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Open AccessÜbersichtsarbeit

Kindesschutz und Vertrauensschutz: Zum rechtlichen Rahmen der Verantwortung von Gesundheitsberufen, insbesondere bei Kindeswohlgefährdungen

Published Online:https://doi.org/10.1024/2235-0977/a000260

Abstract

Zusammenfassung. Für Angehörige von Gesundheitsberufen gehört der effektive Schutz von Kindern vor Gefährdungen ihres Wohls zu den größten beruflichen Herausforderungen. Die Vertraulichkeit der Behandlungsbeziehung muss hier ggfs. hinter dem effektiven Kindesschutz zurückstehen. Der nachfolgende Beitrag skizziert den in Deutschland allgemein geltenden rechtlichen Rahmen. Hierbei wird auch auf rechtliche Unsicherheiten im Umgang mit Kindeswohlgefährdungen hingewiesen.

Child protection and professional confidentiality: The legal framework in cases of child endangerment

Abstract. It is a key challenge of health care professionals to protect children’s physical and mental integrity from any form of maltreatment, neglect, and violence. The article informs about the legal framework that has to be observed in Germany. In addition, the article addresses legal uncertainties that health care professionals have to cope with.

Der rechtliche Schutz des Vertrauens in Behandlungsbeziehungen

Schutz des professionsethischen Selbstverständnisses durch das Berufsrecht der Gesundheitsberufe

Der Schutz der Vertraulichkeit zwischen Patientinnen und Patienten sowie denjenigen, die einen Heilberuf ausüben, gehört zum „Markenkern“ gesundheitsberuflicher Tätigkeit. So heißt es etwa im ärztlichen Berufsrecht, das das professionsethische Selbstverständnis in Rechtsform bringt: „Ärztinnen und Ärzte haben über das, was ihnen in ihrer Eigenschaft als Ärztin oder Arzt anvertraut oder bekannt geworden ist – auch über den Tod der Patientin oder des Patienten hinaus – zu schweigen“ (§ 9 Abs. 1 Musterberufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte [MBO-Ä]). Die Behandlungsbeziehung ist als eine dauerhafte, sogar über den Tod hinausreichende Vertrauensbeziehung konzipiert. Wenn der Patient oder die Patientin nicht sicher sein kann, dass der Arzt oder die Ärztin oder ein anderer Berufsgeheimnisträger alle großen und kleinen Geheimnisse für sich behält – und zwar auch nach seinem Tode –, wird der Patient bzw. die Patientin nicht frei sprechen, und seine bzw. ihre Mitwirkung am Gesundungsprozess ist gefährdet. Nur das freie – auch von der Angst um Indiskretionen freie – Gespräch ermöglicht eine effektive Behandlung (hierzu und zum Folgenden bereits Rixen 2012, 2015).

Strafrechtliche Verstärkung des Schutzes der Vertraulichkeit

Abgesichert wird die professionsethisch gebotene und berufsrechtlich anerkannte Schweigepflicht durch eine Strafrechtsnorm (§ 203 Abs. 1 Nr. 1 Strafgesetzbuch – StGB), die lautet: „Wer unbefugt ein fremdes Geheimnis, namentlich ein zum persönlichen Lebensbereich gehörendes Geheimnis […] offenbart, das ihm als […] Arzt, Zahnarzt, […] Apotheker oder Angehörigen eines anderen Heilberufs, der für die Berufsausübung oder die Führung der Berufsbezeichnung eine staatlich geregelte Ausbildung erfordert, anvertraut worden oder sonst bekanntgeworden ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.“

Das Gesetz erstreckt diese Strafandrohung auf die „berufsmäßig tätigen Gehilfen und die Personen […], die bei ihnen“ – etwa bei Ärztinnen und Ärzten – „zur Vorbereitung auf den Beruf tätig sind“ (vgl. § 203 Abs. 3 Satz 1 in Verbindung mit Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 StGB). Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die an irgendeiner Stelle in die Vorbereitung, Durchführung oder organisatorische Nachbereitung der Behandlung eingebunden sind, werden davon erfasst, z.B. medizinische Fachangestellte („Arzthelfer/-innen“), die mit den Patienten Organisatorisches klären, Sekretariatskräfte, die Termine mit den Patienten abstimmen, Mitarbeiter/-innen, die sich mit der Abrechnung der ärztlichen Leistung befassen. Arzt bzw. Ärztin ist der/die jeweils behandlungsverantwortliche Arzt bzw. Ärztin, im ambulanten Bereich typischerweise der Hausarzt/die Hausärztin, im Krankenhaus der/die jeweils nach Dienstplan präsente Arzt/Ärztin. „Anderer Gesundheitsberuf“ im Sinne des § 203 StGB ist z.B. ein/e Krankenpfleger/in, aber angesichts der zunehmend medizinischen Ausbildungsanteile auch ein/e Altenpfleger/in (nicht aber Altenpflegehelfer/-innen). Wer in der Ausbildung zur Krankenpflegekraft ist oder als ggfs. nur angelernte Kraft Krankenpfleger/-innen unterstützt, für den gilt die Schweigepflicht ebenfalls (vgl. § 203 Abs. 3 Satz 1 StGB: „Vorbereitung auf den Beruf“, „Gehilfen“).

