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TBS-TK Rezension

Fragebogen zur Erhebung der Emotionsregulation bei Kindern und Jugendlichen (FEEL-KJ)

Published Online:https://doi.org/10.1026/0033-3042/a000313

Allgemeine Informationen

Der FEEL-KJ verfolgt das Ziel, die Adaptivität beziehungsweise Maladaptivität des Emotionsregulationsverhaltens bei deutschsprachigen Kindern und Jugendlichen im Alter von zehn bis 20 Jahren zu ermitteln und Risiken für die Entwicklung psychopathologischer Auffälligkeit zu identifizieren, Ressourcenprofile zu erstellen oder als Indikator für Interventions- beziehungsweise Therapieverläufe zu dienen. Der FEEL-KJ erfasst 15 habituelle Emotionsregulationsstrategien für die Emotionen „Angst“, „Trauer“ und „Wut“, die auf Basis ihrer Beziehungen zu Wohlbefindensindikatoren sowohl emotionsspezifisch als auch emotionsübergreifend zu adaptiven beziehungsweise maladaptiven Sekundärskalen zusammengefasst werden. Adaptive Strategien umfassen problemorientiertes Handeln, Zerstreuung, Stimmung anheben, akzeptieren, vergessen, umbewerten und kognitives Problemlösen. Maladaptive Strategien beinhalten Aufgeben, aggressives Verhalten, Rückzug, Selbstabwertung und Perseveration. Das größtenteils übersichtlich und anwendungsfreundlich gestaltete Testmanual weist jedoch Einschränkungen in Bezug auf die Darstellung empirischer Befunde auf, die zum Teil nur umschrieben oder unvollständig präsentiert werden. Der Fragebogen kann als Individual- oder Gruppentest durchgeführt werden. Die Durchführung nimmt 20 bis 30 Minuten; die Auswertung und Interpretation rund 15 Minuten in Anspruch.

Theoretische Grundlagen

Der FEEL-KJ verbindet bewährte Elemente der Emotions- und Entwicklungstheorien mit Ansätzen der Bewältigungs- und Stressforschung. Die mehrdimensionale Erfassung habitueller Emotionsregulationsregulationsstrategien in Abhängigkeit spezifischer Emotionen basiert auf der grundlegenden Annahme, dass deren Regulation sowohl Gemeinsamkeiten (Emotionskonstanz) als auch Unterschiede (Emotionsspezifität) aufweist. Diese Annahme wird jedoch im theoretischen Teil nicht explizit dargelegt, sondern kann nur aus der Abfolge der berichteten Analysen erschlossen werden. Demnach sollte die Struktur der Regulationsstrategien (Faktorzahl und Ladungsmuster) über die Emotionen hinweg konstant sein und sich nur quantitative emotionsspezifische Unterschiede in den einzelnen Regulationsstrategien zeigen. Die Autoren gehen von einer trait-orientierten Perspektive der Emotionsregulation aus und unterstellen somit, dass die konkrete Emotionsbewältigung relativ situationsunabhängig erfolgt und dass Individuen folglich zeit- und situationsstabile Muster der Emotionsbewältigung aufweisen. Aus entwicklungspsychologischer Sicht könnte diese doch sehr persönlichkeitspsychologisch geprägte Annahme durchaus kritisiert werden. Eine adaptive Bewältigung von Herausforderungen erfordert im Alltag oft die Berücksichtigung der spezifischen Merkmale der Situation. Die methodische Konstruktion orientiert sich an der klassischen Testtheorie.

Objektivität

Durchführungs- und Auswertungsobjektivität sind durch standardisierte Instruktionen, Auswertungsschablonen und übersichtliche Umrechnungstabellen weitgehend gegeben. Die Angaben zum Umgang mit unbearbeiteten Items beinhalten optionale Vorgehensweisen und lassen einen Handlungsspielraum zu. Trotz Normierung ist die Interpretationsobjektivität nur teilweise gegeben. Es liegen beispielsweise keine Hinweise vor, wie über- beziehungsweise unterdurchschnittliche Werte in beiden emotionsübergreifenden Sekundärskalen (die nur schwach korreliert sind und als voneinander unabhängig angesehen werden) in Bezug auf die Adaptivität/Maladaptivität des Regulationsverhaltens zu interpretieren sind beziehungsweise wann von einer Interpretation emotionsübergreifender Sekundärskalenwerte Abstand zu nehmen ist. Die Hinweise sind teilweise vage (z. B. „bei Werten im oberen durchschnittlichen Bereich“) oder nur bedingt umsetzbar (z. B. kann nicht auf emotionsspezifische Einzelstrategienormwerte zurückgegriffen werden).

