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Open AccessStudie

Stresserleben und Stresssymptomatik von Kindern und Jugendlichen in Zeiten der COVID-19-Pandemie

Published Online:https://doi.org/10.1026/0942-5403/a000430

Abstract

Zusammenfassung:Theoretischer Hintergrund: Insbesondere für Kinder und Jugendliche war die COVID-19-Pandemie mit vielen Herausforderungen verbunden, die mit Stress assoziiert sind. Fragestellung: Es wird mehr Stresserleben und eine stärkere Stresssymptomatik während der Pandemie sowie eine längsschnittliche Mediation durch Emotionsregulation erwartet. Methode: Im Herbst 2020 (NT1 = 173) und 2022 (NT2 = 121) wurden Gymnasiast_innen der Klassenstufen 5 bis 8 (T1) bzw. 7 bis 10 (T2) zum Stresserleben, zur körperlichen Stresssymptomatik sowie zur Emotionsregulation befragt. Eine Substichprobe (n = 71) nahm an beiden Befragungen teil. Ergebnisse: Im Vergleich zur Normstichprobe (2018) zeigte sich zu T1 und T2 konsistent ein erhöhtes Stresserleben. Für die Stresssymptomatik zeigte sich eine Mediation durch dysfunktionale Emotionsregulation. Diskussion und Schlussfolgerung: Während der COVID-19-Pandemie war das Stresserleben erhöht. Emotionsregulation scheint bedeutsam für die Stresssymptomatik zu sein.

Stress Experience and Stress Symptomatology of Children and Adolescents During the COVID-19 Pandemic

Abstract:Theoretical Background: The COVID-19 pandemic was associated with various demands and challenges, especially for children and adolescents, including fears of a potentially life-threatening infection, contact restrictions, and school closures. This study examines possible changes in children’s and adolescents’ stress experience during the COVID-19 pandemic and the mediating role of emotion regulation. Objective: We hypothesized (1) that children and adolescents report higher levels of (a) stress experience and (b) somatic stress symptoms during the pandemic. We examined changes over 2 years exploratively. Furthermore, we expected (2) that functional and dysfunctional emotion regulation strategies mediate the potential changes over time. Method: In the fall of 2020 (NT1 = 173) and 2022 (NT2 = 121), we collected self-reports from German high school students from grades 5 to 8 (T1) and 7 to 10 (T2), respectively; a subsample (n = 71) participated in both surveys. In both assessments, we administered two subscales (stress vulnerability and somatic stress symptoms) of the German Stress and Coping Questionnaire for Children and Adolescents (SSKJ 3 – 8-R; Lohaus et al., 2018) and two subscales (functional and dysfunctional emotion regulation strategies) of the Process-Oriented Emotion Regulation Measure for Children and Adolescents (POEM-CA; Rüth & Lohaus, 2023). In 2022, we conducted an additional survey (N = 83 German high school students) to cross-validate the results on stress vulnerability and somatic symptoms. Results: To test Hypothesis 1, we compared data from T1 (2020) with norm data on the SSKJ 3 – 8-R (2018) using multivariate analysis of variance. The multivariate effect was significant, indicating higher scores for the 2020 survey. At the univariate level, the difference was attributable to stress experience and persisted longitudinally, whereas we found no differences for physical stress symptoms. Longitudinally, we found no significant differences between T1 and T2. The cross-validation with a second high school sample replicated increased scores for stress experience as well as for physical stress symptoms. To test Hypothesis 2, we conducted mediation analyses with functional and dysfunctional emotion-regulation strategies as mediators for longitudinal changes of the stress indicators (stress experience and symptoms). Changes in somatic stress symptoms were fully mediated by dysfunctional emotion regulation. Discussion and Conclusion: The results indicate a significant increase in the experience of stress (and partially also somatic stress symptoms) in children and adolescents during the COVID-19 pandemic compared to prepandemic data from the norm sample. In combination with a lack of emotion-regulation skills, this may contribute to an increase in psychological problems. We discuss the consequences and limitations of the study.

Die COVID-19-Pandemie war insbesondere für Kinder und Jugendliche mit vielfältigen Anforderungen und Herausforderungen verbunden. Neben Ängsten vor einer potenziell lebensbedrohlichen Infektion gehörten Kontaktbeschränkungen und Schulschließungen zum täglichen Leben (Mohler-Kuo, Dzemaili, Foster, Werken & Walitza, 2021; für einen Überblick siehe Abbildung 1). Die Maßnahmen wurden nicht selten von innerfamiliären Konflikten begleitet, da die Pandemie sich auch auf das psychosoziale Umfeld auswirkt (Meade, 2021). Gerade Kindern und Jugendlichen stehen jedoch vielfach noch unzureichend entwickelte Bewältigungsressourcen zur Verfügung, was in frühen Entwicklungsabschnitten die Bewältigung neuer und veränderter Anforderungen und Herausforderungen erschwert (Lohaus, 2018). Zu den ohnehin vorhandenen Anforderungen durch kritische Lebensereignisse, Entwicklungsprobleme und alltägliche Probleme treten durch die Pandemie neue Problemlagen hinzu, die zusätzliche Bewältigungsressourcen erfordern. Gleichzeitig ist das soziale Umfeld (z. B. das Familiensystem) ebenfalls stärker gefordert (Adams, Smith, Caccavale & Bean, 2021), so dass eine mögliche soziale Unterstützung reduziert sein kann. Wenn erhöhten Anforderungen unzureichende Bewältigungsressourcen gegenüberstehen, ist nach dem transaktionalen Stressmodell (Lazarus, 1966; Lazarus & Folkman, 1984) ein erhöhtes Stresserleben zu erwarten. Gerade in frühen Entwicklungsphasen können erhöhte Stresserfahrungen wiederum mit neurobiologischen Veränderungen verbunden sein, die das psychosoziale Befinden nachhaltig beeinflussen (Eiland & Romeo, 2013; de Figueiredo et al., 2021) und in psychischen und physischen (Stress–)‌Symptomen zum Ausdruck kommen können.

