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Open AccessOriginalarbeit

Auswirkungen des Lockdowns im Frühjahr 2020 während der SARS-CoV-2-Pandemie auf das Alkoholkonsumverhalten bei Raucherinnen und Rauchern

Ergebnisse einer Online-Befragung

Published Online:https://doi.org/10.1024/0939-5911/a000844

Abstract

Zusammenfassung:Zielsetzung: Die Restriktionen während der SARS-CoV-2-Pandemie hatten massive Auswirkungen auf den Alltag der Allgemeinbevölkerung. Ein vermehrter Alkohol- oder Tabakkonsum stellte in dieser Situation eine mögliche Bewältigungsstrategie im Umgang mit den unangenehm erlebten Gefühlen dar. In dieser Studie untersuchten wir die Veränderungen des Alkohol- und Tabakkonsums von Raucherinnen und Rauchern während des Lockdowns im Frühjahr 2020. Methodik: An der anonymen Online- Befragung zu Veränderungen des Tabak- und Alkoholkonsumverhaltens während des Lockdowns im Frühjahr 2020 konnten Raucherinnen und Raucher zwischen 18 und 80 Jahren teilnehmen. Die Umfrage war online verfügbar zwischen dem 8. April und dem 11. Mai 2020. Ergebnisse: 41.8 % der 913 Teilnehmenden gaben an, mehr zu rauchen während des Lockdowns, 39.5 % berichteten, mehr Alkohol zu trinken. 22.02 % aller Studienteilnehmenden erhöhten sowohl den Alkohol- als auch den Tabakkonsum. Ein erhöhtes Stressempfinden im Zusammenhang mit der SARS-CoV-2-Pandemie, die Zugehörigkeit zur Altersgruppe der 25–34-Jährigen und das Anzweifeln der Sinnhaftigkeit der Restriktionsmaßnahmen erhöhten die Wahrscheinlichkeit für eine kombinierte Konsumsteigerung von Tabak und Alkohol. Schlussfolgerungen: Aufgrund dieser Ergebnisse sollten Behandler Raucherinnen und Raucher auf die Gesundheitsrisiken, infolge einer kombinierten Erhöhung des Alkohol- und Tabakkonsums hinweisen. Insbesondere sollte das erhöhte Risiko für die Entwicklung einer Alkoholabhängigkeit thematisiert werden.

The Impact of the Lockdown in Spring 2020 During the SARS-CoV-2 Pandemic on Alcohol Consumption in Smokers: Results of an Online Survey

Abstract:Aim: The restrictions during the SARS-CoV-2 pandemic had a massive impact on the daily life of the general population. In this situation, increased alcohol or tobacco consumption represented a possible coping strategy to deal with the unpleasant feelings experienced. Therefore, in this study, we examined changes in alcohol and tobacco use among smokers during the spring 2020 lockdown. Methods: Smokers aged between 18 and 80 years were eligible to participate in the anonymous online survey on changes in tobacco and alcohol consumption during the lockdown in spring 2020. The survey was available online between April 8 and May 11, 2020. Results: Out of the 913 participating smokers, 41.8 % reported smoking more during the lockdown, and 39.5 % of smokers reported drinking more alcohol than during the period before. The largest group, 22.02 % of all study participants, reported increasing both their tobacco and alcohol use during the lockdown. An increased sense of stress related to the SARS-CoV-2 pandemic, being in the group aged between 25–34 years, and doubting the usefulness of the restriction measures increased the likelihood of a combined increase in tobacco and alcohol use. Conclusions: Based on these findings, treatment providers should alert smokers to the health risks, as a result of a combined increase in alcohol and tobacco use. In particular, the increased risk for developing alcohol dependence should be addressed and their tobacco and alcohol use behavior should be monitored to detect an alcohol use disorder early.

Einführung

Das SARS-CoV-2-Virus trat Ende 2019 erstmals in Wuhan, China, auf. Von dort aus kam es aufgrund der langen Inkubationszeit und der hohen Kontagiösität des Virus sowie der weltweiten Vernetzung mit hoher Reiseaktivität zu einer schnellen globalen Verbreitung. Am 11. März 2020 stufte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) das weltweite Ausbruchsgeschehen daher als Pandemie ein (WHO, 2020). Zur Verlangsamung der Virusausbreitung und um eine Überforderung des Gesundheitssystems vorzubeugen, ordnete die Bundesregierung ab dem 23. März 2020 landesweit umfangreiche Einschränkungen des öffentlichen Lebens (Lockdown) an. Dies hatte vorrangig zum Ziel, die sozialen Kontakte der Bürger untereinander drastisch zu reduzieren und damit die Verbreitung des SARS-CoV-2-Virus einzudämmen. Dabei kam es erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik zu einer deutschlandweiten Schließung von Kindergärten und Schulen sowie öffentlichen Einrichtungen und allen nicht-systemrelevanten Geschäften. Zudem erfolgten Grenzschließungen zu den Nachbarländern und es wurden Reiseverbote – auch innerhalb von Deutschland – erlassen. Darüber hinaus wurden öffentliche Veranstaltungen wie Konzerte und Sportveranstaltungen verboten und Beschränkungen für private Kontakte erlassen. Die Einschränkung des Aktionsradius der Bürger und die unsichere wirtschaftliche Lage veränderten das Alltagsleben der Allgemeinbevölkerung massiv. So erlebten viele Menschen eine Zunahme von Sorgen und Einsamkeit. Holmes et al. (2020) warnten daher bereits früh während des ersten weltweiten Lockdowns im Frühjahr 2020 vor den psychischen Folgen der SARS-CoV-2-Pandemie.

