Skip to main content
Free AccessOriginalarbeit

Merkmale und Perspektiven der (psycho–)‌therapeutischen Behandlung im Justizvollzug

Eine Vollerhebung der therapeutischen Praxis in den sozialtherapeutischen Einrichtungen in Deutschland

Published Online:https://doi.org/10.1026/1616-3443/a000655

Abstract

Zusammenfassung.Hintergrund: Sozialtherapeutische Einrichtungen des Justizvollzugs (SothEn) dienen der Behandlung von (Sexual‐ und Gewalt–)‌Straftätern, um deren Rückfallrisiko nachhaltig zu reduzieren. Fragestellung und Methode: Die vorliegende Studie erfasste unterschiedliche Merkmale der gesprächsbasierten therapeutischen Behandlung in allen 71 SothEn in Deutschland. Gesprächsbasierte Behandlung wurde dabei definiert als durch Gespräche vermittelte Behandlung, die auf eine Besserung der psychischen Gesundheit sowie auf eine Reduktion des Rückfallrisikos abzielt. Ergebnisse und Schlussfolgerungen: Aus der Sicht der befragten Einrichtungen wird die Wirksamkeit der gesprächsbasierten Behandlung durch eine hohe Fluktuation des Personals, mangelnde Qualifikationsmöglichkeiten sowie die eingeschränkte Autonomie der Behandlungseinrichtung von der Gesamtanstalt eingeschränkt. Die Wirksamkeit der Behandlung ließe sich demnach durch einen gezielten Ausbau empirisch abgesicherter therapeutischer Maßnahmen sowie durch erhöhte Ressourcen und Alltagsnähe für Lockerungen, Übergang und Nachsorge steigern.

Characteristics and Perspectives of (Psycho–)‌Therapeutic Treatment in the Prison System. A Complete Survey of the Therapeutic Practice in Social Therapy Units in Germany

Abstract.Background: The main aim of Social Therapy Units (STUs) within the German prison system is to treat violent and sexual offenders to reduce their risk of recidivism. Objective and Methods: The present study examines communication-based therapeutic treatment approaches in all 71 STUs within the German prison system. Communication-based therapeutic treatment comprises all treatment approaches that use the communication between therapist and offender as the main treatment mechanism. The main aims are to improve the mental health status and to reduce the risk of recidivism among the prisoners. Results and Conclusions: In general, frequent changes in personnel, a lack of opportunities for further qualifications as well as the limited autonomy within the penal institution are common problems in STUs which limit the effectiveness of communication-based treatment. According to the STUs, the effectiveness of treatment could be increased by implementing more client-specific treatment programs and by pursuing the empirical evaluation of treatment outcome. Additionally, more resources should be allocated toward easing restrictions, enabling the transition from the STU back to freedom, and providing postrelease follow-up care.

Ziel der Behandlung und Betreuung in sozialtherapeutischen Einrichtungen, die sich durch ihre Integration psychologischer, (sozial–)‌pädagogischer und ergotherapeutischer Maßnahmen auszeichnen, ist es, vor dem Hintergrund des Resozialisierungsgedankens, den Justizvollzug so zu gestalten, dass durch adäquate Interventionsmaßnahmen die Rückfallwahrscheinlichkeit der inhaftierten Personen möglichst stark reduziert werden soll. Dabei findet üblicherweise ein am besten als eklektischer oder integrativer Behandlungs- und Betreuungsansatz Anwendung, in dessen Rahmen „klassische“ psychotherapeutische (Gruppen- und/oder Einzel–)‌Maßnahmen mit (sozial–)‌pädagogischen, systemischen sowie ergo-‍, sport- und kunsttherapeutischen Angeboten kombiniert werden. Auch innerhalb der psychologischen und psychotherapeutischen Behandlungen werden häufig unterschiedliche Therapieschulen und -ansätze kombiniert und integriert, wobei sowohl spezifisch für den forensisch-therapeutischen Kontext entwickelte Verfahren zum Einsatz kommen (z. B. spezielle Behandlungsangebote für Sexual- oder Gewaltstraftäter) als auch allgemein-psychotherapeutische Interventionsmethoden, die auch in anderen (d. h. nicht-forensischen) Behandlungseinrichtungen Anwendung finden. Innerhalb der unterschiedlichen Einrichtungen des Justizvollzugs kommt den sozialtherapeutischen Einrichtungen dabei eine zentrale Rolle in der intramuralen Versorgungsstruktur zu.

Mit der Verabschiedung des Strafvollzugsgesetzes (StVollzG) 1977 trat § 9 StVollzG in Kraft, der die Verlegung in eine sozialtherapeutische Einrichtung für Personen dann vorsah, wenn eine solche Behandlung hinsichtlich des Vollzugsziels (Erhöhung der Resozialisierungschancen bei gleichzeitiger Reduzierung der Rückfallwahrscheinlichkeit) angezeigt war. Seit 1998 kann nach § 9 StVollzG die Verlegung eines Gefangenen in eine sozialtherapeutische Einrichtung auch ohne dessen Einwilligung vorgenommen werden, wenn die Person aufgrund einer Sexualstraftat zu einer Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren verurteilt worden ist. Somit wurde aus der ursprünglichen Kann-Vorschrift eine Muss-Vorschrift und die Erwartungen an die Behandlungsmöglichkeiten im Justizvollzug stiegen kriminal- und gesellschaftspolitisch stark an.

Parallel zu diesen gesetzlichen Entwicklungslinien wurden 1988 erstmals inhaltliche Richtlinien zum Zwecke der therapeutischen Qualitätssicherung in Form von Mindestanforderungen an Sozialtherapeutische Einrichtungen durch den damals neu gegründeten Arbeitskreis Sozialtherapeutische Anstalten im Justizvollzug e.V. veröffentlicht (Sozialtherapeutische Anstalten im Justizvollzug, 1988), die in den folgenden zwei Dekaden nach Überarbeitung in jeweils aktualisierter Version publiziert wurden (Arbeitskreis Sozialtherapeutische Anstalten im Justizvollzug e.V. [AK-SothA], 2001; AK-SothA, 2007). Laut der aktuellen Version der Mindestanforderungen des AK-SothA (2016) ist Zweck der sozialtherapeutischen Einrichtungen, es „Menschen, die wegen erheblicher oder wiederholter Straftaten verurteilt worden sind und bei denen weitere Wiederholungen zu befürchten sind, durch therapeutische Mittel und soziale Hilfe [zu] ermöglichen, neue Einsichten zu gewinnen und sich neue Formen der Lebensbewältigung anzueignen“ (S. 2). Dabei sollen in den Einrichtungen Behandlungsmöglichkeiten vorhanden sein, durch die Stärken und Schwächen der Inhaftierten berücksichtigt werden können und ihre Bedürfnisse, Beweggründe und gegenwärtige sowie vergangene Beziehungserfahrungen therapeutisch bearbeitet werden können. Die Inhaftierten sollen durch ein breites Spektrum an therapeutischen Angeboten neue Verhaltensformen und Beziehungsgestaltungen erlernen und erproben können.