In Übereinstimmung mit diesen allgemeinen Annahmen der Stressforschung belegen aktuelle Studien eine Zunahme des Stresserlebens von Kindern und Jugendlichen während der COVID-19-Pandemie: In einer repräsentativen deutschen Längsschnittstudie von Paschke, Arnaud, Austermann und Thomasius (2021) zeigte sich ein deutlicher Anstieg des Stresserlebens von der Baseline-Erhebung im Jahre 2019 zur Nacherhebung im April 2020 (einen Monat nach Beginn des ersten COVID-19-Lockdowns in Deutschland). Über eine Zunahme des Stresserlebens berichteten dabei 35 % der 10- bis 17-jährigen Kinder und Jugendlichen. In einer Schweizer Studie (Mohler-Kuo et al., 2021) mit 1 146 Kindern und Jugendlichen im Alter von 12 bis 17 Jahren, die im Jahre 2018 (vor der Pandemie) und ein zweites Mal im Zeitraum von Juli bis Oktober 2020 (nach dem ersten Lockdown) befragt wurden, zeigte sich, dass ein hohes Stresserleben mit Beschränkungen der Sozialkontakte und wichtiger Aktivitäten sowie mit Ungewissheiten (bezogen auf die Dauer der Pandemie, der Möglichkeit einer Infektion und der Möglichkeit weiterer schlechter Nachrichten in Bezug auf COVID-19) verbunden war. Direkte Vergleiche des Stresserlebens über beide Messzeitpunkte hinweg wurden in dieser Studie nicht vorgenommen. In einer weiteren querschnittlichen Studie (Braksiek, Lindemann & Pahmeier, 2022), durchgeführt im Mai und Juni 2021 während einer Phase der Lockerung von COVID-19-Maßnahmen (siehe Abbildung 1), wurde die psychische Stresssymptomatik von 1 293 Kindern und Jugendlichen erhoben, wobei Skalen aus dem Bereich „Stresssymptomatik und Wohlbefinden“ des Fragebogens zur Erhebung von Stress und Stressbewältigung (SSKJ 3 – 8-R; Lohaus, Eschenbeck, Kohlmann & Klein-Heßling, 2018) zum Einsatz kamen. Vergleiche mit den vor der Pandemie erhobenen SSKJ-Normdaten für die Klassenstufen 3 bis 8 zeigten vor allem ein reduziertes Wohlbefinden sowie erhöhte Angaben zur Traurigkeit während der Pandemie.

Ein erhöhtes Stresserleben und ein geringeres Wohlbefinden wird mit dem Entstehen psychischer Probleme in Verbindung gebracht und auch im Kontext der COVID-19-Pandemie finden sich viele Hinweise auf erhöhte Raten von Angst- und Depressionssymptomen (s. zusammenfassend Ravens-Sieberer et al., 2022; Theberath et al., 2022). In der repräsentativen COPSY-Studie fanden beispielsweise in Deutschland im Mai und Juni 2020 (in einem Zeitraum relativer Lockerungen; siehe Abbildung 1) Erhebungen zur gesundheitsbezogenen Lebensqualität und zur psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen statt. Die Daten wurden mit repräsentativen Daten aus einer früheren Studie zur psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen aus dem Jahre 2017 verglichen (Daten aus der BELLA-Studie; Klasen et al., 2017). Es zeigten sich sowohl eine deutlich verringerte Lebensqualität als auch erhöhte Raten psychischer Auffälligkeiten (v. a. bei Hyperaktivitätsproblemen und Problemen mit Gleichaltrigen). Ravens-Sieberer et al. (2022) weisen darauf hin, dass vor allem jüngere Kinder ihren Stress möglicherweise in psychosomatischen Beschwerden zum Ausdruck bringen, für die sich ebenfalls während der Pandemie erhöhte Raten zeigten. Damit lässt sich zusammenfassen, dass es während der COVID-19-Pandemie nicht nur zu einem erhöhten Stresserleben, einem verringerten Wohlbefinden und einer verringerten Lebensqualität gekommen ist, sondern dass es auch Hinweise darauf gibt, dass internalisierende und externalisierende Symptome sowie psychosomatische Beschwerden zugenommen haben.

Abbildung 1 Verlauf der COVID-19-Pandemie: Gesellschaftliche und schulische Maßnahmen in NRW sowie Einordnung der Stichproben und Erhebungszeitpunkte.