In Zeiten persönlicher und gesellschaftlicher Krisen wie der SARS-CoV-2-Pandemie suchen Menschen einerseits Bewältigungsmechanismen im Umgang mit Befürchtungen und Sorgen, die ihnen helfen, sich zu entspannen und die Sorgen zumindest kurzfristig zu reduzieren. Andererseits entfallen durch die Reduktion analoger beruflicher und sozialer Aktivitäten, z. B. am Arbeitsplatz oder bei privaten Kontakten, während des Lockdowns Gründe und Ressourcen, dysfunktionale Bewältigungsstrategien zu begrenzen. Die WHO warnte daher bereits zu Beginn der SARS-CoV-2-Pandemie vor einem erhöhten Alkohol- und Tabakkonsum während der sozialen Isolation (WHO, n. d.). Dass eine langfristige Konsumsteigerung von Alkohol und Tabak sowohl zu psychischen als auch somatischen Folgeerkrankungen führen kann, ist gut belegt (Clay & Parker, 2020; Gäbel & Kröger, 2020). So besteht einerseits aufgrund des Abhängigkeitspotentials von Alkohol und Tabak die Gefahr, dass aus einem länger andauernden erhöhten Konsum eine Gewohnheit entsteht, die in eine Abhängigkeitsentwicklung mündet (Grosshans, Loeber & Kiefer, 2011), andererseits erhöht sich bei einem langfristig verstärkten Alkohol- und/ oder Tabakkonsum das kardio-vaskuläre Risikoprofil der Konsumenten (Gäbel & Kröger, 2020).

Raucherinnen und Raucher setzten bereits vor der SARS-CoV-2-Pandemie Tabakkonsum häufig zur Reduktion von emotionalem Stress und im Umgang mit negativen Gefühlen oder Depressivität bzw. Ängstlichkeit ein (Erblich, Montgomery & Schnur, 2022). Durch die Restriktionen im Rahmen des ersten Lockdowns während der SARS-CoV-2-Pandemie waren die Möglichkeiten zum Stressabbau und im Umgang mit negativen Gefühlen zum Beispiel durch sportliche oder andere soziale Aktivitäten für diese Population während des Lockdowns im Frühjahr 2020 in einem noch nie dagewesenen Maß plötzlich eingeschränkt. Gleichzeitig nahmen die Belastungen im Alltagsleben zum Beispiel durch fehlende Kinderversorgung, Kurzarbeit, drohende Arbeitslosigkeit, Homeoffice und gesundheitsbezogene Sorgen massiv zu. Es entstand ein Ungleichgewicht zwischen Belastungen und ausgleichenden Aktivitäten. Raucherinnen und Raucher stellen eine besonders vulnerable Population dafür dar, dieses Ungleichgewicht durch den vermehrten Tabakkonsum oder den vermehrten Konsum einer anderen psychoaktiven Substanz mit Wirkung auf ihr subjektives Stressempfinden und negative Gefühle auszugleichen. Alkohol bildet hierfür die wahrscheinlichste Alternative zu Tabak, da dieser auch während des Lockdowns in Deutschland frei verfügbar war.

Folglich ist zu befürchten, dass der erste Lockdown im Frühjahr 2020 durch den damit verbundenen psychosozialen Stress einerseits bei Raucherinnen und Rauchern zu einer Zunahme des Tabakkonsums, andererseits zu einer Zunahme des Alkoholkonsums geführt haben könnte, wodurch sie zu einer Risikopopulation für die Entwicklung einer Alkoholabhängigkeit werden und sich ihr kardio-vaskuläres Risikoprofil besonders dann verschlechtert, wenn sie ebenfalls ihren Tabakkonsum erhöht haben.

Ziel dieser anonymen Online-Befragung war es, zu untersuchen inwiefern Raucherinnen und Raucher aus der deutschen Allgemeinbevölkerung ihr Rauch- und Alkoholkonsumverhalten während des ersten Lockdowns in der SARS-CoV-2-Pandemie verändert haben. Zusätzlich befragten wir die Studienteilnehmenden zu ihren Einstellungen und Emotionen bezüglich der SARS-CoV-2.

Methodik

Studienpopulation und Rekrutierungswege

Durchgeführt wurde die Befragung durch die Klinik für Abhängiges Verhalten und Suchtmedizin am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit Mannheim und die Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Nürnberg als anonyme Online- Befragung, an der Frauen und Männer zwischen 18 und 80 Jahren aus der Allgemeinbevölkerung teilnehmen konnten. Die Datenerfassung erfolgte aus Datenschutzgründen zum Schutz der Teilnehmenden als anonyme Erhebung. Die Umfrage war zwischen dem 8. April und dem 11. Mai 2020 online verfügbar. Um die Umfrage in der Allgemeinbevölkerung bekannt zu machen, erfolgten Teilnahmeaufrufe im Radio und auf den Internetseiten der beteiligten Kliniken sowie auf Social-Media-Kanälen und in Printmedien. Durchgeführt wurde die Befragung mithilfe des SoSci Surveys (Version 2.5.00-im SoSci Survey GmbH, München, Deutschland), der eine anonyme Datenerhebung ohne Speicherung der IP-Adresse des Probanden ermöglicht. Die Teilnehmenden wurden vor der Teilnahme an der Studie über Inhalt, Ziel und Ablauf der Befragung informiert und mussten aktiv ihr Einverständnis zur Studienteilnahme geben.

