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Open AccessOriginalarbeit

Bildung und Sucht: Eine explorative Untersuchung im Rahmen der Deutschen Suchthilfestatistik

Published Online:https://doi.org/10.1024/0939-5911.a000353

Abstract

Fragestellung: Bildung stellt einen wesentlichen Faktor für das Gesundheitsverhalten dar. Während hohe Bildung als protektiver Faktor für die Gesundheit gesehen wird, scheint niedrige Bildung mit gesundheitsriskanterem Verhalten verbunden zu sein. Substanzkonsum gilt als eine dieser gesundheitsschädlichen Verhaltensweisen. Klienten aus ambulanten und stationären Suchthilfeeinrichtungen werden hinsichtlich ihres Bildungsstatus und den Hauptdiagnosen untersucht, um der Frage nachzugehen, inwieweit sich diese Zusammenhänge auch innerhalb der untersuchten Population widerspiegeln. Als globales Maß wird dabei der Zusammenhang zwischen Bildungsstand und Behandlungserfolg betrachtet. Methodik: Datengrundlage bilden die Routinedaten der Deutschen Suchthilfestatistik (DSHS) 2010, zwei Sonderauswertungen der DSHS sowie der Mikrozensus der deutschen Bevölkerung 2010. Innerhalb der DSHS-Daten werden zwei Gruppen (hoch und niedrig gebildete Personen) untersucht. Ergebnisse: Im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung zeigt sich in der DSHS ein höherer Anteil von Personen mit niedrigem Bildungsstand. Innerhalb der untersuchten Population weisen Personen mit niedrigem Bildungsstand häufiger Hauptdiagnosen im Bereich illegaler Substanzen auf, während bei Personen mit hohem Bildungsstand Hauptdiagnosen im Bereich legaler Substanzen häufiger sind. Ein hohes Bildungsniveau ist zudem mit besseren Behandlungsergebnissen und geringeren Behandlungsabbrüchen assoziiert. Schlussfolgerungen: Die Ergebnisse sprechen für Bildung als wichtigen Faktor im Zusammenhang mit Substanzabhängigkeit. Unterschiede in der Bildungsverteilung innerhalb der Hauptdiagnosegruppen sowie Unterschiede im Verlauf und Ergebnis der Behandlung in Abhängigkeit des Bildungsstandes erweisen sich hier als bedeutsam für die Versorgung von Personen in Einrichtungen der Suchthilfe.

Addiction and Education: An exploratory Data Analysis of the German Addiction Treatment Statistics

Aim: Education plays an important role in health-related behavior. Having achieved a high level of education may be seen as a protective factor for health, whereas lower levels of education appear to be related to health-risky behavior. Substance use is considered to be one of these harmful behaviors. The present study analyzes this relationship in a sample of clients from inpatient and outpatient addiction treatment centers with respect to their educational status and the distribution of the main diagnoses (MD). In this investigation the relationship between level of education and treatment outcome serves as a global measure. Methods: We analyzed data from the annual German Addiction Treatment Statistics (DSHS, 2010), from two additional datasets, as well as from the microcensus of the overall German population. Within the DSHS data we investigated two distinct groups (high- and low-educated clients). Results: Compared to the overall German population we found a higher proportion of low-educated people in the DSHS data. Within the sample investigated, clients with lower levels of education more often presented a MD due to an illicit substance, while the MD in the field of legal substances were more frequent among high-educated clients. A high level of education is also associated with better treatment outcomes and with reduced treatment breakoffs. Conclusion: The results suggest that education is a relevant factor in the context of substance use and dependence. Differences in the distribution of education within the MD groups as well as differences in the course and treatment outcome stemming from the level of education prove to be just important for the care of clients in addiction treatment.

Einleitung

Bildung stellt einen wesentlichen Prädiktor in den Gesundheitswissenschaften dar. Eine Vielzahl an Studien konnte zeigen, dass höhere Bildung mit einem gesünderen Lebensstil und gesundheitsförderlichen Verhaltensweisen und demzufolge auch mit besserer Gesundheit und einer höheren Lebenserwartung korreliert (Groot & van den Brink, 2007; Silles, 2009; Valkonen, Sihvonen & Lahelma, 2012). Umgekehrt scheint niedrige Bildung vermehrt mit gesundheitsriskantem Verhalten verbunden zu sein (von dem Knesebeck, Verde & Dragano, 2006). Große epidemiologische Studien fanden positive Korrelationen zwischen der Höhe der kognitiven Fähigkeiten und besserer Gesundheit (Deary, Walley & Starr, 2003; Hart et al., 2005, McDaniel, 2006). Gottfredson und Deary (2004) argumentieren, dass geistige Fähigkeiten dabei vor allem einen Prädiktor für ein besseres gesundheitsbezogenes Verhalten darstellen, wie etwa das Vermeiden gefährlicher oder gesundheitsschädlicher Einflüsse. Dazu zählen unter anderem riskanter Substanzkonsum und dadurch entstehende Abhängigkeitserkrankungen.

Bislang gibt es nur wenige Studien, die untersuchten, inwieweit Bildung einen Risiko- bzw. Schutzfaktor bei der Entstehung von Substanzabhängigkeit darstellt und welchen Einfluss der Bildungsstand auf den Verlauf einer Suchterkrankung hinsichtlich Rückfallrisiko und Behandlungserfolg hat. Die Untersuchung dieses Zusammenhangs ist jedoch von großer Bedeutung, da hieraus sowohl Hinweise für die Prävention als auch für die Behandlung von Suchterkrankungen gewonnen werden können.