Über die Wirksamkeit der Behandlungs- und Betreuungsangebote für straffällig gewordene Personen existiert sowohl international als auch im deutschsprachigen Raum eine jahrzehntelange Diskussion (für einen Überblick z. B. Lösel, 2016; Rettenberger, 2019), wobei heute weitgehend Konsens darüber besteht, dass Interventionen einen positiven Effekt auf die Rückfälligkeit aufweisen, sofern bestimmte Aspekte und Qualitätsmerkmale systematisch Beachtung finden (Andrews & Bonta, 2010; Lösel, 2016). Die beste Evidenz besteht derzeit für manualisierte und strukturierte kognitiv-behaviorale Ansätze, in denen vorrangig soziale Kompetenzen und interpersonale Strategien zur Problemlösung und Beziehungsgestaltung vermittelt werden (Lipsey et al., 2007; Pearson, 2002). Um spezifischer auf Eigenarten bestimmter Deliktgruppen eingehen zu können, wurden in den letzten Jahren und Jahrzehnten spezialisierte Programme entwickelt, wie etwa das Behandlungsprogramm für Sexualstraftäter (BPS; Rehder et al., 2013) oder das Behandlungsprogramm für inhaftierte Gewaltstraftäter (BiG; Demmerling, 2013).

Um die genannten Aspekte und Merkmale wirksamer Behandlungsprogramme kompakt zu beschreiben, wird heute in der Regel das sogenannte Risk-Need-Responsivity-Modell (RNR-Modell; Andrews & Bonta, 2010) herangezogen, das international als das einflussreichste Rehabilitationsmodell für die Behandlung und Betreuung straffälliger Personen gilt. Nach dem RNR-Modell wird davon ausgegangen, dass Interventionen besonders wirksam sind, wenn sich die Behandlungsintensität am Rückfallrisikopotential des Klienten bzw. Patienten orientiert (Risk Principle), d. h. je höher das Rückfallrisiko einer Person, desto intensiver sollte die Behandlung und Betreuung gestaltet werden. Gemäß dem Need Principle sollte die Behandlung vorrangig solche Interventionsziele in den Mittelpunkt stellen, von denen bekannt ist, dass sie empirisch mit einer erhöhten Rückfallgefahr im Zusammenhang stehen (Etzler & Rettenberger, 2020; Rettenberger et al., 2011). Dabei sollte nach dem Responsivity Principle die Behandlung und Betreuung von straffällig gewordenen Personen auf ihre (kognitiven, emotionalen und sozialen) Fähigkeiten und Lernstile abgestimmt sein. Inzwischen weist eine Vielzahl von Studien darauf hin, dass Interventionen, die nach den RNR-Prinzipien konzipiert und umgesetzt werden, die höchste Wirksamkeit erzielen (Andrews & Bonta, 2010; Lösel, 2016; Rettenberger, 2019).

Das Ziel der vorliegenden Studie bestand darin, im Rahmen einer empirischen Vollerhebung aller sozialtherapeutischen Einrichtungen (SothEn) in Deutschland eine Übersicht über die aktuellen Behandlungsmöglichkeiten und Perspektiven der sozialtherapeutischen Behandlung und Betreuung zu erhalten. Neben standardisierten Angaben zur therapeutischen Ausrichtung der Einrichtung sowie zur Stellenausstattung wurde erfragt, mit welchen Problemen sozialtherapeutische Einrichtungen im Alltag konfrontiert sind und welche Maßnahmen zu einer Erhöhung der Wirksamkeit beitragen könnten. Die vorliegende Studie wurde im Rahmen der jährlichen Stichtagserhebung zur Sozialtherapie (Etzler, 2019; Etzler et al., 2020) durchgeführt.

Methode

Datenerhebung

Die bereits genannte Stichtagserhebung wird seit 1997 jährlich zum 31. März durch die Kriminologische Zentralstelle (KrimZ) in Wiesbaden durchgeführt (für einen Überblick siehe Etzler et al., 2020). Zum Stichtag am 31. März 2019 wurde dem jährlich versendeten Standardfragebogen ein Zusatzbogen angefügt, der Merkmale und Perspektiven der Behandlungs- und Betreuungspraxis in den sozialtherapeutischen Einrichtungen erfassen sollte. Der Standardbogen erfasst jährlich eine Bandbreite an Informationen zu den Entwicklungen der sozialtherapeutischen Einrichtungen (Etzler, 2019; Etzler et al., 2020). Im Mittelpunkt der vorliegenden Studie standen die Daten des Zusatzbogens.

Die Bögen, die als Standardbogen und Zusatzbogen bezeichnet werden, wurden an alle N = 71 sozialtherapeutischen Einrichtungen in Deutschland sowohl postalisch als auch per E-Mail versandt, des Weiteren standen sie zum Download auf der Website der KrimZ zur Verfügung. Die Bögen wurden von den (Abteilungs–)‌Leiter_innen oder den Fachdiensten der Einrichtungen ausgefüllt und postalisch, per Fax oder per E-Mail zurückgesandt. Die Rücklaufquote betrug 100 %, wobei zu berücksichtigen ist, dass zwei SothEn zum Stichtag am 31. März 2019 nicht aktiv waren, d. h. es waren keine Inhaftierten in diesen SothEn gemeldet. Damit gingen im Berichtsjahr 2019 lediglich n = 69 Einrichtungen in die Stichtagserhebung ein (Etzler, 2019).

