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Free AccessOriginalartikel

Verbesserung der Sprechstunde mit chronisch kranken Kindern: Gesundheits-, Funktions- und Wohlergehensampel

Published Online:https://doi.org/10.1024/1661-8157/a003167

Abstract

Zusammenfassung. Eine effektive Kommunikation zwischen Patient und Arzt ist ein wichtiger Aspekt bei der Betreuung von Kindern mit chronischen Erkrankungen oder Behinderungen. Die Ampel Health, Functioning and Wellbeing Summary wurde als Kommunikationsmittel speziell für diese Patienten entwickelt. In einer zweimonatigen Pilotphase wurde die deutsche Version von Eltern und Ärzten in einer Rehabilitationsambulanz bewertet. 71 % (n = 35/49) gaben das Bewertungsformular zurück. Das Ampelwerkzeug wurde von 80 % der Teilnehmer und Ärzte positiv bewertet. Es kann als nützliches Werkzeug für eine verbesserte Kommunikation empfohlen werden. Die einfache Sprachversion sowie Übersetzungen in andere Sprachen und die Verwendung einer Mobile App werden die Nutzung erleichtern. Der Einsatz ist nicht auf die Pädiatrie beschränkt und könnte an andere Disziplinen angepasst werden.

Improving Communication Quality Caring for Children with Chronic Conditions: Health, Functioning and Wellbeing Traffic-Light Tool

Abstract. Effective patient-doctor communication is a crucial aspect while caring for children with chronic conditions or disabilities. The Health, Functioning and Wellbeing Summary Traffic Light has been developed as a communication tool especially for these patients. In a two-month pilot phase the German version was evaluated by parents and physicians in a rehabilitation out-patient clinic setting. 71 % (n = 35/49) returned the evaluation form. The traffic-light tool was rated positive by 80 % of participants and physicians. It can be recommended as a useful tool for improved communication. The simple language version as well as translations into other languages and the use of a mobile App will facilitate its use. Its use is not limited to paediatrics and could be adapted for other disciplines.

Résumé. Une communication efficace entre le patient, ses parents et le médecin est un important facteur de satisfaction des patients atteints de troubles chroniques de la santé. Un système de feux tricolores renseignant sur l’état de santé, le fonctionnement et le bien-être (feux tricolores pour la santé) a donc été développé comme instrument de communication durant l’accompagnement des enfants et adolescents handicapés. Après traduction allemande, ces feux tricolores ont été introduits dans les consultations de réadaptation pédiatrique et évalués à l’aide d’un questionnaire par les parents et médecins, lors d’une phase pilote de deux mois. 71 % (n = 35/49) ont complété le questionnaire d’évaluation sur les feux tricolores de santé. Quelque 80 % des participants, et tous les médecins, ont un avis positif. Les feux tricolores pour la santé représentent à leurs yeux un instrument utile pour améliorer la communication. Il s’agit désormais d’en diffuser l’usage par des versions en langage simple, par des traductions et une application pour téléphone mobile. L’emploi des feux tricolores n’est pas limité à la pédiatrie.

