Stabile Präferenz oder flexibel am Diagnoseziel orientiert? – Die Bezugsnormwahl angehender Lehrkräfte
Abstract
Zusammenfassung. Die Wahl von Vergleichsmaßstäben (Bezugsnormen) bei der Leistungsbeurteilung wurde bislang hauptsächlich unter der Perspektive einer relativ stabilen, situationsübergreifenden Präferenz erforscht. Nur wenige Studien untersuchten, ob die Wahl eines Vergleichsmaßstabs in Abhängigkeit vom Beurteilungsziel variiert. Masterstudierende (N = 58) des Lehramts bearbeiteten daher die Kleine Beurteilungsaufgabe (KBA), eine handlungsnahe Erfassung der Bezugsnormorientierung, jeweils unter drei Zielvorgaben. Neben einer Kontrollbedingung (A) wurden mit einem Modifikationsziel (B) und einem Selektionsziel (C) zwei Kontexte realisiert, die unterschiedliche Bezugsnormwahlen nahelegen. Zusätzlich wurden die Studierenden zur Nutzung unterschiedlicher Vergleichsinformationen bei der Beurteilung befragt. In den Beurteilungen unter der Kontrollbedingung dominierte die soziale Bezugsnorm. In den Beurteilungen unter Kontext B und C dagegen war erwartungsgemäß die je nach Kontext zieladäquate Bezugsnorm besonders ausgeprägt. Allerdings zeigte sich hier ebenso eine zielunabhängige Dominanz der sozialen Bezugsnorm. Selbstauskünfte über die bei der Bewertung genutzten Vergleiche lassen vermuten, dass die Wahl der individuellen Bezugsnorm intentional geschieht, die der sozialen Bezugsnorm dagegen nicht-intentional. Die Befunde werden vor dem Hintergrund der Anforderungen an eine professionelle pädagogische Diagnostik diskutiert.
Abstract. Reference norm application during classroom assessment has been investigated mainly under the perspective of a relatively stable, trans-situational preference. Very few studies have addressed the question whether the choice of a reference norm depends on the diagnostic objective. Therefore, students (N = 58) in a Master of Education program assessed the performance of nine fictive students (Kleine Beurteilungsaufgabe, KBA) in each of three contexts: A control condition (A), a condition with the objective of modification (B), and a condition with the objective of selection (C) suggest different reference norms. Additionally, the students specified the reference norm they had adopted during the assessments in explicit self-reports. The social reference norm dominated in the control condition. In contrast, under conditions B and C, the choice of reference norm depended on the context. Here, students chose the reference norm most adequate for the respective objective. Nevertheless, even here the results confirmed the dominance of the social reference norm, regardless of the objective. Based on the self-reports, we assume that the choice of an individual reference norm occurs intentionally, whereas the choice of a social reference norm occurs non-intentionally. The results are discussed with regard to the requirements of professional classroom assessment.
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