Es ist anzunehmen, dass Stressbewältigungs- und Emotionsregulationskompetenzen entscheidende Weichen stellen, welche die potenzielle Wirkung von Entwicklungsrisiken und stresserzeugenden Ereignissen in die Richtung einer Abmilderung oder auch Verstärkung verändern können (Compas et al., 2017; Gruhn & Compas, 2020). Nach Gruhn und Compas (2020) bestehen dabei enge Beziehungen zwischen Stressbewältigung und Emotionsregulation, wobei sich Stressbewältigungskompetenzen ausschließlich auf den Umgang mit Stressoren beziehen, während sich Emotionsregulation auf den Umgang mit Emotionen sowohl in stressbezogenen als auch in nicht-stressbezogenen Situationen bezieht. Darüber hinaus umfasst Stressbewältigung ein breites Spektrum möglicher zielorientierter Handlungen, während Emotionsregulation das Ziel der Veränderung des eigenen emotionalen Erlebens fokussiert. Da mit dem Erleben der COVID-19-Pandemie nicht nur Stress, sondern auch vielfache emotionale Reaktionen (wie Ängste, Depressionen, Einsamkeit etc.) in Verbindung gebracht werden und Emotionsregulationsdefizite transdiagnostisch als Risikofaktor für die Entwicklung psychosozialer Probleme des internalisierenden und externalisierenden Spektrums gelten (Breaux et al., 2021; McLaughin, Hatzenbuehler, Mennin & Nolen-Hoeksma, 2011; Sloan et al., 2017), soll in dieser Studie auch die Rolle von Emotionsregulationskompetenzen für die Entstehung von Stresserleben und Stresssymptomen in der COVID-19-Pandemie analysiert werden. Die Bedeutung der Emotionsregulation als Risikofaktor für erhöhten mentalen Stress während der COVID-19-Pandemie wird empirisch durch eine Studie von Paschke et al. (2021) unterstrichen, in der sich zeigte, dass sich die Wahrscheinlichkeit eines Stresserlebens während der Pandemie verdoppelt, wenn Jugendliche nur in begrenztem Umfang über Emotionsregulationsstrategien verfügen.

Fragestellungen und Hypothesen

Im Rahmen dieser Studie wird zunächst untersucht, ob es während der COVID-19-Pandemie zu einem erhöhten Stresserleben und einer erhöhten physischen Stresssymptomatik bei Kindern und Jugendlichen gekommen ist. Dazu werden Daten aus den Jahren 2020 und 2022 (jeweils während der Pandemie) mit einer Normstichprobe aus dem Jahr 2018 (vor der Pandemie) verglichen. Es wird erwartet (Hypothese 1), dass das Ausmaß (a) des Stresserlebens und (b) der physischen Stresssymptomatik während der Pandemie (zu beiden Messzeitpunkten) im Vergleich zur Normstichprobe erhöht ist.

Zu möglichen Veränderungen des Stresserlebens und der Stresssymptomatik in Verbindung mit der COVID-19-Pandemie überwiegen bisher querschnittliche Befunde. Längsschnittstudien bieten jedoch den Vorteil der Vergleichbarkeit der einbezogenen Stichprobe über die Messzeitpunkte hinweg, was in einem querschnittlichen Design häufig unklar bleibt. In dieser Studie werden daher auch Längsschnittdaten aus den Jahren 2020 und 2022 analysiert, um Erkenntnisse über die Stabilität möglicher Pandemie-Effekte zu erhalten (Explorative Fragestellung). Weiterhin wird untersucht, ob die habituelle Nutzung verschiedener Emotionsregulationsstrategien während der Pandemie für mögliche Veränderungen stressassoziierter Variablen bedeutsam sind. Es wird angenommen (Hypothese 2), dass die Nutzung funktionaler und dysfunktionaler Emotionsregulationsstrategien potenzielle Veränderungen (a) des Stresserlebens und (b) der physischen Stresssymptomatik während der Pandemie mediiert.

Methode

Durchführung und Stichproben

Die Daten der vorliegenden Studie wurden im Rahmen der Validierung des Fragebogens zur prozessorientierten Emotionsregulationsmessung im Kindes- und Jugendalter (POEM-KJ; Rüth & Lohaus, 2023) sowie einer Folgestudie an einem Gymnasium in NRW erhoben. Weiterhin fand zur Kreuzvalidierung der Befunde eine zusätzliche Erhebung an einem weiteren Gymnasium in NRW statt. Eine Einordnung der Stichproben und Erhebungszeitpunkte in den Pandemieverlauf liefert Abbildung 1. Alle Befragungen fanden im Klassenverbund im Rahmen einer Unterrichtsstunde unter Anleitung geschulter Versuchsleitungen statt. Das Vorgehen wurde von der Ethikkommission der Universität Bielefeld als unbedenklich eingestuft.