Im Artikel verwendete Abkürzungen

HFWS Health, Functioning and Wellbeing Summary

ICF International Classification of Functioning, Disability and Health

GA Gesundheitsampel

WHO Weltgesundheitsorganisation

In der Schweiz leben gemäss Bundesamt für Statistik rund 30 000 Kinder mit leichten und 20 000 Kinder mit schweren Behinderungen (2012) [1, 2]. In den vergangenen Jahren ist ein Anstieg der Prävalenz von Kindern chronischen Krankheiten feststellbar [3, 4, 5]. 90 % Prozent der Kinder mit Zerebralparese (CP) erreichen heute dank einer verbesserten medizinischen Versorgung das Erwachsenenalter [6]. Diese Zunahme der Prävalenz führt zu Limitationen in der Gesundheitsversorgung, was mit einer Reduktion der Konsultationszeit in Sprechstunden einhergehen kann [7]. Es besteht das Risiko, dass die Zufriedenheit der Patienten und deren Familien darunter leidet [8, 9]. Die Patientenzufriedenheit ist als wichtiges Qualitätsmerkmal der Gesundheitsversorgung ein wesentlicher Faktor der Gesundheitsversorgung, da sie mit einer guten Compliance und Gesundheitsoutcomes korreliert [8, 10]. Eltern behinderter Kinder neigen dazu, mit der ärztlichen Betreuung weniger zufrieden zu sein als Familien mit gesunden Kindern [8]. Die Zufriedenheit der Patienten wird durch verschiedene Faktoren beeinflusst, wobei eine effiziente und empathische Arzt-Patienten-Kommunikation besonders wichtig ist [8, 11, 12]. Die Eltern sind am zufriedensten, wenn Ärzte alle ihre Anliegen und Erwartungen eruieren und ernst nehmen und die Eltern in medizinische Entscheidungen miteinbeziehen [8, 12, 13, 14]. Das von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) publizierte Konzept der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit bei Kindern und Jugendlichen (ICF-CY) zeigt die Mehrdimensionalität auf, die sich in einer holistischen Herangehensweise einer Sprechstunde widerspiegeln soll [15, 16, 17].

Auf diesem Hintergrund wurde durch Karen A. Horridge das Health, Functioning and Wellbeing Summary (HFWS), die Gesundheits-, Funktions- und Wohlergehensampel (kurz Gesundheitsampel, GA) entwickelt. Dieses Kommunikationshilfsmittel stützt sich in seiner Mehrdimensionalität auf das ICF-CY-Modell [8]. 2015 ist die GA am Sunderland Royal Hospital während drei Wochen durch Eltern bewertet und als geeignet befunden worden, die Kommunikation in den Sprechstunden zu verbessern [8]. Das Ziel dieser Untersuchung war es, die GA in ambulanten Sprechstunden im deutschsprachigen Raum zu testen.

Methode

Die Gesundheits-, Funktions-, und Wohlergehensampel (Gesundheitsampel)

Die GA wurde 2013 im Sunderland Royal Hospital, Sunderland NHS (UK) durch die Kinderärztin Karen Horridge mit Unterstützung des multidisziplinären Teams und Einbezug der Eltern und deren Kinder mit Behinderungen entwickelt und während drei Wochen (n = 60) validiert. Sie soll vor der Konsultation im Wartebereich durch die Eltern, wenn möglich zusammen mit ihren Kindern, ausgefüllt und in die Sprechstunde mitgebracht werden [8]. Die GA ist mehrfarbig aufgebaut und umfasst zwei Seiten. Die Vorderseite (Abb. 1a) ist gemäss Ampelsystem grün, orange und rot in drei Felder unterteilt. Das grüne Feld, für erfreuliche Begebenheiten/Fortschritte, befindet sich an oberster Stelle. Dies soll vermeiden, dass die Konsultation ausschliesslich defizitorientiert geführt wird. Das orange Feld dient zur Auflistung von Gedanken und Ideen, die den Alltag des Kindes bzw. der Familie vereinfachen oder angenehmer gestalten könnten. Die Familien sollen damit in ihrem Selbstmanagement bestärkt und ermutigt werden, auch selbstständig Lösungsansätze zu finden. Zuunterst befindet sich das rote Feld für Bedenken und Fragen zur Besprechung mit dem Arzt. Die Rückseite der GA (Abb. 1b.) besteht aus einer Aufstellung von häufig auftretenden Symptomen, Lebenssituationen oder Schwierigkeiten. Die deutsche Version wurde um die Zeile «Sexualität» erweitert. Jedes Element kann gemäss Ampelsystem (grün, orange, rot) bewertet werden [8].

