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TBS-TK Rezension

Entwicklungstest für Kinder von 6 Monaten bis 6 Jahren (ET 6-6), 3. Auflage

Published Online:https://doi.org/10.1026/0033-3042/a000120

Allgemeine Informationen über den Test, Beschreibung des Tests und seiner diagnostischen Zielsetzung

Mit dem Entwicklungstest 6-6 soll der allgemeine Entwicklungsstand eines Kindes im Alter von 6 Monaten bis 6 Jahren als differenziertes Entwicklungsprofil abgebildet werden. Die Autoren wollen Entwicklungsdefizite und individuelle Stärken mithilfe der Ergebnisse aufzeigen und Entwicklungsprognosen begründen. Sie nutzen dazu sechs „inhaltlich begründete Beschreibungsdimensionen” (Körpermotorik, Handmotorik, kognitive Entwicklung, Sprachentwicklung, Sozialentwicklung, emotionale Entwicklung). Diese sind in zehn „empirisch begründeten Entwicklungsdimensionen und einem Nachzeichentest” operationalisiert (113 Aufgaben, 67 Fragebogenitems). Die individuelle Testung des Kindes erfolgt mit altersgerecht ausgewählten Aufgaben und wird durch die Befragung der Eltern ergänzt. Die Dauer der Testung wird mit etwa 12–20 (Säuglingsalter), 30–40 (Kleinkindalter) bzw. 40–50 Minuten (Vorschulalter) angegeben. Die relative Anzahl gelöster Items je Dimension wird im Entwicklungsprofil eingetragen.

Theoretische Grundlagen als Ausgangspunkt der Testkonstruktion

Als theoretische Grundlagen des Verfahrens werden sehr allgemeine Überlegungen zur Natur menschlicher Entwicklung expliziert. Neben Reifungstheorien und Lern- und kognitiven Theorien werden auch ökologische Ansätze der Entwicklung als lebenslangem Prozess herangezogen, aus denen sich allerdings die ausgewählten Dimensionen der Entwicklung nicht eindeutig ableiten lassen. Das herangezogene Ordnungsschema für Entwicklungsprozesse im frühen Kindesalter sind nicht näher bestimmbare Entwicklungsbahnen (als Basismerkmale), durch deren Ausdifferenzierung Fertigkeiten entstehen, die gemessen werden können. Die Testung zu einem Zeitpunkt stelle einen Querschnitt des „Entwicklungskegels” dar, den diese Entwicklungsbahnen bilden. Das Zusammenwirken der Entwicklungsbahnen sei vielfältig störbar und bilde typische Muster, die indikativ sowohl gesunde als auch auffällige Zustände repräsentieren. Normalität und Abweichung werden in Anlehnung an das Konzept der Entwicklungsmeilensteine definiert.

Für einzelne Altersabschnitte werden dabei jeweils unterschiedliche Dimensionen als entwicklungsrelevant betrachtet. Die Kombination verschiedener Inhalte bildet Entwicklung als qualitative Veränderung ab. Die Auswahl der Bereiche und Subtests erfolgte offenbar pragmatisch unter Rückbezug auf klassische entwicklungsdiagnostische Ansätze.

Objektivität

Zur Durchführung finden Anwender detaillierte Anweisungen im Manual und im Begleitheft. Das Material ist weitgehend, aber nicht vollständig standardisiert. Der Ablauf der Testung ist dem Versuchsleiter freigestellt, es werden jedoch Empfehlungen gegeben. Die Auswahl der

Aufgaben für jede Altersgruppe ist klar geregelt, allerdings lässt die Zuordnung des Kindes zur Altersgruppe gewisse Spielräume. Die Auswertung der kindlichen Reaktionen ist genau beschrieben, ebenso die Verrechnung der Einschätzungen (gelöst/nicht gelöst) und die Beurteilung der Nachzeichenaufgabe (Beispiele, Schablone). Es existieren keine Kennwerte zur Objektivität (auch nicht zur Auswertungsobjektivität), obwohl die Durchführung bei Entwicklungstests in der Regel situations- und versuchsleiterabhängig ist.