Bisherige Studien, die sich mit dieser Thematik beschäftigten, fanden konsistent negative Zusammenhänge zwischen Bildungsstand und Substanzkonsum. So fand eine Studie aus den USA einen negativen Zusammenhang zwischen Alkoholmissbrauch und -abhängigkeit mit vermehrtem High School- und College Abbruch (Crum, Helzer & Anthony, 1993). Weitere länderübergreifende Studien fanden einen stark konsistenten, negativen Zusammenhang zwischen Schulerfolg mit dem Konsum von Tabak (Azevedo, Machado & Barros, 1999; Hu, Lin & Keeler, 1998; Huismann, Kunst & Mackenbach, 2005), Cannabis (Fergusson, Horwood & Beautrais, 2003; Meier et al., 2012) und Ecstasy (Çorapçıoglu & Ögel, 2004). Eine Studie von Richter & Hurrelmann (2004) zu sozioökonomischen Unterschieden im Substanzkonsum bei Jugendlichen fand eine enge Beziehung zwischen dem Schultyp und dem Konsum von Tabak und Alkohol. Bezüglich des Konsums von Alkohol zeigte sich konsistent, dass vor allem riskanter Konsum und Hochkonsum stärker mit einem geringeren Bildungsniveau assoziiert sind, während höhere Bildung zwar mit regelmäßigem aber moderatem Konsum korreliert (Kraus, Pabst & Müller; 2011; Raschke, Kalke, Buth, Rosenkranz & Hiller, 2008; Schneider & Schneider, 2012). Schneider und Schneider (2012) sehen eine mögliche Erklärung dieser Befunde darin, dass Personen mit hohem Bildungsstand besser über Risiken und Gefahren schädlichen Substanzkonsums aufgeklärt sind. Dies scheint einen präventiven Faktor vor riskantem oder abhängigem Substanzgebrauch darzustellen und infolge dessen mit einem gesundheitsförderlicheren Verhalten einherzugehen.

Bildung scheint jedoch nicht nur mit Substanzkonsum im Allgemeinen sondern auch mit der Art der konsumierten Substanz, dem Behandlungserfolg und dem Rückfallrisiko zu korrelieren. Einige Studien fanden, dass Personen mit niedriger Bildung stärker zur Entwicklung von Störungen aufgrund des Konsums illegaler Substanzen neigen (Mortensen, Sørensen & Grønbæk, 2005; Raschke et al., 2008). Eine Erklärung hierfür sehen Galea, Nandi und Vlahov (2004) in dem sozialen Milieu von Personen, das mit einer unterschiedlich hohen Kontaktwahrscheinlichkeit mit verschiedenen Substanzen verbunden ist. Greenfield et al. (2003) fanden weiterhin, dass der Bildungsstand unmittelbare Auswirkungen auf den Behandlungserfolg und das Rückfallrisiko zu haben scheint. Faktoren wie Lernschwierigkeiten, Problemlöseschwierigkeiten und Aufmerksamkeitsstörungen spielen dabei eine wichtige Rolle und liefern eine mögliche Erklärung, warum Personen mit geringeren kognitiven Fähigkeiten weniger von einer Therapie profitieren.

Insgesamt sprechen die Befunde der Literatur für einen negativen Zusammenhang zwischen Bildung und Substanzabhängigkeit. Dennoch ist es auf Grundlage dieser Studien schwierig allgemeingültige Aussagen zu treffen, da meist nur einzelne Substanzen hinsichtlich ihres Zusammenhangs mit Bildung untersucht wurden und bezüglich der untersuchten abhängigen Variablen sowie der Operationalisierung des Konstrukts ‚Bildung‘ erhebliche Unterschiede bestehen. Die Daten der Deutschen Suchthilfestatistik (DSHS) bieten die Möglichkeit, diesen Zusammenhang anhand naturalistischer Daten genauer zu untersuchen. Da hier neben Angaben zum Bildungsstand alle Klienten- und Behandlungsdaten nach Substanzgruppen getrennt vorliegen, können alle Substanzgruppen hinsichtlich des Zusammenhangs mit Bildung untersucht und zudem auch Unterschiede zwischen den Hauptdiagnosegruppen betrachtet werden.

Ziel dieser Studie ist es zum einen die Bildungsverteilung der im Rahmen der DSHS dokumentierten Personen genauer zu betrachten und in Bezug zur deutschen Allgemeinbevölkerung zu setzen. Weiterhin soll die Bildungsverteilung innerhalb der Hauptdiagnosegruppen sowie Unterschiede in der Verteilung der Hauptdiagnosen und im Behandlungsergebnis in Abhängigkeit des Bildungsstandes genauer betrachtet werden. Ausgehend von den Befunden der Literatur wird angenommen, dass sich (a) unter den in Suchthilfeeinrichtungen behandelten Personen ein prozentual geringerer Anteil hoch gebildeter Personen befindet als in der deutschen Allgemeinbevölkerung, (b) sich die Bildungsverteilung innerhalb der Hauptdiagnosegruppen unterscheidet, (c) Personen mit niedrigem Bildungsstand häufiger eine Hauptdiagnose im Bereich illegaler Substanzen aufweisen als Klienten mit hohem Bildungsstand und dass (d) Personen mit hoher Bildung einen besseren Behandlungserfolg und weniger Behandlungsabbrüche aufweisen als Personen mit niedrigem Bildungsstand.

