Leitungshandeln in Kitas im Kontext des Systems der Kindertagesbetreuung
Das Thema Leitung von Kindertageseinrichtungen ist ein noch junges Forschungsfeld. International finden sich seit Beginn des Jahrtausends insbesondere aus Finnland, Großbritannien und Australien erste Publikationen, darunter auch Lehrbücher, zu diesem Thema: Hujala, 2004, Aubrey, 2007, Rodd, 2013 oder Siraj-Blatchford & Hallett, 2014. Auch neuere internationale Studien (Hujala, Waniganayake & Rodd, 2013, Strehmel, Heikka, Hujala, Rodd & Waniganayake, 2019) haben der Forschung in Deutschland wichtige Impulse gegeben.
Hierzulande wurden 2003 erstmals die Träger von Kindertageseinrichtungen im Rahmen der Nationalen Qualitätsinitiative (NQI) in den Blick genommen (Fthenakis, Hanssen, 15-1Oberhuemer & Schreyer, 2003). Dabei wurde deutlich, dass die Arbeitsteilung zwischen Trägern und Kita-Leitungen spezifisch ausgehandelt wird (vgl. Oberhuemer, Schreyer & Hanssen, 2003). Die Muster der Arbeitsteilung dürften ebenso heterogen sein wie die Trägerlandschaft selbst. Aktuelle Studien zeigen, dass ein Großteil der Managementaufgaben häufig an die Leitungskräfte delegiert wird (Klaudy, Köhling, Micheel & Stöbe-Blossey, 2016, Geiger, 2019).
Anknüpfend an das im Rahmen der NQI entwickelte Profil sowie aufbauend auf einem Führungsansatz aus dem Non-Profit-Bereich (Simsa & Patak, 2008) entwickelten Strehmel & Ulber (2014, 2020) ein Aufgabenprofil für Leitungen von Kindertageseinrichtungen. Dabei wurde deutlich, dass Kita-Leitungskräfte nicht nur für die pädagogische Profilierung und Alltagsorganisation in ihren Einrichtungen zuständig sind, sondern vielmehr für das Management eines kleinen oder mittleren Betriebes mit hohen Anforderungen u.a. im Personalmanagement sowie in Finanzierungsfragen und baulichen Belangen (Strehmel, 2016). Ihre Aufgaben werden von den Trägern, die als Unternehmen die Kindertageseinrichtungen betreiben, in unterschiedlicher Weise unterstützt und gerahmt. Studien wie AQUA („Arbeitsplatz und Qualität in Kitas“, vgl. Schreyer, Krause, Brandl & Nicko, 2014) und StEGE („Strukturqualität und ErzieherInnengesundheit“, vgl. Viernickel, Voss & Mauz, 2017) machten deutlich, welche Wirkungen das Leitungshandeln wie auch die Aktivitäten der Träger auf die pädagogische Qualität und das Wohlbefinden der Beschäftigten in den Kindertageseinrichtungen entfalten können. Die qualitative Studie von Nentwig-Gesemann, Nicolai & Köhler (2016) zeigte unterschiedliche Haltungen von Kita-Leitungskräften auf.
Internationale Organisationen wie die Europäische Union sowie die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) untersuchten verschiedene Systeme der frühen Bildung international vergleichend. Verschiedene Forschungsinstitutionen der EU stellten vergleichende Analysen der Systeme früher Bildung in Europa zur Verfügung (Eurofound, 2015, European Comission/EACEA/Eurydice, 2019). In der CoRe-Studie (2011) wurden Kriterien für ein „kompetentes System der Kindertagesbetreuung“ über das notwendige Wissen, Handlungskompetenzen und Werte empirisch erschlossen. Neuere Publikationen befassen sich u.a. mit der Personalentwicklung in Kindertageseinrichtungen (EU, 2021). In der Serie „Starting Strong“ (OECD, 2006, 2012, 2015) wurden die Rahmenbedingungen der Kindertagesbetreuung im internationalen Vergleich untersucht. Zuletzt wurden internationale Vergleiche zu Aufgabenprofilen, Arbeitsbedingungen, Ressourcen des Leitungshandelns und der Zufriedenheit von Leitungskräften in Kindertageseinrichtungen aus dem „Teaching and Learning International Survey“ (TALIS) vorgestellt (Bader, Riedel, Seybel & Turani 2021). Die Diskurse über Aufgaben und Situation der Leitungskräfte in Kindertageseinrichtungen machen deutlich: Leitungsforschung ist immer auch Organisationsforschung und muss im Kontext der jeweiligen Systeme interpretiert werden. Forschungsgegenstände sind nicht nur das Erleben und Verhalten von Leitungskräften, sondern auch die Strukturen und Prozesse in den jeweiligen Organisationen: den Einrichtungen oder Trägerorganisationen und hierbei häufig die Interaktionen von Leitungskräften mit dem pädagogischen Team oder den jeweiligen Verantwortlichen beim Träger. Die Untersuchungseinheiten sind somit die jeweiligen Organisationen im Kontext des Systems als komplexe soziale Gebilde. Untersuchungssubjekte, also diejenigen, die befragt oder beobachtet werden, sind die Leitungskräfte bzw. ihre unmittelbaren Interaktionspartnerinnen und Interaktionspartner in den Einrichtungen, den Trägerorganisationen, im Sozialraum und auf der Governanceebene.