Normierung (Eichung)

Die Normierungsstichprobe ist gemessen an den Ansprüchen des Verfahrens eher klein. Sie wird in 12 Altersgruppen aufgeteilt (Abstände: bis 2 Jahre: 3 Monate; bis 4 Jahre: 6 Monate; danach 12 Monate). Die Stichprobe stammt aus drei verschiedenen Regionen (Bremen, Dortmund, Rostock), etwa 10% aus ländlichen Gebieten. Die Autoren geben an, dass ca. 10% der Kinder nach kinderärztlichen Angaben entwicklungsrelevante Befunde aufwiesen und ca. 22% nach elterlichen Angaben entwicklungsauffällig waren. Bei der Gewinnung der Stichprobe war jedoch beabsichtigt, keine Kinder mit diagnostizierten Entwicklungsauffälligkeiten aufzunehmen. Pro Altersbereich, für den gesonderte Normwerte angegeben werden, variiert die Stichprobe zwischen 34 und 94 (Median: 78) Versuchspersonen. Die Vergleichswerte liegen als Mittelwerte (mit Standardabweichung, Minimum, Maximum und Perzentilen) und relativierte Scores vor, Normen werden dementsprechend für grobe Prozentrangkategorien (5, 10, 25, 50, 75, 90, 95) angegeben, die als Perzentile bezeichnet werden. Weitere Angaben (z.B. Konfidenzintervalle) fehlen völlig. Trotz der kleinen Gesamtstichprobe pro Altersbereich werden geschlechtsspezifische Normwerte mitgeteilt.

Zuverlässigkeit (Reliabilität, Messgenauigkeit)

Da die Autoren nicht von „Skalen im testtheoretischen Sinne” (S. 46) ausgehen, legen sie keine Angaben zur Reliabilität vor. Die erfassten Entwicklungsdimensionen seien inhaltlich heterogen, so dass weder Trennschärfeindices noch interne Konsistenzen sinnvoll berechnet werden könnten. Allerdings finden sich im Abschnitt zur Validität interne Konsistenzen zu den kognitiven Skalen, die zwischen .05 (Gedächtnis) und .74 (Nachzeichnen) liegen. Angaben zur Retestreliabilität (Messwiederholung nach wenigen Tagen), die gerade bei heterogenen Merkmalen eine sinnvolle Überprüfung der Messgenauigkeit darstellen, fehlen. Man darf vermuten, dass dennoch zumindest teilweise Reliabilität gegeben ist.

Gültigkeit (Validität)

Wichtigster Validitätshinweis sind Befunde zu Mittelwertsunterschieden (ohne Effektstärken) zwischen gesunden und entwicklungsauffälligen Kindern (frühgeborene, Asthma-Kinder und Kinder mit Verhaltensauffälligkeiten). Diese finden sich in fast allen Entwicklungsdimensionen bei frühgeborenen Kindern. Während Beeinträchtigungen in motorischen und kognitiven Leistungen auch bei herzkranken Kindern festgestellt wurden, zeigen Asthma-Kinder zwar in Handmotorik geringere Leistungen, in Nachzeichnen (zu kognitivem Bereich gehörig) schneiden sie jedoch besser als Kontrollkinder ab. Kinder mit externalisierenden Störungen (ADHS, oppositionelles Trotzverhalten) unterscheiden sich von gesunden Kindern nicht negativ im motorischen, wohl jedoch im kognitiven, sozialen und emotionalen Entwicklungsbereich. Da keine spezifischen Vorhersagen über zu erwartende Beeinträchtigungen formuliert wurden, können die Ergebnisse nur ganz allgemein als Hinweise auf Risiken all dieser Erkrankungen für eine gesunde Entwicklung gedeutet werden, die sich auch in den Resultaten der ET 6-6 zeigen. Kriterienbezogene Validität wurde durch Vergleiche mit den Ergebnissen bewährter Testverfahren geprüft (z.B. K-ABC/nonverbale Skala mit Gesamtscore kognitive Entwicklung bei 4-Jährigen, SETK mit kognitiver und Sprachentwicklung bei 2-Jährigen; BSID Gesamtscore mit jeder Entwicklungsdimension im 6.–9. Monat). Die höchsten Koeffizienten liegen bei etwa .4 in Gruppen von 25 bis 60 Kindern. In Längsschnittstudien (1 bis 2 Jahre) mit unauffälligen Kindern konnten entgegen der eigenen Hypothese keine Vorhersagen über zukünftige Ergebnisse im ET 6-6 gemacht werden, was die Autoren mit Fluktuationen von Testleistungen durch die Variabilität normaler Entwicklung begründen, jedoch auch eine Folge von Reliabilitätsproblemen sein könnten. Die Skaleninterkorrelationen bei 2-Jährigen betrugen im Mittel .35 (Motorik, Sprache, Sozial).

