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Published Online:https://doi.org/10.1026/0033-3042/a000415

Der Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Psychologie (DGPs) hat im September 2016 Empfehlungen zum Umgang mit Forschungsdaten im Fach Psychologie verabschiedet. Der Verabschiedung dieser Empfehlungen ging ein umfassender Diskussionsprozess innerhalb der Mitgliederschaft der DGPs voraus: ein erster Entwurf wurde bereits Ende 2015 erarbeitet und war in der Folge Gegenstand einer lebhaften und konstruktiven Online-Diskussion auf einem eigens eingerichteten Forum im internen Mitgliederbereich der DGPs-Homepage. Der Entwurf wurde auch dem DFG-Fachkollegium Psychologie, den Jungmitgliedervertreterinnen und -vertretern der DGPs sowie den Sprecherinnen und Sprechern der DGPs-Fachgruppen zur Verfügung gestellt mit der Bitte um Rückmeldungen. Eine systematische Sichtung all dieser Rückmeldungen führte im April 2016 zu einer grundlegenden Überarbeitung des Dokuments. Dieses wurde dann im Juli 2016 anlässlich eines Treffens in Frankfurt am Main mit rund 20 Mitgliedern, die sich an der Online-Diskussion beteiligt hatten, noch einmal ausführlich diskutiert. Nach einer letzten Überarbeitungsrunde innerhalb des DGPs-Vorstandes wurden die Empfehlungen dann am 17. 09. 2016 final verabschiedet, auf der Mitgliederversammlung der DGPs am 21. 09. 2017 in Leipzig vorgestellt und dann in deutscher1 und englischer2 Sprache auf der Homepage der DGPs sowie schließlich in der Psychologischen Rundschau veröffentlicht (Schönbrodt, Gollwitzer & Abele-Brehm, 2017).

Die Psychologie gehörte seinerzeit zu den ersten Disziplinen, die den fachinternen Diskussionsprozess um die DFG-Leitlinien zum Umgang mit Forschungsdaten umfassend und zügig vorangebracht hatten. Mittlerweile liegen eine Reihe weiterer Empfehlungen, Richtlinien und Memoranden vor3, die zum Teil disziplinspezifischer Natur sind (und sich auf die Literaturwissenschaft, die Erziehungswissenschaft oder die Biodiversitätsforschung beziehen), zum Teil aber auch disziplinübergreifende Relevanz besitzen (wie etwa die Empfehlungen des Rates für Sozial- und Wirtschaftsdaten4). Die Qualität und Effizienz des Diskussionsprozesses, der innerhalb der Psychologie stattgefunden und schließlich zu den verabschiedeten Empfehlungen geführt hat, wird jedoch nach wie vor als vorbildhaft eingeschätzt. So lobt der Wissenschaftsrat in seinem Abschlussbericht5 zu den „Perspektiven der Psychologie in Deutschland“ vom 26. 01. 2018 ausdrücklich, wie rasch und intensiv sich die psychologische Fachgemeinschaft in Deutschland mit den Hintergründen der „Replikationskrise“ befasst und erste Konsequenzen gezogen hat; er ermutigt die Fachgemeinschaft, die Diskussion konsequent fortzuführen und die Empfehlungen zum Datenmanagement weiterzuentwickeln.

Der breite Diskussionsprozess war wichtig und er hat gezeigt, wie komplex das Thema Forschungsdatenmanagement ist. Will man einerseits die Chancen einer offenen und transparenten Wissenschaft, die belastbare und replizierbare Befunde erbringt, nutzen und andererseits die Risiken, die mit der Bereitstellung von Daten verbunden sind, minimieren, bewegt man sich notwendigerweise in einem Spannungsfeld ‒ genauer gesagt, in drei unterschiedlichen Spannungsfeldern:

  1. 1.
    dem nachvollziehbaren Recht der Öffentlichkeit an den (von ihr mitfinanzierten) Daten einerseits und den schützenswerten Rechten der Datenquellen (z. B. dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung und Datenschutz) andererseits,
  2. 2.
    der Chance eines höheren Erkenntnisgewinns durch eine optimale (d. h. unbeschränkte und langfristige) Nutzung von Daten durch Dritte einerseits und den berechtigten Eigeninteressen derjenigen, die diese Daten einmal erhoben haben, andererseits sowie
  3. 3.
    dem Erfordernis, wissenschaftliche Ergebnisse auch im Nachhinein auf ihre Belastbarkeit und Reproduzierbarkeit hin prüfen zu können einerseits und dem Bedürfnis der Originalautorinnen und -autoren, sich gegen Rufschädigungen und Diffamierungskampagnen abzusichern, andererseits.