Bei der hier vorgelegten Auswertung handelt es sich um Daten von 913 Raucherinnen und Rauchern aus der Gesamtgruppe aller 3259 Teilnehmenden, die bis Ende des Rekrutierungszeitraums am 11. Mai 2020 an der Befragung teilgenommen hatten. Die Analysen zu Veränderungen des Konsumverhaltens in Bezug auf Tabak und Alkohol sowie des Mediennutzungs-, Glückspiel-, Ess-, Sport- und Kaufverhaltens der Gesamtstudienpopulation wurden bereits anderweitig publiziert (Lemenager et al., 2020; Koopmann, Georgiadou et al., 2021; Koopmann, Müller et al., 2021; Georgiadou et al., 2021).

Vor Start der Rekrutierung lag ein positives Votum der Ethikkommission II der Medizinischen Fakultät Mannheim, der Universität Heidelberg vor (Registrierungsnummer: 202-552N). Die Studie wurde beim Deutschen Register für klinische Studien registriert (DRKS-ID: DRKS0002​2268).

Ablauf der Befragung

In einem eigens für diese Erhebung zusammengestellten Fragebogen wurden den Studienteilnehmenden Fragen bezüglich der Veränderung ihres Alkohol- und Tabakkonsum während des Lockdowns im Vergleich zum Zeitraum davor gestellt. Die Veränderungen des Tabakkonsums wurden dabei global erfasst, eine separate Erfassung der verschiedenen Darreichungsformen der Nikotinprodukte (z. B. konventionelle Zigaretten, E-Zigaretten, Vaper, Snus, Juul) erfolgte nicht. Zusätzlich wurden Veränderungen im Glücksspiel- und Medienkonsumverhalten sowie Ess- und Sportverhalten der Befragten während des Lockdowns erfasst. In dem Fragebogen wurden zudem soziodemographische Angaben zu den Lebensverhältnissen der Teilnehmenden und ihre Einstellungen zur SARS-CoV-2-Pandemie sowie die psychische Belastung und der von den Befragten wahrgenommene Stress durch die SARS-CoV-2-Pandemie abgefragt. Die Fragen zu den soziodemographischen Variablen waren in Form von kategorialen Auswahlfragen mit vorgegebenen Antworten strukturiert, zusätzlich wurden das subjektive Stress- und Angstempfinden der Teilnehmenden mithilfe einer 11-stufigen Likert Skala abgefragt. Für die Beantwortung der Fragen benötigten die Teilnehmenden ca. 5–10 Minuten.

Statistische Auswertung

Die statistischen Berechnungen wurden mittels IBM SPSS Version 26.0 (IBM Corporation, Armonk, New York) durchgeführt. Die Häufigkeitsverteilung auf die einzelnen Kategorien für die soziodemographischen Variablen Alter, Geschlecht, Lebenssituation, Schulbildung, Beschäftigung in einem systemrelevanten Beruf, Arbeitssituation vor dem Lockdown, Veränderung der Arbeitssituation während des Lockdowns und für die Einstellungen zur SARS-CoV-2-Pandemie sowie die Häufigkeiten der Veränderungen des Alkohol- und Tabakkonsums bei den rauchenden Teilnehmenden werden als absolute Fallzahlen und prozentuale Häufigkeiten bezogen auf die Gesamtstichprobe aller teilnehmenden Raucher_innen angegeben. Die mit der SARS-CoV-2-Pandemie verbundenen Ängste und das damit verbundene subjektive Stresserleben der rauchenden Teilnehmer_innen wurden als Mittelwerte mit Standardabweichung dargestellt.

Da vor allem Personen, die gleichzeitig ihren Alkohol- und Tabakkonsum erhöht haben, eine besondere Risikopopulation für die Entwicklung einer substanzbezogenen Störung sowie für die Entwicklung von kardio-vaskulären oder malignen Folgeerkrankungen darstellen, wurde im Rahmen von Gruppenvergleichen mittels Chi-Quadrat- Tests mit anschließenden post-hoc Tests für kategoriale Variablen bzw. dem Mann-Whitney-Test für intervallskalierte Variablen (Variablen nicht normalverteilt) analysiert, ob es Unterschiede für bestimmte soziodemographische Merkmalsausprägungen bzw. Einstellungen zur SARS-CoV-2-Pandemie und damit verbundenen Gefühlen zwischen der Hochrisikogruppe und Personen mit anderen Veränderungen des Tabak- und Alkoholkonsumverhaltens gibt.

Um den Einfluss der soziodemographischen Merkmalsausprägungen bzw. Einstellungen zur SARS-CoV-2-Pandemie und von damit verbundenen Gefühlen auf die Gruppenzugehörigkeit zur Hochrisikogruppe (vermehrter Alkohol- und vermehrter Tabakkonsum) zu analysieren, wurde eine binäre logistische Regression berechnet.

Ergebnisse

Stichprobenbeschreibung

In die Auswertungen wurden die Daten der 913 Raucherinnen und Raucher aus dem Gesamtkollektiv aller der 3259 Befragungsteilnehmenden einbezogen. Tabelle 1 gibt eine Übersicht über die Häufigkeitsverteilung auf die einzelnen Kategorien für die soziodemographischen Variablen Alter, Geschlecht, Schulbildung, Beschäftigung in einem systemrelevanten Beruf, Arbeitssituation vor dem Lockdown und Veränderung der Arbeitssituation während des Lockdowns.