Aufbau und Auswertung des Zusatzbogens

Um einen genaueren Einblick in die konkrete Behandlungspraxis der sozialtherapeutischen Einrichtungen zu gewinnen, wurde ein Zusatzbogen erstellt, der sich aus vier Teilen zusammensetzte und dessen Anwendung sich ebenfalls auf den Stichtag am 31. März 2019 beziehen sollte. Da sich der Zusatzbogen ausschließlich mit der Praxis gesprächsbasierter Behandlungsformen (d. h. ggf. eingesetzte psychopharmakologische Behandlungsmaßnahmen wurden hier nicht erfasst) beschäftigen sollte, wurde dieser Begriff vorab wie folgt definiert: Eine gesprächsbasierte Behandlung umfasst jede Therapieform, die durch Gespräche vermittelt wurde und auf eine Besserung der psychischen Gesundheit und / oder auf die Reduktion des Rückfallrisikos abzielt. Somit sollte vor allem Psychotherapie im Einzel- oder Gruppensetting im Sinne des Psychotherapeutengesetzes (PsychThG) erfasst werden. Zusätzlich wurden hier aber auch Einzel- bzw. Gruppengesprächssitzungen erfasst, die nicht durch approbierte Psycholog_innen oder Pädagog_innen durchgeführt wurden, aber der oben genannten Definition entsprachen.

Im ersten Teil des Zusatzbogens wurde die generelle therapeutische Ausrichtung der SothEn erhoben (z. B. verhaltenstherapeutisch oder tiefenpsychologisch). Der zweite Teil des Zusatzbogens erfasste verschiedene Merkmale der internen und externen Fachdienste für Psychologie und (Sozial–)‌Pädagogik sowie deren Behandlungsangebote. Der dritte Teil des Zusatzbogens beschäftigte sich mit der Aufenthalts- bzw. Behandlungsdauer der Inhaftierten. Im vierten und letzten Teil wurde anhand offener Antwortformate nach möglichen Verbesserungen der therapeutischen Rahmenbedingungen sowie nach Möglichkeiten der Wirksamkeitssteigerung der Sozialtherapie gefragt. Die Antworten auf diese offenen Fragen wurden durch eine Raterin (MM) im Rahmen der Datenauswertung anhand inhaltlicher und semantischer Ähnlichkeiten zunächst gruppiert. Anschließend wurde den entstandenen Gruppen ein passendes Label zugeordnet. Die so resultierenden Kategorien wurden durch dieselbe Raterin überprüft und eventuelle Unklarheiten und Überschneidungen bei der Zuordnung von Antworten zu Kategorien wurden nach Rücksprache mit einer weiteren Autorin (SE) geklärt. Folglich wurden die Kategorien hinsichtlich der Häufigkeiten von Antworten innerhalb dieser Kategorien ausgewertet. Der gesamte Fragebogen, d. h. Standard- und Zusatzbogen, findet sich in seiner Originalform in den Elektronischen Supplementen (ESM 1). Die Auswertung des Bogens erfolgte deskriptivstatistisch mittels IBM SPSS Statistics 23 sowie Microsoft Excel 2010.

Stichprobe

Der Zusatzbogen wurde von allen zum Stichtag am 31. März 2019 aktiven N = 69 sozialtherapeutischen Einrichtungen vollständig ausgefüllt zurückgesandt (Etzler, 2019). Bei den aktiven 69 SothEn handelte es sich um sechs eigenständige Anstalten, zwei Außenstellen von größeren Anstalten sowie 61 Abteilungen innerhalb größerer Anstalten. Insgesamt waren von diesen Einrichtungen n = 44 ausschließlich für erwachsene männliche Personen, n = 21 für jugendliche Straftäter und n = 6 ausschließlich für Frauen zuständig (Etzler, 2019; Etzler et al., 2020).

Ergebnisse

Therapeutische Ausrichtung in Konzepten und Praxis

Die therapeutischen Konzepte der SothEn legen fest, welche generelle Behandlungsstrategie ein- bzw. umgesetzt werden soll, wobei jede der N = 69 teilnehmenden Einrichtungen zunächst angab, dass ein solches Konzept auch tatsächlich vorlag. Gefragt nach der konkreten therapeutischen Ausrichtung (psychoanalytisch, tiefenpsychologisch fundiert, verhaltenstherapeutisch, systemisch oder andere; siehe Abbildung 1) war in ca. 50 % (n = 35) der therapeutischen Konzepte eine therapeutische Ausrichtung festgelegt. Insgesamt wurden maximal fünf therapeutische Ausrichtungen im Konzept als handlungsleitend festgelegt. Etwa 15 % (n = 10) der Einrichtungen gaben an, keine spezifizierte therapeutische Ausrichtung in ihrem Konzept festgelegt zu haben.

Diese konzeptuellen Angaben wurden im nächsten Schritt der praktischen Umsetzung im Behandlungsalltag gegenübergestellt. Dabei zeigte sich, dass die klinische Arbeit im Alltag deutlich heterogener ausfiel als im Behandlungskonzept festgelegt war (Abbildung 1). So gab eine Mehrzahl der Einrichtungen an, dass die alltägliche klinische Arbeit drei verschiedenen Ausrichtungen folgte. Demnach schien eine Kombination verschiedener Ausrichtungen eher die Regel als die Ausnahme zu sein: Der Anteil der Einrichtungen, die in der Praxis zwei oder mehr therapeutische Ausrichtungen in ihre klinische Arbeit integrierten, betrug ca. 78 % (n = 54).

Abbildung 1 Anzahl verschiedener therapeutischer Ausrichtungen im Konzept der sozialtherapeutischen Einrichtungen und in der Praxis der gesprächsbasierten Therapie 2019

Bei der Frage, welche therapeutischen Ausrichtungen besonders häufig genannt wurden bzw. welche Kombinationen am häufigsten auftraten, zeigt Abbildung 2, dass verhaltenstherapeutische Konzeptionen am häufigsten repräsentiert waren, klassisch psychoanalytische Behandlungen wurden hingegen vergleichsweise selten eingesetzt.

