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TBS-DTK-Rezension

Persönlichkeits-Stil- und Störungs-Inventar (PSSI, 2. Aufl.)

Published Online:https://doi.org/10.1026/0033-3042/a000593

Persönlichkeits-Stil- und Störungs-Inventar (PSSI, 2. Aufl.)

Beschreibung des Tests und seiner diagnostischen Zielsetzung

Das Persönlichkeits-Stil- und Störungs-Inventar (PSSI) ist ein Selbstbeurteilungsfragebogen zur Erfassung der individuellen Ausprägung von Persönlichkeitsstilen, die konzipiert sind als nicht-pathologische Entsprechungen zu Persönlichkeitsstörungen, wie sie in einschlägigen klinischen Klassifikationssystemen zu finden sind. Konkret werden folgende Stile auf 14 Skalen mit je zehn Items erfasst (in Klammern jeweils die assoziierte Persönlichkeitsstörung): eigenwillig (paranoid), zurückhaltend (schizoid), ahnungsvoll (schizotyp), spontan (borderline), liebenswürdig (histrionisch), ehrgeizig (narzisstisch), selbstkritisch (selbstunsicher), loyal (abhängig), sorgfältig (zwanghaft), kritisch (negativistisch), still (depressiv), hilfsbereit (selbstlos), optimistisch (rhapsodisch) und selbstbehauptend (antisozial). Laut Manual eignet sich das Verfahren besonders für die klinische Begleitdiagnostik und Therapieplanung, aber auch für Beratung und Coaching in Personalentwicklung oder pädagogisch-psychologischen Kontexten. Das PSSI liegt in einer Paper-Pencil- und in einer computergestützten Version vor. Es ist für deutschsprachige Personen von 14 bis 82 Jahren einsetzbar. Bei Personen mit akuten Phasen schwerer affektiver oder psychotischer Störungen bzw. mit IQ-Testwerten im unteren Quartil kann das PSSI laut Manual nur eingeschränkt angewendet werden.

Bewertung des Informationsgehalts der Verfahrenshinweise

Das PSSI kann zur Einzel- oder Gruppentestung eingesetzt werden. Die Durchführung dauert bei Gesunden ca. 20 Minuten, bei Personen mit einer psychischen Störung bis zu 40 Minuten. Das Verfahren sollte von geschulten Personen mit Erfahrung in Persönlichkeitsdiagnostik und Statistik angewendet werden. Die Auswertung kann bis zu 15 Minuten dauern. Skalenrohwerte werden durch Summierung der zugehörigen Item-Antworten berechnet, wobei jeder Antwortalternative Punktwerte zwischen 0 („trifft gar nicht zu“) bis 3 („trifft ausgesprochen zu“) zugeordnet werden. Umpolungen von invertierten Items werden auf den vorhandenen Schablonen festgehalten. Die Interpretation erfolgt unter Verwendung von Normwerten (Prozentrang, T-Werte), die im Profilbogen abgetragen werden. Zudem liegen Interpretationshilfen, Vertrauensgrenzen der Skalenrohwerte und kritische Differenzen vor. Eine Rückmeldung der Testergebnisse erfolgt unter Berücksichtigung des vorherrschenden Persönlichkeitsstils und wird durch Beispiele im Manual erleichtert. Auch wenn in den Verfahrenshinweisen leider keine Übersicht zum Auffinden der Informationen nach DTK-Testinformationsstandard enthalten ist, sind alle notwendigen Informationen aus dem Manual ersichtlich. Der Informationsgehalt der Darstellung aller empirischen Untersuchungen, vor allem der Stichprobenbeschreibungen, ist jedoch teils als eingeschränkt zu bewerten.

