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Published Online:https://doi.org/10.1026/2191-9186/a000267

Den Leserinnen und Lesern von Frühe Bildung wird regelmäßig eine große Vielfalt an interessanten Themen geboten. Dabei scheint jedoch der Bereich der musikalischen Bildung kaum eine eigenständige Bedeutung zu besitzen. Zwar fand sich bereits 2011 im ersten Heft der Zeitschrift ein Beitrag von Gerhard Ropeter zur frühen musikalischen Bildung, in dem ein Praxisprojekt vorgestellt wurde; dieser eher informierende Aufsatz ist aber leider bislang der einzige geblieben.

Daher sind wir der Anfrage, ein Themenheft zur frühen musikalischen Bildung zu betreuen, gerne nachgekommen. Wir möchten mit dieser Ausgabe eine auf Musik bezogene Zusammenstellung einschlägiger Impulse aus der aktuellen Forschung liefern, die vergleichsweise wenige Fachvertreterinnen und -vertreter besitzt.

Die frühe musikalische Bildung ist in der Musikpädagogik und angrenzenden Bereichen schon lange ein selbstverständliches Thema, was an der aktuell wachsenden Literaturfülle abzulesen ist. Dass die wissenschaftliche Bearbeitung dieses Themas in Deutschland nicht im Fokus musikpsychologischer und -pädagogischer Forscherinnen und Forscher steht, hat wohl vielfältige Gründe:

  • Professuren für Elementare Musikpädagogik an deutschen Hochschulen sind in aller Regel eher didaktisch und künstlerisch-praktisch orientiert. Von wenigen Ausnahmen abgesehen fehlen entsprechende wissenschaftliche Professuren an Musikhochschulen oder Universitäten, sodass die entsprechende Fach-Community wenig Gewicht besitzt.
  • Dem Fach Musik kommt in der öffentlichen Diskussion um die Bildung in der allgemeinbildenden Schule ein vergleichsweise geringer Stellenwert zu. Andere Bildungsbereiche, die in der schulbezogenen Debatte im Vordergrund stehen – etwa sprachliche und mathematische Bildung – wurden daher stärker wissenschaftlich bearbeitet.
  • Langzeitstudien zu Verlauf und Auswirkungen musikalischer Bildung im Rahmen von Bildungsbiographien stellen nach wie vor ein Desiderat dar. Solche Untersuchungen könnten ihrerseits wieder Studien zu speziellen Fragen auch in Bezug auf die frühe Kindheit anregen.

Dessen ungeachtet kann man von einem weit gehenden Konsens in der Gesellschaft darüber ausgehen, dass bereits junge Kinder mit Musik in Berührung kommen sollten. Der deutsche Bildungsbericht zeigte eine weite Verbreitung des Singens und Musizierens im Elternhaus ebenso wie eine hohe Nutzung außerfamiliärer musikpädagogischer Angebote (Weishaupt et al., 2012). Hier sind zunächst Angebote Elementarer Musikpraxis mit Eltern-Kind-Gruppen zu nennen, wie sie sich seit den 1990er-Jahren zunehmend in der Praxis etabliert haben. Schon seit dem Ende der 1960er-Jahre halten öffentliche Musikschulen Angebote der „Musikalischen Früherziehung“ für Kinder im Vorschulalter vor (vgl. Dartsch, 2010a, S. 9 ff.). Seit den 1970er-Jahren entstanden vermehrt auch Studiengänge für angehende Lehrkräfte dieses Faches. Für die entsprechende Fachdisziplin, die inzwischen an fast allen Musikhochschulen und Konservatorien vertreten ist, hat sich der Begriff „Elementare Musikpädagogik“ etabliert, wobei dies mittlerweile auch Angebote für ältere Kinder, Jugendliche und Erwachsene bis hin zum Seniorenalter umfasst. In jedem Falle geht es um das Singen, das Spielen von Instrumenten, das Bewegen im Zusammenhang mit Musik, das Wahrnehmen und Erleben, das Sprechen und Nachdenken über Musik sowie das Verbinden von Musik mit anderen Ausdrucksmedien (vgl. Dartsch, 2010b). Leider sind Wechselbeziehungen zwischen der Elementaren Musikpädagogik und der Allgemeinen Pädagogik oder der Psychologie bislang eher schwach ausgeprägt.