Abbildung 2 Anmerkung. Es sind Mehrfachnennungen möglich. VT = Verhaltenstherapie; TP = Tiefenpsychologisch fundierte Therapie; PA = Psychoanalytische Therapie; SYS = Systemische Therapie. Abbildung 2. Anzahl der therapeutischen Ausrichtung im Konzept und in der Praxis nach Art der Ausrichtung 2019

Einen Überblick über die tatsächlichen Kombinationen der therapeutischen Ausrichtungen in den SothEn sowie über den Prozentanteil jeder Ausrichtung in seiner Kombination sind im Elektronischen Supplement (ESM 2) dargestellt. Am häufigsten wurde die Kombination aus verhaltenstherapeutischer, tiefenpsychologisch fundierter und systemischer Ausrichtung (n = 16) genannt, wobei die Verhaltenstherapie im Mittel den größten Anteil ausmachte. Eine rein verhaltenstherapeutische Ausrichtung lag ebenfalls häufig vor (n = 13). In n = 8 der insgesamt N = 9 angegebenen Kombinationen der Ausrichtungen war die Verhaltenstherapie enthalten; die tiefenpsychologisch fundierte Therapieausrichtung wurde in n = 6 Kombinationen genannt. Somit kamen der Verhaltenstherapie und der tiefenpsychologisch fundierten Therapie insgesamt die größte Bedeutung zu.

Merkmale der sozialtherapeutischen Fachdienste

Um zu ermitteln, wie sich die Ausstattung bezüglich des psychologischen und sozialpädagogischen Personals (d. h. der Fachdienste) darstellte, wurde erfragt, wie viele Personalstellen in den SothEn für diese Dienste insgesamt zur Verfügung standen. Hierbei wurde zwischen internem Personal, d. h. Personen, die in den SothEn fest angestellt waren, und externem Personal, d. h. Personen, deren Dienstleistung von den SothEn in Auftrag gegeben und somit extern zugekauft wurde, unterschieden. Tabelle 1 gibt einen Überblick über den internen und externen Anteil im Bereich des psychologisch ausgebildeten Personals, aufgeteilt nach Geschlecht, therapeutischer Ausrichtung sowie Ausbildungs- bzw. Approbationsstatus.

Tabelle 1 Anteile des internen und externen Fachdiensts Psychologie nach Geschlecht und therapeutischer Ausrichtung

Insgesamt handelte es sich bei ungefähr 40 % des internen Fachdienstes Psychologie um approbierte Psychotherapeut_innen, während es bei externen Kräften mehr als 75 % waren. Auffallend war hierbei das Geschlechterverhältnis: Während die überwiegende Mehrheit des internen Fachpersonals weiblich war, war das Geschlechterverhältnis bei den externen Kräften ausgewogen. Mehr als zwei Drittel der internen Mitglieder des Fachdienstes wiesen eine verhaltenstherapeutische Ausrichtung auf, die übrigen therapeutischen Ausrichtungen waren vergleichsweise selten vertreten. Diese Datenlage war ebenfalls bei den externen Fachkräften zu finden.

Tabelle 2 zeigt die nach dem Geschlecht aufgeteilte Anzahl an Personen im internen und externen Fachdienst im Bereich der (Sozial–)‌Pädagogik (sowie anderer Fachdienste) in den SothEn.

Tabelle 2 Anteile des internen und externen Fachdiensts (Sozial–)‌Pädagogik und andere Fachdienste nach Geschlecht

Betrachtet man das Behandlungsangebot der (sozial–)‌pädagogischen und anderen Fachdienste, wird deutlich, dass ein Schwerpunkt auf die Stärkung und Vermittlung von sozialen Kompetenzen gelegt wird. Umgesetzt wird dieses Ziel beispielsweise durch soziale Kompetenztrainings, in Programmen zum Konfliktmanagement sowie durch das Reasoning und Rehabilitation Programm1 (R&R; Ross et al., 1988). Darüber hinaus kam den Einzelgesprächen ein großes Gewicht zu, ebenso der deliktorientierten Arbeit und Programmen zur Suchtprävention. Auch wurden manualisierte Ansätze, wie das BPS zur Behandlung von Sexualstraftätern und das BiG im Rahmen der Gewaltprävention, angeboten. Bei mehr als der Hälfte der Maßnahmen wurden die Dienste externer Fachkräfte in Anspruch genommen. Insbesondere bei kreativen Behandlungsangeboten, z. B. Kunsttherapie oder Kochprojekten wurden externe Fachkräfte häufig hinzugezogen. Insgesamt zeigte sich ein breites Spektrum an unterschiedlichen Maßnahmen und Inhalten, wobei das Angebot zwischen den einzelnen Einrichtungen stark variierte.

Intensität und Dauer der Behandlung

Der dritte Teil des Zusatzbogens erhob die durchschnittliche Anzahl an gesprächsbasierten Therapiestunden pro Woche. Dabei handelte es sich um Schätzwerte von n = 67 Einrichtungen, da zwei Einrichtungen angaben, diesbezüglich keine Angaben machen zu können. Durchschnittlich erhielt eine Person zwischen 1.7 und 6.9 Stunden gesprächsbasierte Therapie pro Woche (Mod. = 4.0; M = 4.3; SD = 2.6), wobei es Einrichtungen gab, die weniger als eine Stunde gesprächsbasierte Therapie pro Person pro Woche anboten, während andere 15 Stunden pro Person pro Woche anboten. Ebenfalls wurde der geschätzte Ausfall der geplanten gesprächsbasierten Therapiestunden pro Woche in Prozent in n = 67 Einrichtungen erhoben. Durchschnittlich fielen zwischen 1.7 % und 14.1 % (M = 7.9; SD = 6.2) der geplanten gesprächsbasierten Therapiestunden aus, wobei es bei drei Einrichtungen gar keinen Ausfall gab, bei anderen Einrichtungen jedoch bis zu 40 % der geplanten Therapiestunden ausfielen. Insgesamt fielen bei n = 34 der Einrichtungen 5 % oder weniger der geplanten Therapiestunden aus.

Die Erhebung der Aufenthaltsdauer zum Stichtag am 31. März 2019 in Abbildung 3 verdeutlichte, dass weit mehr als die Hälfte aller Inhaftierten innerhalb der ersten beiden Jahre aus den SothEn entlassen wurde, davon etwa ein Viertel bereits nach weniger als sechs Monaten.

Abbildung 3 Anteilige Aufenthaltsdauer der Gefangenen, die zum Stichtag des 31. März 2019 aus der SothA entlassen wurden

Verbesserungen, Änderungen und Wirksamkeitssteigerung

Der vierte Teil des Zusatzbogens beschäftigte sich mit möglichen Verbesserungen der therapeutischen Arbeit sowie mit Möglichkeiten der Wirksamkeitssteigerung der Sozialtherapie. Die im offenen Antwortformat angegebenen Stichpunkte bzw. Fließtexte wurden nach dem im Methodenteil genannten Vorgehen ausgewertet.