Methodik

Design und Stichprobe

Es handelt sich um eine deskriptive Analyse der Daten von Klienten aus ambulanten Suchtberatungs-/-behandlungseinrichtungen (N = 777) sowie (teil‐)stationären Rehabilitations-einrichtungen und Adaptionseinrichtungen (N = 189) in Deutschland, die jährlich im Rahmen der Deutschen Suchthilfestatistik (DSHS; Steppan, Künzel & Pfeiffer-Gerschel, 2011) dokumentiert werden.

Es wurden Fälle aus ambulanten Beratungs- und/oder Behandlungsstellen, Fachambulanzen und Institutsambulanzen (N = 313.661) sowie aus (teil‐)stationären Rehabilitationseinrichtungen und Adaptionseinrichtungen (N = 44.872) betrachtet. Die ambulanten Daten der DSHS basieren auf der Bezugsgruppe der „Zugänge/Beender“, d. h. es werden Daten zu jenen Personen berichtet, die im jeweiligen Berichtsjahr eine Betreuung begonnen bzw. beendet haben. Die stationären Daten basieren auf der Bezugsgruppe der „Beender“, d. h. es werden Daten zu jenen Personen berichtet, die im jeweiligen Berichtsjahr eine Betreuung beendet haben. Auf Bundesebene sind keine Individualdaten verfügbar, da nur Behandlungsepisoden bzw. Fälle auf Einrichtungsniveau aggregiert werden und in die DSHS eingehen. Die Zahl der Einrichtungen, in denen Fälle dokumentiert worden sind, kann für jedes Item (z. B. Alter, Geschlecht) in jeder Auswertung und für jedes Jahr angegeben werden, ebenso wie eine geschätzte Erreichungsquote der DSHS. Die Zahl der Einrichtungen kann allerdings von Jahr zu Jahr und auch von Item zu Item variieren, da in der DSHS für alle Tabellen, bei denen es sich um Einfachwahlfragen handelt, ein einrichtungsbezogener Missingwert (= Anteil fehlender Angaben an der Gesamtheit der Angaben für die jeweilige Tabelle) von 33 % oder weniger für die Aufnahme in die Gesamtauswertung vorausgesetzt wird. Daten von Einrichtungen mit einer höheren Missingquote werden bei der Zusammenfassung der Daten für die jeweilige Tabelle nicht berücksichtigt. Dadurch lässt sich verhindern, dass die Datenqualität insgesamt durch wenige Einrichtungen mit einer hohen Missingquote überproportional beeinträchtigt wird. Die Grundgesamtheit schließt alle Fälle ein, für die eine Hauptdiagnose vergeben wurde.

Zusätzlich zum Gesamtdatensatz wurde eine Sonderauswertung des Jahres 2010 herangezogen (N ambulant = 30.230, N stationär = 5.114), welche nur Klienten mit höchstem Bildungsabschluss (Fachhochschulreife/Abitur) beinhaltet. Dies ermöglicht eine Gegenüberstellung der Gruppen „hohe Bildung“ (ambulant = 15.369; stationär = 3.983) und der Vergleichsgruppe „niedrige Bildung“ (ambulant = 139.790; stationär = 35.346), welche alle Fälle beinhaltet, die den restlichen Kategorien (ohne Schulabschluss, in schulischer Ausbildung, Hauptschulabschluss, Realschulabschluss/Polytechnische Oberschule) zugeordnet wurden.

Für den Vergleich mit der deutschen Allgemeinbevölkerung (Personen über 15 Jahre) wurde der Mikrozensus zum Bildungsstand der deutschen Bevölkerung 2010 herangezogen. Bei den Ergebnissen des Mikrozensus, einer Repräsentativstatistik über die Bevölkerung und den Arbeitsmarkt, der jährlich mit einem Auswahlsatz von 1 % der Bevölkerung durchgeführt wird, handelt es sich um hochgerechnete Zahlen. Die Basis für die Hochrechnung bilden die Eckzahlen der laufenden Bevölkerungsfortschreibung (Statistisches Bundesamt, 2011).

Instrumente

Das verwendete Dokumentationssystem orientiert sich am Deutschen Kerndatensatz zur Dokumentation in der Suchthilfe (KDS) (DHS, 2012). Die Diagnostik des KDS orientiert sich an der Internationalen Klassifikation psychischer Störungen (ICD-10; Dilling, Mombour und Schmidt, 2013). Die Dokumentation in den Einrichtungen erfolgt in der Regel anhand Computer-basierter Softwaresysteme.