Das Strafrecht sichert ab, was seine Grundlage im Berufsrecht der Gesundheitsberufe hat. Das ärztliche Berufsrecht schreibt z.B. auch vor, dass Ärzte und Ärztinnen die Mitarbeiter/-innen über die gesetzliche Schweigepflicht informieren und dies schriftlich festhalten müssen (§ 9 Abs. 3 MBO-Ä). Verstöße haben in aller Regel arbeitsrechtliche Konsequenzen. Der Schutz reicht weit: Nicht nur das gezielt Anvertraute, sondern alles, was im Zusammenhang mit dem Kontakt zum Arzt in seiner Berufsrolle bekanntgeworden ist, wird geschützt. Es gibt also keinen Bagatellvorbehalt, weil Patientinnen und Patienten vor feinsinnigen Diskussionen darüber geschützt werden sollen, was eine Bagatelle und doch (angeblich) nicht so schlimm sei.

Das bedeutet für Ärztinnen und Ärzte und die mit ihnen zusammenarbeitenden Gesundheitsberufe eine erhebliche Disziplin im Gesprächsverhalten. Das Bedürfnis, über dieses oder jenes aus dem beruflichen Alltag zu reden, ist zwar verständlich, aber was andernorts vielleicht noch als leidige Indiskretion durchgeht, erweist sich im Hinblick auf die berufliche Beziehung zum Patienten bzw. zur Patientin u.U. schnell als rechtswidriges und strafbares Verhalten. Das heißt selbstverständlich nicht, dass alle Rechtsverstöße ans Tageslicht kommen oder das jeder bekannt gewordene Rechtsverstoß hart bestraft wird, aber das Recht hat eine symbolisch-bewusstseinsbildende Aufgabe, indem es – auch durch die Strafandrohung – verdeutlicht, dass laxer Umgang mit der Vertraulichkeit die Vertrauensbeziehung zur Patientin bzw. zum Patienten fundamental verletzt und dadurch eine erfolgreiche Behandlung unwahrscheinlich bzw. praktisch unmöglich macht.

Das hat auch Bedeutung für den (ohne Einverständnis mit dem Patienten oder der Patientin erfolgenden) fachlichen Austausch mit Kolleginnen oder Kollegen, die z.B. mit der Behandlung eines Patienten bzw. einer Patientin nichts zu tun haben, oder auch für das Verhalten z.B. in Qualitätszirkeln oder im Rahmen einer Gruppensupervision. Hier ist strikt darauf zu achten, dass der Patient bzw. die Patientin nicht identifiziert werden kann. Die Namensnennung scheidet also aus (sie ist im Übrigen auch für Supervisionen, Qualitätszirkel oder vergleichbare Settings unnötig). Auch Umschreibungen, die auf den Namen verzichten, aber nach Lage der Dinge nur eine bestimmte Person meinen können, sind unzulässig.

Allerdings muss es sich um ein „Geheimnis“ (vgl. § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB) handeln. Was allgemein bekannt ist, ist kein Geheimnis. Wenn z.B. ein Prominenter nach einem schweren Skiunfall in einem Krankenhaus behandelt wird und die Familie des Prominenten dies in den Medien bestätigt, dann liegt hinsichtlich des Faktums, dass er sich in dem Krankenhaus aufhält, kein „Geheimnis“ vor. Was aber der Öffentlichkeit nicht bekannt ist, bleibt ein „Geheimnis“ und unterliegt der Schweigepflicht.

Zulässiger Bruch der Vertraulichkeit

Einwilligung

Konsiliarischer Austausch mit anderen Gesundheitsberufen ist immer wieder nötig. Das geltende Recht trifft insoweit Vorsorge, als die Schweigepflicht „befugt“ gebrochen werden kann (vgl. § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB, § 9 Abs. 2 MBO-Ä). An erster Stelle steht die Entbindung von der Schweigepflicht durch den Patienten bzw. die Patientin selbst. Rechtstechnisch handelt es sich um eine Einwilligung, die der Patient bzw. die Patientin gegenständlich, aber auch zeitlich begrenzen kann. So kann er oder sie etwa dem Arzt oder der Ärztin gestatten, erst nach seinem bzw. ihrem Tod den Angehörigen bestimmte Informationen zukommen zu lassen. Hierbei ist darauf zu achten, dass jede volljährige Person in aller Regel einwilligungsfähig sein wird.

Der gesetzlich nicht definierte Begriff der Einwilligungsfähigkeit setzt allerdings die Volljährigkeit nicht voraus, so dass z.B. auch schon 16- oder 17-jährige, die als hinreichend einsichts- und urteilsfähig gelten können, einwilligungsfähig sind. Die Einwilligungsfähigkeit besteht auch bei alten bzw. hochaltrigen Menschen, sofern nicht z.B. hinsichtlich aller Gesundheitsfragen eine Betreuung angeordnet ist. Alter nimmt nicht per se die Einwilligungsfähigkeit, aber sie kann fehlen, was der Arzt im Einzelfall feststellen muss. Die Situation kann bei Minderjährigen kompliziert werden, weil hier in aller Regel auch die Eltern präsent sein werden (Valerius 2018). Rechtlich umstritten ist die Frage, ob – sofern Minderjährige selbst einwilligungsfähig sind (z.B. ein 17jähriger, der kurz vor dem 18. Geburtstag steht) – gleichwohl noch die Einwilligung der Eltern erforderlich ist. Richtigerweise genügt die Einwilligung des einwilligungsfähigen Minderjährigen, weil mit einem Zustimmungs- bzw. Veto-Recht der Eltern die Einwilligungsfähigkeit des Minderjährigen letztlich unterlaufen würde. Das bedeutet auch, dass ein/e einwilligungsfähige/r Minderjährige/r den Arzt bzw. die Ärztin von der Schweigepflicht entbinden dürfte, etwa um dem Arzt oder der Ärztin zu ermöglichen, sich im Auftrag des/der Minderjährigen an Stellen zu wenden, damit diese den/die Minderjährige/n in einer schwierigen Lebenssituation unterstützen können (zur Kommunikation bei der Kindeswohlgefährdung, ggfs. unter Einbindung der Eltern, noch unten 4.).