Grundsätzlich wurde eine große Bandbreite verschiedener Verbesserungen genannt, die weite Teile des sozialtherapeutischen Arbeitsalltags betrafen. Die mit Abstand häufigste Nennung (n = 41) lag dabei im Bereich des Personals. Dabei wurde neben einer generellen Erhöhung des Personalschlüssels, vor allem im Bereich des Allgemeinen Werk- und Vollzugsdienstes (AVD), eine höhere Konstanz bzw. eine geringere Fluktuation im Personalbereich als vorrangig angesehen. Auch die bislang ungenügende Umsetzung der oben bereits genannten Qualitäts- bzw. Mindeststandards des AK-SothA (2016) fand mehrfach Erwähnung.

Weitere Nennungen (n = 18) fielen unter die Kategorie Autonomie, die eine stärkere strukturelle und organisatorische Unabhängigkeit von der Hauptanstalt bedeuten würde. Auch in diesem Zusammenhang wurde der (kurzfristige) Abzug des eigentlich für die SothEn vorgesehenen (und in vielen Fällen besonders ausgebildeten) AVD-Personals von der SothA durch die Hauptanstalt als Problem genannt. Andere Punkte betrafen eine klarere räumliche Trennung von SothA (Behandlungsvollzug) und Hauptanstalt (Regelvollzug) sowie die Möglichkeit, von der Hauptanstalt unabhängige bzw. eigene Regelungen für die SothA aufzustellen, um ein zielführendes therapeutisches Setting zu ermöglichen. Etwas geringere Nennungen (n = 16) betrafen die Kategorie Qualifikationen, wobei hier vorrangig der Wunsch nach (weiteren) vollzugsinternen Fort- und Zusatzausbildungen für die Fachdienste und den AVD geäußert wurde.

In der abschließenden Frage wurden die Möglichkeiten thematisiert, wie die Wirksamkeit der Behandlung und Betreuung in den SothEn noch weiter gesteigert werden könnte. Auch hier wurden die im offenen Format angegebenen Vorschläge und Ideen nach dem bereits genannten Vorgehen ausgewertet. Unter die Kategorie Lockerungen2, Entlassungsvorbereitung und Übergangsmanagement (n = 24) fielen realitätsnähere und individuellere Lockerungen, eine generelle Stärkung des Übergangsmanagements, der Ausbau von Nachsorgeeinrichtungen und Ambulanzen sowie die rechtzeitige Anbindung von inhaftierten Personen an extramurale Betreuungs- und Behandlungseinrichtungen. Unter der Kategorie Therapeutische Maßnahmen (n = 24) wurden Verbesserungen der unmittelbaren klinischen Interventionspraxis subsumiert wie z. B. das Entwickeln flexiblerer und individuellerer (d. h. weniger manualisierter) Behandlungskonzepte, unterschiedliche Erweiterungen der Therapiemöglichkeiten, die Erhöhung der Therapiemotivation der Inhaftierten sowie eine bessere Balance zwischen Einzel- und Gruppentherapie. Vergleichsweise viele Nennungen (n = 19) betrafen zudem die Kategorie Qualität: Hier wurde zur Wirksamkeitssteigerung der Behandlungsbemühungen in der Sozialtherapie insbesondere das Einhalten der Mindestanforderungen des AK-SothA (2016) an die Organisationsform betont. Darüber hinaus wurden auch hier eine stärkere Flexibilisierung und bessere Konzeptualisierung der sozialtherapeutischen Behandlung thematisiert, z. B. durch eine bessere Anpassung an kulturelle Aspekte der Inhaftierten bzw. eine Stärkung der Diversität des Behandlungsangebots. Wichtig war zudem die Einführung (externer) Evaluationen der Behandlungen z. B. in Form von Prä-Post-Testungen, um systematisch Rückmeldung über Therapieerfolge (und -misserfolge) zu erhalten. Auch eine Verbesserung bzw. Stabilität des therapeutischen Klimas war ein wichtiger Aspekt, da moniert wurde, dass gegenwärtig das Anstaltsklima immer wieder durch nicht näher spezifizierte Störungen von außen beeinträchtigt werde. Erneut aufgegriffen wurde das Thema Autonomie (n = 11), das für den sozialtherapeutischen Alltag von großer Relevanz war: Allgemein wurde hier eine räumliche Trennung der sozialtherapeutischen Abteilungen von der Gesamt- oder Hauptanstalt als förderlich für das therapeutische Klima und den Therapieerfolg bewertet, um den in der Sozialtherapie im Vordergrund stehenden Behandlungsfokus auch räumlich und physisch vom stärker ausgeprägten Sanktionscharakter des Regelvollzugs zu trennen.

Diskussion

Das Ziel der vorliegenden Studie bestand darin, die aktuelle klinisch-therapeutische Praxis in den sozialtherapeutischen Einrichtungen (SothEn) des deutschen Justizvollzugs deskriptiv darzustellen und zu beschreiben. Zunächst zeigten die Ergebnisse, dass zwischen therapeutischen Konzepten und ihrer Umsetzung in der Praxis hinsichtlich der festgelegten therapeutischen Ausrichtungen ein gewisser Unterschied zu bestehen schien. Während in den Konzepten die therapeutische Ausrichtung tendenziell restriktiver beschrieben wurde, schien der therapeutische Alltag deutlich vielfältiger und heterogener zu sein. Insgesamt zeigte sich ein deutlicher verhaltenstherapeutischer Schwerpunkt, wobei tiefenpsychologisch fundierte und systemische Ansätze ebenfalls verbreitet waren.