Tabelle 1 Stichprobenbeschreibung (N=913)

Einstellung der Teilnehmenden zur SARS-CoV-2-Pandemie und damit verbundene Gefühle

Tabelle 2 zeigt eine Übersicht über die Einstellungen der Raucherinnen und Raucher zur SARS-CoV-2-Pandemie und das damit verbundene Stress- und Angstempfinden.

Tabelle 2 Einstellungen der Teilnehmenden zur SARS-CoV-2-Pandemie und damit verbundene Gefühle

Veränderung des Alkohol- und Tabakkonsumverhaltens der Raucherinnen und Raucher

41.8 % (N=382 von N=913) der Teilnehmenden gaben an, mehr zu rauchen. 34.7 % (N=317 von N=913) berichteten keine Veränderungen ihres Rauchverhaltens und 16.8 % (N=153 von N=913) machten die Angabe, weniger zu rauchen. 6.7 % (N=153 von N=913) der Teilnehmenden machten keine Angaben über die Veränderung ihres Nikotinkonsums.

Weiterhin gaben 39.5 % der Raucherinnen und Raucher (N=361 von N=913) an, mehr Alkohol zu trinken, 33.6 % (N=307 von N=913) berichteten keine Veränderung ihres Alkoholkonsums und 17.4 % (N=159 von N=913) machten die Angabe, weniger Alkohol zu trinken. 9.4 % (N=86 von N=913) der Teilnehmenden machten keine Angaben über ihren Alkoholkonsum.

Abbildung 1 gibt eine Übersicht hinsichtlich der verschiedenen Kombinationen der Änderungen im Tabak- sowie Alkoholkonsum der Teilnehmenden. Mit 22.02 % bildeten die Teilnehmenden, die während des Lockdowns mehr geraucht und mehr Alkohol getrunken haben, die größte Gruppe. Die zweitgrößte Gruppe bildeten mit 15.88 % die Teilnehmenden, die keine Änderungen ihres Nikotin- und Alkoholkonsums zeigten. Lediglich 5.15 % aller Teilnehmenden gaben an, weniger zu rauchen und weniger Alkohol zu trinken.

Abbildung 1 Änderungen des Tabak- und Alkoholkonsumverhaltens der Teilnehmenden. N = Anzahl der Teilnehmenden in den Gruppen; Nikotin ↑ = Steigerung des Tabakkonsums während des Lockdowns; Nikotin↓ = Reduktion des Tabakkonsums während des Lockdowns; Nikotin → = Keine Veränderung des Tabakkonsums während des Lockdowns; Alkohol ↑ = Steigerung des Alkoholkonsums während des Lockdowns; Alkohol↓ = Reduktion des Alkoholkonsums während des Lockdowns; Alkohol → = Keine Veränderung des Alkoholkonsums während des Lockdowns.

Einflussfaktoren auf die Veränderungen des Tabak- und Alkoholkonsumverhaltens

Insbesondere Personen, die gleichzeitig ihren Tabak- und ihren Alkoholkonsum erhöhen, stellen eine Risikopopulation für die Entwicklung von Abhängigkeitserkrankungen sowie kardio-vaskulären oder malignen Folgeerkrankungen dar. Daher wurden im Folgenden die Teilnehmenden aus dieser Hochrisikogruppe mit den Teilnehmenden mit anderen Veränderungen des Tabak- und Alkoholkonsumverhaltens hinsichtlich soziodemographischer Merkmalsausprägungen, Einstellungen zur SARS-CoV-2-Pandemie und damit verbundenen Gefühlen verglichen.

Geschlecht

Das Geschlecht und die Zugehörigkeit/Nicht-Zugehörigkeit zu der Hochrisikogruppe standen in keinem Zusammenhang (Chi-Quadrat [1] =.113, p = .736, n = 913).

Alter

Das Alter und die Zugehörigkeit/ Nicht-Zugehörigkeit zu der Hochrisikogruppe standen in einem Zusammenhang (Chi-Quadrat [5] =12.342, p = .030, n = 913). Der Zusammenhang war allerdings nicht sehr stark (Cramers V = .116, p =.030).

Bei der Betrachtung des Vergleichs der Spaltenanteile (Z-Test) ergaben sich folgende bonferroni-korrigierte signifikante Ergebnisse:

Der Prozentsatz an Teilnehmenden, die zwischen 25 und 34 Jahren alt waren, war signifikant höher in der Hochrisikogruppe als in den anderen Teilgruppen (36.8 % von N=201 versus 28.8 % von N=712, p<.05). Die prozentualen Anteile der anderen Altersgruppen in der Hochrisikogruppe unterschieden sich im Vergleich zu den anderen Untersuchungsgruppen nicht.

Bildungsniveau

Das Bildungsniveau und die Zugehörigkeit/ Nicht-Zugehörigkeit zu der Hochrisikogruppe standen in keinem Zusammenhang (Chi-Quadrat [5] =1.120, p = .952, n = 913).