Mutmaßliche Einwilligung

Die Lage muss aber nicht immer derart existenziell sein. Auch die Weitergabe der Abrechnungsdaten z.B. eines Hausarztes bzw. einer Hausärztin an ein Inkassounternehmen bedarf der Einwilligung des Patienten. Sie darf nicht einfach unterstellt werden, sondern ist schon aus Beweisgründen schriftlich einzuholen. Die Befugnis, ein Geheimnis zu „offenbaren“ (vgl. den Wortlaut des § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB und des § 9 Abs. 2 MBO-Ä) – dies wird auch „Offenbarungsbefugnis“ genannt –, kann sich auch aus einer sog. mutmaßlichen Einwilligung ergeben. Allerdings ist hier höchste Zurückhaltung geboten. Sie kommt eigentlich nur dann in Betracht, wenn der Patient bzw. die Patientin eine eigene Einwilligung nicht mehr geben kann und verlässliche Indizien darauf hindeuten, dass er bzw. sie mit der Entbindung von der Schweigepflicht einverstanden wäre, könnte er bzw. sie sich erklären. Die Gefahr, dass im Gewand der mutmaßlichen Einwilligung letztlich ein fremder Wille untergeschoben wird, ist sehr groß. Die mutmaßliche Einwilligung ist das Standardargument des traditionellen (ärztlichen) Paternalismus gewesen, der entscheidet, ohne sich der Mühen des Kommunizierens auszusetzen. Dass ärztlicher (und auch nicht-ärztlicher) Paternalismus immer weniger als akzeptabel gilt, spiegelt sich in der Marginalisierung der mutmaßlichen Einwilligung wider, die nur noch in seltenen, häufig spezialgesetzlich geregelten Situationen (etwa im Transplantationsrecht, vgl. § 4 Abs. 1 Satz 4 Transplantationsgesetz) relevant werden kann. Gesundheitsberufe, namentlich Ärztinnen und Ärzte, die sich auf eine mutmaßliche Einwilligung berufen, bewegen sich rechtlich auf dünnem Eis. Bei Fragen der Kindeswohlgefährdung hat die mutmaßliche Einwilligung keine praktische Bedeutung.

Rechtfertigender Notstand – Offenbarungsbefugnis, Offenbarungspflicht

Offenbarungsbefugnis

Der Berufsgeheimnisträger darf die Verschwiegenheit zur Abwendung einer gegenwärtigen Gefahr bei einem sog. rechtfertigenden Notstand (§ 34 StGB) durchbrechen. § 34 StGB lautet: „Wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum oder ein anderes Rechtsgut eine Tat begeht, um die Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden, handelt nicht rechtswidrig, wenn bei Abwägung der widerstreitenden Interessen, namentlich der betroffenen Rechtsgüter und des Grades der ihnen drohenden Gefahren, das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt. Dies gilt jedoch nur, soweit die Tat ein angemessenes Mittel ist, die Gefahr abzuwenden.“

Leider gibt es keine operablen Kriterien, anhand derer genau zu bestimmen wäre, wann die Schwelle der „gegenwärtig“ drohenden Gefahr erreicht ist. Problematisch sind vor allem Gefahren für Leib und Leben, etwa wenn es um ansteckende Krankheiten geht. Sofern nicht ohnehin eine Meldepflicht nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSchG) besteht (insoweit kann eine gesetzliche Offenbarungspflicht gegenüber den zuständigen Behörden bestehen, näher §§ 6 ff. IfSchG), kann ein Konflikt im hausärztlichen Kontext z.B. entstehen, wenn sich ein/e Patient/in, der, wie der Arzt/die Ärztin weiß, in einer Ehe lebt und nicht will, dass Partner bzw. Partnerin etwas von einer HIV-Erkrankung erfahren. Sofern hier der Arzt/die Ärztin den Eindruck hat, dass der/die Patient/in in seiner Partnerschaft ungeschützt sexuell verkehrt, wird er den/die Patienten/Patientin nachdrücklich zu überzeugen suchen, dass er bzw. sie den Partner bzw. die Partnerin informiert.

Es liegt auf der Hand, dass diese Einschätzungen mit einigen Unschärfen verbunden sind. Daher ist die Dokumentation so wichtig, weil sie – im worst case eines Strafverfahrens – plausibilisiert, von welcher Tatsachenlage der Berufsgeheimnisträger, z.B. der Arzt bzw. die Ärztin, ausgegangen ist. Denn hat er oder sie sich geirrt, dann muss zumindest plausibel werden, dass der Irrtum auf einer in sich schlüssigen Realitätskonstruktion beruhte. In diesem Fall fehlt es am Vorsatz (vgl. § 16 Abs. 1 S. 1 StGB) und eine Strafbarkeit nach § 203 StGB scheidet aus. Die Unschärfen, die mit der Handhabung des § 34 StGB zusammenhängen, waren ein wichtiger Grund, spezielle Vorschriften für den Bereich der Kindeswohlgefährdung zu schaffen (dazu 4.).

Offenbarungspflicht

Eine Offenbarungsbefugnis kann sich zu einer Offenbarungspflicht verdichten (vgl. § 323 StGB – unterlassene Hilfeleistung), wenn der Arzt bzw. die Ärztin nachvollziehbar der Auffassung war, dass (im oben genannten Beispielsfall der HIV-Erkrankung) anders als durch die Information des Ehepartners bzw. der Ehepartnerin eine Verletzung etwa der körperlichen Integrität nicht abgewendet werden kann. Was nachvollziehbar und plausibel ist, richtet sich letztlich danach, ob die Einschätzung aus ärztlicher Sicht vertretbar gewesen ist: Wäre ein verständiger Arzt bzw. eine verständige Ärztin in der konkreten Situation zur selben Einschätzung der Lage gelangt? Das gilt für andere Gesundheitsberufe, bezogen auf deren fachliche Kompetenzen, entsprechend.

