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Published Online:https://doi.org/10.1024/2235-0977/a000079

Die noch relativ jungen und rasant zunehmenden Erkenntnisse zur Neuroplastizität sind nicht nur für Grundlagenforscher relevant (im Sinne eines sozusagen “reinen” Erkenntnisgewinns), sondern sie haben auch immense Bedeutung für die klinische Praxis. Sie lassen uns anschaulich erkennen, was im Gehirn beim Wahrnehmen, Denken, Fühlen und Handeln vor sich geht, und wie sich das Gehirn in Abhängigkeit von Übung und Erfahrung verändert. Dies hat durchaus Auswirkungen auf die Behandlung von psychischen und neurologischen Störungen und stärkt im wahrsten Sinne des Wortes lern-therapeutische Konzepte. Die praktischen Implikationen dieser teilweise sehr spezifischen und (neuro-)physiologisch ausgerichteten Forschungsbefunde haben unser Verständnis von der Funktionsweise des menschlichen Gehirns dramatisch verändert und die Entwicklung neuer und effektiver Behandlungsmaßnahmen auch von altersbedingten und erworbenen Hirnfunktionsstörungen angeregt. Das Wissen darum, dass Lernprozesse mit tiefgreifenden Veränderungen auf neurofunktioneller und -struktureller Ebene einhergehen, hat unser klinisches Störungs- und Verursachungsverständnis verändert und das Bewusstsein über umwelt- und erfahrungsbedingte Einflüsse und die restaurativen Möglichkeiten von Hirnfunktionen und -strukturen in den psychiatrischen Fächern ebenso gestärkt wie in den neurologischen. Bahnbrechend sind hier zum Beispiel jene Befunde, die zeigen, dass im Rahmen von neurologischen oder neuropsychiatrischen Erkrankungen erworbene Hirnfunktionsstörungen mit gezielten Lernanreizen – z. B. kognitivem Training oder Neurostimulation – entgegengewirkt werden kann (z. B. Hofer et al., 2014). Obwohl solche neuen Befunde vielversprechend sind und als Grundstein für die Entwicklung neuer Behandlungsindikationen und -methoden betrachtet werden können, gibt es noch viele offene Fragen wie jene nach den genauen Wirkmechanismen beispielsweise der Neurostimulation. Ebenfalls lückenhaft ist auch noch unser Verständnis der neuroprotektiven Faktoren: das sind jene Faktoren, die als potentielle Schutzmechanis-men die neuronale Funktionsfähigkeit über die Lebensspanne erhalten. Die anwendungsbezogenen Disziplinen verdanken der Neuroplastizitätsforschung schon heute zahlreiche belebende Impulse, und man darf gespannt sein auf zukünftige Erkenntnisse. Mit der vorliegenden Schwerpunktausgabe von “Lernen und Lernstörungen” möchten wir unseren Lesern dieses spannende Forschungsgebiet näherbringen und ihre Neugier auf innovative Behandlungsmethoden stimulieren.

In diesem Sinne wünschen wir anregende Lesestunden!

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