Normierung

Die Normierung (T-Werte, T-Wert-Bänder und Prozentränge) erfolgte an einer Gesamtstichprobe von N = 780 Schülern (58 % Mädchen, 42 % Jungen) aus verschiedenen Schulformen im Alter zwischen 10,0 und 19,1 Jahren, deren Daten zwischen 1999 und 2003 erhoben wurden. Die Repräsentativität der Eichstichprobe wird im Hinblick auf relevante Populationsmerkmale nachvollziehbar dargestellt. Auf alters-, bildungs- und geschlechtsgetrennte Normen wird – bis auf eine Strategieskala – verzichtet, da laut Angaben der Autoren, in diversen Varianzanalysen keine der Variablen „Alter“, „Geschlecht“, „Interaktion Alter x Geschlecht“, „Klassenstufe“ und „Schulform“ mehr als zwei Prozent der Varianz in den emotionsübergreifenden Strategieskalen erklären konnte. Auf eine Überprüfung etwaiger alters-, bildungs- oder geschlechtsbezogener Unterschiede in den emotionsspezifischen Sekundärskalen wird nicht eingegangen. Da die vorliegenden Normen älter als zehn Jahre sind, wäre eine Aktualisierung wünschenswert.

Zuverlässigkeit

Die internen Konsistenzen (Cronbachs Alpha) für die 15 emotionsübergreifenden Emotionsregulationsstrategien liegen zwischen ˘ = .69 und ˘ = .91 und sind (insbesondere aufgrund von nur jeweils sechs Items) auf den ersten Blick insgesamt als gut zu bewerten. Da für die drei interessierenden Emotionen jedoch ein identischer Item-Stamm verwendet wurde, sollten mögliche Itemstammeffekte auf die Höhe der Reliabilität im Rahmen von konfirmatorischen Faktorenanalysen (CFA) modelliert und überprüft werden (vgl. Green & Hershberger, 2000). Die Sekundärskala „adaptive Strategien“ weist emotionsübergreifend mit ˘ = .93 sehr gute; beziehungsweise emotionsspezifisch mit ˘ = .88 für „Trauer“, .83 für „Angst“ und .83 für „Wut“ gute interne Konsistenzen auf. Die Sekundärskala „maladaptive Strategien“ weist emotionsübergreifend mit ˘ = .82 gute; beziehungsweise emotionsspezifisch („Trauer“ = .66; Angst = „.59“; „Wut“ = .58) eher schwache interne Konsistenzen auf. Dies legt nahe, dass hier relativ heterogene Emotionsregulationsstrategien zusammengefasst werden. Die Retestreliabilitäten (die für die beiden angemessenen Zeitintervalle von sechs Wochen sowie von acht Monaten ermittelt worden sind) können generell als zufriedenstellend bis gut bewertet werden.

Gültigkeit

Die Inhaltsvalidität ist für die meisten Items gegeben. Zu überprüfen sind allerdings die Items „6“ und „18“, die unterschiedlichen Strategien zugeordnet sind, sich aber semantisch kaum unterscheiden. Hinsichtlich der Befunde zur Konstruktvalidität ist anzumerken, dass die Durchführung der explorativen Faktorenanalyse (EFA) nicht den aktuellen Standards entspricht. Die Autoren weichen ohne Begründung stark von den Best-Practice Empfehlungen bezüglich der Methode der Faktorenextraktion, Bestimmung Faktorenanzahl und der Faktorenrotation ab, sodass die Befunde nur bedingt als Belege der Konstruktvalidität angesehen werden können (s. Costello & Osborne, 2005; Fabrigar et al., 1999). Zudem wird nicht diskutiert, warum die Skalen zu maladaptiven Strategien so niedrig korrelieren. Konfirmatorische Faktorenanalyse (CFA), die auch Itemstammeffekte und die Emotionsspezifität modellieren, wären angemessener. Relevante Gruppenunterschiede, sowie die Kriteriumsvalidität sind durch größtenteils erwartungskonforme Befunde weitgehend belegt. Konvergente und divergente Validität sowie Vorhersagevalidität sind noch nicht hinreichend belegt.

Weitere Gütekriterien

Wie alle Fragebogenverfahren ist auch der FEEL-KJ grundsätzlich verfälschbar. Der sozialen Erwünschtheit wird jedoch in der Testinstruktion entgegengewirkt und die Autoren geben Hinweise zur Störanfälligkeit und Verfälschbarkeit. Die Nebengütekriterien Skalierung und Fairness wurden bisher nicht überprüft. Eine solche Überprüfung könnte durch IRT-Analysen, Mehr-Gruppen-CFAs, oder Mehr-Gruppen ECFAs erfolgen. Kontrovers diskutiert wurde von den Rezensenten die Frage der Klarheit; beziehungsweise der semantischen Nähe der Bezeichnung der Antwortkategorien; das heißt die Frage, ob alle Kinder die gewünschte Ordnung der Antwortkategorien als solche wahrnehmen.