Zum ersten Messzeitpunkt (T1) im Herbst 2020 wurden 173 Schüler_innen der Jahrgangsstufen 5 bis 8 befragt (Stichprobe A; 57 % weiblich; Alter: M = 11.68, SD = 1.11, Range: 10 bis 14 Jahre). An einer zweiten Erhebung (T2) an der gleichen Schule im Herbst 2022 nahmen 121 Schüler_innen der Jahrgangsstufen 7 bis 10 teil. Beim Vergleich der ersten Befragung (T1) mit der Normstichprobe des SSKJ 3 – 8-R wurden alle Jahrgangsstufen einbezogen, während für den Vergleich der Daten der zweiten Befragung (T2) mit der Normstichprobe (für den Normen bis einschließlich Jahrgangsstufe 8 vorliegen) nur die Daten der Schüler_innen der Jahrgangsstufen 7 und 8 genutzt wurden. Nach Ausschluss von 3 Fällen, die keine Angabe zum Geschlecht gemacht oder divers angegeben hatten, wurden 61 Fälle in die Analysen eingeschlossen (Stichprobe B; 74 % weiblich, Alter: M = 12.49, SD = 0.67, Range: 11 bis 14 Jahre). Insgesamt 71 Schüler_innen (Stichprobe C; 69 % weiblich; Alter zu T1: M = 11.31, SD = 0.99, Range: 10 bis 13 Jahre), die sich zu T1 in den Jahrgangsstufen 5 bis 8 und zu T2 in den Jahrgangsstufen 7 bis 10 befanden, nahmen an beiden Befragungen teil und konnten für die längsschnittlichen Analysen (in denen kein Vergleich mit den Normdaten erfolgte) berücksichtigt werden. Dropout-Analysen mittels binär logistischer Regression (Dropouts kodiert mit 1; χ²(6) = 30.94, p < .001, Nagelkerke’s R² = .22) zeigten, dass Jungen (OR = 3.46, p < .001; mittlerer Effekt nach Chen, Cohen & Chen, 2010 und ältere Schüler_innen (OR = 1.72, p < .001; kleiner Effekt) mit größerer Wahrscheinlichkeit nicht erneut befragt wurden. Stresserleben, Stresssymptomatik, funktionale und dysfunktionale Emotionsregulation erwiesen sich nicht als signifikante Prädiktoren. Als Vergleichsdaten (Stresserleben und Stresssymptomatik vor der Pandemie) wurden die 2018 erhobenen Normdaten zum SSKJ 3 – 8-R aus den Jahrgangsstufen 5 bis 8 herangezogen. Um eine möglichst gute regionale Vergleichbarkeit zu erreichen, wurden ausschließlich Daten aus Gymnasien in NRW genutzt. Für die Analysen konnten insgesamt 298 Schüler_innen (Normstichprobe; 52 % weiblich; Alter: M = 11.71, SD = 1.22, Range: 9 bis 15 Jahre) aus den Jahrgangsstufen 5 und 6 (n = 157) sowie 7 und 8 (n = 141) berücksichtigt werden.

Um zu prüfen, ob mögliche Effekte auf das spezifische Gymnasium zurückzuführen sind, an dem die Erhebungen zu T1 und T2 erfolgten, wurden zu T2 weitere Daten von 82 Schüler_innen der Jahrgangsstufen 5 und 6 (n = 31) sowie 7 und 8 (n = 51) eines zweiten Gymnasiums zur Kreuzvalidierung der Ergebnisse einbezogen (Stichprobe D; 56 % weiblich; Alter: M = 11.87, SD = 1.35, Range: 9 bis 14 Jahre).

Messinstrumente

Stresserleben und physische Stresssymptomatik

Zu beiden Messzeitpunkten sowie in der zum Vergleich herangezogenen Normstichprobe wurden zwei Subskalen des SSKJ 3 – 8-R (Lohaus et al., 2018) eingesetzt. Die Skala Stressvulnerabilität erfasst mit sieben Items die Neigung der Kinder und Jugendlichen, bei spezifischen Anforderungen, Stress zu erleben. Dazu wird auf einer vierstufigen Antwortskala (1 = gar kein Stress bis 4 = sehr viel Stress) angegeben, wie viel Stress verschiedene Problemsituationen auslösen (z. B. schlechte Note im Test, Streit mit Freund_in). Zur Verwendung einer einheitlichen Terminologie wird für diese Skala im Folgenden der Begriff Stresserleben verwendet. Die Skala Physische Stresssymptomatik umfasst sechs Items und misst die Häufigkeit (keinmal, einmal oder mehrmals), mit der in der vergangenen Woche verschiedene körperliche, mit Stress assoziierte Symptome erlebt wurden (z. B. Kopfweh, Bauchweh). In der vorliegenden Studie lagen die internen Konsistenzen (Cronbach’s α und McDonald’s ω) über beide Messzeitpunkte und alle Stichproben hinweg im akzeptablen Bereich (Stresserleben: .61 ≤ α ≤ .78, .62 ≤ ω ≤ .77; Physische Stresssymptomatik: .65 ≤ α ≤ .75, .65 ≤ ω ≤ .74) und waren vergleichbar mit vorherigen Studien (z. B. Hartmann, Lohaus, Rüth & Eschenbeck, 2022). In Übereinstimmung mit den Manualvorgaben wurde für beide Skalen der Mittelwert jeder Person berechnet, wenn nicht mehr als ein Wert pro Skala fehlte.

Emotionsregulation

Zur Messung der Emotionsregulationskompetenzen wurde der Fragebogen zur prozessorientierten Emotionsregulationsmessung im Kindes- und Jugendalter (POEM-KJ; Rüth & Lohaus, 2023) verwendet, der in der eingesetzten Langversion 58 Items umfasst, die auf einer vierstufigen Antwortskala (1 = trifft gar nicht zu bis 4 = trifft genau zu) beantwortet werden. Die Daten zum POEM-KJ finden für die Mediationsanalysen auf der Basis der Stichprobe C Verwendung. Jeweils 29 Items bilden die Sekundärskalen Funktionale (z. B. „Wenn ich vor etwas Angst habe, dann bitte ich jemanden um Hilfe“) und Dysfunktionale Emotionsregulation (z. B. „Wenn mich etwas traurig macht, dann muss ich ständig daran denken“). Die internen Konsistenzen in der für die Mediationsmodelle relevanten Stichprobe C lagen im exzellenten Bereich (Funktional: αT1/T2 = .90/.92, ωT1/T2 = .90/.92; Dysfunktional: αT1/T2 = .90/.92, ωT1/T2 = .88/.91) und waren vergleichbar mit Vorbefunden (Rüth & Lohaus, 2022; Rüth & Lohaus, 2023). Wenn Antworten für mindestens 70 % der Items einer Skala vorlagen, wurde (übereinstimmend mit den Vorgaben im Manual) der Mittelwert jeder Person berechnet. Zur Bildung der Mediatorvariablen wurden die Werte über beide Messzeitpunkte hinweg gemittelt, um damit die Emotionsregulationskompetenzen im Verlauf der Pandemie als Trait-Variable abzubilden.