Die DGPs-Empfehlungen thematisieren diese Spannungsfelder und schlagen Lösungsmöglichkeiten für die aus ihnen entstehenden Handlungsdilemmata vor. Dabei sind die Empfehlungen getragen von der Auffassung, dass eine Maximierung der Chancen und eine Minimierung der Risiken der Datenbereitstellung und -nachnutzung nur unter der Voraussetzung möglich ist, dass alle Beteiligten dasselbe Motiv haben: Erkenntnisse gewinnen, die belastbar und reproduzierbar sind. Nur wenn es eine Kultur des gegenseitigen Vertrauens, der gegenseitigen Wertschätzung, aber auch der Bereitschaft, Fehler einzugestehen, unter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern gibt, kann „Open Science“ gelingen und gedeihen.

Obwohl die DGPs-Empfehlungen vergleichsweise umfassend sind, gibt es naturgemäß eine Reihe von Fragen, die bislang noch nicht abschließend geklärt sind. Schon deshalb ist es nötig, die DGPs-Empfehlungen konstant auf ihre Eignung und Praxistauglichkeit hin zu überprüfen und ggf. anzupassen. So ist in den Empfehlungen selbst die Rede davon, dass sie nach fünf Jahren evaluiert und ggf. überarbeitet werden sollen. Eine solche Überarbeitung stünde also spätestens Ende 2021 an. Jetzt, etwa zwei Jahre nach ihrer Verabschiedung durch den DGPs-Vorstand, ist also ein guter Zeitpunkt, um eine Zwischenbilanz zu ziehen. Diesem Ziel dient der vorliegende Beitrag.

Neue Entwicklungen

Nicht nur in der Psychologie, sondern auch in anderen Disziplinen, Fachgesellschaften, Förderorganisationen und Fachzeitschriften werden die Themen Datenmanagement, Datenbereitstellung und Datennachnutzung intensiv diskutiert. An vielen Stellen ist zu beobachten, dass die Bereitstellung von Daten ‒ ganz im Sinne eines „Open Science“-Gedankens ‒ mehr und mehr zur Norm wird, und zwar nicht nur zu einer deskriptiven, sondern auch zu einer präskriptiven Norm. Mindestens 20 psychologische oder fachübergreifende Fachzeitschriften verlangen bereits jetzt, dass die Daten, auf denen ein publizierter empirischer Artikel basiert, verfügbar sind; oder sie verlangen eine publizierte Erklärung, falls eine solche Bereitstellung ggf. nicht möglich ist, etwa weil Datenschutzerwägungen dagegen sprechen. Mehr und mehr internationale Förderorganisationen, darunter der Wellcome Trust, der Schweizerische Nationalfonds (SNF) oder die US-amerikanischen National Institutes of Health (NIH) verlangen eine langfristige Speicherung und Veröffentlichung erhobener Daten und machen diesbezügliche Aussagen von Antragstellenden zum Kriterium bei der Förderentscheidung bzw. bei der Evaluation des Abschlussberichts. Auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft verlangt, dass „…Forschungsdaten so zeitnah wie möglich verfügbar gemacht werden“ sollten, sofern keine Rechte Dritter dadurch gefährdet oder verletzt werden, und dass die bereitgestellten Daten „…dabei in einer Verarbeitungsstufe (Rohdaten oder bereits weiter strukturierte Daten) zugänglich sein [sollten], die eine sinnvolle Nach- und Weiternutzung durch Dritte ermöglicht.“6

Schon lange gibt es ‒ sowohl bei Einzelanträgen als auch bei koordinierten Programmen ‒ einen diesbezüglichen Abschnitt in den DFG-Merkblättern und den Leitfäden für die Antragstellung („Umgang mit den im Projekt erzielten Forschungsdaten“). Eine DFG-interne Auswertung zeigt, dass die Aussagen, die Antragstellende in der Vergangenheit zu diesem Abschnitt in ihren Anträgen gemacht haben, oft recht unverbindlich ausgefallen sind: Von 275 gesichteten Anträgen, die im Jahr 2016 im Einzelverfahren bei den Fachkollegien der Fächer Sprachwissenschaften, Erziehungswissenschaft und Bildungsforschung, Psychologie, Sozialwissenschaften und Wirtschaftswissenschaften eingereicht wurden, haben etwa die Hälfte aller Antragstellenden überhaupt Aussagen zur Archivierung von Daten gemacht (in der Psychologie waren es 56 %); weniger als die Hälfte aller Antragstellenden hat die Möglichkeit einer Datennachnutzung angesprochen, und knapp ein Viertel machte unter dem Punkt „Umgang mit den Forschungsdaten“ gar keine Angaben (Zentarra, 2018).