Kontrollüberzeugung, dass SARS-CoV-2-Pandemie erfolgreich bewältigt wird

Die Kontrollüberzeugung, dass die SARS-CoV-2-Pandemie erfolgreich bewältigt wird und die Zugehörigkeit/ Nicht-Zugehörigkeit zu der Hochrisikogruppe standen in keinem Zusammenhang (Chi-Quadrat [3] =3.960, p = .266, n = 779).

Ängste bezüglich SARS-CoV-2-Pandemie

Die Teilnehmenden der Hochrisikogruppe, unterschieden sich hinsichtlich ihres Angstempfindens bezüglich SARS-CoV-2 nicht von den Teilnehmenden der anderen Gruppen, exakter Mann-Whitney-U-Test: U = 62355.00, p =.629.

Stress durch SARS-CoV-2-Pandemie

Die Teilnehmenden aus der Hochrisikogruppe wiesen ein höheres Stressempfinden durch die SARS-CoV-2-Pandemie auf als die Teilnehmenden der anderen Gruppen (mittlerer Rang =502.71 versus mittlerer Rang = 394.79), exakter Mann-Whitney-U-Test: U = 46803.50, p <.001.

Sinnhaftigkeit der Ausgangseinschränkungen

Das Ausmaß der Zustimmung hinsichtlich der Sinnhaftigkeit der Ausgangseinschränkungen und die Zugehörigkeit/ Nicht-Zugehörigkeit zu der Hochrisikogruppe standen in einem Zusammenhang (Chi-Quadrat [3] =13.270, p = .004, n = 805). Der Zusammenhang war allerdings nicht sehr stark (Cramers V = .128, p = .004).

Bei der Betrachtung des Vergleichs der Spaltenanteile (Z-Test) ergaben sich folgende bonferroni-korrigierte signifikante Ergebnisse:

Der Prozentsatz der Teilnehmenden, die von der Sinnhaftigkeit der Ausgangseinschränkungen überzeugt waren, war in den Nicht-Hochrisiko-Gruppen (79.1 % von n=492) signifikant höher als von Teilnehmenden, die von der Sinnhaftigkeit der Ausgangseinschränkungen nicht überzeugt waren (62.8 % von n=86).

Der Prozentsatz der Teilnehmenden, die von der Sinnhaftigkeit der Ausgangseinschränkungen nicht überzeugt waren, war in der Hochrisikogruppe signifikant höher (37.2 % von n=86) als von Teilnehmenden, die von der Sinnhaftigkeit überzeugt waren (20.9 % von n=492).

Binäre logistische Regression

Um den Einfluss der soziodemographischen Merkmalsausprägungen bzw. Einstellungen zur SARS-CoV-2-Pandemie und von damit verbundenen Gefühlen auf die Gruppenzugehörigkeit zur Hochrisikogruppe (vermehrter Tabak- und vermehrter Alkoholkonsum) bzw. zu den Gruppen mit anderen Veränderungen des Tabak- und Alkoholkonsumverhaltens zu analysieren, wurde eine binäre logistische Regression berechnet.

Für das binäre logistische Regressionsmodell mit den oben genannten Prädiktoren ergab der Likelihood-Ratio-Test ein signifikantes Ergebnis (χ2[19] = 40.098, p =.003). Damit war das Modell mit diesen Prädiktoren signifikant besser zur Vorhersage der Zugehörigkeit zur Hochrisikogruppe bzw. zu der Gruppe der übrigen Studienteilnehmenden geeignet als das Nullmodell ohne Prädiktoren. Das Nagelkerkes-R2 betrug allerdings nur .078, dementsprechend konnten durch das Modell 7.8 % der Varianz im Kriterium erklärt werden. 75.9 % der Studienteilnehmenden (570 von 751) konnten den Klassifikationsergebnissen zufolge mit diesem Modell korrekt den beiden Gruppen zugeordnet werden. Bei der Betrachtung der einzelnen Prädiktoren, konnte lediglich der wahrgenommene Stress durch die SARS-CoV-2-Pandemie als signifikanter Prädiktor für die Wahrscheinlichkeit der Zugehörigkeit zur Hochrisikogruppe identifiziert werden (b=.118, Wald[1]=7.004, p<.001). Wenn die Werte des wahrgenommenen Stresses einer Person um eine Einheit stiegen, stieg bei Konstanthalten der Werte der anderen Prädiktoren im Vergleich zu niedrigen Werten die Chance der Hochrisikogruppe zuzugehören um das 1.1-fache (Exp[B]=1.125, 95 %-KI: [1.062-1.192]).

Tabelle 3 Zusammenfassung der Einflussfaktoren auf die Zugehörigkeit zur Hochrisikogruppe mit Erhöhung des Tabak- und des Alkoholkonsums während des Lockdowns

Diskussion

In unserer Befragung zeigte sich, dass von den 913 teilnehmenden Raucherinnen und Rauchern mit 41.8 % ein nicht unerheblicher Teil der Befragten während des Lockdowns im Frühjahr 2020 angegeben hat, seinen Tabakkonsum erhöht zu haben, wohingegen nur 34.7 % ihr Rauchverhalten nicht änderten und nur 16.8 % ihren Tabakkonsum reduzierten. Gleichzeitig gaben 39.5 % der Raucherinnen und Raucher an, während des Lockdowns häufiger Alkohol getrunken zu haben als in der Zeit davor, 33.6 % berichteten keine Veränderung ihres Alkoholkonsums und 17.4 % tranken weniger Alkohol als in der Zeit davor. Die Reduktion der Alkoholkonsumfrequenz bei einem Teil der Studienteilnehmenden könnte mitbegründet sein durch die infolge der Kontaktbeschränkungen reduzierten Konsumgelegenheiten durch Wegfall von Feierlichkeiten und Partys sowie die massiven Kontaktbeschränkungen.