Statistische Analysen

Die Analysen erfolgten mit dem Statistikprogramm IBM SPSS Statistics Version 28, für die Mediationsanalysen wurde zusätzlich die Erweiterung PROCESS (v4.2; Hayes, 2022) genutzt. Während auf Skalenebene keine fehlenden Werte für die Emotionsregulation zu verzeichnen waren, lagen fehlende Werte für die Skalen Stresserleben und Physische Stresssymptomatik vor (Stichproben A und C: 13 %; Stichprobe B: 3 %; Stichprobe D und Normstichprobe: keine fehlenden Werte). Fehlende Werte (mindestens Missing at Random) wurden mittels multipler Imputation mit 20 Daten-Sets geschätzt (Methode: Predictive Mean Matching; Prädiktoren: Alter, Geschlecht, Stresserleben, Stresssymptomatik) und anschließend zu einem Mittelwert aggregiert. Die Voraussetzungen der verwendeten statistischen Verfahren konnten überwiegend als erfüllt angesehen werden. Da vereinzelt keine Homoskedastizität oder keine Homogenität der Varianz-Kovarianz Matrizen vorlag, wird Wilk‘s Λ berichtet. Das Signifikanzniveau wurde für alle Berechnungen auf p < .05 festgelegt. In Anlehnung an Cohen (1988) wurden Effektstärken von η2 = .01 als kleiner, η2 = .06 als mittlerer und η2 = .14 als großer Effekt interpretiert.

Zur Prüfung der Erwartung, dass das Ausmaß des Stresserlebens und der physischen Symptomatik während der Pandemie an beiden Messzeitpunkten erhöht ist (Hypothese 1), wurden multivariate (Ko–)‌Varianzanalysen (MAN‍(C)‌OVA) berechnet. Die Subskalen (a) Stresserleben und (b) Physische Stresssymptomatik bildeten die abhängigen Variablen, das Geschlecht wurde als zusätzliche unabhängige Variable berücksichtigt. In Analyse 1 wurde Stichprobe A (2020) mit der Normstichprobe verglichen. Aufgrund der breiten Altersspanne und in Anlehnung an die Normen, die getrennt für die Klassenstufen 5 und 6 bzw. 7 und 8 angegeben werden, wurde diese Gruppierungsvariable (Klassenstufe 5/6 vs. 7/8) als Kovariate aufgenommen. In Analyse 2 folgte ein Vergleich von Stichprobe B (2022; Klassenstufen 7 und 8) mit der entsprechenden Normstichprobe. Eine Berücksichtigung der Klassenstufe als Kovariate war hier (durch die Einschränkung des Altersbereiches) nicht indiziert. Eine Kreuzvalidierung dieser Befunde erfolgte anhand von Stichprobe D, die wie Stichprobe B in einem vergleichbaren Zeitraum in 2022 erhoben wurde. Hier lagen Daten aus allen Klassenstufen (5 bis 8) vor, so dass sowohl ein vollständiger Vergleich mit der Normstichprobe (Analyse 2.1) als auch äquivalent zu Stichprobe B ein Vergleich der Klassenstufen 7 und 8 erfolgen konnte (Analyse 2.2).

Die längsschnittlichen Analysen erfolgten auf Grundlage von Stichprobe C und den verbundenen Messungen zu T1 (Klassenstufen 5 bis 8) und T2 (Klassenstufen 7 bis 10). Da hier keine Vergleiche mit Normdaten erfolgten, konnten alle Klassenstufen einbezogen werden. Die explorative Fragestellung nach Unterschieden zwischen T1 und T2 wurde mittels MANCOVA mit Messwiederholung geprüft (Analyse 3), wobei (a) Stresserleben und (b) Physische Stresssymptomatik die abhängigen Variablen waren. Das Geschlecht wurde als weitere unabhängige Variable und die Klassenstufe als Kovariate aufgenommen.

Zur Prüfung von Hypothese 2 wurde je ein Mediationsmodell für Stresserleben (Modell a) und Physische Stresssymptomatik (Modell b) berechnet, wobei die jeweilige Skala von T1 die unabhängige Variable und die Skala von T2 die abhängige Variable darstellte. Die Skalen Funktionale und Dysfunktionale Emotionsregulation (gemittelte Werte von T1 und T2) fungierten als parallele Mediatoren, Geschlecht und Klassenstufe wurden als Kontrollvariablen berücksichtigt. Die Ermittlung und Signifikanzprüfung direkter und indirekter Effekte erfolgte mittels 95 % Konfidenzintervall (CI) auf Grundlage der Bootstrapping-Methode mit 5 000 Iterationen.