Abschlussbewertung/Empfehlung

Der FEEL-KJ ist das erste deutschsprachige Verfahren, welches eine Erfassung habitueller Emotionsregulationsstrategien bei Kindern und Jugendlichen ermöglicht. Aufgrund ihrer funktionalen beziehungsweise dysfunktionalen Beziehungen mit dem subjektiven Wohlbefinden lassen sich aus den individuellen Emotionsregulationspräferenzen Hinweise auf mögliche Risiken beziehungsweise Ressourcen des dispositionellen Emotionsregulationsverhaltens ableiten, die als wertvolle Ergänzungen für ein relativ großes Spektrum an unterschiedlichen diagnostischen Fragestellungen dienen. Aus einer multimethodalen Perspektive ist allerdings dringend zu empfehlen, im diagnostischen Prozess nebst Fragebogen weitere Informationsquellen beizuziehen. Die Autoren gehen von einer trait-orientierten Emotionsregulation aus und verfolgen das Ziel, habituelle Bewältigungsstrategien situationsunabhängig zu erfassen. Die Vorstellung kontextfreier Kriterien für eine wirksame Regulation könnte aus einer situationistisch-ökologischen Perspektive durchaus auch kritisch hinterfragt werden. Aus dieser Sicht ist adaptives Handeln ein auf die spezifischen Merkmale der (sozialen) Situation abgestimmtes Handeln. Ein aus entwicklungspsychologischer Sicht durchaus überraschender Befund ist, dass sich über den Entwicklungszeitraum von zehn bis 20 Jahren bei den Emotionsregulationsstrategien mit Ausnahme der Strategie „Suche nach sozialer Unterstützung“ keine Alterseffekte zeigen. Für die weitere Entwicklung des Verfahrens ist es entscheidend, die Verwendung semantisch sehr ähnlicher Items, die unterschiedlichen Subskalen zugeordnet werden zu überprüfen. Verbesserungsmöglichkeiten bestehen auch in Bezug auf die Konstruktvalidität. Hier wäre eine CFA Modellierung zu empfehlen, mit deren Hilfe auch Fragen der Emotionsspezifität der Regulationsstrategien genauer untersucht werden könnten. Aktuell findet dieses Thema keine hinreichende Berücksichtigung.

Tabelle 1

Diese Testrezension wurde im Auftrag des Diagnostik- und Testkuratoriums der Föderation deutscher Psychologenvereinigungen (DGPs und BDP) gemäß den TBS-TK-Richtlinien (Testkuratorium, 2009, 2010) erstellt.

Testkuratorium. (2009). TBS-TK. Testbeurteilungssystem des Testkuratoriums der Föderation Deutscher Psychologenvereinigungen. Revidierte Fassung vom 09. September 2009. Report Psychologie, 34, 470 – 478.

Testkuratorium. (2010). TBS-TK. Testbeurteilungssystem des Testkuratoriums der Föderation Deutscher Psychologenvereinigungen. Revidierte Fassung vom 09. September 2009. Psychologische Rundschau, 61, 52 – 56.

Testinformationen

Prof. Dr. Alexander Grob, Dr. Carola Smolenski: Fragebogen zur Erhebung der Emotionsregulation bei Kindern und Jugendlichen (Feel-KJ)

Bezugsquelle: Hogrefe AG, Länggassstr. 76,Postfach, 3000 Bern 9, Schweiz, T +41 (0) 31 300 45 00, F +41 (0) 31 300 45 90, E , Preis: 96 Euro

Bitte zitieren Sie diesen Artikel wie folgt: Freudenthaler, H. H. & Wettstein, A. (2016). TBS-TK Rezension: Fragebogen zur Erhebung der Emotionsregulation bei Kindern und Jugendlichen (Feel-KJ). Psychologische Rundschau, 67, 74 – 77.

Literatur

  • Costello, A. B. & Osborne, J. W. (2005). Best practices in exploratory factor analysis.: Four recommendations for getting the most from your analyses. Practical Assessment, Research & Evaluation, 10, 1 – 9. First citation in articleGoogle Scholar

  • Fabrigar, L. R., Wegener, D. T., MacCallum, R. C. & Strahan, E. J. (1999). Evaluating the use of exploratory factor analysis in psychological research. Psychological Methods, 4, 272 – 299. First citation in articleCrossrefGoogle Scholar

  • Green, S. B. & Hershberger, S. L. (2000). Correlated errors in true score models and their effect on coefficient alpha. Structural Equation Modeling, 7, 251 – 270. First citation in articleCrossrefGoogle Scholar