Diese Situation muss und wird sich mittelfristig ändern. Die Bedeutung, die die DFG einer sorgfältigen Planung des Forschungsdatenmanagements und einer sinnvollen Bereitstellung und Nachnutzbarkeit erhobener Daten inzwischen gibt, wird unter anderem an den auf der DFG-Homepage zur Verfügung gestellten Informationen und Leitlinien deutlich. Bei einem interdisziplinären Rundgespräch zum Thema Forschungsdatenmanagement, zu der die DFG-Geschäftsstelle im Februar 2018 nach Berlin eingeladen hatte, bestand unter den Anwesenden breiter Konsens dahingehend, dass Antragstellende in Zukunft eindeutiger, präziser und verbindlicher darlegen sollen, welche der aus einem DFG-Projekt entstehenden Forschungsdaten für andere Forschungskontexte relevant sind und in welcher Weise diese Daten anderen Forschenden zur Verfügung gestellt werden können. In diesem Zusammenhang heißt auf der DFG-Homepage7 wörtlich:

„[…]. Dabei sollten fachspezifisch angemessene Konzepte und Überlegungen für die Qualitätssicherung, für den Umgang mit und die langfristige Sicherung der Forschungsdaten zugrunde gelegt werden. Die einschlägigen Erläuterungen müssen Informationen zu Datentypen, falls vorhanden zu disziplinspezifischen Standards und zur Wahl geeigneter Repositorien enthalten, sofern diese für ein bestimmtes Fachgebiet oder bestimmte Datentypen vorhanden sind. Zusätzlich werden Angaben zu ggf. betroffenen Rechten Dritter sowie erste Planungen zum zeitlichen Rahmen der Datenveröffentlichung erbeten.“

In der Vergangenheit waren Förderentscheidungen nicht wesentlich davon abhängig, wie aussagekräftig die Aussagen von Antragstellenden in Bezug auf das Thema Datenmanagement und Datenbereitstellung waren. Es ist jedoch damit zu rechnen, dass die Hinweise für die Begutachtung von Förderanträgen in dieser Hinsicht präzisiert werden. Schon jetzt heißt es auf der DFG-Homepage, „…dass sich Antragstellende erkennbar mit der Frage auseinandersetzen [müssen], ob im Projekt relevante und nachnutzbare Forschungsdaten entstehen und falls ja, welche fachspezifischen Repositorien für die längerfristige Aufbewahrung dieser Forschungsdaten genutzt werden können.“ Relevant in diesem Zusammenhang ist auch die Information, dass für die Aufbereitung von Projektdaten zur Nachnutzung schon jetzt Mittel beantragt werden können, darunter personelle Aufwände für die Aufbereitung oder den Transfer von Daten (bei der allgemeinen Kalkulation der Personalressourcen), sowie Nutzungsgebühren, Mitgliedsbeiträge oder andere Kosten, die bei der Nutzung entsprechender Infrastrukturen anfallen (unter der Rubrik „Sonstige Kosten“).