Abbildung 1a Gesundheits- Funktions- und Wohlergehensampel Vorderseite.
Abbildung 1b Gesundheits- Funktions- und Wohlergehensampel Rückseite.

Patienten und Teilnehmer

Die GA wurde testmässig von Mai bis Juli 2017 in der ambulanten Sprechstunde der Rehabilitationspoliklinik am Universitäts-Kinderspital Zürich eingeführt, die ausschliesslich von pädiatrischen Fachärzten durchgeführt wird. Zu den häufigsten Diagnosen gehören Zerebralparesen, Schlaganfälle, Schädel-Hirn-Traumata, spinale Fehlbildungen (z.B. Spina bifida) sowie weitere psycho-motorische Entwicklungsstörungen.

Teilnehmende dieser Umfrage waren Eltern von Kindern und Jugendlichen, die im genannten Zeitraum einen Sprechstundentermin hatten. Ausgeschlossen wurden Patienten, der über zu wenig Deutschkenntnisse verfügten und darum während der Arztkonsultation einen Dolmetscher benötigten.

Ablauf der Evaluationsphase, Fragebogen

In einem ersten Schritt wurde die GA (durch Zweit – und Letztautor) aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt [18] und mit einem Begleitbrief dem Sprechstundenaufgebot beigelegt. Dabei wurden die Eltern über den Zweck der GA in Kenntnis gesetzt und ersucht, diese ausgefüllt zum Sprechstundentermin mitzubringen. Die Patienten erhielten die GA nur einmal zugestellt, auch wenn eine Folgekonsultation in die Testphase fiel.

Eltern, die eine GA mitbrachten, erhielten vom zuständigen Arzt einen Evaluationsbogen mit der Bitte, die GA und deren Anwendung in der Sprechstunde (anonym) zu bewerten. Der Bogen ist in zwei Rubriken unterteilt: Fragen zur Person, die den Fragebogen ausfüllt (Geschlecht, Alter, Muttersprache, Verbindung zum Kind), Fragen zur GA (Layout, Verständlichkeit, etc.) und deren Einsatz in der Sprechstunde. Um Vergleichbarkeit zu erzielen, orientierte sich der Fragebogen an der Befragung von Ireland und Horridge [8]. Die Ärzte wurden gebeten, die GA nach der Testphase mittels Evaluationsbogen zu bewerten.

Statistische Auswertung und Ethik

Die erfassten Daten dieser Querschnittsstudie wurden mittels SPSS Statistics (Version 24, IBM Corp., Armonk, NY, USA) deskriptiv ausgewertet. In der Konzeption der Befragung wurde die Fachstelle für Qualitätsmanagement des Kinderspitals Zürich einbezogen, die die GA und die zwei Evaluationsbogen vorgängig evaluiert hat. Da es sich um ein Qualitätsmanagement-Projekt zur Optimierung der Rehabilitationssprechstunde ohne Zugriff auf gesundheitsbezogene Patientendaten bzw. Krankengeschichten handelt und es sich bei der GA um ein bereits in der Pädiatrie validiertes Instrument handelt, konnte auf eine Beurteilung durch die Ethikkommission verzichtet werden. Eltern wurden im Begleitschreiben ausdrücklich auf die Freiwilligkeit der Teilnahme hingewiesen.

Resultate

Von den 144 versendeten GA wurden 49 Exemplare in die Sprechstunde mitgebracht, was einer Rücklaufquote von 34 % entspricht. Von den 49 GA wurden 40 (82 %) vollständig ausgefüllt. Das Durchschnittsalter der Patienten betrug 8,3 ± 4,7 Jahre, 65,3 % waren männlich, 34,7 % weiblich.