Variablen

Alle Variablen wurden gemäß des KDS operationalisiert. Die Operationalisierung des Bildungsniveaus der in der DSHS dokumentierten Personen erfolgte anhand der Variable „höchster bisher erreichter allgemeinbildender Schulabschluss“ (DSHS) mit den Ausprägungen „ohne Schulabschluss“, „in schulischer Ausbildung“, „Hauptschulabschluss“, „Realschulabschluss/Polytechnische Oberschule (POS)“ und „(Fach)Hochschulreife/Abitur“. Für den Vergleich mit der Allgemeinbevölkerung lag die Variable „Bildungsstand“ des Mikrozensus in vergleichbarer Form vor (Statistisches Bundesamt, 2011). Der Behandlungserfolg wurde anhand der Items „Behandlungsergebnis“ („erfolgreich“, „gebessert“, „unverändert“, „verschlechtert“)‚ „Behandlungsdauer“ („1 Tag“, „bis 4 Wochen“, „bis 8 Wochen“, „bis 12 Monate“, „bis 6 Monate“, „bis 9 Monate“, „bis 12 Monate“, „bis 24 Monate“, „> 24 Monate“) und „Art der Beendigung“ („regulär“, „vorzeitig auf therapeutische Veranlassung“, „vorzeitig mit therapeutischem Einverständnis“, „planmäßiger Wechsel in andere Einrichtung“, „vorzeitig, Abbruch durch Klient“, „disziplinarisch“, „außerplanmäßiger Wechsel in andere Einrichtung“, „verstorben“) operationalisiert. Eine „reguläre“, „vorzeitig auf therapeutische Veranlassung“, „vorzeitig mit therapeutischem Einverständnis“ beendete Behandlung sowie der „planmäßige Wechsel in andere Einrichtung“ gelten dabei als planmäßige Beendigungen, während „vorzeitig, Abbruch durch Klient“, „disziplinarisch“ „außerplanmäßiger Wechsel in andere Einrichtung“, „verstorben“ eine unplanmäßige Beendigung darstellen.

Ein- und Ausschlusskriterien

In die Untersuchung einbezogen wurden die HD-Gruppen Alkohol (ambulant: 85.673; stationär: 29.569), Opioide (ambulant: 27.299; stationär: 3.352), Cannabis (ambulant: 21.116; stationär: 2.233), Sedativa/Hypnotika (ambulant: 1.281; stationär: 379), Kokain (ambulant: 3.507; stationär: 597), Stimulanzien (ambulant: 4.851; stationär: 848) und andere psychotrope Substanzen (ambulant: 891; stationär: 1.316). Die HD-Gruppen Tabak (ambulant: 1.701; stationär: 28), Halluzinogene (ambulant: 94; stationär: 8) und Flüchtige Lösungsmittel (ambulant: 45; stationär: 13) wurden aufgrund der geringen Fallzahlen in diesen Kategorien aus der Analyse ausgenommen.

Auswertung

Es erfolgte eine deskriptive Darstellung der Bildungsverteilung der im Rahmen der DSHS dokumentierten Personen und der Allgemeinbevölkerung, sowie der Bildungsverteilung innerhalb der einzelnen Hauptdiagnosegruppen und der Variablen zum Behandlungserfolg. Zur Untersuchung von Unterschieden in der Prävalenz von Hauptdiagnosen im Bereich legaler und illegaler Substanzen in den Bildungsgruppen (hoch/niedrig) wurden die HD-Gruppen dichotomisiert und den Gruppen „illegale Substanzen“ (Opioide, Cannabis, Kokain, Stimulanzien und andere psychotrope Substanzen) und „legale Substanzen“ (Alkohol und Sedativa/Hypnotika) zugeteilt. Weiterhin wurden die Bildungsgruppen (hoch/niedrig) hinsichtlich der Behandlungsvariablen „Behandlungsdauer“, „Art der Beendigung“ und „Behandlungserfolg“ verglichen. Da es sich bei den Daten der DSHS um aggregierte Daten handelt und keine Individualdaten vorliegen, ist die Verwendung üblicher statistischer Tests zur Überprüfung von Mittelwertunterschieden mit den verfügbaren Daten nicht möglich. Unterschiede zwischen den Bildungsgruppen wurden mittels Chi2-Test auf Signifikanz getestet. Da aufgrund der Sensitivität von χ2-Tests bei großen Stichproben selbst kleinste Mittelwertunterschiede statistisch bedeutsam werden können, deren testtheoretische Signifikanz aber möglicherweise klinisch irrelevant ist (Bortz, 2005), wurden nur Unterschiede von mindestens 5 Prozentpunkten als klinisch relevant beurteilt. Aufgrund der nahezu flächendeckenden Berichterstattung und der damit verbundenen Repräsentativität für alle Klienten in der ambulanten (geschätzte Erreichungsquote 2013 ≥70.1 %) und stationären (geschätzte Erreichungsquote 2013 ≥60.4 %) Suchthilfe (Brand et al., 2014) sowie der Größe der Datensätze, kann jedoch die deskriptive Darstellung der Ergebnisse als ausreichend und repräsentativ für das Hilfesystem erachtet werden.

Ergebnisse

Bildungsverteilung DSHS und Allgemeinbevölkerung

Die Ergebnisse zur Bildungsverteilung von Personen in ambulanten und stationären Einrichtungen und in der Allgemeinbevölkerung sind in Abbildung 1 dargestellt.

Abbildung 1. Bildungsverteilung ambulant, stationär und Gesamtbevölkerung.

Der Anteil an Personen mit (Fach)Hochschulreife/Abitur ist in der Allgemeinbevölkerung mehr als doppelt so hoch (25.8 %) wie unter den in der DSHS dokumentierten Personen in ambulanten (10.8 %) und stationären (12.0 %) Einrichtungen. Umgekehrt ist der Anteil an Personen mit Hauptschulabschluss (ambulant: 45.5 %; stationär: 44.9 %) oder ohne Schulabschluss (ambulant: 9.1 %; stationär: 7.3 %) in der DSHS wesentlich höher als in der Allgemeinbevölkerung (37.0 % bzw. 4.1 %). Hinsichtlich des Anteils an Personen mit Realschulabschluss zeigen sich keine Unterschiede zwischen den Stichproben. Der Anteil an Personen in schulischer Ausbildung liegt in den stationären Einrichtungen (0.1 %) sowohl unter der Allgemeinbevölkerung (3.5 %) als auch unter den ambulanten Einrichtungen (3.0 %). Der statistische Vergleich der Bildungsverteilung in der DSHS und der Allgemeinbevölkerung mittels Chi2-Test ergibt einen hoch signifikanten Unterschied zwischen den Stichproben (ambulant: x(df = 4) = 11.850,4, p < .001; stationär: x(df = 4) = 7.211,6, p < .001).