Ergebnisse einer Umfrage unter DGPs-Mitgliedern

Die DFG legt Antragstellenden nahe, auf eventuell existierende disziplinspezifische Regelungen beim Datenmanagement und bei der Datenbereitstellung in ihrem Antrag zu verweisen. In der Psychologie bedeutet dies de facto einen Verweis auf die DGPs-Empfehlungen. Hierzu müssen diese Empfehlungen aber hinreichend bekannt sein, und sie müssen von den Antragstellenden als sinnvoll und hilfreich empfunden werden. In welchem Ausmaß dies der Fall ist, war Gegenstand einer Umfrage, die die DGPs unter allen Mitgliedern Ende des Jahres 2017 durchgeführt hatte. Die Umfrage wurde von der DGPs-Task Force „Datenmanagement“ (Andrea Abele-Brehm, Mario Gollwitzer, Felix Schönbrodt) in Zusammenarbeit mit der School of Management der TU München (Ulf Steinberg) und dem ZPID in Trier (Michael Bosnjak) erarbeitet und durchgeführt. Eine Einladungsmail wurde im November 2017 an alle DGPs-Mitglieder mit bekannter Emailadresse (4.121 Personen; davon etwa 150 Emails ungültig) verschickt, von denen 666 Personen den Online-Fragebogen auszufüllen begannen. Auswertbare Daten liegen von (maximal) 337 Personen vor. Damit ist die Stichprobengröße keineswegs geeignet, das Meinungsbild in der DGPs-Mitgliedschaft repräsentativ abzubilden. Gleichwohl liefern die Ergebnisse erste Hinweise darauf, in welchem Ausmaß die DGPs-Empfehlungen zum Datenmanagement als hilfreich und sinnvoll erlebt werden und warum dies eventuell nicht der Fall ist. Die Verteilung der beiden soziodemografischen Variablen Lebensalter und Karrierestufe entsprach in der finalen Stichprobe weitgehend der der Population der DGPs-Mitglieder. Weitere Informationen und Befunde werden in einem gesonderten Beitrag berichtet (Abele-Brehm, Gollwitzer, Steinberg & Schönbrodt, 2018). Die Rohdaten und das Codebook sind in anonymisierter Form öffentlich einsehbar (Steinberg, Abele-Brehm, Gollwitzer & Schönbrodt, 2018).

Von den Befragten antworteten 94 % mit „ja“ auf die Frage, ob sie die DGPs-Empfehlungen sinnvoll finden; 81 % antworteten mit „ja“ auf die Frage, ob sie es gut fänden, wenn möglichst viele wissenschaftlich arbeitende Psychologinnen und Psychologen die DGPs-Empfehlungen auch anwenden würden. Von größerer Bedeutung waren die Antworten auf die Frage nach der Befürwortung der in den Empfehlungen differenzierten „Datenbereitstellung vom Typ 1“ (also die Bereitstellung von Daten, die Gegenstand eines publizierten Artikels sind) und der „Datenbereitstellung vom Typ 2“ (also die Bereitstellung von Daten, die ‒ unabhängig von einer Publikation ‒ im Rahmen von drittmittelfinanzierten Forschungsprojekten erhoben werden). Während die Befragten die Typ 1-Bereitstellung mit großer Mehrheit befürworteten (75 %) und sich ‒ wenn auch mit kleinerer Mehrheit ‒ dafür aussprachen, dass Förderorganisationen die Typ 1-Bereitstellung obligatorisch machen (60 %), waren die Meinungen bezüglich der Typ 2-Bereitstellung eher geteilt: 42 % waren dafür, 39 % dagegen, 20 % waren unentschieden. Eine Verpflichtung seitens der Förderorganisationen, alle Projektdaten zu veröffentlichen, lehnten 48 % ab. Die Auswertung zeigt, dass es in Bezug auf die Typ 2-Bereitstellung unter den Befragten größere Vorbehalte gibt als in Bezug auf die Typ 1-Bereitstellung. Die Auswertung der offenen Antworten zu diesem Thema (N = 105) zeigte, dass es bei der Typ 2-Bereitstellung die Sorge gibt, dass andere „zu leicht“ von den selbst erhobenen Daten profitieren könnten, wenn sie einmal verfügbar sind, und dass eine Bereitstellung dieser Daten möglicherweise mit Datenschutzrechten konfligieren könnte. In diesen Antworten wurde das soziale Dilemma, in dem sich Forschende befinden, wenn sie ihre Daten (unter Umständen mit großem Aufwand) aufbereiten und verfügbar machen, deutlich. Dies impliziert, dass es einer Schaffung entsprechender Anreiz- (und eventuell auch Sanktions–)Strukturen bedarf, um das Dilemma zu lösen.

Es wurde des Weiteren danach gefragt, wie verständlich (im Sinne von Eindeutigkeit und Widerspruchsfreiheit) und wie nützlich (im Sinne einer Qualitätssicherung und -verbesserung psychologischer Forschung) die Befragten die DGPs-Empfehlungen halten. Hier fanden sich durchweg positive Einschätzungen: Die große Mehrheit hielt insbesondere die Definition von „Primärdaten“ (94 %), die Differenzierung zwischen Typ 1- und Typ 2-Bereitstellung (89 %), die Spezifikation der Rechte und Pflichten der Datenbereitstellenden (76 %) und der Datennachnutzenden (69 %) sowie die Vorschläge eines Embargos im Rahmen der Typ 2-Bereitstellung (71 %) für verständlich (siehe Abbildung 1).

