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Originalarbeit

Die Stern-Tagebücher

Würdigung und Aktualität eines historischen Dokuments der Entwicklungspsychologie

Published Online:https://doi.org/10.1026/0033-3042/a000422

Zusammenfassung. Die vor mehr als 100 Jahren von Clara und William Stern zur Entwicklung ihrer drei Kinder angelegten Tagebücher stellen hinsichtlich der Beobachtungsdauer und Beobachtungsbreite immer noch die umfangreichste Dokumentation des Entwicklungsgeschehens von der Geburt bis zur Pubertät dar. Im ersten Teil unseres Beitrags erläutern wir den biographischen Entstehungskontext sowie den fachlichen und kulturhistorischen Hintergrund des Tagebuchprojektes. Außerdem beschreiben wir die Standards, die sich die Sterns für die Beobachtung und Aufzeichnung der Entwicklung ihrer Kinder gesetzt hatten. Im zweiten Teil rekonstruieren wir auf der Grundlage der sorgfältigen Lektüre der Originaleintragungen die tagtägliche Praxis der Tagebuchführung. Der Vergleich von Anspruch und tatsächlicher Vorgehensweise offenbart, dass die Sterns in vielfacher Hinsicht hinter den selbst gesteckten Maßstäben zurückgeblieben sind. Er zeigt aber auch, dass in der Sekundärliteratur häufig ein idealisiertes Bild der Tagebücher verbreitet wird. Im dritten Teil demonstrieren wir am Beispiel der Neuauswertung der Tagebucheintragungen zum Als ob-Spiel (pretend play), wie ein historisches Dokument Impulse für die aktuelle Forschung geben kann.


The Stern Diaries. Appraisal and Relevance of a Historical Document in Developmental Psychology

Abstract. More than 100 years ago, Clara and William Stern produced a series of diaries documenting the development of their children. To this day, the Stern diaries are the most comprehensive document of human development from birth to puberty as far as continuity and extent of observations are concerned. In the first part of the article, we present the biographical background and both the scientific and cultural–historical context of the diary project. We also describe the criteria that the Sterns themselves set for the observation and recording of child development. On the basis of a careful and detailed study of the original diary entries, in the second part we reconstruct the everyday practice of diary keeping. When comparing the practice with the self-imposed standards, we conclude (1) that the Sterns in many ways were not able to meet their own demands, and (2) that the Stern diaries are sometimes idealized in the secondary literature. One focus of Clara and William Stern’s observations was pretend play. Using these observations, we show in the third part of the article how a historical document may enhance current research.

Literatur