Skip to main content
Übersichtsarbeit

Somatoforme Schmerzstörungen – Medizin und Recht im Widerspruch? Eine Beurteilung aus ärztlicher Sicht

Published Online:https://doi.org/10.1024/0040-5930.64.8.415

Die Schweizer Rechtsprechung geht davon aus, dass Menschen mit einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung oder einer Fibromyalgie in der Regel arbeitsfähig sind. Ausnahmen sind anhand bestimmter Kriterien zu belegen. Die Rechtsprechung hat damit sehr stark normativ in medizinische Belange eingegriffen. Die vom Gericht verwendeten Kriterien wurden den medizinischen Publikationen von K. Foerster entnommen, aber eigenwillig abgeändert und gewichtet. Die Prognose-Kriterien von K. Foerster wurden bisher nie wissenschaftlich validiert und sie werden von der Rechtsprechung nicht im Sinne des Erfinders angewendet. Die Rechtsprechung geht zu stark von Diagnosen aus. Diagnosen korrelieren schlecht mit dem Ausmaß einer Behinderung. Die psychiatrische Komorbidität gewinnt in der Rechtsprechung eine Bedeutung, die den medizinischen Publikationen nicht entnommen werden kann. Es existieren nun spezielle Rechtsprechungen zu speziellen Krankheitsbildern, so dass es sich für Patienten wie auch für Versicherungen lohnen kann, um die für sie günstigste Diagnose zu kämpfen. Bezüglich Chronifizierung psychosozial mitbedingter Krankheiten und linear-kausalem Krankheitsverständnis basiert die Rechtsprechung auf veralteten medizinischen Grundlagen. Medizinische und juristische Ebene sind nun stark vermischt. Aus medizinischer Sicht wäre eine weitgehende Entflechtung dieser Ebenen zu fordern.

Swiss court rulings are based on the assumption that people suffering from chronic somatoform pain disorders and fibromyalgia usually remain fit for work. Exceptions are granted if predetermined medical criteria are met and documented. In this way jurisdiction has decisively infringed on medical matters. Courts use criteria originating from medical publications by K. Foerster, which they have modified and balanced in a rather peculiar way. The prognostic criteria of K. Foerster have never been validated scientifically, and courts do not use them according to the intentions of the author. Jurisdiction is too strongly guided by diagnoses. Diagnoses correlate poorly with the extent of disability. In court rulings psychiatric co-morbidity is given an importance which cannot be derived from the medical literature. Today there are specific rulings for specific diagnoses, encouraging patients and insurers to embark on legal battles for favourable diagnoses. In chronic psycho-socially influenced disorders and linear causative understanding of disease processes jurisdiction relies on an outdated medical basis. At present medical and legal reasoning are strongly interlocked. From a medical point of view these planes of consideration need to be disentangled.