Abbildung 1 Verteilung der relativen Häufigkeiten bei den Antworten auf die Frage nach der Verständlichkeit der Aspekte, die in den DGPs-Empfehlungen thematisiert werden (N = 316).

Auch bei der Einschätzung der Nützlichkeit im Hinblick auf die Qualität psychologischer Forschung zeigt sich ein durchweg positives Bild, wie Abbildung 2 zeigt.

Abbildung 2 Verteilung der relativen Häufigkeiten bei den Antworten auf die Frage nach der Nützlichkeit der Aspekte, die in den DGPs-Empfehlungen thematisiert werden (N = 316).

Zusammengefasst zeigen die Ergebnisse dieser Befragung, dass wir mit den vorliegenden Empfehlungen auf einem richtigen Weg sind. Insbesondere die Typ 1-Bereitstellung wird von den Befragten als sinnvoll und nützlich angesehen. Mittelfristig wird es zur Norm werden, dass man als Forschender zusammen mit einem publizierten Artikel auch die dazugehörigen Daten in angemessener Form bereitstellt. Das Profil der Zustimmungs- und Ablehnungshäufigkeiten, das in den Abbildungen 1 und 2 zu sehen ist, und die qualitative Auswertung der offenen Antworten zum Themenkomplex „Verständlichkeit“ und „Nützlichkeit“ legen aber auch nahe, dass sich die Befragten in Bezug auf die Definition eines „vertrauenswürdigen Repositoriums“, auf die Ausführungen zu Datenschutz und Urheberrecht sowie auf die Vorschläge zur Regelung von Koautorenschaften noch eindeutigere und verbindlichere Regelungen wünschen. So wurde häufig die Frage gestellt, ob Datenbereitstellende die Möglichkeit hätten, eine nicht angebotene Koautorenschaft durch Nachnutzende anzumahnen oder ggf. zu sanktionieren. Diese Möglichkeit ist in den Empfehlungen nicht vorgesehen. Die Sorge, die hinter dieser Frage steht, nämlich dass man als Datenbereitstellender ein gewisses Risiko trägt, ausgenutzt zu werden, ist jedoch verständlich und verlangt nach strukturellen Antworten.

Folgerungen: Offene Fragen und Herausforderungen

Damit wären wir bei der Frage, welche Aspekte es bei der Bewertung, Weiterentwicklung und ggf. einer Überarbeitung der DGPs-Empfehlungen zu bedenken gibt und wie die Fachgesellschaft auch in Zukunft dazu beitragen kann, die Chancen einer Datenbereitstellung und -nachnutzung im Sinne des „Open Science“-Gedankens zu maximieren und gleichzeitig die Risiken zu minimieren. Hierzu wollen wir abschließend einige Anregungen geben.

Typ 2-Bereitstellung. Einer Veröffentlichung aller im Rahmen eines Forschungsprojekts erhobenen Daten stehen die Teilnehmerinnen und Teilnehmern der oben skizzierten Umfrage eher kritisch gegenüber ‒ trotz der generell hohen Zustimmung der Befragten zum „Open Science“-Prinzip und trotz der Tatsache, dass die DGPs-Empfehlungen bei dieser Datenbereitstellung explizit eine Embargooption von bis zu 5 Jahren vorsehen. Damit wäre im Zuge einer Evaluation der DGPs-Empfehlungen im Jahr 2021 zu diskutieren, wie es gelingen kann, eine Typ 2-Bereitstellung zu ermöglichen und die mit ihr verbundenen Risiken zu verringern. Beispielsweise könnten bestehende Strukturen (Ombudsprinzip der DFG, Ehrengericht der DGPs; s. u.) bei streitigen Fällen genutzt werden. Zudem könnten Datenbereitstellungen ‒ zum Beispiel bei der Begutachtung von Drittmittelanträgen als auch im Zuge von Berufungen ‒ mehr gewürdigt werden. So könnten bei Anträgen und Bewerbungen die zitierfähigen, bereitgestellten Daten als eigene Sektion im Schriftenverzeichnis eingefordert werden. Außerdem könnten die Nachnutzungen Dritter – also publizierte Erkenntnisse, die nur durch Öffentlichmachung der Daten ermöglicht wurden – als besondere Art der Zitation gewertet werden.