Die Kombination unterschiedlicher Therapierichtungen und -schulen könnte zumindest in Teilen auch mit den psychopathologischen und forensischen Merkmalen und Charakteristika der Klientel der SothEn zu tun haben. Wie mehrere empirische Studien in der Vergangenheit zeigen konnten, wiesen Personen, die aufgrund von Sexual- und Gewaltstraftaten verurteilt wurden, eine hohe Prävalenz psychischer Störungen auf, wobei häufig Komorbiditäten und schwere Störungsbilder insbesondere im Bereich der Sexual- und Persönlichkeitsstörungen dokumentiert wurden (z. B. Eher et al., 2019; Gregório Hertz et al., 2019). Diesen hohen klinischen Anforderungen an das Behandlungsangebot könnte durch das Zusammenführen der Stärken der unterschiedlichen therapeutischen Ausrichtungen begegnet werden, wobei in Anbetracht des aktuellen Erkenntnisstands – und entsprechend der derzeitigen Behandlungspraxis im Justizvollzug – zur Wirksamkeit intramuraler Behandlungsmaßnahmen ein kognitiv-verhaltenstherapeutischer Schwerpunkt gesetzt werden sollte (Beaudry et al., 2021; Lipsey et al., 2007; Pearson et al., 2002). In diesem Zusammenhang ist kritisch darauf hinzuweisen, dass der aktuelle Stand der forensisch-psychotherapeutischen Evaluationsforschung nach wie vor eine Reihe offener Fragen aufweist, die bspw. die Wirksamkeit psychodynamischer oder systemischer Behandlungsansätze betreffen. Auch wurden Prä-Post-Designs, die eine detailliertere Erfassung der interventionsinduzierten Veränderungen ermöglichen würden, unverändert selten eingesetzt.

Vergleicht man die Ergebnisse dieser Studie mit den Qualitätsanforderungen, die der AK-SothA (2016) formulierte, so ergaben sich manche Passungen, aber auch einige Abweichungen. Die Mindestanforderung, vorzugsweise approbierte Psychotherapeut_innen einzustellen, wurde in der Praxis bislang nicht vollständig umgesetzt; derzeit ist etwa jede_r zweite therapeutisch tätige Kolleg_‍in approbiert. Allerdings werden, wie in den Mindestanforderungen vorgesehen, teilweise externe Fachkräfte hinzugenommen, wodurch die Lücke verringert werden konnte. Darüber hinaus kann auch diskutiert werden, ob spezifisch forensische Interventionen immer eine Approbation erfordern oder nicht eher spezifisch kriminologische und forensische Expertise – im Vergleich zu allgemein psychotherapeutischen Kompetenzen – benötigt werden, da das Ziel der sozialtherapeutischen Einrichtung nicht unbedingt in der Reduktion sämtlicher klinischer Symptome zu verorten ist, sondern in der Verringerung des Rückfallrisikos der Inhaftierten liegt (AK-SothA, 2016).

Unter inhaltlichen Aspekten soll die Therapie laut den Mindestanforderungen des AK-SothA (2016) über „vielseitige, strukturierte und unstrukturierte Angebote“ (S. 3) verfügen, um die sozialen Fähigkeiten der Inhaftierten zu erweitern. Nach den vorliegenden Ergebnissen geschieht dies vor allem durch soziale Kompetenztrainings und therapeutische Einzelgespräche und wird durch externe Fachdienste zusätzlich um kreative Maßnahmen und Maßnahmen zur Suchtprävention und -behandlung ergänzt. Ebenfalls den Mindestanforderungen entsprechend sind die zur Behandlung angewandten deliktspezifischen Ansätze wie beispielsweise das Behandlungsprogramm für Sexualstraftäter (BPS) von Rehder et al. (2013), da sich durch diese „individuelle Einsichten in [die] eigenen Stärken und Schwächen, in Bedürfnisse und Beweggründe sowie in gegenwärtige und vergangene Beziehungen erarbeiten lassen“ (AK-SothA, 2016, S. 3). Diese Orientierung des Angebots an den individuellen Rückfallfaktoren und kriminogenen Bedürfnissen entsprach darüber hinaus auch dem Need-Prinzip des RNR-Modells (Andrews & Bonta, 2010; Etzler & Rettenberger, 2020).

Besonders häufig wurden kurze Aufenthaltsdauern für Inhaftierte in SothEn berichtet, die auf eine unverändert große (klinische wie forensische) Herausforderung hindeuteten. Wie vergangene empirische Untersuchungen zur SothA-Klientel zeigten, spielte bei Entscheidungen zur frühzeitigen Rückverlegung / Entlassung häufig die fehlende Ansprechbarkeit auf die Behandlungsmaßnahmen und / oder die mangelnde Fähigkeit zur Integration ins sozialtherapeutische Behandlungssetting eine wesentliche Rolle (Brunner et al., 2019; Spöhr, 2009). In diesem Zusammenhang müssen Unterschiede zwischen allgemeinklinischen und spezifisch forensischen Behandlungsinstitutionen beachtet werden: Im Gegensatz zu anderen Behandlungssettings orientiert sich die Dauer der Behandlung und damit des Aufenthalts in der SothA nicht zwangsläufig an der klinisch-therapeutischen Entwicklung allein, sondern auch an der Straflänge sowie der Fähigkeit und Motivation des Probanden, sich an die Regeln und Vorschriften zu halten. Nach wie vor scheint eine große Gruppe, die klinisch und forensisch besonders auffällig und darüber hinaus in kriminalprognostischer Sicht das größte Rückfallpotential aufweist, nur unzureichend auf das sozialtherapeutische Angebot anzusprechen und wird relativ rasch wieder in den Regelvollzug zurückverlegt (Brunner et al., 2019). Dies ist umso problematischer, weil der Abbruch einer intramuralen Behandlungsmaßnahme zusätzlich das Rückfallrisiko erhöhen kann (Olver et al., 2011).

Die Ergebnisse zu den Verbesserungen des sozialtherapeutischen Alltags verdeutlichten, dass einige Mindestanforderungen wie spezielle Fortbildungen für Mitarbeiter_innen, ein speziell ausgebildeter AVD mit besonderen Befähigungen sowie die Regelung des Einsatzes des Personals durch die SothA derzeit noch nicht in ausreichendem Maße umgesetzt werden (AK-SothA, 2016). Auch die Mindestanforderungen an die organisatorische, räumliche, personelle und finanzielle Eigenständigkeit der SothEn, die die therapeutische Gemeinschaft, den therapeutischen Prozess und den daraus resultierenden Therapieerfolg schützen sollen, werden derzeit nur begrenzt umgesetzt. Es bleibt zu vermuten, dass die hochfrequente Rückverlegungspraxis mit dieser fehlenden personellen und räumlichen Ausstattung bzw. Fort- und Weiterbildung zusammenhängt, die es erschwert, die Therapiemotivation und Sicherheit für ein Hochrisikoklientel zu fördern bzw. herzustellen.