Die Vorderseite der GA wurde von 84 % (41/49) vollständig ausgefüllt. Tabelle 1 zeigt, dass das grüne Feld für erfreuliche Dinge und Fortschritte mit einem Durchschnitt von 2,3 ± 1,6 an genannten Argumenten das meistbenützte Feld war. Mit 1,9 ± 1,9 Argumenten folgt das rote Feld, in dem Zustände bezeichnet werden konnten, die Besorgnis auslösen. Seltener wurde das orange Feld benutzt, 48,9 % der Nutzer liessen dieses Feld leer. Die Rückseite der GA wurde zu 90 % (44/49) ausgefüllt (Abb. 2a, b).

Tabelle 1 Auswertung Vorderseite der Gesundheitsampel (n = 41)
Abbildung 2a Rangliste Symptome oder Situationen, die als «etwas besorgt» eingestuft werden (n = 49).
Abbildung 2b Rangliste der Symptome oder Situationen, die als «schwer besorgt» eingestuft werden (n = 49).

Evaluationsbogen Gesundheitsampel für Betreuende

Die Rücklaufquote der Evaluationsbogen betrug 71,4 % (35/49). Alle 35 Evaluationsbogen wurden von einem Elternteil ausgefüllt, davon 82,9 % (29/35) von Müttern. Bei 91,4 % der Eltern ist Deutsch die Muttersprache, bei 5,7 % Albanisch, bei 2,9 % Tamilisch. Das Durchschnittsalter der Eltern liegt bei 41,8 ± 5,7 Jahren (33–53 Jahre).

In den ersten drei Fragen wurden das Layout und die Anwendbarkeit der GA bewertet, in den folgenden Fragen (Abb. 3) wurden die Teilnehmer um eine Bewertung der GA als Hilfsmittel zur Vorbereitung und in der Sprechstunde gebeten.

Abbildung 3 Bewertung der Gesundheitsampel (GA) durch die Eltern jeweils in 5-stufiger Likert-Skala: 1 stimme nicht zu, 5 stimme zu. Gezeigt werden Boxplots mit Medianwerten und Interquartilabstand (IQA, das ist die Länge der Box). Milde Ausreisser haben einen Abstand zu den 1. oder 3. Quartilen von 1,5 bis 3,0 * IQA und werden als Punkte dargestellt. Grosse Ausreisser haben einen Abstand von mehr als 3,0 * IQA und werden durch einen Stern gekennzeichnet.

Die Frage (ja/nein) betreffend der Abdeckung aller wesentlichen Aspekte wurde hoch zustimmend (100 %) beantwortet. Bei der Frage «Wie nützlich ist die GA im Gesamten?» (Ordinalskala, 1 = überhaupt nicht nützlich/10 = sehr nützlich) liegt der Medianwert bei 8,0 (Interquartilabstand, IQR =4,0). Die Wertung 6–10 wurde von 80 % der Eltern gewählt.

Die Frage, die GA in Sprechstunden nicht anzuwenden, zeigte ein identisches Resultat: 80 % der Befragten sehen keinen Grund, die GA nicht anzuwenden.

Tabelle 2 zeigt Freitextkommentare der Begründungen, die 20 % der Befragten zu einer Ablehnung der GA bewogen hat sowie die übrigen Freitextkommentare; eine Möglichkeit, die von 20 % der Befragten genutzt wurde. Die Frage «Wie zufrieden sind Sie heute aus der Rehabilitationssprechstunde gegangen?» wurde von allen (35/35) Eltern ausgefüllt, wobei 90 % «sehr zufrieden» und 10 % «eher zufrieden» angegeben haben (Median 5; IQR = 1,0).

Tabelle 2 Freitextkommentare

Evaluationsbogen für behandelnde Ärzte

Der Evaluationsbogen für Ärzte wurde von allen vier teilnehmenden Ärzten ausgefüllt. Drei werten die Testperiode als sehr positiv und befürworten die Einführung der GA nach der Testphase, eine Ärztin ist sich unschlüssig. Kritikpunkte sind das Wecken einer «unerfüllbaren Erwartung», alle Punkte zu besprechen sowie die Ausführlichkeit in Bezug auf die zur Verfügung stehende Sprechstundenzeit. Bei allen vier Ärzten ist es vorgekommen, dass Eltern aufgrund der GA Themen angesprochen haben, die die Ärzte nicht erwartet hatten.