Offenbarungspflichten gibt es etwa auch im Strafvollzug (Rixen 2000), wo sich z.B. Anstaltsärztinnen und -ärzte dem/der Anstaltsleiter/in offenbaren müssen, „soweit dies für die Aufgabenerfüllung der Vollzugsbehörde oder zur Abwehr von erheblichen Gefahren für Leib oder Leben des Gefangenen oder Dritter erforderlich ist“ (so § 182 Abs. 2 Satz 2 Bundes-StVollzG; die Vorschriften in den Landes-Strafvollzugsgesetzen, die das Bundes-StVollzG zunehmend ablösen, sind inhaltsgleich verfasst, vgl. etwa Art. 200 Abs. 2 Satz Bayerisches Strafvollzugsgesetz oder § 123 Abs. 2 Satz 2 Hamburgisches Strafvollzugsgesetz).

Kindeswohlgefährdungen

Die soeben für den rechtfertigenden Notstand beschriebene Vorgehensweise gilt auch für Kindeswohlgefährdungen. Diese Konfliktlage musste früher nach Maßgabe des erwähnten § 34 StGB gelöst werden. Inzwischen haben zahlreiche Bundesländer, aber auch der Bund Vorschriften erlassen, die sich mit der Frage der Offenbarungsbefugnis oder u.U. auch einer Offenbarungspflicht befassen. Bei den Regelungen auf Bundesebene geht es vor allem um § 4 des Gesetzes zur Kooperation und Information im Kindesschutz (KKG). Die Vorschrift gibt u.a. auch Ärztinnen und Ärzten auf, „gewichtigen Anhaltspunkten“ für eine Kindeswohlgefährdung nachzugehen und hierbei zunächst die Eltern einzubinden; nur als letzte Möglichkeit darf das Jugendamt informiert werden. § 4 KKG verlangt folglich ein gestuftes Vorgehen:

Überblick über die Regelung des § 4 KKG

Die in § 4 Abs. 1 KKG aufgeführten (Gesundheits-)Berufe werden der Sache nach zum verlängerten Arm des Jugendamtes bei der Erkennung und Bewertung von Kindeswohlgefährdungen. Die Regelung soll dazu beitragen, dass die Sorge der (Gesundheits-)Berufe, äußerstenfalls Verschwiegenheitspflichten brechen zu müssen und sich damit einem strafrechtlichen Sanktionsrisiko auszusetzen, nachlässt.

In einer ersten Stufe „sollen“, d.h. müssen sie im Regelfall, sofern es gewichtige Anhaltspunkte für die Kindeswohlgefährdung gibt, mit den Personensorgeberechtigten (vgl. § 7 Abs. 1 Nr. 5 SGB VIII), also typischerweise den Eltern, die Situation erörtern, soweit dies nicht den wirksamen Schutz des Kindes bzw. des Jugendlichen in Frage stellt (§ 4 Abs. 1 KKG). Sie trifft also im Regelfall die Pflicht, gegenüber den Personensorgeberechtigten eines Kindes oder Jugendlichen (vgl. § 7 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 SGB VIII) tätig zu werden (wenn im Folgenden von „Kindern“ die Rede ist, sind Jugendliche immer mitgemeint). Berufsgeheimnisträger haben zur Einschätzung der Kindeswohlgefährdung einen Anspruch, also ein subjektiv öffentliches Recht auf Beratung durch eine insoweit erfahrene Fachkraft des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe (vgl. § 4 Abs. 2 S. 1 KKG), also – vereinfacht ausgedrückt – des Jugendamtes. Die Berufsgeheimnisträger sind zu diesem Zweck befugt, dieser Fachkraft die erforderlichen Daten zu übermitteln, wobei die Daten pseudonymisiert werden müssen (§ 4 Abs. 2 Satz 2 KKG). „Pseudonymisierung“ ist die Verarbeitung personenbezogener Daten in einer Weise, dass die personenbezogenen Daten ohne Hinzuziehung zusätzlicher Informationen nicht mehr einer spezifischen betroffenen Person zugeordnet werden können, sofern diese zusätzlichen Informationen gesondert aufbewahrt werden und technischen und organisatorischen Maßnahmen unterliegen, die gewährleisten, dass die personenbezogenen Daten nicht einer identifizierten oder identifizierbaren natürlichen Person zugewiesen werden; so Art. 4 Nr. 5 DSGVO.

Lässt sich die Gefährdung durch ein Gespräch mit den Personensorgeberechtigten nicht abwenden oder hat ein Gespräch zwar stattgefunden, ist es aber erfolglos verlaufen und sind die Berufsgeheimnisträger sodann der Ansicht, dass das Jugendamt tätig werden müsse, um die Kindeswohlgefährdung abzuwenden, dürfen sie das Jugendamt informieren (§ 4 Abs. 3 KKG). Hierauf (so § 4 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 KKG) sind die Betroffenen – gemeint sind das Kind und die Personensorgeberechtigten – vorab hinzuweisen, es sei denn, dass damit der wirksame Schutz des Kindes in Frage gestellt wird. Die mit der Information des Jugendamtes einhergehende Datenübermittlung wird durch § 4 Abs. 3 Satz 2 KKG gestattet.