Ergebnisse

Querschnittliche Vergleiche vor vs. während der Pandemie

Zur Prüfung der Hypothese 1 erfolgte in Schritt 1 ein Vergleich von Stichprobe A (2020) mit der Normstichprobe (2018) des SSKJ 3 – 8-R mittels MANCOVA (s. Tabellen 1 und 2, Analyse 1). Multivariat zeigten sich signifikante Unterschiede zwischen Stichprobe A und der Normstichprobe, die univariat auf das Stresserleben zurückging, bei dem sich erhöhte Werte in 2020 im Vergleich zu 2018 ergaben. Für die physische Stresssymptomatik zeigten sich keine Unterschiede. Weiterhin ergaben sich multivariat Geschlechtsunterschiede, die sich univariat sowohl beim Stresserleben als auch bei der physischen Stresssymptomatik zeigten. In beiden Fällen ergaben sich erhöhte Werte bei den Mädchen.

Tabelle 1 Mittelwerte (M), Standardabweichungen (SD) und Stichprobenumfänge (n) zu den querschnittlichen Vergleichen mit der Normstichprobe (2018; Analysen 1 und 2) sowie für den längsschnittlichen Vergleich (2020 vs. 2022, Analyse 3)

Die im zweiten Schritt berechnete MANOVA zum Vergleich von Stichprobe B (2022, nur Klassenstufen 7 und 8) mit der Normstichprobe (2018; s. Tabellen 1 und 2, Analyse 2) zeigte einen multivariaten Haupteffekt für den Faktor Stichprobe. Im Vergleich zur Normstichprobe war der Mittelwert des Stresserlebens in Stichprobe B signifikant erhöht. Bei der physischen Stresssymptomatik zeigten sich erneut keine Unterschiede. Weiterhin ergab sich ein signifikanter multivariater Geschlechtsunterschied, der sowohl beim Stresserleben, als auch bei der physischen Stresssymptomatik in Erscheinung trat (auch hier mit erhöhten Werten bei den Mädchen). Es zeigte sich zudem multivariat eine signifikante Interaktion für Stichprobe und Geschlecht, die univariat auf das Stresserleben zurückzuführen war.

Tabelle 2 Ergebnisse der MAN‍(C)‌OVAs zu den querschnittlichen Vergleichen mit der Normstichprobe (2018; Analysen 1 und 2) sowie Ergebnisse der MANCOVA mit Messwiederholung für den längsschnittlichen Vergleich (2020 vs. 2022, Analyse 3)

Die Kreuzvalidierung der querschnittlichen Befunde anhand der Stichprobe D ergab unter Einbezug der Klassenstufen 5 bis 8 (Analyse 2.1) ebenfalls einen signifikanten multivariaten Haupteffekt für den Faktor Stichprobe (F(2, 374) = 8.45, p < .001, η2 = .04, Wilk‘s Λ = .96). Dabei ergaben sich sowohl beim Stresserleben (F(1, 375) = 6.72, p = .010, η2 = .02), als auch bei der physischen Stresssymptomatik (F(1, 375) = 12.82, p < .001, η2 = .03) signifikant höhere Werte als in der Normstichprobe, wobei keine Interaktionen mit dem Geschlecht auftraten. Dieses Ergebnis ließ sich replizieren, wenn nur die Schüler_innen der Klassenstufen 7 und 8 einbezogen wurden (Analyse 2.2). Erwähnenswert ist weiterhin noch, dass sich auch bei den Analysen zur Stichprobe D sowohl beim Stresserleben als auch bei der physischen Stresssymptomatik signifikante Haupteffekte für das Geschlecht ergaben, wobei die Werte bei Mädchen signifikant höher lagen als bei Jungen. Die vollständigen Ergebnisse der Analysen 2.1 und 2.2 finden sich in den Tabellen E1 und E2 im Elektronischen Supplement.

Längsschnittliche Veränderungen im Pandemieverlauf

Die auf Grundlage von Stichprobe C berechnete MANCOVA mit Messwiederholung (s. Tabellen 1 und 2, Analyse 3) zum längsschnittlichen Vergleich von T1 (2020) und T2 (2022; Explorative Fragestellung) zeigte keinen signifikanten multivariaten Effekt über die Zeit hinweg. Auch mit dem Geschlecht ergab sich kein multivariater Interaktionseffekt, der eine geschlechtsabhängige Veränderung über die Zeit hinweg indizieren würde. Es zeigte sich lediglich ein signifikanter multivariater Haupteffekt für das Geschlecht. Univariat ergab sich ein signifikanter Geschlechtseffekt des Stresserlebens, wobei die Werte auch hier bei Mädchen höher lagen. Bei der physischen Stresssymptomatik ergab sich kein signifikanter Geschlechtsunterschied auf der univariaten Ebene.

Abbildung 2 Anmerkungen: Standardisierte Koeffizienten; fette Linien stellen signifikante direkte Pfade dar, gestrichelte graue Balken stellen signifikante indirekte Effekte dar (Bootstrapping 95 % CI, *p < .05); zur besseren Übersichtlichkeit werden die Kontrollvariablen Klassenstufe und Geschlecht nicht dargestellt. Abbildung 2. Ergebnisse der Mediationsanalysen auf Basis von Stichprobe C (N = 71) für die Variablen (a) Stresserleben und (b) Physische Stresssymptomatik.