Bildungsverteilung in den Hauptdiagnosegruppen

Betrachtet man die Bildungsverteilung entlang der Hauptdiagnosegruppen in Tabelle 1, zeigt sich, dass in ambulanten und stationären Einrichtungen Personen mit Hauptschulabschluss über alle Störungsgruppen hinweg den größten Anteil ausmachen. Innerhalb der einzelnen Substanzgruppen zeigen sich teilweise sehr unterschiedliche Bildungsverteilungen. So findet sich im Bereich der Alkohol-bezogenen Störungen ein hoher Anteil an Personen mit (Fach)Hochschulreife/Abitur, wohingegen Personen ohne Schulabschluss oder in Ausbildung kaum vertreten sind. Bei Störungen aufgrund des Konsums von Opiaten zeigt sich im ambulanten Bereich der größte Anteil an Personen ohne Schulabschluss, während Personen mit (Fach)Hochschulreife/Abitur oder in Ausbildung in dieser Gruppe sehr selten sind. Die Hauptdiagnosegruppe Cannabis stellt im ambulanten Setting die Gruppe mit dem größten Anteil an Personen in schulischer Ausbildung dar, im stationären Bereich findet sich hier der größte Anteil an Personen ohne Schulabschluss. Bei den Personen mit einer Kokainabhängigkeit zeigt sich eine bipolare Verteilung. Hier findet sich sowohl ein hoher Anteil an Personen ohne Schulabschluss als auch mit (Fach)Hochschulreife/Abitur. Der größte Anteil an Personen mit Fachhochschulreife/Abitur findet sich sowohl im ambulanten als auch im stationären Bereich in der Hauptdiagnosegruppe Sedativa/Hypnotika. Im Bereich der Stimulanzien bezogenen Störungen zeigt sich dagegen ein hoher Anteil an Personen ohne Schulabschluss und nur ein geringer Anteil an Personen mit (Fach)Hochschulreife/Abitur.

Tabelle 1. Bildungsverteilung nach Hauptdiagnosen (Angabe in Zeilenprozent) und HD-Verteilung nach Bildungsstand (Angabe in Spaltenprozent1)

Die dargestellte Bildungsverteilung zeigt bei Hauptdiagnosen im Bereich illegaler Substanzen durchgehend einen hohen Anteil an Personen ohne oder mit niedrigem Schulabschluss sowie einen geringen Anteil an Personen mit (Fach)Hochschulreife/Abitur. Umgekehrt ist bei Hauptdiagnosen im Bereich legaler Substanzen der Anteil an Personen mit (Fach)Hochschulreife/Abitur deutlich höher, während der Anteil an Personen ohne Schulabschluss oder mit niedrigerem Bildungsabschluss geringer ist.

Hauptdiagnosen nach Bildungsstand

Der statistische Vergleich der HD-Verteilung (legal/illegal) in den beiden Bildungsgruppen (hoch/niedrig) mittels Chi2-Test bestätigt einen hoch signifikanten Unterschied (ambulant: x (df = 1) = 1171.5, p < .001; stationär: x (df = 1) = 228.5, p < .001). Wie in Tabelle 1 zu sehen ist, ist im ambulanten Bereich der Anteil an Störungen aufgrund des Konsums von Alkohol und Sedativa bei Klienten mit hoher Bildung (66.4 %) deutlich häufiger als bei Personen mit niedriger Bildung (55.5 %), während Abhängigkeiten von Cannabis, Opiaten, Kokain, Stimulanzien und anderen psychotropen Substanzen bei Personen mit niedrigem Bildungsstand (39.1 %) deutlich häufiger vorkommen als bei Personen mit hoher Bildung (24.0 %). Im stationären Bereich ist von den Personen mit niedrigem Bildungsstand ebenfalls ein größerer Anteil von einer HD aufgrund illegaler Substanzen betroffen (22.3 %) als von den Personen mit hohem Bildungsstand (12.1 %). Dagegen weisen Personen mit hohem Bildungsstand häufiger eine Störung aufgrund legaler Substanzen (85.9 %) auf als Personen mit niedrigem Bildungsstand (75.1 %).

Therapie-Outcome

Art der Beendigung nach Bildungsstand

Der Anteil planmäßig und unplanmäßig beendeter Behandlungen bei Personen mit hohem und niedrigem Bildungsstand ist in Tabelle 2 dargestellt.

Tabelle 2. Art der Beendigung nach Bildungsstand (in Prozent)

Demnach ist im ambulanten und stationären Setting bei Personen mit hohem Bildungsstand der Anteil planmäßig beendeter Behandlungen größer als bei Personen mit niedrigem Bildungsstand, wohingegen Personen mit niedrigem Bildungsstand einen höheren Anteil unplanmäßig beendeter Behandlungen aufweisen. Die statistische Prüfung mittels Chi2-Test ergibt einen hoch signifikanten Unterschied bezüglich der Art der Beendigung (ambulant: x (df = 1) = 39.152, p < .001; stationär: x (df = 7) = 274.496, p < .001).