Diskusson

Insgesamt schnitt die GA als unterstützendes Kommunikationsinstrument in dieser Umfrage etwas weniger gut ab als in der Studie von Ireland & Horridge 2017 [8]. Die unterschiedlichen Settings Schweiz/UK lassen einen direkten Vergleich nur beschränkt zu. Jedoch konnten auch in dieser Umfrage alle Teilnehmer ihre genannten Sorgen und Gedanken mit dem Arzt besprechen. Die Mehrheit empfindet die GA als unterstützend bei der Vorbereitung und Durchführung der Sprechstunde bzw. als geeignetes Instrument, die Kommunikation zwischen Arzt, Eltern und Kind zu verbessern.

Die Rücklaufquote von 34 % an ausgefüllten GA ist ein geringer Wert. Verschiedene Gründe mögen hierzu beigetragen haben. Die GA wurde bei dieser Testung lediglich in der deutschen Version verschickt. Dadurch mussten Eltern anderer Muttersprache aufgrund von Verständnisproblemen einen Mehraufwand auf sich nehmen. Ein weiterer Grund könnte im Umfang (2 Seiten) liegen. Je länger eine Befragung ist, desto häufiger wird diese nur teilweise oder nicht beantwortet [19]. Um Rücklaufquoten zu verbessern, werden oft (mehrmalige) Erinnerungen versendet [20]. Dies konnte in dieser Testphase nicht erfolgen, und so wurde das Ausfüllen der GA bei einigen Eltern vergessen. Dazu kommt, dass Eltern mit einem behinderten Kind ohnehin erhöhte Alltagsbelastungen erleben als Eltern mit gesunden Kindern. Dadurch wird das Ausfüllen von Formularen als zusätzlicher Aufwand wahrgenommen [21, 22, 23]. Dies wurde von den Eltern denn auch meist als Argument genannt, warum die Ampel nicht ausgefüllt oder vergessen wurde. Im Vergleich zu unserem eher geringen Rücklauf wurde in England ein fast vollständiger Rücklauf der GA erreicht. Das erklären wir uns damit, dass dort die Eltern die GA erst im Wartebereich ausgefüllt hatten. Dies wurde bei der Studienplanung in der Schweiz bewusst nicht so gehandhabt; erstens, weil in unserer Sprechstunde praktisch keine Wartezeiten bestehen und andererseits in der Evaluation der GA in England gewünscht wurde, die Ampel bereits vorgängig zu erhalten. 71,4 % (35/49) der ausgeteilten Evaluationsbogen wurden zurückgeschickt, was wiederum einer guten Rücklaufquote entspricht. Die Mehrheit (91,4 %) gab Deutsch als Muttersprache an, was ein zu erwarteter Bias war. Ein wichtiger Schritt für die Weiterentwicklung der GA wird deshalb die Übersetzung in die häufig vorkommenden Sprachen der Rehabilitationspoliklinik sein.

In allen Fällen wurde der Evaluationsbogen von einem Elternteil ausgefüllt. Hier fällt auf, dass 29 der 35 der ausgefüllten Evaluationsbogen (82,9 %) durch Mütter beantwortet wurden. Studien zeigen, dass mehrheitlich Mütter ihren Beruf aufgeben, um die Betreuung eines Kindes mit Behinderung zu übernehmen [24, 25]. Wie in der Studie von Ireland & Horridge [8], empfinden auch in der vorliegenden Umfrage über 90 % der teilnehmenden Eltern das Layout der GA als ansprechend und leicht zum Ausfüllen.