Mit 22.02 % aller Raucherinnen und Raucher gab die größte Gruppe an, sowohl ihren Tabak- als auch ihren Alkoholkonsum während des Lockdowns erhöht zu haben. Diese Kombination ist mit dem größten potenziellen Gesundheitsrisiko insbesondere bezüglich der Entwicklung einer Alkoholabhängigkeit als auch hinsichtlich kardio-vaskulärer und maligner Folgeerkrankungen für die Betroffenen verbunden (Rosoff, Smith, Mehta, Clarke & Lohoff, 2020; Weber et al., 2021; Yoo et al., 2022). In dieser Hochrisikogruppe waren jüngere Teilnehmende, Teilnehmende mit einem erhöhten Stressempfinden im Zusammenhang mit der SARS-CoV-2-Pandemie sowie Teilnehmende mit einer geringen Überzeugung von der Sinnhaftigkeit der Restriktionsmaßnahmen signifikant häufiger vertreten als in der übrigen Studienpopulation.

Vergleicht man unsere Ergebnisse mit denen von Studien aus anderen Ländern, so fällt auf, dass in diesen Studien teilweise prozentual deutlich geringere Anstiege des Tabakkonsums berichtet werden. So zeigte sich in einer Erhebung aus Dänemark, dass die wöchentlichen Tabakkaufraten um 24 % und die durchschnittlichen Mengen um 12 % in dem Zeitraum vom Beginn der Pandemie im März 2020 bis zum Ende des Jahres 2020 zurückgingen. Die Rückgänge wurden von regelmäßigen Rauchern verursacht, während sich das Verhalten der Nichtraucher kaum ändert und die Käufe der Gelegenheitsraucher zunahmen. Bei den regelmäßigen Rauchern sanken die Kaufraten um etwa 30 %, die Tabakkäufe gingen um etwa 20 % zurück und die Quoten für einen Konsumstopp stiegen um etwa 10 Prozentpunkte (Fosgaard, Pizzo & Sadoff, 2022). Eine weitere dänische Untersuchung, die die Veränderung des Tabakkonsums von 15–29-Jährigen untersuchte, fand, dass etwa 40 % der Raucherinnen und Raucher angaben, dass sie während des Lockdowns genauso viel geraucht haben wie vorher, 24.5 % gaben an mit dem Rauchen begonnen oder ihren Konsum erhöht zu haben, und 27.4 % haben versucht, damit aufzuhören oder weniger zu rauchen (Bast, Kjeld & Klitgaard, 2023). In einer Studie aus Hong Kong gaben 65.3 % der Befragten an, dass sich der Gesamttabakkonsum nicht verändert hat, während 23.1 % weniger konsumierten oder aufhörten und 11.6 % ihren Konsum nicht veränderten (Sun et al., 2022). In einer US-amerikanischen Untersuchung gaben 28 % an, ihren Zigarettenkonsum während der Pandemie erhöht zu haben. Die häufigsten Gründe für den erhöhten Konsum waren erhöhter Stress, mehr Zeit zu Hause und Langeweile während der Quarantäne. Knapp 15 % gaben an, ihren Tabakkonsum verringert zu haben. Die häufigsten Gründe für den Rückgang des Konsums waren gesundheitliche Bedenken und mehr Kontakt zu Nichtrauchern. 24.5 % gaben an, einen Versuch des Konsumstopps unternommen zu haben. Die Gründe für diese differierenden Ergebnisse können vielfältig sein, zum einen wurden die Querschnittserhebungen zu unterschiedlichen Zeitpunkten während der SARS-CoV-2-Pandemie durchgeführt, zum anderen herrschten in den Ländern unterschiedliche Restriktionen zum Zeitpunkt der Durchführung. Des Weiteren wurden die Veränderungen des Tabakkonsumverhaltens in den Studien mit unterschiedlichen Maßen gemessen, in unserer Studie wurde die Frequenz des Konsums gemessen, in vielen anderen jedoch die Gesamtmenge des Konsums. Es könnte also sein, dass die Raucherinnen und Raucher zwar häufiger konsumiert haben, möglicherweise zur Emotionsregulation insbesondere im Umgang mit depressiven oder angstassoziierten Symptomen, aber bei den einzelnen Konsumgelegenheiten weniger konsumiert haben, da soziale Aktivitäten wie Partys mit einem höheren Konsum wegfielen. Aufgrund ihres Designs als Querschnittserhebung können sowohl unsere Studie als auch die anderen Studien keine Aussage über die längerfristigen Veränderungen des Tabakkonsums machen, hierzu bedarf es zukünftig langfristiger Kohortenstudien, die zur besseren Vergleichbarkeit der Ergebnisse zwischen den verschiedenen Ländern länderübergreifend geplant werden sollten.