Der Katalog der „Berufsgeheimnisträger“

Ärztinnen und Ärzte

§ 4 Abs. 1 Nr. 1 KKG besagt, dass auch Ärztinnen und Ärzte zu den Berufsgeheimnisträgern gehören. Gemeint sind approbierte oder sonst zur Berufsausübung als Arzt bzw. Ärztin zugelassene Humanmediziner/-innen gleich welcher Facharztzugehörigkeit, also z.B. auch Ärztinnen oder Ärzte, die in der Regel keinen Kontakt zu Kindern haben, wie etwa Fachärztinnen oder -ärzte für Pathologie, Klinische Pharmakologie oder für Laboratoriumsmedizin.

Hinsichtlich anderer Gesundheitsberufe ist ein genauerer Blick vonnöten: Der Wortlaut erwähnt Zahnärztinnen und Zahnärzte nicht, obgleich sie in § 203 Abs. 1 StGB genannt werden; § 203 StGB und § 4 KKG sind also nicht deckungsgleich. Ebenfalls vom Wortlaut nicht ausdrücklich erfasst sind Tierärztinnen und Tierärzte, obgleich sie vielfachen beruflichen Kontakt zu Kindern haben werden, wenn diese ihre Haustiere zur Untersuchung in die tierärztliche Praxis bringen. Nicht explizit genannt werden auch Apothekerinnen und Apotheker, obwohl auch sie oft beruflichen Kontakt zu Kindern haben werden. Allerdings werden Zahnärztinnen und Zahnärzte, Tierärztinnen und Tierärzte sowie Apothekerinnen und Apotheker ebenfalls von § 4 Abs. 1 Nr. 1 KKG erfasst, denn sie sind im Sinne dieser Vorschrift Heilberufe, die für die Berufsausübung oder die Führung der Berufsbezeichnung eine staatlich geregelte Ausbildung erfordern. Zudem handelt es sich auch bei ihnen um Berufsgeheimnisträger, „die von ihrer beruflichen Tätigkeit her in einem unmittelbaren Kontakt zu Kindern und Jugendlichen stehen oder stehen können und von ihrer Ausbildung her zur Erörterung der einschlägigen Problemlagen mit den Eltern befähigt sind“ (Bundestag 2011: 19). Die Unterschiede im Wortlaut zwischen § 4 Abs. 1 Nr. 1 KKG und § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB dürfen im Lichte des Zwecks des KKG, den Schutz vor Kindeswohlgefährdungen zu verbessern, nicht überbewertet werden (anders noch Rixen 2012). Dennoch sollte der Gesetzgeber den Wortlaut des § 4 Abs. 1 Nr. 1 KKG ergänzen, um rechtliche Unklarheiten von vornherein zu vermeiden.

Zu den Ärztinnen und Ärzten gehören auch Schulärztinnen und Schulärzte, also im Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) tätige bzw. für den ÖGD tätige Ärztinnen und Ärzte, die schulärztliche Untersuchungen vornehmen. Hier stellen sich mitunter schwierige beamtenrechtliche bzw. arbeitsrechtliche Fragen, die als strukturelle Probleme der Tätigkeit von beamteten oder im öffentlichen Dienst tätigen Ärztinnen und Ärzten in anderen hoheitlichen Kontexten bekannt sind, namentlich das Problem, ob der (wie es im Beamtenverhältnis heißt) „Dienstherr“ bzw. der öffentliche Arbeitgeber durch (allgemeine) Weisungen die Ausübung der Offenbarungsbefugnis näher regeln darf oder ob § 4 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 2 und Abs. 3 KKG eine Rechtsstellung begründet, die den Arzt bzw. die Ärztin höchstpersönlich betrifft. Man wird § 4 Abs. 1 Nr. 1 KKG, der Ärztinnen und Ärzte, nicht ihre Vorgesetzten nennt, so zu verstehen haben, dass den Arzt bzw. die Ärztin die Rechts- und Pflichtenlage höchstpersönlich betrifft und insofern Vorrang vor anderen beamten- bzw. arbeitsrechtlichen Regelungen hat. Das gilt auch für Ärztinnen und Ärzte, die außerhalb des öffentlichen Dienstes tätig sind; mittels des Weisungsrechts darf die aus § 4 KKG folgende Rechtsstellung nicht gesteuert werden.

Angehörige anderer Heilberufe, Psychologinnen und Psychologen

Erfasst von § 4 Abs. 1 Nr. 1 KKG werden auch Hebammen und Entbindungspfleger sowie Angehörige eines anderen Heilberufes, der für die Berufsausübung oder die Führung der Berufsbezeichnung eine staatlich geregelte Ausbildung erfordert. Dazu gehören neben den bereits erwähnten nicht-ärztlichen Gesundheitsberufen z.B. auch nicht-ärztliche Psycho-, Ergo- und Physiotherapeutinnen und -therapeuten.

Was mit Heilberuf gemeint ist, war im Gesetzgebungsverfahren zwischen Bundesregierung und Bundesrat streitig. Während der Bundesrat nur die sog. akademischen (also ein Hochschulstudium voraussetzenden) Heilberufe erfasst sehen wollte, bezog sich die Bundesregierung auf den weiter gefassten Begriff des Heilberufs im Sinne des Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG, wozu nicht nur die von einer akademischen Ausbildung abhängigen Heilberufe gehören; das Gesetz folgt der Sichtweise der Bundesregierung.

Über das Vorliegen eines relevanten Heilberufs im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 1 KKG entscheidet die Frage, ob für die Berufsausübung oder die Führung der Berufsbezeichnung eine staatlich geregelte Ausbildung erforderlich ist. Das führt zu dem Kuriosum, dass z.B. Podologinnen und Podologen, also medizinische Fußpfleger/-innen, von § 4 Abs. 1 Nr. 1 KKG erfasst werden, was indes durchaus praxisrelevant sein kann, etwa bei diabeteskranken Kindern, die der medizinischen Fußpflege bedürfen. Erfasst sind auch Kranken- sowie Kinderkrankenpfleger/-innen („Krankenschwestern“) oder Altenpfleger/-innen. Nicht zu den „Heilberufen“ im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 1 KKG, obgleich staatlich reglementiert, gehören Altenpflegehelfer/-innen, die zu den Heilhilfsberufen gehören.