Als eine von den Ärzten in der Auswertung der GA gemachte Beobachtung zeigte sich, dass Coping-Strategien und Resilienz der Eltern sehr unterschiedlich sind. So stuften Eltern von schwer behinderten Kindern zahlreiche Aspekte teils als weniger besorgniserregend ein als Eltern von Kindern mit leichten Behinderungen. Aufgrund der Studienanlage (kein Zugriff auf Diagnosedaten und Hauptfokus auf Praktikabilität der GA) konnte diese Beobachtung in dieser testmässigen Einführung der GA jedoch nicht weiter korreliert werden. Dieses in der Literatur bekannte Phänomen ist noch nicht abschliessend geklärt. Es hat sich gezeigt, dass die persönlichen Coping-Ressourcen und eine solide soziale Unterstützung eine wichtige Rolle bei der Akzeptanz der Situation des Kindes durch die Eltern spielen und zu einer besseren Akzeptanz führen [22, 26]. Eine weiterführende Auswertung dieses Phänomens soll in einer Folgestudie mittels Korrelation von Gesundheitszustand bzw. Schweregrad der Behinderung mit der in der GA genannten Einschätzung im Ampelsystem erfolgen. Ein Elternkommentar lautete, dass die Einteilung in ein Ampelsystem (grün, orange, rot) heikel sei, da bei einem schwer behinderten Kind fast jeder Aspekt als rot (= schwer besorgniserregend) eingestuft werden müsste. Dies wurde als «unfair» dem Kind gegenüber gewertet. Dies zeigt auf, dass die Ampel in einem Akzeptanz-Prozess zeitlich gezielt eingesetzt werden soll und andererseits diesen Prozess evtl. auch unterstützen kann. Ein Einsatz der Ampel in der Forschung zur Resilienz eröffnet neue Möglichkeiten.

Die Prädominanz der Jungen ist mit 65,3 % auffallend. Dass Jungen mehr als Mädchen von Behinderungen betroffen sind, ist bekannt, die genauen Gründe dafür sind noch nicht abschliessend erforscht [4]. Den Eltern bereiten die Einschränkungen der Mobilität ihrer Kinder die grössten Sorgen, sowohl in den Spalten «etwas besorgt» wie «schwer besorgt» und wurden noch vor Selbständigkeit und Kommunikation genannt. Mobilität hat für behinderte Kinder eine grosse Bedeutung für die soziale Integration, die Selbständigkeit und das Selbstbewusstsein [27]. Die Zeile «Anderes» wurde nie ausgefüllt, was die Interpretation zulässt, dass die GA alle für die Eltern wesentlichen Punkte abdeckt. Rund ein Viertel der Eltern fühlt sich jedoch nicht umfassend genug über die Art der Störung ihres Kindes, über Versicherungsmöglichkeiten und Unterstützungsangebote informiert. Dies zeigt, dass der Informationsaustausch zwischen dem Rehabilitationsarzt und den Eltern in Bezug auf diese Themen noch optimiert werden kann. Gut informierte Patienten und deren Eltern zeigen eine höhere Patientenzufriedenheit [28].

Die Ärzte beurteilen die GA als ein nützliches Kommunikationsinstrument; drei der vier behandelnden Ärzte würden es standardmässig in die Sprechstunde aufnehmen. Sie erachten aber als wichtig, dass dies auf freiwilliger Basis erfolgt. Der Ablauf der Konsultationen wurde während einer Eingewöhnungsperiode als leicht komplizierter empfunden. Die Integration der GA in den Sprechstundenablauf muss standardisiert werden und sollte konsequent zu Beginn der Konsultation erfolgen. Patienten bringen sich aktiver in eine Arztkonsultation ein, wenn ihnen vorgängig zur Konsultation ein Fragebogen mit möglichen Aspekten abgegeben wird [29]. Dies widerspiegelt sich auch in dieser Untersuchung: In rund einem Drittel der Konsultationen mit GA wurden von Eltern Themen angesprochen, die die Ärzte so nicht erwartet hatten.