Datenschutzrechtliche Erwägungen. Immer wieder wird als Argument gegen den „Open Science“-Gedanken ins Feld geführt, dass dieser inkompatibel mit gegenwärtig geltenden Datenschutz- und/oder urheberrechtlichen Bestimmungen bzw. mit Geheimhaltungspflichten (etwa gegenüber einem Betrieb, in dem ein organisationspsychologisches Forschungsprojekt durchgeführt wurde) sei. Solche Fälle gibt es zweifellos, und für die rechtlich eindeutigen Fälle gilt immer: Datenschutzrechte stehen über „Open Science“-Prinzipien. In vielen Bereichen, etwa bei der Auswertung von Audio- oder Videodaten, in der Psychotherapieforschung mit Patientinnen und Patienten, in der Organisationspsychologie oder in der Bildungsforschung mag es Daten geben, die so schützenswert sind, dass sie nicht ohne Zugangsbeschränkung veröffentlicht bzw. nur unter bestimmten Einschränkungen in entsprechend geeigneten Forschungsdatenzentren bereitgestellt werden können. Betrachtet man aber, welche Daten typischerweise über alle psychologischen Teildisziplinen hinweg anfallen, so ist der Regelfall doch ein anderer: in vielen Bereichen der psychologischen Grundlagenforschung können Daten problemlos so anonymisiert werden, dass eine Re-Identifikation der Individuen, die diese Daten produziert haben, nicht möglich ist. Wichtig ist zu betonen, dass derart anonymisierte Daten nicht mehr Gegenstand einer datenschutzrechtlichen Betrachtung sind und ohne Einschränkungen veröffentlicht werden können. Die DGPs-Empfehlungen gehen ausführlich auf datenschutzrechtliche Erwägungen ein. Wichtig wird die Frage sein, ob es in Zukunft nötig sein wird, das Thema noch umfassender zu behandeln. Hierzu muss auch noch genauer eruiert werden, welche Implikationen Änderungen der Bundes- und Landesdatenschutzgesetze im Zuge der Anpassung an die Ende Mai in Kraft getretene Datenschutz-Grundverordnung der Europäischen Union für die Wissenschaft haben werden.

Informierte Einwilligung. Eng mit dem Thema Datenschutz sind auch ethische Erwägungen verbunden. Die DGPs-Empfehlungen thematisieren ausführlich, unter welchen Umständen den Probandinnen und Probanden das Recht eingeräumt werden kann bzw. muss, einer Nachnutzung ihrer Daten (im Sinne eines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung) zu widersprechen und unter welchen Umständen dies nicht erfolgen muss. Im Anhang zu den DGPs-Empfehlungen (Schönbrodt et al., 2017) finden sich auch Mustertexte, die Forschende für ihre informierten Einwilligungserklärungen nutzen können. Wichtig ist nun, dass die lokalen Ethikkommissionen an den Instituten bzw. Fachbereichen ihre Diskussions- und Entscheidungsprozesse derart anpassen, dass „Open Science“ ermöglicht und gefördert wird, sofern es keine datenschutz- oder urheberrechtlichen Bedenken gibt. Juristisch ist es im Falle vollständig anonymisierter Daten eigentlich nicht nötig, die Bereitstellung und Nachnutzung der Daten in der Einwilligungserklärung zu thematisieren; im Sinne der ethischen Richtlinien ist ein solcher Hinweis jedoch geboten.

Embargoregelungen. Die in den DGPs-Empfehlungen vorgeschlagenen Embargofristen (maximal 5 Jahre im Falle der Typ 2-Bereitstellung) müssen daraufhin überprüft werden, ob sie sich im wissenschaftlichen Alltag bewähren. Unter Umständen erfordern aufwändige Längsschnittprojekte, deren Daten erst nach dem Ende des letzten Messzeitpunktes sinnvoll ausgewertet werden können, eine längere Embargofrist als querschnittliche Studien. Dies muss sorgsam und ausgewogen eruiert werden.