Nicht erfasst von § 4 Abs. 1 Nr. 1 KKG werden auch Heilpraktiker/-innen, weil sie keine Angehörigen eines anderen Heilberufs sind, der für die Berufsausübung oder die Führung der Berufsbezeichnung einer staatlich geregelten Ausbildung bedarf; sie fehlt bei Heilpraktikerinnen und -praktikern. Dass Kinder ggfs. regelmäßig wegen homöopathischer Behandlungen eine/n Heilpraktiker/-in aufsuchen, ist aus Sicht des § 4 KKG also irrelevant. Nicht zu den § 4 Abs. 1 Nr. 1 KKG erfassten Berufen gehören ferner die sog. medizinischen Fachangestellten (früher: Arzthelfer/-innen), denn auch hierbei handelt es sich nicht um einen Heilberuf, sondern um einen sog. Heilhilfsberuf. Anders als § 203 Abs. 3 Satz 1 StGB erstreckt § 4 KKG die Verhaltenspflichten nicht auf Hilfspersonal bzw. Personen, die zur Vorbereitung auf einen Beruf bei dem jeweiligen Berufsgeheimnisträger tätig sind.

Zu den sog. Berufsgeheimnisträgern gehören gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 2 KKG auch Berufspsychologinnen oder -psychologen (der Begriff „Berufspsychologe“ wurde aus § 203 Abs. 1 Nr. 2 StGB übernommen) mit staatlich anerkannter wissenschaftlicher Abschlussprüfung, was nicht zuletzt im Hinblick auf Schulpsychologen bzw. den schulpsychologischen Dienst relevant ist. Auch hier stellen sich die oben bereits angesprochenen Probleme einer beamtenrechtlichen bzw. arbeitsrechtlichen Steuerung der Übermittlungsbefugnis. Wie dort gilt auch hier, dass § 4 Abs. 1 Nr. 2 KKG zu höchstpersönlichen Pflichten und Rechten der Psychologinnen und Psychologen führt, die Vorrang vor beamten- bzw. arbeitsrechtlichen Regelungen genießen.

Unschärfen

„Gewichtige Anhaltspunkte“ – was ist gemeint?

Unproblematisch dürfte sein, was in § 4 Abs. 1 KKG mit „Ausübung der beruflichen Tätigkeit“ gemeint ist. Es geht um die Wahrnehmung von Aufgaben, die in einem zeitlich-räumlichen Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit stehen und nicht etwa im Schwerpunkt dem privaten Bereich zuzuordnen sind.

Schwieriger zu verstehen ist das, was mit relevanten „Anhaltspunkten“ gemeint ist und sie zu „gewichtigen“ macht. Insoweit ist auf die in der Praxis im Hinblick auf § 8a SGB VIII entwickelten Kriterienkataloge zu verweisen, die in aller Regel eine Vielzahl von möglichen Anhaltspunkten zusammenfassen, die nicht alleine, aber doch additiv zu gewichtigen Anhaltspunkten für die Gefährdung des Kindeswohls bzw. des Wohls eines Jugendlichen werden können. In fachlicher Hinsicht ist allerdings die Frage, was relevante Anhaltspunkte sind und wann sie gewichtig werden, so klar gar nicht zu beantworten. Häufig stehen nicht explizit gemachte bzw. stillschweigend unterstellte theoretische Vorverständnisse im Raum, die die Relevanz von Anhaltspunkten und ihre Verdichtung zu „gewichtigen“ Anhaltspunkten steuern. Nicht auszuschließen ist überdies, dass im Praxisalltag weniger ein reflektierter Umgang mit den Kriterienkatalogen dominiert als eine checklistenartige Vorgehensweise, die von Alltagstheorien, „Bauchgefühlen“ und eher impressionistischen beruflichen Erfahrungen bestimmt sein wird.

Letztlich wird man sich immer fragen müssen, ob vor dem Hintergrund der pädagogischen bzw. fachlichen Erfahrung des jeweiligen Berufsgeheimnisträgers naheliegender Weise von einem relevanten, d.h. wirklich aussagekräftigen Indikator für eine Kindeswohlgefährdung auszugehen ist. Hier liegt ein wichtiges Feld für die Qualitätssicherung durch die öffentlichen Jugendhilfeträger bzw. die Fachverbände (und soweit vorhanden, die Berufskammern) der in § 4 Abs. 1 Nr. 1 KKG genannten Professionen. Sie sollten Handreichungen dazu erstellen, was unter welchen Voraussetzungen als gewichtiger Anhaltspunkt zu bewerten ist.