Limitationen der Befragung liegen im eher kurzen Beobachtungszeitraum von zwei Monaten und der geringen Rücklaufquote, was möglicherweise zu einer zu positiven Bilanz der GA führt. Die zweimonatige Testphase lässt eine Aussage über die Frage betreffend längerfristiger Praktikabiltät, d.h. ob Eltern von chronisch kranken Kindern und Jugendlichen eine solche Ampel auch mehrmalig ausfüllen würden, nicht zu. Andererseits eröffnet eine in der Krankenakte abgelegte GA die Möglichkeit, bei einer Nachfolgekonsultation betreffend besorgniserregenden Problemstellungen nachzufragen, was die Nachhaltigkeit von Sprechstundenterminen verbessern kann. Die GA wurde lediglich in der deutschen Version verteilt, d.h. wurde durch Eltern ausgefüllt, die eher gut in unserer Gesellschaft integriert sind. Ein Bias ist hier allerdings in beide Richtungen möglich und soll Gegenstand weiterer Untersuchungen sein. Eine weitere Limitation ist, dass keine Kontrollgruppe betreffend der generellen Patientenzufriedenheit in der Sprechstunde ohne GA durchgeführt wurde. Dies wurde jedoch aufgrund der hauptsächlichen Studienfrage, die sich auf die Frage der Anwendbarkeit der GA konzentrierte (mit Vergleich der englischsprachigen Version) und der Gefahr, dass die Studiengruppen kleiner würden, nicht in Erwägung gezogen.

Die Evaluation der GA zeigt, dass diese ein effektives Instrument darstellt, um die Kommunikation zwischen Arzt, Eltern und Patient zu optimieren und die Sprechstundenzufriedenheit zu verbessern, da dadurch Eltern und Patient in die Entscheidungsfindung einbezogen werden [30]. Die GA kann als Hilfe zur Strukturierung der Sprechstunde dienen, auch, um keine wesentlichen Aspekte zu vergessen. Inzwischen wurde die GA aufgrund der Erfahrungen der Testphase durch das Büro für leichte Sprache der Pro Infirmis in leichte Sprache übersetzt. Diese Version wird jedem Sprechstundenaufgebot mit einem Begleitschreiben, in dem auf die Freiwilligkeit der Benutzung hingewiesen wird, beigelegt. Beide Versionen können auf der Homepage der Swiss Academy of Childhood Disability www.sacd.ch als Gratisdownload bezogen werden. Die GA wird in weitere Sprachen übersetzt. Zudem wird im Rahmen der Rare Disease Initiative Zurich daran gearbeitet, die GA für eine Mobile-Applikation, insbesondere für Jugendliche in der Transition in die Adultmedizin, anzupassen. Die GA wird inzwischen auch in der Geriatrie (Memory Klinik der Universitären Geriatrie, Waidspital Zürich) in einer leicht adaptierten Form eingesetzt.

Dank

Wir danken Dr. Frank Faulhaber, Leiter Qualitätsmanagement Universitäts-Kinderspital Zürich, für die Unterstützung beim Erstellen der Fragebogen sowie den Eltern, welche sich an dieser Befragung beteiligt haben.

Key messages
  • Die Gesundheitsampel strukturiert und unterstützt die Kommunikation in der Sprechstunde mit chronisch kranken Kindern und Jugendlichen.
  • Die Gesundheitsampel erhöht die Sprechstundenzufriedenheit von Patienten und Eltern, da diese zu Mitbeteiligten werden.
  • Die Anwendung der Gesundheitsampel ist nicht nur auf die Pädiatrie beschränkt, sondern könnte in adaptierten Versionen auch in anderen Disziplinen eingesetzt werden.

Bibliografie

PD Dr. med. Andreas Meyer-Heim, Rehabilitationszentrum für Kinder und Jugendliche, Universitäts-Kinderspital Zürich, Mühlebergstr. 104, 8910 Affoltern am Albi,