Zu Prüfung der Mediationsannahme (Hypothese 2), wurden auf der Basis der Längsschnittdaten aus Stichprobe C zwei Mediationsmodelle berechnet (Abbildung 2). Für das Stresserleben (Modell a; F(5, 65) = 5.86, p < .001, R2 = .31) zeigte sich auch unter Einschluss der Mediatoren eine hohe Stabilität über die Zeit (Pfad c‘: B = 0.40, SE‍(B) = 0.12, 95 % CI [0.19, 0.66], β = .42). Es ergaben sich jedoch keine signifikanten Zusammenhänge mit funktionaler und dysfunktionaler Emotionsregulation sowie keine signifikanten indirekten Effekte. Für die physische Stresssymptomatik (Modell b; F(5, 65) = 5.62, p < .001, R2 = .30) zeigte sich keine Mediation für funktionale Emotionsregulation. Jedoch ergab sich hypothesenkonform ein signifikanter indirekter Effekt für dysfunktionale Emotionsregulation (Pfad a2*b2: B = 0.28, SE‍(B) = 0.13, 95 % CI [0.06, 0.55], β = .22): Ein hohes Ausmaß an physischen Stresssymptomen zu T1 war mit der vermehrten Nutzung dysfunktionaler Emotionsregulationsstrategien assoziiert (Pfad a2: B = 0.37, SE‍(B) = 0.13, 95 % CI [0.11, 0.60], β = .36), was wiederum mit einer höheren physischen Stresssymptomatik zu T2 einherging (Pfad b2: B = 0.74, SE‍(B) = 0.16, 95 % CI [0.45, 1.06], β = .62). Da der direkte Effekt nicht signifikant war (Pfad c‘: B = 0.02, SE‍(B) = 0.16, 95 % CI [–0.31, 0.32], β = .02), liegt eine vollständige Mediation vor.

Diskussion

In Übereinstimmung mit der Erwartung sprechen die Ergebnisse dafür, dass es während der Pandemie zu einem erhöhten Stresserleben (und in Stichprobe D auch zu einer erhöhten physischen Stresssymptomatik) gekommen ist (Hypothese 1a). Diese Erhöhung scheint nachhaltig zu sein, da sie sowohl im Jahr 2020 als auch zwei Jahre später (2022) zu beobachten ist. Es gibt keine Hinweise auf eine Rückkehr zu den Ursprungswerten, die durch die Normdaten (2018) repräsentiert werden. Die erreichten Effektstärken weisen darauf hin, dass dabei teilweise kleine, aber überwiegend sogar mittlere Größenordnungen nach der Klassifikation von Cohen (1988) erreicht werden. Dies ist insofern bemerkenswert, als in einer vorausgehenden Studie von Hartmann et al. (2022) bei einem Vergleich der Normdaten zum SSKJ aus den Jahren 1996, 2006 und 2018 kein bedeutsamer Unterschied über einen Zeitraum von insgesamt über 20 Jahren auf den Skalen Stresserleben und Physische Stresssymptomatik erkennbar war. Die hier gefundenen erhöhten Werte sind wiederum konsistent zu der Studie von Braksiek, Lindemann und Pahmeier (2022), die ebenfalls den SSKJ während der Pandemie eingesetzt hatten und bei einem Vergleich mit den Normdaten einen Anstieg bei den psychischen Symptomen (Traurigkeit) und negativere Einschätzungen des eigenen Wohlbefindens beobachten konnten. Auch eine der wenigen Längsschnittstudien zu dieser Thematik (Paschke et al., 2021) gelangt zu dem Schluss, dass es zu einer deutlichen Zunahme des Stresserlebens während der Pandemie gekommen ist.

Die Ergebnisse der längsschnittlichen Untersuchung von Unterschieden zwischen T1 (2020) und T2 (2022) zeigten keine bedeutsame Veränderung des Stresserlebens und der physischen Stresssymptomatik im Verlauf der Pandemie (Explorative Fragestellung) und unterstreichen damit den beschriebenen nachhaltigen Effekt insbesondere in Bezug auf das Stresserleben. Im Rahmen der Mediationsanalysen wurde die Rolle der Emotionsregulation für die längsschnittlichen Zusammenhänge der beiden Messungen von Stresserleben und Stresssymptomatik näher beleuchtet (Hypothese 2). Dysfunktionale Emotionsregulationsstrategien erwiesen sich hier als bedeutsam für die physische Stresssymptomatik, deren geringere Stabilität Spielraum für die Wirkung weiterer Einflussfaktoren lässt. Dass hierbei vor allem die dysfunktionale Emotionsregulation von Bedeutung ist, wird auch durch die Ergebnisse zur Validierung des POEM-KJ (Rüth & Lohaus, 2023) unterstrichen. In einer der Validierungsstudien kam die Somatic Complaint List (SCL; Jellesma, Rieffe & Terwogt, 2007) zur Erfassung körperlicher Beschwerden zum Einsatz, wobei sich deskriptiv höhere Korrelationen mit dysfunktionaler (r = .55) als mit funktionaler Emotionsregulation (r = -.32) zeigten. Auch in einer Studie von Rey, Neto und Extremera (2020) zu den Auswirkungen von Cyberbullying zeigte sich, dass vermehrt über somatische Probleme berichtet wurde, wenn dysfunktionale Emotionsregulationsstrategien (z. B. Katastrophisieren) genutzt wurden, wobei die Emotionsregulation auch hier eine mediierende Rolle einnahm.