Behandlungsergebnis nach Bildungsstand

Tabelle 3 zeigt den Anteil positiver und negativer Behandlungsergebnisse bei Klienten mit hohem und niedrigem Bildungsstand getrennt nach Hauptdiagnosegruppen. Wie daraus hervorgeht, ist der Anteil positiver Behandlungsergebnisse sowohl im ambulanten (71.1 %) als auch im stationären Setting (85.6 %) bei Personen mit hohem Bildungsstand größer als bei Personen mit niedrigem Bildungsstand (ambulant: 62.4 %; stationär: 77.2 %). Umgekehrt weisen Personen mit niedriger Bildung einen höheren Anteil negativer Behandlungsergebnisse (ambulant: 37.6 %; stationär: 22.8 %) auf als Personen mit hoher Bildung (ambulant: 28.8 %; stationär: 14.4 %). Demnach wird die Problematik von Personen mit hohem Bildungsstand nach Betreuungsende häufiger als erfolgreich oder gebessert eingestuft, wohingegen die Problematik bei Personen mit niedrigem Bildungsstand häufiger als unverändert oder verschlechtert beurteilt wird. Der Chi2 Test ergibt einen hoch signifikanten Unterschied im Behandlungsergebnis zwischen den beiden Bildungsgruppen (ambulant: x(df = 3) = 557.184, p < .001; stationär: x(df = 3) = 151.092, p < .001).

Tabelle 3. Behandlungsergebnis nach Bildungsstand (in Prozent)

Unter den Personen mit hohem Bildungsstand zeigt sich der größte Behandlungserfolg sowohl im ambulanten als auch im stationären Bereich bei den HD-Gruppen Alkohol und Cannabis und der geringste Behandlungserfolg bei Personen mit einer HD Opioide. Bei Personen mit niedrigem Bildungsstand zeigt sich im stationären Bereich der größte Behandlungserfolg ebenfalls in der HD-Gruppe Alkohol und zudem in der HD-Gruppe Sedativa. Den geringsten Behandlungserfolg weisen ambulant und stationär ebenfalls Personen mit einer HD Opioide auf.

Behandlungsdauer nach Bildungsstand

Hinsichtlich der Behandlungsdauer ergibt sich im stationären Bereich ein signifikanter Unterschied zwischen den Bildungsgruppen, x(df = 8) = 162.279, p < .001. Wie in Tabelle 4 zu sehen ist, zeigen sich im stationären Bereich die größten Unterschiede vor allem in den ersten 4 bis 8 Wochen der Behandlung. Patienten mit niedrigem Bildungsstand weisen hier eine deutlich kürzere Behandlungsdauer auf. Im ambulanten Setting erweist sich der Unterschied in der Behandlungsdauer als nicht signifikant.

Tabelle 4. Behandlungsdauer nach Bildungsstand (in Prozent)

Diskussion

Im Rahmen dieser Untersuchung wurde der Zusammenhang von Bildung und Sucht anhand naturalistischer Daten von Klienten in ambulanten und stationären Suchthilfeeinrichtungen betrachtet. Hierbei zeigten sich Unterschiede in der Bildungsverteilung der untersuchten Population im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung wie auch innerhalb der verschiedenen Hauptdiagnosegruppen. Weiterhin ergaben sich Unterschiede im Verlauf und Ergebnis der Behandlung in Abhängigkeit des Bildungsstandes.

Bildungsverteilung

Entsprechend der Annahme einer von der Allgemeinbevölkerung abweichenden Bildungsverteilung bei Personen in Suchthilfeeinrichtungen, zeigen die Ergebnisse einen durchschnittlich deutlich niedrigeren Bildungsstand bei Personen in ambulanten und stationären Einrichtungen im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung. Dies bestätigt die Ergebnisse früherer Untersuchungen, welche einen negativen Zusammenhang zwischen Bildung und Substanzkonsum fanden (Azevedo et al., 1999; Hu et al., 1998; Çorapçıoglu & Ögel, 2004; Crum, Helzer & Anthony, 1993; Fergusson et al., 2003; Huismann et al., 2005; Meier et al., 2012). Weiterhin zeigen sich auch innerhalb der einzelnen Hauptdiagnosegruppen, konsistent zu früheren Studien (Mortensen et al., 2005; Raschke et al., 2008), die erwarteten Unterschiede in der Bildungsverteilung. Demnach weisen Klienten mit einer Hauptdiagnose im Bereich illegaler Substanzen häufiger einen niedrigen Bildungsstand und Klienten mit einer Problematik aufgrund legaler Substanzen häufiger einen hohen Bildungsstand auf. Eine mögliche Erklärung sowohl für das generell niedrigere Bildungsniveau von Personen in Suchthilfeeinrichtungen im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung als auch für die Bildungsunterschiede innerhalb der HD-Gruppen bietet das einleitend diskutierte, mit steigendem Bildungsniveau verbundene höhere Gesundheitsbewusstsein, welches einen protektiven Faktor im Umgang mit Substanzen darstellt (Gottfredson & Deary, 2004). Der höhere Anteil an Personen mit niedriger Bildung in Einrichtungen der Suchthilfe wäre demnach auf ein generell erhöhtes Risiko dieser Personen für Substanzmissbrauch und –abhängigkeit zurückzuführen, wie es unter anderem von Cavelaars, Kunst & Mackenbach (1997) angenommen wird. Eine alternative Erklärung für die gefundenen Bildungsunterschiede bieten Unterschiede im Inanspruchnahmeverhalten von Suchthilfe, welches ebenfalls in Abhängigkeit des Bildungsstandes variieren kann. Demnach würden Personen mit höherem Bildungsstand aufgrund einer besseren Problemeinsicht und einem unterstützendem sozialen Umfeld bereits früher oder aus Angst vor Stigmatisierung anderweitig (ärztliche oder psychotherapeutische Behandlung) nach Unterstützung suchen, was den geringeren Anteil hoch gebildeter Personen in Suchthilfeeinrichtungen erklären könnte. Eine Repräsentativerhebung zur Bekanntheit und Inanspruchnahme der ambulanten Suchthilfe in Hessen fand jedoch, dass die Schulbildung keine Auswirkungen auf die Inanspruchnahme der Suchthilfe hat. Es zeigte sich sogar eine zunehmende Akzeptanz von Suchthilfeeinrichtungen mit steigendem Schulniveau (Raschke et al., 2008).