Was tun bei Verstößen? In der Umfrage wurde von vielen Befragten die Sorge geäußert, die Pflichten für die Datennachnutzenden seien in den DGPs-Empfehlungen weniger streng und weniger gut zu überprüfen als die Pflichten für die Datenbereitstellenden. So ist in den Empfehlungen vorgesehen, dass Datennachnutzende (1) den Zweck der Datennachnutzung transparent gegenüber den Datenbereitstellenden kommunizieren, (2) die Datenbereitstellenden im Falle einer aus der Nachnutzung resultierenden Publikation zumindest informieren und ggf. eine Koautorenschaft anbieten, (3) die nachgenutzten Daten angemessen und korrekt zitieren, (4) bei der Nachnutzung alle gültigen datenschutz- und urheberrechtlichen Bestimmungen beachten und (5) bei der Datenauswertung transparent und sorgfältig vorgehen. Aber wer kontrolliert, ob sich die Nachnutzenden daran halten? Was passiert bei Verstößen gegen diese „Pflichten“? Diese Fragen müssen genauer diskutiert werden. So gibt es zwar in der DGPs ‒ satzungsmäßig verankert und mit eigenen Statuten versehen ‒ das „Ehrengericht“, das immer dann angerufen werden kann, wenn Mitglieder der Auffassung sind, dass ein anderes Mitglied wissenschaftliches Fehlverhalten gezeigt bzw. gegen die Berufsethischen Richtlinien der DGPs und des BDP8 verstoßen hat. Außerhalb der DGPs ist eine Sanktionierung von Missachtungen der Empfehlungen potentiell über die Ombudspersonen der Universitäten und der DFG möglich. Unter Umständen müsste bei den Empfehlungen noch klarer herausgearbeitet werden, was im Kontext von Datenbereitstellung und insbesondere Datennachnutzung wissenschaftliches Fehlverhalten ist. Zwar gehen wir davon aus, dass Datenbereitstellung und -nachnutzung von einer Kultur des Vertrauens und der Kooperativität geprägt ist, dass die Vorteile für die Datenbereitstellenden die potentiellen Nachteile deutlich überwiegen (McKiernan et al., 2016), und dass es daher einer Verschärfung ‒ etwa einer Überführung der Empfehlungen in bindende Richtlinien und damit in Sanktionen im Fall von Nichtbefolgung ‒ nicht bedarf. Andererseits ist nicht auszuschließen, dass eine entsprechende Präzisierung notwendig wird. Die Zukunft wird zeigen, inwiefern hier Handlungsbedarf besteht.

Anreizstrukturen. Die Umfrage unter den DGPs-Mitgliedern zeigt das soziale Dilemma auf, in dem sich Forschende befinden (siehe auch Abele-Brehm et al., 2018); insbesondere Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler, befinden sich bei der Entscheidung darüber, worin sie ihre Ressourcen und Arbeitszeit prioritär investieren sollen (Drittmittelanträge schreiben? Manuskripte verfassen? Lehrerfahrungen sammeln? Datenmanagement betreiben?), in einem gewissen Dilemma. Eine strukturelle Lösung hierfür könnte darin bestehen, attraktive Anreize für ein gutes und nachhaltiges Management der ehobenen Daten und ihrer Bereitstellung zu schaffen. Auch die DFG fordert die Schaffung solcher Anreizstrukturen: sie hat die wissenschaftlichen Fachgesellschaften aufgefordert, „[d]as Engagement und die Bemühungen von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen um die Verfügbarmachung von Forschungsdaten, wie beispielsweise die fachspezifische Weiterentwicklung des Diskussionsprozesses oder der technischen Möglichkeiten der Sicherung, Auswertung oder Vernetzung von Forschungsdaten … bei der Würdigung von wissenschaftlichen Qualifikationen und Leistungen zukünftig stärker“ zu berücksichtigen. Erste Schritte gibt es: so sind Daten inzwischen leicht zitierfähig und könnten als Item auf der Liste der wissenschaftlichen Veröffentlichungen genauso gewertet werden wie Schriften; es gibt zunehmend Auszeichnungen und Preise für individuelles Commitment im Bereich „Open Science“ (wie etwa den Leamer-Rosenthal-Preis, den die Berkeley Initiative for Transparency in the Social Sciences, BITSS, jährlich vergibt), und Institutionen wie das ZPID in Trier stellen die nötige Infrastruktur bereit, um Forschende bei der Aufarbeitung, Bereitstellung und Nachnutzung von Daten zu unterstützen.