Qualifikation durch Beratung

Unverändert stellt sich die Frage, ob die in § 4 Abs. 1 KKG genannten Personenkreise fachlich in der Lage sind, entsprechende Anhaltspunkte zu erkennen und zu kommunizieren. Die Gesetzesbegründung zum KKG sieht durchaus, dass „die Einschätzung einer Kindeswohlgefährdung im Einzelfall sehr schwierig und komplex sein kann und zudem nicht immer zu den typischen Aufgaben der unter die Norm fallenden Berufsgruppen zählt“ (Bundestag 2011: 19). Deshalb hat jeder Angehörige eines in § 4 Abs. 1 Satz 1 KKG genannten Berufs ein gegen den Träger der öffentlichen Jugendhilfe gerichtetes subjektiv-öffentliches Recht auf Beratung zur Einschätzung der Kindeswohlgefährdung, die durch eine vom Träger der öffentlichen Jugendhilfe gestellte insoweit erfahrene Fachkraft (z.B. aus einer Beratungsstelle oder einem Kinderschutzzentrum) erfolgen muss (§ 4 Abs. 2 Satz 1 KKG; zur „insoweit erfahrenen Fachkraft vgl. § 8a SGB VIII, insb. Abs. 4 Satz 1 Nr. 2). Der Beratungsanspruch bezieht sich auf alle gemäß Abs. 1 für die Einschätzung relevanten Aspekte, so dass auch über die möglicherweise in Betracht kommenden Hilfen zu beraten ist, die ggfs. mit den Personensorgeberechtigten zu erörtern sind. Einen allgemeinen Beratungsanspruch für alle Personen, die beruflich in Kontakt mit Kindern oder Jugendlichen stehen, schafft § 8b Abs. 1 SGB VIII.

Gemessen an dem Ziel, den präventiven und den intervenierenden Kinderschutz zu verbessern, ist es einerseits zu begrüßen, dass der Beratungsanspruch des § 4 Abs. 2 Satz 1 KKG eingeführt wurde. Andererseits darf nicht übersehen werden, dass die Beratung Zeit kostet und deshalb einer effektiven, insbesondere zügigen Erkennung und Abwendung einer Kindeswohlgefährdung im Wege stehen kann. Zwar ist der Ansatz verständlich, zunächst die Person, die „näher dran“ an den direkt Betroffenen (Kind/Jugendlicher, Eltern) ist, in die Problemlösung einzuschalten. Jedoch dürfte diese Inpflichtnahme nicht selten mit fachlicher Überforderung erkauft werden, die sich nicht durch eine Ad-hoc-Beratung kompensieren lässt. Das kann zu nicht gewollter Passivität der in § 4 Abs. 1 KKG genannten Personen führen oder auch zu übereilter Aktivität, die die Voraussetzungen des § 4 Abs. 3 KKG vorschnell als erfüllt ansieht. Das Kernproblem des § 4 KKG, dass er von spezifisch fachlichen Anforderungen durchwirkt ist, denen die in Abs. 1 genannten Personen, wenn überhaupt, nur selten in professionell gebotener Weise gerecht werden können, lässt sich durch einen Beratungsanspruch letztlich nicht zufriedenstellend lösen.

Verhältnis von KKG und Landesrecht

Während § 4 KKG auf Bundesebene eine komplizierte Offenbarungsbefugnis regelt, kennt das Landesrecht z.T. Offenbarungspflichten. So heißt es in Bayern (Art. 14 Abs. 6 Gesetz über den öffentlichen Gesundheits- und Veterinärdienst, die Ernährung und den Verbraucherschutz sowie die Lebensmittelüberwachung [Gesundheitsdienst- und Verbraucherschutzgesetz – GDVG]): „Ärztinnen und Ärzte, Hebammen und Entbindungspfleger sind verpflichtet, gewichtige Anhaltspunkte für eine Misshandlung, Vernachlässigung oder einen sexuellen Missbrauch eines Kindes oder Jugendlichen, die ihnen im Rahmen ihrer Berufsausübung bekannt werden, unter Übermittlung der erforderlichen personenbezogenen Daten unverzüglich dem Jugendamt mitzuteilen.“

Es ist offensichtlich, dass das zu Widersprüchen zwischen Bundes- und Landesrecht führt. Die Situation wird noch dadurch unübersichtlicher, dass zweifelhaft ist, ob der Bund überhaupt Pflichten regeln kann, die die ärztliche Berufsausübung betreffen, denn der Bund ist nur für die Berufszulassung zuständig (Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG), während die Länder die Berufsausübung regeln (vgl. Art. 70 GG). Aus Sicht der Ärztinnen und Ärzte ist das eine unerträgliche Situation, zumal das gesetzgeberische Ziel, mit § 4 KKG die Arbeit der Ärztinnen und Ärzte zu erleichtern, verfehlt wurde. Letztlich gilt auch hier das zu § 34 StGB Ausgeführte: Je verlässlicher die Anhaltspunkte nach gesundheitsberuflicher (hier: ärztlicher) Erfahrung sind und je konkreter und aussagekräftiger dies dokumentiert ist, desto eher wird ein Bruch der Verschwiegenheit im Ergebnis – mangels vorsätzlichen, weil irrtümlichen Handelns – straflos bleiben. Auch eine Strafbarkeit wegen falscher Verdächtigung (§ 164 StGB) scheidet dann mangels Vorsatzes aus.