Möchte man die Änderungen im Alkoholkonsumverhalten der Raucherinnen und Raucher während des ersten Lockdowns im Rahmen der SARS-CoV-2-Pandemie in unserer Studie mit denen von Studienpopulationen aus anderen Ländern vergleichen, so steht man vor der Schwierigkeit, dass die meisten Studien Veränderungen im Alkoholkonsumverhalten während der SARS-CoV-2-Pandemie ausschließlich für die Gesamtheit der Studienpopulation aus der Allgemeinbevölkerung angeben und nicht explizit für die Subgruppe der Raucherinnen und Raucher. Eine Meta-Analyse solcher Studien mit Daten von 180 Studien aus 58 Ländern weltweit (Gesamtstichprobe n = 492.235) zeigte, dass die durchschnittliche mittlere Veränderung des Alkoholkonsums nicht signifikant war (Cohen‘s d = -0.01, p = .68); eine Meta-Analyse ergab jedoch bei 23 % der Teilnehmenden einen Konsumanstieg und 23 % eine Reduktion des Alkoholkonsums. Diese Veränderungen wurden durch das Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt und das Land moderiert. Signifikante Prädiktoren für einen erhöhten Alkoholkonsum waren kontextuelle Veränderungen (z. B. fehlende Kinderbetreuung, Einkommensverlust, Homeoffice), soziobiographische Unterschiede (weiblich, jung bis mittelalt oder schwarz) und psychische Begleiterkrankungen (z. B. Depression; Acuff, Strickland, Tucker & Murphy, 2022). Eine weitere Metaanalyse, die sich ausschließlich auf Querschnittserhebungen zu Veränderungen des Alkoholkonsums in der Allgemeinbevölkerung während der SARS-CoV-2-Pandemie in europäischen Ländern bezog, konnte zeigen, dass mehr Personen einen Rückgang als einen Anstieg ihres Alkoholkonsums während der Pandemie angaben (3.8 %, 95 % Konfidenzintervall [KI] 0.00-7.6 %). Auch bei der Trinkhäufigkeit (8.0 %, 95 % KI 2.7-13.2 %), der konsumierten Menge (12.2 %, 95 % KI 8.3-16.2 %) und dem starken episodischen Alkoholkonsum (17.7 %, 95 % KI 13.6-21.8 %) wurde häufiger ein Rückgang als eine Zunahme gefunden. Bei Personen mit bereits bestehendem hohen Alkoholkonsum bzw. einer Alkohol-Gebrauchsstörung scheinen sich die Muster des hohen Alkoholkonsums verfestigt oder intensiviert zu haben (Kilian et al., 2022). Eine französische Studie, die ähnlich wie unsere Studie die Veränderung des Alkoholkonsums bei Rauchern, in diesem Fall rauchenden Krankenhausmitarbeitenden erhob, fand, dass Krankenhausmitarbeitende, die während des Lockdowns vermehrt Tabak konsumierten, über erhöhte Traurigkeit (OR = 1.23, p < 0.001), Motivationsverlust (OR = 0.86, p < 0.05) und einen erhöhten Alkoholkonsum (OR = 3.12, p < 0. 001) klagten. Sie zeigten außerdem ein geringeres Einkommen (OR = 1.69, p < 0.05), waren eher Single (OR = 1.77, p < 0.001) und berichteten eine geringere körperliche Aktivität (OR = 0.36, p < 0.001; Mounir et al., 2021).

Bei der Interpretation der Ergebnisse aus anderen Ländern im Vergleich zu unseren Daten muss der Erhebungszeitraum der Studien als wichtiger Modulator berücksichtigt werden, da sich zum einen abhängig von diesem die geltenden Restriktionen deutlich unterschieden haben, zum anderen waren die Veränderungen im Alltagsleben für die Allgemeinbevölkerung gerade zu Beginn des ersten Lockdowns sehr ausgeprägt und könnten dadurch auch zu einer höheren Belastung mit Zunahme negativer Emotionen, depressiver Symptome und von Stress geführt haben, denen die Bürger versucht haben kurzeitig durch einen vermehrten Alkoholkonsum zu entfliehen. Des Weiteren muss man bei der Interpretation berücksichtigen, dass in verschiedenen Ländern unterschiedlich strenge Restriktionen von der Politik vorgegeben wurden. In Deutschland herrschten hierbei zunächst eher strikte Regeln und Verbote vor. Es zeigt sich beim Vergleich unserer Studiendaten mit den internationalen Vergleichsstudien, dass die Gruppe der Raucherinnen und Raucher den Alkoholkonsum im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung verhältnismäßig stark erhöht hat während der SARS-CoV-2-Pandemie. Die Prädiktoren, die einen erhöhten Alkoholkonsum begünstigen, scheinen sich hingegen in der Gruppe der Raucherinnen und Raucher nicht von denen der Allgemeinbevölkerung zu unterscheiden.

Bei der Interpretation unserer Befunde sollte man folgende Limitationen beachten: Unsere Befragung wurde als Querschnittserhebung durchgeführt, daher kann man anhand der Befunde keine Aussagen darüber treffen, ob die teilnehmenden Raucherinnen und Raucher ihr verändertes Tabak- und Alkoholkonsumverhalten nach Beendigung des Lockdowns bzw. nach Lockerung der Restriktionen dauerhaft beibehalten haben, oder ob sie wieder zu ihrem früheren Konsumverhalten zurückgekehrt sind. Um diese Frage klären zu können, sind Längsschnittstudien notwendig.