Hauptdiagnosen nach Bildungsstand

Ein weiterer signifikanter Unterschied ergab sich hinsichtlich der Prävalenz von Hauptdiagnosen im Bereich legaler und illegaler Substanzen in den Bildungsgruppen. In Übereinstimmung mit früheren Studien (Mortensen et al., 2005; Raschke et al., 2008) konnte gezeigt werden, dass Personen mit niedriger Bildung einen höheren Anteil an Hauptdiagnosen aufgrund illegaler Substanzen aufweisen als Personen mit hoher Bildung, wohingegen sich bei Personen mit hoher Bildung ein höherer Anteil an Hauptdiagnosen im Bereich legaler Substanzen zeigte. Mögliche Erklärungen für Unterschiede in der Verteilung legaler und illegaler HD in den Bildungsgruppen liegen nach Galea et al., (2004) im sozialen Milieu von Personen, welches ihrer Ansicht nach mit einer unterschiedlich hohen Kontaktwahrscheinlichkeit mit verschiedenen Substanzen verbunden ist. Der hohe Anteil an Hauptdiagnosen im Bereich illegaler Substanzen bei Personen mit niedriger Bildung wäre somit zum einen durch eine höhere Wahrscheinlichkeit in ihrem sozialen Umfeld mit illegalen Drogen konfrontiert zu werden sowie durch vermittelte soziale Normen und Unterschiede in der Akzeptanz zu erklären. Im anderen Fall kann die gesellschaftliche Akzeptanz und teilweise auch Erwünschtheit des Konsums legaler Substanzen in bildungsnahen Schichten, wie Alkohol zu sozialen Anlässen, den höheren Anteil an Störungen durch den Konsum legaler Substanzen bei Personen mit hoher Bildung erklären (Galea et al., 2004; Schneider & Schneider, 2012). Nach Schneider & Schneider (2012) können Unterschiede in der Risikowahrnehmung in Abhängigkeit vom Bildungsstand eine weitere Erklärung für die unterschiedliche Prävalenz legaler und illegaler Hauptdiagnosen in den Bildungsgruppen liefern. Der höhere Anteil legaler Hauptdiagnosen bei Personen mit hohem Bildungsstand wäre demnach dadurch begründet, dass deren Gebrauch aus Sicht der Konsumenten mit weniger Risiken assoziiert ist.

Therapie-Outcome

Die Ergebnisse konnten weiterhin zeigen, dass sich sowohl der Verlauf als auch das Ergebnis der Behandlung zwischen den beiden Bildungsgruppen unterscheidet. In ambulanten und stationären Einrichtungen weisen Klienten mit hohem Bildungsniveau bessere Behandlungsergebnisse und weniger Behandlungsabbrüche auf als Personen mit niedrigem Bildungsstand, was die Ergebnisse früherer Studien (Greenfield et al., 2003) bestätigt. Eine mögliche Erklärung für diese Unterschiede liefern die höheren kognitiven Fähigkeiten von Personen mit hoher Bildung, welche laut Greenfield et al. (2003) einen Einfluss auf das Therapieverständnis haben und wesentlich zum Erfolg der Behandlung beitragen. Die Annahme, dass Personen mit niedriger Bildung aufgrund der häufigeren Störungen durch den Konsum illegaler Substanzen von vornherein eine schlechtere Prognose für den Behandlungserfolg aufweisen, kann durch die Ergebnisse nicht gestützt werden.

Zusammenfassung

Insgesamt bestätigen die Ergebnisse unsere Annahmen sowohl im Hinblick auf die Bildungsverteilung innerhalb der untersuchten Population von Klienten in Suchthilfeeinrichtungen als auch auf die Unterschiede in der Verteilung der Hauptdiagnosen und im Behandlungserfolg in Abhängigkeit des Bildungsstandes.