Ein zentrales Praxisfeld früher musikalischer Bildung stellen Tageseinrichtungen für Kinder dar. Die Beschäftigung mit Musik wird hier als Facette einer für kindliche Bildungsprozesse förderlichen Umwelt verstanden (vgl. Jugendministerkonferenz, Kultusministerkonferenz, 2004). Allerdings werden die Ausbildung des Fachpersonals sowie die Praxis vor Ort den hiermit verbundenen Ansprüchen häufig kaum gerecht. Aufgrund der erkannten Bedeutung frühkindlicher Bildung wird solchen Defiziten in jüngerer Zeit mit Projekten, Programmen und Fortbildungen begegnet (vgl. Dartsch, 2014). Programme dieser Art sollten von einschlägiger Forschung ebenso profitieren wie die Studiengänge der Elementaren Musikpädagogik und nicht zuletzt die Praxis des Unterrichts.

Im vorliegenden Heft wurde versucht, exemplarische Arbeiten zur Frühen Bildung aus unterschiedlichen Traditionen zu präsentieren: Als eine der führenden Vertreterinnen der frühkindlichen Bildung in den USA hat Lisa Huisman Koops vergleichende musikpädagogische Forschung in Afrika betrieben. Neben einer umfangreichen Literaturschau mit angelsächsischem Blick werden zwei nachhaltige Förderprojekte mit Einschluss musikalischer Bildung vorgestellt – darunter ein inklusives Projekt. Eine kritische Reflexion zum Stand der Evaluation dieser Projekte rundet den Aufsatz ab. Wir danken Frau Evelyn Seidel für die Übersetzung aus dem Englischen.

Anne Steinbach macht in ihrem Beitrag methodologische Reflexionen aus dem Bereich der Kindheitsforschung für die Musikpädagogik fruchtbar und sorgt so für einen Brückenschlag zwischen Erziehungswissenschaft und Musikpädagogik. An einer von der Autorin durchgeführten Untersuchung wird deutlich, wie die musikbezogenen Wünsche, Erwartungen und Ideen von Kindern in Interviews mit ihnen ins Zentrum gerückt werden können.

Aus der Evaluationsforschung von Musikinitiativen an Grundschulen („WIM – Wir musizieren“) und der Entwicklung von Fortbildungsprogrammen zur Kita („PrimaCanta Kita“) sind Barbara Busch und Silvia Müller bekannt. Ihr Aufsatz ist ein Beispiel dafür, wie wissenschaftliche Forschung zum Singen im Kindergartenalter didaktisch so umgesetzt werden kann, dass die Kenntnisse wiederum in der Fortbildung von Erzieherinnen nutzbar gemacht werden können. Es geht im abgedruckten Beitrag um die reflektierte Auswahl von Liedrepertoire.

Stärker experimentell arbeitet das Team Franziska Degé und Gudrun Schwarzer. Sie sind im internationalen Diskurs bekannt und deutschlandweit die einzigen, die in der interessierenden Altersgruppe Trainingsstudien durchgeführt und Transfereffekte untersucht haben. Mit ihren Erkenntnissen zur phonologischen Bewusstheit berühren sie ein vergleichsweise intensiv beforschtes Thema mit großer Praxisrelevanz.

Die Herausgeber hoffen, mit diesem Heft die wissenschaftliche Diskussion früher musikalischer Bildung zu befördern, eventuell sogar Anstöße für weiterführende Arbeiten zu geben und damit letztendlich zu einer Qualitätssteigerung in der Praxis beizutragen.

Andreas C. Lehmann

Michael Dartsch

Literatur