Weitere Limitationen resultieren aus der Erhebungsform der anonymen Online-Befragung, hierbei kann durch das sogenannte „snowball sampling“ (Weitergabe der Information zur Teilnahme an der Studie durch einzelne Mitglieder aus der Population über ihre persönlichen sozialen Netzwerke) die Repräsentativität der Erhebung eingeschränkt sein. Als Hinweis darauf könnte bei unserer Befragung gesehen werden, dass überdurchschnittlich viele weibliche Teilnehmerinnen mit einem relativ hohen Bildungsniveau an der Studie teilgenommen haben, wobei die Stichprobe mit über 900 Raucherinnen und Raucher groß ist und daher durchaus Rückschlüsse auf die Allgemeinbevölkerung zulässt. Aufgrund der umfangreichen Teilnahmeaufrufe auf verschiedenen medialen Kanälen und des sehr hohen Nutzungsgrades des Internets in allen Altersklassen der Allgemeinbevölkerung kann außerdem eine hohe Erreichbarkeit einer breiten Zielpopulation durch unsere Befragung angenommen werden. Die Stichprobenzusammensetzung ähnelt zudem der anderer internationaler Online-Befragungen zu diesem Themenfeld, wodurch eine gute Vergleichbarkeit unserer Ergebnisse mit den internationalen Daten gegeben ist. Da die Teilnahme an der Online-Befragung ohne Registrierung der IP-Adresse erfolgte, kann nicht ausgeschlossen werden, dass einzelne Teilnehmende mehrfach an der Befragung mitgemacht haben. Dies könnte sich bei den internationalen Vergleichsstudien ähnlich verhalten haben, da auch diese in der Regel eine anonyme Studienteilnahme ohne Aufzeichnung der IP-Adresse ermöglichten.

Zuletzt muss erwähnt werden, dass bei der Erhebung keine standardisierten Fragebögen zur Erfassung der Veränderungen des Tabak- und Alkoholkonsumverhaltens der Teilnehmenden inklusive des Ausmaßes der Konsumveränderungen sowie Biomarker zum Einsatz kamen, sondern ein eigens für diese Untersuchung entwickelter Selbstbeurteilungsfragebogen. Dieser erlaubte eine kombinierte Erfassung von Veränderungen des Alkohol- und Tabakkonsumverhaltens sowie des Ess-, Sport-, Medien-, Glücksspiel- und Kaufverhaltens und der soziodemographischen Lebensverhältnisse sowie der Einstellungen der Teilnehmenden zu der SARS-CoV-2-Pandemie in einer relativ kurzen Bearbeitungszeit. Hierdurch konnte ein großer Teilnehmerkreis in kurzer Zeit trotz der herrschenden Kontakt- und Reisebeschränkungen erreicht werden und die Befragungsdauer für die Teilnehmenden im vertretbaren Zeitrahmen gehalten werden. Die Integration von standardisierten Fragebögen zu Änderungen des Konsumverhaltens von Alkohol und Tabak bzw. zur Erfassung der Verhaltensänderungen hinsichtlich des Glückspiel- und Mediennutzungs- sowie Ess- und Sportverhaltens hätte die Bearbeitungszeit sehr stark verlängert mit der wahrscheinlichen Folge, dass nur ein relativ kleiner Anteil an überdurchschnittlich motivierten Teilnehmenden die Befragung komplett durchgeführt hätte. Dies hätte die Repräsentativität der Ergebnisse deutlich reduziert. Eine Erfassung von Biomarkern hätte eine deutschlandweite Befragung der Allgemeinbevölkerung aufgrund der zum Befragungszeitpunkt herrschenden Kontakt- und Reisebeschränkungen unmöglich gemacht.

Trotz dieser Limitationen legen unsere Ergebnisse nahe, dass gerade die Raucherinnen und Raucher eine Hochrisikogruppe für die Entwicklung einer Alkoholkonsumstörung infolge der SARS-CoV-2-Pandemie sein könnten. Gerade der kombinierte Konsum von Tabak und Alkohol prädestiniert darüber hinaus für die Entwicklung insbesondere kardio-vaskulärer und maligner Folgeerkrankungen (Rosoff et al., 2020; Weber et al., 2021; Yoo et al., 2022). Insbesondere Raucherinnen und Raucher sollten daher in den nächsten Jahren im Rahmen der medizinischen Versorgung intensiv hinsichtlich ihres Alkoholkonsums überwacht werden, um etwaige Konsumsteigerungen frühzeitig zu erkennen. Des Weiteren sollte das Alkoholkonsumverhalten der Raucherinnen und Raucher spezifisch untersucht werden.

Schlussfolgerungen für die Praxis

  1. 1.
    Während des Lockdowns 2020 im Rahmen der SARS-CoV-2-Pandemie kam es in der Allgemeinbevölkerung teilweise zu einer Erhöhung des Alkohol- und Tabakkonsums.
  2. 2.
    Raucherinnen und Raucher zeigten häufiger als Nichtraucherinnen und Nichtraucher einen vermehrten Alkoholkonsum während des Lockdowns 2020 im Rahmen der SARS-CoV-2-Pandemie.
  3. 3.
    Insbesondere Raucherinnen und Raucher mit einem erhöhten Stressempfinden steigerten ihren Alkoholkonsum während des Lockdowns 2020 im Rahmen der SARS-CoV-2-Pandemie.
  4. 4.
    Um die Entwicklung einer alkoholbezogenen Störung als Folge der SARS-CoV-2-Pandemie frühzeitig erkennen zu können, sollte der Alkoholkonsum bei Raucherinnen und Rauchern intensiv beobachtet und Veränderungen regelmäßig erfragt werden.

Literatur