Weitere Gütekriterien (Störanfälligkeit, Unverfälschbarkeit und Skalierung)

Alle Untersuchungen von Kleinkindern und damit auch die Ergebnisse der Testung sind störanfällig. Daher sind Angaben über die Folgen von möglichen Testbedingungen auf die erzielten Werte wichtig. Zwar werden Hinweise auf einzuhaltende Voraussetzungen gegeben (Allgemeine Hinweise zur Durchführung, Abschnitt 8.1), wünschenswert wären jedoch Angaben über Art und Umfang von Testleitertraining und Vorgehensweisen bei untypischen Testsituationen (Eingreifen der Eltern, mangelnde Motivierbarkeit des Kindes), was zur Erhöhung der Durchführungsobjektivität gerade bei der Untersuchung von sehr jungen Kindern beitragen dürfte. Die abschließende Beurteilung des Testverlaufs bietet hier einen ersten Ansatz, es bleibt aber im Ermessen des Testleiters, wie die Beobachtungen mit dem Testergebnis verbunden werden.

Abschlussbewertung/Empfehlung

Mit dem ET 6-6 liegt ein Verfahren mit relativ hoher Augenschein-Validität in der Wiener Tradition allgemeiner Entwicklungstests vor. Ohne Zweifel sind die eingesetzten Aufgaben und Materialien kindgemäß und in den bisher erfolgten zwei Überarbeitungen des Ursprungsverfahrens stetig verbessert. Dies betrifft auch die Durchführungs- und Auswertungsrichtlinien (z.B. Schablone für die Auswertung des Nachzeichentests, Ringheft mit „Hinweisen zur Testdurchführung”), was zur Objektivität des Verfahrens beiträgt. Dem Verfahren fehlt jedoch eine explizite theoretische Begründung ebenso wie eine solide empirisch-kritische, formative Evaluation bei der Erstellung des Verfahrens. Theoretisch handelt es sich beim ET 6-6 um zehn spezielle Entwicklungstests, von denen manchestärker als andere inhaltlich verbunden konzipiert werden (daher sechs Beschreibungsdimensionen). Die Autoren klassifizieren den ET 6-6 als „Inventar” (in Abgrenzung zu „Stufenleiterverfahren” und „Testbatterien”), das viele unterschiedliche Leistungen erfassen soll. Der diagnostische Nutzen einer solchen Inventarisierung ergibt sich aus dem Nachweis, dass die erfassten heterogenen Verhaltensweisen indikativ für Entwicklung in einem bestimmten Bereich sind. Nur dann kann das errechnete Profil eine sinnvolle Grundlage für die Beratung und Förderung und für Entwicklungsprognosen sein. Den berichteten Validierungsstudien sind solche Nachweise nur in Ansätzen zu entnehmen. Der ET 6-6 entspricht einem modular aufgebauten Screeningtest für mehr Entwicklungsaspekte als üblich, aber mit den (mess)theoretischen Schwächen dieser Verfahren.

Diese Testrezension wurde im Auftrag des Testkuratoriums der Föderation deutscher Psychologenvereinigungen (DGPs und BDP) gemäß den TBS-TK-Richtlinien (Testkuratorium, 2009, 2010) erstellt.

Testinformationen

Petermann, F., Stein, I. A. & Macha, T. (2008). Entwicklungstest für Kinder von 6 Monaten bis 6 Jahren (ET 6-6), 3. Auflage. Frankfurt: Pearson.

Bezugsquelle: Pearson Assessment & Information GmbH, Baseler Str. 35–37, 60329 Frankfurt/M.

Test komplett, 1035 €. Handbuch, 23 €. Protokollbogen bis 9, 12, 15, 18, 21, 24, 30, 36, 42, 48, 60 oder 72 Monate (jeweils 10 Stück), je 11,50 €. Hilfe zur Testdurchführung, 18 €. DVD, 27 € (Preise zzgl. UST).

Bitte zitieren Sie diesen Artikel wie folgt:

Hasselhorn, M. & Margraf-Stiksrud, J. (2011). TBS-TK Rezension: „Entwicklungstest für Kinder von 6 Monaten bis 6 Jahren (ET 6-6), 3. Auflage”. Psychologische Rundschau, 63, 141–143.