Entsprechend dieses methodologischen Ansatzes sind drei der vier in diesem Heft vorgestellten Forschungsprojekte “Klein-n-Studien“, d.h. Studien, die in relativ wenigen ausgewählten Kindertageseinrichtungen oder Trägerorganisationen Interaktionsprozesse zwischen den Leitungskräften und den je nach Forschungsgegenstand relevanten anderen Personen untersuchen.
Martin Wieland und Helen Knauf befragten in ihrer qualitativen Studie 15 Leitungskräfte nach Herausforderungen in der Gestaltung von Veränderungsprozessen, die angesichts der hohen Dynamik im Feld mittlerweile zur Normalität geworden sind. Das Changemanagement erscheint demnach als zentrale und äußerst komplexe Aufgabe von Leitungskräften in Kindertageseinrichtungen. Dabei geht es häufig um die Umsetzung von Vorgaben von außen, die gemeinsam mit dem Team zu entwickeln ist.
Mareike Bahn, Christoph Weihrather und Hendrik Lohse-Bossens untersuchen die Rollen von Leitungskräften im Kontext ihrer Arbeitsbedingungen mit und ohne Freistellung. Sie arbeiten dabei mit einem netzwerkanalytischen Ansatz, mit welchem die Interaktionsbeziehungen nach bestimmten Strukturmerkmalen klassifiziert werden können. Je nach Arbeitsbedingungen, wie zum Beispiel die Beteiligung an Gruppendiensten, werden Leitungskräfte unterschiedliche Erwartungen von den Teammitgliedern entgegengebracht. Die Autoren werben zugleich dafür, Netzwerkanalysen als innovative Methodologie in der Forschung über Strukturen und Prozesse in Kindertageseinrichtungen verstärkt einzusetzen.
Im dritten Beitrag geht Petra Strehmel der Frage nach, wie unterschiedlich strukturierte Träger ihre Maßnahmen zur Weiterentwicklung des Personals gestalten. Welche Rolle spielen dabei die Strukturmerkmale der Träger und inwiefern werden Ressourcen aus dem Unterstützungssystem genutzt? Dazu analysiert sie zunächst die heterogene Landschaft der Anbieter von Kindertagesbetreuung und vergleicht im Design einer multiplen Fallstudie vier Träger aus verschiedenen Trägergruppen. Ein auch für die Steuerung des Systems bedeutsames Ergebnis ist, dass Funktionen, die bei größeren Trägern intern besetzt werden, wie zum Beispiel Fachberatung oder Verwaltung, bei kleineren Trägern durch die Vernetzung in Dachverbänden kompensiert bzw. an externe Dienstleister delegiert werden können.
Laura Oetjendiers, Verena Dederer, Ilja Rauscher-Laheij und Beatrix Broda-Kaschube greifen mit ihrer Studie zu Kitaleitungen in der Corona- Pandemie ein hochaktuelles Thema auf. In ihrer quantitativen Befragung mit fast 4000 Leitungskräften in Bayern wurden die besonderen Herausforderungen und die gestiegenen Erwartungen an Leitungskräfte in der Coronakrise deutlich. Die Befragten berichteten über eine erhöhte Arbeitsbelastung in der Pandemie, die insbesondere mit den Interaktionen zum einen mit dem Team und zum anderen mit dem Träger zusammenhängen. Viele Leitungskräfte wollten die Pandemie als Chance nutzen, Veränderungsprozesse in ihren Einrichtungen zu initiieren, um bei künftigen Krisen besser gewappnet zu sein.
Die Befunde unterstreichen die Notwendigkeit künftiger Forschung, um die Gestaltung des Alltags und die Führungsaufgaben von Leitungskräften in Kindertageseinrichtungen noch besser zu verstehen und auf einer breiter werdenden empirischen Grundlage auch gestalten zu können. Wichtig erscheint dabei auch der Blick auf das System in seiner großen Heterogenität. Dafür stehen mittlerweile vielversprechende theoretische Ansätze und zunehmend auch Daten über die Strukturen und Prozesse im System der Kindertagesbetreuung (z.B. European Comission, EACEA & Eurydice, 2019; BMFSFJ, 2020; Autorengruppe Fachkräftebarometer, 2021) zur Verfügung. Zugleich finden innovative empirische Methoden und Forschungsdesigns Eingang in die Forschung über die Leitung von Kindertageseinrichtungen, die den organisationalen Prozessen und damit auch den komplexen Leitungsrollen gerecht werden können. Diese wissenschaftliche Basis kann in künftigen Studien weiterentwickelt und noch stärker integriert werden.
Literatur
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