Die Ergebnisse der offenen Frage zur Steigerung der Therapiewirksamkeit zeigten, dass die Umsetzung der Mindestanforderungen, eine höhere Anpassung der alltäglichen Lebensbedingungen in der SothA an die Lebensbedingungen außerhalb des Vollzugs und die Möglichkeiten des Übergangsmanagements (weiter) ausgebaut werden sollten (für einen aktuellen Überblick über die forensische Nachsorge siehe Gregório Hertz et al., 2019). Dies beinhaltet auch die Mindestanforderung, die unmittelbare Entlassungsvorbereitung sowie die nachgehende Betreuung als Teil des Behandlungsvorgehens anzusehen.

Zusammenfassend deuteten diese Ergebnisse auf eine nach wie vor bestehende Diskrepanz zwischen den vom AK-SothA (2016) aufgestellten Mindestanforderungen an die SothEn und deren praktische Umsetzung hin. Zwar war ein heterogenes Therapieangebot im Sinne eines möglichst umfassenden Behandlungsangebots vorhanden, jedoch könnte durch eine noch stärkere Orientierung an diesen Qualitätsvorgaben die Wirksamkeit der Behandlung weiter erhöht werden – so zumindest die Einschätzung der klinisch tätigen Kolleg_innen sowie der für die Institution und deren Behandlungsauftrag zuständigen Personen in den SothEn.

Obwohl diese Studie einen detaillierteren Einblick in die Gegebenheiten der therapeutischen Versorgung in den sozialtherapeutischen Einrichtungen in Deutschland ermöglichte, wurden die Befunde durch unterschiedliche erhebungsimmanente Schwierigkeiten eingeschränkt. Obwohl eine Vollerhebung aller SothEn in Deutschland vorlag, handelte es sich um Einrichtungen, die ausgeprägte strukturelle Unterschiede zueinander aufwiesen, weshalb die hier getroffenen Schlussfolgerungen nicht notwendigerweise auf jede Einrichtung zutrafen (Etzler & Rettenberger, 2020). Weiterhin konnte die Reliabilität der Daten nicht abschließend bestimmt werden. Zwar gab es die Möglichkeit, Diskrepanzen in den Erhebungsbögen mit den jeweils zuständigen Mitarbeiter_innen zu klären; dennoch wurde der hier verwendete Zusatzbogen neu entwickelt und die zuständigen Personen in den SothEn hatten unterschiedliche Rollen in ihren Einrichtungen inne, woraus Fehlerquellen und Ungenauigkeiten in der Beantwortung resultieren konnten. Ebenfalls wurde die Auswertung der offenen Fragen lediglich durch eine einzelne Raterin vorgenommen. Diese Auswertung sollte in Zukunft durch zwei unabhängige Rater_innen unter der Berechnung einer Interrater-Reliabilität vorgenommen werden, um eine genauere und empirisch fundiertere Kategorienbildung zu gewährleisten. Darüber hinaus schränkte der Fokus des Zusatzbogens auf gesprächsbasierte Therapie die Generalisierbarkeit der Befunde ein. Da es sich bei der Sozialtherapie im Strafvollzug um ein integratives Konzept handelt, das Psycho- und Soziotherapie mit arbeitspädagogischen Maßnahmen verbindet (Wischka & Specht, 2001), sind therapeutische Aspekte, die nicht durch Gespräche vermittelt wurden, in dieser Studie nicht beachtet worden, in der Praxis aber schwer voneinander zu trennen. Hier könnten zukünftige Studien ansetzen, um die vorliegenden Befunde zu ergänzen und ein vollständigeres Bild der sozialtherapeutischen Behandlung und ihrer Wirksamkeit zu zeichnen. Dies ist wichtig, um zu bestimmen, welche Rolle den einzelnen Interventionen in der Praxis zukommt. Zusammenfassend zeichnen die Ergebnisse der vorliegenden Studie ein heterogenes Bild der sozialtherapeutischen Behandlung in Deutschland, das eindrücklich zeigt, dass einige der ursprünglich gefassten Ziele der SothEn bereits erreicht werden konnten, gleichzeitig aber weiterhin offene Punkte und Herausforderungen bestehen, deren Bewältigung die Wirksamkeit der Behandlung weiter steigern könnte.

Literatur

  • Andrews, D. A. & Bonta, J. (2010). The psychology of criminal conduct. Routledge. First citation in articleGoogle Scholar

  • Arbeitskreis Sozialtherapeutische Anstalten im Justizvollzug. (1988). Mindestanforderungen an Sozialtherapeutische Einrichtungen. Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform, 71, 334 – 335. First citation in articleGoogle Scholar

  • Arbeitskreis Sozialtherapeutische Anstalten im Justizvollzug e., V. (2001). Mindestanforderungen an Sozialtherapeutische Einrichtungen. Forum Strafvollzug – Zeitschrift für Strafvollzug und Straffälligenhilfe, 50, 40 – 41. First citation in articleGoogle Scholar

  • Arbeitskreis Sozialtherapeutische Anstalten im Justizvollzug e., V. (2007). Sozialtherapeutische Anstalten und Abteilungen im Justizvollzug. Mindestanforderung an Organisation und Ausstattung. Indikationen zur Verlegung. Forum Strafvollzug – Zeitschrift für Strafvollzug und Straffälligenhilfe, 56 (3), 100 – 103. First citation in articleGoogle Scholar

  • Arbeitskreis Sozialtherapeutische Anstalten im Justizvollzug e., V. (2016). Sozialtherapeutische Anstalten und Abteilungen im Justizvollzug. Mindestanforderungen an Organisation und Ausstattung sowie Indikation zur Verlegung: Revidierte Empfehlungen des Arbeitskreises Sozialtherapeutische Anstalten im Justizvollzug e.V. – Stand 2016. Forum Strafvollzug – Zeitschrift für Strafvollzug und Straffälligenhilfe, 65, 37 – 40. First citation in articleGoogle Scholar

  • Beaudry, G., Yu, R., Perry, A. E. & Fazel, S. (2021). Effectiveness of psychological interventions in prison to reduce recidivism: A systematic review and meta-analysis of randomised controlled trials. The Lancet Psychiatry, 8 (9), 759 – 773. https://doi.org/10.1016/S2215-0366(21)00170-X First citation in articleCrossrefGoogle Scholar

