auf Grundlage eines evidenzbasierten Instruments eine differenzierte und individualisierte Analyse von Prokrastinationsgründen möglich wird. Beispielsweise könnte ein hoher Wert auf der neuen Skala Feedback und Deadlines ein Hinweis für eine mangelnde Struktur im Promotionsprozess sein, der in vermehrten Abgabefristen und Rückmeldeschleifen mündet. Insbesondere im Bezug zu dem Wissen, dass ausschließlich selbstauferlegte Fristen (im Vergleich zu external gesetzten) in der Zielerreichung hinderlich sein können (Bisin & Hyndman, 2020). Ebenso ist es die Realität, dass Promovierende häufig keine Abgabefristen für Schritte in ihrer Dissertation verfügen (siehe oben). Dies muss nicht zwangsläufig prokrastinationsförderlich sein, stellt jedoch ein Risiko dar. Daraus resultierend erscheint die Nutzung des FGAP-P sinnvoll, da diese Gründe in den neuen Skalen abgebildet sind. In der Beratung von Studierenden können die Faktoren höherer Ordnung (studienbezogene Kompetenzen, persönlichkeitsbezogene Variablen, Überzeugungen, Aufgabenmerkmale, universitäre Rahmenbedingungen) genutzt werden, um leichter einen Überblick zu gewinnen, welche Bereiche von Prokrastinationsgründen primär betroffen sind.

Methodische Kritik und Ausblick

Hinsichtlich der Ermittlung der konvergenten Validität lässt sich eine Schwäche in der vorliegenden Forschungsarbeit identifizieren, da insgesamt nur ein Drittel aller Gründeskalen auf ihre konvergente Validität geprüft wurden. Die Herausforderung lag hierbei darin, inhaltlich nahe Skalen zu finden, die eine Validierung möglich gemacht hätten. Beispielsweise konnten keine Referenzskalen für die Gründe Arousal-Prokrastination oder frühere Erfolge trotz Aufschieben gefunden werden, da diese Gründe im Vergleich zu bspw. der Skala Mangelndes Selbstvertrauen einen sehr starken Bezug zu der Prokrastinationsthematik aufweisen. Ein weiterer methodischer Kritikpunkt besteht in der Entstehung der zwei neuen Skalen, da diese nicht aus Interviews entstanden sind, sondern das Ergebnis einer Fokusgruppe waren. Eine Interviewstudie könnte mehr Aspekte tiefergehend beleuchten und Verzerrungen durch soziale Erwünschtheit reduzieren. Darüber hinaus stellt sich die Frage inwieweit Personen durch eine Selbstauskunft die Gründe akademischer Prokrastination valide erfassen können (beispielsweise Selbstwertschutz, Rückschaufehler, soziale Erwünschtheit). Hinsichtlich der Ausprägung des Prokrastinationverhaltens konnten verschiedene Fragebögen jedoch einen hohen Zusammenhang mit tatsächlichem Prokrastinationsverhalten feststellen (Steel et al., 2018).

Zukünftige Forschungsvorhaben sollten aus ökonomischen Gründen klären, inwieweit die Skalen Perfektionismus und ungünstiges Betreuer_innenverhalten in der Form beibehalten oder entfernt werden sollten. Der FGAP-P kann nun als diagnostisches Instrument dienen, um die Prokrastinationsforschung zu erweitern, da diese, wie eingangs beschrieben, bisher sehr studierendenfokussiert ist. Bisherige, für Studierende gewonnene Erkenntnisse, können nun für Promovierende überprüft werden. Beispielsweise könnte geprüft werden, ob und wie sich Promovierende in ihrer Gründestruktur unterscheiden. Bestehen also verschiedene Prokrastinationstypen wie diese bereits bei Studierenden nachgewiesen werden konnten (Grunschel et al., 2013a). Unterscheiden sich diese von den Studierenden oder lassen sich ähnliche Typen finden? Anschließend könnten diese Erkenntnisse genutzt werden, um typenspezifisch Einfluss nehmen zu können, da bisherige Interventionen keine Rücksicht darauf nehmen, warum Studierende oder Promovierende prokrastinieren und somit momentan eher nach einem generalistischen und nicht individualisierten Ansatz ausgerichtet sind. Neben den genannten querschnittlich-orientierten Forschungsideen wären zusätzlich auch längsschnittliche Designs hinsichtlich der Gründefrage sinnvoll. Beispielsweise wäre es relevant zu erforschen, inwieweit Gründe akademischer Prokrastination über den Promotionsprozess stabil sind oder sich verändern. Der in den letzten Jahren aufstrebende Forschungsansatz Learning Analytics könnte hierfür ergänzend genutzt werden, um auch große Datensätze zu generieren und durch die Nutzung von künstlicher Intelligenz Studierende und Promovierende in ihrem Prozess zu erforschen (Ifenthaler & Drachsler, 2020).

Abschließend wäre es für Beratungskontexte außerdem hilfreich, die Werte für einzelne Promovierende adäquater einordnen zu können, um im Falle von ausgeprägter Prokrastination passende Maßnahmen einleiten zu können. Daher sollten längerfristig Normierungsstudien durchgeführt werden (siehe auch Patrzek et al., 2014). Zunächst sollte jedoch eine passende Faktorenstruktur über verschiedene Studien hinweg bestätigt werden.

Literatur