Theoretische Grundlagen als Ausgangspunkt der Testkonstruktion

Vor Informationen zur Skalenkonstruktion werden die Entwicklung des PSSI sowie knapp die theoretische Basis dargestellt. Als Kriterien für die Fragebogenkonstruktion werden angeführt (1) die Phänomenzentrierung als Versuch, nicht pathologische Entsprechungen zu im klinisch-psychologischen Kontext etablierten Phänomen von Verhaltens- und Erlebensmustern zu finden; dies ist eingebettet in einen (2) funktionsdiagnostischen Kontext zur Begleitung von Interventionen und orientiert an (3) der Theorie der Persönlichkeits-System-Interaktionen (PSI, Kuhl, 2001). Die Autoren grenzen ihren Ansatz von einem induktiv-faktorenanalytischen Ansatz der Persönlichkeitsbeschreibung ab, in dem auf Basis von Korrelationen von Phänomenen deren funktionale Äquivalenz angenommen wird, was oft der Fall sein kann, aber nicht zwingend sein muss. In einem weiteren theoretischen Kapitel wird die PSI-Theorie beschrieben, und es werden deren zentrale Konzepte der über ein Belohnungs- und ein Bestrafungssystem vermittelten Affektmodulation der Funktionsweise von vier Informationsverarbeitungssystemen erläutert. Aus der jeweiligen Aktivierung bzw. Aktivierbarkeit dieser Systeme ergeben sich spezifische Konfigurationen, aus denen sich wiederum die Persönlichkeitsstile herleiten lassen. Persönlichkeitsstörungen werden als pathologische Fixierungen auf einzelne dieser Systemkonfigurationen aufgefasst. All dies wird sehr differenziert und nachvollziehbar beschrieben, teils gestaltet sich die Lektüre aufgrund der Komplexität der PSI-Theorie allerdings herausfordernd.

Objektivität

Zur Vorgabe des Verfahrens, zur Auswertung und zur Interpretation sind umfassende Informationen im Manual enthalten. Die Instruktion ist direkt auf dem Testbogen aufgedruckt. Voraussetzungen für die Anwendung werden sowohl für Testleitende als auch Getestete beschrieben. Für die Auswertung liegen Auswertungsschablonen sowie ein Profilbogen vor; eine computergestützte Durchführung und Auswertung sind möglich. Der Umfang mit fehlenden Werten wird erläutert, die Interpretation durch ausführliche Skalenbeschreibungen und Fallbeispiele unterstützt, die Normwerte werden nachvollziehbar erläutert, und die Nutzung von Konfidenzintervallen wird nahegelegt. Es werden Hinweise zur möglichst konstruktiven Rückmeldung gegeben. Insgesamt sind damit die Voraussetzungen für die Objektivität in Durchführung, Auswertung und Interpretation gegeben. Als Einschränkung ist zu bemerken, dass der Hinweis der Autoren, niedrige Kennwerte nicht oder nur mit Vorsicht zu interpretieren, aus psychometrischer Sicht problematisch ist und die Interpretation für Testanwenderinnen und -anwender erschwert. Hier sollte in künftigen Auflagen eine Darstellung gewählt werden, die eine eindeutige Interpretation von Kennwerten im gesamten Antwortspektrum ermöglicht.

Normierung

Die Normierung nutzt eine nicht klinische Stichprobe von 1.943 Jugendlichen und Erwachsenen verschiedener Bildungs- bzw. Berufsgruppen, hauptsächlich aus den alten Bundesländern. Die Normen sind geschlechtsspezifisch sowie altersspezifisch stratifiziert. Der Umfang der einzelnen Normgruppen ist im Bereich 18 bis 25 Jahre bzw. 26 bis 45 Jahre mit 327 bis 456 Personen als angemessen zu bewerten. Außerhalb dieses Bereichs ist die Normbasis hingegen teilweise sehr klein, gerade auch bei geschlechtsspezifischer Unterscheidung. Die Erhebung der Normstichprobe erfolgte im Zeitraum zwischen 1997 und 2007. Dies war zum Erscheinungszeitpunkt vollkommen angemessen, inzwischen ist jedoch eine Prüfung der Normen geboten. Eine weitere Normstichprobe liegt mit 673 Patientinnen und Patienten mit verschiedenen Störungen vor. Allerdings sind auch hier teils sehr kleine Teilstichproben (N < 15) zu vermerken. Für beide Normstichproben liegen leider keine Angaben zur Erhebungssituation und zur Repräsentativität sowie für die Patientinnen- und Patientenstichprobe keine Angaben zu Erhebungszeitraum und Demografie vor.

Zuverlässigkeit

Die Schätzer für Cronbachs Alpha für die PSSI-Skalen liegen zwischen .73 und .85 und sind mithin zufriedenstellend. Eine Retest-Reliabilität der Skalen von .69 bis .83 wurde nur in einer Patientinnen- und Patientenstichprobe (N = 283, Sechs-Wochen-Intervall) ermittelt. Hier wären Befunde für nicht klinische Stichproben und längere Zeiträume sinnvoll, um dem Anspruch der Breite in den Einsatzgebieten auch in der Prüfung des Verfahrens Rechnung zu tragen.