  • Brunner, F., Neumann, I., Yoon, D., Rettenberger, M., Stück, E. & Briken, P. (2019). Determinants of dropout from correctional offender treatment. Frontiers in Psychiatry, 10, 142. https://doi.org/10.3389/fpsyt.2019.00142 First citation in articleGoogle Scholar

  • Demmerling, R. (2013). Behandlungsprogramm für inhaftierte Gewalttäter (BiG). In B. Wischka, W. Pecher & H. van den Boogaart (Hrsg.), Behandlung von Straftätern (S. 454 – 464). Herbolzheim: Centaurus. First citation in articleGoogle Scholar

  • Eher, R., Rettenberger, M. & Turner, D. (2019). The prevalence of mental disorders in incarcerated contact sexual offenders. Acta Psychiatrica Scandinavica, 139 (6), 572 – 581. https://doi.org/10.1111/acps.13024 First citation in articleCrossrefGoogle Scholar

  • Etzler, S. (2019). Sozialtherapie im Strafvollzug 2019: Ergebnisübersicht zur Stichtagserhebung zum 31. 03.2019 (BM-Online. Elektronische Schriftenreihe der KrimZ, Bd. 19). Wiesbaden: Kriminologische Zentralstelle. https://krimpub.krimz.de/frontdoor/deliver/index/docId/136/file/bm-online19.pdf First citation in articleGoogle Scholar

  • Etzler, S., Moosburner, M. & Rettenberger, M. (2020). Therapie bei Straffälligkeit: Zur Entwicklung der Sozialtherapie im deutschen Justizvollzug. Forensische Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie, 14, 95 – 105. https://doi.org/10.1007/s11757-019-00579-8 First citation in articleCrossrefGoogle Scholar

  • Etzler, S. & Rettenberger, M. (2020). Psychologische Diagnostik im Rahmen der Behandlung von Gewalt-und Sexualstraftätern im Justizvollzug. Diagnostica, 66 (1), 14 – 24. https://doi.org/10.1026/0012-1924/a000235 First citation in articleLinkGoogle Scholar

  • Gregório Hertz, P., Breiling, L., Turner, D. & Rettenberger, M. (2019). Die Praxis der ambulanten Nachsorge für haftentlassene Sexualstraftäter in Deutschland. Recht & Psychiatrie, 37, 157 – 164. First citation in articleGoogle Scholar

  • Lösel, F. (2016). Wie wirksam ist die Straftäterbehandlung im Justizvollzug? In M. Rettenberger & A. Dessecker (Hrsg.), Behandlung im Justizvollzug (Kriminologie und Praxis, Band 71, S. 17 – 52). Wiesbaden: Kriminologische Zentralstelle. First citation in articleGoogle Scholar

  • Lipsey, M. W., Landenberger, N. A. & Wilson, S. J. (2007). Effects of cognitive-behavioral programs for criminal offenders. Campbell Systematic Reviews, 6 (1), 27 https://doi.org/10.4073/csr.2007.6 First citation in articleCrossrefGoogle Scholar

  • Olver, M. E., Stockdale, K. C. & Wormith, J. S. (2011). A meta-analysis of predictors of offender treatment attrition and its relationship to recidivism. Journal of Consulting and Clinical Psychology, 79 (1), 6 – 21. https://doi.org/10.1037/a0022200 First citation in articleCrossrefGoogle Scholar

  • Pearson, F. S., Lipton, D. S., Cleland, C. M. & Yee, D. S. (2002). The effects of behavioral/cognitive-behavioral programs on recidivism. Crime & Delinquency, 48 (3), 476 – 496. https://doi.org/10.1177/001112870204800306 First citation in articleCrossrefGoogle Scholar

  • Rehder, U., Wischka, B. & Foppe, E. (2013). Das Behandlungsprogramm für Sexualstraftäter (BPS). In B. Wischka, W. Pecher & H. van den Boogaart (Hrsg.), Behandlung von Straftätern (S. 418 – 453). Herbolzheim: Centaurus. First citation in articleGoogle Scholar

  • Rettenberger, M. (2019). Behandlungsansätze im Strafvollzug und deren Wirksamkeit. In: Sächsisches Staatsministerium der Justiz (Hrsg.), Vollzug für das 21. Jahrhundert – Symposium anlässlich des 300-jährigen Bestehens der Justizvollzugsanstalt Waldheim (S. 89 – 119). Baden-Baden: Nomos. First citation in articleGoogle Scholar

  • Rettenberger, M., Matthes, A., Schilling, F. & Eher, R. (2011). Die Validität dynamisch-veränderbarer Risikofaktoren bei der Vorhersage einschlägiger Rückfälle pädosexueller Straftäter. Forensische Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie, 5, 45 – 53. First citation in articleCrossrefGoogle Scholar

  • Ross, R. R., Fabiano, E. A. & Ewles, C. D. (1988). Reasoning and rehabilitation. International Journal of Offender Therapy and Comparative Criminology, 32 (1), 29 – 35. https://doi.org/10.1177/0306624X8803200104 First citation in articleCrossrefGoogle Scholar

  • Spöhr, M. (2009). Sozialtherapie von Sexualstraftätern im Justizvollzug: Praxis und Evaluation. Forum Verlag Godesberg. First citation in articleGoogle Scholar

  • Wischka, B. & Specht, F. (2001). Integrative Sozialtherapie. Mindestanforderungen, Indikation und Wirkfaktoren. In: G. RehnB. WischkaF. LöselM. Walter (Hrsg.), Behandlung „gefährlicher Straftäter“: Grundlagen, Konzepte, Ergebnisse (S. 249 – 263). Herbolzheim: Centaurus. First citation in articleGoogle Scholar

1Hierbei handelt sich um ein Programm zum Training von kognitiven Fähigkeiten, die prosoziales Verhalten fördern und somit das Rückfallrisiko reduzieren sollen.

2Lockerungen im Justizvollzug beschreiben freiheitsbezogene Maßnahmen, die in der Regel einen über die verschiedenen Lockerungsstufen verlaufenden zunehmenden Freiheitsgrad aufweisen. Sie verfolgen dezidiert einen behandlungsbezogenen Zweck, da durch Lockerungen (z. B. durch das zeitweise Verlassen der Anstalt, zunächst mit Begleitung, später auch ggf. ohne Begleitung in sukzessive längeren Zeitabschnitten) intramural erzielte Behandlungsfortschritte extramural (d. h. realitätsnäher) erprobt werden sollen.