Im Bereich von Berufungen haben mittlerweile die Universitäten LMU München, Erlangen-Nürnberg, Köln, Münster und Göttingen Professuren in verschiedenen Teilbereichen der Psychologie mit dem Zusatz ausgeschrieben, dass die Bewerberinnen und Bewerber darlegen sollen, auf welche Weise sie bisher bereits Open-Science-Praktiken umgesetzt haben und in Zukunft planen, dies zu tun. Das Department Psychologie an der LMU9 sowie die Charité Berlin haben diesen Aspekt von Professurausschreibungen darüber hinaus als allgemeine Berufungspolitik definiert und erwarten, dass Bewerberinnen und Bewerber sich zu diesem Thema äußern.

Weitere Anreize wären denkbar und nötig. Hier könnten zukünftige DGPs-Vorstände sich mit Ideen ‒ etwa der Schaffung eines entsprechenden Preises auch in Deutschland ‒ einbringen.

Fazit

Die DGPs ist mit ihren Empfehlungen zum Datenmanagement erste Schritte auf einem langen Weg gegangen. Es ist ein guter, wichtiger und relevanter Weg, und wie wir ihn in der Psychologie weiter gehen wollen, hängt entscheidend davon ab, welche Chancen wir dem „Open Science“-Gedanken beimessen und welche Risiken wir befürchten. Die DGPs-Vorstände in den Perioden 2014 – 2016 und 2016 – 2018 waren der festen Überzeugung, dass die Risiken durchaus ernst zu nehmen sind, die Chancen aber überwiegen. Deshalb sind die DGPs-Empfehlungen zum Datenmanagement in dem Geist verfasst worden, Offenheit und Transparenz zur Norm unseres wissenschaftlichen Handelns zu machen. Diese Norm ist kein Selbstzweck: sie macht unsere Forschung im Idealfall belastbarer, glaubwürdiger und qualitativ hochwertiger. Die Zukunft wird zeigen, inwiefern wir uns als Fach diesem Ziel annähern und welche Rolle die DGPs-Empfehlungen zum Datenmanagement dabei spielen.

Wir hoffen, dass die DGPs auch zukünftig dem Thema Datenmanagement, Datenbereitstellung und Datennachnutzung große Bedeutung beimessen wird. Dazu gehört, die derzeitigen Empfehlungen wie geplant weiter zu evaluieren und ggf. zu revidieren. Dazu gehört aber auch, die Empfehlungen noch bekannter und noch verbindlicher zu machen, indem sie z. B. in den Instituten ausführlich diskutiert werden; indem sie Gegenstand von Diskussionen in Lehrveranstaltungen sind; indem sie mit internationalen Fachgesellschaften diskutiert und ggf. harmonisiert werden; und indem ‒ in enger Abstimmung mit Verlagen und Förderorganisationen ‒ durch die Schaffung geeigneter Strukturen dafür gesorgt wird, dass „Open Science“ für alle Beteiligten optimal gelingt.

Literatur

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  • McKiernan, E. C., Bourne, P. E., Brown, C. T., Buck, S., Kenall, A., Lin, J., McDougall, D., et al. & Yarkoni, T. (2016). Point of view: How open science helps researchers succeed. eLife, 5, e16800. https://doi.org/10.7554/eLife.16800 First citation in articleCrossrefGoogle Scholar

  • Schönbrodt, F., Gollwitzer, M. & Abele-Brehm, A. (2017). Der Umgang mit Forschungsdaten im Fach Psychologie: Konkretisierung der DFG-Leitlinien. Psychologische Rundschau, 68, 20 – 35. First citation in articleLinkGoogle Scholar

  • Steinberg, U., Abele-Brehm, A., Gollwitzer, M. & Schönbrodt, F. D. (2018). Attitudes towards DGPs data management recommendations and public data sharing [Rohdaten und Codebook]. PsychArchives. https://doi.org/10.23668/psycharchives.856 First citation in articleGoogle Scholar

  • Zentarra, A. (2018). Umgang mit den Forschungsdaten in DFG-Anträgen. Präsentation im Rahmen des Rundgesprächs „Forschungsdatenmanagement“, Berlin, 19./20. 02. 2018. Unveröffentlichte Präsentation. First citation in articleGoogle Scholar

Prof. Dr. Mario Gollwitzer, Ludwig-Maximilians-Universität München, Department Psychologie, Leopoldstraße 13, 80802 München, E-Mail