Gültigkeit

Die Inhaltsvalidität des PSSI wird nicht eigens diskutiert, kann aber als weitgehend gegeben angesehen werden, da sich Skalen- und Item-Inhalte an den diagnostischen Kategorien der zugehörigen Persönlichkeitsstörungen gängiger Klassifikationssysteme orientieren. Die faktorielle Validität kann auf Basis des Manuals nicht abschließend beurteilt werden: Es werden Skaleninterkorrelationen sowie die Ergebnisse einer Hauptkomponentenanalyse mit Varimax-Rotation präsentiert. Auf Basis der „Eigenwerte > 1“ -Regel wird eine vierfaktorielle Lösung präsentiert, die allerdings nicht vor dem Hintergrund der zugrunde liegenden theoretischen Annahmen interpretiert wird. Da die Entwicklung des PSSI nicht der faktorenanalytischen Tradition folgt, könnten in künftigen Auflagen aber alternative Methoden wie die Multidimensionale Skalierung helfen, die theoretische Basis und die im Manual beschriebenen Korrespondenzen zu interpersonalen Zirkumplexmodellen zu validieren. Zur Konstruktvalidierung findet sich im Manual eine Reihe von Studien, die Zusammenhänge zu Kennwerten anderer Persönlichkeitsinventare sowie zu klinischen Störungsbildern berichten. Die Ergebnisse zeichnen ein erwartungskonformes Bild, einschränkend sind allerdings auch hier die teils geringe Stichprobengröße sowie die mangelnde Stichprobenbeschreibung vieler Studien zu nennen. Hinweise auf diskriminante Validität werden nicht diskutiert und können nur anhand der Interkorrelationen der PSSI-Skalen erschlossen werden.

Weitere Gütekriterien

Das Verfahren kann als ökonomisch eingeschätzt werden. Laut Manual kann die Durchführung für Personen mit akuter psychischer Störungssymptomatik störanfällig sein. Da es sich beim PSSI um ein Selbstbeurteilungsinventar handelt, kann Verfälschbarkeit (faking-good und faking-bad) nicht ausgeschlossen werden. Es werden Befunde zu Bejahungstendenzen berichtet, ebenso eine Studie zu Selbst- bzw. Fremdtäuschung.

Abschlussbewertung

Das 2009 erschienene PSSI erfasst als Selbstbeurteilungsfragebogen die individuelle Ausprägung von Persönlichkeitsstilen, die als nicht pathologische Entsprechungen von Persönlichkeitsstörungen konzipiert sind. Die nötigen Informationen zum Einsatz des Verfahrens werden im Manual im Wesentlichen verständlich und nachvollziehbar dargestellt. Praktische Hinweise zur Rückmeldung der Ergebnisse sowie zu Grenzen der Interpretation bei Einzeleinsatz des Verfahrens erleichtern Anwenderinnen und Anwendern den sachkundigen Einsatz des Verfahrens. Die Skalen des PSSI können als weitgehend reliabel und valide eingeschätzt werden. Einschränkungen beziehen sich in erster Linie auf Stichprobengrößen und -beschreibung der berichteten Studien, diesen sollte ebenso wie einer Prüfung der Normierung in einer künftigen Auflage Rechnung getragen werden. Insgesamt ist das PSSI für den Einsatz im intendierten Anwendungsfeld geeignet.

Formalisierte Bewertung

Diese Testrezension wurde im Auftrag des Testkuratoriums der Föderation Deutscher Psychologenvereinigungen (DGPs und BDP) gemäß TBS-DTK (Diagnostik- und Testkuratorium, 2018) erstellt. Diagnostik- und Testkuratorium (2018). TBS-DTK. Testbeurteilungssystem des Diagnostik- und Testkuratoriums der Föderation Deutscher Psychologenvereinigungen. Revidierte Fassung vom 3. Januar 2018. Report Psychologie, 43, 106 – 113.

Diagnostik- und Testkuratorium (2018). TBS-DTK. Testbeurteilungssystem des Diagnostik- und Testkuratoriums der Föderation Deutscher Psychologenvereinigungen. Revidierte Fassung vom 3. Januar 2018. Psychologische Rundschau, 69, 109 – 116.

Testinformationen

Kuhl, J. & Kazén, M. (2009). Persönlichkeits-Stil- und Störungs-Inventar. Göttingen: Hogrefe.

Bezugsquelle: Testzentrale Göttingen, Robert-Bosch-Breite 25, 37079 Göttingen. Test komplett 170 Euro, 25 Fragebogen 38 Euro, 25 Profilbogen 12 Euro (Nettopreise).

Bitte zitieren Sie diesen Artikel wie folgt: Rentzsch, K., Strobel, A. & Strobel, A. (2022). TBS-DTK-Rezension: „Persönlichkeits-Stil- und Störungs-Inventar“. Psychologische Rundschau, 73, 156 – 158.

Kontakt: Katrin Rentzsch, Psychologische Hochschule Berlin,

Literatur