Limitationen

Methodische Limitationen der Deutschen Suchthilfestatistik bestehen auf Bundesebene hinsichtlich möglicher Doppelzählungen und der Unterrepräsentation kleinerer Einrichtungen sowie die Frage wie viele Personen mit einer Suchtproblematik tatsächlich Suchthilfe in Anspruch nehmen (Gomes de Matos et al., 2013; Perkonigg, Pfister, Lieb, Bühringer & Wittchen, 2004) und damit der mangelnden Generalisierbarkeit der Ergebnisse auf alle Personen mit problematischem oder abhängigem Substanzgebrauch. Da in der DSHS nur der Teil aller Personen mit einer Suchtproblematik erfasst wird, die sich in eine Einrichtung der Suchthilfe begeben, sind die Aussagen dieser Studie auf die untersuchte Population begrenzt und Rückschlüsse auf die tatsächliche Bildungsverteilung aller Personen mit einer Abhängigkeitsproblematik nur begrenzt zulässig. Ebenso sind kausale Interpretationen in diesem Kontext nicht zulässig. Die Ergebnisse lassen keine Aussagen darüber zu, ob der höhere Anteil niedrig gebildeter Personen an der DSHS tatsächlich ein Resultat des erhöhten Risikos für Substanzkonsum und -abhängigkeit bei niedriger Bildung oder auf andere Faktoren wie Unterschiede im Inanspruchnahmeverhalten, Motivation oder Persönlichkeitseigenschaften zurückzuführen ist. Bei der Interpretation der Ergebnisse stationärer Einrichtungen ist zudem zu beachten, dass hier der Großteil aller Patienten auf die HD Alkohol entfällt, weshalb die übrigen Hauptdiagnosen teilweise nur geringe Stichprobengrößen aufweisen. Eine weitere Einschränkung besteht hinsichtlich der Operationalisierung des Behandlungserfolgs. Hier kann als Erfolgskriterium neben der Planmäßigkeit der Beendigung lediglich die subjektive, nicht-standardisierte Einschätzung des Therapeuten als „gebessert“ oder „verschlechtert“ herangezogen werden. Ein weiteres Merkmal, welches in dieser Untersuchung nicht näher betrachtet wurde, ist der Zusammenhang zwischen Bildung und multiplem Substanzgebrauch. Es ist anzunehmen, dass ebenfalls ein Zusammenhang zwischen Bildung und der Anzahl konsumierter Substanzen besteht. Dies könnte in weiterführenden Studien genauer untersuchen werden. Aufgrund der Vielzahl an erfassten Klientenvariablen und der Größe der Stichprobe bieten die Daten der Deutschen Suchthilfestatistik eine gute Grundlage für weiterführende Studien, die dazu beitragen können, weitere, für die Behandlung von Personen mit Substanzabhängigkeiten relevante, Erkenntnisse zu gewinnen.

Deklaration möglicher Interessenkonflikte

Es bestehen keinerlei Interessenkonflikte im Zusammenhang mit der Erstellung dieser Publikation.

Schlussfolgerungen für die Praxis

Die Ergebnisse dieser Untersuchung geben zum einen Aufschluss über den Bildungsstand von Personen mit unterschiedlichen behandlungsleitenden Hauptdiagnosen in Einrichtungen der Suchthilfe und zeigen zum anderen Unterschiede im Verlauf und Erfolg der Behandlung in Abhängigkeit des Bildungsniveaus auf. Während ersteres dazu beitragen kann, spezifische Charakteristika der Personen in Suchthilfeeinrichtungen zu identifizieren, die einen erheblichen moderierenden Effekt sowohl auf die Störungsentwicklung als auch auf den Behandlungserfolg haben können, liefern die Ergebnisse zur Behandlung wichtige Hinweise auf den spezifischen Bedarf dieser Klientel. Von besonderer Bedeutung und als praxisrelevant sind daher in dieser Untersuchung die Ergebnisse zum Verlauf und Erfolg der Behandlung zu sehen. Vor allem hinsichtlich der Gestaltung einer effektiven Intervention und erfolgreichen Behandlung, machen die Ergebnisse dieser Untersuchung deutlich, wie wichtig es ist, die Anforderungsspezifika der Zielgruppe zu kennen und angemessen auf diese reagieren zu können. Spezifische Aufklärungs- und Bildungsangebote sowie Psychoedukation für Klienten mit niedrigem Bildungsstand können zu einer Verbesserung der Situation der Klienten beitragen, indem sie das Bewusstsein für Risiken und Folgen des Substanzkonsums stärken. Zudem scheinen auch Präventionsmaßnahmen wie Aufklärung über Wirkmechanismen und Risiken des Substanzkonsums in den entsprechenden Zielgruppen (Schulen, Ausbildungsklassen, etc.) angezeigt, die dazu beitragen können die Risikowahrnehmung von Personen mit niedriger Bildung zu erhöhen und damit das Risiko für Substanzkonsum und -abhängigkeit zu verringern.

Hanna Brand

1986 geboren in München

2006-2012 Studium der Psychologie an der Universität Salzburg mit Abschluss Diplom

Seit 2013 wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Arbeitsgruppe Therapie- und Versorgungsforschung am IFT Institut für Therapieforschung München

Das Projekt „Deutsche Suchthilfestatistik“ wird aus Mitteln des Bundesministeriums für Gesundheit gefördert. Unser Dank gilt den teilnehmenden Klienten und Einrichtungen sowie den Mitgliedern des Fachbeirats Suchthilfestatistik (E. Ewers, R. Gaßmann, A. Koch, P. Missel, R. Walter-Hamann, T. Wessel).

Literatur

Hanna Brand, IFT Institut für Therapieforschung, Parzivalstraße 25, 80804 München, Deutschland, [email protected]