Offen bleibt allerdings die Frage, warum Emotionsregulationskompetenzen nur bei physischen Stresssymptomatiken und nicht beim Stresserleben als Mediator wirken. Es ist möglich, dass beim Stresserleben wegen der höheren autokorrelativen Anteile (im Vergleich zur physischen Stresssymptomatik) weitere Einflussfaktoren weniger stark wirksam werden können. Paschke et al. (2021) weisen in ihrer Studie darauf hin, dass das Risiko für ein erhöhtes Stresserleben während der COVID-19-Pandemie zwar durch Emotionsregulationsprobleme steigt, dass jedoch auch einige weitere Risikofaktoren bedeutsam sind. Dabei wird insbesondere auf die Rolle finanzieller Sorgen, von elterlichem Stress, Prokrastination und der Notwendigkeit, viel Zeit im häuslichen Umfeld zu verbringen, hingewiesen, die empirisch in ähnlichem Maße zum Stresserleben beitragen wie Emotionsregulationsprobleme (Paschke et al., 2021). Es liegt also nahe, dass neben Emotionsregulationsproblemen noch weitere Risikofaktoren zum Stresserleben (und auch zur Stresssymptomatik) beitragen.

Die Geschlechtsunterschiede bei den Angaben sowohl zum Stresserleben als auch zur Stresssymptomatik finden sich auch in vorherigen Studien (z. B. Beck, Lange & Tröster, 2016) sowie im Manual zum SSKJ 3 – 8-R (also bereits vor der Pandemie). Da sich im Längsschnitt keine Interaktionseffekte zeigten, bleiben die Geschlechtsunterschiede über die Pandemie hinweg bestehen (ohne in eine bestimmte Richtung zu- oder abzunehmen). Man kann annehmen, dass diese Unterschiede im Wesentlichen durch geschlechtsrollenbezogene Erwartungen und dadurch geprägte Ausdrucksregeln zustande kommen (MacLean, Sweeting & Hunt, 2010; Schmitz, Lohaus & Vierhaus, 2013), die sich jedoch durch die Pandemie offenbar nicht verändern.

Betrachtet man die Stärken und Schwächen der vorliegenden Studie, so ist zunächst zu konstatieren, dass es bisher keine vergleichbare Studie mit einer Kombination von quer- und längsschnittlichem Vorgehen in der Forschung zu den Veränderungen des Stresserlebens und der Stresssymptomatik während der COVID-19-Pandemie gibt. Auf der anderen Seite ist als Schwäche festzuhalten, dass vor allem die längsschnittlichen Befunde auf kleinen Stichprobenumfängen beruhen, was die Aussagekraft einschränkt. Während sich eine ausreichende Power zur Aufdeckung mittlerer Effekte für die querschnittlichen Analysen zeigte, lag die Teststärke für die längsschnittlichen Analysen unter 80 % und die Stichprobengröße (N = 71) war nur ausreichend, um große Effekte aufzudecken. Die starke Reduktion der Stichprobe von T1 zu T2 war auf organisatorische Rahmenbedingungen (Durchmischung der Klassen in den höheren Jahrgangsstufen) und nicht auf die Ausprägungen der Untersuchungsvariablen zurückzuführen. In Bezug auf Unterschiede zwischen den einzelnen Stichproben zeigte sich zudem, dass in Stichprobe B signifikant mehr Mädchen waren als in der zum Vergleich herangezogenen Normstichprobe. Es ist jedoch nicht davon auszugehen, dass diese Ungleichverteilung die Ergebnisse maßgeblich beeinflusst, da das Geschlecht in den Analysen als Faktor berücksichtigt wurde. Als weitere Limitation muss erwähnt werden, dass die Befunde ausschließlich aus einem gymnasialen Umfeld stammen, sodass unklar bleibt, ob sie darüber hinaus generalisierbar sind. Die Kreuzvalidierung der Befunde mit einer zweiten gymnasialen Stichprobe, die zu ähnlichen Schlussfolgerungen gelangt, ist gleichzeitig als Stärke zu sehen, da sie darauf hinweist, dass die Befunde hinsichtlich ihrer Generalisierbarkeit nicht auf ein spezifisches Gymnasium beschränkt sind. Gleichzeitig fügen sich die Befunde gut in die bisherige Forschungslage ein, sodass insgesamt wenig dafür spricht, die externe Validität der Ergebnisse in Zweifel zu ziehen. In Bezug auf das methodische Vorgehen ist darauf hinzuweisen, dass fehlende Werte zwar mittels multipler Imputation ersetzt wurden, die Hypothesentestung jedoch auf Basis aggregierter Mittelwerte aus den Datensets stattfand. Eine weitere Limitation besteht darin, dass eine kausale Schlussfolgerung, in dem Sinne, dass die Pandemie für die vorgefundenen Veränderungen verantwortlich ist, nicht möglich ist. Die kausalen Wirkmechanismen (wie beispielsweise individuelle Bewertungen und individuelles emotionales Erleben) wurden bisher nicht hinreichend erfasst und sollten Gegenstand weiterer Studien sein.

Zusammenfassend weist die Studie darauf hin, dass es im Gegensatz zu früheren Erhebungen, die einen Zeitraum von mehr als 20 Jahren überspannten (Hartmann et al., 2022), während der COVID-19-Pandemie in einem wesentlich kürzeren Zeitraum zu einem deutlich erhöhten Stresserleben gekommen ist. Bei der Stresssymptomatik sind vergleichbare Veränderungen nur teilweise erkennbar, wobei hier gleichzeitig deutlich wird, dass eine dysfunktionale Emotionsregulation dazu beitragen kann, dass eine Stresssymptomatik verstärkt wird. Dies weist auf Ansatzpunkte hin, die nutzbar sind, um die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie abzuschwächen, da Stressbewältigungs- und Emotionsregulationstrainings hier indiziert sein können.

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