Datenschutz

Schweigepflicht und Datenschutz ähneln sich, weil sie sich auf personenbezogene Daten (Art. 4 Nr. 1 DSGVO) beziehen. Die Schweigepflicht setzt allerdings bei der Person an – beispielhaft: dem Arzt, der Ärztin –, während das Datenschutzrecht zwar auch Personen betrifft, aber in aller Regel nicht bei einem Berufsstatus anknüpft. So wichtig die EU-Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) ist, so wenig hat sie im Ergebnis am bekannten Profil des bisherigen Datenschutzrechts Grundlegendes geändert (näher Bieresborn 2017a, 2017b, 2018; Freund & Shagdar 2018a, 2018b; Hoidn & Roßnagel 2018; Meysen 2018). Für öffentliche Gesundheitseinrichtungen gilt, je nachdem, wer der Träger ist, ergänzend zur DSGVO das Bundesdaten- oder das Landesdatenschutzgesetz. Zum Teil kennen die Länder auch eigene Gesundheitsdatenschutzgesetze (etwa in Nordrhein-Westfalen), die sich in erster Linie auf alle im System der gesetzlichen Krankenversicherung betriebenen Krankenhäuser beziehen. Hinzu kommen Datenschutzbestimmungen des GKV-Rechts. Durch all diese Normenmengen ziehen sich einige rote Fäden, die für Orientierung sorgen, insbesondere die Grundsätze der Datenminimierung (Art. 5 Abs. 1 Buchst. c DSGVO), der Zweckbindung (Art. 5 Abs. 1 Buchst. b DSGVO) und der Einwilligung (Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. a DSGVO). Es dürfen nicht mehr Daten erhoben oder verarbeitet werden, als für einen konkret bestimmten Zweck nötig, und die Offenbarung von Daten ist in aller Regel nur mit Einwilligung möglich, es sei denn, es sind genau definierte Ausnahmen anwendbar, in denen mit einer Offenbarungsbefugnis die fehlende Einwilligung überspielt werden kann. Das Datengeheimnis gilt umfassend (vgl. § 35 Abs. 1 S. 1 SGB X).

Der Datenschutz ist in Gesundheitseinrichtungen vor allem eine Herausforderung für die Organisation der Abläufe, insbesondere der IT-Prozesse. Den Träger eines Krankenhauses trifft hier eine Organisationsverantwortung, die – bei Fehlern – zu einem sog. Organisationsverschulden führen kann, etwa wenn Aufsichtspflichten im IT-Bereich nicht beachtet wurden. Vereinfacht lässt sich sagen: Das Datenschutzrecht fokussiert den infrastrukturellen Rahmen, in dem die ärztliche Tätigkeit erfolgt, während die strafbewehrte Schweigepflicht den einzelnen Berufsträger in den Blick nimmt. Das Datenschutzrecht kennt neben Strafbestimmungen auch Ordnungswidrigkeiten (vgl. etwa §§ 41 ff. BDSG). Die entsprechenden Bußgelder, u.U. in Millionenhöhe, können auch gegen Unternehmen verhängt werden (vgl. § 9, § 30, § 130 Ordnungswidrigkeitengesetz – OWiG). Ein Krankenhaus, in dem das Personal wiederholt die Schweigepflicht bricht und sich dies auf eine insuffiziente Aufsicht der Leitung zurückführen lässt, kann auf diese Weise in Haftung genommen werden. Das ist zwar kein richtiges Unternehmensstrafrecht, wie andere Länder es kennen (z.B. Österreich), aber die Bußgeldandrohung ist eine kostenträchtige Vorstufe.

Resümee

Der Schutz der Schweigepflicht und der Datenschutz ergänzen sich. Während auf der einen Seite die Berufsträger direkt in die Pflicht genommen werden, betrachtet das Datenschutzrecht in der Praxis eher die institutionellen Rahmenbedingungen, unter denen die Gesundheitsberufe arbeiten. Diese wechselseitige Verknüpfung von persönlicher und infrastruktureller Verantwortung soll sicherstellen, dass die Kommunikation zwischen Gesundheitsberuf und Patient bzw. Patientin in einem Raum des Vertrauens erfolgen kann. So gesehen, haben die Rechtsnormen, die sich mit Schweigepflicht und Datenschutz befassen, eine „Ermöglichungsfunktion“: Sie sollen eine angstfreie, vertrauensvolle Kommunikation zwischen Berufsgeheimnisträger und Patient bzw. Patientin möglich machen, in der sich der Patient bzw. die Patientin als anerkannt erfährt: als Subjekt seiner bzw. ihrer Krankheits- und Gesundheitsgeschichte.

Andererseits schafft das geltende Recht, vor allem mit § 4 des Gesetzes zur Kooperation und Information im Kindesschutz (KKG), einen rechtlichen Rahmen, der die Einschätzung von Kindeswohlgefährdungen strukturiert und die Sorge insbesondere der Gesundheitsberufe vor (straf-)rechtlichen Nachteilen reduzieren soll. Das Recht markiert hier einen Gestaltungsraum, den der Berufsgeheimnisträger eigenständig ausfüllen muss. Das Recht kann verantwortliche Entscheidungen nicht ersetzen, aber es kann dazu beitragen, dass Berufsgeheimnisträger sorgfältige und mutige Entscheidungen treffen. Wie es gelingt, diesen Gestaltungsraum kommunikativ kompetent und (lebens-)klug auszufüllen, ist im Kern keine Frage, die das Recht beantworten kann. Um mit dieser Situation angemessen umgehen zu können, sind Kenntnisse zum Thema „Kindeswohlgefährdung“ sowie Kommunikationsfähigkeiten erforderlich, die im Rahmen der Aus-, Fort- und Weiterbildung erworben werden müssen. Die Offenbarungsbefugnisse und die Offenbarungspflichten sind nur so viel wert, wie bei Aus-, Fort- und Weiterbildung auf die Vermittlung der nötigen fachlichen Kompetenzen geachtet wird. Es geht also um Professionalisierung, und zu ihr gehört auch die Bereitschaft, sich beraten zu lassen. Niedrigschwellige Angebote wie die Kinderschutz-Hotline haben hier eine wichtige Funktion (Berthold u.a. 2017, 2018).

Prof. Dr. Stephan Rixen, Lehrstuhl für Öffentliches Recht I Rechts- und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät, Universität Bayreuth, Universitätsstr. 30, 95447 Bayreuth, Deutschland, [email protected]

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Prof. Dr. Stephan Rixen, Lehrstuhl für Öffentliches Recht I Rechts- und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät, Universität Bayreuth, Universitätsstr. 30, 95447 Bayreuth, Deutschland,